Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 11 KR 42/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 218/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 8/18 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf einer Heilmittelverordnung (Krankengymnastik) außerhalb des Regelfalls in Form der Langzeitverordnung streitig.
Von Juli bis November 2011 wurde zu Lasten der Beklagten Behandlungen der Klägerin mit Krankengymnastik auf ärztliche Verordnung innerhalb des Regelfalls wegen Wirbelsäulenbeschwerden zur Schmerzbehandlung/Schmerzlinderung durchgeführt und erneut ab Januar 2012 (insgesamt 28 Behandlungseinheiten).
Am 29. Juni 2012 ging bei der Beklagten der Antrag der Klägerin auf Genehmigung von Heilmitteln (Krankengymnastik) außerhalb des Regelfalls als Langzeitverordnung zur Behandlung anhaltender Schmerzen/Beschwerden der Lendenwirbelsäule (LWS) und Halswirbelsäule (HWS) ein. Dem Antrag war eine Verordnung ihres Hausarztes Dr. C. (Arzt für Allgemeinmedizin) vom 26 Juni 2012 beigefügt über sechsmal Krankengymnastik zweimal wöchentlich unter Angabe des Indikationsschlüssels "WS 2b" und der Diagnosen "Wirbelsäulenerkrankungen m. prognost. länger dauerndem Behandlungsbedarf (insbes. Einschränkungen v. relev. Aktivitäten): Schmerzen durch Fehl- oder Überlastung discoligamemtrer Strukturen im Bereich LWS / HWS" sowie der Therapieziele "Funktionsverbesserung / Verringerung Fehl-/Überlastung" und der medizinischen Begründung "ohne Therapie ist mit einer Zunahme der Symptomatik zurechnen". Dem Antrag war des Weiteren eine Bescheinigung des Hausarztes vom 26. Juni 2012 beigefügt. Darin führt der Hausarzt aus, die Notwendigkeit der Behandlung außerhalb des Regelfalles als Langfristverordnung ergebe sich aus einer störungsbildabhängigen und weiterführenden Diagnostik des Krankenbildes. Das Krankheitsbild erfordere eine kontinuierliche Behandlung von mindestens einem Jahr. Ebenfalls dem Antrag beigefügt war ein Bericht des Physiotherapeuten F. vom 10. Mai 2012. Danach ergebe der Stand der Therapie eine "leichte Lockerung d. Nacken- und Rückenmuskulatur, Dehnung d. Beinmuskulatur und soweit möglich Kräftigungs- und Stabilisationsübg./Traktion d. HWS u. LWS, daher sollte die Therapie auch weiterhin fortgesetzt werden". Die Klägerin sei weiterhin sehr schmerzempfindlich und die Therapie habe noch keine langanhaltende Verbesserung erbracht. Die Verordnungen sollten fortgesetzt werden, um den Behandlungsansatz weiterzuführen.
Die Beklagte veranlasste eine aktenmäßige Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK), die am 3. Juli 2012 erstellt wurde. Danach seien eigenverantwortliche Maßnahmen ausreichend.
Gestützt darauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 3. Juli 2012 ab.
Der Widerspruch der Klägerin ging am 3. August 2012 ein. Sie legte u.a. ein ärztliches Attest des Orthopäden D. vom 10. Juli 2012 vor, in dem folgende Diagnosen bescheinigt werden "chron. rez. HWS-Syndrom, Protrusion C5 – C 7, chron. rez. LWS-Syndrom, Bandscheibenvorfall L4/5 und L5/S1". Aus orthopädischer Sicht sei aufgrund der starken, chron. Schmerzen und diesen Diagnosen eine kontinuierliche Krankengymnastik auch mit manueller Therapie dringend erforderlich.
