L 5 R 310/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 11 R 268/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 310/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 236/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Soweit die Rente im Rahmen der Überprüfung der Voraussetzungen der sog. Mütterrente (§ 307d SGB VI) ausschließlich neu berechnet wird, ist damit keine Entscheidung über die Anerkennung oder Ablehnung von Kindererziehungszeiten nach § 56 SGB VI verbunden.

2. Die Einfügung von § 307d SGB VI bedeutet im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X zwar eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen , die bei Erlass des ursprünglichen Rentenbescheides vorgelegen haben. Diese Änderung ist jedoch nur wesentlich, wenn die materiellrechtlichen Voraussetzungen von § 307d SGB VI auch erfüllt sind.

3. Die Vorschriften über die sog. Mütterrente sind auch in dem Bestandsrentnerinnen betreffenden Regelungsgehalt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. August 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erhöhung des Wertes der Regelaltersrente der Klägerin durch Anerkennung zusätzlicher Kindererziehungszeiten sowie durch Erhöhung um einen Entgeltpunkt im Rahmen der sog. Mütterrente im Überprüfungsverfahren.

Die Klägerin, geboren 1940, bezieht von der Beklagten eine Altersrente. Sie ist Mutter der 1968 geborenen C. A. sowie des 1965 in Australien geborenen D. A. Nach der Rückkehr aus Australien war die Klägerin mit ihren Kindern ab dem 9. Dezember 1966 wieder mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet.

Mit Rentenbescheid vom 9. September 2014 berechnete die Beklagte beginnend am 1. Juli 2014 die Regelaltersrente der Klägerin neu und berücksichtigte dabei einen zusätzlichen Entgeltpunkt für die Tochter C., jedoch nicht für den Sohn D. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Oktober 2014 Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass ihr Sohn bei Rückkehr aus Australien 1 Jahr und 8 Monate alt gewesen sei. Sie begehre die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten im Rahmen der sog. Mütterrente.

Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 29. Oktober 2014 der Klägerin die Rechtslage erläutert hatte, nahm diese anlässlich eines Beratungstermins bei der Rentenberatung in Frankfurt am Main am 20. November 2014 ihren Widerspruch zurück.

Einen Tag später, am 21. November 2014, erklärte sie, den Widerspruch doch aufrechterhalten zu wollen. Dieses Anliegen bewertete die Beklagte als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X).

Mit Bescheid vom 13. Januar 2015 lehnte sie sodann die Rücknahme des Bescheides vom 9. September 2014 ab. Nach dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) erhielten Personen, die am 30. Juni 2014 bereits Anspruch auf eine Rente hatten (Bestandsrentner), ab dem 1. Juli 2014 zu ihrer Rente ein Zuschlag in Höhe eines persönlichen Entgeltpunkts für jedes vor dem 1. Januar 1992 geborene Kind. Voraussetzung für diesen Zuschlag sei, dass in der Rente eine Kindererziehungszeit für den 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet worden sei. Für das Kind D. liege für den 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt jedoch eine Ablehnung vor, so dass die Anerkennung von Kindererziehungszeiten bis zum 24. Kalendermonat ausgeschlossen sei. Eine darüber hinausgehende rentenrechtliche Bewertung der Erziehungsleistung für vor 1992 geborene Kinder sehe das RV-Leistungsverbesserungsgesetz nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits die bis zum 30. Juni 2014 geltende Regelung zu Beitragszeiten für Kindererziehung bei Geburten vor dem 1. Januar 1992 im Umfang von lediglich 12 Kalendermonaten (§ 249 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI)) als mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar erklärt (1 BvL 51/86). Es habe außerdem alle Beschwerden, die die ungleiche Bewertung der Erziehungsleistung im Rahmen der Stichtagsregelung betrafen, wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen.

Ihren am 5. Februar 2015 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie sich gegenüber Müttern, die ihre Kinder nicht teilweise im Ausland erzogen hätten, benachteiligt fühle.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2015 zurück und wiederholte darin die Gründe des Ausgangsbescheides.

