L 6 AS 429/16

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 447/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 429/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 10/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Werra-Meißner-Kreis verfügt (jedenfalls) im Monat Juli 2014 nicht über ein schlüssiges Konzept zur Feststellung der Angemessenheitsgrenzen gem. § 22 Abs. 1 SGB II.

2. Der Vergleichsraum ist aufgrund des abstrakt-generellen Charakters des Rechtsbegriffs der Raum, in dem ausgehend von rein objektiven Kriterien dem Leistungsberechtigten ein Umzug zumutbar ist.

3. Ein gesamter Landkreis kann nur dann einen einheitlichen Vergleichsraum darstellen, wenn innerhalb des Landkreises ein homogener Lebens- und Wohnbereich besteht.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. März 2016 aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 10. Juni 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. Juli 2014 sowie der Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2014 werden abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt abzüglich bereits erbrachter Leistungen für den Monat Juli 2014 höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Zugrundelegung einer Bruttokaltmiete in Höhe von 292,00 EUR als angemessenen Bedarf für die Unterkunft zu gewähren.

II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der vom Beklagten zu übernehmenden Bedarfe für Unterkunft als Leistung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Monat Juli 2014.

Die 1963 geborene Klägerin steht seit 1. Januar 2005 im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten, bis 31. März 2010 zusammen mit ihrer 1988 geborenen Tochter. Mit ihr bewohnte sie zunächst eine 4-Zimmer-Wohnung in der C-Straße in A Stadt mit einer Wohnfläche von 90 m². Mit dem Auszug der Tochter übersandte der Beklagte der Klägerin unter dem 15. März 2010 (Bl. 141 der Gerichtsakte) einen Änderungsbescheid, in dessen Anlage er darauf hinwies, dass ihre Kosten der Unterkunft zu hoch seien. Angemessen seien für Alleinstehende Kosten in Höhe von monatlich 237,50 EUR als Nettokaltmiete. Er kündigte an, dass ab dem 1. Oktober 2010 nur noch diese angemessenen Kosten übernommen würden.

Zum 1. September 2010 mietete die Klägerin eine 3-Zimmer-Wohnung im A-Straße in A Stadt mit einer Größe von 60,5 m² an. Vor Abschluss des Mietvertrags holte sie keine Zusicherung bei dem Beklagten ein. Die Bruttokaltmiete hierfür betrug zunächst 295,00 EUR, im streitgegenständlichen Monat Juli 2014 302,00 EUR. Zusätzlich fiel im Monat Juli 2014 ein Abschlag für Heizgas der Stadtwerke A-Stadt GmbH von 64,00 EUR an.

Seit dem Einzug in die Wohnung im A-Straße übernahm der Beklagte die Bedarfe für Unterkunft nur in Höhe von 237,50 EUR zuzüglich 56,00 EUR Heizkosten. Mit Bewilligungsbescheid vom 21. Januar 2014 und Änderungsbescheid vom 10. März 2014 bewilligte er der Klägerin Leistungen nach dem SGB II vorläufig im Hinblick auf die Anrechnung von Einkommen für die Zeit vom 1. Februar 2014 bis 31. Juli 2014 in Höhe von insgesamt 453,69 EUR. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Unter dem 10. Juni 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis 31. Juli 2014 endgültig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 351,19 EUR. Hierbei berücksichtigte er einen als angemessen angesehenen Bedarf für Unterkunft in Höhe von insgesamt 293,50 EUR, bestehend aus 212,00 EUR für die Grundmiete, 25,50 EUR für kalte Nebenkosten und 56,00 EUR für Heizkosten. Hiergegen legte die Klägerin am 23. Juni 2014 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2014 zurückwies. Der Beklagte meinte, der Widerspruch sei bereits unzulässig, weil der Widerspruch zulässigerweise auf die Bedarf für Unterkunft beschränkt gewesen sei, diese aber im angegriffenen Bescheid für den Monat Juli 2014 gerade nicht abgeändert worden seien. Regelungsgehalt des Bescheids vom 10. Juni 2014 sei alleine die Einkommensanrechnung gewesen. Die Bedarfe für Unterkunft seien in den Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheiden vom 21. Januar 2014 und 10. März 2014 geregelt worden, die allerdings bestandskräftig geworden seien.

Dagegen hat die Klägerin am 8. August 2014 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben. Der Beklagte hat die Klageschrift als konkludent gestellten Überprüfungsantrag gem. § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) angesehen und unter dem 1. Oktober 2014 einen Änderungsbescheid erlassen, mit dem er der Klägerin nunmehr für den streitgegenständlichen Monat Juli 2014 SGB II – Leistungen in Höhe von 377,01 EUR bewilligt hat. Als Bedarfe für Unterkunft und Heizung berücksichtigte er nunmehr einen aus seiner Sicht angemessenen Betrag für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 255,32 EUR und als Bedarfe der Heizung in Höhe von 64,00 EUR. Im Rahmen des Klageverfahrens hat das Sozialgericht das Konzept des Beklagten zur Berechnung der Angemessenheit von Unterkunftskosten im Werra-Meißner-Kreis und die ihm zugrundeliegenden Rohdaten angefordert.

