L 6 SF 24/17 EK KR

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 24/17 EK KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 ÜG 1/20 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 5.400 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines Gerichtsverfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (S 18 KR 181/12) auf dem Gebiet der Krankenversicherung. In der Sache stritten die Beteiligten um die Zahlung von Krankengeld nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).

Am 18. März 2012 erhob der Kläger zunächst unter dem Aktenzeichen S 25 KR 181/12 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main und beantragte, die beklagte AOK Saarland zu verurteilen, ihm auch über den 30. Dezember 2011 hinaus Krankengeld zu zahlen. Noch im März 2012 reichte er in zwei Schriftsätzen ärztliche Befunde bzw. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach. Bereits am 10. April 2012 beantragte er bei dem Gericht die "Anberaumung eines mündlichen Verhandlungstermins". Ebenfalls im April 2012 legte das Sozialgericht parallel ein Eilverfahren mit gleichem Rubrum an. Am 10. Mai 2012 erging der Widerspruchsbescheid der AOK Saarland, mit dem unter anderem der Widerspruch des Klägers gegen die Einstellung der Krankengeldzahlung zurückgewiesen wurde. Diesen Widerspruchsbescheid mit eigenen handschriftlichen Anmerkungen und weiteren Anlagen reichte der Kläger am 29. Mai 2012 zur Gerichtsakte. Am 8. Juni 2012 legte die Krankenkasse im Hauptsacheverfahren die Antragserwiderung aus dem Eilverfahren vom 11. April 2012 vor.

Mit Beschluss vom 19. Juni 2012 lehnte der 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. In den Monaten Juni, Juli, August, September, Oktober und Dezember 2012, sowie Januar, Februar, März, April, Mai und Juni 2013 reichte der Kläger zahlreiche, vorwiegend handschriftliche, umfangreiche Schriftsätze, teilweise mit weiteren ärztlichen Befunden zur Gerichtsakte.

Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2012, eingegangen am 5. Oktober 2012, beantragte der Kläger "wegen der Prozessverschleppung nach dem Prozessverschleppungsgesetz" ihm 1.200,00 EUR auszuzahlen.

Im September 2013 legte der Kläger das vom Gericht angeforderte Formular über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht (S 17c) vor. Aufgrund dieses Formulars holte das Gericht im September 2013 bei sechs Ärzten Befundberichte ein. Der Kläger nahm im September 2013 ebenfalls nochmals umfassend Stellung. Noch im September 2013 teilten zwei der angeschriebenen Ärzte mit, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum dort nicht in Behandlung gewesen sei.

Mit Beschluss vom 7. Oktober 2013 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung.

Unter dem 26. September 2013 erhob der Kläger eine Entschädigungsklage, die unter dem Aktenzeichen L 6 SF 23/13 EK KR geführt wurde, und beantragte Prozesskostenhilfe. Seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe lehnte der erkennende Senat ab. Der Kläger habe bereits keine Tatsachen für eine unangemessene Verfahrensdauer vorgetragen, die die Verfahrensförderung gerade des Sozialgerichts beträfen. Die Wertung, aufgrund der Prüfung im Eilverfahren dürfe das Verfahren nicht länger als sechs Monate dauern, sei angesichts des unterschiedlichen Prüfungsmaßstabes und nach Auffassung des Sozialgerichts offenbar aufklärungsbedürftiger Umstände hinsichtlich der Fortdauer des Krankenversicherungsschutzes mit Krankengeldberechtigung nicht haltbar. Der Kläger trage zudem selbst in einem Höchstmaß zur Schwierigkeit der Bearbeitung des Verfahrens bei: Die Akte sei im Wesentlichen durch eine Vielzahl kurzer und längerer klägerischer Schreiben binnen 18 Monaten auf 264 Seiten angewachsen. Das gesamte Vorbringen des Klägers sei gekennzeichnet durch umfangreiches Vorbringen, dessen Bezug zum Streitgegenstand häufig nicht zu klären sei; aufgrund unzureichender Kenntnisse der deutschen Sprache blieben Passagen unverständlich, die handschriftlichen Eingaben seien schwer lesbar. Trotz Bemühen der Kammervorsitzenden mit Verfügungen vom 12. Juli 2012 und 20. Juli 2012 trage der Kläger weiterhin Umstände vor, deren Verbindung zum dortigen Streitgegenstand nicht erkennbar seien. Sein Verhalten bezüglich des Prozesskostenhilfeantrags und der ärztlichen Ermittlungen wirke in erheblicher Weise selbst verfahrensverzögernd. Insoweit sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt – und allein darauf komme es an – weder eine absolute noch relative Überlänge des Verfahrens festzustellen.

