L 1 KR 215/16

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 630/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 215/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 19/17 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. März 2016 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 3.114,74 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind Beitragsnachforderungen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 3.114,74 EUR streitig.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das unter anderem europaweite Eil-/Sonder- und Messetransporte zum Gegenstand hat. Der Beigeladene zu 1. war in der Zeit vom 16. Januar 2012 bis 15. November 2012 für die Klägerin tätig.

Zuvor war der Beigeladene zu 1. bei der Firma D. Logistigs GmbH beschäftigt gewesen. Mit Bescheid vom 28. Februar 1994 befreite ihn die Beigeladene zu 2. antragsgemäß nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) mit Wirkung zum 1. Januar 1994 wegen der Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze von der Krankenversicherungspflicht.

Die Beklagte führte bei der Klägerin hinsichtlich der Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31.12.2012 eine Betriebsprüfung durch und hörte sie mit Schreiben vom 22. Oktober 2013 zur beabsichtigten Beitragsnachforderung i.H.v. 3.114,74 EUR an. Der Beigeladene zu 1. sei bei der Klägerin im Jahre 2012 beschäftigt und gesetzlich kranken- und pflegeversicherungspflichtig gewesen. Entsprechende Versicherungsbeiträge seien jedoch von der Klägerin nicht abgeführt worden. Das Arbeitsentgelt des Beigeladenen zu 1. habe stets unter 2.000 EUR monatlich gelegen. Ein Befreiungstatbestand liege nicht vor. Die Beigeladene zu 2. habe zwar am 28. Februar 1994 aufgrund einer anderen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. eine Befreiung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ausgesprochen. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Mai 2011 (B 12 KR 9/09 R) wirke sich eine solche Befreiung jedoch nur auf das jeweilige Versicherungspflichtverhältnis aus. Vorliegend sei die Versicherungspflicht hingegen aufgrund abhängiger Beschäftigung in der Zeit von November 2011 bis 15. Januar 2012 durch Arbeitslosigkeit unterbrochen worden, so dass die Befreiung nicht mehr gültig sei.

Die Klägerin wandte hiergegen ein, dass mit dem Befreiungsbescheid vom 28. Februar 1994 eine "unwiderrufliche Befreiung" vorliege. Der Beigeladene zu 1. sei in der streitigen Zeit privat kranken- und pflegeversichert gewesen. Außerdem habe im Januar 2012 das für die Klägerin tätige Steuerbüro E. auf eine Nachfrage bei der Beigeladenen zu 2. die Auskunft erhalten, dass bei dem Beigeladenen zu 1. weiterhin Versicherungsfreiheit bestehe. Durch den Befreiungsbescheid sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Es sei unbillig und unverhältnismäßig, die Klägerin mit einer Beitragsnachforderung in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25. Mai 2011 sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2014 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Beitragsnachforderung i.H.v. 3.114,74 EUR fest. Über die Begründung im Anhörungsschreiben hinaus führte sie aus, dass es auf eine bestehende private Krankenversicherung des Beigeladenen zu 1. nicht ankomme. Ferner könne eine auf telefonische Nachfrage der Steuerberaterin E. erteile Telefonauskunft der Beigeladenen zu 2. gegenüber der Klägerin keinen Vertrauenstatbestand begründen; auch habe diese keine Beweiskraft im Rahmen der Betriebsprüfung.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2014 zurück. Ergänzend zu ihrer bisherigen Begründung führte sie an, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, bei Beginn der Tätigkeit eines Arbeitnehmers eine Beurteilung der Versicherungspflicht vorzunehmen. Dabei sei auch die Aktualität einer 18 Jahre alten Befreiung zu prüfen. Mit Beginn der Arbeitslosigkeit unter Bezug von Arbeitslosengeld seitens des Beigeladenen zu 1. im November 2011 habe sich der Befreiungsbescheid erledigt. Eine Aufhebung des Bescheides sei nicht erforderlich.

Am 29. September 2014 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Ergänzend zu ihrer Begründung im Verwaltungsverfahren hat sie ausgeführt, dass sie den Arbeitgeberanteil bereits als Zuschuss zu der privaten Krankenversicherung des Beigeladenen zu 1. geleistet habe. Auch habe sie einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aufgrund des Vertrauenstatbestands. Die Rechtsprechung habe sich geändert. Dadurch dürfe die Klägerin keinen Nachteil haben. Wäre der Befreiungsbescheid aufgehoben worden, hätte sie die streitigen Beiträge ordnungsgemäß abgeführt.