Mit Urteil vom 17. März 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung ist das Gericht zunächst davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 1. Oktober 2014 gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens gegen den Bescheid vom 10. Juni 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2014 geworden sei, so dass es die Kammer im Ergebnis offengelassen hat, ob der Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 23. Juni 2014 gegen den Bescheid vom 10. Juni 2014 zu Recht als unzulässig verworfen habe, weil dieser aus seiner Sicht lediglich eine wiederholende Verfügung hinsichtlich der bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung enthalten habe.

Die Klage sei jedoch unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten für den Monat Juli 2014 gegen den Beklagten habe. Die Kosten der Unterkunft der Klägerin seien nur bis zur Angemessenheitsobergrenze zu übernehmen. Diese liege bei 255,32 EUR für die Nettokaltmiete. Die zugrunde zu legende Angemessenheitsobergrenze in der angegebenen Höhe ergebe sich aus dem vom Beklagten vorgelegten Konzept zur Feststellung der Angemessenheit von Unterkunftskosten im Werra-Meißner-Kreis (Endbericht vom März 2014) der Firma H. Dieses Konzept sei schlüssig.

Angemessen seien die Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise. Die Wohnung müsse hinsichtlich der aufgeführten Kriterien, die als mietpreisbildende Faktoren regelmäßig im Quadratmeterpreis ihren Niederschlag fänden, im unteren Segment der nach der Größe in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bilde. Die Mietobergrenze sei nach der Rechtsprechung des BSG auf der Grundlage eines diese Anforderungen beachtenden schlüssigen Konzepts zu ermitteln. Der Grundsicherungsträger müsse mithin nicht nur ein Konzept haben, nach dem er die Referenzmiete bestimme, sondern dieses Konzept müsse zudem einer gerichtlichen Überprüfung standhalten, also schlüssig sein. Ein Konzept sei ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlungen und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum. Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle: Die Datenerhebung dürfe ausschließlich in dem genau eingegrenzten Vergleichsraum und müsse über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung), eine nachvollziehbare Definition des Gegenstandes der Beobachtung (z.B. welche Art von Wohnungen – Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete, Differenzierung nach Wohnungsgröße) müsse gegeben sein, es müssten Angaben über den Beobachtungszeitraum vorliegen, die Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel) müsse festgelegt sein, der Umfang der erhobenen Daten müsse repräsentativ sein, die Validität der Datenerhebung müsse gewährleistet sein, die anerkannten mathematisch-statistischen Grundsätze der Datenauswertung müssten eingehalten werden und es müssten Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze) vorliegen.

Das Konzept zur Feststellung der Angemessenheit von Unterkunftskosten im Werra-Meißner-Kreis des Beklagten (Stand: März 2014) entspreche diesen Vorgaben. Bei dem vom Beklagten vorgelegten Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze sei insbesondere der Vergleichsraum zutreffend bestimmt. Bei dem Vergleichsraum müsse es sich um einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung handeln, der aufgrund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur und insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilde. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe bei der Bildung der Referenzmieten zwar auf Mieten für "Wohnungen mit bescheidenem Zuschnitt" abgestellt werden, es dürften jedoch nicht einzelne, besonders heruntergekommene und daher "billige" Stadtteile herausgegriffen werden. Vielmehr sei auf Durchschnittswerte des unteren Mietpreisniveaus im gesamten räumlichen Vergleichsraum abzustellen. Danach sei für den Vergleichsraum ein einheitlicher Wert der angemessenen Kosten der Unterkunft zu bilden. Als räumlicher Vergleichsmaßstab sei in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgeblich. Dies bedeute jedoch nicht, dass sich der räumliche Vergleichsmaßstab strikt am kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der "Gemeinde" nach dem jeweiligen landesrechtlichen Kommunalrecht orientieren müsse. Bei der Bildung des räumlichen Vergleichsmaßstabs könne es - insbesondere im ländlichen Raum - geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsgebiete zusammenzufassen, während in größeren Städten andererseits eine Unterteilung in mehrere kleinere Vergleichsgebiete, die kommunalverfassungsrechtlich keine selbständigen Einheiten darstellen, geboten sein könne.