Im November 2013 legte die Praxis Dr. Z. D. umfangreiche medizinische Unterlagen vor. Am 11. November 2013 ordnete das Sozialgericht Frau Rechtsanwältin E. im Rahmen der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe bei. Am 25. November 2013 und am 3. Dezember 2013 legten zwei weitere Ärzte ihre Befundberichte vor.

Am 2. Dezember 2013 bat die beigeordnete Rechtsanwältin um Akteneinsicht. Die Akteneinsicht wurde am 13. Januar 2014 bewilligt und die Akte am 23. Januar 2014 zurückübersandt. Am 4. Februar 2014 reichte der Kläger einen Schriftsatz nebst Anlagen ein. Unter dem 25. Februar 2014 erinnerte das Sozialgericht das Hospital Heiliger Geist an den dort angeforderten Befundbericht. Nachdem am 26. Februar 2014 ein weiterer Schriftsatz des Klägers einging, bat das Sozialgericht die beigeordnete Rechtsanwältin unter dem 3. März 2014 den Kläger dazu anzuhalten, sich nur über seine Bevollmächtigte an das Gericht zu wenden. Am 5. März 2014 ging ein "Notfallbericht" des Hospitals zum Heiligen Geist beim Sozialgericht ein.

Unter dem 1. April 2014 begründete die beigeordnete Rechtsanwältin die Klage ausführlich und unter Bezugnahme auf die eingeholten ärztlichen Befunde. Unter dem 22. Mai 2014 replizierte die beklagte Krankenkasse hierauf unter Beifügung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK).

Am 23. Juni 2014 wies die Kammervorsitzende die Beteiligten darauf hin, dass es zu Verzögerungen in der Postbearbeitung gekommen sei, weil sich die komplette Gerichtsakte bei einem beim Hessischen Landessozialgericht anhängigen Eilverfahren L 8 KR 111/14 B ER befunden habe. Unter dem 21. Juli 2014 nahm nochmals die beklagte Krankenkasse Stellung. Unter dem 23. Juli 2014 befragte das Sozialgericht das Jobcenter Frankfurt am Main zur Höhe eines möglichen Erstattungsanspruchs gem. §§ 102 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Am 5. August 2014 reichte das Jobcenter Frankfurt am Main auf diese Anfrage den Schriftverkehr mit der Beklagten des Ausgangsverfahrens ein. Am 8. August 2014 und am 28. August 2014 nahmen die Beklagte des Ausgangsverfahrens und das Jobcenter erneut Stellung. Am 10. September ging auch eine Stellungnahme der Klägervertreterin zu dem Erstattungsanspruch ein, auf die wiederum die Beklagte des Ausgangsverfahrens am 26. September 2014 Stellung nahm. Diese Stellungnahme übersandte das Gericht der Klägervertreterin mit Schreiben vom gleichen Tag mit der Möglichkeit zur Stellungnahme. Am 20. Oktober 2014 verfügte der Vorsitzende des Sozialgerichts eine neue Wiedervorlage in 6 Wochen. Mit Schreiben vom 26. März 2015 erinnerte das Gericht die Klägervertreterin an die Erledigung der Verfügung vom 26. September 2014. Unter dem 30. April 2015 nahm die Klägervertreterin kurz Stellung und beantragte die Beiladung des Jobcenters.

Am 21. Mai 2015 übersandte die Beklagte AU-Bescheinigungen des Klägers, die das Gericht am 18. Juni 2015 an die Beteiligten zur Stellungnahme übersandte. Die Klägervertreterin legte darauf mit Schriftsatz vom 16. Juli 2015 eine ärztliche Bescheinigung vor, die Beklagte nahm unter dem 16. Oktober 2015 umfangreich Stellung. Am 16. Dezember 2015 bat das Sozialgericht das Jobcenter Frankfurt am Main um Bezifferung des Erstattungsanspruchs. Nach Schriftverkehr unter dem 18. Dezember, dem 12. Januar 2016 und dem 25. Januar 2016 mit teilweise umfangreichen Anlagen fertigte das Sozialgericht folgenden Vermerk an:

"Am Montag, 11.04.2016, 9.40 Uhr mit PBev. d. Kl. telefoniert zur Rechtsfolge und Fragen Bl. 442 d. GA. Da die Erfassung des gesamten Akteninhalts längere Zeit in Anspruch genommen hat, habe ich mich erst jetzt melden können. Absprache: Sie prüft die Unterlagen und gibt dann ggf. prozessbeendende Erklärung ab, innerhalb von 6 Woche nach Zugang."

Am 4. April 2016 reichte der Kläger ärztliche Atteste ein. Das Gericht wandte sich mit Schreiben vom 14. April 2016 an den Kläger persönlich, mit der Bitte, nicht selbständig Unterlagen einzureichen.

Am 23. Mai 2016 erklärte die Klägervertreterin das Verfahren teilweise für erledigt und begründete die Aufrechterhaltung der Klage im Übrigen unter Vorlage diverser ärztlicher Bescheinigungen. Auf diesen Schriftsatz übersandte die Beklagte mit Schriftsatz vom 30. August 2016, eingegangen am 1. September 2016, einen Bescheid vom 14. April 2016. Am 7. November 2016 ging ein Schriftsatz des Klägers ein, mit dem er eine Verzögerungsrüge erhob. Mit der Verfahrensdauer von 4,5 Jahren sei er nicht einverstanden. Am 14. November 2016 erhob er nochmals eine Verzögerungsrüge und verlangte unverzüglich den Abschluss des Verfahrens durch Urteil oder durch Gerichtsbescheid. Am 20. Januar 2017 fragte die Klägervertreterin nach dem Sachstand nach und legte als Anlage eine weitere Verzögerungsrüge des Klägers persönlich vor. Das Gericht teilte daraufhin mit Schreiben vom 2. Februar 2017 mit, dass eine Terminierung im 1. Halbjahr 2017, voraussichtlich im April oder Mai beabsichtigt sei.

Mit Schreiben vom 18. April 2017 wies das Gericht darauf hin, dass die Kammervorsitzende erkrankt sei. Am 2. Mai 2017 erhob der Kläger eine weitere Verzögerungsrüge und wies auf seine Schwerbehinderung unter Beifügung eines entsprechenden Gutachtens hin.

Mit Verfügung vom 13. Juni 2017 terminierte das Sozialgericht den Rechtsstreit auf den 14. Juli 2017 zur mündlichen Verhandlung und ordnete das persönliche Erscheinen des Klägers an. Am 14. Juni 2017 und 16. Juni 2017 wiesen die Beklagte und die Klägervertreterin auf ihre urlaubsbedingten Abwesenheiten hin. Das Sozialgericht hob daraufhin den Termin auf. Am 3. Juli 2017 erhob der Kläger erneut eine Verzögerungsrüge unter Beifügung ärztlicher Atteste.

Am 4. Juli 2017 terminierte das Sozialgericht das Verfahren auf den 30. August 2017 zur mündlichen Verhandlung. Der Kläger legte am 15. Juli 2017 weitere ärztliche Befunde vor. In dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. August 2017 schlossen die Beteiligten einen verfahrensbeendenden Vergleich.

Am 11. Oktober 2017 hat der Kläger Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer vor dem Hessischen Landessozialgericht erhoben.

Der Kläger behauptet, das Verfahren habe 5,5 Jahre bei dem Sozialgericht "gelegen". Er meint, dies sei ihm nicht zumutbar und verletze ihn in seinen Menschenrechten. Auffällig sei, dass das Sozialgericht erst nach 1,5 Jahren Befundberichte eingeholt habe. Gerade im Hinblick darauf, dass das Sozialgericht davon ausgegangen sei, dass sein Sachvortrag nicht den Streitgegenstand betroffen habe, hätte es schon damals beurteilen müssen, ob eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen erforderlich wäre. Auch der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei erst nach mehreren Erinnerungen bearbeitet worden. Ebenfalls nicht nachvollziehbar sei, warum zwischen der Übermittlung des Schriftsatzes der Beklagten des Ausgangsverfahrens vom 25. September 2014 an die Klägervertreterin des Ausgangsverfahrens und die Erinnerung an ihre (freigestellte) Stellungnahme ein halbes Jahr vergangen sei.

Ursprünglich hat der Kläger schriftlich wörtlich beantragt, an ihn einen Schadenersatz von mindestens 100,00 EUR pro Verfahrensmonat zu bezahlen.

Der Kläger beantragt nunmehr,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.400,00 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er meint, es fehle bereits an einer wirksam erhobenen Verzögerungsrüge. Erstmals habe der Kläger am 5. Oktober 2012 eine Verzögerungsrüge erhoben. Es liege auf der Hand, dass zu diesem Zeitpunkt eine Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen würde, noch nicht gegeben gewesen sei, zumal nicht außeracht gelassen werden könne, dass parallel zum Hauptsacheverfahren noch ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren anhängig gewesen sei, das erst durch Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Oktober 2012 über die Anhörungsrüge und Gegenvorstellung des Entschädigungsklägers abgeschlossen worden sei. Dass der Ausgang dieses Eilverfahrens abgewartet worden sei, sei als durchaus sinnvoll anzusehen.

Die weiteren Verzögerungsrügen des Entschädigungsklägers am 15. Oktober 2012, 11. Dezember 2012, 27. Dezember 2012, 2. Januar 2013, 28. Januar 2013, 15. Februar 2013, 25. März 2013, 31. Mai 2013, 10. September 2013, 16. September 2013 und 24. Februar 2013 seien unwirksam, weil eine Wiederholung der Verzögerungsrüge gem. § 198 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) erst nach frühestens sechs Monaten zulässig sei.

Die weitere Verzögerungsrüge des Entschädigungsklägers am 7. November 2016 sei unwirksam, weil zu diesem Zeitpunkt Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen würde, ebenfalls nicht bestanden habe. Erst am 1. September 2016 sei dem Sozialgericht der Rentenbescheid vom 14. April 2016 bekannt geworden. Der Rentenbescheid sei aber für die Erfolgsaussichten des Verfahrens und das weitere Vorgehen zentral gewesen.

Die folgenden Verzögerungsrügen vom 14. November 2016, 20. Januar 2017 und 17. Juli 2017 seien wiederum gem. § 198 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz GVG unzulässig.

Im Ergebnis stehe dem Entschädigungskläger daher schon mangels einer wirksamen Verzögerungsrüge ein Entschädigungsanspruch nicht zu.

Auch eine unangemessene Verfahrensdauer sei aber nicht anzunehmen. Zwar falle die Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens insgesamt aus dem Rahmen. Die Verfahrensdauer sei jedoch vor allem der über weite Strecken des Verfahrens nicht mehr mit der Prozessordnung in Einklang zu bringenden Verfahrensführung des Entschädigungsklägers geschuldet, die eine zügige und zielgerichtete Verfahrensführung schlichtweg unmöglich gemacht habe.

Der Senat hat die Gerichtsakten des Sozialgerichts Frankfurt am Main S 18 KR 181/12 beigezogen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Gerichtsakte, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt.

Das streitgegenständliche Ausgangsverfahren dauerte aber nicht unangemessen lang.

Ob ein Verfahren als unangemessen lang zu bewerten ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Gem. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich (am Maßstab von Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfG, Beschluss vom 30. August 2016 – 2 BvC 26/14 – Vz 1/16; BVerfG, Beschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11), zumal Zügigkeit oder Verfahrensbeschleunigung keine absoluten Werte sind, sondern stets im Zusammenhang mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen, insbesondere dem Amtsermittlungsgrundsatz und dem damit korrespondierenden Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer gründlichen und zutreffenden Bearbeitung durch das Gericht zu sehen sind. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist nach Entstehungsgeschichte und Zielsetzung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie des EGMR zu Art. 6, 13 EMRK auszulegen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 – juris Rn. 29; Schenke, NVwZ 2012, 257, 258). § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt insoweit nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind. Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer sind danach Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Während die rechtliche wie tatsächliche Schwierigkeit, der Umfang und die Komplexität des Falls sowie die Bedeutung des Rechtsstreits Faktoren für eine notwendige Dauer angemessener Sachbehandlung und Verfahrensförderung sind, ist insbesondere das Verhalten des Entschädigungsklägers für die Frage relevant, welche Dauer der Kläger aufgrund eigenen Verhaltens als noch angemessen hinzunehmen hat. Auf der anderen Seite kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (st. Rspr. des BVerfG, aus jüngerer Zeit z.B. Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 Rn. 11). Überlastungstypische Verfahrensweisen können ebensowenig gegen eine Unangemessenheit angeführt werden wie die durchschnittliche Verfahrensdauer einer überlasteten Gerichtsbarkeit (vgl. zur Sozialgerichtsbarkeit, BVerfG, vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 – a.a.O.). Die Beurteilung der Angemessenheit erfolgt daher im Rahmen einer Zurechnung, ob eine Verzögerung überwiegend auf das Verhalten der Beteiligten oder auf eine Untätigkeit des Gerichts zurückzuführen ist (Magnus, ZZP 125 (2012), 75, 81 m.w.N.). Ungeachtet dessen haben die Gerichte aber auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 – a.a.O.). Insoweit beeinflusst die absolute Verfahrensdauer die Würdigung der Verfahrensförderung in einzelnen Abschnitten des Gerichtsverfahrens: Einerseits kann bei ungewöhnlich langen Laufzeiten im Einzelfall eine Vermutung für die Unangemessenheit ohne weitere Würdigung des Verhaltens der Beteiligten oder der Verfahrensförderung durch das Gericht sprechen (EGMR, Urteil vom 5. Oktober 2006 – 66491/01); andererseits kann eine (relative) Verzögerung in einem bestimmten Verfahrensstadium vertretbar sein, wenn die Gesamtverfahrensdauer nicht als unangemessen erachtet werden kann (EGMR, Urteil vom 2. Juni 2009 – 36853/05 Rn. 45 m.w.N.).

Die Prüfung der Unangemessenheit hat demnach in zwei Schritten zu erfolgen (vgl. zum Folgenden: BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 Rn. 30; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Verfahren, § 198 GVG Rn. 97 ff.; ähnl. Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, Ergänzung zu § 202 SGG, Rn. 32, beide m.w.N.): Zunächst ist das Verfahren nach Feststellung der Schwierigkeit und Bedeutung daraufhin zu untersuchen, ob in den einzelnen Verfahrensabschnitten eine angemessene Sachbehandlung im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes stattgefunden hat, und ist im Wege der Abwägung der o.g. Faktoren festzustellen, ob der Entschädigungskläger diese Dauer aufgrund einer Zurechnung der Verfahrensdauer, insbesondere wegen des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten, im jeweiligen Abschnitt hinzunehmen hat oder aber diese dem Staat als unzureichende Verfahrensförderung zuzurechnen ist. Im Rahmen einer umfassenden Abwägung vor dem Hintergrund der Gesamtverfahrensdauer ist sodann zu prüfen, ob Verzögerungen kompensiert wurden oder aber eine unangemessene Gesamtverfahrensdauer ohne relative Verzögerungen eingetreten ist.

Vorliegend ist die Schwierigkeit des Verfahrens als leicht überdurchschnittlich, die Bedeutung des Ausgangsverfahrens als durchschnittlich anzusehen.

Rechtliche Schwierigkeiten sind dann anzunehmen, wenn grundsätzliche Rechtsfragen zu beantworten sind, für die noch keine höchstrichterliche Judikatur existiert und die das Gericht daher nicht ohne intensive Auswertung der Fachliteratur beantworten kann. Die Beantwortung auch schwieriger Rechtsfragen gehört allerdings zu den originären Aufgaben des Gerichts. Der Tatrichter muss sich also – nach Lektüre der einschlägigen Literatur – zu einer Auffassung durchringen und diese in seiner Entscheidung knapp, aber nachvollziehbar begründen. Das kann nur in seltenen Ausnahmefällen eine mehrmonatige Verzögerung rechtfertigen, wenn etwa über mehrere komplexe Rechtsfragen gleichzeitig entschieden werden muss. Tatsächlich schwierig kann ein Verfahren sein, wenn die zu klärenden Sachfragen eine komplizierte und lang andauernde Beweisaufnahme erforderlich machen (Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, GVG § 198 Rn. 8 ff.). Welche Verfahrenslänge tolerierbar ist, hängt ferner auch davon ab, welche Bedeutung dem Verfahren für die Verfahrensbeteiligten oder die Allgemeinheit zukommt. Für die Praxis der Verfahrensbearbeitung bedeutet dies, dass das Gericht nicht jedes eingehende Verfahren schematisch gleich behandeln kann, sondern Verfahren mit besonderer Bedeutung möglicherweise auch zulasten anderer, früher eingegangener Verfahren – bevorzugt und beschleunigt bearbeiten muss. Die Tatsache, dass eine Partei die Sache für wichtig oder bedeutend hält, kann freilich für sich allein betrachtet noch kein besonderes Beschleunigungsbedürfnis auslösen. Vielmehr muss es darauf ankommen, ob vom Standpunkt eines objektiven Beobachters, der die Lebenssituation der Klagepartei kennt, eine besondere, die Verfahrensbeschleunigung erfordernde Bedeutung vorliegt (Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, GVG § 198 Rn. 11).

Es handelt es sich bei dem Ausgangsverfahren um eine krankenversicherungsrechtliche Streitigkeit um die Gewährung von Krankengeld. Konkret war für einen Zeitraum das Ruhen des Krankengeldanspruchs aufgrund der verspäteten Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung streitig, für einen anderen Zeitraum das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für die Arbeitsunfähigkeit des Klägers.

Von besonderen rechtlichen Schwierigkeiten war für das Ausgangsverfahren nicht auszugehen. Allerdings sind die tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung insbesondere des medizinischen Sachverhalts von Amts wegen als überdurchschnittlich einzuschätzen. Das Gericht hatte sich eine Vielzahl medizinischer Unterlagen, die insbesondere vom Kläger in sehr unstrukturierter Form eingereicht worden waren, zu erschließen und diese zu würdigen. Hinzu kommen die vom Gericht eingeholten Befundberichte. Die Amtsermittlung und Würdigung des medizinischen Sachverhalts hatte vor allem mit einzubeziehen, dass viele der vom Kläger eingereichten Unterlagen nicht nur einen erheblichen Umfang hatten, sondern auch immer wieder keinen Bezug zum Streitgegenstand an sich oder jedenfalls zum streitgegenständlichen Zeitraum aufwiesen und daher vom Gericht besonders genau zu betrachten und zu hinterfragen waren. Die Aufbereitung des tatsächlichen Streitstoffs war deshalb für das Gericht mit einem erheblichen und ungewöhnlichen Aufwand verbunden, wie auch aus dem Telefonvermerk des Kammervorsitzenden auf Bl. 482 (Rückseite) zu entnehmen ist.

Die Bedeutung des Rechtsstreits war aus Sicht eines objektiven Beobachters in Kenntnis der Lebenssituation des Klägers durchschnittlich. Aufgrund der Höchstpersönlichkeit und Intimität der eigenen Gesundheit sind Rechtsstreitigkeiten zu medizinischen Fragestellungen aus Sicht eines Beteiligten stets von herausgehobener Bedeutung. Bei der Prüfung eines Anspruchs auf Gewährung von Krankengeld handelt es sich um ein typisches krankenversicherungsrechtliches Verfahren. Krankengeld ist andererseits eine lebensstandardsichernde, nicht eine existenzsichernde Geldleistung.

Neben diesen Faktoren ist in die Betrachtung mit einzustellen, dass aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung folgt. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht verlangt (BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 Rn. 34). Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt.

Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des § 198 Abs. 1 S. 2 GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (BT-Drucks 17/3802 S 18: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL und B 10 ÜG 2/12 KL), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind (vgl. dazu BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 Rn. 64). Es ist zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R Rn. 53) derzeit von folgenden Grundsätzen auszugehen: Die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc.) so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht.

Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten. Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Diese Zeitspanne muss und wird in der Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw. die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Für diese Zwölfmonatsregel spricht u.a. die Regelung des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG; danach kann eine Klage zur Durchsetzung des Anspruchs aus Abs. 1 der Vorschrift frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Eine gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeit der Gerichte akzeptiert auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung maßgeblich dem Gesetz zugrunde liegt. Wie die Analyse seiner Urteile zeigt, beanstandet der Gerichtshof regelmäßig nicht die Dauer solcher Verfahren, die nicht besonders eilbedürftig sind und die je Instanz nicht länger als zwei Jahre und insgesamt nicht länger als fünf Jahre dauern (so auch BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R Rn. 54).

Nicht jede Periode gerichtlicher Untätigkeit führt nach der Rechtsprechung des EGMR zwingend zu einem Entschädigungsanspruch; vielmehr ist sie in einem gewissen Verfahrensstadium vertretbar, solange die Gesamtverfahrensdauer nicht als überlang erachtet werden kann (vgl. u.a. EGMR, Individualbeschwerde Nr. 32842/96 Nuutinen/Finnland, Rn. 110; Individualbeschwerde Nr. 7759/77 Buchholz/Deutschland, Rn. 63). Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (z.B. Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird oder sich auf sog. Schiebeverfügungen beschränkt. Die genannten Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von § 198 Abs. 1 S. 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. Damit ändert die Zwölfmonatsregel nichts am Vorrang der Einzelfallbetrachtung, sondern verschiebt lediglich die sachlichen Anforderungen an die Verfahrensförderung entlang zeitlicher Grenzen.

Nach Absatz 3 der Bestimmung erhält ein Verfahrensbeteiligter Entschädigung nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Anlass zur Besorgnis, dass ein Verfahren unangemessen dauert, besteht dann, wenn ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt. Grundlage der Prognose müssen objektive Gründe sein, die bei einer ex-ante-Betrachtung aus Sicht eines vernünftigen Rügeführers im konkreten Einzelfall eine überlange Verfahrensdauer hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Februar 2018 – 13 D 68/17 Rn. 5 – 7; OVG NRW, Urteil vom 10. Februar 2017 - 13 D 36/16 Rn. 19 f.; BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - III ZR 355/13 Rn. 16; BT-Drs. 17/3802, S. 20; Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, 1. Auflage 2013, § 198, Rn. 124 ff.; Ott, in: Steinbeiß- Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG, Rn. 188 ff.).

Der Kläger hat erstmalig am 5. Oktober 2012 eine Verzögerungsrüge erhoben. Diese Verzögerungsrüge war verfrüht. Zum Zeitpunkt der Rügeerhebung gab es keine Anhaltspunkte für eine mögliche Verzögerung des Rechtsstreits. Zwischen Klageerhebung und Rüge der Verfahrensdauer lagen nur rund acht Monate. Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren offensichtlich nicht verzögert und eine solche war auch nicht absehbar. Lediglich für den Monat April 2012 ist zweifelhaft, ob in diesem Kalendermonat eine ausreichende Verfahrensförderung durch das Gericht erkannt werden kann. Gleiches gilt für die Verzögerungsrügen vom 15. Oktober 2012, 11. Dezember 2012, 27. Dezember 2012, 2. Januar 2013, 28. Januar 2013, 15. Februar 2013, 25. März 2013, 31. Mai 2013, 10. September 2013, 16. September 2013 und 24. Februar 2013. Bis zum 24. Februar 2013 sind aus dem Akteninhalt keine Monate erkennbar, in denen dem Verfahren kein Fortgang durch das Sozialgericht gegeben worden wäre. Anhaltspunkte für eine mögliche Verzögerung sind daher auch zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar. Erst im Hinblick auf die Verzögerungsrüge des Klägers vom 7. November 2016 war nicht mehr offensichtlich auszuschließen, dass Anhaltspunkte für eine mögliche Verzögerung gesehen werden könnten. Dies folgt bereits daraus, dass die ungewöhnliche Dauer der erstinstanzlichen Anhängigkeit einen objektiven Anhaltspunkt bietet, anhand dessen sich bei einem Verfahrensbeteiligten die Besorgnis bilden darf, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit zum Abschluss gebracht werden könnte.

Letztlich kann dies hier jedoch dahingestellt bleiben, denn jedenfalls lag im Ergebnis keine unangemessene Verfahrensdauer vor.

Zwar genügte die Sachbehandlung des Sozialgerichts nicht während der gesamten Anhängigkeit von insgesamt 66 Monaten in jeder Hinsicht dem o.g. Maßstab. Jedenfalls während 15 Kalendermonaten war ein dem Verfahren Fortgang gebendes Tätigwerden des Sozialgerichts in der Akte nicht dokumentiert:

- April 2012: Akte zur Wiedervorlage,
- Dezember 2014 bis Februar 2015: Akte zur Wiedervorlage, Gericht wartet auf eine (freigestellte) Stellungnahme der Klägervertreterin ohne hieran zu erinnern,
- November 2015: Akte zur Wiedervorlage,
- Februar und März 2016: Akte zur Wiedervorlage,
- Juli und August 2016: Akte zur Wiedervorlage,
- November 2016 bis April 2017: Mit Ausnahme von Sachstandsanfragen des Klägers Akte zur Wiedervorlage.

Diese 15 Monate sind jedoch um die notwendige Vorbereitungs- und Bedenkzeit zu bereinigen. Diese umfasst im oben dargestellten Regelumfang grundsätzlich zwölf Kalendermonate. Insoweit sind aber die besonderen Umstände des Einzelfalls bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts hat vor allem der Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens angemessen Rechnung zu tragen (so auch BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 Rn. 14). Vorliegend ging das Sozialgericht vor allem in dem Zeitraum von November 2016 bis April 2017 durch die rückwirkende Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung des Klägers im September 2016 mit Wirkung auch für den streitgegenständlichen Zeitraum davon aus, dass das (wirtschaftliche) Interesse des Klägers an der Fortführung des Rechtsstreits nur noch gering sein dürfte – ohne aber diesbezüglich von Seiten des Klägers eine Stellungnahme erhalten zu haben. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall gerade in einer Gesamtbetrachtung betreffend die Vorbereitungs- und Bedenkzeit zusätzlich auch das prozessuale Verhalten des Klägers zu berücksichtigen, der nicht nur durch zahlreiche wiederholte Verzögerungsrügen, sondern vor allem durch stetigen, umfangreichen und mit medizinischen Anlagen belegten Sachvortrag, der in vielen Fällen nicht streitgegenstandsbezogen war, selbst das Gericht zu einer besonders aufwendigen Strukturierung und Aufarbeitung des Akteninhalts zwang. Dies umfasste nicht nur den Inhalt der Gerichtsakte selbst, sondern auch das parallel anhängige Eilverfahren, das über zwei Instanzen geführt wurde und dessen Schriftverkehr ebenfalls durch dieselbe Form der Prozessführung geprägt war. Es liegt auf der Hand, dass gerade diese zusätzlichen Aufwände sich vor allem auf den regelmäßig zwölf Monate umfassenden Korridor der spruchkörperinternen Organisation bzw. der Vorbereitungs- und Bedenkzeit verlängernd auswirkt. Da die hinzunehmende Länge der Vorbereitungs- und Bedenkzeit sich letztlich daran bemisst, welche Wartezeit den Verfahrensbeteiligten im Einzelfall zumutbar ist (so auch BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R Rn. 44), ist es sachgerecht, auch gerade deren Verhalten und Bemühungen um eine Prozessförderung bzw. andererseits deren Grad der Mitwirkung an einer Verfahrensverzögerung in die Wertung mit einzustellen. Der typisierte Zeitraum von 12 Monaten ist mithin im vorliegenden Fall atypisch aufwendiger Vorbereitungsarbeiten maßvoll auszudehnen, mit der Folge, dass jedenfalls die hier vorliegenden 15 Monate ohne dokumentierte Verfahrensförderung durch das Sozialgericht noch nicht als nicht angemessene Sachbehandlung zu betrachten sind.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 197a Abs. 1, 183 Satz 5 SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 SGG liegen nicht vor.

Die Entscheidung zur Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2, § 47 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert entspricht der von dem Kläger zuletzt noch geltend gemachten Entschädigungssumme.
Rechtskraft
Aus
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