Mit Urteil vom 21. März 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Beigeladene zu 1. sei bei der Klägerin im streitigen Zeitraum mit Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung beschäftigt gewesen. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht habe nicht vorgelegen. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V habe vorgesehen, dass auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit werde, wer versicherungspflichtig wegen einer Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 Satz 2 oder Abs. 7 SGB V werde. Die Befreiung könne nicht widerrufen werden, § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB V. Die Dauer der Befreiungswirkung gemäß § 8 Abs. 1 SGB V sei zwar nicht ausdrücklich geregelt; sie sei aber auf die Dauer des Sachverhalts begrenzt, der das Befreiungsrecht begründet habe. Dies ergebe sich aus der Tatbestandsbezogenheit einer Befreiung nach § 8 SGB V. Mit dem Auftreten eines neuen, den bisherigen Pflichtversicherungsbeitrag ablösenden Pflichtversicherungstatbestandes erlösche die für einen alten Sachverhalt erteilte Befreiung, so dass sich eine einmal erteilte Befreiung auch ohne aufhebenden oder zurücknehmenden Verwaltungsakt auf andere Weise erledige. Dies entspreche auch dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Mai 2011. Eine vom Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsprüfung und auf Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen geltend gemachte Befreiung von der Versicherungspflicht sei von dem Arbeitgeber nachzuweisen. Gelinge ihm der Nachweis nicht, gehe dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu seinen Lasten. Die dem Beigeladenen zu 1. erteilte Befreiung aus dem Jahr 1994 sei für dessen Tätigkeit bei der Firma D. Logistigs GmbH aufgrund der Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze erteilt worden. Nach der Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses im November 2011 sei der Beigeladene zu 1. zunächst arbeitslos gewesen und habe erst ab dem 16. Januar 2012 das neue Beschäftigungsverhältnis bei der Klägerin aufgenommen. Damit habe sich der Befreiungsbescheid vom 28. Februar 1994 am 16. Januar 2012 im Sinne von § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf andere Weise erledigt, da der Gegenstand der Befreiung schon zuvor entfallen sei. Eine Aufhebung oder Zurücknahme des Befreiungsbescheides gemäß §§ 45, 48 SGB X sei nicht erforderlich. Das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 25. Mai 2011 sei auch auf den vorliegenden Fall anwendbar. Zwar habe der Beigeladene zu 1. in seiner Zeit der Arbeitslosigkeit offenbar keine Leistungen der Bundesagentur für Arbeit erhalten, so dass er in dieser Zeit nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V als Arbeitslosengeldbezieher in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig gewesen sei. Dies ändere jedoch nichts an der Richtigkeit der Entscheidung der Beklagten. Denn bei der Auslegung von § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bleibe es auch unter diesen Umständen dabei, dass von Versicherungsfreiheit als Ausnahme von der Versicherungspflicht nur in eng begrenztem Rahmen nach im Gesetz eindeutig bestimmten Voraussetzungen ausgegangen werden könne. Die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. aufgrund der Tätigkeit bei der Klägerin sei auch nicht deshalb eingetreten, weil er aufgrund einer Veränderung der Entgeltgrenze versicherungspflichtig geworden sei. Vielmehr habe er bei der Klägerin so wenig verdient, dass er von Anfang an in diesem Beschäftigungsverhältnis deutlich unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze gelegen habe. Auch deshalb habe es keinen Grund gegeben, eine Fortgeltung bzw. ein Wiederaufleben des Befreiungstatbestandes bei Aufnahme der abhängigen Beschäftigung bei der Klägerin anzunehmen. Zudem biete nur eine Begrenzung der Befreiungswirkung auf das konkrete Beschäftigungsverhältnis den Vorteil eines zweifelsfrei festzustellenden Abgrenzungskriteriums. Bei einer anderen Auffassung würde die Fortdauer der Befreiungsentscheidung vom Zufall bzw. vom