Die Beklagte veranlasste erneut eine aktenmäßige Stellungnahme des MDK, die am 17. September 2012 erstellt wurde. Der MDK führte aus, es liege zwar eine Erkrankung und Schädigung vor, die langfristig zu Beschwerden führen könne. Die notwendige physikalische Therapie liege vor allem darin, eine muskuläre Ausgangssituation zu schaffen, damit die Beschwerden längerfristig gelindert würden. Dazu trage ein muskuläres Aufbautraining bei, welches nach therapeutischer Anleitung durch den Patienten selbständig durchgeführt werden könne. Bei auftretenden Beschwerden und Verspannungen könne der Patient Wärmeanwendungen eigenverantwortlich durchführen. Aufgabe des Therapeuten sei es, den Patienten in eigenverantwortliche Maßnahmen einzuweisen. Eine Therapie werde der Versicherten nicht vorenthalten, da sie wie bisher physikalische Therapien nach der Heilmittel-RL erhalte und dies auch weiterhin möglich sei.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2012 den Widerspruch der Klägerin wegen Ablehnung der Kostenübernahme der Heilmittelverordnung vom 26. Juni 2012 außerhalb des Regelfalls und in Form einer Langfristverordnung zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 28. Januar 2013 Klage vor dem Sozialgericht Fulda erhoben.
Die Klägerin hat – unter Vorlage einer Kopie des Briefumschlags - darauf verwiesen, dass die Post der Beklagten erst am 27. Dezember 2012 abgestempelt worden sei und sie diese erst am 28. Dezember 2012 erhalten habe.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht bei dem behandelnden Orthopäden D. vom 18. September 2013 nebst ärztlichen Unterlagen beigezogen und ein Gutachten zur Notwendigkeit regelmäßiger Verordnung von Krankengymnastik bei Dr. med. E. (Facharzt für Orthopädie) vom 13. Januar 2014 nach körperliche Untersuchung der Klägerin am 10. Januar 2014 eingeholt. Danach ergaben sich folgende Diagnosen: • lumbales Wurzelreizsyndrom bei Bandscheibenvorfall L4/5 und entsprechender pseudoradikuläre Symptomatik, • funktionelles Zervikalsyndrom bei bandscheibenbedingten Veränderungen mit pseudoradikulärer Symptomatik, • schmerzhafte Funktionsstörung im rechten Sprunggelenk bei posttraumatischer Sprunggelenksarthrose • erhebliche Funktionsstörung im linken Daumensattelgelenk und mehreren Fingergelenken bei fortgeschrittener Sattelgelenksarthrose und initialer Herberdenarthrose. Im Zeitpunkt seiner Untersuchung habe aufgrund dieser Erkrankung eine Indikation zur Verordnung von Krankengymnastik außerhalb des Regelfalls in einer Frequenz von zweimal wöchentlich bestanden für die Zeit von sechs Monaten.
Das Sozialgericht hat auf die Einwendungen der Klägerin und der Beklagten eine ergänzende Stellungnahme von Dr. med. E. vom 1. März 2014 eingeholt. Danach seien die strukturellen Veränderungen bei der Klägerin so ausgeprägt und schwerwiegend, dass eine Physiotherapie außerhalb des Regelfalls unabdingbar sei. Auch habe die Klägerin erklärt, selbstständig kräftigende Übungen eigenverantwortlich durchzuführen.
Die Beklagte hat einen Auszug des Leistungsverzeichnisses der Klägerin vorgelegt. Die Beklagte hat danach die Kosten von Krankengymnastik im Zeitraum Juli 2011 bis Juli 2014 auf der Grundlage von 20 ärztlichen Verordnungen getragen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 19. Januar 2017 die Klage abgewiesen. Die Klägerin begehre mit ihrer zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eine Heilmittelversorgung in Form von Krankengymnastik wegen langfristigen Behandlungsbedarfs. Das erforderliche Vorverfahren sei gem. § 78 Abs. 1 SGG durchgeführt worden und es sei keine Erledigung des Begehrens der Klägerin durch Zeitablauf eingetreten. Die Klage sei aber unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Langzeitverordnung. Für den Anspruch sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend, da sich die Klägerin die Leistung bislang nicht selbst beschafft habe. Gem. § 32 Abs. 1a Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der Fassung vom 16. Juli 2015 regele der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in der nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Heilmittel-Richtlinie das Nähere zur Heilmittelversorgung von Versicherten mit langfristigem Behandlungsbedarf. Nach § 32 Abs. 1a Satz 2, SGB V habe der GBA insbesondere zu bestimmen, wann ein langfristiger