L 4 SO 304/15

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 26 SO 71/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 304/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 87/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Sozialhilfeträger ist durch die Feststellungen der Agentur der Arbeit nicht an der Ermittlung der Erwerbsfähigkeit der hilfebedürftigen Person gehindert. Normadressat von § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II ist der SGB II-Leistungsträger.
2. Die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII kann nicht vor ihrem Erlass Bindungswirkung nach § 45 SGB XII entfalten.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 17. November 2015 und der Bescheid des Beklagten vom 6. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014 aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zurücknahme der Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Mai 2014 bis 30. Juni 2014.

Der 1967 geborene Kläger schloss nach dem Besuch der Hauptschule keine Ausbildung ab und arbeitete mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit zuletzt 1994 versicherungspflichtig. Ein Grad der Behinderung von 60 und das Merkzeichen G waren festgestellt.

Der Kläger bezog zunächst Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und sodann ab 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Nach einer gutachterlichen Äußerung des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Limburg vom 30. Juni 2006 bestand beim Kläger eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit für Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Zum August 2006 stellte die damalige "Arbeitsgemeinschaft Limburg-Weilburg" diese Leistungen mit der Begründung ein, dass die Erwerbsfähigkeit weggefallen sei (Bescheid vom 18. Juli 2006). Ab August 2006 gewährte der Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel SGB XII. Im September 2013 ersuchte der Beklagte die Deutsche Rentenversicherung Hessen nach § 45 SGB XII um die Prüfung, ob weiterhin eine Erwerbsminderung bestehe. Mit Bescheid vom 23. Januar 2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger für Februar 2014 bis 30. Juni 2014 in Höhe von 941,48 Euro monatlich. Mit Schreiben vom 24. Februar 2014, eingegangen beim Beklagten am 3. März 2014, teilte die Deutsche Rentenversicherung Hessen mit, nach dem Ergebnis ihrer ärztlichen Untersuchung sei der Kläger nicht dauerhaft voll erwerbsgemindert, sondern könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig sein.

Mit Bescheid vom 6. März 2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 23. Februar 2014 gem. § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - auf und stellte die Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII mit Ablauf des 31. März 2014 ein, weil keine dauerhafte volle Erwerbsminderung vorliege. Hiergegen erhob der Kläger am 13. März 2014 mit der Begründung Widerspruch, dass er auf Dauer erwerbsunfähig sei, was sich schon aus einem amtsärztlichen Gutachten aus dem Jahr 2006 ergebe, seither habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2014 wies der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach den bindenden Feststellungen der DRV Hessen sei der Kläger nicht dauerhaft voll erwerbsgemindert.

Hiergegen hat der Kläger am 23. April 2014 Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben. Das Sozialgericht hat die Akte der Deutschen Rentenversicherung Hessen einschließlich des Gutachtens der Fachärztin für Neurologie und Sozialmedizin C. vom 12. Februar 2014 auf Grundlage der Untersuchung am 10. Februar 2014 beigezogen, wonach die Erwerbsfähigkeit des Klägers wegen einer Lungenerkrankung qualitativ eingeschränkt sei, er aber trotzdem vollschichtig leichte Tätigkeiten ausüben könne. Das Sozialgericht hat weiter Befundberichte eingeholt bei dem behandelnden Internisten und Lungenfacharzt D., D-Stadt, vom 27. August 2014 und bei der Hausärztin Dr. E., A-Stadt, vom 11. September 2014. Das Sozialgericht hat außerdem ein medizinisches Gutachten bei Dr. F., Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, F-Stadt, eingeholt. Auf die Untersuchung des Klägers am 8. Dezember 2014 hat er in sein Gutachten vom 5. Januar 2015 ausgeführt, der Kläger könne nur noch leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich mit Einschränkungen verrichten.

Mit Beschluss vom 22. April 2015 hat das Sozialgericht hat das Jobcenter Limburg-Weilburg beigeladen.