Gegen das am 21. April 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, 23. Mai 2016, Berufung erhoben. Sie hält den als angemessen angesehenen Mietpreis nicht für schlüssig errechnet und verweist insoweit auf den Mietwertkalkulator der Hessischen Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation (HVBG).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. März 2016 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 10. Juni 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. Juli 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2014 abzuändern und den Beklagte zu verurteilen, abzüglich bereits erbrachter Leistungen für den Monat Juli 2014 höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Zugrundelegung einer Bruttokaltmiete in Höhe von 292,00 EUR als angemessenen Bedarf für die Unterkunft zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte stützt sich zur Begründung auf das "Konzept zur Feststellung der Angemessenheit von Unterkunftskosten im Werra-Meißner-Kreis – Endbericht vom März 2014" der Firma H. Beratungsgesellschaft für Wohnen, Immobilien, Stadtentwicklung mbH, D-Stadt. Ausgangspunkt dieses Konzepts sei eine eigenständige Datenerhebung, die sogenannte Mietwerterhebung, die über den gesamten Vergleichsraum, den Werra-Meißner-Kreis, erfolgt sei. Die Mietwerterhebung bilde den relevanten Wohnungsmarkt repräsentativ und empirisch valide ab. Der so gewonnene Datensatz sei unter Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze ausgewertet worden. Dies beinhalte u. a. eine nachvollziehbare Definition des Gegenstandes der Beobachtung, Angaben über den Beobachtungszeitraum, Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung und Angaben über die gezogenen Schlüsse (z. B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

H. habe vor diesem Hintergrund ein Untersuchungskonzept entwickelt, das diese speziellen Anforderungen und Rahmenbedingungen für die Ermittlung von Mieten zur Festlegung von lokalen Angemessenheitswerten berücksichtige. Dieses basiere in seinen Grundzügen auf der allgemein anerkannten Vorgehensweise zur Erstellung von qualifizierten Mietspiegeln. Ziel des vorliegenden Konzeptes sei es, mithilfe einer Erhebung auf einer breiten empirischen Grundlage für den Werra-Meißner-Kreis eine Definition für die angemessenen Wohnkosten für Leistungsberechtigte vorzunehmen und rechtskonforme Mietpreisrichtwerte transparent und realitätsgerecht zu ermitteln. Des Weiteren würden mit dem Konzept die methodischen Grundlagen, der Ablauf der Untersuchung sowie die Ergebnisse der Mietwerterhebung zur Ermittlung von Mietpreisrichtwerten detailliert und nachvollziehbar dargestellt.

Der Beklagte beschreibt das Vorgehen zur Konzepterstellung methodisch wie folgt: In einem ersten Schritt sei das Verhältnis der verschiedenen räumlichen Ebenen Landkreis, Gemeinden, Vergleichsraum, homogener Lebens- und Wohnbereich - zu definieren. Hieraus ergebe sich der sog. Vergleichsraum. Um möglichst repräsentative und marktgerechte Mieten zu ermitteln, habe H. ein Verfahren entwickelt, die räumlichen Unterschiede von Mietpreisstrukturen innerhalb eines Kreises richtig zu erfassen. Hieraus würden die sog. Wohnungsmarkttypen abgeleitet. Im Vorfeld der Datenerhebung seien die angemessene Wohnungsgröße und der angemessene Wohnungsstandard zu definieren. Des Weiteren sei die Grundgesamtheit der einzubeziehenden Wohnungen sowie die erforderliche Stichprobengröße - bereinigt um verzerrende Extremwerte - zu bestimmen, um so einen repräsentativen Datensatz zu ermöglichen.

Entsprechend der Anforderungen des BSG seien für die Ermittlung der Richtwerte sowohl Bestands- als auch Angebotsmieten heranzuziehen, um somit einerseits die bereits bestehende Wohnsituation von Bedarfsgemeinschaften und andererseits die erforderliche Neuversorgung richtig abzubilden. Hierbei seien sowohl der abstrakte Richtwert als auch die konkrete Verfügbarkeit zu überprüfen. Um hierbei weder zu niedrige Richtwerte - und damit ein zu geringes Wohnungsangebot - noch zu hohe Richtwerte - und damit eine Fehlsubventionierung und Fehlsteuerung des Wohnungsmarktes - zu vermeiden, habe H. ein interaktives Verfahren entwickelt, mit dem der Richtwert nachfrageorientiert und passgenau abgeleitet werde.

Zur Festlegung eines Vergleichsraums trägt der Beklagte vor, dass er das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R – umsetze. Da es bei der Festlegung des Vergleichsraumes um die Ermittlung einer (angemessenen) Referenzmiete am Wohnort oder im weiteren Wohnumfeld des Hilfebedürftigen gehe, seien die Grenzen des Vergleichsraumes insbesondere nach folgenden Kriterien abzustecken: Es gehe darum zu beschreiben, welche ausreichend großen Räume (nicht bloße Orts- oder Stadtteile) der Wohnbebauung aufgrund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildeten. Entsprechend halte das BSG es für möglich, die Stadt München als einen Vergleichsraum zu betrachten. Was diese Aussage für inhomogene Kreise bedeute, wie die erforderlichen Referenzmieten empirisch gewonnen werden könnten und wie im konkreten Einzelfall der homogene Lebens- und Wohnbereich definiert werde, erfordere aber eine komplexe Betrachtungs- und Vorgehensweise.

