L 8 KR 264/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 KR 413/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 264/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 10/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 12. April 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für Krankengymnastikbehandlungen des Sport- und physiotherapeutischen Instituts der Sportschule A-Stadt ab dem 15. Dezember 2009 bis 11. April 2016.

Der 1936 geb. Kläger beantragte am 28. Juli 2012 bei seiner damaligen Krankenkasse, der Deutschen BKK (welche im Verlauf des Klageverfahren mit der jetzigen Beklagten fusioniert hat; im Folgenden wird einheitlich die Bezeichnung Beklagte verwandt) unter Hinweis auf frühere, von der Beklagten abgelehnte Anträge die Kostenübernahme für "ärztlich frei verordnete und unverzichtbare" physio- und sporttherapeutische Einzel-Krankengymnastik (KG) in der Zeit ab November 2009. Dazu legte der Kläger u.a. ein Attest des Orthopäden Dr. C. vom 6. Juni 2012 vor, wonach es erforderlich sei, die mehrfach operierte Lendenwirbelsäule (LWS) mit akut bestehender LWS-Stenose L2/3 vorläufig unbefristet mit Physio-Einzel-KG sowie muskelstärkender sporttherapeutischer Einzel-KG zu versorgen. Hierzu erhalte der Kläger KG außerhalb des Regelfalls verordnet sowie zusätzlich ärztlich frei verordnete HWS-Einzel-KG, die der Kläger selbst finanziere.

Mit Bescheid vom 22. Oktober 2012 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für selbst finanzierte, zusätzliche KG unter Berufung auf ein nach Aktenlage erstelltes Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 15. Oktober 2010 ab, da die Behandlung der Wirbelsäulenproblematik im Rahmen der Heilmitteltherapie ausreichend möglich sei. Der Widerspruch des Klägers vom 26. Oktober 2012, zu dem dieser ältere ärztliche Unterlagen vorlegte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2013 zurück. Der MDK sei im Rahmen der Widerspruchsbegutachtung zu dem Ergebnis gelangt, dass die empfohlene Stabilisierung der Muskulatur mit entsprechenden Übungen und Training erreicht werden könne. Die notwendige Behandlung sei im vertraglichen Rahmen möglich.

Der Kläger hat am 13. November 2013 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben und die Kostenerstattung für privatärztlich verordnete Krankengymnastik begehrt; hierzu hat er zunächst Rechnungen des Sport- und physiotherapeutischen Instituts der Sportschule A Stadt vom 20. August 2012, 12. November 2012 und 10. Juni 2013 über jeweils 195, EUR vorgelegt. Später hat der Kläger die Klage auf die Erstattung weiterer Rechnungen des Sport- und physiotherapeutischen Instituts der Sportschule A-Stadt vom 15. Dezember 2009, 12. April 2010, 21. Juli 2010, 12. Oktober 2010, 31. Dezember 2010, 11. April 2011, 11. Juli 2011, 24. Oktober 2011, 16. Januar 2012, 2. April 2012, 28. Juni 2012, 18. März 2013, 20.August 2013, 20. August 2014, 9. Dezember 2014, 11. Mai 2015, 3. August 2015, 24. November 2015, 2. März 2016 und 11. April 2016 erweitert; alle diese Rechnungen lauten über jeweils 195,- EUR für 10x KG. Ergänzend hat der Kläger die dazu ausgestellten privatärztlichen Verordnungen von KG des Orthopäden Dr. C. vorgelegt, beginnend mit dem 22. Januar 2010.

Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, die Klage sei bereits unzulässig, soweit im Klageverfahren neue Rechnungen eingeführt würden, die nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen seien. Die behandelnden Ärzte hatten die Möglichkeit, dem Kläger alles Erforderliche auf Kassenrezept zu verordnen; dies umfasse auch die Verordnung von Leistungen der Physiotherapie außerhalb des Regelfalls ohne behandlungsfreie Intervalle zu Lasten der GKV. Die Beklagte hat ein Heilmittelverzeichnis vorgelegt, wonach dem Kläger in der Vergangenheit regelmäßig KG vertragsärztlich verordnet worden ist.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Sozialgericht ein Gutachten bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. D. eingeholt, welches dieser nach körperlicher Untersuchung des Klägers am 20. September 2016 erstattet hat. Der Sachverständige hat ausgeführt, bei dem Kläger bestehe eine Einschränkung der Schulterbeweglichkeit auf der rechten Seite, Verschleiß der Wirbelsäule, Bandscheibenleiden sowie eine kombinierte Funktionsstörung der Gebrauchs- und Belastungsfähigkeit der unteren Extremitäten, ausgelöst durch Hüft– und Kniegelenksverschleiß. Darüber hinaus bestehe eine Nervenschädigung im Sinne einer Polyneuropathie, die neurologisch abzuklären sei. Die Funktionsstörungen durch die Erkrankungen des Bewegungsapparats könnten durch übliche KG im Rahmen der Einzelverordnung gemäß den Heilmittel-Richtlinien behandelt werden, eine Langzeittherapie sei nicht erforderlich; ggf. könne auch eine manualtherapeutische Behandlung verordnet werden. Der Kläger sei durchaus in der Lage, erlernte Übungen alleine und eigenständig fortzuführen. Es lasse sich keine medizinische Begründung dafür geben, weshalb bei dem Kläger eine darüber hinausgehende physikalische Therapie erforderlich sei. Die von dem Kläger begehrte "Sporttherapie" beinhalte nach der Beschreibung des Klägers Übungen der KG in Einzeltherapie als auch vereinzelte Aspekte einer manualtherapeutischen Behandlung, was selbstverständlich vollständig verordnungsfähig sei, als auch ein Laufbandtraining, welches ebenfalls verordnungsfähig sei und im Übrigen auch im Rahmen des Rehabilitationssports erbracht werden könne. Auf Einwände des Klägers unter Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen hat der Sachverständige in einer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Dezember 2017 keine Notwendigkeit für eine Änderung seiner Bewertung gesehen. Die aus den noch vorgelegten Befunden sich ergebende Diagnose einer myasthenia gravis bedinge ggf. Einzel-KG, abgestellt auf die Erkrankung des ZNS, jedoch sei dies ebenfalls im Rahmen der normalen vertragsärztlichen Versorgung zu verordnen.

Mit Gerichtsbescheid vom 12. April 2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Streitgegenständlich seien maximal die auf den Antrag des Klägers vom 28. Juli 2012 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids abgerechneten Behandlungen mit Rechnungen vom 20. August 2012, 12. November 2012 und 10. Juni 2013. Diese KG sei weder als Heilmittelbehandlung noch als Reha-Behandlung noch als Präventionsleistung erforderlich gewesen, wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. D. ergebe. Der von dem Kläger im laufenden Verfahren erweiterte Klageantrag zu 2), der Rechnungen von Ende 2009 bis weit ins Jahr 2015 umfasse, sei unzulässig. Zum einen lägen, was die Vergangenheit betreffe, von der Beklagten erteilte Ablehnungsbescheide vor, die bestandskräftig geworden seien. Zum anderen fehle es, auch soweit es um die Notwendigkeit einer zweimal wöchentlichen krankengymnastischen Einzeltherapie auf neuropsychologischer Grundlage wegen der zwischenzeitlich diagnostizierten Myasthenia gravis gehe, an einem entsprechenden Antrag an die Beklagte und an dem erforderlichen Vorverfahren.

Gegen das am 19. April 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Mai 2018 Berufung eingelegt. Der Senat hat mit Beschluss vom 26. September 2018 die Berufung dem Berichterstatter des Senats übertragen.

Der Kläger wiederholt seinen bisherigen Vortrag.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 12. April 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Rücknahme ihres Bescheids vom 28. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2010 dem Kläger die Kosten für Leistungen des Sport- und physiotherapeutischen Instituts der Sportschule A-Stadt gemäß Rechnungen vom 15. Dezember 2009, 12. April 2010, 21. Juli 2010, 12. Oktober 2010, 31. Dezember 2010, 11. April 2011, 11. Juli 2011, 24. Oktober 2011, 16. Januar 2012, 2. April 2012, 28. Juni 2012, 18. März 2013, 20. August 2013, 20. August 2014, 9. Dezember 2014, 11. Mai 2015, 3. August 2015, 24. November 2015, 2. März 2016 und 11. April 2016 in Höhe von insgesamt 4.140,- EUR zu erstatten,
hilfsweise,
dem Kläger einen Kostenzuschuss zu den vorbezeichneten Rechnungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Kläger hat den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 24. September 2010 betreffend einen Zuschuss für Behandlungen in der Sportschule A Stadt in der Zeit vom 10. September 2009 bis 2. März 2010 sowie diverse weitere Schreiben der Beklagten aus den Jahren 2010 bis 2012 vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 26. September 2018 über die Berufung in der Besetzung mit dem Vorsitzenden als Berichterstatter und den ehrenamtlichen Richtern (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Leistungen des Sport- und physiotherapeutischen Instituts der Sportschule A-Stadt in den geltend gemachten Zeiträumen; ebenso wenig kommt ein Kostenzuschuss in Betracht.

Die Klage ist – entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts – in vollem Umfang zulässig. Soweit der Kläger Kostenerstattungsansprüche bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 18. Oktober 2013 verfolgt, entspricht das seinem ausdrücklichen Antrag im Schreiben vom 28. Juli 2012, mit dem er einen umfassenden Antrag auf Kostenübernahme für die vom ihm begehrte Einzel-KG stellte, der sich nicht nur auf laufende, sondern auch auf die in der Vergangenheit ab November 2009 bereits durchgeführten Behandlungen bezog; durch die Vorlage der entsprechenden Rechnungen aus der Zeit ab Dezember 2009 im Verlauf des Klageverfahren hat er insoweit den Streitgegenstand nicht verändert, sondern lediglich konkretisiert. Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte mit Bescheid vom 28. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2010 den Antrag des Klägers auf einen Zuschuss für Behandlungen in der Sportschule A-Stadt in der Zeit vom 10. September 2009 bis 2. März 2010 bereits abschlägig beschieden hatte. Insoweit muss das Schreiben des Klägers vom 28. Juli 2012 als Überprüfungsantrag im Sinne von § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ausgelegt werden, mit dem der Kläger eine nochmalige Überprüfung der Ablehnungsentscheidung begehrte und worüber die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden sachlich mitentschieden hat (vgl. dazu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 2/08 R –, juris Rn. 16 f).

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) aber auch insoweit zulässig, als der Kläger seinen Kostenerstattungsanspruch auf nach Erlass des Widerspruchsbescheids entstandene Kosten erstreckt hat. Insoweit bedurfte es keiner weiteren Verwaltungsentscheidung der Beklagten als Voraussetzung eines sozialgerichtlichen Verfahrens. Denn der Kläger begehrte mit der Klage neben der Kostenerstattung für in der Vergangenheit stattgefundene Behandlungen mit zusätzlicher Einzel-KG auch die Verurteilung der Beklagten, ihm diese Behandlung zukünftig – als Sachleistung der GKV– zu erbringen. Das war bereits Gegenstand seines Antrags im Verwaltungsverfahren und ergibt sich ebenfalls aus seinem Klagevortrag, der zeigt, dass der Kläger die regelmäßige wöchentliche Behandlung mit Einzel-KG als unverzichtbar für seine Gesunderhaltung ansah und dies als Dauerleistung von der Beklagten begehrte. Damit stand dem Kläger aber die prozessuale Möglichkeit offen, die im Verlaufe des Klageverfahrens aufgrund weiterer Behandlungsabschnitte entstandenen Kosten geltend zu machen. Denn als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird (§ 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG). So liegt es bei der Umstellung eines Sachleistungsbegehrens auf einen Kostenerstattungsanspruch (BSG, Urteil vom 24. April 2018 – B 1 KR 10/17 R –, juris Rn. 8).

Die Klage ist jedoch nicht begründet, denn die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs gegen die Beklagte sind nicht erfüllt.

Nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) - in der hier anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung durch Gesetz vom 22. Juni 2001 (BGBl. 2001 Nr. 27, S. 1046) – gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 15 des Neunten Buches erstattet.

Hiernach kann sich ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers nur auf der Grundlage von § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V ergeben, da der Kläger keine Kostenerstattung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, sondern für ein Heilmittel in Form von Einzel-KG als Leistung bei Krankheit (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i.V.m. § 32 Abs. 1 SGB V) begehrt. Das ergibt sich aus den entsprechenden privatärztlichen Verordnungen von Einzel-KG der Praxis Dr. C., den Rechnungen des Sport- und physiotherapeutischen Instituts der Sportschule A-Stadt über diese Leistung und dem entsprechenden Antrag des Klägers.

Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V liegen nicht vor.

Die von dem Kläger in Anspruch genommene Einzel-KG war zunächst nicht unaufschiebbar im Sinne von § 13 Abs. 3 S. 1, 1. Alt. SGB V. Dies setzt voraus, dass der angestrebte Behandlungserfolg bei einem Abwarten der Entscheidung der Krankenkasse nicht mehr eintreten kann oder dass ein weiteres Zuwarten – z.B. wegen der Intensität der Schmerzen - nicht mehr zumutbar ist (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 30/15 R –, juris Rn. 17). Im Zeitpunkt des hier maßgeblichen Antrags vom Juli 2012 lag eine solche Unaufschiebbarkeit nicht vor. Der Kläger erhielt nach den vorliegenden Heilmittelübersicht auch zu diesem Zeitpunkt KG im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung; es war ihm zumutbar, hinsichtlich der Bewilligung zusätzlicher Einzel-KG die Entscheidung der Beklagten abzuwarten. Im Übrigen sind Leistungen, auf die kein Anspruch besteht, schon mangels Notwendigkeit nicht dringlich (BSG a.a.O.). Auf die begehrte zusätzliche Einzel-KG hatte der Kläger jedoch – wie im Folgenden noch darzustellen – keinen materiell-rechtlichen Anspruch.

Die Beklagte hat aber auch keine Leistung zu Unrecht abgelehnt (§ 13 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. SGB V).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (u.a. Urteil vom 20. Mai 2003, Az. B 1 KR 9/03 R), der sich der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, gewährt § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V einen Erstattungsanspruch nur im Ausnahmefall, (1.) wenn eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte oder (2.) wenn die Krankenkasse die Erbringung einer medizinisch notwendigen Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Dabei geht der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter als der ursprüngliche Sachleistungsanspruch.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht. Daran fehlt es bereits, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. Daran fehlt es aber auch, wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte (BSG, Urteil vom 8. September 2015 – B 1 KR 14/14 R –, juris Rn. 9). Das mit einer Entscheidung der Krankenkasse abzuschließende Verwaltungsverfahren stellt weder einen "Formalismus" in dem Sinne dar, dass es ganz entbehrlich ist (vgl. dazu BSGE 98, 26, juris Rn. 12), noch in dem Sinne, dass es zwar durchlaufen werden muss, aber der Versicherte nicht gehalten ist, die Entscheidung der Krankenkasse in seine eigene Entscheidung inhaltlich einzubeziehen, sondern den Abschluss des Verwaltungsverfahrens nur "formal" abwarten muss, jedoch schon vorbereitende Schritte einleiten darf, die Ausdruck seiner Entschlossenheit sind, sich die Leistung in jedem Fall endgültig zu verschaffen. § 13 Abs. 3 S 1 Fall 2 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der GKV gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die Krankenkasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (vgl. BSGE 98, 26, juris Rn. 12). Diese Zwecke der Vorbefassung der Krankenkasse mit dem Leistungsbegehren des Versicherten werden durch dessen Vorfestlegung vereitelt (BSG, Urteil vom 8. September 2015 – B 1 KR 14/14 R –, juris Rn. 10).

Vorliegend hat der Kläger vor Inanspruchnahme der zusätzlichen KG-Behandlungen im Sport- und physiotherapeutischen Instituts der Sportschule A-Stadt im Zeitraum von Dezember 2009 bis Juli 2012 die Beklagte mit einem dahingehenden Leistungsbegehren nicht in dem dargelegten Sinne rechtzeitig befasst. Für die in der Zeit vom 10. September 2009 bis 2. März 2010 wahrgenommenen Behandlungen hat er einen Antrag bei der Beklagten am 8. April 2010 und damit zeitlich erst nach Durchführung der Behandlungen gestellt; hierauf hat die Beklagte bereits in ihrem Widerspruchsbescheid vom 24. September 2010 zutreffend hingewiesen. Anschließend hat der Kläger zwar noch mehrfach (u.a. Schreiben vom 19. Oktober 2010 und 4. Februar 2011) seinen Unmut über die ablehnenden Bescheide bekundet, allerdings keinen zukunftsbezogenen Neuantrag unter Vorlage aktueller ärztlicher Verordnungen gestellt; dies erfolgte erst mit dem streitgegenständlichen Antrag vom 28. Juli 2012.

Die Beklagte hat das Begehren des Klägers auf Kostenübernahme aber auch nicht, wie es § 13 Abs. 3 SGB V fordert, zu Unrecht abgelehnt. Der Kläger hatte im gesamten streitigen Zeitraum materiell-rechtlich keinen Anspruch auf zusätzliche Einzel-KG als Sachleistung der GKV. Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Heilmitteln, soweit sie nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind (§ 32 Abs. 1 SGB V). Der Anspruch wird durch das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V begrenzt: Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (S. 2).

Vorliegend hatte der Kläger schon deshalb keinen Anspruch auf die begehrte zusätzliche Einzel-KG, weil ihm diese nicht auf Kassenrezept ärztlich verordnet worden ist. Die Vorschrift des § 32 SGB V begründet keinen unmittelbar durchsetzbaren Anspruch auf Versorgung mit einem Heilmittel, sondern beinhaltet lediglich ein ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht. Der Versicherte kann ein bestimmtes Mittel erst beanspruchen, wenn es ihm in Konkretisierung des gesetzlichen Rahmenrechts vom Vertragsarzt als ärztliche Behandlungsmaßnahme verschrieben wird. Das ist in § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V dadurch klargestellt, dass alle ärztlichen Verordnungen zum Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung erklärt werden; nur in deren Rahmen sind die gesetzlichen Krankenkassen zur Versorgung ihrer Versicherten mit entsprechenden Mitteln verpflichtet. Für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V gilt grundsätzlich nichts anderes: Das Recht zur Selbstbeschaffung reicht nur so weit, wie es zur Überwindung der den Anspruch begründenden Lücke in der Versorgung des Versicherten (Systemversagen) erforderlich ist. Da sich der Versicherte ohne ärztliche Bestätigung der Notwendigkeit mit einem Heilmittel zu Lasten der Krankenkasse nicht versorgen kann, ist die ärztliche Verordnung auch im Rahmen des § 13 Abs. 3 SGB V erforderlich (BSG, Urteil vom 19. November 1996 – 1 RK 15/96 –, juris Rn. 15 f). Allerdings hat das BSG dies an selber Stelle dahingehend eingeschränkt, dass auf der Verwendung eines Rezeptformulars der gesetzlichen Krankenkassen im Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3 SGB V nicht bestanden werden könne, weil das "Systemversagen" gerade darin bestehe, dass die Sachleistung nicht erbracht und deshalb ein Kassenrezept nicht ausgestellt werden dürfe, so dass in einem solchen Fall auch eine anderweitige (privat-)ärztliche Verordnung ausreiche (BSG a.a.O.). Diese Ausführungen beziehen sich allerdings auf die Situation, dass eine von dem Versicherten begehrte medizinische Leistung seitens der Krankenkasse nicht erbracht werden kann, weil sie im Leistungskatalog der GKV nicht vorgesehen ist und deshalb auf Kassenrezept nicht verordnet werden kann. Der vorliegende Fall liegt anders: Dem Kläger sind durch seinen behandelnden Arzt Dr. C. jeweils privatärztliche Verordnungen über die begehrte Einzel-KG ausgestellt worden, obwohl die prinzipielle Möglichkeit einer Verordnung als Sachleistung bestand. Denn Dr. C. hat dem Kläger wiederholt bestätigt, dass er die Durchführung der zusätzlichen Einzel-KG für erforderlich halte. Im Rahmen des Katalogs der Heilmittelrichtlinien wäre es, worauf die Beklagte hingewiesen und was auch der gerichtliche Sachverständige Dr. D. bestätigt hat, dann aber ohne weiteres möglich gewesen, dem Kläger im Rahmen des Heilmittelkatalogs entsprechende vertragsärztliche Verordnungen (z.B. über KG außerhalb des Regelfalls, manuelle Therapie usw.) auszustellen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Dr. C. auf die Ausstellung von vertragsärztlichen Verordnungen nur deshalb verzichtet hat, weil er von der medizinischen Indikation der von dem Kläger begehrten speziellen Form zusätzlicher Einzel-KG in Wirklichkeit nicht überzeugt war und sich der mit der Ausstellung von Kassenrezepten verbundenen Gefahr eines Regresses wegen unwirtschaftlichem Verhalten (vgl. § 106 SGB V) nicht aussetzen wollte. Eine derartige Vorgehensweise ist insbesondere vor dem Hintergrund des in § 32 Abs. 1a SGB V (in der hier maßgebenden, ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der GKV vom 22. November 2011) geregelten besonderen Verwaltungsverfahrens unzulässig. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte mit langfristigem Behandlungsbedarf die Möglichkeit, sich auf Antrag die erforderlichen Heilmittel von der Krankenkasse für einen geeigneten Zeitraum genehmigen zu lassen; das Nähere, insbesondere zu den Genehmigungsvoraussetzungen, regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6. Erforderlich ist insoweit, wie sich aus § 73 Abs. 2 Nr. 3 SGB V und der Regelung in § 8 Heilmittelrichtlinie ergibt, eine entsprechende besonders begründete vertragsärztliche Verordnung. Damit hat der Vertragsarzt die Möglichkeit, dem Patienten ein entsprechendes Kassenrezept auszustellen mit der Maßgabe, dieses der Krankenkasse zur Genehmigung vorzulegen. Dies stellt sicher, dass der Vertragsarzt die ihm obliegende Verantwortung für das Behandlungsgeschehen übernimmt, und ermöglicht eine Überprüfung des Leistungsanspruchs durch die Krankenkasse in dem dafür vorgesehenen gesetzlichen Rahmen.

Der Kläger hatte auf zusätzliche Einzel-KG aber auch materiell-rechtlich keinen Anspruch, weil die von ihm damit begehrte Versorgung mit Heilmitteln das Maß des Notwendigen überschritt. Dem Kläger ist, wie sie sich aus der von der Beklagten vorgelegten Heilmittelübersicht ergibt, in dem gesamten streitigen Zeitraum ab 2009 durch seine behandelnden Ärzte in erheblichen Umfang KG als Heilmittel ärztlich verordnet und zu Lasten der Beklagten erbracht worden. Die gesundheitliche Situation des Klägers erforderte zur Überzeugung des Senats keine Leistungen, die nicht auch im vertraglichen Rahmen hätten erbracht werden können. Der gerichtliche Sachverständige Dr. D. hat in dem auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholten Gutachten schlüssig dargelegt, dass sich für die spezielle Form der Einzel-KG, die der Kläger in Anspruch genommen hat, keine sozialmedizinische Begründung geben lässt. Die von dem Kläger begehrte "Sporttherapie" beinhalte nach der Beschreibung des Klägers Übungen der KG in Einzeltherapie als auch vereinzelte Aspekte einer manualtherapeutischen Behandlung, was nach den Darlegungen des Sachverständigen selbstverständlich vollständig verordnungsfähig war, als auch ein Laufbandtraining, welches ebenfalls verordnungsfähig war und im Übrigen auch im Rahmen des Rehabilitationssports hätte erbracht werden können. Vor diesem Hintergrund wären bei dem Kläger Verordnungen im Rahmen des Heilmittelkatalogs sowohl zulässig als auch ausreichend gewesen. Dem Kläger wäre es nach den Ausführungen des Sachverständigen zudem durchaus möglich gewesen, unter entsprechenden therapeutischen Maßnahmen und entsprechender Anleitung das Übungsprogramm sowohl für die Erkrankungen von Seiten der Wirbelsäule als auch der unteren Extremitäten zu erlernen und in Eigenregie durchzuführen; eine Kontraindikation konnte der Sachverständige auch unter Berücksichtigung der Angaben der behandelnden Ärzte nicht feststellen. Aus den vorgelegten Attesten und Bescheinigungen der behandelnden Ärzte ergeben sich insoweit insgesamt keine Gründe, die einer Verordnung von KG im normalen vertragsärztlichen Rahmen entgegengestanden hätten. Bei entsprechender Indikation hätte den behandelnden Ärzten die Möglichkeit offen gestanden, dem Kläger KG als Langzeitverordnung außerhalb des Regelfalls zu verordnen, so dass eine laufende Behandlung ohne behandlungsfreie Intervalle möglich gewesen wäre. Zusammengefasst gab es damit keinen Grund für die Inanspruchnahme zusätzlicher Einzel-KG außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung, für welche die Beklagte wegen eines "Systemversagens" der GKV einzustehen hätte.

Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers schließlich nicht deshalb zu Unrecht abgelehnt, weil dieser aufgrund gesetzlicher Fiktion als genehmigt gegolten hätte.

Nach der bereits zitierten Regelung in § 32 Abs. 1a SGB V ist über Anträge auf langfristige Heilmittelversorgung innerhalb von vier Wochen zu entscheiden; ansonsten gilt die Genehmigung nach Ablauf der Frist als erteilt (S. 3). Wie bereits oben dargelegt, ist dieses Verfahren vom Vorliegen einer entsprechenden vertragsärztlichen Verordnung abhängig, an der es im Fall des Klägers fehlte; Dr. C. hat dem Kläger stets Privatrezepte ausgestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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