Heilmittelbedarf vorliege und festzulegen, ob und inwieweit ein Genehmigungsverfahren durchzuführen sei. Die Voraussetzungen einer Langzeitverordnung gem. § 8a Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5 Satz 3 Heilmittel-Richtlinie nebst dessen Anlage 2 in der Fassung vom 20. Januar 2011/19. Mai 2011, zuletzt geändert am 19. Mai 2016 (Heilmittel-RL) lägen nicht vor. Die von Dr. med. E. festgestellten Erkrankungen könnten keine langfristige bzw. dauerhafte Heilmittelversorgung rechtfertigten. Letztlich habe Dr. med. E. den Heilmittelbedarf zum Zeitpunkt der Untersuchung auf sechs Monate beschränkt. Gem. § 8a Abs. 5 Satz 4 Heilmittel-RL sei von einer Dauerhaftigkeit oder Langfristigkeit nur dann auszugehen, wenn ein Therapiebedarf mit Heilmitteln von mindestens einem Jahr medizinisch notwendig sei. Der MDK habe in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 19. Februar 2014 lediglich eine Regelfallbehandlung für erforderlich gehalten und auf die Indikationsgruppe WS 2 verwiesen. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus der Bescheinigung des Dr. med. C. vom 28. Juni 2012. Seine Begründung, die Notwendigkeit der Behandlung außerhalb des Regelfalles als Langfristverordnung ergebe sich "aus einer störungsbildabhängigen und weiterführenden Diagnostik des Krankheitsbildes", sei vage und unsubstantiiert. Sie gebe keinen Aufschluss über die Vergleichbarkeit der Erkrankungen mit den in der Anlage 2 gelisteten Diagnosen. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Krankheitsbild seit der Begutachtung im Jahr 2014 wesentlich verändert habe und mittlerweile eine langfristige Versorgung mit Heilmitteln erforderlich sei, ergäben sich weder nach Aktenlage noch sei dazu von der Klägerin näher vorgetragen worden. Die Klägerin habe im September 2014 lediglich noch einmal mitgeteilt, dass sich der Gesundheitszustand nicht gebessert habe.
Gegen das am 30. März 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Dienstag, den 2. Mai 2017, Berufung beim Sozialgericht Fulda eingelegt.
Die Klägerin verweist zur Begründung auf die Anzahl ihrer PKW-Unfälle. Des Weiteren verweist sie auf das Gutachten von Dr. med. E. vom 13. Januar 2014.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Januar 2017 und den Bescheid vom 3. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengymnastik außerhalb des Regelfalls in Form der Langzeitverordnung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Beteiligten zu einer Entscheidung des Rechtsstreits durch die Berufsrichter des Senats ohne mündliche Verhandlung angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin durch Beschluss der Berufsrichter gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die gem. § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 17. Januar 2017 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2012 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf Genehmigung einer Verordnung von Krankengymnastik außerhalb des Regelfalls in Form einer langfristigen Genehmigung.
Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) auf eine Heilmittelversorgung in Form einer Langfristgenehmigung von Krankengymnastik wegen langfristigen Behandlungsbedarf zulässig ist, da das erforderliche Vorverfahren durchgeführt wurde und eine Erledigung des Begehrens der Klägerin durch Zeitablauf nicht eingetreten ist. Sie ist jedoch unbegründet, da die materiellen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht erfüllt sind. Das Sozialgericht hat in seiner Entscheidung zutreffend die – auch nach der Neufassung der Heilmittel-RL zum 16. März 2017 (BAnz AT 29. Mai 2017 B 7) weiterhin gültigen – Voraussetzungen einer Langzeitverordnung nach § 32 Abs. 1a Satz 1 und 2 SGB V, § 8a Abs. 1 Heilmittel-RL dargestellt und sodann dargelegt, dass diese nicht vorliegen, da bei der Klägerin weder eine der in Anlage 2 der Heilmittel-RL gelisteten Diagnosen mit der jeweils aufgeführten Diagnosegruppen des Heilmittelkataloges vorliegt (§ 8a Abs. 2 Heilmittel-RL) noch schwere dauerhafte funktionelle/strukturelle Schädigungen (§ 8a Abs. 3 Heilmittel-RL) vorliegen, die mit denen der Anlage 2 vergleichbar sind bzw. bei einer Gesamtbetrachtung ihrer funktionellen/strukturellen Schädigungen keine Vergleichbarkeit mit den in der Anlage 2 aufgeführten funktionellen/strukturellen Schädigungen erkennen