L 3 U 151/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 102/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 151/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Gerichtliche Entscheidungen gegenüber dem Sonderrechtsnachfolger des verstorbenen Versicherten über Rente (Lebzeitrente) entfalten keine Bindungswirkung nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG hinsichtlich des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente. Die Lebzeitrente betrifft einen anderen Streitgegenstand, denn sie endet mit dem Todestag des Versicherten, während die Hinterbliebenenrente frühestens mit dem Todestag des Versicherten beginnt.

2. Bindungswirkung gegenüber Hinterbliebenen entfalten indes die rechtskärftigen Entscheidungen, die gegenüber ihnen selbst bei der Verfolgung von Ansprüchen aus eigenem Recht nach § 63 SGB VII ergangen sind.

3. Zur Ablehnung eines Antrages auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 Abs. 2 SGG bei Zahlung des angeforderten Kostenvorschusses nach Fristablauf.
I. Die Berufung der Kläger zu 1. - 3. gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. August 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin zu 1., die Ehefrau des verstorbenen Versicherten F. A., und dessen Kinder, die Kläger zu 2. und 3., begehren die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.

Bei dem 1950 geborenen und 2004 verstorbenen Versicherten war von der Beklagten im Rahmen des Gerichtsverfahrens L 3 U 165/08 (Az. der Vorinstanz: S 8 U 2277/04) mit Bescheid vom 20. Dezember 2007 in Ausführung eines Teilanerkenntnisses eine Asbestose als Berufskrankheit nach der Nr. 4103 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) anerkannt und Rente für die Zeit vom 29. Januar 2003 bis zum 31. Januar 2004 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 v. H. sowie für die Zeit vom 1. Februar bis zum Tod des Versicherten am xx. xxx 2004 nach einer MdE in Höhe von 40 v. H. gewährt worden. Das von der Klägerin als Sondernachfolgerin weiter geführte Verfahren mit dem Ziel einer höheren MdE für die Asbestose und damit einer höheren Lebezeitenrente war erfolglos (rechtskräftiger Beschluss des erkennenden Senats vom 20. September 2012). Der gerichtlichen Entscheidung lagen dabei Berichte der Medizinischen Klinik Usingen (u. a. vom 26. Juni 2004) sowie ein im Verfahren eingeholtes Gutachten des Priv.-Doz. Dr. G., Kommissarischer Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen, vom 18. November 2005 sowie Stellungnahmen dieses Sachverständigen vom 6. Juni 2007 und vom 25. April 2012 zu Grunde. Hinsichtlich des Inhalts dieser medizinischen Unterlagen wird auf die Gerichtsakten in dem Verfahren (L 3 U 165/08 (S 8 U 2277/04) Bezug genommen.

Mit Bescheiden vom 11. März 2008 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1. die Gewährung von Witwenrente und gegenüber den Klägern zu 2. und 3. die Gewährung von Halbwaisenrente ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Tod des Versicherten nicht Folge des anerkannten Versicherungsfalls gewesen sei. Als Folge der bei dem Versicherten anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 4103 (durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Lunge bzw. Pleura) habe eine Asbestose der Lunge bestanden mit einer MdE in Höhe von 40 v. H. Nicht Folge der Berufskrankheit seien gewesen eine Leberzirrhose sowie Polyarthritis bei Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit), ein Diabetes mit diabetischer Polyneuropathie und Nephropathie, der Zustand nach Kropfoperation 1997, Ösophagusvarizen (Venenschwäche im Bereich der Speiseröhre) sowie Bluthochdruck, Übergewicht und Depressionen. Der Versicherte sei an inneren (gastrointestinalen) Blutungen (hämorrhagischer Schock) der Speiseröhre gestorben und nicht an Folgen der Berufskrankheit.

Mit ihren hiergegen gerichteten Widersprüchen machten die Kläger geltend, dass die Asbestoseerkrankung des Versicherten zumindest im Sinne einer Mitursächlichkeit kausal für den Tod sei, da bei einer MdE von 40 v. H. Atmung und Kreislauf betroffen seien. Im Übrigen beantragten sie, die todesursächliche Hämochromatose als Komplikation der Asbestose anzuerkennen. Mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Mai 2008 wies die Beklagte die Widersprüche der Kläger zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ausgangsentscheidungen im Wesentlichen auf den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes, den ärztlichen Berichten und Stellungnahmen, der Stellungnahme des Landesgewerbearztes Hessen sowie dem Gutachten von Priv.-Doz. Dr. G., Gießen, beruhten.

Die Kläger haben am 13. Juni 2008 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) erhoben und vorgetragen, der Versicherte habe durch die Asbestose jahrelang unter sehr schlimmem Husten gelitten. Die letzten Monate seines Lebens habe er sich bei einem solchen Hustenanfall kaum auf den Beinen halten können, sondern habe sich hinsetzen oder irgendwo festhalten müssen. Außerdem seien die ohnehin angegriffenen Ösophagusvarizen durch diese schlimmen Anfälle zusätzlich geschwächt worden. Die eingetretene Blutung sei somit Folge der Asbestose gewesen. Im Todesfall müsse eine umfassende Prüfung unter jedwedem tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkt erfolgen, ob der Tod einen Versicherungsfall darstellt. Auch sei die Frage zu klären, ob eine Lebzeitenverkürzung um ein Jahr anzunehmen sei.

Während des (bis dahin von dem Sozialgericht ausgesetzten) Klageverfahrens entschied der erkennende Senat im Parallelverfahren L 3 U 86/10 (verbunden mit L 3 U 85/10) über verschiedene Anfechtungs- und Feststellungsbegehren der Klägerin zu 1. Die Klägerin zu 1. hatte sich hinsichtlich der Anerkennung der Hämochromatose des verstorbenen Versicherten als Folgeschaden als Sonderrechtsnachfolgerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2008 gewandt. Davon unabhängig hatte sie bei der Beklagten die Feststellung einer Hämochromatose als eigenständige Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit beantragt, welches die Beklagte mit Bescheid vom 6. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2008 abgelehnt hatte. In den anschließenden Klageverfahren (S 23 U 183/08 und S 23 U 132/08) war sie erfolglos. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23. Februar 2016 bestätigte der erkennende Senat die erstinstanzlichen Entscheidungen und stellte fest, die Hämochromatose des verstorbenen Versicherten sei weder Folge der anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 4103 noch eigene Berufskrankheit oder "Wie-BK". Zur Begründung stützte sich der Senat insbesondere auf das im Verfahren L 3 U 165/08 (S 8 U 2277/04) eingeholte Sachverständigengutachten von Priv.-Doz. Dr. G. vom 18. November 2005 und auf die Stellungnahme dieses Sachverständigen vom 6. Juni 2007.

Mit Gerichtsbescheid vom 4. August 2017 hat das Sozialgericht die Klagen der Kläger zu 1. bis 3. auf Hinterbliebenenleistungen abgewiesen. Die zulässig im Rahmen einer Streitgenossenschaft geltend gemachten Klagen seien erfolglos. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen nach § 63 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII, denn der Tod des Versicherten sei nicht Folge des anerkannten Versicherungsfalls. Bei den geltend gemachten Ansprüchen auf Hinterbliebenenleistungen handele es sich um ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegenüber dem Unfallversicherungsträger. Deshalb entfalteten die gegenüber dem verstorbenen Versicherten ergangenen Bescheide keine Bindungswirkung gegenüber den Hinterbliebenen, wohl aber die gegenüber dem Hinterbliebenen selbst ergangenen Bescheide bzw. gerichtlichen Entscheidungen. Die Klägerin zu 1. sei daher als Beteiligte der vorangegangenen Klage- und Berufungsverfahren an die rechtskräftigen Entscheidungen gebunden. Rechtskräftig und für sie bindend sei die für den verstorbenen Versicherten festgestellte MdE in Höhe von 40 v.H. für die anerkannte Berufskrankheit. Eine Rechtsvermutung für die Ursächlichkeit des Versicherungsfalls am Tod des Versicherten komme daher nicht in Betracht, da diese Vermutung eine MdE von mindestens 50 v. H. voraussetze. Im Übrigen sei auf Grund der rechtskräftigen und für die Klägerin zu 1. bindenden Ablehnung der Feststellung, dass die Hämochromatose Folge der anerkannten Berufskrankheit Nr. 4103 oder selbst Berufskrankheit oder Wie-BK sei, die geltend gemachte Kausalität zwischen Versicherungsfall und Tod nicht hinreichend wahrscheinlich. Vielmehr sei es ausgeschlossen, den Tod kausal auf eine berufsbedingte Hämochromatose als Folge der Berufskrankheit nach Nr. 4103 oder als eigenständige Berufskrankheit oder als Wie-BK zurückzuführen. Soweit von der Klägerin zu 1. vorgetragen worden sei, die Kausalität zwischen Tod und Asbestose sei durch die Schwächung der Ösophagusvarizen durch asbestosebedingte Hustenanfälle mit der Folge von Blutungen vermittelt und somit die Blutung Folge der Asbestose, existiere für diesen "Laienvortrag" kein einziges Indiz. Die Kläger zu 2. und 3. seien zwar nicht wie die Klägerin zu 1. an die rechtskräftigen Entscheidungen des Hessischen Landessozialgerichts gebunden. Für diese gelte aber, dass nach der Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte für den geltend gemachten Kausalzusammenhang bestehen würden, weder im Sinne der Ursächlichkeit zwischen einer berufsbedingten Hämochromatose und dem Tod des Versicherten noch im Sinne der Ursächlichkeit zwischen Schwächung der Ösophagusvarizen durch asbestosebedingte Hustenanfälle.

Gegen den ihnen am 9. August 2017 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger zu 1. – 3. am 7. September 2017 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und wie schon zuvor geltend gemacht, der Versicherte habe durch die Asbestose jahrelang unter sehr schlimmem Husten gelitten. Die eingetretene Blutung, die zum Tode führte, sei also wesentlich mitbedingt durch die anerkannte Asbestose mit einer MdE von 40 v. H.

Die Kläger zu 1. - 3. beantragen sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. August 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 11. März 2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Mai 2008 zu verurteilen, ihnen Hinterbliebenenrenten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Am 30. Dezember 2019 haben die Kläger zu 1. - 3. den Antrag gestellt, den Arzt Dr. rer. nat. Dr. med. H. als Sachverständigen zu hören. Der Senat hat bei der Klägerin mit gerichtlicher Verfügung vom 28. Februar 2020 unter Fristsetzung bis zum 20. Mai 2020 einen Kostenvorschuss für ein Gutachten von Dr. H. angefordert. Nach Fristablauf hat der Senat mit Verfügung vom 25. Mai 2020 die Beteiligten dazu angehört, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht. Die Beklagte hat sich mit dieser Verfahrensweise am 26. Mai 2020 einverstanden erklärt. Die Kläger haben sich am 4. Juni mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Am 16. Juni 2020 ist bei der Gerichtskasse der mit Verfügung vom 28. April 2020 angeforderte Kostenvorschuss eingegangen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten L 3 U 86/10 und S 8 U 2277/04 verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Berufung ist erfolglos. Der erstinstanzliche Gerichtsbescheid und die angefochtenen Bescheide sind zu Recht ergangen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung von Hinterbliebenenrenten nach § 63 SGB VII.

Der Anspruch der Hinterbliebenen auf Leistungen bei Tod des Versicherten setzt voraus, dass der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist (§ 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Das ist dann der Fall, wenn der Versicherungsfall eine wesentliche Mitursache des Todes war. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn der Tod die unmittelbare oder die mittelbare Folge des Versicherungsfalls (der Berufskrankheit) ist (Riebel in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand August 2019, § 63 Rn. 18). Der Tod gilt auch dann als rechtlich wesentliche Folge des Versicherungsfalles, wenn die Lebensdauer aufgrund der Berufskrankheitsfolgen um mindestens ein Jahr verkürzt wurde. Die Lebenszeitverkürzung um ein Jahr aufgrund der Folgen des Versicherungsfalles wird als wesentliche versicherte Teilursache für den Tod angesehen (BSGE 13,175, 177; 62, 220, 223). Im Falle einer Lebensverkürzung um ein Jahr aufgrund des Versicherungsfalles wird diesem generell der Stellenwert einer wesentlichen Mitursache des Todes eingeräumt. Die Frage der durch den Versicherungsfall bedingten Lebenszeitverkürzung stellt sich aber nur, wenn die feststehende tödliche Folge eines vom Versicherungsfall unabhängigen Leidens bereits absehbar ist (Riebel in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand August 2019, § 63 Rn. 19).

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente (Witwenrente) nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII liegen bezüglich der Klägerin zu 1. nicht vor. Der Tod des Versicherten ist nicht in Folge eines Versicherungsfalles eingetreten. Denn für den Tod des Versicherten war nicht die als Berufskrankheit nach Nr. 4103 anerkannte Asbestose verantwortlich. Nach dem Bericht der Medizinischen Klinik Usingen (Stationsarzt Dr. J.) vom 26. Juni 2004 und dem Gutachten des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. G. vom 18. November 2005 stand der Tod nicht im Zusammenhang mit der Lungenerkrankung (Lungenasbestose) des Versicherten. Vielmehr ist dessen Tod infolge einer Ösophagusvarizenblutung eingetreten, bei der es sich um die klassische Komplikation einer Leberzirrhose handelt. Diese Leberzirrhose ist wiederum Folge der bei dem Versicherten seit Jahren bestehenden Hämochromatose. Eine Hämochromatose ist weder Versicherungsfall als eigenständige Berufskrankheit noch als "Wie-BK". Die Klägerin zu 1. ist als Beteiligte des Verfahrens L 3 U 86/10 an die diesbezüglichen Feststellungen des erkennenden Senats in dem rechtskräftigen Beschluss vom 23. Februar 2016 gebunden (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Grundsätzlich sind zwar alle Voraussetzungen des § 63 SGB VII gesondert zu prüfen, da es sich bei dem Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen um ein vom Versicherten abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegenüber dem Unfallversicherungsträger handelt (BSG, Urteil vom 7. Februar 2006 - B 2 U 31/04 R - juris; Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juni 2014 – L 9 U 207/12 - juris). Gegenüber dem verstorbenen Versicherten ergangene Bescheide und gerichtliche Entscheidungen entfalten daher keine Bindungswirkung gegenüber den Hinterbliebenen (Riebel in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand August 2019, § 63 SGB VII, Rn. 14). Dies gilt indes nicht bezüglich der Bescheide und Entscheidungen, die gegenüber dem Hinterbliebenen selbst bei der Verfolgung von Ansprüchen aus eigenem Recht nach § 63 SGB VII geltend gemacht worden sind. Bei den von der Klägerin zu 1. geltend gemachten Ansprüchen auf Feststellung der Hämochromatose als Berufskrankheit bzw. Wie-BK handelt es sich um die Verfolgung von Ansprüchen nach § 63 SGB VII. Insoweit war zu Lebzeiten des Versicherten noch kein Verfahren anhängig. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem Beschluss des erkennenden Senats vom 23. Februar 2016 (L 3 U 86/10) wird Bezug genommen. Dieser rechtskräftige Beschluss entfaltet bzgl. der genannten Streitgegenstände gegenüber der Klägerin zu 1. Bindungswirkung.

Eine Verursachung des Todes durch den anerkannten Versicherungsfall kommt vorliegend auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass die Hämochromatose Folge der Asbestose ist. Anders als das Sozialgericht geht der Senat zwar davon aus, dass die Klägerin zu 1. nicht an die Feststellungen in dem rechtskräftigen Beschluss vom 23. Februar 2016 gebunden ist, soweit in dieser Entscheidung die Hämochromatose als Folge der Berufskrankheit nach Nr. 4103 abgelehnt worden ist. Denn in dieses Feststellungsverfahren (S 23 U 132/08) ist die Klägerin zu 1. nach dem Tod des Versicherten als Sonderrechtsnachfolgerin eingetreten. Es geht dabei um Lebzeitrente bzw. Leistungen, deren Gewährung mit dem Todestag des Versicherten enden. Weder eine positive Feststellung von Folgen der Berufskrankheit noch deren Ablehnung ist insoweit für die Entscheidung über den Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 63 SGB VII vorgreiflich. Denn die Hinterbliebenenrente beginnt gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 SGB VII frühestens mit dem Todestag des Versicherten und betrifft somit einen anderen Streitgegenstand (vgl. § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG und BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 B 2 U 21/08 R – juris).

Die Hämochromatose ist indes nicht Folge der Asbestose. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Tod des Versicherten und der Asbestose lässt sich nicht mittelbar über die Hämochromatose begründen.

Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Versicherungsfalles, also auch zwischen der anerkannten Berufskrankheit und daraus resultierenden Folgen, basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer ersten Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d.h. - so die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass der möglicherweise aus mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 - Deppermann-Wöbbeking in: Thomann (Hrsg), Personenschäden und Unfallverletzungen, Referenz Verlag Frankfurt 2015, Seite 630). In einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann durch Wertung die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die wesentlich sind, weil sie rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.; BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris).

Als Beweismaßstab genügt für die ursächlichen Zusammenhänge statt des Vollbeweises die hinreichende Wahrscheinlichkeit, d. h. bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a. F.). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).

Vorliegend lässt sich schon im naturwissenschaftlichen Sinne (1. Prüfungsstufe) ein Zusammenhang zwischen der Hämochromoatose und der als Berufskrankheit anerkannten Asbestose nicht begründen. Die Hämochromatose ist hinreichend wahrscheinlich weder im Sinne der Entstehung durch die Asbestose verursacht worden noch hat diese den Krankheitsverlauf der Hämochromatose beschleunigt oder verschlimmert. Der Senat stützt sich auf die ausführliche und überzeugende Stellungnahme des Privat.-Doz. Dr. G. vom 6. Juni 2007 (Bl. 112 der Gerichtsakte im Verfahren S 8 U 2277/04), an deren Richtigkeit er keine Zweifel hat. Aufgrund der von dem Sachverständigen dargelegten unterschiedlichen Ätiologie und des unterschiedlichen Krankheitsverlaufs ist nicht ersichtlich, inwiefern eine Asbestose eine Eisenüberlagerung und damit die Entstehung einer Hämochromatose verursachen soll. Der von der Klägerin zu 1. in diesem Verfahren geltend gemachte Zusammenhang zwischen asbestosebedingten Hustenanfällen, Schwächung der Ösophagusvarizen und den zum Tode des Versicherten führenden gastrointestinalen Blutungen lässt sich nicht positiv feststellen. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, existiert für die von der Klägerin vorgetragenen Anknüpfungstatsachen in den Akten kein einziger Anhaltspunkt. Es handelt sich vielmehr um eine Vermutung, die sich nicht beweisen lassen und über die auch gerade wegen des Todes des Versicherten im konkreten Fall kein Beweis mehr erhoben werden kann. Der Senat muss im Übrigen nicht Beweisanträgen oder Anregungen nachgehen, die ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen bestimmter Tatsachen aufgestellt worden sind (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 23. Februar 2016 – L 3 U 86/10).

Ein Anspruch der Klägerin zu 1. lässt sich auch nicht über die Rechtsvermutung nach § 63 Abs. 2 SGB VII begründen. Danach steht dem Tod infolge eines Versicherungsfalles der Tod von Versicherten gleich, deren Erwerbsfähigkeit durch die Folge einer Berufskrankheit nach den Nummern 4101 bis 4104 der Anlage 1 der BKV um 50 v. H. oder mehr gemindert war. Nach Auffassung des Senats ist die Klägerin zu 1. im Rahmen ihres Hinterbliebenenrentenanspruchs aus den oben genannten Gründen nicht an den rechtskräftigen Beschluss des Senats vom 20. September 2012 im Verfahren L 3 U 165/08 gebunden, durch den eine MdE in Höhe von (nur) 40 v. H. für die als Berufskrankheit anerkannte Asbestose festgestellt worden ist. Denn dieses Verfahren um höhere Lebzeitrente hat sie als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten weitergeführt. Der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. G. hat indes in seinem Gutachten vom 18. November 2005 (Bl. 67 ff. Gerichtsakte im Verfahren S 8 U 2277/04) für den Senat überzeugend dargelegt, welche Faktoren für die Bewertung der MdE im konkreten Fall eine Rolle spielen und steht damit völlig im Einklang mit dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den Erfahrungssätzen für derartige Funktionseinbußen. Eine höhere MdE als 40 v. H. ist hier für die Folgen der anerkannten Berufskrankheit nicht zuzuweisen.

Die Kläger zu 2. und 3. haben ebenfalls keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente (Halbwaisenrenten). Sie sind zwar anders an die Klägerin in keiner Weise an die Feststellungen in den rechtskräftigen Beschlüssen des Senats vom 20. September 2012 (L 3 U 165/08) und vom 23. Februar 2016 (L 3 U 86/10) gebunden, denn sie waren in diesen Verfahren weder Beteiligte noch Rechtsnachfolger (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Voraussetzungen des § 63 SGB VII liegen indes nicht vor. Der Tod des Versicherten ist nicht auf einen Versicherungsfall zurückzuführen. Die Lungenasbestose hat – wie oben ausgeführt – nicht zum Tod des Versicherten geführt, auch nicht mittelbar über die Hämochromatose als Folge. Die Rechtsvermutung nach § 63 Abs. 2 SGB VII greift nicht, da die MdE des Versicherten für die Folgen der anerkannten Berufskrankheit nicht mit mindestens 50 v. H. zu bewerten ist. Die Hämochromatose ist keine eigenständige Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, da diese Erkrankung in der BKV nicht als solche bezeichnet ist. Auch eine Anerkennung als "Wie-BK" nach § 9 Abs. 2 SGB VII kommt nicht in Betracht. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. G. liegen keine medizinischen Erkenntnisse vor, nach denen eine Hämochromatose auf berufliche Einwirkungen zurückgeführt werden könnte. Im Übrigen haben die Kläger zu 2. und 3. auch keinen beruflichen Gefahrstoff angegeben, auf dessen Einwirkung sie die Hämochromatose des verstorbenen Versicherten zurückführen.

Der Antrag der Klägerin auf Anhörung des Dr. H. als Sachverständigen wird nach § 109 Abs. 2 SGG abgelehnt. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einen Antrag u. a. von Hinterbliebenen auf Anhörung eines bestimmten Arztes ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Die Vorschrift ist auch anwendbar, wenn der vom Gericht für ein solches Gutachten angeforderte Kostenvorschuss erst nach Fristablauf gezahlt wird (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, § 109 Rn.14c).

Die Zulassung des Antrags würde hier die Erledigung des Rechtstreits verzögern. Der Kostenvorschuss ist erst am 16. Juni 2020 und damit vier Wochen nach Ablauf der dafür bis zum 20. Mai 2020 gesetzten Frist bei der Gerichtskasse eingegangen. Dies ist zur Überzeugung des Senats unter den hier gegebenen Umständen grob nachlässig gewesen. Denn zum einen wurde ein Antrag auf Fristverlängerung nie gestellt. Zum anderen hat der Senat mit gerichtlichem Schreiben vom 25. Mai 2020 und der Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht, erkennbar signalisiert, dass er nunmehr entscheiden wird, nachdem der Vorschuss nicht eingegangen ist, und als Termin für die Entscheidung den nächsten Senatstermin am 30. Juni 2020 in Aussicht gestellt. Die Kläger haben sich am 4. Juni 2020 auch mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Anhörung des Dr. H. ist unter diesen Umständen jetzt nicht mehr in Betracht zu ziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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