L 7 AL 70/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 307/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 70/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit i.S.v. § 145 Abs. 1 Satz 2 SGB III trifft immer - auch wenn eine vollständige Befreiung der von Rentenversicherungspflicht vorliegt - der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) über den 31. Oktober 2015 hinaus.

Die Klägerin war nach Absolvierung ihres Studiums der Humanmedizin seit 1. Mai 2006 als Ärztin in verschiedenen Kliniken tätig, zuletzt seit 1. Januar 2013 im Kreiskrankenhaus C-Stadt. In der Zeit vom 14. Januar 2014 bis 2. Juni 2015 bezog sie Krankengeld (vgl. Bl. 8, 10, 14 der Verwaltungsakte).

Die Klägerin meldete sich bei der Beklagten am 31. März 2015 (Bl. 7 der Verwaltungsakte) zum 3. Juni 2015 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Im Antrag gab sie u.a. an, sie sei seit dem 3. Dezember 2013 bis "auf Weiteres" arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Fragen unter Nr. 2a im Antragsformular, ob sie alle zumutbaren Möglichkeiten nutzen werde, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden, bejahte die Klägerin. Unter Nr. 2e gab sie an, sie könne bestimmte Beschäftigungen nicht mehr ausüben bzw. müsse sich aufgrund gesundheitlicher Gründe einschränken und sei nach einer ärztlichen Begutachtung bereit, sich im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine amtsärztliche Begutachtung der Klägerin. In ihrem Gutachten vom 20. April 2015 (Bl. 2 der Verwaltungsakte) kam Frau Dr. D. zu dem Ergebnis, bei der Klägerin würden gravierende Gesundheitsstörungen vorliegen, die eine Leistungsfähigkeit zur Ausübung einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen würden. Im Gutachten heißt es abschließend: "Aktuell ist nicht mit einer Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit innerhalb der nächsten 6 Monate zu rechnen."

Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin durch Bescheid vom 28. Mai 2015 (Bl. 16 der Verwaltungsakte) Alg nach Maßgabe des § 145 SGB III ab 3. Juni 2015 für eine Anspruchsdauer von 360 Tagen, also bis längstens 2. Juni 2016, mit einem täglichen Leistungssatz in Höhe von 60,55 Euro. Im Bescheid war hinsichtlich der Übernahme der Beiträge zur Rentenversicherung auf die Befreiung der Klägerin von der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und den von der Klägerin gestellten Antrag auf Übernahme der Beiträge nach Maßgabe des § 173 SGB III hingewiesen worden.

Der Aufforderung der Beklagten folgend beantragte die Klägerin am 9. Juni 2015 (Bl. 22 der Verwaltungsakte) - über die Beklagte - bei dem für sie dafür zuständigen Träger, dem Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 15. Juni 2015 (Bl. 25 der Verwaltungsakte) an die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) und forderte diese auf zu prüfen, ob im Falle der Klägerin Leistungen zur Rehabilitation in Betracht kommen könnten oder ob eine dauerhafte Erwerbsminderung vorliege. Die DRV Bund teilte der Beklagten mit Schreiben vom 29. Juni 2015 (Bl. 27 der Verwaltungsakte) mit, der Antrag sei zuständigkeitshalber an die "BKK VOR ORT", Bochum, weitergeleitet worden.

Die Klägerin reichte bei der Beklagten am 26. Juli 2015 (Bl. 28 der Verwaltungsakte) den Fragebogen "Zusatzblatt Sozialversicherung" ein, dem ein Bescheid der DRV Bund vom 16. April 2013 (Bl. 30 der Verwaltungsakte) beigefügt war, wonach die Klägerin seit 1. Januar 2013 von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) befreit war; als Versorgungseinrichtung war im Bescheid das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen genannt worden. Beigefügt war ferner ein Schreiben des Versorgungswerks von Juni 2015 (Bl. 32 der Verwaltungsakte) über die bislang erworbenen Rentenanwartschaften der Klägerin sowie die Höhe einer voraussichtlichen Altersrente.

Mit Schreiben vom 7. September 2015 (Bl. 38 der Verwaltungsakte) teilte die Beklagte gegenüber der DRV Bund mit, nach § 145 Absatz 1 Satz 2 SGB III sei für die Feststellung - ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine dauerhafte Erwerbsminderung vorliege - die DRV Bund zuständig. Dies gelte unabhängig davon, ob die Versicherte zuletzt in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert bzw. von der Rentenversicherungspflicht befreit gewesen sei. Abschließend heißt es im Schreiben wörtlich: "Daher bitte ich, das Verwaltungsverfahren bezüglich der Feststellung nach § 145 Abs. 1 S. 2 SGB III einzuleiten und mir Ihre Entscheidung mitzuteilen."

Durch Änderungsbescheid vom 16. September 2015 (Bl. 43 der Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte der Klägerin - unter Beibehaltung der sonstigen Daten - auch die Beiträge für die Altersvorsorge, die an das Versorgungswerk zu entrichten waren.

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 (Bl. 49 der Verwaltungsakte) teilte die DRV Bund schließlich der Beklagten mit, nach den dort getroffenen Feststellungen liege bei der Klägerin ab dem 3. Dezember 2013 bis 31. Dezember 2017 ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor.

Durch Bescheid vom 27. Oktober 2015 (Bl. 50 der Verwaltungsakte) hob die Beklagte sodann die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 1. November 2015 mit der Begründung auf, die Klägerin könne nach den Feststellungen der DRV Bund nicht mindestens 15 Stunden wöchentlich arbeiten. Infolge dieser Feststellung sei eine Gewährung von Alg nach § 145 SGB III nicht mehr möglich.

Die Klägerin erhob dagegen Wiederspruch (Schreiben - ohne Datum, Bl. 58 der Verwaltungsakte) und führte zur Begründung aus, die DRV Bund sei für sie als Sozialversicherungsträger nicht zuständig. Sie habe bereits Nachweise über die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht vorgelegt und mehrfach darauf hingewiesen, dass die DRV Bund in ihrem Falle nicht zuständig sei, da sie von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit sei. Dazu legte die Klägerin auch noch den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 7. Juli 2006 (Bl. 62 der Verwaltungsakte) vor, nach dem sie bereits ab 1. Mai 2006 von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit ist. Sie führte aus, zuständig sei für sie das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen. Dort habe sie einen Antrag auf Feststellung der Berufsunfähigkeit gestellt, über den bislang noch nicht entscheiden sei.

Dieser Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 5. November 2015 (Bl. 77 der Verwaltungsakte) u.a. mit der Begründung zurückgewiesen, Anspruch auf Alg nach Maßgabe des § 145 Abs. 1 SGB III habe aber auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos sei, weil sie wegen einer mehr als 6-monatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit keine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende versicherungspflichtige Beschäftigung unter den Bedingungen ausüben könne, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt üblich seien. Alg könne aber auch dann nur gezahlt werden, solange der Rentenversicherungsträger noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt habe. Nach der Mitteilung der DRV Bund könne die Klägerin wegen der Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nur noch Beschäftigungen in einem Umfang von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausüben. Auch in den Fällen, in denen der Arbeitslose vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert gewesen sei, weil er - wie die Klägerin - einer berufsständigen Versorgungseinrichtung angehöre - sei nach § 145 Absatz 1 Satz 2 SGB III der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zur Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit verpflichtet und das Feststellungsersuchen sei an diesen Träger zu richten. Dies könne - wie vorliegend geschehen - durch eine gesonderte Mitteilung des Rentenversicherungsträgers geschehen. Der zuständige Rentenversicherungsträger - die DRV Bund - habe mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt. Aufgrund dieser Entscheidung habe die Klägerin keinen Anspruch mehr darauf, dass ihr trotz ihres eingeschränkten Leistungsvermögens Leistungen nach § 145 Abs. 1 SGB III gezahlt würden. Aus diesem Grund habe der Verwaltungsakt über die Bewilligung von Alg nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden müssen, weil in den tatsächlichen bzw. rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Mit der Feststellung der vollen Erwerbsminderung durch die DRV Bund sei eine Voraussetzung für die Gewährung von Alg weggefallen. Die Frage, ob oder ab wann tatsächlich eine Rente gezahlt werde, habe darauf keinen Einfluss.

Dagegen erhob die Klägerin am 19. November 2015 (Bl. 1 der Gerichtsakte) Klage beim Sozialgericht Darmstadt.

Mit ihr begehrte sie weiterhin Alg über den 31. Oktober 2015 hinaus und bezog sich zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend führte sie aus, dass das für sie zuständige Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen bislang noch keine Entscheidung über das Vorliegen von Berufsunfähigkeit getroffen habe. Die DRV Bund sei in ihrem Falle nicht zuständig, weshalb deren Feststellungen insoweit auch keine Auswirkungen auf die Leistungsgewährung nach Maßgabe des § 145 SGB III haben könnten.

Die Beklagte trat dem entgegen. Sie hielt die getroffene Entscheidung für rechtmäßig und sieht sich durch eine Mitteilung der DRV Bund gegenüber dem Sozialgericht vom 5. Januar 2018 in ihrer Auffassung bestätigt.

Das Gericht erhob Beweis durch Einholung von Befundunterlagen der die Klägerin behandelnden Ärzte (Dres. E. und F.) sowie durch Einholung der Entlassungsberichte der Kliniken, in denen die Klägerin in den letzten vier Jahren behandelt worden ist.

Das Gericht stellte bei der DRV Bund die Anfrage, woraus sich deren Zuständigkeit für Personen ergebe, die von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit seien. Mit Schreiben vom 5. Januar 2018 teilte die DRV Bund mit, eine spezielle gesetzliche Regelung hierfür existiere nicht. Es handele sich insoweit aber um ein zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit abgestimmtes Verfahren. Nach dem Wortlaut des § 145 Abs. 1 Satz 2 SGB III seien nur die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung befugt, die Entscheidung über das Vorliegen von Erwerbsminderung zu treffen. Sie hätten die Entscheidung auch in den Fällen zu treffen, bei denen die sonstigen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht vorliegen würden, z. B. weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Maßgebend für die Rechtsfolgen sei nämlich allein die Frage, ob eine vollständige Erwerbsminderung vorliege. Würden die Rentenversicherungsträger in den Fällen, in denen keine Verbindung der arbeitslosen Person zur gesetzlichen Rentenversicherung bestehe, das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit nicht prüfen, würde die Intention des § 145 SGB III nämlich ins Leere laufen. Die Bundesagentur für Arbeit müsste - da sie nicht befugt sei, eine verminderte Erwerbsfähigkeit verbindlich festzustellen - dann für die Personen, die nicht pflichtversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung seien, andernfalls das Alg regelmäßig bis zum Ende der Anspruchsdauer zahlen. Beigefügt war dem Schreiben der DRV Bund ein Auszug aus dem Protokoll der Gremiensitzung "Arbeitsgruppe Erwerbsminderungsrente" der Träger der Rentenversicherung von Oktober 2017 sowie die ärztlichen Unterlagen, die seitens der DRV Bund zur Prüfung der Frage, ob bei der Klägerin eine Erwerbsminderung vorliegt, herangezogen worden waren.

Mit Urteil vom 17. Mai 2018 wies das Sozialgericht Darmstadt die Klage ab.

Die Klage sei zulässig, insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlichen zuständigen Sozialgericht erhoben worden, §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage sei indes nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2015 sei von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe darin zu Recht die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 1. November 2015 aufgehoben. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Alg über den 31. Oktober 2015 hinaus.

Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Alg sei im Falle der Klägerin § 145 SGB III gewesen, denn die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei im Zeitpunkt der Antragstellung auf Alg prognostisch für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten derart gemindert, dass sie versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt nicht auszuüben in der Lage gewesen sei. Auch sei im Zeitpunkt der Antragstellung auf Alg eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung noch nicht festgestellt gewesen.

Nach § 145 Abs. 1 SGB III habe Anspruch auf Alg auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos sei, weil sie wegen einer mehr als 6-monatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben könne, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich seien, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung (noch) nicht festgestellt worden sei.

Die Feststellung, ob eine verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, treffe nach dem Wortlaut des § 145 Abs. 1 SGB III der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach § 145 Abs. 2 SGB III habe die Agentur für Arbeit die leistungsgeminderte Person unverzüglich aufzufordern, innerhalb eines Monats einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen.

Obwohl die Klägerin seit dem 1. Januar 2013 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sei (Bescheid der DRV Bund vom 16. April 2013), sei gleichwohl für die Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit im Sinne des §§ 145 Abs. 1 SGB III allein die DRV Bund zuständig.

Dies folge zur Überzeugung des Gerichts nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift des § 145 SGB III, wie dies in dem Schreiben der DRV Bund vom 5. Januar 2018 an das Gericht dargelegt worden sei sowie unter Berufung auf das Ergebnis der Gremiensitzung der Arbeitsgruppe "Erwerbsminderungsrenten" von Oktober 2017.

Während die Gewährung von Alg nach dem SGB III grundsätzlich sowohl objektive als auch subjektive Verfügbarkeit des Arbeitslosen voraussetze (§138 SGB III), fingiere § 145 SGB III dann, wenn ein Arbeitsloser auf nicht absehbare Zeit in seiner Leistungsfähigkeit gemindert sei und er deswegen im zeitlichen Umfang nur noch geringfügige oder aber überhaupt keine arbeitsmarktüblichen Beschäftigungen mehr ausüben könne, die "objektive Verfügbarkeit", wenn der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (noch) keine Erwerbsminderung festgestellt habe. Zweck dieser auch als Nahtlosigkeitsregelung bezeichneten Vorschrift sei es, zu verhindern, dass widersprüchliche Beurteilungen der Leistungsfähigkeit durch die Bundesagentur für Arbeit einerseits und den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits "auf dem Rücken des Versicherten ausgetragen werden" (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09.09.1999 – B 11 AL 13/ 99 R -).

Diese Wirkung der sog. "Nahtlosigkeitsregelung" begründe gegenüber der Bundesagentur eine Sperrwirkung, die es der Bundesagentur verbiete, die objektive Verfügbarkeit von Arbeitslosen wegen andauernder, nicht nur vorübergehender Einschränkungen der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit zu verneinen, bevor der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung Erwerbsunfähigkeit im Sinne des SGB VI (§ 43 SGB VI) festgestellt habe.

Aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtordnung müsse - solange und soweit es für die Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit seien, keine anderweitige spezielle gesetzliche Regelung gebe - auch zur Überzeugung des erkennenden Gerichts der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung auch bei diesen Personen, die - wie die Klägerin - von der Versicherungspflicht befreit seien, für die Prüfung zuständig sein, ob die für die Erwerbsminderungsrenten im Sinne des SGB VI notwendigen Voraussetzungen erfüllt seien. Eine andere Sichtweise würde zu unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben bei der Prüfung, ob volle oder teilweise Erwerbsminderung vorliege, führen, je nachdem ob die arbeitslose Person pflichtversichert oder - wie die Klägerin - von der Versicherungspflicht befreit sei. Würde die Prüfungskompetenz für die Frage, ob verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, verschiedenen Versorgungswerken überlassen, wäre eine einheitliche Beurteilung der Frage, ob verminderter Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB VI vorliege und damit eine einheitliche Klärung der Geltung der fiktiven Fortwirkung von objektiver Verfügbarkeit nicht gewährleistet. Dies würde der Intention des § 145 SGB III widersprechen, durch die gerade gewährleistet sein solle, dass Entscheidungen im System der allgemeinen Sozialversicherung auch einheitlich ergehen.

Dieser Auffassung hätten sich - wie durch das Schreiben der DRV Bund an das Gericht vom 5. Januar 2018 sowie durch das Ergebnis der Gremiensitzung der Arbeitsgruppe "Erwerbsminderungsrenten" in der Sitzung 3/17 vom 16. bis 18. Oktober 2017 erkennbar - im Ergebnis die Träger der Sozialversicherung und die Beklagte angeschlossen und könne insoweit auch vom erkennenden Gericht zugrunde gelegt werden.

Die DRV Bund habe darin zutreffend mitgeteilt, eine spezielle gesetzliche Regelung, aus der sich die Zuständigkeit der gesetzlichen Rentenversichersicherungsträger zur Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit auch bei nicht gesetzlich rentenversicherten Personen ergebe, existiere nicht. Möglich sei daher ein zwischen den Rentenversicherungsträgern und der Bundesagentur für Arbeit abgestimmtes Verfahren. Nach § 145 SGB III seien ausdrücklich nur die Rentenversicherungsträger befugt, die Entscheidung über das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit zu treffen und sie müssten und würden diese Entscheidung auch dann treffen, wenn z.B. die sonstigen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht vorliegen würden, etwa weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

Die Mitteilung des Argumentes, es spräche für eine Prüfpflicht der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, weil ansonsten die Intention des §§ 145 SGB III ins Leere laufen würde, wenn die Rentenversicherungsträger nicht befugt wären, das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit bei nicht rentenversicherten Personen zu prüfen, teile das Gericht. Der Bundesagentur wäre es in diesen Fällen andernfalls verwehrt, eine verminderte Erwerbsfähigkeit verbindlich festzustellen und sie müsste das Alg zum Ende der Anspruchsdauer zahlen.

Die Arbeitsgruppe "Erwerbsminderungsrenten" habe zu dieser Problematik - unter Hinweis auf die Kommentarliteratur - ausgeführt, § 145 Absatz 1 Satz 2 SGB III sei eine reine Zuständigkeitsnorm, in der allein die Zuständigkeiten zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit geregelt würde. Wenngleich allein aus dem Wortlaut nicht abgeleitet werden könne, dass die Rentenversicherungsträger auch bei nicht rentenversicherten Personen die Erwerbsfähigkeit prüfen müssten, so müsse doch aus Sinn und Zweck der Vorschrift folgen, dass die Kompetenz für die Feststellung, dass eine Person vermindert erwerbsfähig sei, allein bei den Rentenversicherungsträgern liege. Nur diese könnten verbindlich gegenüber der Bundesagentur entscheiden, ob die Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 Satz 2 SGB VI vorliegen würden. Die Bundesagentur sei insoweit nicht entscheidungsberechtigt, sondern ihrerseits im Rahmen des §§ 145 SGB III an die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über das Vorliegen bzw. das Fehlen von verminderter Erwerbsfähigkeit gebunden. Weiter heiße es in dem Schreiben der Arbeitsgruppe vom Oktober 2017 wörtlich:

"In der Rechtsprechung und Literatur wird einhellig vertreten, dass selbst dann, wenn von vornherein feststeht, dass kein Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht, etwa weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, der Rentenversicherungsträger verpflichtet ist, die Leistungsfähigkeit der betreffenden Person zu prüfen.Entscheidend für die Rechtsfolgen des §§ 145 Abs. 1 SGB III ist nämlich nicht, ob die für die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit notwendigen Voraussetzungen vorliegen, sondern, ob Erwerbsminderung vorliegt. Im Ergebnis ist es daher unerheblich, weshalb ein Rentenanspruch nicht gegeben ist. Für eine Prüfpflicht der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung spricht auch, dass ansonsten die Intention des §§ 145 SGB III ins Leere liefe, wenn die Rentenversicherungsträger die Erwerbsfähigkeit bei nicht rentenversicherten Personen nicht prüfen. Denn die Bundesagentur kann eine verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verbindlich feststellen und müsste das Arbeitslosengeld bis zum Ende der Anspruchsdauer zahlen."

Abschließend wurde als Beratungsergebnis festgestellt:

"Die Rentenversicherungsträger haben die Erwerbsminderung nach § 145 SGB III auch dann zu prüfen, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt sind oder die arbeitslose Person nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert ist."

Dieser Auffassung schließe sich das erkennende Gericht nach eigener Prüfung an. Klar sei der Wortlaut des § 145 SGB III insoweit, dass die Beklagte nicht verbindlich über das Vorliegen (dauerhafter) Erwerbsminderung entscheiden dürfe. Demnach könne dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur genügt werden, wenn insoweit die letzte Entscheidungsmacht - auch in Fällen wie dem vorliegenden - bei den Trägern der Rentenversicherung liege.

Nachdem die DRV Bund festgestellt hatte (Schreiben an die Beklagte vom 12. Oktober 2014), dass die Klägerin voraussichtlich bis 2017 nicht in der Lage gewesen sei und sein werde, eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, sei eine Feststellung im Sinne des § 145 SGB III getroffen worden und die Sperrwirkung des § 145 SGB III (Fiktion der objektiven Verfügbarkeit) entfallen. Die Beklagte habe daher die Entscheidung über die Bewilligung von Alg mit Wirkung für die Zukunft ab 1. November 2015 aufheben müssen.

Dieses Urteil wurde der Klägerin am 10. Juli 2018 (Bl. 163 der Gerichtsakte) zugestellt. Dagegen hat sie am 9. August 2018 (Bl. 166 der Gerichtsakte) Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Klägerin reichte im Berufungsverfahren zwei Stellungnahmen von Dr. med. Dipl.-Psych. G. ein, die dieser im Auftrag des Versorgungswerks der Landesärztekammer Hessen erstattet hatte. In der Stellungnahme vom 4. März 2019 (Bl. 207 der Gerichtsakte) heißt es, dass seines Erachtens ab dem Zeitpunkt der Gutachtenserstellung zumindest für die Dauer von fünf Jahren Berufsunfähigkeit anzuerkennen und dann ggf. eine Nachprüfung vorzunehmen sei. In der Stellungnahme vom 14. April 2019 (Bl. 206 der Gerichtsakte) heißt es, dass ab dem Tag der Begutachtung Berufungsunfähigkeit vorliege. Außerdem reichte die Klägerin den Bescheid der Landesärztekammer vom 9. Mai 2019 (Bl. 193 ff. der Gerichtsakte) ein, mit dem ihr eine Berufsunfähigkeitsrente im Sinne der Versorgungsordnung des Versorgungswerkes des Landesärztekammer Hessen ab 1. Januar 2019 bewilligt wurde.

Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, dass die Regelung des § 145 SGB III für sie nicht gelte, da sie seit Jahren von der Versicherungspflicht befreit worden sei. Widersprüchliche Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit könne es in ihrem Fall nicht gegeben. Vielmehr bestünden in ihrem Fall unterschiedliche Beurteilungen durch die Deutsche Rentenversicherung und das Versorgungswerk.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Mai 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Auf Nachfrage des Gerichts legte die Klägerin weitere Gutachten, die im Rahmen der Prüfung der am 22. September 2015 beim Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen beantragten Berufsunfähigkeitsrente erstattet wurden sowie ein Gutachten, das im Rahmen der Prüfung einer Berufsunfähigkeitsrente bei der H. Lebensversicherung AG, erstattet wurde, vor (Anlagen zu Bl. 212 der Gerichtsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2015, mit dem diese die Bewilligung von Alg ab 1. November 2015 aufgehoben hat, ist rechtmäßig.

Die Klägerin hat ab 1. November 2015 keinen Anspruch auf Gewährung von Alg mehr. Zur Begründung wird auf die ausführlichen Ausführungen des Sozialgerichts Darmstadt im angegriffenen Urteil, die sich der Senat nach Prüfung zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG), verwiesen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin nicht erst seit dem 1. Januar 2013, sondern bereits ab dem 1. Mai 2006 und damit seit Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Sie war damit nie in der GRV versicherungspflichtig. Trotzdem ist für die Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit im Sinne des §§ 145 Abs. 1 SGB III von Personen dieser Personengruppe aus den vom Sozialgericht genannten Gründen allein der entsprechende Träger der Rentenversicherung, im Fall der Klägerin also die DRV Bund, zuständig. Die Beklagte musste deshalb durch den angefochtenen Bescheid nach § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X ihre Bewilligung von Alg mit Wirkung für die Zukunft - wie von ihr im Widerspruchsbescheid vom 5. November 2015 zutreffend ausgeführt - aufheben, weil in den tatsächlichen bzw. rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des aufgehobenen Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, da mit der Feststellung der vollen Erwerbsminderung durch die DRV Bund eine Voraussetzung für die Gewährung von Alg nach § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III weggefallen ist und die Klägerin auch nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld nach §§ 136 Abs. 1 Nr. 2, 137 Abs. 1 Nr. 1, 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 1 SGB III (Verfügbarkeit) erfüllt, weil bei ihr - wie sich aus dem amtsärztlichen Gutachten von Dr. D. vom 20. April 2015 (Bl. 2 der Verwaltungsakte) ergibt - so gravierende Gesundheitsstörungen vorliegen, dass eine Leistungsfähigkeit zur Ausübung einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Diese Einschätzung wird auch durch die von der DRV Bund mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 der Beklagten mitgeteilten Einschätzung, dass bei der Klägerin ab dem 3. Dezember 2013 bis 31. Dezember 2017 ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorliegt, sowie durch die vom Sozialgericht von den die Klägerin behandelnden Ärzten und Kliniken eingeholten Befundberichten, insbesondere durch den psychiatrischen Befundbericht von Dr. F. vom 12. September 2015 (Bl. 83 der Gerichtsakte), bestätigt. Etwas anderes ist von der Klägerin auch während des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens nicht vorgetragen worden.

Auch der Vortrag im Berufungsverfahren gibt zu einer anderen Bewertung keine Veranlassung.

Wenn die Feststellung über das Vorliegen einer verminderten Erwerbsfähigkeit im Sinne des §§ 145 Abs. 1 SGB III auch für Personen, die überhaupt nicht in der GRV versicherungspflichtig sind, ausschließlich durch den zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung getroffen wird, können zwar unterschiedliche Beurteilungen der verminderten Erwerbsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger und den Träger des alternativen Versorgungssystems, hier zwischen der Beurteilung der DRV Bund und der Beurteilung des Versorgungswerks der Landesärztekammer Hessen, entstehen. Diese unterschiedlichen Beurteilungen können aber auf unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäben beruhen. Die Träger der Rentenversicherung haben für die Bundesagentur für Arbeit zu beurteilen, ob verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 SGB VI) vorliegt. Maßstab dafür ist, ob die Versicherten wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine bestimmte Zeit erwerbstätig zu sein. Das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen hat dagegen im vorliegenden Fall für die von der Klägerin beantragte Berufsunfähigkeitsrente den Maßstab anzulegen, ob sie infolge ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte ihren Beruf als Ärztin oder Arzt ausüben kann oder nicht (vgl. § 3 Abs. 1 der Versorgungsverordnung des Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen). Eine unterschiedliche Beurteilung, die auf unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäben beruhen kann, auszuschließen, ist aber nicht der Sinn und Zweck der Regelung des § 145 Abs. 1 SGB III. Sinn und Zweck der Regelung des § 145 Abs. 1 SGB III ist es vielmehr nur, unterschiedliche Beurteilungen verschiedener Sozialversicherungsträger, denen der gleichen Beurteilungsmaßstab zugrunde liegt, zu vermeiden, um auszuschließen, dass der Versicherte keine der alternativ zu gewährenden Leistungen erhält. Eine solche Situation liegt aber bei der Klägerin nicht vor, weil die Gewährung von Arbeitslosengeld von der Erwerbsminderung in Hinblick auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abhängt, während die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente durch das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen voraussetzt, dass jemand nicht mehr als Arzt erwerbstätig sein kann. Insofern kann auch eine teleologische Uminterpretation des § 145 Abs. 1 Satz 2 III, nach der im Falle einer fehlenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beurteilung, ob verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegt, die Entscheidung des Trägers eines alternativen Versorgungssystems maßgeblich sein soll und bis zum Vorliegen dieser Beurteilung Alg nach § 145 Abs. 1 SGB III zu gewähren ist, nicht erfolgen.

Auch die Gesetzesmaterialien ergeben für eine solche Interpretation keine Anhaltspunkte. Die Regelung des § 145 Abs. 1 Satz 2 SGB III geht letztlich auf die Regelung des § 103 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) vom 25. Juni 1969 (BGBl. I, S. 582, 599) zurück, die wiederum maßgeblich auf Beschlüssen des Ausschusses für Arbeit basiert (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (19. Ausschuss), BT-Drs. V/4110, S. 44). Die Regelungen lauteten:

Abs. 1: " der Arbeitsvermittlung steht jedoch nicht zur Verfügung, wer nur geringfügige Beschäftigungen (§ 102) ausüben kann oder darf, weil er in seiner Leistungsfähigkeit gemindert und berufsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist "

Abs. 2: "Die Entscheidung, ob Berufsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegt, trifft der zuständige Rentenversicherungsträger im Wege der Amtshilfe. Bis zur Entscheidung gilt der Arbeitslose als nicht berufsunfähig ..."

Zur Begründung für die Einführung des Abs. 2 ist in den Gesetzesmaterialien (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit [19. Ausschuss], zu BT-Drs. V/4110, S. 18) angeführt:

"In Übereinstimmung mit dem Ausschuss für Sozialpolitik des Deutschen Bundestages und dem Bundesrat vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die Entscheidung, ob Berufsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegt, vom Rentenversicherungsträger zu treffen ist. Durch die Bindung der Bundesanstalt an diese Entscheidung werden die Schwierigkeiten ausgeschlossen, die sich in den - allerdings seltenen - Fällen ergeben, in denen die Beurteilungen der Erwerbsfähigkeit durch die Bundesanstalt und durch den Rentenversicherungsträger nicht übereinstimmen. Zur Herstellung der vollen "Nahtlosigkeit" hält es der Ausschuss für erforderlich, dass der Arbeitslose bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nicht als berufsunfähig angesehen werden darf. "

Aus der Begründung wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber mit der Einführung der Regelung des Abs. 2 um den Ausschluss einer unterschiedlichen Beurteilung ein und desselben Begriffs, nämlich des Begriff der Erwerbsfähigkeit, durch zwei verschiedene Sozialversicherungsträger geht. Anhaltpunkte dafür, dass es den Intentionen des Gesetzgebers entspricht, dass die Entscheidung eines Trägers eines alternativen Versorgungssystems, zumal wenn diese nach anderen Maßstäben zu ergehen hat, statt der Entscheidung des Trägers der Rentenversicherung relevant sein könnte, ergeben sich aus der Gesetzesbegründung nicht. Es ging dem Gesetzgeber nicht darum, in jedem Fall eine "Nahtlosigkeit" zwischen den Leistungen zweier verschiedener Leistungssysteme herzustellen. Dies zeigt auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, nach der die Träger der Rentenversicherung die Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit auch zu treffen haben, wenn von vornherein feststeht, dass kein Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht, etwa weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (BSG, Urteil vom 29. April 1998, B 7 AL 18/97 R, Juris, Rdnr. 20 m.w.N.). Auch in diesen Fällen tritt keine "Nahtlosigkeit" der Gewährung dieser Leistungen ein.

Die Regelungen des § 103 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 AFG sind später im Wesentlichen in der Regelung des § 105a Abs. 1 AFG aufgegangen (Art. 2 § 2 Nr. 7 Sozialgesetzbuch (SGB) - Verwaltungsverfahren - vom 18. August 1980, BGBl. I, S. 1469, 1487). Zur Begründung (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung [11. Ausschuss], BT-Drs. 8/4022, S. 89) wird angeführt: "Die Regelung über die "Nahtlosigkeit" zwischen den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden im Interesse der Rechtsklarheit aus ihrem bisherigen Sachzusammenhang herausgenommen und - bei weitgehender Übernahme des geltenden Rechts - in einer Sondervorschrift zusammengefasst. Absatz 1 übernimmt in geänderter Fassung die Regelung des § 103 Abs. 1 und 2 AFG ". Auch bei der Überführung des Arbeitsförderungsgesetzes in das Dritte Buch des Sozialgesetzbuchs durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24. März 1997 (BGBl. I, S. 594) wurde die Regelung des § 105a AFG sachlich unverändert in § 125 SGB III übernommen (BT-Drs. 13/4941, S. 177: "Die Vorschrift entspricht in Anpassung an den neuen Sprachgebrauch dem geltenden Recht [§ 105a AFG]). Durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2854) wurde die Regelung dann schließlich im Wesentlichen sachlich unverändert in die heute gültige Regelung des § 145 SGB III überführt (BR-Drs. 313/11, S. 209: "Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 125. Sie wird zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern angepasst."). Auch aus den späteren Gesetzesänderungen lassen sich deshalb keine Schlüsse hinsichtlich der hier aufgeworfenen Frage ziehen, so dass es bei der für die Beklagte verbindlichen Entscheidung der Träger der Rentenversicherung auch in den Fällen bleiben muss, in denen überhaupt keine Rentenversicherungspflicht besteht.

Aber auch wenn man in einer solchen Konstellation - im Wege der telelogischen Reduktion des § 145 Abs. 1 Satz 2 SGB III - die Notwendigkeit der Einschaltung des Trägers der Rentenversicherung verneinen und stattdessen in diesen Fällen eine ausschließliche Beurteilungskompetenz der Beklagten annehmen würde, würde dies bei der Klägerin nicht dazu führen, dass diese über den 31. Oktober 2015 hinaus einen Anspruch auf Alg hätte, weil auf der Grundlage des von der Beklagten eingeholten amtsärztlichen Gutachtens von Frau Dr. D. vom 20. April 2015 die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg sogar von Anfang an zu verneinen gewesen wären (s.o.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision war mangels Zulassungsgründen im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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