Verhalten des Befreiten/Versicherten oder sogar vom Verhalten Dritter nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses abhängen. Käme es maßgeblich darauf an, ob die Beendigung der Befreiungswirkung davon abhänge, dass der Befreite/Versicherte einen anderen Pflichtversicherungstatbestand erfüllt habe, also etwa vor Aufnahme einer neuen Beschäftigung tatsächlich Arbeitslosengeld erhalten habe und damit ein Versicherungspflichtverhältnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V begründet worden sei, so würde die Beendigung der Befreiung davon abhängen, ob der Arbeitslose die Voraussetzungen für den Arbeitslosengeldbezug erfülle, er also rechtzeitig einen Antrag stelle, er der Vermittlung zur Verfügung stehe, einen Sperrzeit- oder Ruhenstatbestand erfülle usw. Die damit verbundene Unsicherheit sei nicht hinnehmbar. Da sich der Befreiungsbescheid aus dem Jahr 1994 mit Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma D. Logistigs GmbH auf andere Weise erledigt habe, sei auch kein Anknüpfungspunkt für einen Vertrauenstatbestand gegeben. Zudem entstünden Beitragsansprüche gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) Kraft Gesetzes; dies gelte verschuldensunabhängig. Die Klägerin könne sich daher nicht mit Erfolg auf ihre behaupteten subjektiven (Fehl-)Vorstellungen berufen. Es sei auch kein Vertrauensschutztatbestand im Hinblick auf die "Unwiderrufbarkeit" des Befreiungsbescheides entstanden. Die Klägerin könne sich zudem nicht erfolgreich darauf berufen, dass sie dem Beigeladenen zu 1. einen Beitragszuschuss gemäß § 257 SGB V zu seiner privaten Krankenversicherung gewährt habe. Denn damit habe sie gerade nicht ihre Pflichten zur Abführung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung erfüllt. Es handelte sich bei dem Beitragszuschuss um eine Leistung des Arbeitgebers, welche primär das Innenverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien berühre. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Beitragszuschuss als besonderer Anspruch des Beschäftigten gegen seinen Arbeitgeber im Sozialgesetzbuch vorgeschrieben sei. Die Klägerin könne sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagte nach § 28 SGB IV verpflichtet sei, eine Verrechnung der Zuschussleistung an den Beigeladenen zu 1. vorzunehmen, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorlägen. Die Klägerin habe den Zuschuss für die private Krankenversicherung des Beigeladenen zu 1. an diesen direkt und gerade nicht an einen Leistungsträger der Sozialversicherung geleistet. Eine Verrechnung komme somit nicht in Betracht. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch liege ebenfalls nicht vor. Eine Pflichtverletzung der Beklagten gegenüber der Klägerin sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Übrigen sei der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nur auf die Herstellung rechtmäßiger Zustände gerichtet. Zugunsten des Beigeladenen zu 1. habe aber gerade nicht die Möglichkeit bestanden, sich von der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung befreien zu lassen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 10. Mai 2016 zugestellte Urteil am 9. Juni 2016 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung erneut darauf verwiesen, dass das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Mai 2011 auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sei, da in diesem Verfahren über das Begehren der Klägerin, Mitglied in der Pflichtversicherung zu werden, zu entscheiden gewesen sei. Vorliegend gehe es hingegen darum, dass eine Arbeitgeberin sich auf die versicherungsrechtlich festgestellte Beurteilung durch den Sozialversicherer berufe, so dass sich andere Interessenlagen gegenüber stünden. Zu berücksichtigen sei, dass ein Arbeitgeber nicht das gleiche Wissen wie der Versicherungsnehmer über die tatsächlichen Umstände seines Beschäftigungsstatus habe. Ein Arbeitgeber sei zudem von der Richtigkeit des ihm zur Verfügung gestellten Wissens durch die Parteien des Sozialversicherungsverhältnisses abhängig. Die Klägerin habe ihre Einschätzung des Versicherungsstatus