lassen. Auch das Gutachten von Dr. med. E. vom 13. Januar 2014 bzw. seine ergänzende Stellungnahme vom 1. März 2014 rechtfertigen keine langfristige Heilmittelversorgung, da lediglich eine weitere Heilmittelversorgung für sechs Monate als notwendig erachtet wurde, nicht jedoch, wie § 8a Abs. 5 Satz 4 Heilmittel-RL es erfordert, einen Therapiebedarf von mindestens einem Jahr; auch die ärztliche Verordnung vom 26. Juni 2012 bzw. die ärztliche Bescheinigung des Hausarztes Dr. med. C. vom 26. Juni 2012 reichen – wegen den darin enthaltenen lediglich allgemein gehaltenen Formulierungen - als Begründung einer Langzeitverordnung von Krankengymnastik nach diesen Regelungen für mindestens ein Jahr nicht aus. Der Senat macht sich die zutreffende, widerspruchsfreie und ausführliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils zu Eigen und weist die Berufung aus den dort niedergelegten Entscheidungsgründen zurück und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Berufungsbegründung der Klägerin kann zu keiner anderen Entscheidung führen. Die Klägerin geht nicht auf die Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen und der Heilmittel-RL für die Genehmigung des langfristigen Heilmittelbedarfs ein. Ein veränderter Gesundheitszustand, der Anlass für weitere Ermittlungen des Senats hätte sein können, wird von der Klägerin nicht vorgetragen.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf die Genehmigungsfiktion des § 32 Abs. 1a Satz 3 SGB V a.F. stützen kann. Danach gilt die Genehmigung als erteilt, wenn die Krankenkasse nicht innerhalb von vier Wochen entscheidet. Der Lauf der Frist ist gem. § 32 Abs. 1a Satz 4 SGB V a.F. unterbrochen, soweit zur Entscheidung ergänzende Informationen des Antragstellers erforderlich sind. Diese Genehmigungsfiktion ist vorliegend nicht eingetreten. Auf den am 29. Juni 2012 eingegangenen Antrag der Klägerin hat die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juli 2012 innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Vierwochenfrist entschieden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf einer Heilmittelverordnung (Krankengymnastik) außerhalb des Regelfalls in Form der Langzeitverordnung streitig.
Von Juli bis November 2011 wurde zu Lasten der Beklagten Behandlungen der Klägerin mit Krankengymnastik auf ärztliche Verordnung innerhalb des Regelfalls wegen Wirbelsäulenbeschwerden zur Schmerzbehandlung/Schmerzlinderung durchgeführt und erneut ab Januar 2012 (insgesamt 28 Behandlungseinheiten).
Am 29. Juni 2012 ging bei der Beklagten der Antrag der Klägerin auf Genehmigung von Heilmitteln (Krankengymnastik) außerhalb des Regelfalls als Langzeitverordnung zur Behandlung anhaltender Schmerzen/Beschwerden der Lendenwirbelsäule (LWS) und Halswirbelsäule (HWS) ein. Dem Antrag war eine Verordnung ihres Hausarztes Dr. C. (Arzt für Allgemeinmedizin) vom 26 Juni 2012 beigefügt über sechsmal Krankengymnastik zweimal wöchentlich unter Angabe des Indikationsschlüssels "WS 2b" und der Diagnosen "Wirbelsäulenerkrankungen m. prognost. länger dauerndem Behandlungsbedarf (insbes. Einschränkungen v. relev. Aktivitäten): Schmerzen durch Fehl- oder Überlastung discoligamemtrer Strukturen im Bereich LWS / HWS" sowie der Therapieziele "Funktionsverbesserung / Verringerung Fehl-/Überlastung" und der medizinischen Begründung "ohne Therapie ist mit einer Zunahme der Symptomatik zurechnen". Dem Antrag war des Weiteren eine Bescheinigung des Hausarztes vom 26. Juni 2012 beigefügt. Darin führt der Hausarzt aus, die Notwendigkeit der Behandlung außerhalb des Regelfalles als Langfristverordnung ergebe sich aus einer störungsbildabhängigen und weiterführenden Diagnostik des Krankenbildes. Das Krankheitsbild erfordere eine kontinuierliche Behandlung von mindestens einem Jahr. Ebenfalls dem Antrag beigefügt war ein Bericht des Physiotherapeuten F. vom 10. Mai 2012. Danach ergebe der Stand der Therapie eine "leichte Lockerung d. Nacken- und Rückenmuskulatur, Dehnung d. Beinmuskulatur und soweit möglich Kräftigungs- und Stabilisationsübg./Traktion d. HWS u. LWS, daher sollte die Therapie auch weiterhin fortgesetzt werden". Die Klägerin sei weiterhin sehr schmerzempfindlich und die Therapie habe noch keine langanhaltende Verbesserung erbracht. Die Verordnungen sollten fortgesetzt werden, um den Behandlungsansatz weiterzuführen.