Der Kläger hat vorgetragen, sein Gesundheitszustand habe sich seit der ersten Feststellung seiner dauerhaften Erwerbsunfähigkeit durch den medizinischen Dienst der Arbeitsagentur im Juli 2006 verschlechtert, nicht verbessert. Vielmehr sei ein Diabetes mellitus hinzugetreten und er sehe schlechter. Er sei nicht in Lage, Laufwege innerhalb eines Betriebes oder zu Arbeitsort zurückzulegen. Er hat ein Attest seiner Hausärztin vom 13. April 2015 vorgelegt, wonach er nicht mehr als 3 Stunden täglich arbeiten könne. Außerdem habe er, weil er weder eine Berufsausbildung noch einen Führerschein habe, keine Aussicht, einen Arbeitsplatz im Landkreis Limburg-Weilburg zu finden. Der Arbeitsmarkt sei konkret verschlossen.

Der Beklagte hat auf den Widerspruchsbescheid und die Gutachten verwiesen, die von der Deutschen Rentenversicherung und im Gerichtsverfahren erstellt worden sind. Auf die Arbeitsmarktsituation im Landkreis Limburg komme es nicht an.

Der Beigeladene hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.

Mit Urteil vom 17. November 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft, § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG. Sie sei aber nicht begründet. Der Kläger seit durch die angegriffenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt. Er habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Der Kläger sei erwerbsfähig. Es bestehe keine Erwerbsminderung. Das Gericht stütze sich dabei auf die ärztlichen Befundberichte und auf die inhaltlich nachvollziehbaren und im Ergebnis übereinstimmenden Gutachten von Frau C. vom 12. Februar 2014 aus dem Prüfungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung Hessen und von Dr. F. vom 5. Januar 2015 aus dem Gerichtsverfahren. Danach lägen beim Kläger mehrere Erkrankungen vor: Er leide an einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung mit Emphysem, an einer Blutzuckererkrankung, Bluthochdruck, einem Hautekzem, einem Bauchdeckenbruch und Magenbeschwerden. Dagegen halte das Gericht die von der Hausärztin angegebene depressive Störung nicht für nachgewiesen. Denn insoweit fehle es an einer fachärztlichen Diagnose, auch eine ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung finde nicht statt. Beide Gutachten befassten sich mit der psychischen Situation des Klägers, stellten aber keine depressive Störung mit Krankheitswert fest. Die nachgewiesenen Erkrankungen führten auch zu Funktionseinbußen. Die Lungenerkrankung schränke die körperliche Belastbarkeit generell ein und führe dazu, dass der Kläger Witterungseinflüsse, starke Temperaturschwankungen und Luftbelastungen vermeiden müsse. Wegen der Blutzuckererkrankung sei der Kläger auf einen regelmäßigen Tagesablauf angewiesen. Die Hauterkrankung führe dazu, dass er sich weder starken Luftbelastungen noch hautreizenden Stoffe aussetzen sollte. Diese Funktionseinbußen führten zu qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens. Der Kläger könne nur noch körperlich leichte Tätigkeiten in überwiegend sitzender Haltung und in Tagschicht ausüben, er müsse sich dabei in geschlossenen Räumen aufhalten, in denen er keinen lungen- oder hautreizenden Stoffen ausgesetzt sei. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens auf unter 3 Stunden folgt aus den Erkrankungen aber nicht. Auf die tatsächlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt komme es nach der ausdrücklichen Formulierung des § 43 Abs. 3 SGB VI nicht an. Daher seien weder die – nach Vortrag des Klägers – angespannte Arbeitsmarktlage in D-Stadt noch der Umstand, dass der Kläger über keinen Führerschein und keine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge und vor mehr als 20 Jahren zuletzt berufstätig gewesen sei, hier beachtlich.

Gegen das ihm am 19. November 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. Dezember 2015 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Kläger trägt vor, der depressiven Erkrankung sei ein entsprechendes Gewicht beizumessen. Dass er bis Juni 2016 nicht in psychotherapeutischer Behandlung gestanden habe, liege daran, dass er Monate auf einen Therapieplatz habe warten müssen. Er werde nun mit einem Antidepressivum behandelt, die Lungenerkrankung habe sich verschlechtert, ebenso der Diabetes mellitus. Aufgrund der Vielzahl der bestehenden Erkrankungen sei er daran gehindert, irgendeiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Mit der Vielzahl bei ihm bestehender Einschränkungen sei er chancenlos, in Arbeit vermittelt zu werden. Er sei nicht in der Lage 4x500m zu laufen. Die nicht vorhandene Belastbarkeit erlaube es nicht, einer beruflichen Tätigkeit über drei Stunden nachzugehen, der Arbeitsmarkt sei verschlossen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 17. November 2015 und den Bescheid des Beklagten vom 6. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014 aufzuheben,
hilfsweise,
die Sachverständigen Dr. F. und Prof. Dr. G. zur Erläuterung ihrer Sachverständigengutachten vom 5. Januar 2015 und vom 29. Januar 2018 zu laden.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, die depressive Störung habe keinen Krankheitswert. Auf die tatsächlichen Chancen am Arbeitsmarkt komme es nicht an. Der Bescheid vom 23. Januar 2014 sei zum Zeitpunkt seines Erlasses der Bescheid vom 23. Januar 2014 rechtmäßig gewesen, weil eine – nach § 45 SGB XII - bindende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nicht vorgelegen habe, Die gutachtliche Stellungnahme sei erst am 3. März 2014 beim Beklagten eingegangen sei. Bis dahin habe die Stellungnahme der Agentur für Arbeit vom 30. Juni 2006 gegolten, wonach der Kläger auf Dauer erwerbsunfähig im Sinne des SGB II gewesen sei.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Der Beigeladene trägt vor, aufgrund der beim Kläger bestehenden vielfältigen gesundheitlichen Einschränkungen sei der Kläger außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich tätig zu werden.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Befundberichten der Fachärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. vom 22. September 2016, der Hausärztin Dr. E. vom 10. Oktober 2016 und des Internisten D. vom 4. November und 7. Dezember 2016. Der Senat hat ferner ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Dr. J. vom 17. April 2017 und ein arbeitsmedizinisch-fachinternistischen Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. G., G-Stadt, vom 29. Januar 2018 nach Untersuchung am 25. Januar 2018 sowie eine ergänzende Stellungnahme nach Aktenlage vom 19. April 2018.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten des Beklagten sowie des Beigeladenen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 6. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014. Die hiergegen gerichtete Klage ist als Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, da sich das Begehren des Klägers auf die Kassation des Bescheids der Beklagten vom 6. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014 richtet. Es handelt sich hierbei um einen rein belastenden Verwaltungsakt, mit dem der Beklagte den Leistungsbescheid vom 23. Januar 2014 zum 31. März 2014 aufgehoben hat.

Die Klage ist auch begründet, denn der Bescheid des Beklagten vom 6. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil der Beklagte bei Rücknahme des Bescheids vom 23. Januar 2014, mit dem er mit Wirkung für die Zukunft die Leistungsgewährung nach dem SGB XII eingestellt hat, jedenfalls kein Ermessen ausgeübt hat.

Rechtsgrundlage für den Rücknahmebescheid ist § 45 Abs. 1 und 2 Zehntes Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Zunächst handelte es sich bei dem Bescheid vom 23. Januar 2014 um einen begünstigenden Verwaltungsakt, denn der Beklagte bewilligte dem Kläger damit Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für den Zeitraum Februar 2014 bis einschließlich Juni 2014.

Der Verwaltungsakt war auch – entgegen der Auffassung des Beklagten, der von einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X ausgegangen ist - anfänglich rechtswidrig, da der Kläger bereits seit dem 29. Juli 2013 nicht mehr zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB XII gehört. Personen, die nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende - als Erwerbsfähige leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII (§ 21 Satz 1 SGB XII).

Der Kläger ist erwerbsfähig nach § 8 Abs. 1 SGB II. Erwerbfähig ist danach, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor.

Hierbei stützt sich der Senat maßgeblich auf das arbeitsmedizinisch-fachinternistische Sachverständigen Gutachten des Prof. Dr. G. vom 29. Januar 2018, nach dem beim Kläger zwar eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung mit Lungenemphysem, der Notwendigkeit einer anti-obstruktiven Dauermedikation und Einschränkung der Leistungsfähigkeit, eine Sensibilisierung auf Umweltallergene und anamnestisch Neurodermitis mit Hautallergie, ein ungenügend eingestellter Diabetes mellitus Typ II, ein Wirbelsäulensyndrom und eine Depression vorliegen. Von der letztgenannten Depression geht dabei bereits kein erwerbsmindernder Dauereinfluss aus, was auch der der Neurologe und Psychiater Dr. J. in seinem Gutachten vom 17. April 2017 bestätigt hat. Dies ist für den Senat auch schlüssig aufgrund der von Dr. J. nachvollziehbar geschilderten und sich aus den während der gutachterlichen Untersuchung erhobenen Befunden ergebenden, nur gering ausgeprägten Symptomatik sowie der nach Beurteilung des Sachverständigen nur gering dosierten antidepressiven Medikation, die sich aus dem Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychiatrie und Psychtherapie Dr. H. vom 22. September 2016 ergibt. Für eine nur blande Symptomatik spricht auch die geringe Frequenz der fachärztlichen Behandlung von zwei Monaten.

Der Kläger kann aber trotz der bei ihm bestehenden Leiden Arbeiten in temperierten Räumen, in Tagesschicht, leichte Arbeiten mit Heben und Tragen bis ca. 5 kg, mit Publikumsverkehr, unter Einwirkung von Lärm, mit besonderer Verantwortung, Aufmerksamkeit und geistiger Beanspruchung, mit besonderen Anforderungen an das Hörvermögen, an das Sehvermögen, Farbunterscheidungsvermögen, räumliches Sehen und praktische Zweihändigkeit noch vollschichtig, d. h. über sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Arbeiten im Freien unter Einwirkung von Kälte, Nässe, Zugluft, Temperaturschwankungen, Hitzearbeiten, Arbeiten unter der Einwirkung von Stäuben, Rauchen, Gasen, Dämpfen, Arbeiten unter erhöhter Verletzungsgefahr, z. B. mit Absturzgefahr, mit Starkstrom, an laufenden Maschinen wegen des Auftretens einer Hyperventilation mit eventueller Hyperventilationstetanie, schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten, Heben und Tragen von Lasten mit mehr als 5 kg, Arbeiten mit hautbelastenden Stoffen und Arbeiten in Wechselschicht kann der Kläger indessen wegen seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr ausüben. Dieses positive und negative Leistungsbild steht zur Überzeugung des Senats auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. G. fest, wobei das quantitative Leistungsvermögen, welches nicht erheblich eingeschränkt ist, von Dr. F. in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 5. Januar 2015 ebenso bestätigt wird wie durch das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. J. vom 17. April 2017.

Die bestehen qualitativen Leistungseinschränkungen erklärt der Sachverständige Prof. Dr. G. für den Senat überzeugend mit den von ihm erhobenen und im Gutachten nachvollziehbar dargestellten Befunden. Sie ergeben sich wesentlich aus der bei dem Kläger bestehenden Atemwegserkrankung. Entgegen der Auffassung des Klägers und der Beigeladenen führen sie nicht zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes, weil weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung besteht noch sich aus der Kombination der negativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ergibt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R –, BSGE 109, 189-199, SozR 4-2600 § 43 Nr. 16, Rn. 33).

Weiterhin liegt beim Kläger auch keine Wegeunfähigkeit vor, denn er kann nach den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. G. 500m noch in 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und somit Wege zu einem Arbeitsplatz und zurück unter Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel bewältigen. Eine wesentliche Einschränkung der Wegefähigkeit besteht krankheitsbedingt nicht, auch insbesondere nicht aufgrund der Atemwegserkrankung. So hat der Sachverständige Prof. Dr. G. schon in seinem Gutachten vom 29. Januar 2018 nachvollziehbar dargestellt, dass die Belastbarkeit des Klägers insoweit nicht relevant eingeschränkt ist, da er im 6-Minuten-Gehtest 350m zurücklegen konnte und 49 Stufen in 65 Sekunden bewältigen konnte. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. April 2018 hat er sodann überzeugend ausgeführt, dass die beim Belastungs-EKG aufgetretenen Atemnotbeschwerden, die zu einem Abbruch bei 50 Watt Belastung führten, nicht aufgrund der pulmonalen Situation zu erklären gewesen sind, sondern auf die beim Kläger aufgetretene Hyperventilation zurückzuführen sind. Eine Einschränkung hinsichtlich der pulmonalen Leistungsfähigkeit ließ sich daraus nicht ableiten, der Sauerstoffpartialdruck betrug vor der Belastung 69,5 mmHg bei einem Sollwert von 83,4 mmHg und stieg unter der Belastung auf 104 mmHg; ein Wert der vom Sachverständigen als im hoch normalen Bereich eingeordnet wird. Der gezogene Schluss, dass damit eine Belastungseinschränkung beim Belastungs-EKG nicht durch eine pulmonale Leistungseinschränkung und mithin nicht aufgrund der Grunderkrankung der obstruktiven Ventilationsstörung mit Lungenemphysem sondern aufgrund der Hyperventilation bestand, ist für den Senat nachvollziehbar. Dem entsprechend ergab sich auch beim Treppensteigen kein Abfall des Sauerstoffpartialdruckes als Hinweis auf eine Gasaustauschstörung, wofür auch die beschriebenen Laktatwerte (2,20 mmol/l) deutlich unterhalb der Dauerleistungsgrenze von 4 mmol/l sprechen. Die aerob/anaerobe Dauerleistungsgrenze wurde weder hier noch im 6-Minuten-Gehtest erreicht. Auch bei letzterem lag der vom Sachverständigen erhobene Laktatwert lediglich bei 1,43 mmol/l. Die im 6-Minuten-Gehtest aufgetretenen Schwindelerscheinungen sind nach den Angaben des Sachverständigen typisch für eine Hyperventilation ohne morphologisches oder pathophysiologisches Korrelat. Insgesamt ist damit die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. G., dass kein medizinisch internistischer Befund besteht, der eine relevante Einschränkung des Gehvermögens rechtfertigt, nachvollziehbar und die Schlussfolgerung, dass der Kläger, der in sechs Minuten 350 m zurücklegen konnte, 500m in 20 Minuten zurücklegen kann, widerspruchsfrei. Anhaltspunkte für eine psychisch bedingte Einschränkung der Gehfähigkeit ergeben sich nicht.

Das somit nicht relevant geminderte Leistungsvermögen besteht zur Überzeugung des Senats auch bereits seit dem 29. Juli 2013. Hierbei stützt der Senat auf das Gutachten des Prof. Dr. G. vom 29. Januar 2018, nach dessen nachvollziehbarer Einschätzung das krankheitsbedingt beeinträchtigte Restleistungsvermögen des Klägers bereits seit der ersten aktenkundigen Lungenfunktionsprüfung, die auf den 29. Juli 2013 datiert, unverändert in dem zuvor dargestellten Umfang besteht. Dem stehen die Gutachten von Dr. F. und Dr. J. nicht entgegen. Dr. J. hat ausgeführt, dass aus psychiatrischer Sicht zu keinem Zeitpunkt eine relevante Minderung der Erwerbsfähigkeit bestand und Dr. F. nimmt zu dem Zeitpunkt des Bestehens des von ihm festgestellten Leistungsvermögens keine Stellung, geht aber ebenso von einer nicht erheblichen – qualitativen - Leistungseinschränkung aus.