Zur Begründung ihrer am 7. Juli 2015 beim Sozialgericht Wiesbaden erhobenen Klage nahm die Klägerin darauf Bezug, dass sie noch vor Vollendung des 2. Lebensjahres ihres Sohnes nach Deutschland übergesiedelt sei, so dass sie ihren Sohn ganz überwiegend im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erzogen habe. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stünden Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates. Der Gesetzgeber habe im Rahmen der Familienförderung die Kindererziehungszeiten zunächst für ein Jahr eingeführt und dann mit der getroffenen Stichtagsregelung auf 3 Jahre erhöht. Die angefochtene Entscheidung lasse jedoch diese gesetzliche Wertung unberücksichtigt. Es sei nicht erkennbar, wieso Bestandsrentner (mit Anspruch auf nur 12 Monate Kindererziehungszeit) gegenüber Müttern, die erst 2014 in Rente gegangen seien (mit Anspruch auf 24 Monate Kindererziehungszeit) benachteiligt würden. In den siebziger Jahren habe es in Deutschland keine Möglichkeit zur Fremdbetreuung von Kindern gegeben. Da ihr Ehemann arbeiten gegangen sei, habe sie sich selbst um die Kinder kümmern müssen. Zu diesem Zeitpunkt habe keiner an Mütterrente gedacht. Sie habe zwecks Kindererziehung ihre Berufstätigkeit unterbrechen müssen. Die Beklagte bezog sich auf die Gründe des Ausgangs- und Widerspruchsbescheides. Zudem seien die Erziehungszeiten für das 1. Lebensjahr mit Bescheid vom 13. Juni 1988 abgelehnt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 10. August 2017 wies das Sozialgericht Wiesbaden die Klage ab. Die Klägerin habe sich unstreitig im 12. Kalendermonat nach Ablauf der Geburt ihres Sohnes in Australien befunden. Eine Kindererziehungszeit nach § 56 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB VI könne für den 12. Kalendermonat nach Ablauf der Geburt nicht anerkannt werden, da die Erziehung zu diesem Zeitpunkt nicht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sei und von der Klägerin auch keine Pflichtbeitragszeiten in der Deutschen Rentenversicherung in diesem Zeitraum erworben worden seien. Die Regelungen der sogenannten Mütterrente seien auch nicht verfassungswidrig. Dem Gesetzgeber komme ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Die pauschale Stichtagsregelung sei nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen sei, dass § 307d SGB VI bereits selbst eine begünstigende Ausnahmeregelung von der gesetzlichen Grundregel des § 306 SGB VI darstelle, wonach grundsätzlich Gesetzesänderungen nicht zur Neuberechnung bereits laufender Renten führten. Es erscheine insofern auch im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und zur Vermeidung umfangreicher Neuberechnungen eine pauschalierte Regelung getroffen habe.

Gegen den ihr am 16. August 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. September 2017 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Es sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt zu differenzieren, wo ein Rentenbezieher sein Kind erzogen habe oder ob während der Erziehung Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung eingezahlt worden seien. Verfassungsrechtlich korrekt sei es nur, Kindererziehungszeiten für alle Rentenbezieher gleich oder eben gar nicht anzuerkennen. Ein Verstoß gegen Art. 3 und Art. 6 GG könne nicht durch Bedürfnisse der Verwaltung gerechtfertigt werden. Die Bedürfnisse der Massenverwaltung nach Verwaltungsvereinfachung entstünden dadurch, dass für eine vernünftige Einzelfallprüfung kein Personal vorhanden sei. Es sei der Gesetzgeber selbst, der seine Verwaltung durch Personalabbau immer weiter verschlanke. Um dies zu kompensieren, würden dann Gesetze erlassen, die die Verwaltungsarbeit vereinfachten. Ein solches Bedürfnis der Verwaltung nach Vereinfachung ihrer Arbeit könne keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für im Einzelfall entstehende Härtefälle – wie ihren – darstellen.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. August 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Januar 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2015 und unter Abänderung des Bescheides vom 9. September 2014 bei der Altersrente der Klägerin zusätzlich Kindererziehungszeiten für ihren am 23. März 1965 geborenen Sohn für die Zeit vom 23. März 1965 bis 30. November 1966 zu berücksichtigen,
hilfsweise,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. August 2017 sowie den Bescheid vom 13. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2015 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 9. September 2014 teilweise zurückzunehmen und bei der Berechnung ihrer Altersrente für den am xx. xxx 1965 geborenen Sohn D. zusätzlich einen Entgeltpunkt zugrunde zu legen,
weiter hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und es dem Bundessverfassungsgericht vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der die Klägerin betreffenden Rentenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 144 Abs. 1 und 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. August 2017 ist zu Recht ergangen. Der nach § 44 SGB X erlassene Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 13. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 8. Juni 2015 ist rechtmäßig.

Der Hauptantrag, mit dem die Klägerin die Anerkennung zusätzlicher Kindererziehungszeiten begehrt, ist bereits deshalb unbegründet, weil die Klägerin durch den zu überprüfenden Bescheid vom 9. September 2014 insoweit nicht in eigenen Rechten verletzt wird. Es fehlt insoweit an einer materiellen Beschwer (vgl. zur Voraussetzung der materiellen Beschwer Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Februar 2016, L 24 KA 68/14, juris Rdnr. 30; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl., § 54 Rdnr. 9). Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 9. September 2014 keine Entscheidung über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten getroffen, sondern nur die Rente der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Mütterrente neu berechnet.

Die Klägerin hat auch – im Sinne des ersten Hilfsantrages – keinen Anspruch auf eine weitergehende Erhöhung des Wertes ihrer Regelaltersrente um einen Entgeltpunkt im Rahmen der sog. Mütterrente für ihren Sohn D. Der zu überprüfende Bescheid vom 9. September 2014 berechnet die Regelaltersrente der Klägerin zutreffend neu.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Im Übrigen ist nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X).

Die Beklagte war infolge der Rechtsänderungen zur Einführung der sog. "Mütterrente" durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23. Juni 2014 nicht gehalten, die Rentenbewilligung vom 9. September 2014 aufgrund einer Änderung der der Bewilligung zu Grunde liegenden rechtlichen Verhältnisse nach § 48 SGB X weitergehend – über die Berücksichtigung eines zusätzlichen Entgeltpunktes für die Tochter C. hinaus – abzuändern.

Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse unter anderem dann aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar ist mit der Einfügung des § 307d SGB VI zum 1. Juli 2014 (Gesetz vom 23. Juni 2014, BGBl. I 2014, Nrn. 27, 787) in den rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des ursprünglichen Rentenbescheides vorgelegen haben, eine Änderung eingetreten. Diese Änderung war jedoch nicht wesentlich. Denn eine Änderung ist regelmäßig nur dann wesentlich im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X, wenn durch sie dem ursprünglich erlassenen Verwaltungsakt nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen wird. Entscheidend ist insoweit, ob die Behörde den Verwaltungsakt auch unter den geänderten Verhältnissen noch mit unverändertem Inhalt erlassen dürfte. Nur wenn das nicht der Fall wäre, ist die Änderung der Verhältnisse "wesentlich" im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X. Dementsprechend heißt es bereits in der Begründung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (BT-Drucks. 8/2034 S. 35 zu § 46), ob eine Änderung wesentlich sei, bestimme sich nach materiellen Recht, vorliegend mithin nach § 307d SGB VI.

Nach § 307d Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI wird für am 30. Juni 2014 gezahlte Renten ein Zuschlag von je einem persönlichen Entgeltpunkt für Kindererziehung für jedes vor dem 1. Januar 1992 geborene Kind berücksichtigt, wenn

1. in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde,
2. kein Anspruch nach den §§ 294 und 294a besteht.

Daran gemessen kann die Klägerin keinen Zuschlag von einem persönlichen Entgeltpunkt für die Erziehung ihres Sohnes D. beanspruchen. Denn bei ihrer Rente wurde keine Kindererziehungszeit für ihren Sohn im 12. Kalendermonat (März 1966) anerkannt, sodass die Voraussetzung des § 307d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht erfüllt ist.

Es kann vorliegend dahinstehen, ob eine Prüfung der anzuwendenden Rechtsnormen auf Verfassungsmäßigkeit – wie von der Klägerin beantragt – überhaupt angezeigt ist, solange eine Gesetzesvorschrift noch nicht vom Bundesverfassungsgericht rückwirkend für nichtig erklärt wurde (vgl. Schütze in: v. Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rn 7; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 14. März 2018 L 19 R 134/17 –).