Die Beklagte veranlasste eine aktenmäßige Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK), die am 3. Juli 2012 erstellt wurde. Danach seien eigenverantwortliche Maßnahmen ausreichend.
Gestützt darauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 3. Juli 2012 ab.
Der Widerspruch der Klägerin ging am 3. August 2012 ein. Sie legte u.a. ein ärztliches Attest des Orthopäden D. vom 10. Juli 2012 vor, in dem folgende Diagnosen bescheinigt werden "chron. rez. HWS-Syndrom, Protrusion C5 – C 7, chron. rez. LWS-Syndrom, Bandscheibenvorfall L4/5 und L5/S1". Aus orthopädischer Sicht sei aufgrund der starken, chron. Schmerzen und diesen Diagnosen eine kontinuierliche Krankengymnastik auch mit manueller Therapie dringend erforderlich.
Die Beklagte veranlasste erneut eine aktenmäßige Stellungnahme des MDK, die am 17. September 2012 erstellt wurde. Der MDK führte aus, es liege zwar eine Erkrankung und Schädigung vor, die langfristig zu Beschwerden führen könne. Die notwendige physikalische Therapie liege vor allem darin, eine muskuläre Ausgangssituation zu schaffen, damit die Beschwerden längerfristig gelindert würden. Dazu trage ein muskuläres Aufbautraining bei, welches nach therapeutischer Anleitung durch den Patienten selbständig durchgeführt werden könne. Bei auftretenden Beschwerden und Verspannungen könne der Patient Wärmeanwendungen eigenverantwortlich durchführen. Aufgabe des Therapeuten sei es, den Patienten in eigenverantwortliche Maßnahmen einzuweisen. Eine Therapie werde der Versicherten nicht vorenthalten, da sie wie bisher physikalische Therapien nach der Heilmittel-RL erhalte und dies auch weiterhin möglich sei.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2012 den Widerspruch der Klägerin wegen Ablehnung der Kostenübernahme der Heilmittelverordnung vom 26. Juni 2012 außerhalb des Regelfalls und in Form einer Langfristverordnung zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 28. Januar 2013 Klage vor dem Sozialgericht Fulda erhoben.
Die Klägerin hat – unter Vorlage einer Kopie des Briefumschlags - darauf verwiesen, dass die Post der Beklagten erst am 27. Dezember 2012 abgestempelt worden sei und sie diese erst am 28. Dezember 2012 erhalten habe.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht bei dem behandelnden Orthopäden D. vom 18. September 2013 nebst ärztlichen Unterlagen beigezogen und ein Gutachten zur Notwendigkeit regelmäßiger Verordnung von Krankengymnastik bei Dr. med. E. (Facharzt für Orthopädie) vom 13. Januar 2014 nach körperliche Untersuchung der Klägerin am 10. Januar 2014 eingeholt. Danach ergaben sich folgende Diagnosen: • lumbales Wurzelreizsyndrom bei Bandscheibenvorfall L4/5 und entsprechender pseudoradikuläre Symptomatik, • funktionelles Zervikalsyndrom bei bandscheibenbedingten Veränderungen mit pseudoradikulärer Symptomatik, • schmerzhafte Funktionsstörung im rechten Sprunggelenk bei posttraumatischer Sprunggelenksarthrose • erhebliche Funktionsstörung im linken Daumensattelgelenk und mehreren Fingergelenken bei fortgeschrittener Sattelgelenksarthrose und initialer Herberdenarthrose. Im Zeitpunkt seiner Untersuchung habe aufgrund dieser Erkrankung eine Indikation zur Verordnung von Krankengymnastik außerhalb des Regelfalls in einer Frequenz von zweimal wöchentlich bestanden für die Zeit von sechs Monaten.