des Beigeladenen zu 1. allein aufgrund dessen Angaben, den Angaben in dem Befreiungsbescheid und der telefonischen Bestätigung des fachkundigen Steuerbüros vornehmen können. Das angeführte Urteil des Bundessozialgerichts begünstige die Interessenlage des Versicherten. Dieser soll auf die tatsächliche Sach- und Rechtslage zum Versicherungszeitpunkt vertrauen dürfen. Das Risiko der tatbestandlichen "Eingruppierung" und den etwaigen Beitragsausfall sei auf den Versicherer zu verlagern. Aufgrund des geschaffenen Vertrauenstatbestandes durch den Befreiungsbescheid, den falschen Angaben des Beigeladenen zu 1. sowie der Auskunft der Beigeladenen zu 2. sei die von der Beklagten erhobene Forderung unverhältnismäßig. Auch habe sich der Befreiungsbescheid nicht ohne weiteres Hinzutun von alleine erledigt. Vielmehr könne die regelnde Wirkung eines Verwaltungsaktes nur durch eine formale Rechtshandlung der Behörde aufgehoben werden. Damit bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Mit der "Unwiderruflichkeit" des Befreiungsbescheides sei für jeden Dritten ein gesteigerter Vertrauenstatbestand in Bezug auf dessen Wirksamkeit beschieden worden. Gerade in dieser Konstellation müsse ein formaler behördlicher Akt erfolgen, um den Vertrauenstatbestand aufzulösen. Die faktische Erledigung durch eine nachträgliche Änderung der Umstände sei hierzu gänzlich ungeeignet, insbesondere für die Betroffenen, welche - wie die Klägerin - keine Kenntnis von den tatsächlichen Umständen hätten. Die Klägerin habe keine Möglichkeit gehabt, die Erledigung des Befreiungsbescheides erkennen zu können. Ihr sei nicht zuzumuten gewesen, weitere Ermittlungen vorzunehmen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. März 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass der Befreiungsbescheid nicht missverständlich formuliert sei. Der Zusatz in diesem Bescheid, dass die Befreiung nicht widerrufen werden könne, entspreche dem Wortlaut von § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB V. Anders als in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Verfahren (B 12 KR 9/09 R) habe zudem der Befreiungsbescheid vom 28. Februar 1994 nicht den Hinweis enthalten, dass die Befreiung auch bei einem Wechsel des Arbeitgebers gelten würde. Strittig habe daher nur sein können, ob der erteilte Befreiungsbescheid wieder aufleben würde. Dies habe das Bundessozialgericht verneint, da die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung einen Tatbestand schaffe, welcher den Zusammenhang zweier versicherungspflichtiger Beschäftigungen unterbreche. Demzufolge habe das Bundessozialgericht offen lassen können, ob und gegebenenfalls wie lange eine Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V fortwirke, wenn ein Beschäftigungsverhältnis aufgegeben und anschließend oder nach einer Unterbrechung ein neues Beschäftigungsverhältnis begründet werde. Aus den Rentenkontoangaben hinsichtlich des Beigeladenen zu 1. gehe nicht eindeutig hervor, ob die erteilte Befreiung bereits vor dem 12. Dezember 2011 geendet habe. Jedenfalls aber sei dieser aufgrund seiner Arbeitslosigkeit ab dem 13. Dezember 2011 und nach Ende der Urlaubsabgeltung erneut krankenversicherungspflichtig geworden. Ferner hätte sich die Klägerin bei der Beigeladenen zu 2. wegen der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. erkundigen und eine schriftliche Entscheidung gemäß § 28 h SGB IV verlangen können.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit und den Angaben des Beigeladenen zu 1. hat dieser in der Zeit vom 13. Dezember 2011 bis 14. Januar 2012 kein Arbeitslosengeld erhalten. In der Zeit vom 13. Dezember 2011 bis 1. Januar 2012 hat er eine Urlaubsabgeltung bezogen, für die Zeit vom 2. Januar 2012 bis 10. Januar 2012 hat er sich bei der Bundesagentur für Arbeit abgemeldet, da er von einer Anstellung bei der Klägerin ausgegangen sei. Für die Zeit vom 11. Januar 2012 bis 14. Januar 2012 ist dem Beigeladenen zu 1. zunächst Arbeitslosengeld I bewilligt worden, welches ihm aufgrund einer Entlassungsentschädigung letztlich jedoch nicht geleistet worden ist.