Der Einwand des Beklagten, dass der Bescheid vom 23. Januar 2014 zum Zeitpunkt seines Erlasses der Bescheid vom 23. Januar 2014 rechtmäßig gewesen sei, weil eine nach § 45 SGB XII - bindende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nicht vorgelegen habe und bis dahin die Stellungnahme der Agentur für Arbeit vom 30. Juni 2006 gegolten habe, wonach der Kläger auf Dauer erwerbsunfähig im Sinne des SGB II gewesen sei, greift nicht durch. Eine Bindungswirkung kann von der Feststellung der DRV Hessen vom 24. Februar 2014 nach § 45 Satz 2 SGB XII bereits deshalb nicht ausgehen, weil die am 3. März 2014 beim Beklagten eingegangene Stellungnahme zur Zeit Erlasses des Bescheids vom 23. Januar 2014 noch gar nicht vorlag. Aber auch die Wirkungen der Stellungnahme der Agentur für Arbeit vom 30. Juni 2006 stehen der Beurteilung des Bescheids vom 23. Januar 2014 nicht entgegen, denn eine verfahrensrechtliche Sperrwirkung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 9. September 1999, B 11 AL 13/99 R zu § 105a AFG) geht von ihr nur nach § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II aus, wonach im Verfahren über den Widerspruch gegen die Feststellungen der Agentur für Arbeit bis zur Entscheidung über den Widerspruch Leistungen nach dem SGB II erbracht werden müssen. Normadressat von § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II, der der Nahtlosigkeitsregelung des § 125 Abs. 1 SGB III a. F. nachempfunden ist, ist allein der SGB II-Leistungsträger (Blüggel in: Eicher/Luik. SGB II, 4. Auflage 2017, § 44a Rn. 73). Der SGB XII-Leistungsträger bleibt indessen verpflichtet, die Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen von Amts wegen zu ermitteln (§ 21 SGB X) und ggf. vorsorglich Erstattungsansprüche nach dem SGB X bereits während der Dauer der Ermittlungen gegen den SGB II-Leistungsträger anzumelden. Ungeachtet der Frage ihrer Bindungswirkung für den Beklagte (und den Beigeladenen), ist die Stellungnahme der Agentur für Arbeit in Ermangelung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung jedenfalls für den Senat – ebensowenig wie im übrigen die Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers nach § 45 SGB XII – nicht verbindlich. Vielmehr ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 23. März 2010, B 8 SO 17/09 R, BSGE 106, 62 ff, Rn. 16) geklärt, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die verminderte Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen aus Gründen des effektiven Rechtschutzes auch in vollem Umfang von Amts wegen selbst überprüfen können müssen.

Offen lassen kann der Senat, ob die übrigen Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X vorliegen, denn jedenfalls hat der Beklagte das nach § 45 Abs. 1 SGB X erforderliche Rücknahmeermessen nicht ausgeübt. Es liegt ein Fall von Ermessensnichtgebrauch vor. Indem der Beklagte von einer Änderung der Verhältnisse aufgrund der Stellungnahme der DRV Hessen vom 24. Februar 2014 und damit von der Anwendbarkeit von § 48 SGB X ausgegangen ist, hat er – ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht, da Aufhebungen mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 SGB X eine gebundene Entscheidung darstellen – weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid Ermessen überhaupt ausgeübt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, dass dieser keinen Antrag gestellt hat (Gutzler in: Roos/Wahrendorf, SGG § 193 Rn. 59-61, beck-online).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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