Das Sozialgericht hat auf die Einwendungen der Klägerin und der Beklagten eine ergänzende Stellungnahme von Dr. med. E. vom 1. März 2014 eingeholt. Danach seien die strukturellen Veränderungen bei der Klägerin so ausgeprägt und schwerwiegend, dass eine Physiotherapie außerhalb des Regelfalls unabdingbar sei. Auch habe die Klägerin erklärt, selbstständig kräftigende Übungen eigenverantwortlich durchzuführen.
Die Beklagte hat einen Auszug des Leistungsverzeichnisses der Klägerin vorgelegt. Die Beklagte hat danach die Kosten von Krankengymnastik im Zeitraum Juli 2011 bis Juli 2014 auf der Grundlage von 20 ärztlichen Verordnungen getragen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 19. Januar 2017 die Klage abgewiesen. Die Klägerin begehre mit ihrer zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eine Heilmittelversorgung in Form von Krankengymnastik wegen langfristigen Behandlungsbedarfs. Das erforderliche Vorverfahren sei gem. § 78 Abs. 1 SGG durchgeführt worden und es sei keine Erledigung des Begehrens der Klägerin durch Zeitablauf eingetreten. Die Klage sei aber unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Langzeitverordnung. Für den Anspruch sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend, da sich die Klägerin die Leistung bislang nicht selbst beschafft habe. Gem. § 32 Abs. 1a Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der Fassung vom 16. Juli 2015 regele der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in der nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Heilmittel-Richtlinie das Nähere zur Heilmittelversorgung von Versicherten mit langfristigem Behandlungsbedarf. Nach § 32 Abs. 1a Satz 2, SGB V habe der GBA insbesondere zu bestimmen, wann ein langfristiger Heilmittelbedarf vorliege und festzulegen, ob und inwieweit ein Genehmigungsverfahren durchzuführen sei. Die Voraussetzungen einer Langzeitverordnung gem. § 8a Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5 Satz 3 Heilmittel-Richtlinie nebst dessen Anlage 2 in der Fassung vom 20. Januar 2011/19. Mai 2011, zuletzt geändert am 19. Mai 2016 (Heilmittel-RL) lägen nicht vor. Die von Dr. med. E. festgestellten Erkrankungen könnten keine langfristige bzw. dauerhafte Heilmittelversorgung rechtfertigten. Letztlich habe Dr. med. E. den Heilmittelbedarf zum Zeitpunkt der Untersuchung auf sechs Monate beschränkt. Gem. § 8a Abs. 5 Satz 4 Heilmittel-RL sei von einer Dauerhaftigkeit oder Langfristigkeit nur dann auszugehen, wenn ein Therapiebedarf mit Heilmitteln von mindestens einem Jahr medizinisch notwendig sei. Der MDK habe in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 19. Februar 2014 lediglich eine Regelfallbehandlung für erforderlich gehalten und auf die Indikationsgruppe WS 2 verwiesen. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus der Bescheinigung des Dr. med. C. vom 28. Juni 2012. Seine Begründung, die Notwendigkeit der Behandlung außerhalb des Regelfalles als Langfristverordnung ergebe sich "aus einer störungsbildabhängigen und weiterführenden Diagnostik des Krankheitsbildes", sei vage und unsubstantiiert. Sie gebe keinen Aufschluss über die Vergleichbarkeit der Erkrankungen mit den in der Anlage 2 gelisteten Diagnosen. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Krankheitsbild seit der Begutachtung im Jahr 2014 wesentlich verändert habe und mittlerweile eine langfristige Versorgung mit Heilmitteln erforderlich sei, ergäben sich weder nach Aktenlage noch sei dazu von der Klägerin näher vorgetragen worden. Die Klägerin habe im September 2014 lediglich noch einmal mitgeteilt, dass sich der Gesundheitszustand nicht gebessert habe.
Gegen das am 30. März 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Dienstag, den 2. Mai 2017, Berufung beim Sozialgericht Fulda eingelegt.