Den im Erörterungstermin am 13. April 2017 geschlossenen Vergleich hat die Klägerin widerrufen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2014 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Sozialgericht mit Urteil vom 21. März 2016 die Klage abgewiesen.

Wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt, ist eine Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 SGB V auf die Dauer des Sachverhalts begrenzt, der das Befreiungsrecht begründet. Die Befreiung wirkt tatbestandsbezogen (BSG, Urteil vom 25. Mai 2011, B 12 KR 9/09 R, juris, Rn. 17 mwN; Orlowski/Rau/Wasem, SGB V, Kommentar, GKV, § 8 Rn. 10).

Ob dies für eine Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bedeutet, dass sie nur für die Dauer des entsprechenden Beschäftigungsverhältnisses gilt und ihre Wirkung bei einem Wechsel in ein neues Beschäftigungsverhältnis entfällt, ist dem Wortlaut der Vorschrift und der diesbezüglichen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 11/2237, S. 160 und 15/28, S. 12) nicht zu entnehmen. Auch das Bundessozialgericht hat dies in seinem Urteil vom 25. Mai 2011 ausdrücklich offen gelassen (B 12 KR 9/09 R, juris, Rn. 22).

Von einem Wegfall der Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V infolge eines Arbeitgeberwechsels ist jedoch auszugehen (so auch Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 8 SGB V Rn. 18; Simon in: Bertold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, SGB V/SGB XI, § 8 SGB V, Rn. 4; Peters, KassKomm, § 8 SGB V, Rn. 12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 2006, L 5 KR 4868/05, juris, Rn. 29 f.). Denn mit einem Arbeitgeberwechsel können gravierende Änderungen auch beim Entgelt verbunden sein, die in ihrem Ausmaß anders als meist bei einem fortdauernden Beschäftigungsverhältnis nicht einzuschätzen sind (vgl. Simon, a.a.O., Rn. 4). Auch fußt die Entscheidung für oder gegen eine Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ganz primär auf dem bestehenden Beschäftigungsverhältnis, so dass von einem Ende der Befreiungswirkung bei einem Beschäftigungswechsel jedenfalls bei der Aufnahme eines anders gestalteten Beschäftigungsverhältnisses auszugehen ist (vgl. Zimmermann in: Sodann, Handbuch des Krankenversicherungsrecht, S. 150). Für eine Beschränkung der Befreiung auf das betreffende Beschäftigungsverhältnis spricht auch der Umkehrschluss aus § 8 Abs. 1 Nr. 3 SGB V, worin ausdrücklich die Bedeutung eines Arbeitgeberwechsels geregelt ist (s.a. Peters, a.a.O., Rn. 12; a.A. Hampel, jurisPK, § 8 SGB V, Rn. 40).

Zudem schafft – wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt – eine Begrenzung der Befreiungswirkung auf ein konkretes Beschäftigungsverhältnis Rechtssicherheit für alle Beteiligten und insbesondere (nachfolgenden) Arbeitgeber. Für diese ist damit eindeutig, dass eine Befreiung für das neue Beschäftigungsverhältnis nur dann besteht, wenn diese ausdrücklich hierfür erteilt worden ist. Nachforschungen und schwierige rechtliche Klärung des versicherungsrechtlichen Status des neuen Arbeitnehmers hinsichtlich der Zeit nach dem Ende seines letzten Beschäftigungsverhältnisses, die für den neuen Arbeitgeber regelmäßig kaum möglich sein werden, erübrigen sich so.

Von einem Fortwirken der Befreiungswirkung auf die nachfolgenden Arbeitsverhältnisse ist auch nicht deshalb auszugehen, weil es der Arbeitnehmer anderenfalls in der Hand habe, durch einen Arbeitgeberwechsel eine ansonsten bestandskräftige und unwiderrufliche Befreiung zu unterlaufen (so aber Wirges, SGb 2005, 14; Sommer in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 8 SGB V, Rn. 14; Hampel, jurisPK, § 8 SGB V, Rn. 40; Orlowski/Rau/Wasem, SGB V, Kommentar, GKV, § 8 Rn. 11). Denn ein Arbeitnehmer kann auch durch zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit unter Bezug von Arbeitslosengeld den Wegfall der Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bewirken. Ein Missbrauch in Einzelfällen ist damit auch insoweit nicht ausgeschlossen. Dennoch ist in den Fällen, in denen aus anderen Gründen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung eintritt, von dem Fortfall der Befreiungswirkung auszugehen (BSG, Urteil vom 25. Mai 2011, B 12 KR 9/09 R, juris, Rn. 27 ff.; Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 07/15, § 8 SGB V, Rn. 127).