Ausgangspunkt sei die Festlegung des BSG, dass ein maßgeblicher räumlicher Vergleichsmaßstab festgelegt werden müsse, innerhalb dessen das Mietpreisniveau angemessener Wohnungen ermittelt werden solle. In dem Konzept von H. stelle der Werra-Meißner-Kreis (insgesamt) den Vergleichsraum dar. In diesem würden die Referenzmieten erhoben. Durch die Bildung von Wohnungsmarkttypen würden für den Vergleichsraum entsprechend den methodisch-empirischen Standards repräsentative Werte ermittelt. Das BSG orientiere sich bei seiner theoretischen Ableitung des Wohnortes u. a. an Distanzen bzw. zeitlichen Erreichbarkeitsmaßstäben, wie sie auch arbeitsuchenden Personen zugemutet werden könnten. Dies erfordere, dass das Aufrechterhalten des sozialen Umfeldes möglich sei. Es bedeute andererseits nicht, dass keinerlei Veränderungen der Wohnraumsituation stattfinden dürften. Vielmehr seien vom Hilfeempfänger auch Anfahrtswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinzunehmen, wie sie etwa erwerbstätigen Pendlern als selbstverständlich zugemutet würden. Generell könne es einer Bedarfsgemeinschaft im Rahmen der abstrakten Prüfung zugemutet werden, innerhalb des Wohnortes bzw. Vergleichsraumes Entfernungen von bis zu 1,5 Stunden in Kauf zu nehmen. Für den Werra-Meißner-Kreis bedeute dies, dass das Kreisgebiet einen einzigen Vergleichsraum bilden könne, der im Vergleich zu Berlin als einem gerichtlich bestätigten Vergleichsgebiet noch immer relativ klein sei. Ob Umzüge im Einzelfall zumutbar seien, sei hingegen nicht auf der Ebene des Vergleichsraums zu überprüfen, sondern im Rahmen einer nachgelagerten Einzelfallprüfung, die dann bspw. das Vorhandensein von Schulen etc. berücksichtigen könne.

Die Wohnungsmarkttypen seien nach dem Konzept des Beklagten dagegen nicht mit dem homogenen Lebens- und Wohnbereich gleichzusetzen, der den Vergleichsraum präge. Der Leistungsberechtigte sei daher auch über die Wohnungsmarkttypen hinaus auf Wohnraum verweisbar. Die Wohnungsmarkttypen stellten vielmehr eine empirische Differenzierung der Angebotsstruktur innerhalb des Vergleichsraums, also hier innerhalb des Werra-Meißner-Kreises, dar.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand des Verfahrens gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. März 2016 war – soweit die Klage in der Berufung fortgeführt wird - aufzuheben. Der Bescheid des Beklagten vom 10. Juni 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. Juli 2014 sowie der Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2014 waren abzuändern. Sie sind teilweise rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat abzüglich bereits erbrachter Leistungen für den Monat Juli 2014 Anspruch auf höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Zugrundelegung einer Bruttokaltmiete in Höhe von 292,00 EUR als angemessenen Bedarf für die Unterkunft.

Die angefochtenen Bescheide waren inhaltlich zu überprüfen. Die Unanfechtbarkeit des vorläufigen Bewilligungsbescheids vom 21. Januar 2014 und des Änderungsbescheides vom 10. März 2014 stehen einer Überprüfung der endgültigen Bewilligung durch Bescheid vom 10. Juni 2014 nicht entgegen. Der vorläufige Bescheid wird gem. § 39 Abs. 2 SGB X kraft Gesetzes durch Erlass des endgültigen Bescheids erledigt (BSG, Urteil vom 09. Mai 1996 – 7 RAr 36/95 Rn. 20 f.; Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 41a, Rn. 51).

Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nur so lange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Die Angemessenheit der Wohnungskosten ist in mehreren Schritten zu prüfen: Bei der Wohnungsgröße ist die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zu Grunde zu legen. Dazu ist auf die Werte zurückzugreifen, welche die Länder auf Grund des § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) festgesetzt haben (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254; Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R). Nach § 10 WoFG können die Länder im geförderten Wohnungsbau Grenzen für Wohnungsgrößen festlegen, bis zu denen eine Förderung in Betracht kommt. Unter Zugrundelegung der in Hessen geltenden Richtlinien (Nr. 11 i. V. m. Anlage 1 des Erlasses über die Ausstellung von Bescheinigungen über die Wohnungsberechtigung nach § 5 des Hessischen Wohnungsbindungsgesetzes bzw. nach § 17 des Hessischen Wohnraumförderungsgesetzes sowie von Berechtigungsscheinen zum Bezug von Wohnungen der Vereinbarten Förderung §§ 88d und 88e des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vom 22. Juli 2014 - Staatsanzeiger für das Land Hessen - StAnz - Nr. 32 vom 4. August 2014, S. 645 f. Wohnraumfördererlass -) ist eine Wohnungsgröße für eine Person bis 50 m², für zwei Personen bis 60 m², für drei Personen bis 75 m² und für jede weitere Person max. 12 m² angemessen (vgl. Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. Dezember 2015 - L 9 AS 424/15 B ER und vom 13. Februar 2017 – L 9 AS 766/16 B ER). Wohnraumförderungsrechtliche Sonderregelungen, die auf persönliche Lebensverhältnisse des Hilfebedürftigen Bezug nehmen, sind bei der Bestimmung der Wohnflächen als Teil der Ermittlung einer abstrakt angemessenen Referenzmiete im Vergleichsraum nicht zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 22. August 2012 - B 14 AS 13/12 R und Urteil vom 11. Dezember 2012 - B 4 AS 44/12 R).