Die Klägerin verweist zur Begründung auf die Anzahl ihrer PKW-Unfälle. Des Weiteren verweist sie auf das Gutachten von Dr. med. E. vom 13. Januar 2014.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Januar 2017 und den Bescheid vom 3. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengymnastik außerhalb des Regelfalls in Form der Langzeitverordnung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Beteiligten zu einer Entscheidung des Rechtsstreits durch die Berufsrichter des Senats ohne mündliche Verhandlung angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin durch Beschluss der Berufsrichter gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die gem. § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 17. Januar 2017 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2012 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf Genehmigung einer Verordnung von Krankengymnastik außerhalb des Regelfalls in Form einer langfristigen Genehmigung.
Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) auf eine Heilmittelversorgung in Form einer Langfristgenehmigung von Krankengymnastik wegen langfristigen Behandlungsbedarf zulässig ist, da das erforderliche Vorverfahren durchgeführt wurde und eine Erledigung des Begehrens der Klägerin durch Zeitablauf nicht eingetreten ist. Sie ist jedoch unbegründet, da die materiellen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht erfüllt sind. Das Sozialgericht hat in seiner Entscheidung zutreffend die – auch nach der Neufassung der Heilmittel-RL zum 16. März 2017 (BAnz AT 29. Mai 2017 B 7) weiterhin gültigen – Voraussetzungen einer Langzeitverordnung nach § 32 Abs. 1a Satz 1 und 2 SGB V, § 8a Abs. 1 Heilmittel-RL dargestellt und sodann dargelegt, dass diese nicht vorliegen, da bei der Klägerin weder eine der in Anlage 2 der Heilmittel-RL gelisteten Diagnosen mit der jeweils aufgeführten Diagnosegruppen des Heilmittelkataloges vorliegt (§ 8a Abs. 2 Heilmittel-RL) noch schwere dauerhafte funktionelle/strukturelle Schädigungen (§ 8a Abs. 3 Heilmittel-RL) vorliegen, die mit denen der Anlage 2 vergleichbar sind bzw. bei einer Gesamtbetrachtung ihrer funktionellen/strukturellen Schädigungen keine Vergleichbarkeit mit den in der Anlage 2 aufgeführten funktionellen/strukturellen Schädigungen erkennen lassen. Auch das Gutachten von Dr. med. E. vom 13. Januar 2014 bzw. seine ergänzende Stellungnahme vom 1. März 2014 rechtfertigen keine langfristige Heilmittelversorgung, da lediglich eine weitere Heilmittelversorgung für sechs Monate als notwendig erachtet wurde, nicht jedoch, wie § 8a Abs. 5 Satz 4 Heilmittel-RL es erfordert, einen Therapiebedarf von mindestens einem Jahr; auch die ärztliche Verordnung vom 26. Juni 2012 bzw. die ärztliche Bescheinigung des Hausarztes Dr. med. C. vom 26. Juni 2012 reichen – wegen den darin enthaltenen lediglich allgemein gehaltenen Formulierungen - als Begründung einer Langzeitverordnung von Krankengymnastik nach diesen Regelungen für mindestens ein Jahr nicht aus. Der Senat macht sich die zutreffende, widerspruchsfreie und ausführliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils zu Eigen und weist die Berufung aus den dort niedergelegten Entscheidungsgründen zurück und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Berufungsbegründung der Klägerin kann zu keiner anderen Entscheidung führen. Die Klägerin geht nicht auf die Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen und der Heilmittel-RL für die Genehmigung des langfristigen Heilmittelbedarfs ein. Ein veränderter Gesundheitszustand, der Anlass für weitere Ermittlungen des Senats hätte sein können, wird von der Klägerin nicht vorgetragen.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf die Genehmigungsfiktion des § 32 Abs. 1a Satz 3 SGB V a.F. stützen kann. Danach gilt die Genehmigung als erteilt, wenn die Krankenkasse nicht innerhalb von vier Wochen entscheidet. Der Lauf der Frist ist gem. § 32 Abs. 1a Satz 4 SGB V a.F. unterbrochen, soweit zur Entscheidung ergänzende Informationen des Antragstellers erforderlich sind. Diese Genehmigungsfiktion ist vorliegend nicht eingetreten. Auf den am 29. Juni 2012 eingegangenen Antrag der Klägerin hat die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juli 2012 innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Vierwochenfrist entschieden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved