L 2 R 114/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 13 R 508/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 114/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Februar 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Die 1959 in Griechenland geborene Klägerin lebt seit Dezember 1970 in Deutschland. In der Zeit vom September 1973 bis Januar 1974 absolvierte sie eine Berufsausbildung als Schneiderin und brach diese ohne Abschluss vorzeitig ab. Von 1975 bis 2007 (mit Unterbrechungen) arbeitete die Klägerin in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen als Schneiderin, Küchenhilfe und Verpackerin. Ab Januar 2009 war sie als Pflegehelferin tätig. Daran anschließend absolvierte sie in der Zeit vom 7. September 2009 bis 28. November 2009 einen Lehrgang als Schwesternhelferin bzw. Pflegediensthelferin. Sodann arbeitete die Klägerin vom Januar 2010 bis Dezember 2011 als Stationshilfe im Pflegedienst im C-Krankenhaus A-Stadt, das befristete Arbeitsverhältnis wurde nicht verlängert. Ab Januar 2012 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld.

Einen ersten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung stellte die Klägerin am 15. Januar 2013.

Die Beklagte wertete zunächst den Reha-Entlassungsbericht der Eleonoren-Klinik in Lindenfels vom 14. Dezember 2011 aus, in der sich die Klägerin in der Zeit vom 15. November bis 6. Dezember 2011 zur Durchführung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme aufgehalten hatte. Dr. D. führte darin bei den Diagnosen

1. Adipositas,
2. rezidivierendes HWS- und LWS-Syndrom links, Lumboischialgien bei Verdacht auf präsakrale Bandscheibenprotrusio,
3. Hypertonie,
4. diätetisch behandelter Diabetes mellitus Typ 2 sowie
5. latente Hypothyreose

zum beruflichen Leistungsvermögen der Klägerin aus, diese sei sowohl als Pflegeassistentin im Krankenhaus als auch hinsichtlich leichter bis mittelschwerer Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen im Umfang von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich einsetzbar.

Darüber hinaus veranlasste die Beklagte die Erstellung eines Gutachtens ihres sozialmedizinischen Dienstes vom 21. Mai 2013 (Frau E., Ärztin). Die Gutachterin stellte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 14. Mai 2013 die Diagnosen

1. degeneratives BWS- und LWS-Syndrom mit ISG-Beteiligung links bei Bandscheibenprotrusion L5/S1,
2. behandelter, nicht gut eingestellter Bluthochdruck,
3. degeneratives HWS-Syndrom mit Spannungskopfschmerz und Migräne,
4. Übergewicht,
5. Anpassungsstörung bei auffälliger Biografie mit Angstsymptomatik und depressiven Phasen,
6. Bursitis trochanterica linke Hüfte,
7. beginnender Gonarthrose links,
8. diätpflichtige, gut eingestellte Zuckerkrankheit

und vertrat die Auffassung, die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Arbeiten im Wechselrhythmus und mit weiteren qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich zu verrichten.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 3. Juni 2013 den Rentenantrag der Klägerin ab, der bestandskräftig wurde.

Einen weiteren Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung stellte die Klägerin am 7. Januar 2014 und gab dabei an, sie halte sich seit ca. 2011 für erwerbsgemindert aufgrund von Rückenschmerzen, Schmerzausstrahlung nach links und in den Oberschenkel sowie allgemeine Schmerzen mit Verschlechterung. Sie könne keinerlei Arbeiten mehr verrichten. Ergänzend legte die Klägerin ihren Schwerbehindertenausweis vor, der einen Grad der Behinderung von 50 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (Gehbehinderung) ausweist.

Die Beklagte zog diverse Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und gab sodann ein weiteres Gutachten ihres sozialmedizinischen Dienstes in Auftrag. Im Gutachten vom 28. April 2014 gelangte die Ärztin Dr. F. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 23. April 2014 bei den Diagnosen

1. degeneratives LWS-Syndrom, bilaterale Facettenarthrose L4/5, nicht neurokompressive Bandscheibenprotrusion L5/S1 ohne wesentliche Funktionseinschränkung,
2. arterielle Hypertonie, medikamentös eingestellt,
3. beginnende Gonarthrose links ohne wesentliche Funktionseinschränkung,
4. Diabetes mellitus, diätetisch eingestellt,
5. Adipositas,
6. Schilddrüsenfunktionsstörung, medikamentös eingestellt,
7. Varikosis,
8. Depression, medikamentös gut eingestellt

zu der sozialmedizinischen Beurteilung, im Vergleich zur Vorbegutachtung vom 14. Mai 2013 sei es im weiteren Verlauf zu keiner wesentlichen Befundverschlechterung gekommen. Die Klägerin sei nach wie vor in der Lage, mehr als sechs Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten. Dabei seien die folgenden qualitativen Einschränkungen zu beachten: Arbeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen oder Gehen, ohne Heben, Tragen und Bewegen von mittelschweren Lasten, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne Ersteigen von Leitern und Gerüsten, nicht unter Einfluss von Nässe, Kälte, Hitze und Zugluft sowie ohne Schichtarbeit.

Durch Bescheid vom 19. Mai 2014 lehnte die Beklagte auch den zweiten Rentenantrag der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, diese erfülle nicht die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rente. Nach der medizinischen Beurteilung könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Der Klägerin stehe auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu, weil ihr aufgrund ihres beruflichen Werdeganges Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar seien.

Die Klägerin erhob Widerspruch am 16. Juni 2014, den sie in der Folgezeit nicht begründete.

Die Beklagte zog im Widerspruchsverfahren eine Arbeitgeberauskunft der Service GmbH C. C-Stadt vom 11. Juli 2014 bei und wies sodann durch Widerspruchsbescheid vom 30. September 2014 den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Klägerin habe zwar im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, sie sei jedoch weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Die Klägerin könne noch sechs Stunden und mehr täglich leichte Arbeiten mit Einschränkungen ausüben. Es liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, sodass es deswegen der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht bedürfe. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem Widerspruchsverfahren, da der Widerspruch nicht begründet worden sei. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe nicht. Die Klägerin sei nach dem von dem Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschema der Gruppe ungelernten Arbeiter zuzuordnen, sodass sie auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden dürfe. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gebe es eine Vielzahl von ungelernten Arbeiten, die mit nur leichten körperlichen Anforderungen verbunden seien und auch von Versicherten, deren Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sei, verrichtet werden könnten. Die Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes falle in den Risikobereich der Arbeitsförderung und nicht in den der gesetzlichen Rentenversicherung.

Mit der am 3. November 2014 zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie schilderte ihren Berufsverlauf und verwies zur Begründung auf die bei ihr bestehenden orthopädischen Leiden sowie auf die festgestellte Schwerbehinderung mit Merkzeichen "G". Ihre Schwierigkeiten beim Gehen seien bislang bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt worden. Darüber hinaus verwies die Klägerin auf ihre diversen internistischen Leiden sowie darauf, dass die Schilddrüsenfunktionsstörung trotz medikamentöser Behandlung fortbestehe. Wegen dieser sowie wegen der immer vorhandenen Schmerzen leide sie auch unter leistungsmindernden Stimmungsschwankungen. Die Vielzahl der unterschiedlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen führe dazu, dass ihre Leistungsfähigkeit auf unter sechs Stunden täglich herabgemindert und ihr deshalb der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen sei.

Im Rahmen der Beweiserhebung holte das Sozialgericht ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten bei Dr. G., Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sozialmedizin, Betriebsmedizin, Sportmedizin, Geriatrie, Psychosomatische Grundversorgung ein. Der Sachverständige stellte in seinem Gutachten vom 11. Mai 2015 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 4. Mai 2015 die folgenden Diagnosen:

1. Wirbelsäulenfunktionsstörung bei Verschleiß, Bandscheibenleiden,
2. Kniegelenkverschleiß links, Fersensporn/Fußfehlform, Krampfaderleiden,
3. Bluthochdruck, sekundäre Organschädigung (linksventrikuläre Hypertrophie),
4. diätetisch eingestellte Blutzuckererkrankung,
5. medikamentös eingestellte Schilddrüsenerkrankung,
6. Übergewicht,
7. Angst und Depression gemischt,
8. Carpaltunnel-Syndrom beidseits.

Dr. G. führte aus, der Wirbelsäulenfunktionsstörung bei Verschleiß und Bandscheibenleiden, dem Carpaltunnel-Syndrom beidseits, der Angst und den Depressionen sowie dem Bluthochdruck mit sekundärer Organschädigung würden ein erwerbsmindernder Dauereinfluss von mehr als sechs Monaten zukommen, im Ergebnis sei die Klägerin jedoch noch in der Lage, vollschichtig (mindestens sechs Stunden täglich) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Dies gelte für Arbeiten ohne Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, nicht in gebeugter Haltung oder mit Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit der Hände, ohne Zeitdruck und sonstigen Stress sowie ohne Wechselschicht und Nachtschicht. Die Klägerin sei nicht daran gehindert, einen Fußweg von mehr als 500 m innerhalb einer Zeit von jeweils weniger als 20 min. viermal arbeitstäglich zurückzulegen. Zusätzliche betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Dr. G. führte weiter aus, das festgestellte Leistungsvermögen bestehe während des gesamten klagerelevanten Zeitraumes und damit schon zum Zeitpunkt der Antragstellung am 7. Januar 2014 sowie bereits mehr als sechs Monate vorher. Eine weitere Begutachtung auf einem anderen medizinischen Fachgebiet sei im Übrigen nicht erforderlich.

Nachdem die Klägerin einen Befundbericht der behandelnden Psychotherapeutin Diplom-Psychologin H. vom 19. Oktober 2015 vorgelegt hatte, holte das Sozialgericht auch ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten bei Dr. J., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, ein. Dieser untersuchte die Klägerin am 4. Mai 2016 ambulant und führte im Gutachten vom 29. Juni 2016 bei den Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung mit derzeit mittelschwerer depressiver Episode sowie einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und körperlichen Faktoren aus, im Einklang mit der subjektiven Beschwerdeschilderung der Klägerin sei der klinische Befund einer schweren depressiven Störung zu erheben gewesen. Diese habe glaubhaft und nachvollziehbar eine depressive Symptomatik geschildert. Daneben leide die Klägerin unter chronischen Schmerzen des Rückens, des linken Knies, des Nackens und der Hände, die sich nur teilweise durch die objektivierbaren körperlichen Krankheitserscheinungen erklären ließen. Das hohe Maß an subjektiver Beeinträchtigung, die Schmerzaktivierung bis hin zum Unerträglichen bereits bei geringer körperlicher Belastung und das fehlende Ansprechen auf geeignete Therapieverfahren seien jedoch nur durch eine seelische Fehlverarbeitung im Sinne der chronischen Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren zu erklären. Aufgrund ihrer Gesundheitsstörungen könne die Klägerin nur noch leichte Arbeiten im Umfang von unter drei Stunden arbeitstäglich verrichten. Sie sei auch unter Berücksichtigung besonderer Einschränkungen bzw. unter Einhaltung zusätzlicher betriebsunüblicher Pausen nicht in der Lage, Arbeitsleistungen in einem Umfang von drei Stunden oder mehr täglich zu erbringen. Aufgrund der Angaben der Klägerin, wonach sie 30-minütige Spaziergänge unternehme, sei davon auszugehen, dass sie eine Strecke von 500 m viermal täglich in weniger als 20 min bewältigen könne. Sie sei jedoch nach neurologisch-psychiatrischem Ermessen nicht mehr der Lage, ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Dr. J. führte weiter aus, unter Berücksichtigung der vorangegangenen Beurteilung durch Dr. G. im Gutachten vom 11. Mai 2015 sei von einem aufgehobenen Leistungsvermögen bereits zu diesem Zeitpunkt auszugehen. Insoweit hätten sich anhand der Aktenlage und der Anamnese keine Hinweise darauf ergeben, dass es zwischen der Begutachtung durch Dr. G. und der von ihm durchgeführten gutachterlichen Untersuchung zu einer wesentlichen Besserung der Symptomatik gekommen sei. Vielmehr sei von einer kontinuierlichen Verschlechterung auszugehen, sodass nicht zu erwarten sei, dass die festgestellte Minderung des Leistungsvermögens behoben werden könne. Letztlich sei die Einholung von weiteren Gutachten auf einem anderen medizinischen Fachgebiet nicht erforderlich.

Nachdem sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 5. August 2016 bzw. beratungsärztlicher Stellungnahme vom 29. Juli 2016 (Ärztin für Allgemeinmedizin, Ärztliche Psychotherapeutin, Sozialmedizin K.) kritisch zu der Beurteilung des Sachverständigen Dr. J. geäußert hatte, holte das Sozialgericht hierzu eine Stellungnahme des Sachverständigen vom 27. Dezember 2016 ein. Dr. J. führte aus, Dr. G. habe das Vorliegen einer Symptomkonstellation beschrieben, die zu der Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-10 F 32.1) hätte führen müssen. Insofern habe nach den von der Deutschen Rentenversicherung Bund herausgegebenen Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung auch zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. G. Arbeitsunfähigkeit bestanden. Die Prognose, die Klägerin sei noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten, habe sich im weiteren Verlauf nicht bewahrheitet und die Arbeitsunfähigkeit habe sich als überdauernder Zustand der Leistungsunfähigkeit erwiesen. Im Hinblick darauf, ob geeignete Therapieverfahren zur Verfügung stünden, sei festzustellen, dass ein chronischer, therapierefraktärer Krankheitsverlauf vorliege. Im Ergebnis hielt Dr. J. an seiner im Gutachten ausgeführten Beurteilung fest.

Das Sozialgericht zog einen Versicherungsverlauf der Klägerin vom 15. Februar 2017 bei und gab sodann durch Urteil vom 23. Februar 2017 der Klage statt, indem es die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilte, der Klägerin ab dem 1. Juni 2015 unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die ausführliche Würdigung des Gutachtens von Dr. J. ergebe, dass der Sachverständige darin zu wissenschaftlich begründeten und logisch nachvollziehbaren Ergebnissen gekommen sei, denen sich das Gericht anschließe. Demgegenüber könnten die Einwendungen der Beklagten nicht überzeugen. Insoweit habe der Sachverständige diese durch seine plausiblen und nachvollziehbaren Ausführungen in der ergänzenden Stellungnahme widerlegt. Dr. J. sei auch darin zu folgen, dass das aufgehobene Leistungsvermögen seit Erstellung des Gutachtens von Dr. G. vom 11. Mai 2015 gelte. Im Ergebnis sei die Klägerin zur vollen Überzeugung des Gerichts seit diesem Zeitpunkt voll erwerbsgemindert. Die für den Rentenanspruch zu beachtenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt. Die Klägerin habe auch Anspruch auf eine unbefristete Rente seit dem 1. Juni 2015. Insofern habe der Sachverständige zu der Frage, ob es unwahrscheinlich sei, dass die festgestellte Minderung des Leistungsvermögens behoben werden könne, ausgeführt, dass die der Leistungseinschränkung zu Grunde liegenden Gesundheitsstörungen bereits seit mehreren Jahren bestünden und einen hohen Chronifizierungsgrad aufwiesen. Geeignete Therapien hätten bislang keine Besserung erzielen können, vielmehr sei es zu einer Verschlechterung gekommen. Dem Einwand der Beklagten, die therapeutischen Möglichkeiten bezüglich der psychischen Erkrankung als auch der Schmerzerkrankung seien nicht ausgeschöpft worden, könne unter Berücksichtigung der Befundberichte der behandelnden Ärzte (Diplom-Psychologin H. und Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L.) nicht gefolgt werden.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 9. März 2017 zugestellte Urteil am 28. März 2017 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt vor, das Gutachten des Gerichtssachverständigen Dr. J. sei insgesamt nicht nachvollziehbar und die sozialmedizinische Befundlage sei derzeit als ungeklärt anzusehen. Unstrittig würden bei der Klägerin qualitative Einschränkungen des Leistungsvermögens vorliegen. Es erschließe sich jedoch nicht, aus welchem Grund die Klägerin nicht mehr in der Lage sein solle, leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Zu diesem Ergebnis sei der Sachverständige Dr. G. gelangt. Er habe eine deutlich depressive Stimmungslage und eine mittelgradige Ängstlichkeit festgestellt, sei aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich im Wesentlichen nur um leichte Störungen handle. Demgegenüber basiere die Annahme von Dr. J., es liege eine schwere Depression vor, auf der subjektiven Beschwerdeschilderung der Klägerin und dem klinischen Befund. Es bleibe unklar, warum die Klägerin in keiner nervenärztlichen Behandlung sei und sie sich auch bislang in keiner psychiatrischen Behandlung befinde. Eine Therapie mit schmerzdistanzierend wirkenden Medikamenten finde ebenfalls trotz der chronifizierten Schmerzerkrankung nicht statt. Unklar bleibe daher, auf welche objektivierbaren Funktionseinschränkungen Dr. J. das von ihm angenommene quantitativ eingeschränkte Leistungsvermögen zurückführe. Dieser habe entgegen der Auffassung des Sozialgerichts die erhobenen Einwände nicht entkräftet, sodass sein Gutachten nicht als Nachweis ausreiche, dass bei der Klägerin eine rentenmaßgebliche Leistungsminderung eingetreten sei. Ergänzend legt die Beklagte eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. M. vom 22. März 2017 vor.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Februar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und regt an, den Sachverständige Dr. J. ergänzend zu hören.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens vom 22. Januar 2018 bei Dr. O. Der Sachverständige hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 16. Januar 2018 die Diagnosen gestellt

1. leichte depressive Episode (ICD-10: F 32.0),
2. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F 45.41),
3. degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom ohne Wurzelreiz- oder ausfallssymptomatik (ICD-10: M 54.5),
4. Carpaltunnel-Syndrom beidseits,
5. Adipositas (ICD-10: E 66.0)

und ausgeführt, die Klägerin befinde sich nach ihren Angaben seit 2014 oder 2015 (genauere Angaben seien der Klägerin nicht möglich gewesen) in psychotherapeutischer Behandlung bei Frau H. in A-Stadt mit einem Gesprächstermin etwa alle sechs Wochen. Bei einer Psychiaterin oder Nervenärztin sei sie früher in Behandlung gewesen, seit 2013 oder 2014 jedoch nicht mehr. Bis März 2017 habe die Klägerin noch das Antidepressivum Sertralin genommen, dieses jedoch dann abgesetzt. Eine stationär-psychiatrische oder psychosomatische Behandlung sei bislang nicht durchgeführt worden. Im testpsychologischen Verfahren der Hamilton-Depressions-Skala (HDS) habe die Klägerin einen Gesamtpunktwert von 13 erzielt. Danach liege ein leichtes depressives Syndrom vor. Der aktuelle psychiatrische Untersuchungsbefund ergebe synoptisch das klinische Bild eines leichtgradigen depressiven Syndroms mit leichter depressiver Verstimmung, einer Grübelneigung sowie einem auf die Beschwerden eingeengten Denken. Unter Berücksichtigung der ICD-10-Kriterien sei derzeit die Diagnose einer leichten depressiven Episode zu stellen. Das psychiatrische Beschwerdebild habe sich vermutlich im Zusammenhang mit jahrelangen Belastungen und Traumatisierungen durch verschiedene unglückliche Beziehungen mit häuslicher Gewalt entwickelt. Die diagnostischen Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung, wie sie von der behandelnden Psychotherapeutin im Jahr 2015 angenommen worden sei, seien jedoch nicht erfüllt. Der Umstand, dass die Klägerin bis 2011 in der Lage gewesen sei, ihrer beruflichen Tätigkeit als Pflegeassistentin nachzugehen, spreche gegen die Diagnose einer psychotraumatologischen Störung von sozialmedizinischer Relevanz. Insgesamt lasse sich aus heutiger Perspektive ein chronisches, leicht depressives Syndrom feststellen, welches aufgrund der geringen Ausprägung keine quantitative Minderung der Erwerbsfähigkeit begründen könne. Gegen ein schwerergradiges psychiatrisches Krankheitsbild spreche auch die Tatsache, dass ein deutliches Missverhältnis zwischen der Intensität der reklamierten Beschwerden und der doch eher geringgradigen Inanspruchnahme therapeutischer Möglichkeiten bestehe. Insoweit bestünden noch weitreichende ambulante Behandlungsreserven, ggf. sei auch eine stationär-psychosomatische Behandlung sinnvoll. Insgesamt bleibe festzustellen, dass die Klägerin in der Lage sei, zumindest körperlich leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen, ohne Heben und Tragen schwerer Gegenstände, ohne Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, mit einfachen Ansprüchen an die geistige und psychische Belastbarkeit, ohne Zeitdruck, ohne Akkordbedingungen sowie ohne Schicht- und Nachtarbeit sechs Stunden und mehr pro Tag zu verrichten. Die Einhaltung von zusätzlichen, betriebsunüblichen Pausen sei nicht erforderlich. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht bestünden keine Einschränkungen hinsichtlich des Weges zur Arbeitsstelle. Die Klägerin sei noch in der Lage, eine Fußwegstrecke von mehr als 500 m viermal täglich zurückzulegen. Im Rahmen der Begutachtung hätten sich keine Zweifel an der Fähigkeit der Klägerin ergeben, sich an die Erfordernisse im Erwerbsleben anzupassen bzw. sich umzustellen. Dr. O. hat weiter ausgeführt, unter Berücksichtigung des erhobenen Untersuchungsbefundes und der Aktenlage sei davon auszugehen, dass das von ihm festgestellte Leistungsvermögen bereits ab Rentenantragstellung im Januar 2014 bestehe. Im Übrigen halte er eine Zusatzbegutachtung auf einem anderen medizinischen Fachgebiet nicht für nötig.

Auf Nachfrage des Senats im Hinblick auf eine Auseinandersetzung mit der abweichenden Beurteilung im Vorgutachten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Sachverständige Dr. O. in seiner Stellungnahme vom 26. April 2018 ergänzend ausgeführt, die Einschätzung von Dr. J., dass eine mittelschwere depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung vorliege, sei nach seiner Auffassung nicht plausibel nachvollziehbar. Einerseits werde von einer mittelschweren depressiven Episode gesprochen, andererseits der klinische Befund einer schweren depressiven Störung beschrieben. Eine kritische Plausibilitätsprüfung der reklamierten Beschwerden der Klägerin habe nicht stattgefunden. So sei die Tatsache nicht hinterfragt worden, dass eine psychiatrische Behandlung nicht erfolge und bei angenommener schwerer depressiver Störung auch keine in diesem Fall notwendige stationär-psychiatrische Therapie durchgeführt worden sei. Auch hinsichtlich des klinischen Befundes würden im Gutachten von Dr. J. Inkonsistenzen geschildert (einerseits "unsystematisches Schwanken des Rumpfes bei erschwerten Gang- und Standprüfungen", andererseits "die Bewegungen sind harmonisch und zielgerichtet"). Die aufscheinenden Inkonsistenzen würden im Gutachten nicht diskutiert, könnten jedoch durchaus für eine tendenzielle Beschwerdepräsentation sprechen. Derartige Auffälligkeiten seien auch im Rahmen seiner Untersuchung zu beobachten gewesen und begründeten in der Zusammenschau mit dem selbständigen Absetzen der antidepressiven Medikation Zweifel an dem Ausprägungsgrad bzw. dem Leidensdruck. Im Gutachten des Dr. J. seien auch keine Beschwerdevalidierungstests durchgeführt worden. Auch die Ausführungen, dass bei der Klägerin "ein hohes Maß an subjektiver Beeinträchtigung, eine Schmerzaktivierung bis hin zum Unerträglichen bereits bei geringer körperlicher Belastung und ein fehlendes Ansprechen auf geeignete Therapieverfahren" vorliegen würden, werde nicht kritisch hinterfragt, zumal nicht klar werde, auf welche geeigneten Therapieverfahren die Klägerin nicht angesprochen hätte. Insgesamt vermöge das Gutachten von Dr. J. nicht zu überzeugen, weder was die diagnostische Einschätzung noch die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung betreffe. Im Ergebnis hielt Dr. O. an seiner Auffassung fest, dass bei der Klägerin von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen arbeitstäglich seit Rentenantragstellung auszugehen sei.

Auf weitere Nachfrage des Senats zu in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten hat Dr. O. in seiner Stellungnahme vom 21. Juni 2018 ausgeführt, die Klägerin sei nicht mehr der Lage, die letzte berufliche Tätigkeit als Pflegeassistentin zu verrichten. Sie könne jedoch noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als Warensortiererin, Warenaufmacherin, Versandfertigmacherin, Mitarbeiterin auf der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde, Pförtnerin, Telefonistin sowie Büro- oder Verwaltungshilfskraft tätig sein.

Letztlich hat der Senat einen aktuellen Versicherungsverlauf der Klägerin vom 15. Januar 2019 beigezogen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht durch Urteil vom 23. Februar 2017 stattgegeben. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der angefochtene Bescheid vom 19. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2014 nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu.

Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch

1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und
2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der für den Nachweis der sog. Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI maßgebliche Fünfjahreszeitraum verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 und § 241 Abs. 1 SGB VI um die im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Aufschubzeiten (insbesondere Anrechnungs- und Ersatzzeiten). Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren dann nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestands eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit der Vorschrift des § 53 SGB VI zufolge (z.B. wegen eines Arbeitsunfalls) vorzeitig erfüllt ist. Nach der Sonderregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufungsfähigkeit außerdem nicht erforderlich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Anwartschaftserhaltungszeiten (insbesondere Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Berücksichtigungszeiten oder Rentenbezugszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, bedarf es gemäß § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keiner Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten.

Die für eine Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche allgemeine Wartezeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB VI ist gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsminderung eine Versicherungszeit von fünf Jahren zurückgelegt ist.

Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall die Fähigkeit der Klägerin, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), zwar durch verschiedene Gesundheitsstörungen beeinträchtigt. Zur Überzeugung des Senats steht jedoch fest, dass die Klägerin nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der bei ihr bestehenden Erkrankungen noch regelmäßig mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten kann mit folgenden qualitativen Einschränkungen: Arbeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen, ohne Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, ohne Zwangshaltungen, nicht in gebeugter Haltung oder mit Bücken, ohne besondere Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit der Hände, mit einfachen Ansprüchen an die geistige und psychische Belastbarkeit, ohne Zeitdruck, ohne Akkordbedingungen sowie ohne Schicht- und Nachtarbeit. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand der Klägerin vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten im Sinne einer Längsschnittbetrachtung und insbesondere aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. O. in seinem im Berufungsverfahren erstellten Gutachten vom 22. Januar 2018 nebst ergänzender Stellungnahme vom 26. April 2018. Seine gutachterlichen Ausführungen sind in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Die Leistungsbeurteilung wird nach eingehender Befunderhebung mit nachvollziehbarer und für den Senat einleuchtender, ausführlicher Begründung aus den gestellten Diagnosen abgeleitet. Im Einzelnen gilt: Die von dem Sachverständigen diagnostizierte depressive Erkrankung kann nur als leichtgradig eingestuft werden und diese bedingt keine quantitative Leistungsminderung. Dies ergibt sich plausibel bereits aus den von Dr. O. durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen, insbesondere der Hamilton-Depressions-Skala (HDS), bei der es sich um ein Fremdbeurteilungsverfahren und nicht um ein Selbstbeurteilungsinstrument handelt. Die Ergebnisse dieses Testverfahren sind demnach wesentlich aussagekräftiger als testpsychologische Untersuchungen, bei denen die Selbstbeurteilung im Vordergrund steht (wie beispielsweise bei dem Beck-Depression-Inventar ( BDI)). Für die anhand der Hamilton-Depressions-Skala ermittelten Werte ist von folgendem Beurteilungs-Schema auszugehen: Bis zu 6 Punkte weisen auf Normalität hin, Werte von 7 bis 17 auf eine milde Depression, Werte von 18 bis 24 auf eine mäßige Depression, im höchsten Fall ist ein Gesamtwert von 67 Punkten möglich. Demgegenüber ist bei der Untersuchung der Klägerin ein Gesamtpunktwert von 13 erzielt worden, woraus ein lediglich leichtes depressives Syndrom abzuleiten ist. Diese Diagnose wird bestätigt durch den von Dr. O. erhobenen psychiatrischen Befund, der ebenfalls das klinische Bild eines leichtgradigen depressiven Syndroms mit leichter depressiver Verstimmung, einer Grübelneigung sowie einem auf die Beschwerden eingeengten Denken ergeben hat. Im Übrigen kann nicht übersehen werden, dass sich die Klägerin lediglich in niederfrequenter psychotherapeutischer Behandlung befindet. Diese erfolgt zwar seit Ende 2014, die Gesprächstermine finden jedoch nur alle sechs Wochen und damit in sehr geringer Stundenfrequenz statt. Eine psychiatrische Behandlung erfolgt nach der von Dr. O. erhobenen Anamnese zumindest seit 2014 überhaupt nicht mehr. Zudem hat die Klägerin die medikamentöse antidepressive Therapie im März 2017 selbständig abgesetzt. Insgesamt sieht der Senat die abweichende Diagnosestellung durch den im erstinstanzlichen Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen Dr. J., der von einer rezidivierenden depressiven Störung im Sinne einer mittelschweren depressiven Episode ausgegangen ist, durch die überzeugenden Ausführungen von Dr. O. als eindrucksvoll widerlegt an. Dies gilt gleichermaßen im Hinblick auf die bei der Klägerin ebenfalls bestehende chronische Schmerzstörung. Soweit Dr. J. insoweit von einem hohen Maß an subjektiver Beeinträchtigung bzw. von einer Schmerzaktivierung bis hin zum Unerträglichen bereits bei geringer körperlicher Belastung berichtet hat, ließ sich dies im Rahmen der Untersuchung durch Dr. O. ebenfalls nicht bestätigen. Ungeachtet des Umstandes, dass auch insoweit das Fehlen einer dem von der Klägerin vorgetragenen Schweregrad entsprechenden Fachbehandlung Zweifel begründet, sind die Ausführungen von Dr. J. nicht validiert. So hat er, wie dies Dr. O. in seiner Stellungnahme vom 26. April 2018 plausibel und nachvollziehbar aufgezeigt hat, Inkonsistenzen und sich aufdrängende Beschwerdeverstärkungen nicht hinterfragt und auch keine Beschwerdevalidierungstests durchgeführt. Insgesamt hält der Senat die Befunderhebung, Diagnosestellung und sozialmedizinische Beurteilung von Dr. J. nicht für tragfähig, sodass mit seinem Gutachten in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beklagten nicht der Nachweis einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung erbracht ist. Vielmehr folgt der Senat den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. O., denen im Übrigen auch nicht der Befundbericht der behandelnden Psychotherapeutin Diplom-Psychologin H. entgegensteht. Diese geht zwar sogar von einer schweren depressiven Episode aus, mit den Angaben im Befundbericht vom 19. Oktober 2015 wird dies jedoch nicht untermauert. Auch insoweit fehlt es an einem ausreichenden Hinterfragen bzw. einer Validierung der getroffenen Feststellungen. Darüber hinaus steht der Annahme einer schwergradigen Störung das deutliche Missverhältnis zwischen der Intensität der geklagten Beschwerden und der nur geringen Inanspruchnahme therapeutischer Möglichkeiten entgegen. Soweit die Diplom-Psychologin H. im Übrigen diagnostisch auch von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen ist, wird dies durch die Ausführungen von Dr. O. ebenfalls widerlegt. Der Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, dass die diagnostischen Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht erfüllt sind und insbesondere der zeitliche Zusammenhang entgegensteht. Die von der Klägerin geschilderte häusliche Gewalt im Rahmen ihrer Ehebeziehungen hat in den Jahren 1986 bis 2004 stattgefunden. Posttraumatische Belastungsstörungen beginnen jedoch, wie Dr. O. ausgeführt hat, üblicherweise innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bis 2011 in der Lage war, als Stationshilfe im Pflegedienst zu arbeiten. Soweit Dr. O. ausgeführt hat, dies spreche gegen die Diagnose einer psychotraumatologischen Störung von sozialmedizinischer Relevanz, ist auch dies schlüssig und nachvollziehbar. Insgesamt ist deshalb der Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Dr. O. zu folgen.

Eine andere Sicht der Dinge ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der bei der Klägerin weiter bestehenden orthopädischen und internistischen Erkrankungen. Diese sind von dem ebenfalls im erstinstanzlichen Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen Dr. G. ausreichend und zutreffend gewürdigt worden. Bei Dr. G. handelt es sich um einen erfahrenen Sachverständigen, der aufgrund seiner Qualifikation als Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin mit den Zusatzbezeichnungen Sozialmedizin, Betriebsmedizin und Psychosomatische Grundversorgung im besonderen Maße geeignet ist, eine fachübergreifende Gesamtbeurteilung vorzunehmen. Unter Würdigung aller Erkrankungen ist Dr. G. zu der Beurteilung gelangt, dass bei der Klägerin noch ein zumindest sechsstündiges Leistungsvermögen hinsichtlich leichter Arbeiten mit bestimmten – nicht rentenrelevanten – qualitativen Einschränkungen besteht. Letztlich ist mit dem im Rentenantragsverfahren erstellten Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 28. April 2014 (Dr. F.) ebenfalls ein quantitativ nicht eingeschränktes Leistungsvermögen festgestellt worden, wie dies im Übrigen auch auf das im ersten Rentenantragsverfahren erstellte Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 21. Mai 2013 (Frau E.) zutrifft.

Letztlich ist aus den Ausführungen der beiden Sachverständigen Dr. O. und Dr. G. abzuleiten, dass das von ihnen festgestellte Leistungsvermögen für die Zeit bereits seit Rentenantragstellung anzunehmen ist. Dr. G. hat insbesondere darauf verwiesen, dass er mit den Feststellungen der Gutachterin Dr. F. im Gutachten vom 28. April 2014, das zeitnah zu dem Rentenantrag erstellt worden ist, uneingeschränkt übereinstimmt.

Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer, in den vorliegenden Gutachten oder im sonstigen medizinischen Berichtswesen bislang nicht berücksichtigter Gesundheitsbeeinträchtigungen mit ernsthaft ins Gewicht fallendem erwerbsmindernden Dauereinfluss, aufgrund derer eine andere Sicht der Dinge geboten erscheinen könnte, sind weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst erkennbar. Dementsprechend haben die Sachverständigen Dr. O. und Dr. G. übereinstimmend ausgeführt, dass eine weitere Begutachtung auf einem anderen medizinischen Fachgebiet nicht erforderlich ist. Der Senat hält deshalb das Leistungsvermögen der Klägerin mit den von medizinischer Seite insgesamt getroffenen Feststellungen für ausreichend aufgeklärt und weitere Begutachtungen von Amts wegen für nicht mehr geboten. Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, regelmäßig mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen zu verrichten.

Unter Berücksichtigung des nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch vorhandenen Leistungsvermögens ist die Klägerin weder teilweise noch voll erwerbsgemindert im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen. Denn sie kann noch mindestens sechs Stunden täglich unter den in den Betrieben üblichen Arbeitsbedingungen erwerbstätig sein und muss sich zur Verwertung ihres Restleistungsvermögens auf sämtliche – ihr in gesundheitlicher Hinsicht (objektiv) zumutbaren – Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes der Bundesrepublik Deutschland verweisen lassen. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten, die sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen müssen, grundsätzlich nicht geboten. Denn es gibt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Vielzahl von ungelernten Tätigkeiten, die nur mit leichten körperlichen Anforderungen verbunden sind. Das ist offenkundig und braucht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 9. Mai 2012, B 5 R 68/11 R) grundsätzlich nicht in jedem Einzelfall aufs Neue belegt zu werden. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass es in der Regel auch für Versicherte, deren Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist, noch Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang gibt.

Schließlich kann die Klägerin auch nicht damit gehört werden, dass ihre Resterwerbsfähigkeit im Arbeitsleben wegen der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr verwertbar ist. Denn es gibt zur Überzeugung des Gerichts auf dem für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsmarkt noch eine nennenswerte Zahl von Tätigkeiten, die sie trotz ihres eingeschränkten Leistungsvermögens ausüben kann. Unter Berücksichtigung des festgestellten Leistungsvermögens liegen bei der Klägerin insbesondere auch keine ins Gewicht fallenden besonderen Umstände vor, welche die Ausübung einer leichten körperlichen Tätigkeit in ungewöhnlicher Weise erschweren. Insoweit bedarf es im Rahmen der - bezüglich des hier streitigen Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung allein maßgeblichen - Frage nach dem Bestehen realer Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsfeld einer besonders eingehenden Prüfung lediglich dann, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist (vgl. BSG, Urteil vom 1. März 1984, 4 RJ 43/83 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. November 1982, 4 RJ 1/82) oder wenn der Rentenbewerber wegen eines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter heraus fällt (vgl. BSG, Urteile vom 27. April 1982, 1 RJ 132/80 u. vom 18. Februar 1981, 1 RJ 124/79). Derart gravierende Einschränkungen liegen bei der Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber gerade nicht vor, denn bei ihr besteht weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung. Dies gilt auch in Ansehung der von dem Sachverständigen Dr. G. festgestellten Einschränkung, wonach die Klägerin nur noch Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit der Hände verrichten kann. Ausgeschlossen sind insoweit lediglich entsprechende Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen, Arbeiten verbunden mit üblichen bzw. durchschnittlichen Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit der Hände sind der Klägerin dagegen weiterhin möglich.

Ob die für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsplätze frei sind oder besetzt, ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich. Die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie die Klägerin noch zumindest sechs Stunden arbeitstäglich einsatzfähig ist, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für sie offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (vgl. BSG vom 10. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76) kann bei Versicherten, die noch zumindest sechs Stunden arbeitstäglich einsatzfähig sind, grundsätzlich nicht herangezogen werden. Das hat der Gesetzgeber in § 43 Abs. 3 SGB VI nochmals ausdrücklich mit dem Hinweis darauf klargestellt, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer - ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn Versicherte nach ihrem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage sind, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten, oder wenn sie außerstande sind, Arbeitsplätze dieser Art von ihrer Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG, Urteile vom 27. Februar 1980, 1 RJ 32/79 u. 12. Dezember 2011, B 13 R 79/11 R). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Insoweit ergibt sich aus den Ausführungen der Sachverständigen Dr. O. und Dr. G., dass bei der Klägerin keine unüblichen Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen sind und sie insbesondere keine betriebsunüblichen, zusätzlichen Pausen benötigt. Weiter ist die Wegefähigkeit der Klägerin nicht eingeschränkt, auch wenn ihr durch das Versorgungsamt nicht nur die Schwerbehinderteneigenschaft, sondern auch das Merkzeichen "G" zuerkannt worden ist. Dr. G. hat insoweit ausgeführt, dass die Klägerin aus organischen Gründen nicht gehindert ist, noch einen Fußweg von mehr als 500 m innerhalb einer Zeit von jeweils weniger als 20 min viermal täglich zurückzulegen. Dies steht in Übereinstimmung mit den erhobenen Befunden. So hat Dr. G. zu der von ihm gestellten Diagnose "Kniegelenkverschleiß links, Fersensporn/Fußfehlform, Krampfaderleiden" unter Darstellung der Einzelbefunde ausgeführt, dass letztlich an den unteren Extremitäten keine relevanten funktionellen Einschränkungen bestehen, die eine Einschränkung des qualitativen Leistungsvermögens rechtfertigen bzw. einer Teilhabe am Arbeitsleben entgegenstehen. Auch nach den Feststellungen von Dr. O. bestehen aus neurologisch-psychiatrischer Sicht keine Einschränkungen hinsichtlich des Weges zur Arbeitsstelle.

Nach alledem steht der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu.

Für die 1959 geborene Klägerin ergibt sich auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Versicherte, die

1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2. berufsunfähig

sind.

Berufsunfähig sind der Vorschrift des § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI zufolge Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst gemäß § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist gemäß § 240 Abs. 2 Satz 3 SGB VI stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist der Vorschrift des § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI zufolge nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist nicht berufsunfähig im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmungen. Wie dargelegt, kann sie nämlich noch zumindest sechs Stunden täglich mit den genannten Einschränkungen einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin noch in der Lage ist, ihren bisherigen Beruf bzw. ihre zuletzt verrichtete Tätigkeit weiter auszuüben, denn allein der Umstand, im bisherigen Beruf nicht mehr tätig sein zu können, führt noch nicht zum Vorliegen von Berufsunfähigkeit.

Das Gesetz räumt den Versicherten einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht bereits dann ein, wenn sie ihren versicherungspflichtig ausgeübten - "bisherigen Beruf" bzw. ihre "bisherige Berufstätigkeit" nicht mehr ausüben können. Vielmehr wird von den Versicherten verlangt, dass sie - immer bezogen auf ihren bisherigen Beruf - auch einen zumutbaren beruflichen Abstieg in Kauf nehmen und sich vor Inanspruchnahme der Rente mit einer (ggf. auch) geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden geben (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 1976, 5/12 RJ 132/75). Nur wer sich nicht in dieser Weise auf einen anderen, ihm subjektiv zumutbaren Beruf verweisen lassen muss, ist berufsunfähig im Sinne des Gesetzes.

"Zugemutet werden" im Sinne des § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI können den Versicherten alle von ihnen nach ihren gesundheitlichen Kräften und ihren beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausführbaren, auch berufsfremden Tätigkeiten, die nach der im Gesetz angeführten positiven Kennzeichnung – Ausbildung und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufs im Betrieb, d.h. nach ihrer Qualität – dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (vgl. hierzu: BSG, Urteile vom 25. März 1966, 5 RKn 77/64, vom 26. September 1974, 5 RJ 98/72, vom 19. Januar 1978, 4 RJ 81/77 u. vom 15. März 1978, 1/5 RJ 128/76 - ständige Rechtsprechung).

Das zur Ausfüllung dieser Grundsätze von der Rechtsprechung entwickelte sog. Mehrstufenschema unterscheidet dabei für Arbeiterberufe – als unterste Gruppe – die Gruppe mit dem Leitberuf der Ungelernten, die mittlere Gruppe mit dem Leitberuf der Angelernten, schließlich die Gruppe mit dem Leitberuf der Gelernten (Facharbeiter) und darüber die zahlenmäßig kleine Gruppe mit dem Leitberuf der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion bzw. der Facharbeiter mit besonders qualifizierten Tätigkeiten. Als im Sinne von § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI zumutbaren beruflichen Abstieg hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jeweils den Abstieg zur nächstniedrigeren Gruppe angenommen. Hiernach können z.B. Versicherte, die nach ihrem bisherigen Beruf in die Gruppe mit dem Leitberuf der Facharbeiter fallen, auf Tätigkeiten aus der Gruppe mit dem Leitberuf der Angelernten (sonstigen Ausbildungsberufe) verwiesen werden, in aller Regel jedoch nicht ohne weiteres auf Tätigkeiten aus der Gruppe mit dem Leitberuf der Ungelernten (vgl. BSG, Urteile vom 30. März 1977, 5 RJ 98/76 u. vom 24. März 1983, 1 RA 15/82 m.w.N. - ständige Rechtsprechung). Unabhängig davon können Versicherte mit dem Leitberuf der Ungelernten auf das gesamte allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden (vgl. etwa BSG, Urteil vom 24. März 1983 a.a.O. m.w.N. ständige Rechtsprechung). Innerhalb der – vielschichtigen und inhomogenen – Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten ist eine Abgrenzung dergestalt zu beachten, dass dem unteren Bereich alle Tätigkeiten mit einer Anlernzeit von drei bis 12 Monaten und dem oberen Bereich die Tätigkeiten mit einer Anlernzeit von über 12 bis 24 Monaten zuzuordnen sind (BSG, Urteil vom 29. März 1994, 13 RJ 35/93 m.w.N.). Ein Angelernter des oberen Bereichs genießt ebenfalls Berufsschutz, sodass ihm zumindest eine zumutbare Verweisungstätigkeit konkret zu benennen ist, sofern er im bisherigen Beruf nicht mehr tätig sein kann. Subjektiv zumutbar ist einem Angehörigen der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten im oberen Bereich zunächst eine Tätigkeit, die in der Regel der Gruppe mit dem Leitbild des Angelernten (unterer Bereich) zuzurechnen ist. Aber auch durch Qualitätsmerkmale herausgehoben ungelernte Tätigkeiten kommen in Betracht (BSG, Urteil vom 29. März 1994 a.a.O.).

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum sogenannten Mehrstufenschema kann die Klägerin unter Berücksichtigung ihres Ausbildungs- und Berufsverlaufs sowie der von ihr zuletzt im Hauptberuf ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit keinen besonderen Berufsschutz für sich beanspruchen. Die Klägerin hat ihre Berufsausbildung als Schneiderin vorzeitig ohne Abschluss abgebrochen. Danach war sie lediglich kurzzeitig als Schneiderin tätig und hat sodann ungelernte Arbeiten als Küchenhilfe und Verpackerin verrichtet. Soweit die Klägerin an einem ca. dreimonatigen Lehrgang als Schwesternhelferin bzw. Pflegediensthelferin vom 7. September 2009 bis 28. November 2009 erfolgreich teilgenommen und im Anschluss vom Januar 2010 bis Dezember 2011 als Stationshilfe im Pflegedienst in einem Krankenhaus gearbeitet hat, stellt diese zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung – die sie aufgrund der zu beachtenden qualitativen Einschränkungen nicht mehr verrichten kann – zwar den bisherigen Beruf dar, auf den für die Prüfung einer Berufsunfähigkeit abzustellen ist. Indes kann auch daraus kein qualifizierter Berufsschutz abgeleitet werden, denn offenkundig vermag ein dreimonatiger Lehrgang, der zu Helferinnentätigkeiten qualifiziert, nicht die Zuordnung der Klägerin zur Gruppe der Angelernten des oberen Bereichs und erst recht nicht zur Gruppe der Gelernten zu begründen. Vielmehr kann die Klägerin lediglich als einfache Angelernte angesehen werden mit der Folge, dass sie breit auf das allgemeine Arbeitsfeld der Bundesrepublik Deutschland verwiesen werden kann. Der Benennung einer Verweisungstätigkeit bedarf es deshalb nicht.

Damit sind die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ebenfalls nicht erfüllt.

Die Berufung war insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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