Nach Feststellung der Wohnraumgröße ist als weiterer Faktor der Wohnungsstandard zu berücksichtigen. Angemessen sind die Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist (BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 18/06 R – juris Rn. 20). Sie muss dem Hilfebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 1/08 R – juris Rn. 15). Die Wohnung muss deshalb hinsichtlich der aufgeführten Kriterien, die als Mietpreis bildende Faktoren regelmäßig im Quadratmeterpreis ihren Niederschlag finden, im unteren Segment der nach der Größe in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bildet. Dadurch ergibt sich einerseits ein Mindestanspruch, gleichzeitig aber im Rahmen des Begriffs der Angemessenheit auch ein Maximalanspruch, der sich aus dem Schutz (nur) des soziokulturellen Existenzminimums herleitet, dem die Ansprüche aus dem SGB II dienen. Da es im Ergebnis allein auf die Kostenbelastung des Grundsicherungsträgers ankommt, kann dahinstehen, ob einzelne Faktoren wie Ausstattung, Lage etc. isoliert als angemessen anzusehen sind, solange der Grundsicherungsträger nicht mit unangemessen hohen Kosten belastet wird (BSG, Urteil vom 7. November 2006 B 7b AS 18/06 R – juris Rn. 20).

Der sogenannten Produkttheorie (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32 m.w.N.) folgend, ist im Ergebnis alleine auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und dem Quadratmetermietpreis, der sich letztlich aus dem Wohnstandard ergibt, abzustellen. Es kommt weder isoliert auf die Wohnungsgröße noch auf den Quadratmetermietpreis an. Eine unangemessen große Wohnung kann bei einem geringen Quadratmetermietpreis also im Ergebnis angemessen sein, ebenso wie eine besonders kleine Wohnung gehobenen Standards.

Grundlage für die Ermittlung der Mietobergrenze bildet dabei ein schlüssiges Konzept, welches grundsätzlich von dem Grundsicherungsträger vorzulegen ist, der im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflichten dem Gericht eine Entscheidungsgrundlage zu verschaffen hat (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 27/09 R; Müller, in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 103 Rn. 42). Kommt der Grundsicherungsträger dieser Verpflichtung nicht nach bzw. erfüllt das vorgelegte Konzept die an es zu stellenden Anforderungen nicht, ist es zunächst im Sinne der Amtsermittlung Aufgabe der Gerichte, den angemessenen Mietwert zu ermitteln. Erst im Falle eines Ermittlungsausfalls kann hilfsweise auf die Werte des § 12 Wohngeldgesetz zurückgegriffen werden.

Das dem Grundsicherungsträger im Rahmen der gestuften Angemessenheitsprüfung abzuverlangende (vgl. nur BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 – B 4 AS 44/12 R; Wiemer NZS 2012, 9) Konzept der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum ist nur dann auch schlüssig, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/7&8198;b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R; Münder, Sozialgesetzbuch II, SGB II § 22 Rn. 82-99):

• Datenerhebung ausschließlich in dem genau eingegrenzten, dann aber über den gesamten, Vergleichsraum,

• nachvollziehbare Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen – Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße – einbezogen sind,

• Angaben über den Beobachtungszeitraum,

• Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),

• Repräsentativität des Umfangs der einbezogenen Daten,

• Validität der Datenerhebung,

• Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und

• Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

Für die Erstellung eines schlüssigen Konzeptes ist nach der Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße demnach zunächst der maßgebliche örtliche Vergleichsraum zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2017 - B 4 AS 33/16 R; BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 - B 4 AS 77/12 R). Überlegungen zur Bestimmung eines maßgeblichen örtlichen Vergleichsraums – insbesondere in Bezug auf die Datenerhebung – sind eine logische Voraussetzung zur Entwicklung eines schlüssigen Konzepts (vgl. BSG, Urteil vom 16. April 2013 - B 14 AS 28/12 R). Dabei geht es um die Ermittlung einer (angemessenen) Referenzmiete am Wohnort oder im weiteren Wohnumfeld des Leistungsberechtigten (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 10. September 2013 B 4 AS 77/12 R).

Ein Vergleichsraum, in dem die Mietobergrenze ermittelt wird, ist dann zulässig bestimmt, wenn es sich um einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung handelt, der aufgrund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur und insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 27/09 R). Damit soll sichergestellt werden, dass die ortsüblichen Gegebenheiten bzw. mietpreisbeeinflussenden Faktoren in der Referenzmiete berücksichtigt werden.

