L 3 U 108/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 96/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 108/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 212/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 22. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 7. Dezember 1977 als Arbeitsunfall.

Die 1970 geborene Klägerin hatte am 7. Dezember 1977 gegen 6.55 Uhr einen Unfall erlitten, als sie beim Überqueren der Straße im Bereich des Fußgängerüberwegs während der Grünphase der Ampel von einem LKW erfasst worden war. Sie hatte sich dabei eine Fraktur des linken Unterschenkels zugezogen. Die Klägerin, die damals in die 2. Klasse ging, hatte sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem Weg zu ihrer Kindertagesstätte befunden, die sie vor dem Schulbeginn besuchte, weil ihre Mutter ab 6.00 Uhr ihrer Arbeit nachging. Die Klägerin selbst verließ deshalb spätestens um 6.30 Uhr die Wohnung, um in den Hort zu gehen. Dieser öffnete um 7.00 Uhr. Dort blieb die Klägerin bis mindestens 7.45 Uhr, da die Schule um 8.00 Uhr begann.

Im Jahr 2012 wandte sich die Klägerin an die Beklagte. Sie hatte in der Vergangenheit immer wieder Beschwerden im Bereich des linken Sprunggelenks gehabt. Eine erste operative Versorgung erfolgte im Jahr 1989. In den Jahren 2003 und 2011 erfolgten weitere Operationen. Außer der verfilmten Unfallanzeige des Evangelischen Vereins DX. e.V. – Kindertageseinrichtung – D-Stadt und eines teilweise unleserlichen Unfallberichts des Orthopäden Dr. E. ließen sich trotz unterschiedlicher Anfragen der Beklagten bei Medizinern und der Krankenversicherung keine weiteren unfallnahen Unterlagen zu dem Ereignis vom 7. Dezember 1977 auffinden. Ein von der Beklagten bei Prof. Dr. F. in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und den aktuell bei der Klägerin im Bereich des linken Knöchels bestehenden Beschwerden bestehe.

Nach Erstellung des Gutachtens stellte die Beklagte fest, dass es sich bei dem Ereignis nicht um einen versicherten Unfall gehandelt hatte, weil der Besuch von Kindertagesstätten nach der damals anwendbaren Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht versichert war. Nachdem sie den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 29. Januar 2014 telefonisch hierüber informiert hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2014 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Nach dem zum Unfallzeitpunkt geltenden § 539 Abs. 1 Nr. 14a, Nr. 14b Reichsversicherungsordnung (RVO) habe für Kinder nur während des Besuchs von Kindergärten und von allgemeinbildenden Schulen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden. Während des Besuchs von Tageseinrichtungen (Hort) habe damals kein Versicherungsschutz bestanden. Erst seit dem 1. Januar 1997 bestehe gem. § 2 Abs. 1 Nr. 8a Sozialgesetzbuch Siebtes Buch Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII auch Versicherungsschutz für Kinder von Tageseinrichtungen. Den von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2014 - zugegangen am 11. Juni 2014 - zurück.

Am 9. Juli 2014 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben. Da der Gesetzestext aus dem Jahr 1977 nicht vorliege, könnten die Ausführungen der Beklagten nicht überprüft werden. Es bestehe außerdem zumindest ein Anspruch gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 8a, 8 Abs. 2 Nr. 1, 214 Abs. 3 SGB VII. Die Ansprüche der Klägerin bestünden seit dem 1. Januar 2008, da das Verfahren bei der Beklagten im Mai 2012 neu aufgenommen worden sei. Die Nichteinbeziehung von Kindern in Tageseinrichtungen vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII verstoße gegen Art. 3 GG, da schon damals der Besuch von Kindergärten und Schulen in den Schutzbereich einbezogen gewesen sei. Kinder in einem Hort würden hier unangemessen benachteiligt. Außerdem habe sich der Unfall auf demselben Weg ereignet wie dem Schulweg. Mit Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2017 hat das Sozialgericht Gießen die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Feststellung seien die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der RVO, da das als Arbeitsunfall geltend gemachte Ereignis bereits am 7. Dezember 1977 stattgefunden habe und damit vor In-Kraft-Treten des SGB VII. Als Arbeitsunfall gelte nach § 550 Abs. 1 RVO auch ein Unfall auf einem der in den §§ 539, 540, 543 ff. RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängende Weg zum und von dem Ort der Tätigkeit. Die Klägerin habe sich auf dem Weg in den Hort befunden. Hierbei handele es sich nicht um einen mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg. In Betracht kämen lediglich die Nrn. 14a und 14b des § 539 Abs. 1 RVO. Bei dem Hort handele es sich aber weder um einen Kindergarten noch um eine Schule. Soweit die Klägerin davon ausgehe, dass der Hort im Rahmen einer erweiternden Auslegung unter § 539 Abs. 1 Nr. 14a RVO zu subsumieren sei, um eine ungerechtfertigte Benachteiligung im Verhältnis zu dem versicherten Besuch eines Kindergartens oder einer Schule zu vermeiden, sei nicht ersichtlich, dass diese Benachteiligung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße und deshalb eine andere, verfassungskonforme Auslegung geboten sein könne. Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt werde, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Dies sei hier nicht der Fall, da sich vorliegend Kinderhorte und Kindergärten hinsichtlich ihres Handlungsauftrags wesentlich unterscheiden würden. Kindergärten seien Einrichtungen zur Förderung der Entwicklung drei- bis sechsjähriger Kinder vor dem Besuch einer allgemeinbildenden Schule und gewährleisteten eine fachspezifische vorschulische Erziehung und spezielle Förderung und Ausbildung. Sie hätten die soziale und pädagogische Aufgabe, durch allgemeine und gezielte erzieherische Hilfen und Bildungsangebote die Lern- und Entwicklungsfähigkeit eines Kindes zu fördern und umweltbedingte Lerndefizite auszugleichen. Horte seien Einrichtungen, in denen sich Schulkinder während der schulfreien Zeit aufhalten könnten. Sie fielen nicht unter den Begriff des Kindergartens. Schulkinder, die außerhalb der Schulzeit in Horten verweilten, seien damit während des Aufenthalts weder als "Kinder in Kindergärten" noch als Schüler nach § 539 Abs. 1 Nr. 14b RVO versichert gewesen. Für diese andere Behandlung gäbe es auch hinreichende gewichtige systematische Gründe. Die gesetzliche Unfallversicherung habe in Ausweitung der Versicherung der in § 539 Abs.1 Nr. 1 RVO genannten Beschäftigten durch die hier in Rede stehenden Tatbestände bewusst eine Ausweitung des Versicherungsschutzes nur für die dort ausdrücklich genannten Einrichtungen gewährt, nicht jedoch in jeder sonstigen, irgendwie gearteten Betreuung, da seinerzeit nur der Versicherungsschutz im Rahmen staatlicher bzw. schulähnlicher Bildungsmaßnahmen gewollt gewesen sei. Ein Kind habe nur dann versichert sein sollen, wenn der institutionelle Rahmen, die räumlichen und materiellen Gegebenheiten und die fachspezifische Betreuung eines Kindergartens gegeben gewesen seien. Dies ergebe sich bereits aus der Stellungnahme des Bundesrats zum seinerzeitigen Gesetzesentwurf, mit dem der Kreis der Versicherten auf Kinder während des Besuchs von Kindergärten erweitert worden sei. Der Hinweis des Bundesrates auf die Bedeutung der vorschulischen Erziehung und die seinerzeitigen Bestrebungen, die Kindergartenstufe als Elementarbereich des Bildungswesens auszugestalten, würden deutlich machen, dass es sich um Einrichtungen habe handeln müssen, deren Aufgabe es war, die Kinder durch eine altersgemäße erzieherische Einwirkung zu fördern und sie nicht lediglich zu "bewahren". § 539 Abs. 1 Nr. 14a RVO habe hiernach nur die der versicherten Schulausbildung gleichgestellte vorschulische Erziehung in Kindergärten, nicht den Aufenthalt in Horten erfasst. Eine Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf alle vorschulischen oder schulbegleitenden Tageseinrichtungen mit reiner Betreuungsfunktion sei nach diesen Vorgaben auch nicht unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz oder das Sozialstaatsprinzip zu rechtfertigen. Es sei weiterhin nicht ersichtlich, wieso der Gesetzgeber seinerzeit hätte gehalten sein können, jede Person, die sich auf einem Weg befinde, in den letztlich aus Steuermitteln zu tragenden Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung einzubeziehen. Soweit in der Betreuungssituation von Kindern gesellschaftliche Änderungen einträten, müsse es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, hieraus eine etwaige erforderliche sozialpolitische Konsequenz zu ziehen.

Gegen den am 31. Mai 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28. Juni 2017 Berufung eingelegt. Sie führt aus, dass die Entscheidung verkenne, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls bereits Schulkind gewesen sei und kein Kindergartenkind mehr und sie nach dem Hort zur Schule gegangen sei. Im Hort werde nicht nur "verwahrt", sondern auch produktiv erzieherisch gearbeitet. Es spreche vieles dafür, Schüler immer gleich zu behandeln, selbst wenn sie – aus welchen Gründen auch immer – einen Kinderhort besuchen müssten. Es gehe vorliegend nicht um die Einbeziehung jedes Weges jeder Person in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern um die Einbeziehung der Klägerin, einer Schülerin, die zum Ereigniszeitpunkt auf dem Weg in den Hort gewesen sei. Aus dem Jugendbericht in der Drucksache des Deutschen Bundestages ergebe sich unmissverständlich, dass alle Tageseinrichtungen die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes als Aufgabe umfassten und der Hort einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag habe und häufig eng mit der Schule zusammenarbeitet (Drs. 13/2204). Die Klägerin sei deshalb in einem gleich gelagerten Fall schlechter gestellt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 22. Mai 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 7. Dezember 1977 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Bescheide und die erstinstanzliche Entscheidung und führt aus, dass es im Hinblick auf die Zuordnung auf eine versicherte Tätigkeit auf die Handlungstendenz der Klägerin ankomme. Diese sei darauf gerichtet gewesen in den Hort zu gehen. Damit habe es sich um eine eigenwirtschaftliche und unversicherte Tätigkeit gehandelt.

Mit Beschluss vom 20. November 2018 hat der Senat die Berufung der Klägerin gem. § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Berichterstatterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Voraussetzungen des § 153 Abs. 5 SGG lagen vor, so dass eine Entscheidung der Berichterstatterin gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern erfolgen konnte.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2014 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung des Ereignisses vom 7. Dezember 1977 als Arbeitsunfall, weil sie auf ihrem Weg in den Hort vor der Schule nicht dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterstand.

Einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage für eine Anerkennung des Ereignisses vom 7. Dezember 1977 als Arbeitsunfall sind die §§ 539 Abs. 1, 550 Satz 1 RVO in der damals gültigen Fassung.

Entgegen der Ausführungen der Klägerin findet das Sozialgesetzbuch Siebtes Buch Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII auf das Ereignis keine Anwendung. Gem. § 212 SGV II gelten die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels des SGB VII für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist. Die Klägerin verunfallte am 7. Dezember 1977. Die Vorschriften des SGB VII traten jedoch erst am 1. Januar 1997 in Kraft, so dass der potentielle Versicherungsfall lange vorher eintrat.

Die Voraussetzungen des § 214 SGB VII, der die Geltung des SGB VII in bestimmten Fällen auch für frühere Versicherungsfälle bestimmt, lagen nicht vor. Nach § 214 Abs. 1 SGB VII gelten die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels des SGB VII auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind. Wer dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz untersteht ist jedoch im Ersten Kapitel aufgeführt. Im Dritten Kapitel werden lediglich die unterschiedlichen Leistungen geregelt. Gem. § 214 Abs. 3 SGB VII gelten die Vorschriften für Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. Die Vorschrift regelt nur die Frage des anwendbaren Leistungsrechts, wenn Leistungen aufgrund des Vorliegens eines Versicherungsfalls erstmals nach In-Kraft-Treten des SGB VII entstanden und fällig geworden sind. Eine Anwendung auch auf den erst festzustellenden Versicherungsfall ergibt sich hieraus nicht.

Gem. § 539 Abs. 1 RVO sind in der Unfallversicherung unbeschadet der §§ 541 und 542 gegen Arbeitsunfall versichert Kinder während des Besuchs von Kindergärten (Nr. 14a) und Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen (Nr. 14b). Nach § 550 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten zusammenhängender Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit.

§ 539 Abs. 1 Nr. 14b RVO i.V.m. § 550 Abs. 1 RVO scheidet schon deshalb als Rechtsgrundlage aus, weil die Klägerin zwar zum Zeitpunkt des Unfalls Schülerin war, sie sich nach ihrem eigenen Vortrag jedoch nicht auf dem Weg in die Schule, sondern auf dem Weg in die von ihr vor der Schule besuchte Tageseinrichtung befand. Nicht von Relevanz ist in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei um denselben Weg handelte, den die Klägerin auch zur Schule nahm bzw. dass sie die Tageseinrichtung vor der Schule aufsuchte.

Versichert war nach § 550 Abs. 1 RVO bzw. ist auch heute nach § 8 Abs. 2 SGB VII ein Unfall auf einem mit einer in § 539 RVO genannten Tätigkeit zusammenhängender Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (hier der Schule; vgl. u.a. BSG, Urteil vom 25. Januar 1977 – 2 RU 57/75 – juris). Der Ort der versicherten Tätigkeit muss damit Ziel- bzw. Ausgangspunkt des versicherten Weges sein. Nach der ständigen Rechtsprechung, die auch vom Senat vertreten wird, ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient und außerdem im Hinblick auf den inneren Zusammenhang die Handlungstendenz des Versicherten (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 29/06 R - juris; HLSG, Beschluss vom 1. Februar 2016 – L 3 U 95/14 – beck-online). Der Weg des Versicherten muss rechtlich wesentlich geprägt davon sein, sich zur Arbeit oder der sonstigen versicherten Tätigkeit zu begeben oder von dieser zurückzukehren (G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8, Rn. 194).

Die Klägerin befand sich nach ihrem eigenen Vortrag auf dem Weg in die Kindertageseinrichtung, da ihre Mutter das Haus sehr früh verließ und sie dann in der Zwischenzeit bis zum Schulbeginn nicht betreut gewesen wäre. Ziel der Klägerin war damit die Kindertageseinrichtung, die sie zur Betreuung aufsuchte und nicht die Schule. Auch war ihre Handlungstendenz auf diesem Weg nicht darauf gerichtet, in die Schule zu gehen, sondern darauf gerichtet, den Hort aufzusuchen, in dem sie vor der Schule betreut wurde.

Aber auch § 539 Abs. 1 Nr. 14a RVO i.V.m. § 550 Abs. 1 RVO kommt vorliegend nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht, wie bereits das Sozialgericht Gießen im Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2017 dargelegt hat. Der Senat verweist insoweit zunächst auf die zutreffenden Gründe des Gerichtsbescheids.

Ergänzend ist Folgendes festzustellen:

Wie das Sozialgericht Gießen richtig ausführt, war eine erweiternde Auslegung des Begriffs "Kindergarten" auch auf andere Kindertageseinrichtungen wie einen Hort aufgrund des sich klar aus den Materialien des am 1. April 1971 in Kraft getretenen Gesetzes über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (BGBl. I 237), nicht möglich. Hier geht deutlich hervor, dass es dem Gesetzgeber um einen Schutz der sich in der vorschulischen Erziehung befindlichen Kinder ging (BT-Drs. VI/1333, S. 7 bzw. BT-Drs. VI/1644, S. 1; vgl. auch BSG, Urteil vom 28. Juli 1977 - 2 RU 5/77 - juris; Urteil vom 12. Mai 1981 - 2 RU 49/79 - juris).

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt in der Begrenzung des Schutzes auf Kindergartenkinder nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Willkür des Gesetzgebers kann aber nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat, vielmehr nur dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden lässt. Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt. Willkür in diesem Sinne kann erst festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 29. März 2017 – 2 BvL 6/11 – juris m.w.N.).

Vorliegend ergibt sich die Rechtmäßigkeit der Ungleichbehandlung aus dem besonderen Auftrag und der von der Gesellschaft damals gesehenen Bedeutung der vorschulischen Erziehung und den seinerzeitigen Bestrebungen, die Kindergartenstufe als Elementarbereich des Bildungswesens auszugestalten. Der Gesetzgeber hat die Einbeziehung von Kindergartenkindern neben den Schulkindern in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung mit der besonderen Bedeutung der Reform und des Ausbaus der vorschulischen Erziehung als erster Stufe des Bildungswesens begründet. Die Reform und der Ausbau waren vordringliche bildungspolitische Aufgabe (BT-Drs. a.a.O.). Diese Begründung stellt einen (zur damaligen Zeit) sachlichen Grund für die Einbeziehung lediglich von Kindergartenkindern aber nicht von Kindern in anderen Kindertageseinrichtungen dar.

Dies auch unter der Prämisse, dass ein Hort als Kindertageseinrichtung bereits damals nicht nur der "Verwahrung" von Kindern diente. Wie sich aus der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ergibt, diente der Hort auch vor In-Kraft-Treten des Gesetzes am 1. Januar 1991 zumindest auch der "Pflege und Erziehung" von Kindern im schulpflichtigen Alter, d.h. nicht nur der "Verwahrung" (BT-Drs. 11/5948, S. 61). Die Bildung als eigener Auftrag auch anderer Kindertagesstätten als dem Kindergarten wurde jedoch erst in § 21 Abs. 2 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes – KJHG festgeschrieben und später in § 22 Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe – SGB VIII aufgenommen. Gerade die Bedeutung der vorschulischen Bildung von Kindern ab 3 Jahren bis zum Eintritt in die Schule war aber die Begründung des Gesetzgebers für eine Einbeziehung von Kindergartenkindern in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Bildung schulpflichtiger Kinder außerhalb der Schulzeit stand hingegen zumindest bis in die 80iger Jahre hinein weder bildungs- noch gesellschaftspolitisch im Fokus. Sie hatte nicht den Stellenwert, den sie heute aufgrund des gesellschaftlichen Wandels hat. Nach 1989 befand sich dies im Wandel (vgl. hierzu BT-Drs. 11/5948, S. 41, 61 ff.; BT-Drs. 13/2204, S. 74).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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