Denn es begegnet zur Überzeugung des Senates keinen verfassungsrechtlichen Bedenken im Sinne einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Klägerin durch das Regelungsgefüge der §§ 56, 306, 307d SGB VI geleistete Kindererziehungszeiten im Rahmen der rentenrechtlichen Bewertung vorenthalten werden. Zwar benachteiligt diese Regelung durch das pauschale Abstellen auf die Anrechnung einer Kindererziehungszeit im zwölften Kalendermonat nach dem Monat der Geburt als Voraussetzung für die Berücksichtigung zusätzlicher Entgeltpunkte für das gesamte zweite Lebensjahr Bestandsrentner gegenüber sonstigen Versicherten, soweit im Laufe des zweiten Lebensjahrs die Voraussetzungen für eine Feststellung von Kindererziehungszeiten gem. §§ 56, 249, 149 Abs. 5 SGB VI wieder eingetreten sind. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Gesetzgeber den Bedürfnissen der Massenverwaltung durch generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen Rechnung tragen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 2005, 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2144/98, 1 BvR 2300/98; Diel in: Hauck/Noftz, SGB, 04/15, § 307d SGB VI, Rn. 9). Dies gilt umso mehr, als Kindererziehungszeiten eine Vergünstigung ohne entsprechende Gegenleistung des Versicherten in Form von Versicherungsbeiträgen darstellen.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass § 307d SGB VI bereits selbst eine begünstigende Ausnahmeregelung von der gesetzlichen Regel des § 306 SGB VI darstellt, wonach Gesetzesänderungen grundsätzlich nicht zur Neuberechnung bereits laufender Renten führen. Es erscheint insofern auch im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber - welcher bei Schaffung der Regelung des § 307d SGB VI von rund 9,5 Millionen Bestandsrenten ausging - aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und zur Vermeidung umfangreicher Neuberechnungen eine pauschalierte Regelung getroffen hat. Die hierbei leitenden Überlegungen, mit einer Anknüpfung an bereits im Versicherungsverlauf enthaltene Daten die reibungslose Umsetzung der Einbeziehung auch des Rentenbestandes in die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Geburten vor 1992 innerhalb der Rentensystematik ohne weitere Sonderregelungen zu gewährleisten und Schwierigkeiten bei der Ermittlung der tatsächlichen Erziehungsverhältnisse im regelmäßig weit zurückliegenden zweiten Lebensjahr des Kindes zu vermeiden (vgl. Gesetzesbegründung, BT-DRS 18/909, S. 15, 24), stehen zur Überzeugung des Senats im Einklang mit den vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) eingeräumten Gestaltungsspielraum (so auch BSG, Urteil vom 28. Juni 2018 – B 5 R 12/17 R, Terminbericht Nr. 30/18 –; vgl. auch Hessisches LSG, 2. Senat, Urteil vom 29. Mai 2018 – L 2 R 203/16 –; Bayerisches LSG, Urteil vom 6. Dezember 2017 – L 6 R 38/17 –; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. Juni 2017 – L 2 R 175/17 –; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. April 2017 – L 16 R 259/17 –).

Auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Der Staat ist nicht gehalten, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (nur) die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme oder konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich nicht ableiten. Auch insoweit besteht vielmehr grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992 -1 BvL 51/86, 1 BvL 50/87, 1 BvR 873/90, 1 BvR 761/91 -, juris RdNr. 123, m.w.N.).

Soweit die Klägerin die Rechtsmeinung verfolgt, dass Bedürfnisse der Verwaltung keine Eingriffe in Art. 3 und Art. 6 GG rechtfertigen dürften, so steht dieser Rechtsauffassung die dargelegte höchstrichterliche Rechtsprechung, der sich der Senat uneingeschränkt anschließt, entgegen.

Aus diesen Gründen ist der Rechtsstreit auch nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, denn der erkennende Senat ist gerade nicht davon überzeugt, dass die auf den vorliegenden Fall anzuwendenden einfachgesetzlichen Vorschriften des SGB VI gegen das GG verstoßen und hierdurch Grundrechte der Klägerin verletzt sind.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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