Der Begriff Vergleichsraum zielt in erster Linie auf den Wohnort des Leistungsberechtigten ab; insbesondere ist er so zu wählen, dass Hilfesuchende im Regelfall ihr soziales Umfeld beibehalten können (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 R). Generalisierungen hinsichtlich des Vergleichsraums verbieten sich aufgrund dieser geographisch und infrastrukturell geprägten Anforderungen. Je nach örtlichen Gegebenheiten kann es sein, dass die Heterogenität des Vergleichsraums nicht unzulässig groß ist, wenn im Gebiet eines Landkreises mehrere Gemeinden zu einem Vergleichsraum zusammengefasst werden. Insbesondere im ländlichen Raum kann es geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsgebiete zusammenzufassen (Hessisches LSG, Beschluss vom 23. Juli 2007 - L 9 AS 91/06 ER). Gibt es – insbesondere in Kleinst-Gemeinden – keinen Wohnungsmarkt, muss auf größere räumliche Bereiche abgestellt werden. Diese sind so zu wählen, dass dem grundsätzlich zu respektierenden Recht des Leistungsempfängers auf Verbleib in seinem sozialen Umfeld ausreichend Rechnung getragen wird (Theesfeld, jurisPR-MietR 13/2018 Anm. 4), sachliche Gesichtspunkte die Zusammenfassung erfordern, die kreisangehörigen Gemeinden keine erheblichen strukturellen Unterschiede (etwa in Bezug auf Topografie, Siedlungsdichte und Infrastruktur) aufweisen und die Daseinsvorsorge der Gemeinden des Vergleichsraums durch ein öffentliches Verkehrsnetz gewährleistet ist, diese also gleichmäßig gut angebunden sind (Berlit, info also 2017, 195, 197).

Letztlich ist der Vergleichsraum also aufgrund des abstrakt-generellen Charakters des Rechtsbegriffs der Raum, in dem ausgehend von rein objektiven Kriterien dem Leistungsberechtigten ein Umzug zumutbar ist, ohne dass zur Ausfüllung dieses Begriffs individuell in der Person des Leistungsberechtigten vorliegende oder fehlende Bindungen an ein Umfeld oder dessen Mobilität zu berücksichtigten wären.

Für den Werra-Meißner-Kreis folgt daraus, dass ein Vergleichsraum, der sich über den gesamten Landkreis erstreckt, zulässigerweise nicht angenommen werden darf. Der Werra-Meißner-Kreis als 1.024,7 km² großer Landkreis ohne Oberzentren und mit vier Mittelzentren mit rund 100.000 Einwohner insgesamt bildet nach Auffassung des Senats gerade keinen homogenen Lebens- und Wohnbereich. Seine Infrastruktur und insbesondere seine verkehrstechnischen Verbundenheit sind vielmehr durch eine erhebliche Heterogenität geprägt. Der Senat zieht insoweit den "Regionalplan Nordhessen 2009" heran.

Hieraus ergibt sich, dass der Werra-Meißner-Kreis hinsichtlich seiner Gemeinden Großalmerode, Helsa und dem Gutsbezirk Kaufunger Wald dem Ordnungsraum Kassel zuzuordnen ist. Dieser Ordnungsraum ist geprägt durch seine Verbindungsfunktion zwischen dem Verdichtungsraum Kassel und dem ländlichen Raum (S. 21 des Regionalplans). Seine Entwicklungsachsen orientieren sich entsprechend an den Hauptlinien des an Kassel angebundenen ÖPNVs. Hierdurch wird der Zweck verfolgt, den motorisierten Individualverkehr zu begrenzen.

Im Übrigen ist der Werra-Meißner-Kreis nach dem Regionalplan dem ländlichen Raum zuzuordnen. Dieser bildet im Gegensatz zum Ordnungsraum einen eigenständigen Lebens- und Wirtschaftsraum unter Bewahrung vielfältiger teilregionaler Ausprägungen (S. 22 des Regionalplans). Dementsprechend unterschiedlich ist hier auch die infrastrukturelle Ausrichtung: Im ländlichen Raum sollen nach dem Regionalplan die Mittelzentren als Standorte für Versorgungseinrichtungen, Gewerbe, Arbeitsplatz- und Wohnstandorte und insbesondere auch für Einrichtungen der öffentlichen Hand gestärkt werden. Eine Bindung an den Verdichtungsraum ist hier explizit nicht vorgesehen. Die Verkehrsinfrastruktur setzt hierfür vermehrt auf zentrale Orte mit großräumigen Fernverkehrsachsen von Schiene und Straße.

