L 5 R 224/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 7 R 366/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 224/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 7/20 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Sofern der Rentenversicherungsträger im Bescheid über die Bewilligung einer Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen zum Ausdruck bringt, dass er auch die Erfüllung der 45jährigen Wartezeit für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte geprüft und als nicht erfüllt angesehen hat, stellt dies eine anfechtbare Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X dar.

Das Tatbestandsmerkmal der "vollständigen Geschäftsaufgabe" in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI ist durch den tatsächlichen Wegfall der gesamten Unternehmensorganisation als Basis der Beschäftigung gekennzeichnet. Dahinstehen kann der formelle Bestand des Arbeitgebers als juristische Person insbesondere durch die fortbestehende Eintragung im Handelsregister.

Das Tatbestandsmerkmal des "Bedingtseins" in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI erfordert lediglich eine einfache Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. April 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch für das Berufungsverfahren die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

Die 1952 geborene Klägerin war seit dem 1. März 1987 bei der C. GmbH & Co. KG in A-Stadt als Verkaufsberaterin beschäftigt. Die Arbeitgeberin beendete das Arbeitsverhältnis durch Kündigung vom 25. Oktober 2013 mit Wirkung zum 31. Mai 2014. Zur Begründung führte sie aus: "( ) beschlossen, den Geschäftsbetrieb der C. GmbH & Co. KG zum 31. Mai 2014 stillzulegen. Unser Geschäft wird geschlossen. Die Stilllegung des Geschäftsbetriebs führt zu einem Wegfall sämtlicher Arbeitsplätze. Dies gilt auch für Ihren Arbeitsplatz. Wir kündigen das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis daher aus dringenden betrieblichen Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. Mai 2014. Höchst vorsorglich kündigen wir das Arbeitsverhältnis auch außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist entsprechend der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. Mai 2014."

Seit dem 1. Juni 2014 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemäß §§ 136 ff. Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III). Ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 10. Juni 2014 betrug die Anspruchsdauer 720 Kalendertage zu einem täglichen Leistungsbetrag von 32,29 EUR. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2014 hob die BA die Arbeitslosengeld-Bewilligung auf. Grund hierfür war, dass die Klägerin ausweislich des Arbeitsvertrages vom 30. Oktober 2014 mit der D. GmbH eine Tätigkeit im Umfang von 28 Stunden wöchentlich mit Wirkung ab dem 1. November 2014 aufgenommen hatte, wobei die ersten 6 Monate als Probezeit mit 2-wöchiger Kündigungsfrist vereinbart wurden. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 27. Februar 2015 mit Wirkung zum 15. März 2015. Die Klägerin meldete sich daraufhin erneut arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 27. März 2015 gewährte die BA ihr aus dem ursprünglich erworbenen Arbeitslosengeldanspruch für die Zeit vom 16. März 2015 (für die Dauer von 570 Kalendertagen) bis zum 14. Oktober 2016 Arbeitslosengeld in unveränderter Höhe.

Mit Bescheid vom 15. September 2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag vom 1. August 2016 hin Altersrente für langjährig Versicherte mit einem Rentenbeginn – wie beantragt – am 1. November 2016 und einem Rentenzahlbetrag von 924,49 EUR. Auf Seite 5 des Bescheides führte die Beklagte unter der Überschrift "Was sollte ich sonst noch wissen?" aus, dass die Klägerin nach Prüfung die Wartezeit von 540 Monaten für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Abschläge nicht erfülle. Die Zeit der Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ab dem 16. März 2015 könne nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden, da diese nicht durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe bedingt sei. Die Insolvenz betreffe die Auflösung des früheren Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 2014, nach dem Arbeitslosigkeit und ein weiteres Arbeitsverhältnis bei einer anderen Arbeitgeberin gefolgt seien. Der Bezug des Arbeitslosengeldes müsse durch die Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe der letzten Arbeitgeberin bedingt sein.

Hiergegen erhob die Klägerin am 27. September 2016 Widerspruch soweit die Wartezeit für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte als nicht erfüllt angesehen worden sei und führte zur Begründung aus, dass bei ihr die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3a Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGG VI) vorlägen. Ohne die Geschäftsaufgabe der C. GmbH & Co. KG wäre sie nicht arbeitslos geworden und hätte bis zur Regelaltersgrenze ihr langjähriges Arbeitsverhältnis fortsetzen können. Dies stelle einen einheitlichen Lebensvorgang dar. Die Beklagte verkenne, dass sie zur Aufrechterhaltung ihrer Ansprüche auf Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung gehalten gewesen sei, sich um ein neues Arbeitsverhältnis zu bemühen, was bei gesetzestreuem Verhalten zwangsläufig dazu führe, dass ein neues Arbeitsverhältnis kurzfristig begründet werde. Der Gesetzgeber habe Anreize vermeiden wollen, die Arbeitslosigkeit willkürlich zur Erfüllung der Wartezeit herbeizuführen. Er habe sicherlich nicht erreichen wollen, dass nach Eintritt der Arbeitslosigkeit infolge einer Geschäftsaufgabe der Leistungsempfänger keine Bemühungen zur Erlangung einer neuen Arbeit unternehme, damit eine Anrechnung seiner Zeit der Arbeitslosigkeit auf die Wartezeit erfolgen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, die in den letzten 2 Jahren vor Rentenbeginn liegen, könnten nicht auf die Wartezeit von 45 Jahre angerechnet werden. Dies gelte nach der Ausnahmeregelung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 SGB VI nicht, wenn der Bezug der Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt werde. Der Zweijahreszeitraum beginne am 1. November 2014. Zum 31. Mai 2014 sei das Beschäftigungsverhältnis aufgrund der Geschäftsaufgabe beendet worden. Die Zeit des Arbeitslosengeldbezugs vom 1. Juni 2014 bis 31. Oktober 2014 werde auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet, weil sie außerhalb des Zweijahreszeitraums vor Rentenbeginn liege. In der Zeit vom 1. November 2014 bis 15. März 2015 sei die Klägerin jedoch bei einer neuen Arbeitgeberin beschäftigt gewesen. Die anschließende Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld ab dem 16. März 2015, die innerhalb des Zweijahreszeitraums vor Rentenbeginn liege, könne nur dann auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden, wenn der Bezug des Arbeitslosengeldes erneut durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe der letzten Arbeitgeberin bedingt sei. Die vollständige Geschäftsaufgabe der vorherigen Arbeitgeberin zum 31. Mai 2014 sei nicht mehr allein ausschlaggebend für den Bezug von Arbeitslosengeld ab dem 16. März 2015.

Hiergegen erhob die Klägerin am 5. Dezember 2016 Klage bei dem Sozialgericht Kassel, zu deren Begründung sie sich zunächst auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren bezog. Die Arbeitslosigkeit sei wegen der Geschäftsaufgabe ihrer langjährigen Arbeitgeberin zum 31. Mai 2014 eingetreten. Bei wertender Betrachtung stelle der Gesamtzeitraum seit Beginn der Arbeitslosigkeit die aufgrund der Geschäftsaufgabe der langjährigen Arbeitgeberin zum 31. Mai 2014 kausal eingetretene Arbeitslosigkeit dar. Es könne nicht zu ihren Lasten gehen, wenn sie (entsprechend ihrer Verpflichtung gegenüber der BA) hiernach wieder ein Arbeitsverhältnis aufnehme, insbesondere, weil nur eine Weiterbewilligung des Arbeitslosengeldanspruchs erfolgt sei. Durch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vom 1. November 2014 bis 15. März 2015 sei kein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld entstanden und der alte Anspruch nicht erloschen.

Nach Durchführung eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 3. Februar 2017 und Beiziehung der Leistungsakte der BA betreffend die Klägerin änderte das Sozialgericht mit Urteil vom 26. April 2017 ohne mündliche Verhandlung den Bescheid vom 15. September 2016 ab, hob den Widerspruchsbescheid vom 7. November 2016 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab dem 1. November 2016 abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährige Versicherte zu gewähren. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. Juni 2014 bis 31. Oktober 2014 arbeitslos, in der Zeit vom 1. November 2014 bis 15. März 2015 sozialversicherungspflichtig beschäftigt und in der Zeit nach dem 16. März 2015 bis 14. Oktober 2016 erneut arbeitslos gewesen sei und ihr währenddessen Entgeltersatzleistungen von Seiten der BA gezahlt worden seien. Zur Erfüllung der auf die Wartezeit von 45 Jahren noch fehlenden 16 Monate kämen die Zeiten der Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI in Betracht. Nach ihrem Versicherungsverlauf seien ohne die Zeiten der Arbeitslosigkeit vom 16. März 2015 bis 31. Oktober 2016 insgesamt 524 Kalendermonate mit maßgebenden rentenrechtlichen Zeiten erfüllt, so dass noch nicht die für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte erforderliche Wartezeit im Sinne von § 236b Nr. 2 SGB VI von 45 Jahren erfüllt wäre. Allerdings sei auch die Zeit von April 2015 bis Oktober 2016 (19 Monate) auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen, da es sich hierbei um Entgeltersatzleistungen der BA bei Arbeitslosigkeit handele. Dies habe die Beklagte verkannt. Auch diese Zeit sei durch die vollständige Geschäftsaufgabe der langjährigen Arbeitgeberin zum 31. Mai 2014 kausal bedingt, ohne dass die von der Klägerin in der Zeit vom 1. November 2014 bis 15. März 2015 erneut aufgenommene versicherungspflichtige Beschäftigung diesen Kausalzusammenhang beseitigt habe. Diese Einschätzung folge aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Anrechnungsvorschrift des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI.

Gegen das ihr am 6. Juni 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30. Juni 2017 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung und unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen trägt sie vor, dass Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung dann durch eine vollständige Geschäftsaufgabe im Sinne des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI bedingt seien, sofern das unmittelbar vorangegangene Beschäftigungsverhältnis aufgrund einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers beendet worden sei. Die Insolvenz bzw. die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers müsse maßgeblicher Anlass für den Bezug der Entgeltersatzleistungen sein und darüber hinaus dem Bezug vorangehen. Der maßgebliche Grund für den Bezug des Arbeitslosengeldes ab 16. März 2015 sei aber die Kündigung der Klägerin in der Probezeit und nicht die vollständige Geschäftsaufgabe der früheren Arbeitgeberin gewesen. Darüber hinaus liege eine vollständige Geschäftsaufgabe der C. GmbH & Co. KG nicht vor. Die Firma sei weiterhin im Handelsregister eingetragen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. April 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Zur Begründung verweist sie auf die nach ihrer Auffassung überzeugenden Ausführungen in dem Urteil des Sozialgerichts. Eine Beschränkung im Sinne einer unmittelbaren Kausalität sehe der Gesetzestext des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI nicht vor. Auch sei im Tatsächlichen eine vollständige Geschäftsaufgabe durch die langjährige Arbeitgeberin erfolgt. Die C. GmbH & Co. KG bestehe formell zwar fort, allerdings mit einem tiefgreifend veränderten Unternehmensgegenstand und vollständig veränderten personellen Umfang. Der bis dahin bestehende Gegenstand des Unternehmens, nämlich der Handel mit hochwertiger Damen- und Herrenbekleidung, sei beendet worden, das Einzelhandelsladengeschäft geschlossen und abgewickelt. Sämtliche etwa 40 Mitarbeiter seien bis auf eine geringfügig weiter beschäftigte Mitarbeiterin für Büroarbeiten entlassen worden. Der Gegenstand des Unternehmens sei ausgetauscht worden und beinhalte etwas völlig anderes als die vorherige geschäftliche Betätigung, nämlich die Vermietung und Verwaltung von Immobilien, wobei es sich angesichts des Umfangs der verbliebenen personellen Ausstattung der Firma ausschließlich um die Vermietung des im Familienbesitz befindlichen ehemaligen Ladengrundstücks handeln dürfte.

In der vom Senat angeforderten schriftlichen Auskunft hat der Geschäftsführer der C. GmbH & Co. KG, E., am 7. Mai 2018 ausgeführt, dass Gegenstand des Unternehmens bis zum 31. Mai 2014 der Handel mit hochwertiger Damen- und Herrenbekleidung gewesen sei. Das Einzelhandels-Ladengeschäft (Geschäftshaus E-Straße in A-Stadt) sei am 31. Mai 2014 geschlossen worden. Ab Juni 2014 sei die Vermietung und Verwaltung von Immobilien Gegenstand des Unternehmens. Nur eine Mitarbeiterin in der Buchhaltung sei wegen der Abwicklung in der Finanzbuchhaltung erst zum 30. September 2014 entlassen und seit dem 1. Januar 2015 wieder als geringfügig Beschäftigte für Büroarbeiten im Bereich der Immobilienverwaltung eingestellt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Rentenakte der Klägerin.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. April 2017 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2016 ist rechtswidrig ergangen und beschwert die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG. Sie hat jedenfalls ab dem 1. November 2016 Anspruch auf Gewährung abschlagsfreier Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte scheitert nicht bereits daran, dass ihr mit Bescheid vom 15. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2016 seit dem 1. November 2016 eine Altersrente für langjährig Versicherte gewährt wurde. Zwar bestimmt § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI, dass nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen ist. Die Anwendung dieser Vorschrift scheitert jedoch bereits daran, dass ein Wechsel im Sinne der Vorschrift nicht gegeben ist, weil vorliegend die Altersrente für besonders langjährig Versicherte gleichzeitig mit der Altersrente für langjährig Versicherte am 1. November 2016 beginnt.

Darüber hinaus hat die Klägerin die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI mit Wirkung ab dem 1. November 2016 auch beantragt. Die Auslegung ihres Antrags vom 1. August 2016 folgt hierbei dem Meistbegünstigungsprinzip. Danach sind nicht nur im sozialgerichtlichen Verfahren, sondern auch bereits im Verwaltungsverfahren gestellte Anträge ohne Bindung an den Wortlaut nach dem wirklichen Willen des Antragstellers auszulegen; auf diese Weise wird sichergestellt, dass die sozialen Rechte im Sinne des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) möglichst weitgehend verwirklicht werden (Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage, § 2 SGB I, Rdnr. 27, Stand: 18. März 2019). Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits im Jahre 1966 hierzu entschieden hat (Urteil vom 23. September 1966, Az. 12 RJ 256/62 - MittRuhrKn 1968, 128 = Praxis 1967, 77 unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 17. September 1964, Az. 12 RJ 470/61 - SozR Nr. 26 zu Art. 2 § 42 ArVNG), gilt der Grundsatz, dass in dem Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld im Zweifel der Antrag auf Gewährung einer dem Versicherten zustehenden höheren Rente liegt. Denn der Versicherungsträger darf hinsichtlich eines Leistungsbegehrens des Versicherten nicht am Wortlaut seiner Erklärung haften, sondern muss nach § 2 Abs. 2 Halbsatz 2 SGB I stets davon ausgehen, dass der Versicherte die ihm günstigste Art der Leistungsgewährung in Anspruch nehmen will. Ein einmal gestellter Antrag ist also umfassend, d.h. auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen zu prüfen (BSG, Urteil vom 17. Februar 2005, Az. B 13 RJ 1/04 R sowie Urteil vom 29. November 2007, Az. B 13 R 44/07 R – SozR 4-2600 § 236a Nr. 2).

Dies zugrunde gelegt, ist davon ausgehen, dass die Klägerin über die maschinelle Erfassung der Beklagten in ihrem formularmäßigen Vordruck hinaus, nicht nur eine Altersrente für langjährig Versicherte, sondern auch die hier streitige Altersrente für besonders langjährig Versicherte beantragt hat. Auch wenn diese Rentenart nicht auf dem Vordruck der Beklagten angekreuzt war, hat sie den Antrag der Klägerin auch als Antrag auf Gewährung der für sie günstigeren Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu behandeln.

Zu dem so verstandenen Leistungsantrag liegt mit dem Bescheid vom 15. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2016 auch eine anfechtbare Entscheidung der Beklagten über das Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) vor. Die Auslegung eines Verwaltungsaktes richtet sich nach den für Willenserklärungen (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) maßgebenden Auslegungsgrundsätzen. Maßgeblich ist in Anwendung dieser Grundsätze der objektive Sinngehalt der Erklärung, d.h. wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (st. Rspr.: BSG, Urteil vom 10. Juli 2012, Az. B 13 R 85/11 R und Beschluss vom 11. April 2018, Az. B 5 R 366/17 B; KassKomm/Mutschler, 107. EL Dezember 2019, SGB X § 31 Rdnr. 21). Dies zugrunde gelegt konnte die Klägerin davon ausgehen, dass ihr mit Bescheid vom 15. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2016 die Altersrente für langjährig Versicherte (mit Abschlägen) gewährt und die Altersrente für besonders langjährig Versicherte abgelehnt wurde. Unschädlich ist hierbei, dass sich der Verfügungssatz betreffend die Altersrente nach § 236b SGB VI erst auf Seite 5 dieses Bescheides findet. Sowohl aus der Mitteilung, dass eine entsprechende Prüfung stattgefunden hat, als auch aus der detaillierten und die Umstände des konkreten Einzelfalls berücksichtigenden Begründung dieser Entscheidung (Seite 6 oben) folgt, dass die Beklagte hiermit gegenüber der Klägerin eine Regelung mit unmittelbarer Außenwirkung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X getroffen hat.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte ist § 236b SGB VI, eingefügt mit Wirkung zum 1. Juli 2014 durch Art. 1 Nr. 8 RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23. Juni 2014 (BGBl. I, Seite 787). Nach Absatz 1 dieser Vorschrift haben Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie

1. das 63. Lebensjahr vollendet und

2. die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben.

Versicherte, die vor dem 1. Januar 1953 geboren sind, haben Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres (§ 236b Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz SGB VI). Für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1952 geboren sind, wird die Altersgrenze von 63 Jahren gemäß § 236b Abs. 2 Satz 2 SGB VI wie folgt angehoben:

Es folgt eine Tabelle, die aufgrund technischer Probleme nicht ordnungsgemäß dargestellt werden kann:

Versicherte Geburtsjahr Anhebung um Monate auf Alter Jahr Monat 1953 2 63 2 1954 4 63 4 1955 6 63 6 1956 8 63 8 1957 10 63 10 1958 12 64 0 1959 14 64 2 1960 16 64 4 1961 18 64 6 1962 20 64 8 1963 22 64 10

Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden nach § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI ebenfalls in der ab 1. Juli 2014 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 2 RV Leistungsverbesserungsgesetz vom 23. Juni 2014 (BGBl. I, Seite 787) Kalendermonate angerechnet mit

1. Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit,

2. Berücksichtigungszeiten,

3. Zeiten des Bezugs von

a) Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,

b) Leistungen bei Krankheit und

c) Übergangsgeld,

soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, und

4. freiwilligen Beiträgen, wenn mindestens 18 Jahre mit Zeiten nach Nummer 1 vorhanden sind; dabei werden Zeiten freiwilliger Beitragszahlung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, wenn gleichzeitig Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit vorliegen.

Ausgehend von diesen gesetzlichen Vorgaben erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Alters für besonders langjährig Versicherte jedenfalls ab dem 1. November 2016. Dies gilt insbesondere für die Wartezeit von 45 Jahren, weil die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit und des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der BA vom 16. März 2015 bis 14. Oktober 2016 in den 2 letzten Jahren vor Rentenbeginn durch die vollständige Geschäftsaufgabe ihrer Arbeitgeberin in Gestalt der C. GmbH & Co. KG gemäß § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI bedingt war.

Zur Überzeugung des erkennenden Senats liegt eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers im Sinne des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI vor. Zu den erforderlichen Voraussetzungen hierfür wird auf die grundlegenden Ausführungen des BSG in seiner Entscheidung vom 28. Juni 2018 unter dem Aktenzeichen (Az.) B 5 R 25/17 R Bezug genommen. Darin definiert das BSG als eine vollständige Geschäftsaufgabe das Ende und damit die Auflösung der gesamten Unternehmensorganisation insbesondere durch Entlassung aller Arbeitnehmer und Veräußerung oder sonstige Weggabe aller Sachmittel (BSG a.a.O. Rdnr. 37). Dementsprechend sieht das BSG den Bezug von Arbeitslosengeld nur dann als durch eine vollständige Geschäftsaufgabe bedingt an, wenn das gesamte Unternehmen des konkreten rechtlichen Arbeitgebers als Basis der vorhandenen Beschäftigungen wegfällt (BSG a.a.O. Rdnr. 28, 39). Dies begründet das BSG unter Heranziehung des Wortlauts der Regelung (BSG a.a.O. Rdnr. 30 bis 36), des Sinnes und Zwecks der Norm (BSG a.a.O. Rdnr. 39 bis 44) und systematischer Überlegungen (BSG a.a.O. Rdnr. 45 bis 55). Wird das gesamte Unternehmen des Arbeitgebers aufgegeben, d.h. aufgelöst bzw. geschlossen oder abgeschafft, fällt die Basis jedweder möglichen Beschäftigung weg, mit der Folge, dass zumindest im Regelfall eine missbräuchliche Beendigung von Beschäftigungen zwecks Frühverrentung durch ein Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgeschlossen ist. Wo keinerlei Beschäftigungsbasis mehr existiert, weil der Arbeitgeber diese aufgibt, scheidet eine Beschäftigung von Arbeitnehmern zwingend und schlechthin aus. Für eine missbräuchliche, der Frühverrentung dienende Beendigung von Arbeitsverhältnissen einzelner Arbeitnehmer lässt dieser Sachverhalt keinen Raum. Dabei kann unter Zugrundelegung allgemeiner Lebenserfahrung als sicher ausgeschlossen werden, dass ein Arbeitgeber sein Unternehmen aufgibt, um einzelnen Arbeitnehmern eine vorzeitige Verrentung zu ermöglichen (BSG a.a.O. Rdnr. 43; hierzu auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 3. Juli 2019, Az. L 2 R 247/18; Becker in SGb 2019, 615, 625).

Die Voraussetzung einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers ist unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe im vorliegenden Fall erfüllt. Durch die Abwicklung der Verkaufsstätte der C. GmbH & Co. KG in der E-Straße in A-Stadt entfiel der komplette organisatorische Rahmen, innerhalb dessen die Klägerin hätte beschäftigt werden können. Hiermit wurde auch keineswegs einzig oder gezielt ihr konkretes Beschäftigungsverhältnis beendet. Vielmehr stellte es eine bewusste unternehmerische Willensentscheidung dar, das gesamte Geschäft einzustellen und hierzu u.a. sämtliche Arbeitnehmer zu entlassen. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass die C. GmbH & Co. KG auch heute noch im Handelsregister des Amtsgerichts Kassel unter der HRA 6383 eingetragen ist. Die Eintragung im Handelsregister betrifft ihren Bestand als juristische Person des Privatrechts (§§ 161, 162, 106 (Eintragung) und 131, 143 (Löschung) Handelsgesetzbuch (HGB)). Allerdings knüpft die Tatbestandsalternative der vollständigen Geschäftsaufgabe in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI gerade nicht an den formellen Fortbestand eines Arbeitgebers als juristische Person, sondern an tatsächliche Umstände in Gestalt der maßgebenden Geschäftstätigkeit an. Der juristische Bestand der Personenhandelsgesellschaft ist unabhängig von deren betrieblicher Tätigkeit. Der Handel mit hochwertiger Damen- und Herrenbekleidung existiert nicht mehr, weil diese Geschäftstätigkeit zum 31. Mai 2014 gänzlich aufgegeben wurde. Ohne Belang ist hierbei ebenfalls, dass eine ehemalige Mitarbeiterin der C. GmbH & Co. KG seit dem 1. Januar 2015 wieder als geringfügig Beschäftigte für Büroarbeiten im Bereich der Immobilienverwaltung tätig ist. Sie ist im Rahmen des neuen Unternehmensgegenstandes für die Arbeitgeberin tätig. Ein Bezug zu dem vormals bestehenden Handel mit Damen- und Herrenbekleidung ist nicht gegeben. Nach der Abwicklung der Verkaufsstätte in 2014 existiert das Geschäftshaus zwar weiterhin, welches sich gemeinsam mit dem Grundstück im Eigentum der C. GmbH & Co. KG befindet und aktuell an eine Drogeriemarktkette vermietet ist. Die vormalige Unternehmensorganisation besteht jedoch nicht mehr. Die Basis für eine Beschäftigung der Klägerin bei der Arbeitgeberin, die auch keine anderen Produktions- oder Verkaufsstätten hat, ist damit nicht mehr gegeben.

Darüber hinaus war die Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld vom 16. März 2015 bis 14. Oktober 2016 durch die vollständige Geschäftsaufgabe der C. GmbH & Co. KG bedingt im Sinne von § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI.

Der erkennende Senat folgt der einschränkenden Leseart der Beklagten zu § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI nicht. Die dort geregelte Rückausnahme erfordert nicht, dass nur das der Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung unmittelbar vorangegangene Beschäftigungsverhältnis aufgrund einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers beendet worden ist.

Nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI sind Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten 2 Jahren vor Rentenbeginn von der Anrechnung auf die Wartezeit von 45 Jahren ausgeschlossen, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt. Der Wortlaut der Vorschrift fordert durch das Tatbestandsmerkmal des "Bedingtseins" einen Ursachenzusammenhang, ohne dessen Qualität zu konkretisieren. Bei einem solchen mehrdeutigen Wortlaut sind zur Auslegung der gesetzlichen Bestimmung die Gesichtspunkte des Bedeutungszusammenhanges, der Regelungsabsicht, des Sinnes und Zweckes des Gesetzes, der Gesetzeshistorie oder des Gebotes einer verfassungskonformen Auslegung heranzuziehen. Grenze jeglicher Auslegung ist hierbei der eindeutige Wortsinn einer gesetzlichen Vorschrift (Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 1995, 143 m.w.N., BVerfGE 54, 277, 299 f.; 59, 330, 334; 93, 37, 81).

Im Rahmen der vorzunehmenden Auslegung ist der erkennende Senat davon überzeugt, dass für die Anwendung der Rückausnahmevorschrift des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI nötig, aber auch ausreichend ist, dass eine einfache Kausalität in sachlicher und zeitlicher Hinsicht vorliegt. Die Geschäftsaufgabe muss hiernach lediglich "conditio sine qua non" für den Bezug der Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung sein. Ein darüberhinausgehender unmittelbarer, wesentlicher oder ausschließlicher Kausalzusammenhang zwischen der Geschäftsaufgabe eines Arbeitgebers und dem Bezug der Entgeltersatzleistungen der BA ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Dies ist im Hinblick auf den Umstand, dass dem Gesetzgeber das Begriffspaar – unmittelbar vs. mittelbar – ebenso wie restriktivere Kausalitätstheorien (bspw. die Theorie der wesentlichen Bedingung der Gesetzlichen Unfallversicherung oder die Adäquanztheorie des Straf- und Deliktrechts) bekannt gewesen sind, als verbindlich im Rahmen der vorzunehmenden Auslegung hinzunehmen. Dies gilt umso mehr, als es sich vorliegend um die Formulierung einer Rückausnahme zu der Ausnahmevorschrift des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI handelt, wonach Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung für die letzten 2 Jahre vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt werden. Dieser Gesetzessystematik folgend ist die Vorschrift streng am Wortlaut orientiert anzuwenden.

Dieses Verständnis des Wortlautes begründet sich gleichfalls mit dem vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI verfolgten Sinn und Zweck. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte sollte im Hinblick auf die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit von Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs auch Versicherten mit kurzen Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie offenstehen. Hiermit wollte der Gesetzgeber insbesondere der Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung Rechnung tragen (BT-Drucks. 18/909, Seite 20). Gleichzeitig wollte er allerdings vermeiden, dass die neu eingeführte Altersrente für besonders langjährig Versicherte Anreize für Frühverrentungen setzt. Denn die Erfahrungen mit den Frühverrentungsmodellen der 1990iger Jahre hatten gezeigt, dass es regelmäßig zu einem dem Rentenbeginn vorgelagerten Arbeitslosengeldbezug gekommen war. Die Rente für besonders langjährig Versicherte mit 63 Lebensjahren nach § 236b SGB VI sollte aber nicht durch einen vorherigen Arbeitslosengeldbezug faktisch zu einer Rente mit 61 Jahren werden (BT-Drucks. 18/1489, Seite 26; Schmidt, in: juris-PR-SozR 18/2014 Anm. 1). Vor diesem Hintergrund ist die in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI enthaltene Ausnahme zu sehen, wonach ungeachtet der grundsätzlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs in den letzten 2 Jahren vor Rentenbeginn ein Arbeitslosengeldbezug nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet wird (BT-Drucks. 18/1489, Seite 26; KassKomm/Gürtner, 86. EL Juni 2015, SGB VI § 51 Rdnr. 13). Lediglich zur Vermeidung von Härtefällen werden Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs in den letzten 2 Jahren vor Rentenbeginn dennoch berücksichtigt, wenn sie durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sind (BT-Drucks. 18/1489, Seite 26). Die Anrechnungsvorschrift des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI steht somit im Spannungsfeld zwischen dem Vermeiden von Frühverrentungsanreizen einerseits und andererseits der praktischen Umsetzung eines sozialen Ausgleichs dergestalt, dass erkennbar und offensichtlich von Versicherten unverschuldete und nicht selbst gestaltbare Fälle (Insolvenz oder Geschäftsaufgabe der Arbeitgeber) durch die Versichertengemeinschaft getragen werden. Bei der Umsetzung dieser Interessenabwägung war dem Gesetzgeber bewusst, dass Arbeitnehmer auch aus anderen Gründen als einer Insolvenz oder einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers unverschuldet arbeitslos werden können. Er hat sich trotz dieser Erkenntnis lediglich für die zwei genannten Rückausnahmen entschieden, weil in allen anderen Fällen kein Nachweis darüber möglich sei, dass die Arbeitslosigkeit nicht auf missbräuchlichen Absichten beruhe (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 22. Juli 2014, BT-Drucks. 18/2186, Seite 9). Der Gesetzgeber hat daher wissentlich und willentlich eine nur enge Rückausnahmeregelung geschaffen (BSG, Urteil vom 28. Juni 2018, Az. B 5 R 25/17 R, BSGE 126, 128-149 = SozR 4-2600 § 51 Nr. 2).

Soweit in der Rechtsprechung vereinzelt unter Bezugnahme auf die gesetzgeberische Intention für die Auslegung des Tatbestandsmerkmales des "Bedingtseins" ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Arbeitslosengeldbezug und Geschäftsaufgabe gefordert wird, kann der erkennende Senat dieser Auffassung nicht folgen. Das hierfür angeführte Argument, dass die Zulassung einer lediglich mittelbaren Ursächlichkeit den Tatbestand der Rückausnahme über die bloße Berücksichtigung von Härtefällen hinaus erheblich erweitern würde, überzeugt nicht (für eine enge Auslegung des Kausalitätserfordernisses SG Stade, Urteil vom 14. September 2015, Az. S 9 R 5/15; SG Karlsruhe, Urteil vom 2. Dezember 2015, Az. S 7 R 1644/15; SG Altenburg, Urteil vom 10. Dezember 2015, Az. S 14 R 3960/14, alle in juris). Bereits die zeitliche Einschränkung auf die letzten 2 Jahre vor Rentenbeginn, die sachliche Einschränkung auf Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung und die anlassbezogenen Einschränkungen auf Fälle der Insolvenz und vollständigen Geschäftsaufgabe verhindern eine erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereiches. Darüber hinaus folgt dies auch unabhängig von der konkreten Ausgestaltung bereits aus den absoluten Zahlen, welche das BSG in seiner Entscheidung vom 28. Juni 2018 (a.a.O.) im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ausführte: "Nach der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 2. September 2016 (BT-Drucks 18/9513, Seite 4) sind von 199.560 im Jahre 2014 erledigten Anträgen auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte 195.833 Anträge bewilligt und 1.653 Anträge abgelehnt worden, wobei die Ablehnung von 1.425 Anträgen wegen Nichterfüllung der Wartezeit erfolgt ist. Damit sind lediglich 0,714 % der 2014 erledigten Anträge an der Nichterreichung der 45-jährigen Wartezeit gescheitert. Im Jahr 2015 ist dieser Anteil noch geringer ausgefallen. Von 264.236 erledigten Anträgen auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte sind 260.394 Anträge bewilligt und 1.488 abgelehnt worden, von denen 1.250 auf dem Ablehnungsgrund "Wartezeit nicht erfüllt" beruhen (BT-Drucks. 18/9513, Seite 4; siehe auch Statistikportal der Rentenversicherung, https://statistik-rente.de, Rentenanträge, Berichtszeitraum Januar bis Dezember 2015). Dies entspricht einem Anteil von 0,4731 % an den erledigten Rentenanträgen." Von einer über die bloße Berücksichtigung von Härtefällen hinausgehenden erheblichen Erweiterung der Vorschrift infolge der Anwendung der hier vertretenen Äquivalenztheorie ist daher nicht auszugehen.

Über die im Rahmen der Auslegung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI angestellten generellen Überlegungen hinaus, zeigt der konkrete Sachverhalt eindrucksvoll die mit der gegenteiligen Rechtsauffassung der Beklagten verbundenen – nicht hinnehmbaren – Rechtsfolgen auf. Bereits auch eine vollständige ununterbrochene Ausschöpfung des mit Bescheid vom 10. Juni 2014 gewährten Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Dauer von 720 Kalendertagen hätte für die Klägerin gleichfalls zu der Erfüllung der Wartezeit von 45 Jahren geführt. Insoweit kann es der Klägerin keinesfalls zum Nachteil gereichen, dass sie in der Zeit vom 1. November 2014 bis 15. März 2015 im Rahmen einer neuen versicherten Beschäftigung Pflichtbeiträge entrichtete. Dies würde dem erklärten Ziel der gesetzlichen Regelung – Frühverrentungsanreize zu verhindern – entgegenstehen. Die Klägerin hat im Alter von 62 Jahren eine neue versicherte Beschäftigung bei der D. GmbH aufgenommen und somit ein deutliches Zeichen gegen eine Frühverrentungsabsicht gesetzt. Darüber hinaus entspricht dieser Lebenssachverhalt dem sich bei gesetzestreuen Verhalten der Leistungsbezieher zu realisierenden Umständen, aus der Arbeitslosigkeit heraus wieder in eine versicherungspflichtige Beschäftigung zu gelangen. Gerade zur Aufnahme jeglicher zumutbareren Beschäftigungsverhältnisse nach § 140 Abs. 1 SGB III verpflichtet sich der Bezieher von Arbeitslosengeld gegenüber der BA.

Unter Zugrundelegung der ausgeführten Rechtsauffassung folgt für den konkreten Sachverhalt hieraus, dass vorliegend der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ab dem 16. März 2015 weiterhin auf dem am 1. Juni 2014 entstandenen Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß §§ 136 ff. SGB III beruht. Die Geschäftsaufgabe der C. GmbH & Co. KG zum 31. Mai 2014 kann zur Überzeugung des Senats nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung vom 16. März 2015 bis 14. Oktober 2016 entfiele. Dieser Anspruch auf Arbeitslosengeld beruht auf dem am 1. Juni 2014 entstandenen Stammrecht durch den eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit infolge der Geschäftsaufgabe der C. GmbH & Co. KG zum 31. Mai 2014. Dieser Anspruch ist nicht erloschen (§ 161 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Durch die Aufnahme der nur kurzen Zwischenbeschäftigung der Klägerin bei der D. GmbH ist kein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 16. März 2015 entstanden.

Im Ergebnis steht der Klägerin ein Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI – wie von ihr beantragt – ab dem 1. November 2016 zu. Sie erfüllt die Wartezeit von 45 Jahren – insbesondere durch die Berücksichtigung der Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld in der Zeit von April 2015 bis Oktober 2016.

Die Berufung der Beklagten konnte keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Der erkennende Senat misst der Rechtsfrage, ob für die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie ausreichend ist, grundsätzliche Bedeutung bei.
Rechtskraft
Aus
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