Einer Begrenzung der Befreiungswirkung auf das einzelne Arbeitsverhältnis steht zudem nicht entgegen, dass der Gesetzgeber es an anderer Stelle ausdrücklich geregelt hat, wenn sich die Befreiung von der Versicherungspflicht nur auf die jeweilige Beschäftigung beziehen soll (Hampel, jurisPK, § 8 SGB V, Rn. 40; Orlowski/Rau/Wasem, SGB V, Kommentar, GKV, § 8 Rn. 11). Insoweit hat das Bundessozialgericht jedoch entschieden: "Zwar enthält § 8 SGB V - anders als § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI bezüglich der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht - keine ausdrückliche Regelung dazu, dass die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder Tätigkeit beschränkt ist. Allerdings setzt die Erstreckung der Befreiung durch § 6 Abs. 3 Satz 1 SGB V, wonach von der Versicherungspflicht befreite Personen auch dann versicherungsfrei bleiben, wenn sie eine der in § 5 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 bis 12 (bzw. 13) SGB V genannten Voraussetzungen erfüllen, gedanklich voraus, dass ohne diese besondere Anordnung der Versicherungsfreiheit Versicherungspflicht einträte, was noch nach der RVO - die eine dem § 6 Abs. 3 Satz 1 SGB V entsprechende Regelung nicht kannte - fast ausnahmslos der Fall war (zum diesbezüglichen Paradigmenwechsel mit Einführung des SGB V vgl BSG SozR 3-2500 § 257 Nr 3 S 15 ff und Nr 4 S 20 ff). Die grundsätzliche Möglichkeit einer eintretenden Versicherungspflicht bei bereits bestehender Befreiung von der Versicherungspflicht setzt aber wiederum voraus, dass sich die Befreiung nur auf den jeweiligen Versicherungspflichttatbestand bezieht, aus dessen Anlass sie ausgesprochen wurde, und dass sie sich nur unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 SGB V auch auf andere Versicherungspflichttatbestände erstreckt" (Urteil vom 25. Mai 2011, B 12 KR 9/09 R, juris, Rn. 18).

Die Niederschrift der Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 23./24. November 2011 (http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/3 Infos fuer Experten/02 arbeitgeber steuerberater/01a summa summarum/03 besprechungsergebnisse/beitragseinzug/2011/2011 november/november 2011 index.html) steht dem Wegfall der Befreiung aufgrund eines Arbeitgeberwechsels ebenfalls nicht entgegen. Hiernach gilt zwar, dass im Hinblick auf den Charakter der Befreiung als Statusentscheidung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung ein Fortwirken der Befreiung über das einzelne (zur Befreiung führende) Beschäftigungsverhältnis dann anzunehmen sei, wenn im unmittelbaren Anschluss hieran oder auch nach einer kurzfristigen (sozialversicherungsrechtlich irrelevanten) Unterbrechung eine neue Beschäftigung aufgenommen wird, die grundsätzlich nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungspflichtig wäre. Dies gelte auch für weitere (noch folgende) Beschäftigungen. Als kurzfristige Unterbrechungen im vorstehenden Sinne seien Zeiträume von bis zu einem Monat anzusehen, in denen kein anderer Versicherungspflichttatbestand vorliege (Nr. 5 der Niederschrift). Diese Niederschrift entfaltet jedoch keine rechtliche Bindungswirkung für die Rechtsprechung. Zudem ist vorliegend nicht von einer kurzfristigen Unterbrechung auszugehen, da mehr als ein Monat zwischen den Beschäftigungsverhältnissen des Beigeladenen zu 1. gelegen hat.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat im Übrigen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG vorliegen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung, da bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist, ob und gegebenenfalls wie lange eine Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V fortwirkt, wenn das Beschäftigungsverhältnis beendet und nach einer zeitlichen Unterbrechung ein neues Beschäftigungsverhältnis begründet wird.

Gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG werden, wenn in einem Verfahren weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten kostenrechtlich privilegierten Personen gehört, Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Da der Rechtsstreit eine bezifferte Geldleistung betrifft, war der Streitwert in Höhe der Geldleistung festzusetzen (§§ 47, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -).
Rechtskraft
Aus
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