Die Einschätzung, dass der Werra-Meißner-Kreis insgesamt nicht als Vergleichsraum im Sinne eines räumlichen Bereichs mit homogenem Lebens- und Wohnbereich in Betracht kommt, teilt letztlich auch die Firma H. als Konzeptersteller. Sie führt auf Seite 15 des Konzepts an, der Werra-Meißner-Kreis verfüge über keinen einheitlichen Wohnungsmarkt und weise größere regionale Unterschiede auf (vgl. hinsichtlich weiterer von der Fa. H. erarbeitete Konzepte für den Landkreis Harz LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 31. Januar 2018 – L 5 AS 201/17; für den Landkreis Börde LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. April 2018 – L 5 AS 408/17; für den Salzlandkreis LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 7. März 2018 – L 5 AS 376/16; dagegen für die Kreis Pinneberg Schleswig-Holsteinische LSG, Urteil vom 31. Januar 2017 – L 6 AS 135/15; siehe auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. November 2016 – L 3 AS 137/14; Thüringer LSG, Urteil vom 8. Juli 2015 – L 4 AS 718/14). Diese Erkenntnis wird aber nicht bei der Bildung des abstrakt-generellen Vergleichsraums in das Konzept eingearbeitet, sondern soll erst bei der konkret-individuellen Betrachtung Berücksichtigung finden.

Zur Überzeugung des Senats steht damit fest, dass der Werra-Meißner-Kreis nicht geeignet ist, in seiner Gesamtheit als einheitlicher Vergleichsraum zu dienen. Er ist vielmehr in mindestens zwei getrennte Vergleichsräume aufzuteilen.

Vorliegend können auch durch den Senat selbst im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht keine hinreichenden Feststellungen zur Bestimmung des Vergleichsraumes getroffen werden (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 61/12 R Rn. 22). Es kann damit nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, ob die Aufteilung des Werra-Meißner-Kreises in (nur) zwei Vergleichsräume ausreichend wäre oder ob es sachgerechterweise angezeigt wäre, eine feinere Gliederung des Werra-Meißner-Kreises orientiert an den politischen Gemeinden oder an Zusammenfassungen mehrerer politischer Gemeinden mit homogener Infrastruktur vorzunehmen.

Zunächst ist es ist im Wesentlichen Sache des Grundsicherungsträgers, für seinen Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet er ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf. eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Im Hinblick darauf hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 2. September 2015 (Bl. 121 der Gerichtsakte) "Rohdaten" betreffend die Mietwerterhebung aus dem Jahr 2013 übermittelt.

Diese Rohdaten in tabellarischer Form sind überschrieben mit "Bestandsmieten", "Angebotsmieten" sowie "kalte Betriebskosten" und enthalten Datenerhebungen zu einer Vielzahl von Unterkünften im Werra-Meißner-Kreis, wobei jeweils der Ort der Wohnung, die Wohnfläche, die Nettokaltmiete, Mietvertragsbeginn, ggf. die letzte Mietänderung und die Betriebskosten je Quadratmeter erhoben wurden. Insoweit ist allerdings bereits zweifelhaft, ob die Rohdaten tauglich für eine valide Datenerhebung sind. Einer großen Anzahl von Bestandsmieten (insgesamt 18 Tabellenseiten) steht nur eine vergleichsweise kleine Anzahl von Angebotsmieten gegenüber (insgesamt 5 Tabellenseiten). Hinzu kommt, dass für die Orte Großalmerode und Hessisch Lichtenau, also den unmittelbaren Einzugsbereich der Klägerin, gerade einmal 12 aufgeführte Angebotsmieten den Wohnungsgrößenbereich, der für die Klägerin von Relevanz wäre, beträfen. Es liegt nahe, dass bei einer so geringen Menge an betrachteten Angebotsmieten eine statistische Signifikanz nicht erreicht ist. Alleine die übersandten Rohdaten lassen daher keinen Schluss zu, ob die Daten einen tatsächlichen Schluss auf einen statistisch valide hergeleiteten Durchschnittswert zulassen oder ob Zufallsergebnisse zu Verzerrungen führen. Dies wäre statistisch-mathematisch durch einen Signifikanztest nachzuweisen. Hierfür genügt die primär durchgeführte Extremwertkappung (vgl. S. 28 ff. des Konzepts des Beklagten) bei einer derart geringen Wohnungsanzahl nicht. Eine weitere wertende Validierung, die aber dem Konzept nicht zu entnehmen ist, wäre erforderlich und darzustellen gewesen.

Diese Rohdaten betreffen allein die "Mietwerterhebung" und beziehen sich deshalb nicht auf die Vergleichsraumbildung, sondern auf die Frage, wie viel für eine abstrakt angemessene Wohnung aufzuwenden gewesen ist. Daten zur Vergleichsraumbestimmung wurden vom Beklagten nicht übermittelt und sind auch sonst für das Gericht nicht verfügbar. Nicht tauglich hierfür sind insbesondere die dem Konzept zugrundeliegenden Rohdaten bzw. deren Auswertung im Rahmen der Wohnungsmarkttypen, da diese keine Rückschlüsse auf die räumliche Zuordnung homogener Wohn- und Lebensverhältnisse im Werra-Meißner-Kreis zulassen. Sie sind vielmehr nur geeignet, die rein monetäre Verteilung von Bestands- und Angebotsmieten im Werra-Meißner-Kreis räumlich zu betrachten. Ob aber zwischen den einzelnen Wohnungsmarkttypen unter sozialen oder persönlichen Gesichtspunkten ein Umzug zumutbar wäre, lässt sich aus diesen Daten nicht ableiten. Hierfür wäre eine ausführlichere, nicht nur preisliche Analyse der Wohn- und Lebensverhältnisse einschließlich der infrastrukturellen Gegebenheiten des Werra-Meißner-Kreises zum streitgegenständlichen Zeitraum erforderlich.

