L 6 AS 507/14 KL

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 507/14 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die zivilrechtlich geprägten Grundsätze des kausalen Anerkenntnis- und Verzichtsvertrags auch auf öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse anwendbar.

2. Das sich aus § 6b Abs. 3 SGB II ergebende Aufsichts- und Prüfungsrecht der zuständigen Landesbehörden und des Bundesrechnungshofs steht einem kausalen Anerkenntnis bzw. Verzicht nicht entgegen.

3. Kein gesetzliches Verbot, aber dennoch eine Pflicht, die von der Verwaltung zu beachten sind und die einem öffentlich-rechtlichen Vertragsschluss entgegenstehen kann, ist das Gebot einer wirtschaftlichen Mittelverwendung. Eine sparsame Mittelverwendung kann gerade durch den Abschluss eines Vergleichs- oder Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag bewirkt werden, wenn der Vertrag der Ressourceneinsparung dient.

4. Objektiv eindeutige Willenserklärungen sind einer Anfechtung wegen eines Inhaltsirrtums nicht zugänglich. Fehlvorstellungen über ihren Grund oder Zweck bzw. ihre tatsächlichen Auswirkungen stellen nur einen unbeachtlichen Motivirrtum dar.
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird endgültig auf 2.500.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Zahlung von 3.208.594,24 EUR für Kosten der Eingliederung in Arbeit, die der Kläger in den Haushaltsjahren 2006 bis 2008 als zugelassener kommunaler Träger an Stelle der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gem. § 6a Abs. 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Verbindung mit Art. 106 Abs. 8 Grundgesetz (GG) erbracht hat.

Der Kläger ist zugelassener kommunaler Träger gem. § 6a Abs. 6 SGB II in Verbindung mit Art. 106 Abs. 8 Grundgesetz GG. Er bediente sich in den Haushaltsjahren 2005 bis 2008 der Gemeinnützigen Gesellschaft für Arbeit, Qualifizierung und Ausbildung mbH als Eigengesellschaft für die Erbringung der sich daraus ergebenden Aufgaben.

Für das Haushaltsjahr 2006 erstellte der Kläger eine Schlussrechnung vom 30. April 2007, die er unter dem 24. September 2009 korrigierte, und übersandte sie der beklagten Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Für die Haushaltsjahre 2007 und 2008 erstellte der Kläger unter dem 17. und 18. Dezember 2009 Schlussrechnungen und übersandte sie an die Beklagte.

Mit Schreiben vom 13. November 2009 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit für das Haushaltsjahr 2006 in einer Gesamthöhe von 1.176.598,53 EUR und mit Schreiben vom 17. Februar 2010 für die Haushaltsjahre 2007 und 2008 in Höhe von 2.031.995,71 EUR ab. Inhaltlich beanstandete die Beklagte die Höhe der vom Kläger angesetzten Trägerkostenpauschale (betrifft nur das Jahr 2006), die fehlende Zusätzlichkeit einzelner Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, die Nichtabsetzung von Einnahmen und die Berücksichtigungsfähigkeit der Maßnahme "Berufschancen für Alleinerziehende" im Rechtskreis des SGB II (betrifft nur die Jahre 2007 und 2008). Die Schreiben schließen jeweils mit folgendem Schlussabsatz: "Mit diesem Schreiben kann die Prüfung der Schlussrechnungen [ ...] abgeschlossen werden. Soweit sich nachträglich oder zukünftig (z.B. durch Vorort-Prüfungen durch das BMAS) Erkenntnisse ergeben, [ ...] behält sich der Bund die Geltendmachung etwaiger Erstattungsansprüche vor."

Mit Schreiben vom 25. Februar 2010 teilte der Landrat des klagenden A. wörtlich folgendes mit: "[ ...] mit Ihrem Schreiben vom 17.02.2010 bitten Sie uns um Anerkennung der vom BMAS gewählten Prüfsystematik und der Prüfergebnisse für die Jahre 2006 bis 2008. In Anbetracht der bisher bereits aufgewendeten und nicht mehr vertretbaren Arbeits- und Zeitressourcen sowie zur Vermeidung einer Fortsetzung des Verfahrens in der erlebten Art und Weise mit ungewissem Ausgang und keineswegs klarer rechtlicher Erwartung, erklären wir uns ausnahmsweise mit der Anerkennung der Prüfergebnisse für die Jahre 2006 bis 2008 einverstanden. Wie bereits [ ...] erörtert, erfolgt unsere Anerkennung in der Erwartung, dass unsere Jahresrechnungen 2006 – 2008 damit auch tatsächlich abgeschlossen sind und keine weiteren nachträglichen ergänzenden Prüfungen seitens des BMAS erfolgen. Ungeachtet dessen ergreifen wir die Gelegenheiten, noch einmal kurz auf unsere anderweitigen Positionen zu den Prüfergebnissen einzugehen [ ...]." In der Folge werden nun die drei einzelnen, nicht vom Kläger geteilten Rechtsauffassungen der Beklagten dargestellt.

Das Schreiben endet schließlich mit folgenden Ausführungen: "[ ...] Nichtsdestotrotz tolerieren wir die Schlussergebnisse Ihrer Prüfung. Wir bitten Sie somit um Erstattung des dem A. zustehenden Betrages in Höhe von 156.234,52 EUR unter Angabe des Verwendungszweckes "Restzahlung Jahresabschlüsse 2006-2008" [ ...]."

Für das Jahr 2006 hatte der Kläger für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit insgesamt 11.711.267,67 EUR verausgabt. Anerkannt hatte die Beklagte 10.534.669,14 EUR. Im Rahmen des sog. HKR-Verfahrens hatte der Kläger für das Jahr 2006 insgesamt 11.075.139,78 EUR abgerufen. Den Differenzbetrag zwischen den anerkannten 10.534.669,14 EUR und den abgerufenen 11.075.139,78 EUR in Höhe von 540.470,64 EUR hatte die Beklagte im Zuge der Abrechnung der Ausgaben des Klägers für die Jahre 2007 und 2008 verrechnet.

Für die Jahre 2007 und 2008 hatte der Kläger für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit insgesamt 20.723.780,59 EUR (=10.848.317,97 EUR für 2007 und 9.875.462,62 EUR für 2008) verausgabt. Die Beklagte hatte hiervon 18.691.784,88 EUR anerkannt. Im sog. HKR-Verfahren hatte der Kläger insgesamt 20.148.317,97 EUR abgerufen. Den Differenzbetrag zwischen dem anerkannten und dem abgerufenen Betrag in Höhe von 1.456.533,09 EUR hatte die Beklagte gemeinsam mit dem Differenzbetrag aus dem Jahr 2006 mit einer zwischen den Beteiligten unstreitigen Erstattungsforderung für "Verwaltungskosten" in Höhe von insgesamt 2.153.238,25 EUR verrechnet.

Die Beklagte zahlte im Nachgang 156.234,52 EUR an den Kläger aus (vgl. Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 8. April 2014 S. 4). Die Differenz aus dem von der Beklagten anerkannten Betrag für die Jahre 2006 bis 2008 und dem vom Kläger angemeldeten Betrag für diesen Zeitraum in Höhe von 3.208.594,24 EUR (= 1.176.598,53 EUR betreffend das Jahr 2006 und 2.031.995,71 EUR betreffend die Jahre 2007 und 2008) ist weiter offen.

Am 24. Juni 2014 hat der Kläger Klage zum Hessischen Landessozialgericht erhoben. Er meint, ihm stehe ein Anspruch auf Erstattung von 3.208.594,24 EUR gegen die Beklagte zu. Anspruchsgrundlage sei der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Die Beklagte sei verpflichtet auch die Aufwendungen des Klägers in dieser Höhe anzuerkennen und dessen Kosten auszugleichen. Der Anspruch des Klägers ergebe sich aus der Verwaltungsvereinbarung des Klägers und der Beklagten vom 21. Dezember 2004. Im Einzelnen seien die Maßnahmen mit Mehraufwandsentschädigungen und die Maßnahme "Berufschancen für Alleinerziehende" nicht zu beanstanden. Zudem seien Einnahmen des Klägers aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Landesmitteln nicht in Abzug zu bringen.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.208.594,24 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie meint, der Kläger habe ein "kausales Schuldanerkenntnis" abgegeben. Dieses stelle einen selbständigen Rechtsgrund hinsichtlich des rechtlichen Schicksals der streitgegenständlichen 3.208.594,24 EUR dar.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2019 hat der Klägervertreter erklärt, die in dem Schreiben des Landrats des Kläger enthaltene Erklärung wegen Irrtums anzufechten.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Hessische Landessozialgericht gem. § 29 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstinstanzlich zuständig.

Der Zulässigkeit steht ferner im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Beklagten nicht entgegen, dass sich aus dem konkretisierenden Schriftsatz des Klägers vom 16. Juli 2018 ergibt, dass er teilweise nicht abgerufene Aufwendungen gem. § 6b Abs. 2 SGB II geltend macht und teilweise im Wege des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs mit anderen Ansprüchen verrechnete Aufwendungen verlangt. Es handelt sich insoweit nicht um eine Klageänderung, § 99 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Eine Klageänderung nach § 99 SGG beinhaltet eine Änderung des rechtshängigen Streitgegenstandes, somit - ausgehend von dessen sich auch in § 92 Abs. 1 SGG wiederfindenden Zweigliedrigkeit - entweder des prozessualen Anspruchs (Klageantrag) oder des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts (Klagegrund). Vorliegend wurden durch den Schriftsatz vom 16. Juli 2018 weder der Klageantrag noch der Klagegrund geändert. Aus dem Klagegrund leitet der Kläger die von ihm begehrte Rechtsfolge her (Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 99 SGG, Rn. 8). Zum Klagegrund rechnen dabei alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören. Die Identität des Klagegrundes wird aufgehoben, wenn durch neue Tatsachen der Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts verändert wird, wobei die Abweichung einer gewissen Erheblichkeit bedarf; eine Ergänzung oder Berichtigung der tatsächlichen Angaben (im Detail) fällt hingegen unter § 99 Abs. 3 Nr. 1 SGG und stellt daher keine Änderung des Klagegrundes dar. Eine solche Ergänzung stellt in diesem Fall der Schriftsatz vom 16. Juli 2018 dar. Er ist die Reaktion des Klägers auf die Aufklärungsverfügung des Berichterstatters vom 19. Februar 2018, mit der eine Substantiierung der Klageforderung angefordert worden war. Dass die Aufteilung der streitgegenständlichen Forderung nicht nur in verschiedene Haushaltsjahre, wie es bereits in der Klageschrift angelegt war, sondern auch in von vornherein offene als auch in verrechnete Forderungen aufgrund des Schriftsatzes erstmalig offenbar wurde, spielt dabei im Ergebnis keine Rolle, weil dies nicht die tatsächlichen Grundlagen der Klage wesentlich berührt, sondern nur die möglichen Anspruchsgrundlagen ausdifferenziert. Der Klageantrag schließlich ist sogar wörtlich identisch geblieben.

Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 3.208.594,24 EUR gegen die Beklagte. Dem geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch steht ebenso wie einem Kostenübernahmeanspruch aus § 6b Abs. 2 SGB II jeweils in Verbindung mit der Verwaltungsvereinbarung zwischen den Beteiligten der kausale Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag entgegen, der durch die Angebote der Beklagten vom 13. November 2009 und vom 17. Februar 2010 sowie die Annahme des Klägers vom 25. Februar 2010 zustande gekommen ist.

Als zugelassener kommunaler Träger gem. § 6a Abs. 6 SGB II in Verbindung mit Art. 106 Abs. 8 Grundgesetz hat der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der Aufwendungen für Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II gegen die Beklagte. Die Finanzierungslast der Beklagten ist nach § 6b Abs. 2 SGB II nicht auf materiell rechtmäßige Aufwendungen beschränkt. § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II behandelt ausschließlich die Kostentragung, nicht hingegen Erstattungsfragen. Tatbestandliche Voraussetzung des § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II ist, dass die Aufwendungen solche der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind. Dieser Begriff ist aufgaben- und nicht maßnahmebezogen auszulegen (Stachnow-Meyerhoff/Radüge in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 6b, Rn. 22). Sie umfasst daher auch Eingliederungsmaßnahmen, die zwar mit den Grundsätzen der §§ 1, 3 SGB II nicht zu vereinbaren, aber im Außenverhältnis mit bindender Wirkung bewilligt worden sind. Eine besondere Kodifizierung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für das Haftungsverhältnis zwischen dem Bund und den Optionskommunen stellt erst der zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene § 6b Abs. 5 SGB II dar. § 6b Abs. 3 SGB II regelt die Berechtigung des Bundesrechnungshofes zur Prüfung der Leistungsgewährung. Dies ist erforderlich, weil bei der Aufgabenwahrnehmung durch die kommunalen Träger grundsätzlich nur ein Prüfungsrecht der Landesrechnungshöfe besteht. Das Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofes im Falle der Aufgabenwahrnehmung durch den zugelassenen kommunalen Träger soll sicherstellen, dass die Prüfung der Aufgabenwahrnehmung nach einheitlichen Kriterien erfolgt und zugelassene kommunale Träger und die Agenturen für Arbeit gleich behandelt werden (Stachnow-Meyerhoff/Radüge in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 6b, Rn. 23).

Zur Prüfung der Erstattungsvoraussetzung ist ferner darauf abzustellen, ob die zwischen den Beteiligten strittige Mittelverwendung sich im Rahmen der dem SGB II zugrunde liegenden Ziele, Zwecke und Prinzipien bewegt habe. Selbst wenn aber die Mittelverwendung nicht den Zielen und Zwecken des SGB II entsprechen würde, ist zu beachten, dass der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch im Verhältnis des Bundes zu einem Land nicht bereits bei jeglicher fahrlässiger Falschanwendung des Gesetzes eingreift, sondern lediglich bei grob fahrlässigem oder gar vorsätzlichem Fehlverhalten. Dieser Haftungseinschränkung, die mit den Grundsätzen der Haftungskernrechtsprechung sowohl des Bundessozialgerichts (BSG) als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) übereinstimmt (vgl. zusammenfassend und mit weiteren Nachweisen BSG, Urteil vom 12. November 2015 – B 14 AS 50/14 R Rn. 14) und Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG entlehnt ist, bedarf es, weil andernfalls in der direkten Finanzbeziehung zwischen der Bundesrepublik und einer Kommune eine weitergehende Haftung bestünde als im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und einem Bundesland. Letzteres könnte aber den einer ihm angehörigen Kommune entstehenden vermögensrechtlichen Schaden im Wege einer Drittschadensliquidation gegenüber der Bundesrepublik geltend machen, auf die dann Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG anzuwenden wäre. Insoweit ist eine erstattungs- wie auch haftungsrechtliche Gleichstellung geboten.

Im vorliegenden Fall werden die gesetzlichen Ansprüche des Klägers aber durch einen kausalen Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag überlagert und auf den von der Beklagten durch Schreiben vom 13. November 2009 und vom 17. Februar 2010 anerkannten Betrag beschränkt.

Der kausale Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag ist ein gesetzlich nicht näher geregelter Feststellungsvertrag, mit dem die Beteiligten einen Streit über eine Unsicherheit oder den Inhalt des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses beenden und ohne Rücksicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen des anerkannten Anspruchs eine klare Rechtslage schaffen wollen. Für das Zivilrecht ist anerkannt, dass der kausale Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag lediglich eine formfreie Einigung voraussetzt (MüKoBGB/Habersack, 7. Aufl. 2017, BGB § 781 Rn. 3). Die Einigung ist nicht auf die Begründung einer neuen, selbstständigen Forderung, sondern auf Bestätigung der alten gerichtet, die auf eine sichere Grundlage gestellt werden soll. Das bestätigte Schuldverhältnis braucht zwar nicht objektiv zu bestehen, muss aber jedenfalls "möglicherweise" gegeben sein (Jauernig/Stadler, 17. Aufl. 2018, BGB § 781 Rn. 16). Als Rechtsfolge tritt eine schuldbestärkende ("deklaratorische") Wirkung ein. Der kausale Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag erzeugt also keinen neuen, selbstständigen Anspruch. Anspruchsgrundlage bleibt die ursprüngliche Forderung. Jedoch wird dem Gläubiger die Rechtsverfolgung, indem bestimmten Einwendungen und Einreden ausgeschlossen werden, erleichtert. Tragweite und Umfang der Ausschlusswirkung ist Frage des Einzelfalls und durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1976 - IV ZR 222/74). Entsprechend seinem Zweck ist für den kausalen Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag aber regelmäßig anzunehmen, dass alle Einwendungen tatsächlicher und rechtlicher Natur für die Zukunft ausgeschlossen sein sollen, die der Schuldner bei der Abgabe kannte oder mit denen er zumindest rechnete (BGH, Urteil vom 10. Januar 1984 - VI ZR 64/82). Ein Verzicht auf unbekannte Einwendungen ist dagegen nur ausnahmsweise anzunehmen (BGH, Urteil vom 23. Juni 1971 - VIII ZR 40/70; Jauernig/Stadler, 17. Aufl. 2018, BGB § 781 Rn. 18).

Für den vorliegenden Fall ergibt die Auslegung der Schreiben der Beklagten vom 13. November 2009 und vom 17. Februar 2010 sowie des Schreibens des Klägers vom 25. Februar 2010, dass ein kausaler Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts gewollt war. Nach Auslegung ist anzunehmen, dass mit dem Vertrag die bekannten und auch mit der Klage verfolgten Einwendungen des Klägers gegen die Prüfsystematik und die Prüfergebnisse der Beklagten ausgeschlossen werden sollten. Diese Auslegung orientiert sich zunächst am Wortlaut, bei dem sich der Landrat des A. und damit eine im Rechtsverkehr und dem Verwaltungsverfahren erfahrene Person, mehrfach des Terminus "Anerkennung" bedient. Gestützt wird diese Auslegung ferner durch den ausdrücklich formulierten Zweck des Schreibens, die offensichtlich als zeit- und ressourcenaufwendig wahrgenommene Prüfung für die Vergangenheit zu einem Abschluss zu bringen – also letztlich wohl den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, sicher aber gerade auch ein Gerichtsverfahren zu vermeiden, sowie eine schnelle Auszahlung des noch als offen identifizierten Betrags in Höhe von 156.234,52 EUR zu erreichen. Letzteres ist in der Folge auch geschehen.

Die Annahme eines Anerkenntnis- und Verzichtsvertrags wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass in den – vertragsrechtlich als Angebot zu qualifizierenden – Schreiben der Beklagten vom 13. November 2009 und vom 17. Februar 2010 jeweils der relativierende Passus enthalten ist, dass mit "diesem Schreiben [ ...] die Prüfung der Schlussrechnungen [ ...] abgeschlossen werden [kann]. Soweit sich nachträglich oder zukünftig (z.B. durch Vorort-Prüfungen durch das BMAS) Erkenntnisse ergeben, [ ...] behält sich der Bund die Geltendmachung etwaiger Erstattungsansprüche vor." Ganz im Gegenteil wird hierdurch lediglich die ohnehin bestehende Rechtsfolgeneinschränkung des kausalen Anerkenntnis- und Verzichtsvertrags ausformuliert, dass unbekannte Einwendungen gerade nicht ausgeschlossen sein sollen. Im Übrigen wäre eine inhaltlich Beschränkung hinsichtlich der ausgeschlossenen Einschränkungen ohnehin unschädlich.

Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Klägers sind die zivilrechtlich geprägten Grundsätze des kausalen Anerkenntnis- und Verzichtsvertrags auch auf öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse anwendbar. Der kausale Anerkenntnis- und Verzichtsvertrag stellt im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten einen öffentlich-rechtlich Vertrag im Sinne der §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) dar.

Hierbei ist zu beachten, dass die öffentliche Verwaltung anders als der Bürger im Bereich des Privatrechts keine vollständige Dispositionsfreiheit hat, sondern an die rechtsstaatlichen Schranken im Interesse der Allgemeinheit und des Einzelnen gebunden ist. Verfahrensrechtliche Beschränkungen der Vertragsfreiheit zu Lasten der Behörde ergeben sich aus den Verfahrensgrundsätzen des SGB X (§§ 8 ff. SGB X), die der Verwaltung zum Schutz des Bürgers besondere Vorsorgepflichten auferlegen. Weitere Beschränkungen ergeben sich in materiell-rechtlicher Hinsicht. Anders als eine auf dem Gebiet des privatrechtlichen Vertragsrechts handelnde Person hat die Verwaltung nicht nur bei einem Handeln durch Verwaltungsakt, sondern auch bei Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags das Gebot der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot zu beachten, ebenso das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Ferner hat die Behörde auch bei vertraglichem Handeln den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Bindung an Recht und Gesetz zu beachten (Art. 20 Abs. 3 GG). Daher darf eine Behörde nur solche vertraglichen Verpflichtungen eingehen, die sie im Rahmen der ihr gesetzlich eingeräumten Handlungsalternativen erfüllen kann. Auch darf sie mit ihrem Vertragspartner keine Vertragspflichten vereinbaren, zu deren Erfüllung sich dieser rechtswidrig verhalten müsste. Darüber hinaus hat die Behörde das Willkürverbot bzw. den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu beachten.

Eine Missachtung einer der genannten Beschränkungen kann einem Zustandekommen des Vertrags entgegenstehen, § 58 SGB X (Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 53 SGB X, Rn. 50). Öffentlich-rechtliche Verträge sind dabei ohne gesonderte Ermächtigungsgrundlage zulässig, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Die "entgegenstehenden Rechtsvorschriften" brauchen nicht solche außerhalb des SGB X zu sein. Vielmehr kann sich gerade aus den §§ 53 Abs. 2, 54 ff. SGB X ergeben, dass ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Einzelfall nicht oder nur bei Einhaltung weiterer Voraussetzungen geschlossen werden darf. Ein entsprechendes gesetzliches Verbot ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Kein gesetzliches Verbot, aber dennoch eine Pflicht, die von der Verwaltung zu beachten sind und die einem öffentlich-rechtlichen Vertragsschluss entgegenstehen kann, ist das Gebot einer wirtschaftlichen Mittelverwendung (Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 53 SGB X, Rn. 71). Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Klägers, der meint, vorliegend stehe das sich aus § 5 Abs. 4 der Verwaltungsvereinbarung der Beteiligten und § 6b Abs. 3 SGB II ergebende Aufsichts- und Prüfungsrecht der zuständigen Landesbehörden und des Bundesrechnungshofs einem kausalen Anerkenntnis bzw. Verzichts entgegen, kann aber eine sparsame Mittelverwendung gerade durch den Abschluss eines Vergleichs- oder Anerkenntnis- und Verzichtsvertrags bewirkt werden. Der Grundsatz der sparsamen und gesetzeskonformen Mittelverwendung spricht jedenfalls nicht grundsätzlich gegen einen entsprechenden Erklärungswillen. Die Annahme, dass hier für den Landrat des A. gerade von einem entsprechenden Erklärungswillen ausgegangen werden kann, rechtliche Zweifel und Unsicherheiten im Hinblick auf die sich daraus ergebende Ressourceneinsparung und schnellen Abschluss des Prüfverfahrens hinten anzustellen, ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut seines Schreibens vom 25. Februar 2010: In Anbetracht der bisher bereits aufgewendeten und nicht mehr vertretbaren Arbeits- und Zeitressourcen sowie zur Vermeidung einer Fortsetzung des Verfahrens in der erlebten Art und Weise mit ungewissem Ausgang und keineswegs klarer rechtlicher Erwartung, erklären wir uns ausnahmsweise mit der Anerkennung [ ...] einverstanden."

Auf die inhaltlichen Einwendungen des Klägers gegen den von der Beklagten anerkannten Betrag kam es daher im Ergebnis nicht an. Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat im Ergebnis keinen Anspruch auf Ersatz seiner Kosten über den von der Beklagten anerkannten Betrag hinaus. Der Senat musste sich ferner nicht gedrängt fühlen, die schriftsätzlich vom Kläger angebotenen Zeugen zu "seiner Sicht" bei Annahme des Anerkenntnis- und Verzichtsvertrags zu vernehmen, weil es für die Auslegung des Vertragsinhalts nicht auf die Motive der Erklärenden ankam, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont.

Die Erklärung des Landrats des Beklagten vom 25. Februar 2010 war auch nicht aufgrund der im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Januar vom Kläger 2019 erklärten Anfechtung entsprechend § 142 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als von Anfang an nichtig anzusehen. Ein Anfechtungsgrund lag nicht vor. Ein Erklärungsirrtum war offensichtlich nicht gegeben, weil kein Irrtum in der Erklärungshandlung bzw. bei der Umsetzung seines Erklärungswillens gegeben war. Der Kläger kann sich ferner nicht auf einen Inhaltsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 1. Var. BGB berufen. Der Bedeutungsgehalt der Erklärung des Klägers, die ihr vom Empfängerhorizont aus objektiv zuzumessen ist, weicht nach verständiger Würdigung nicht vom Willen des Erklärenden ab. Der Erklärende unterliegt somit einer Fehlvorstellung über den objektiven, rechtlich wirksamen Inhalt seiner Erklärung. Dies ist insbesondere bei Verwendung von (juristischen) Fachausdrücken denkbar (MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, BGB § 119 Rn. 57, 58). Hierfür ist erforderlich, dass das rechtlich Gewollte und das im Rechtssinn Erklärte auseinanderfallen (Jauernig/Mansel, 17. Aufl. 2018, BGB § 119 Rn. 7-10). Dies setzt aber eine sog. defekte Willenserklärung voraus (HK-BGB/Heinrich Dörner, 10. Aufl. 2019, BGB § 119 Rn. 1 - 20), d.h. die Willenserklärung darf nicht bereits nach Auslegung einen eindeutigen Inhalt haben. Gerade letzteres war vorliegend wie oben bereits dargestellt aber der Fall. Der Erklärungswert des Schreibens vom 25. Februar 2010, mit dem ein "Anerkennung" der Prüfmethoden und des Prüfergebnisses erklärt wird, um die Prüfung zu einem Ende zu bringen, ist keiner anderen Auslegung zugänglich. Ein Irrtum über den Erklärungswert ist schlechterdings ausgeschlossen. Die Erklärung ist objektiv eindeutig, so dass eine defekte Willenserklärung nicht gegeben ist. Es liegt vielmehr möglicherweise nur eine Fehlvorstellung über die realen Umstände vor, die Grund oder Zweck der Willenserklärung waren oder über ihre tatsächlichen Auswirkungen. Ein solcher Irrtum über reale Umstände ("Realitätsirrtum") liegt im Risikobereich des Erklärenden (er mag sich vor Abgabe seiner Erklärung vergewissern) und wird daher vom Gesetz grds. für unbeachtlich gehalten (HK-BGB/Heinrich Dörner, 10. Aufl. 2019, BGB § 119 Rn. 1 - 20). Es handelt sich um einen sog. "unbeachtlichen Motivirrtum". Ob ein solcher hier tatsächlich gegeben war, musste der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit nicht weiter aufklären. Es kommt ferner nicht mehr darauf an, dass auch die Anfechtungsfrist des § 121 Abs. 1 BGB nicht eingehalten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 SGG liegen nicht vor.

Da die Klage eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, ist der Streitwert grundsätzlich vorläufig in Höhe der Geldleistung festzusetzen (§§ 47, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG). Allerdings darf der Streitwert nach § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht über 2.500.000,00 EUR angenommen werden. Die Klageforderung (Hauptforderung) beläuft sich auf 3.208.594,24 EUR, so dass die Höchstgrenze greift.
Rechtskraft
Aus
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