Dem Gericht liegen damit keinerlei Daten vor, auf deren Grundlage sich Feststellungen zur Bildung des Vergleichsraumes treffen lassen bzw. die als Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten (vgl. Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 22 Rn. 105) herangezogen werden könnten.

Hinsichtlich der Tatsachen, die für die Bildung eines Vergleichsraums erforderlich wären, liegt damit ein vollständiger Erkenntnisausfall vor. Die vorliegenden Daten genügen nicht, damit das Gericht selbst in die Lage versetzt wäre, hieraus ein schlüssiges Konzept im o.g. Sinne zu errichten. Dazu müssten nähere, über den vorliegenden Regionalplan hinausgehende Daten ermittelbar sein, die die Bildung von Vergleichsräumen zuließen. Hierfür müsste das Gericht in die Lage versetzt werden, Daten zur Infrastruktur, zu verkehrstechnischen Verbindungen und zur Homogenität des Lebens- und Wohnbereichs insgesamt in eine Gesamtbetrachtung der räumlichen Gegebenheiten einzustellen. Erkenntnisquellen hierfür sind weder vorgetragen noch für das Gericht ersichtlich (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 21. November 2018 – L 6 AS 185/18). Die hierfür erforderlichen Ermittlungen wären unverhältnismäßig aufwändig (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 61/12 R Rn. 23). Dies gilt umso mehr, als die Betrachtung retrospektiv zu erfolgen hätte. Insbesondere die zwei im Konzept angelegten Wohnungsmarktypen sind nicht geeignet, als Vergleichsraum zu dienen. Sie sind bereits vom Konzeptersteller aufgrund anderer Kriterien zusammengestellt worden und sollen nur eine empirische Differenzierung der Angebotsstruktur abbilden; sie bilden die Wohnungen also kostenseitig und nicht örtlich ab. Auch sie sind zudem in ihrer räumlichen Aufteilung (vgl. Bl. 20 des Konzepts) zu heterogen aufgeteilt, um einen einheitlichen Wohn- und Lebensraum bilden zu können. Die Amtsermittlungspflicht der Tatsacheninstanzen ist aber in diesen Fällen begrenzt (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R Rn. 24).

Es fehlt mithin im Ergebnis mangels feststellbaren Vergleichsraums an einem schlüssigen Konzept für die Ermittlung der Mietobergrenze. Insoweit liegt deshalb ein Erkenntnisausfall vor.

Der Erkenntnisausfall hinsichtlich der angemessenen Referenzmiete macht den Rückgriff auf die Tabellenwerte des § 12 WoGG zuzüglich eines "Sicherheitszuschlags" nach generell-abstrakten Kriterien im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze erforderlich (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R Rn. 25).

Für die Gemeinde A-Stadt ist die Mietstufe I heranzuziehen. Die Berücksichtigung der Mietstufe I beruht auf dem Verfahren zur Festlegung der Mietstufen nach dem WoGG und den zugrunde zu legenden regionalen Gegebenheiten. § 12 Abs. 1 WoGG sieht monatliche Höchstbeträge für Miete und Belastung nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder und der jeweiligen Mietstufe vor. Gem. § 38 Nr. 2 WoGG sind Mietstufen festgelegt, die sich der Anlage zu § 1 Abs. 3 Wohngeldverordnung (WoGV) entnehmen lassen. Danach ist der Wohnort der Klägerin der Mietstufe I zugeordnet. Wegen der nur abstrakten, vom Einzelfall und den konkreten Umständen losgelösten Begrenzung der angemessenen Bruttokaltmiete im Wohngeldrecht, § 9 Abs. 1 WoGG, ist auf den jeweiligen Höchstbetrag der rechten Spalte der Tabelle zurückzugreifen und ein ,,Sicherheitszuschlag" unter Berücksichtigung genereller, abstrakter Kriterien in Höhe von 10 Prozent zu addieren (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 87/12 R Rn 25 f.). Bereits ohne Addition eines Sicherheitszuschlags ergibt sich unter Berücksichtigung der Mietstufe I eine Angemessenheitsobergrenze für die Bruttokaltmiete von 292,00 EUR, so dass jedenfalls der in der Berufung noch geltend gemachte Betrag im streitgegenständlichen Monat Juli 2014 bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist.

Im Übrigen – in Höhe von 10,00 EUR - hat die Klägerin die Klage nicht in der Berufung fortgeführt, sondern ihren Antrag explizit beschränkt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Es war insoweit zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Klage hinsichtlich 10,00 EUR in der Berufung nicht fortgeführt hat. Das diesbezügliche teilweise Unterliegen in erster Instanz fällt jedoch nicht so weit ins Gewicht, dass es bei der Kostenentscheidung einen Niederschlag finden musste.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved