Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 20 AY 2/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 8/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Auch bei der Konkretisierung der Rechtsmissbräuchlichkeit gemäß § 2 AsylbLG beanspruchen die Überlegungen des Bundessozialgerichts im Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 7/12 R - zur Abgabe einer sog. Freiwilligkeitserklärung Geltung, wonach wegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG die Abgabe einer solchen Erklärung von niemandem verlangt werden kann, der den entsprechenden Willen nicht besitzt; ansonsten wäre er zum Lügen gezwungen.
2. Legt ein Leistungsempfänger Widerspruch gegen eine nach seiner Auffassung zu niedrige Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG für einen Monat ein, so werden nach § 86 SGG analog die Bescheide über monatsweise Bewilligungen für die Folgemonate Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens.
2. Legt ein Leistungsempfänger Widerspruch gegen eine nach seiner Auffassung zu niedrige Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG für einen Monat ein, so werden nach § 86 SGG analog die Bescheide über monatsweise Bewilligungen für die Folgemonate Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. August 2017 abgeändert.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2012 verurteilt, dem Kläger weitere Leistungen i.H.v. 149,03 EUR für den Zeitraum vom 1. Juli 2012 bis 31. Juli 2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der Kläger ist iranischer Staatsbürger und lebt seit 1978 in der Bundesrepublik Deutschland und stellte im Januar 1979 einen Asylantrag; im streitgegenständlichen Zeitraum war er Inhaber einer Duldung.
Er ist der Vater von zwei aus Beziehungen mit deutschen Staatsangehörigen hervorgegangen, 1982 und 1989 geborenen Söhnen. Bis 1994 war er aufgrund einer zwischenzeitlich geschiedenen Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis. Mit Verfügung vom 18. Juli 1994 lehnte der Oberbürgermeister der Beklagten den Antrag auf Verlängerung ab. Wiederholt stellte er daraufhin erfolglos Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, u.a. unter Berufung auf § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Auch Petitionen an den Hessischen Landtag blieben erfolglos.
Er bezog dann Leistungen nach dem AsylbLG, jedenfalls ab August 2008 auf der Grundlage von § 2 AsylbLG. Dem Kläger waren zuletzt Leistungen analog dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) i.H.v. 894 EUR monatlich (374 EUR Regelbedarf, 520 EUR Kosten der Unterkunft) gewährt worden (Bescheid vom 21. Juni 2012, Bl. 535 der Verwaltungsakten des Jugend- und Sozialamtes).
Mit E-Mail vom 13. Februar 2008 informierte das Regierungspräsidium Darmstadt u.a. die Beklagte darüber, dass nach Einschätzung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Teheran Iraner für die Ausstellung eines Passes keine Freiwilligkeitserklärung abgeben müssten (Bl. 1627 der Ordnungsamtsakte).
Mit Schreiben der Ausländerbehörde (Ordnungsamt) der Beklagten vom 20. Juni 2008 an den Bevollmächtigten des Klägers forderte die Beklagte den Kläger auf, sich einen Reisepass zu beschaffen um seiner Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nachzukommen (Bl. 1532 der Ordnungsamtsakte). Mit Verfügung vom 18. August 2008 (Bl. 1585 der Ordnungsamtsakte) wurde er zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung in Gestalt der Vorlage einer Originalbescheinigung des Personenstandswesens der Region C. aufgefordert.
In den Verwaltungsakten der Ordnungsbehörde (Ausländerbehörde) der Beklagten findet sich eine 2008 zu den Akten gelangte Bescheinigung des Zentralamtes für Personenstandswesen der iranischen Region C. bezüglich des Klägers und eine Kopie des abgelaufenen Reisepasses (unblattierte Kopien in Band 4). 2010 und 2011 beantragte der Kläger wiederholt und erfolglos, verbunden mit dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die Ausstellung eines Reiseausweises. Am 22. Juli 2012 beantragte der Kläger einen Fremdenpass. Anlässlich dieses Antrages erklärte er: "Ich wäre auch jederzeit gerne bereit die Ausstellung eines iranischen Reisepasses zu beantragen, wenn unter schriftlicher Gewährleistung mir zugesichert wird, dass die Ausstellung eines iranischen Reisepasses nicht zur Abschiebung missbraucht wird" (Bl. 1848 der Ausländerakte, Band 4). Der Kläger wurde wiederholt wegen Verstoßes gegen § 95 AufenthG verurteilt.
Am 17. Juni 2011 und am 19. September 2011 wurde er nochmals über seine Mitwirkungspflichten belehrt und allgemein zur Passbeschaffung aufgefordert (Bl. 1779, 1820 der Ordnungsamtsakte). Auf den Vermerken findet sich die Anmerkung "Unterschrift verweigert".
Unter dem Datum vom 10. September 2012 (Bl. 1851 der Ordnungsamtsakte) findet sich in der Akte des Ordnungsamts folgender E-Mal-Vermerk: "Laut telefonischer Mitteilung des iranischen Konsulats vom 22.06.2010 kann Herr A. bei Vorlage seiner Geburtsurkunde, die er im Original besitzt, und einer Flugbestätigung definitiv ein Heimreisedokument erhalten."
Mit Schreiben vom 21. Juni 2012 teilte das Ordnungsamt der Beklagten dem Jugend- und Sozialamt mit, dass der Kläger keinerlei Anstrengungen unternehme, um seine bestehende Passlosigkeit zu ändern. Die Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht scheitere daran, dass er seine Unterschrift, welche zur Passausstellung erforderlich sei, im Konsulat verweigere. Er sei einzig wegen seiner selbstverschuldeten Passlosigkeit geduldet (Bl. 539 Verwaltungsakte).
Der Kläger war im Juli 2012 einkommens- und vermögenslos. Hinsichtlich der weiteren Feststellungen der Beklagten zu Einkommen und Vermögen wird insbesondere auf das Vorspracheprotokoll vom 28. Juni 2012 (Bl. 545 der Verwaltungsakte) sowie den gesamten Inhalt von Band III der Verwaltungsakten der Beklagten (Jugend- und Sozialamt) Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2012 gewährte der Beklagte dem Kläger ab 1. Juli 2012 neben den Kosten der Unterkunft nur noch den Asylgrundbetrag und den Asylbarbetrag in Höhe von 184,07 EUR zuzüglich 40,90 EUR, insgesamt 744,97 EUR (Bl. 541 Verwaltungsakte).
Der Kläger legte mit Schreiben vom 22. Juli 2012 Widerspruch ein (Bl. 555 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 13. August 2012 bewilligte der Beklagte Leistungen für August 2012 i.H.v. 744,97 EUR, mit Änderungsbescheid und Bescheid vom 30. August 2012 (in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012) Leistungen für August und September 2012 i.H.v. 866 EUR, mit Änderungsbescheid vom 4. Oktober 2012 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. Oktober 2012 Leistungen ebenfalls i.H.v. 866 EUR monatlich, ebenso mit wiederholendem Änderungsbescheid vom 29. Oktober 2012 für November 2012. Mit Änderungsbescheid vom 29. November 2012 bewilligte die Beklagte für Dezember 2012 lediglich Grundleistungen und den Barbetrag i.H.v. 346 EUR.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2012 "gegen den Bescheid des Jugend- und Sozialamtes ( ) vom 27.06.2012" zurückgewiesen (Bl. 581 Verwaltungsakte). Nur der Zugang dieses Widerspruchsbescheides ergibt sich aus den Akten, nachdem die Beklagte bereits zuvor unter anderen Daten gleichlautende Widerspruchsbescheide verschickt hatte. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Umsetzung der Rückkehrpflicht scheitere am fehlenden Pass. Da der Widerspruchsführer eine Geburtsurkunde besitze und damit seine Identität feststehe, werde er auf entsprechenden Antrag bei seinem Konsulat einen Pass ausgestellt erhalten. Dies habe das Konsulat telefonisch bestätigt. Es bestünden keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Auskunft. Die Passausstellung setze zwingend die Antragstellung und die Vorsprache des Widerspruchsführers beim Konsulat voraus. Da er sich weigere, erfülle er den Tatbestand des § 1a AsylbLG, weil bei ihm aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Ohne einen Pass könne er nicht in sein Heimatland zurückkehren. Die Ausländerbehörde habe auch deutlich gemacht, dass sie die Ausreisepflicht durchsetzen wolle. Im Übrigen gebe es keine Gründe, die gegen eine Ausreisepflicht sprechen. Es sei nicht zutreffend, dass man sich von den Leistungen nicht ausreichend ernähren könne. Der Widerspruch sei daher zurückzuweisen.
Der Kläger hat am 14. Januar 2013 Klage beim Sozialgericht Frankfurt erhoben.
Der Kläger hat vorgetragen, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Er habe einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen analog der Sozialhilfe. Er könne sich seinen Pass nicht beschaffen. Es sei sehr schwierig, einen iranischen Pass zu beschaffen (Bl. 42 d.A.). Zudem würde dieser zu seiner Ausweisung verwendet werden (Bl. 41 d.A.).
Der Beklagte ist der Ansicht gewesen, es bestünde kein Anspruch auf Gewährung der begehrten Leistungen. Der Vortrag des Klägers zu seiner Passlosigkeit sei unschlüssig und nicht glaubhaft.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2017 abgewiesen. Das Begehren des Klägers werde nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in dem Sinne ausgelegt, dass er ab Juli 2012 die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG analog dem SGB XII begehre. Die in diesem Sinne ausgelegte Klage sei zulässig aber unbegründet. Der Bescheid vom 27. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 12. Dezember 2012 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Sozialgericht hat sich nach § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung des Verwaltungsaktes und des Widerspruchsbescheides bezogen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 17. August 2017 zugestellt worden.
Die hiergegen gerichtete Berufung ist am Montag, den 18. September 2017 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen.
Der Kläger trägt vor, er habe alles für ihn Mögliche getan, um seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen, insbesondere an der Passbeschaffung mitzuwirken. Er habe Herrn Dr. D. D. als Verfahrensbevollmächtigten beauftragt, alles Erforderliche zu unternehmen, um einen iranischen Reisepass zu erlangen. Die Ausstellung eines iranischen Reisepasses stelle sich durch das iranische Generalkonsulat in Frankfurt am Main jedoch als sehr schwer, gar unmöglich heraus, denn für die Ausstellung eines iranischen Personalausweises bzw. Reisepasses müsse eine andere amtliche Urkunde vorliegen. In Ermangelung dessen müssten drei Zeugen unter Eid unzweifelhaft Erkenntnisse über die Identität des Klägers bestätigen und bekunden, dass sie den Kläger aus dem Iran kennen würden. Selbst dann sei es schwer, einen Reisepass ausgestellt zu erhalten, da die Unterlagen und Zeugenaussagen von iranischen Behörden geprüft und abgesegnet werden müssten. Dies sei ein langwieriger Prozess, der nicht vom Kläger beeinflusst werden könne und nicht in seinem Verantwortungsbereich liege. Er habe 12 Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Das Erfordernis der Beibringung von Zeugen zur Begründung seiner Identität sei bereits deshalb unmöglich, weil der Kläger sich seit 1978 in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 30. Oktober 2008 bestätigt, dass der Kläger zur Beschaffung seiner Geburtsurkunde bei der Passbeschaffung mitgewirkt habe. Herrn Dr. D. D. habe die Ausstellung eines zweiten iranischen Personalausweises für den Kläger erwirkt. Dieser Personalausweis sei der Beklagten vorgelegt worden.
Die Behauptung einer angeblichen telefonischen Auskunft durch das iranische Konsulat darüber, dass der Kläger lediglich einen entsprechenden Antrag stellen müsse, sei nicht bewiesen. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer durch den Kläger im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG liege nicht vor. Die Beweislast für Rechtsmissbrauch liege bei der Beklagten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R). Die Entscheidung des Sozialgerichts sei verfahrensfehlerhaft ergangen; angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hätte nicht durch Gerichtsbescheid entschieden werden können. Das Absehen von Gründen verletze den Kläger in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG)
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. August 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm rückwirkend ab 1. Juli 2012 Leistungen nach dem AsylbLG analog dem SGB XII zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, die Berufung sei unzulässig, da sich die Klage allein gegen den Leistungsbescheid vom 27. Juni 2012 für den Monat Juli 2012 richte. Weder werde die Wertgrenze von 750 EUR erreicht noch würden Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten begehrt.
Die Berufung sei auch unbegründet. Die Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG in der bis zum 28. Februar 2015 geltenden Fassung lägen vor. Der Kläger habe seine Passlosigkeit selbst zu verantworten. Er sei mehrfach wegen Verstoßes gegen § 95 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verurteilt worden. Teil des strafrechtlichen Vorwurfes sei, dass selbstverschuldete Passlosigkeit vorliegen. Die Verweigerungshaltung werde aus den Einlassungen des Klägers gegenüber der Ausländerbehörde ersichtlich. Mit Schreiben vom 22. Juli 2012 habe der Kläger die Ausstellung eines Fremdenpasses beantragt. In diesem Schreiben heiße es, er sei jederzeit gerne bereit, die Ausstellung eines iranischen Reisepasses zu beantragen, wenn unter schriftlicher Gewährleistung zugesichert werde, dass die Ausstellung eines iranischen Passes nicht zur Abschiebung missbraucht werde.
Dem Kläger ist mit Beschluss vom 4. September 2019 Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug bewilligt worden. Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Verfügung vom selben Tage auf die Zulässigkeit der Berufung hingewiesen, da der Kläger formal dadurch beschwert sei, dass das Sozialgericht nach den Entscheidungsgründen die Rechtskraftwirkung seines Urteils auf dem Zeitraum ab Juli 2012 bis zum Datum des Gerichtsbescheides erstrecke.
Mit Berichterstatterverfügung vom 16. Juli 2020 sind die Beteiligten auf die vom Senat herangezogenen behördlichen Auskünfte und sonstigen Erkenntnisse zur Reisepassbeschaffung bezüglich der Islamischen Republik Iran hingewiesen worden.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2020, den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Ordnungsamtsakte (1 Hefter) und der Jugend- und Sozialamtsakten (4 Bände) verweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere am Maßstab von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft. Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Dabei ist der Beschwerdegegenstand das, was das angefochtene Urteil des Sozialgerichts in seiner Hauptsachentscheidung dem Kläger und Berufungskläger versagt hat und er nun mit der Berufung weiterverfolgen möchte. Es genügt insoweit grundsätzlich die sich aus dem Vergleich seines Antrags mit dem Urteilstenor ergebende formelle Beschwer (BSG, Urteil vom 29. September 1999 – B 6 KA 30/98 R –, SozR 3-1500 § 54 Nr. 4 m. w. N.; Schreiber, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 143 Rn. 10). Bei Zweifeln an der Reichweite des Antrages ist die Auslegung des Antrages durch das Sozialgericht maßgeblich, denn eine formelle Beschwer kann sich auch aus der Abweisung eines durch das Sozialgericht überdehnt ausgelegten Antrages ergeben (Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 143 Rn. 16). Das Sozialgericht hat nach seinen eindeutigen Ausführungen in den Entscheidungsgründen den erstinstanzlichen Antrag dahingehend ausgelegt, dass der Kläger Leistungen nach § 2 AsylbLG zukunftsoffen ab Juli 2012 begehrt. Der erstinstanzliche Antrag war insoweit auch auslegungsbedürftig. Der Kläger ist formell dadurch beschwert, dass das Sozialgericht die Rechtskraftwirkungen seines Urteils ausweislich der insoweit tragenden Entscheidungsgründe auf den Zeitraum ab Juli 2012 bis zum Datum des Gerichtsbescheides erstrecken möchte. Kommt es allein auf die so ermittelte formelle Beschwer an, so kann die Beklagte im Rahmen der Statthaftigkeit nicht damit gehört werden, dass der streitgegenständliche Bescheid allein Leistungen für Juli 2012 regelt.
Die Berufung ist aber nur teilweise begründet.
I. Die Klage ist nur teilweise zulässig.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und des Klägers ist die Klage nur bezüglich des Streitgegenstandes, in Abänderung des Bescheides vom 27. Juni 2012 744,97 EUR übersteigende Leistungen in Höhe des § 2 AsylbLG für den Monat Juli 2012 zu erhalten, gegenwärtig einer Sachentscheidung zugänglich. Im Übrigen fehlt es an der abschließenden Nachprüfung der Bescheide für dem Folgezeitraum vom 13. August 2012, 30. August 2012, 4. Oktober 2012, 29. Oktober 2012 und 29. November 2012 im Vorverfahren (§ 78 SGG). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8 AY 11/07 R –, juris, Rn. 10; vgl. auch BSG, Urteil vom 14. April 2011 – B 8 SO 12/09 R –, SozR 4-3500 § 82 Nr. 7; zuletzt BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016 – B 8 SO 14/15 R –, juris Rn. 11), der der Senat folgt (Beschluss vom 2. Juni 2020 – L 4 AY 7/20 B ER -, juris Rn. 13), werden nach § 86 SGG analog im Falle der monatsweisen Bewilligung die Bescheide für die Folgemonate Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens. Die Beklagte hat indes im Widerspruchsbescheid allein eine Entscheidung bezüglich des Bescheides vom 27. Juni 2012 getroffen. Angesichts der eindeutigen Formulierung im Widerspruchsbescheid ist die Auslegung einer konkludenten Mitentscheidung über die Bescheide für dem Folgezeitraum vom 13. ugust 2012, 30. August 2012, 4. Oktober 2012, 29. Oktober 2012 und 29. November 2012 ausgeschlossen.
II. Die Klage ist im zulässigen Umfang begründet.
1. Der Kläger hat Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.
a) Nach der bis 28. Februar 2015 geltenden Fassung dieser Vorschrift ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
aa) Der Kläger hat die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Der Begriff des Rechtsmissbrauchs enthält eine objektive - den Missbrauchstatbestand - und eine subjektive Komponente - das Verschulden - (zum Folgenden ausf: BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 32 ff.). Diesem Tatbestandsmerkmal des § 2 AsylbLG liegt der Gedanke zu Grunde, dass niemand sich auf eine Rechtsposition berufen darf, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat.
In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 33). Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), führt zum Ausschluss von Analog-Leistungen. Die Gesetzesbegründung führt insoweit beispielhaft die Vernichtung des Passes (BT-Drucks 15/420, S 121) als typische Fallgestaltungen eines Rechtsmissbrauchs an, es sei denn, sie wären ihrerseits eine Reaktion auf oder eine vorbeugende Maßnahme gegen objektiv zu erwartendes Fehlverhalten des Staates. Nicht hinreichend ist die bloße Ausnutzung einer Verfahrensposition durch Nichtausreise. So liegt nicht in dem Nichtausreisen des Ausländers trotz (formaler) Ausreisepflicht (Duldung) ein Rechtsmissbrauch, sondern unter Umständen in den Gründen, die hierzu geführt haben. Der Aufenthaltsstatus (Duldung) ist für die Beantwortung der Frage, ob der Ausländer seinen Aufenthalt rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, unerheblich. Hat der Ausländer diese Gründe zu vertreten, hat er also insoweit selbst Einfluss auf das Geschehen genommen, kann nur deshalb, nicht aber wegen bestehender Ausreisepflicht, ein Rechtsmissbrauch bejaht werden.
Gemessen an diesem Maßstab kann dem Kläger ein solches von der Rechtsordnung missbilligtes, sozialwidriges Verhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Der Kläger wurde zwar wiederholt zur Passbeschaffung und zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten aus § 48 AufenthG aufgefordert. Dem ist er nicht nachgekommen und hat zudem am 22. Juli 2012 unwidersprochen erklärt: "Ich wäre auch jederzeit gerne bereit die Ausstellung eines iranischen Reisepasses zu beantragen, wenn unter schriftlicher Gewährleistung mir zugesichert wird, dass die Ausstellung eines iranischen Reisepasses nicht zur Abschiebung missbraucht wird". Auch daraus geht hervor, dass er willentlich und bewusst keinen Reisepass beantragt, um eine Abschiebung unmöglich zu machen.
Jedoch fehlt es aufgrund der tatsächlich bestehenden Anforderungen an die Passbeschaffung an der Sozialwidrigkeit der Verweigerung der Mitwirkung.
Der Senat geht hinsichtlich der Passbeschaffungsmöglichkeit und der Rückkehrsituation im Jahr 2012 und zuvor von folgenden Erkenntnissen aus, die er sich zu Eigen macht:
Das Auswärtige Amt führte in seinen Lageberichten vom 27. Februar 2011, GZ: 508-516.80/3 IRN, S. 43 und vom 8. Oktober 2012, Gz.: 508-516.80/3 IRN, S. 38 f. (zitiert nach asylis) Folgendes aus: "Deutsche Reiseausweise oder EU-Heimreisepapiere werden von den Grenzbehörden nicht anerkannt. Die iranischen Behörden bestehen darauf, dass ein Heimreisedokument von der zuständigen iranischen Auslandsvertretung ausgestellt wird. Diese wiederum haben Anweisung, jedem Iraner, der bei ihnen vorspricht und freiwillig die Ausstellung eines Reisepasses beantragt, einen solchen auszustellen. Dies gilt auch für Personen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt haben. Die iranischen Auslandsvertretungen in Deutschland stellen Heimreisedokumente grundsätzlich nur dann aus, wenn die betreffende Person persönlich vorgesprochen und dabei zu erkennen gegeben hat, dass sie freiwillig nach Iran zurückkehrt. Außerdem wird der zweifelsfreie Nachweis der iranischen Staatsangehörigkeit verlangt."
Für den vorherigen Zeitraum ging das Bundesministerium des Innern davon aus, dass das Erfordernis einer Freiwilligkeitserklärung mit Vorgaben aus iranischem innerstaatlichen Recht übereinstimmen solle, wonach kein iranischer Staatsangehöriger gezwungen werden könne, in den Iran zurückzukehren. Den dem Bundesministerium des Innern vorliegenden Erkenntnissen zufolge könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Iran in absehbarer Zeit von der bisherigen Praxis abweichen werde. Die Freiwilligkeitserklärung, die von iranischen Staatsangehörigen erwartet werde, erfolge bereits durch die eigenhändige Unterschrift des Betroffenen auf dem Antragsformular für die Passersatzausstellung (Gutachten des Bundesministeriums des Innern vom 28. November 2001 an VG Köln (Anfrage vom 4. Oktober 2001 zu 16 K 4056/99.A – asylis).
Nach Erkenntnissen des Oberverwaltungsgerichts Münster zu einem Sachverhalt aus dem Jahr 2005 enthielt das von den Konsulaten der Islamischen Republik Iran verwendete Antragsformular folgende Erklärung: "Hiermit erkläre ich, dass ich freiwillig in die Islamische Republik Iran zurückkehren möchte" (OVG Münster, Urteil vom 18. Juni 2008 17 A 2250/07 –, juris Rn. 66).
Verzichtbar war eine Freiwilligkeitserklärung im maßgeblichen Zeitraum nur bei Nachweis eines rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und der Vorlage weiterer Unterlagen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 – L 4 AY 16/13 B ER , juris Rn. 8). Vorliegend hielt sich der Kläger aber schon seit langem unrechtmäßig und lediglich geduldet in der Bundesrepublik auf.
Dieser Erkenntnisstand für den Zeitraum um und vor 2012 wird bestätigt durch eine Reihe sozial- und verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 – L 4 AY 16/13 B ER -, juris Rn. 8). So geht das Sächsisches Landessozialgericht (Beschluss vom 30. Juni 2011 – L 7 AY 8/10 B ER –, juris) bezüglich eines Sachverhalts aus dem Jahr 2010 von der Erforderlichkeit einer Freiwilligkeitserklärung bei der Passbeschaffung über ein iranisches Konsulat oder eine iranische Botschaft aus, ebenso das Thüringische Landessozialgericht für 2014 (Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 09. Oktober 2014 – L 8 AY 474/14 B ER –, juris), das Sozialgericht Hildesheim für 2016/2017 (SG Hildesheim, Beschluss vom 6. Januar 2017 S 42 AY 56/16 ER –, juris), das Verwaltungsgericht Bayreuth für 2018 (VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 11. Dezember 2018 – B 6 K 18.696 –, juris).
Die der Beklagten vorliegenden E-Mail-Auskünfte und Telefonvermerke, denen es im Übrigen auch an Substanz mangelt, sind damit hinsichtlich des fehlenden Erfordernisses einer Freiwilligkeitserklärung widerlegt, soweit sie überhaupt den hier relevanten Zeitraum betreffen.
Nach alledem ist zur Passbeschaffung bzw. Passersatzbeschaffung zur Überzeugung des Senats bei einem rechtswidrigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber einem iranischen Konsulat nicht nur die schlichte Mitwirkung in Gestalt der Vorlage von Urkunden zur Identitätsfeststellung und Abgabe eines entsprechenden Antrages bei einem iranischen Konsulat hinreichend. Vielmehr bedarf es auch der Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung bezüglich der Rückkehr in den Iran.
Deren Verweigerung kann nicht als gesteigert sozialwidrig und damit nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden (vgl. zum Folgenden am Maßstab von § 1a AsylbLG BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R –, BSGE 114, 302-310, SozR 4-3520 § 1a Nr. 1 zit. nach juris, Rn. 26 ff.; Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 L 4 AY 16/13 B ER –, juris). Versteht man die Aufforderungen durch die Ordnungsbehörde und zuletzt durch das Sozialamt der Beklagten an den Kläger lebensnah so, dass der Kläger alles seinerseits Erforderliche tun solle, um vom iranischen Konsulat einen Reisepass oder ein zur Einreise in den Iran berechtigendes Dokument ausgestellt zu erhalten, so wird vom Kläger ein Verhalten verlangt, das die Intimsphäre als unantastbaren Kernbereich des Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG berührt (vgl. zur Unantastbarkeit eines Kernbereichs: BVerfGE 34, 238 (245); 54, 143 (146); 103, 21 (31)). Der Kläger erklärte zuletzt mit Schreiben vom 22. Juli 2012, dass er nur an der Passbeschaffung nur mitwirke, wenn ihm versichert werde, dass er nicht abgeschoben werde. Damit erklärte der Kläger zugleich, dass er nicht freiwillig ausreisen werde. Freiwilligkeit kann sowohl nach dem allgemeinen Wortverständnis als auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles (vgl. zum Folgenden BSG a.a.O., Rn. 27 f.) nur bedeuten, dass der Kläger erklären sollte, er reise aus freien Stücken in den Iran. Diese Erklärung kann indes von niemandem verlangt werden, der den entsprechenden Willen nicht besitzt; ansonsten wäre er zum Lügen gezwungen. Der Begriff der Freiwilligkeit entzieht sich weiteren Überlegungen. Gefordert war vom der Kläger eine Erklärung, etwas zu wollen, was er gerade nicht wollte. Ein gegenteiliger Wille kann von ihm auch nicht verlangt werden; der Wille als solcher ist staatlich nicht beeinflussbar. Eine andere Frage ist, ob von dem Betroffenen trotz eines entgegenstehenden Willens bestimmte Handlungen abverlangt werden können. Der Zwang, dies auch zu wollen, entspräche einem dem Grundgesetz fremden totalitären Staatsverständnis (BSG a.a.O., Rn. 28).
Dieser vom Bundessozialgericht zu § 1a AsylbLG entwickelten Überlegungen sind auf § 2 AsylbLG übertragbar (wie hier: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Januar 2020 – L 8 AY 22/19 B ER –, juris Rn. 23 f.; vgl. auch Krauß, in: Siefert, AsylbLG, 2018, § 2 Rn. 48).
Unerheblich ist, dass in den genannten Entscheidungen die geforderte Mitwirkungshandlung bereits auf die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung hin konkretisiert wurde, demgegenüber der Kläger im hiesigen Rechtsstreit zuletzt im Jahr 2011 nur noch allgemein zur Mitwirkung an der Passbeschaffung aufgefordert wurde. Aufgrund der vom Senat herangezogenen Auskünfte steht fest, dass die Abgabe einer entsprechenden Freiwilligkeitserklärung notwendige Bedingung der Passerteilung oder Ausstellung eines Passersatzpapiers durch ein iranisches Konsulat war. Es steht zudem fest, dass der Kläger gegenüber dem iranischen Konsulat die Abgabe einer Unterschrift verweigert hat. Offen bleiben kann, ob sich diese Verweigerung durch den Kläger explizit auf die Freiwilligkeitserklärung bezog. Sollte die Passerteilung an der Verweigerung einer anderen Unterschrift gescheitert sein, so ist dies ebenfalls nicht vorwerfbar. Wegen der Erforderlichkeit der Freiwilligkeitserklärung als conditio sine qua non kann es auch nicht sozialwidrig sein, eine andere, von vornherein nicht zum Ergebnis führende unspezifische Mitwirkungshandlung zu verweigern. Nach alledem ist die schlichte Weigerung der Mitwirkung an der Passbeschaffung dann nicht sozialwidrig, wenn die Passbeschaffung ohnehin an einer nicht erzwingbaren Mitwirkungshandlung, nämlich der Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung, scheitern würde, deren Verweigerung nicht als sozialwidrig anzusehen ist.
Soweit die Beklagte für die Rechtsmissbräuchlichkeit auf die strafrechtlichen Verurteilungen wegen Passlosigkeit verweist, ist darauf hinzuweisen, dass nach verbreiteter Ansicht an die verweigerte Abgabe der Freiwilligkeitserklärung keine strafrechtlichen Sanktionen geknüpft werden können, insbesondere nicht bezüglich § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 16. Januar 2007 – 2 St OLG Ss 242/06 –, juris; OLG München, Urteil vom 9. März 2010 – 4St RR 102/09 –, juris, beide bezüglich Angeklagter mit iranischer Staatsangehörigkeit). Aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Zumutbarkeit aufenthaltsrechtlicher Mitwirkungspflichten (BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 – 1 C 19.08 –, juris) können wegen der Unterschiede der betroffenen Normen (einerseits rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts in § 2 AsylbLG, andererseits Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse in § 25 Abs. 5 AufenthG) keine zwingenden Rückschlüsse auf die hiesige Rechtsfrage gezogen werden. Zudem erkennt auch das Bundesverwaltungsgericht an, dass die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung weder rechtlich erzwungen noch gegen den Willen des Ausländers durchgesetzt werden kann (BVerwG a.a.O. Rn. 17).
Ein anderes als rechtsmissbräuchlich einzustufendes Verhalten im Zeitraum vor 2012 wird von der Beklagten nicht vorgebracht und ist auch nicht ersichtlich.
bb) Der Kläger hatte im Juli 2012 auch schon länger als 48 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG, hier: ausweislich der Feststellungen in der Ordnungsamtsakte des Beklagten, die sich der Senat zu eigen macht, sogar bereits seit mindestens August 2008 nach § 2 AsylbLG, zuvor nach § 3 AsylbLG bezogen.
cc) Dem Leistungsanspruch steht entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ein Tatbestand der Leistungsabsenkung nach § 1a AsylbLG entgegen.
Unabhängig von der Frage, inwieweit bei Erfüllung des Tatbestandes von § 2 AsylbLG noch eine Leistungsabsenkung nach § 1a AsylbLG erfolgen kann oder umgekehrt die Erfüllung eines Tatbestandes § 1a AsylbLG die Anwendung des § 2 AsylbLG sperrt (zum Meinungsstand ausf. Oppermann/Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 2 AsylbLG Rn. 16, 152 (Stand: 26. April 2020); SG Landshut, Beschluss vom 28. Februar 2018 - S 11 AY 66/18 ER - juris Rn. 107), liegen die Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. nicht vor.
Hiernach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.
Der Nichtvollzug aus von ihnen zu vertretenden Gründen setzt eine konkrete Monokausalität voraus. Liegen mehrere Ursachen für die Unmöglichkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor, so dürfen den Leistungsberechtigten lediglich die Gründe zugerechnet werden, die sie nur selbst zu vertreten haben. Ursachen, die im Verantwortungsbereich der Ausländerbehörden, des Heimatlandes oder im politischen Raum anzusiedeln sind und die die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung ebenfalls kausal beeinflussen, scheiden für eine Anspruchseinschränkung aus. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die vom Leistungsberechtigten gesetzte Ursache die einzige und diejenige sein muss, die die Anspruchseinschränkung rechtfertigt (Oppermann, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a AsylbLG Rn. 86; vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Februar 2019 – B 7 AY 1/17 R –, juris Rn. 26). Aus dem eigenen Verantwortungsbereich sind auch Ursachen ausgeklammert, die aus anderen Gründen nicht vorwerfbar sind. Dies gilt aus den oben ausgeführten Gründen insbesondere für die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R –, BSGE 114, 302-310, SozR 4-3520 § 1a Nr. 1 zit. nach juris, Rn. 26).
Da letztlich eine Passbeschaffung nach dem o.g. Kenntnisstand daran scheitern würde, dass der Kläger die Freiwilligkeitserklärung nicht abgibt, und dies ihm nicht vorgeworfen werden kann, fehlt es an der konkreten Monokausalität der Verweigerung der Mitwirkung.
dd) Nach alledem bleibt die Leistungsbewilligung für Juli 2012 hinter dem Anspruch des Klägers auf Leistungen nach § 2 AsylbLG um den ausgeurteilten Betrag zurück. Tatsächlich bewilligt wurden für Juli 2012 744,97 EUR die Leistungshöhe nach § 2 AsybLG belief sich seinerzeit auf 894 EUR (Regelbedarf 374 EUR, Kosten der Unterkunft 520 EUR).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Beklagte durch die verfahrensfehlerhafte Entscheidung im Widerspruchsverfahren einen Anlass für die erstinstanzlich und klägerseits fehlerhafte Würdigung des Streitgegenstands gesetzt hat.
Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2012 verurteilt, dem Kläger weitere Leistungen i.H.v. 149,03 EUR für den Zeitraum vom 1. Juli 2012 bis 31. Juli 2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der Kläger ist iranischer Staatsbürger und lebt seit 1978 in der Bundesrepublik Deutschland und stellte im Januar 1979 einen Asylantrag; im streitgegenständlichen Zeitraum war er Inhaber einer Duldung.
Er ist der Vater von zwei aus Beziehungen mit deutschen Staatsangehörigen hervorgegangen, 1982 und 1989 geborenen Söhnen. Bis 1994 war er aufgrund einer zwischenzeitlich geschiedenen Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis. Mit Verfügung vom 18. Juli 1994 lehnte der Oberbürgermeister der Beklagten den Antrag auf Verlängerung ab. Wiederholt stellte er daraufhin erfolglos Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, u.a. unter Berufung auf § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Auch Petitionen an den Hessischen Landtag blieben erfolglos.
Er bezog dann Leistungen nach dem AsylbLG, jedenfalls ab August 2008 auf der Grundlage von § 2 AsylbLG. Dem Kläger waren zuletzt Leistungen analog dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) i.H.v. 894 EUR monatlich (374 EUR Regelbedarf, 520 EUR Kosten der Unterkunft) gewährt worden (Bescheid vom 21. Juni 2012, Bl. 535 der Verwaltungsakten des Jugend- und Sozialamtes).
Mit E-Mail vom 13. Februar 2008 informierte das Regierungspräsidium Darmstadt u.a. die Beklagte darüber, dass nach Einschätzung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Teheran Iraner für die Ausstellung eines Passes keine Freiwilligkeitserklärung abgeben müssten (Bl. 1627 der Ordnungsamtsakte).
Mit Schreiben der Ausländerbehörde (Ordnungsamt) der Beklagten vom 20. Juni 2008 an den Bevollmächtigten des Klägers forderte die Beklagte den Kläger auf, sich einen Reisepass zu beschaffen um seiner Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nachzukommen (Bl. 1532 der Ordnungsamtsakte). Mit Verfügung vom 18. August 2008 (Bl. 1585 der Ordnungsamtsakte) wurde er zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung in Gestalt der Vorlage einer Originalbescheinigung des Personenstandswesens der Region C. aufgefordert.
In den Verwaltungsakten der Ordnungsbehörde (Ausländerbehörde) der Beklagten findet sich eine 2008 zu den Akten gelangte Bescheinigung des Zentralamtes für Personenstandswesen der iranischen Region C. bezüglich des Klägers und eine Kopie des abgelaufenen Reisepasses (unblattierte Kopien in Band 4). 2010 und 2011 beantragte der Kläger wiederholt und erfolglos, verbunden mit dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die Ausstellung eines Reiseausweises. Am 22. Juli 2012 beantragte der Kläger einen Fremdenpass. Anlässlich dieses Antrages erklärte er: "Ich wäre auch jederzeit gerne bereit die Ausstellung eines iranischen Reisepasses zu beantragen, wenn unter schriftlicher Gewährleistung mir zugesichert wird, dass die Ausstellung eines iranischen Reisepasses nicht zur Abschiebung missbraucht wird" (Bl. 1848 der Ausländerakte, Band 4). Der Kläger wurde wiederholt wegen Verstoßes gegen § 95 AufenthG verurteilt.
Am 17. Juni 2011 und am 19. September 2011 wurde er nochmals über seine Mitwirkungspflichten belehrt und allgemein zur Passbeschaffung aufgefordert (Bl. 1779, 1820 der Ordnungsamtsakte). Auf den Vermerken findet sich die Anmerkung "Unterschrift verweigert".
Unter dem Datum vom 10. September 2012 (Bl. 1851 der Ordnungsamtsakte) findet sich in der Akte des Ordnungsamts folgender E-Mal-Vermerk: "Laut telefonischer Mitteilung des iranischen Konsulats vom 22.06.2010 kann Herr A. bei Vorlage seiner Geburtsurkunde, die er im Original besitzt, und einer Flugbestätigung definitiv ein Heimreisedokument erhalten."
Mit Schreiben vom 21. Juni 2012 teilte das Ordnungsamt der Beklagten dem Jugend- und Sozialamt mit, dass der Kläger keinerlei Anstrengungen unternehme, um seine bestehende Passlosigkeit zu ändern. Die Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht scheitere daran, dass er seine Unterschrift, welche zur Passausstellung erforderlich sei, im Konsulat verweigere. Er sei einzig wegen seiner selbstverschuldeten Passlosigkeit geduldet (Bl. 539 Verwaltungsakte).
Der Kläger war im Juli 2012 einkommens- und vermögenslos. Hinsichtlich der weiteren Feststellungen der Beklagten zu Einkommen und Vermögen wird insbesondere auf das Vorspracheprotokoll vom 28. Juni 2012 (Bl. 545 der Verwaltungsakte) sowie den gesamten Inhalt von Band III der Verwaltungsakten der Beklagten (Jugend- und Sozialamt) Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2012 gewährte der Beklagte dem Kläger ab 1. Juli 2012 neben den Kosten der Unterkunft nur noch den Asylgrundbetrag und den Asylbarbetrag in Höhe von 184,07 EUR zuzüglich 40,90 EUR, insgesamt 744,97 EUR (Bl. 541 Verwaltungsakte).
Der Kläger legte mit Schreiben vom 22. Juli 2012 Widerspruch ein (Bl. 555 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 13. August 2012 bewilligte der Beklagte Leistungen für August 2012 i.H.v. 744,97 EUR, mit Änderungsbescheid und Bescheid vom 30. August 2012 (in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012) Leistungen für August und September 2012 i.H.v. 866 EUR, mit Änderungsbescheid vom 4. Oktober 2012 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. Oktober 2012 Leistungen ebenfalls i.H.v. 866 EUR monatlich, ebenso mit wiederholendem Änderungsbescheid vom 29. Oktober 2012 für November 2012. Mit Änderungsbescheid vom 29. November 2012 bewilligte die Beklagte für Dezember 2012 lediglich Grundleistungen und den Barbetrag i.H.v. 346 EUR.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2012 "gegen den Bescheid des Jugend- und Sozialamtes ( ) vom 27.06.2012" zurückgewiesen (Bl. 581 Verwaltungsakte). Nur der Zugang dieses Widerspruchsbescheides ergibt sich aus den Akten, nachdem die Beklagte bereits zuvor unter anderen Daten gleichlautende Widerspruchsbescheide verschickt hatte. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Umsetzung der Rückkehrpflicht scheitere am fehlenden Pass. Da der Widerspruchsführer eine Geburtsurkunde besitze und damit seine Identität feststehe, werde er auf entsprechenden Antrag bei seinem Konsulat einen Pass ausgestellt erhalten. Dies habe das Konsulat telefonisch bestätigt. Es bestünden keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Auskunft. Die Passausstellung setze zwingend die Antragstellung und die Vorsprache des Widerspruchsführers beim Konsulat voraus. Da er sich weigere, erfülle er den Tatbestand des § 1a AsylbLG, weil bei ihm aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Ohne einen Pass könne er nicht in sein Heimatland zurückkehren. Die Ausländerbehörde habe auch deutlich gemacht, dass sie die Ausreisepflicht durchsetzen wolle. Im Übrigen gebe es keine Gründe, die gegen eine Ausreisepflicht sprechen. Es sei nicht zutreffend, dass man sich von den Leistungen nicht ausreichend ernähren könne. Der Widerspruch sei daher zurückzuweisen.
Der Kläger hat am 14. Januar 2013 Klage beim Sozialgericht Frankfurt erhoben.
Der Kläger hat vorgetragen, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Er habe einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen analog der Sozialhilfe. Er könne sich seinen Pass nicht beschaffen. Es sei sehr schwierig, einen iranischen Pass zu beschaffen (Bl. 42 d.A.). Zudem würde dieser zu seiner Ausweisung verwendet werden (Bl. 41 d.A.).
Der Beklagte ist der Ansicht gewesen, es bestünde kein Anspruch auf Gewährung der begehrten Leistungen. Der Vortrag des Klägers zu seiner Passlosigkeit sei unschlüssig und nicht glaubhaft.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2017 abgewiesen. Das Begehren des Klägers werde nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in dem Sinne ausgelegt, dass er ab Juli 2012 die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG analog dem SGB XII begehre. Die in diesem Sinne ausgelegte Klage sei zulässig aber unbegründet. Der Bescheid vom 27. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 12. Dezember 2012 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Sozialgericht hat sich nach § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung des Verwaltungsaktes und des Widerspruchsbescheides bezogen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 17. August 2017 zugestellt worden.
Die hiergegen gerichtete Berufung ist am Montag, den 18. September 2017 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen.
Der Kläger trägt vor, er habe alles für ihn Mögliche getan, um seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen, insbesondere an der Passbeschaffung mitzuwirken. Er habe Herrn Dr. D. D. als Verfahrensbevollmächtigten beauftragt, alles Erforderliche zu unternehmen, um einen iranischen Reisepass zu erlangen. Die Ausstellung eines iranischen Reisepasses stelle sich durch das iranische Generalkonsulat in Frankfurt am Main jedoch als sehr schwer, gar unmöglich heraus, denn für die Ausstellung eines iranischen Personalausweises bzw. Reisepasses müsse eine andere amtliche Urkunde vorliegen. In Ermangelung dessen müssten drei Zeugen unter Eid unzweifelhaft Erkenntnisse über die Identität des Klägers bestätigen und bekunden, dass sie den Kläger aus dem Iran kennen würden. Selbst dann sei es schwer, einen Reisepass ausgestellt zu erhalten, da die Unterlagen und Zeugenaussagen von iranischen Behörden geprüft und abgesegnet werden müssten. Dies sei ein langwieriger Prozess, der nicht vom Kläger beeinflusst werden könne und nicht in seinem Verantwortungsbereich liege. Er habe 12 Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Das Erfordernis der Beibringung von Zeugen zur Begründung seiner Identität sei bereits deshalb unmöglich, weil der Kläger sich seit 1978 in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 30. Oktober 2008 bestätigt, dass der Kläger zur Beschaffung seiner Geburtsurkunde bei der Passbeschaffung mitgewirkt habe. Herrn Dr. D. D. habe die Ausstellung eines zweiten iranischen Personalausweises für den Kläger erwirkt. Dieser Personalausweis sei der Beklagten vorgelegt worden.
Die Behauptung einer angeblichen telefonischen Auskunft durch das iranische Konsulat darüber, dass der Kläger lediglich einen entsprechenden Antrag stellen müsse, sei nicht bewiesen. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer durch den Kläger im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG liege nicht vor. Die Beweislast für Rechtsmissbrauch liege bei der Beklagten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R). Die Entscheidung des Sozialgerichts sei verfahrensfehlerhaft ergangen; angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hätte nicht durch Gerichtsbescheid entschieden werden können. Das Absehen von Gründen verletze den Kläger in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG)
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. August 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm rückwirkend ab 1. Juli 2012 Leistungen nach dem AsylbLG analog dem SGB XII zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, die Berufung sei unzulässig, da sich die Klage allein gegen den Leistungsbescheid vom 27. Juni 2012 für den Monat Juli 2012 richte. Weder werde die Wertgrenze von 750 EUR erreicht noch würden Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten begehrt.
Die Berufung sei auch unbegründet. Die Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG in der bis zum 28. Februar 2015 geltenden Fassung lägen vor. Der Kläger habe seine Passlosigkeit selbst zu verantworten. Er sei mehrfach wegen Verstoßes gegen § 95 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verurteilt worden. Teil des strafrechtlichen Vorwurfes sei, dass selbstverschuldete Passlosigkeit vorliegen. Die Verweigerungshaltung werde aus den Einlassungen des Klägers gegenüber der Ausländerbehörde ersichtlich. Mit Schreiben vom 22. Juli 2012 habe der Kläger die Ausstellung eines Fremdenpasses beantragt. In diesem Schreiben heiße es, er sei jederzeit gerne bereit, die Ausstellung eines iranischen Reisepasses zu beantragen, wenn unter schriftlicher Gewährleistung zugesichert werde, dass die Ausstellung eines iranischen Passes nicht zur Abschiebung missbraucht werde.
Dem Kläger ist mit Beschluss vom 4. September 2019 Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug bewilligt worden. Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Verfügung vom selben Tage auf die Zulässigkeit der Berufung hingewiesen, da der Kläger formal dadurch beschwert sei, dass das Sozialgericht nach den Entscheidungsgründen die Rechtskraftwirkung seines Urteils auf dem Zeitraum ab Juli 2012 bis zum Datum des Gerichtsbescheides erstrecke.
Mit Berichterstatterverfügung vom 16. Juli 2020 sind die Beteiligten auf die vom Senat herangezogenen behördlichen Auskünfte und sonstigen Erkenntnisse zur Reisepassbeschaffung bezüglich der Islamischen Republik Iran hingewiesen worden.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2020, den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Ordnungsamtsakte (1 Hefter) und der Jugend- und Sozialamtsakten (4 Bände) verweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere am Maßstab von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft. Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Dabei ist der Beschwerdegegenstand das, was das angefochtene Urteil des Sozialgerichts in seiner Hauptsachentscheidung dem Kläger und Berufungskläger versagt hat und er nun mit der Berufung weiterverfolgen möchte. Es genügt insoweit grundsätzlich die sich aus dem Vergleich seines Antrags mit dem Urteilstenor ergebende formelle Beschwer (BSG, Urteil vom 29. September 1999 – B 6 KA 30/98 R –, SozR 3-1500 § 54 Nr. 4 m. w. N.; Schreiber, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 143 Rn. 10). Bei Zweifeln an der Reichweite des Antrages ist die Auslegung des Antrages durch das Sozialgericht maßgeblich, denn eine formelle Beschwer kann sich auch aus der Abweisung eines durch das Sozialgericht überdehnt ausgelegten Antrages ergeben (Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 143 Rn. 16). Das Sozialgericht hat nach seinen eindeutigen Ausführungen in den Entscheidungsgründen den erstinstanzlichen Antrag dahingehend ausgelegt, dass der Kläger Leistungen nach § 2 AsylbLG zukunftsoffen ab Juli 2012 begehrt. Der erstinstanzliche Antrag war insoweit auch auslegungsbedürftig. Der Kläger ist formell dadurch beschwert, dass das Sozialgericht die Rechtskraftwirkungen seines Urteils ausweislich der insoweit tragenden Entscheidungsgründe auf den Zeitraum ab Juli 2012 bis zum Datum des Gerichtsbescheides erstrecken möchte. Kommt es allein auf die so ermittelte formelle Beschwer an, so kann die Beklagte im Rahmen der Statthaftigkeit nicht damit gehört werden, dass der streitgegenständliche Bescheid allein Leistungen für Juli 2012 regelt.
Die Berufung ist aber nur teilweise begründet.
I. Die Klage ist nur teilweise zulässig.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und des Klägers ist die Klage nur bezüglich des Streitgegenstandes, in Abänderung des Bescheides vom 27. Juni 2012 744,97 EUR übersteigende Leistungen in Höhe des § 2 AsylbLG für den Monat Juli 2012 zu erhalten, gegenwärtig einer Sachentscheidung zugänglich. Im Übrigen fehlt es an der abschließenden Nachprüfung der Bescheide für dem Folgezeitraum vom 13. August 2012, 30. August 2012, 4. Oktober 2012, 29. Oktober 2012 und 29. November 2012 im Vorverfahren (§ 78 SGG). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8 AY 11/07 R –, juris, Rn. 10; vgl. auch BSG, Urteil vom 14. April 2011 – B 8 SO 12/09 R –, SozR 4-3500 § 82 Nr. 7; zuletzt BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016 – B 8 SO 14/15 R –, juris Rn. 11), der der Senat folgt (Beschluss vom 2. Juni 2020 – L 4 AY 7/20 B ER -, juris Rn. 13), werden nach § 86 SGG analog im Falle der monatsweisen Bewilligung die Bescheide für die Folgemonate Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens. Die Beklagte hat indes im Widerspruchsbescheid allein eine Entscheidung bezüglich des Bescheides vom 27. Juni 2012 getroffen. Angesichts der eindeutigen Formulierung im Widerspruchsbescheid ist die Auslegung einer konkludenten Mitentscheidung über die Bescheide für dem Folgezeitraum vom 13. ugust 2012, 30. August 2012, 4. Oktober 2012, 29. Oktober 2012 und 29. November 2012 ausgeschlossen.
II. Die Klage ist im zulässigen Umfang begründet.
1. Der Kläger hat Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.
a) Nach der bis 28. Februar 2015 geltenden Fassung dieser Vorschrift ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
aa) Der Kläger hat die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Der Begriff des Rechtsmissbrauchs enthält eine objektive - den Missbrauchstatbestand - und eine subjektive Komponente - das Verschulden - (zum Folgenden ausf: BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 32 ff.). Diesem Tatbestandsmerkmal des § 2 AsylbLG liegt der Gedanke zu Grunde, dass niemand sich auf eine Rechtsposition berufen darf, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat.
In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 33). Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), führt zum Ausschluss von Analog-Leistungen. Die Gesetzesbegründung führt insoweit beispielhaft die Vernichtung des Passes (BT-Drucks 15/420, S 121) als typische Fallgestaltungen eines Rechtsmissbrauchs an, es sei denn, sie wären ihrerseits eine Reaktion auf oder eine vorbeugende Maßnahme gegen objektiv zu erwartendes Fehlverhalten des Staates. Nicht hinreichend ist die bloße Ausnutzung einer Verfahrensposition durch Nichtausreise. So liegt nicht in dem Nichtausreisen des Ausländers trotz (formaler) Ausreisepflicht (Duldung) ein Rechtsmissbrauch, sondern unter Umständen in den Gründen, die hierzu geführt haben. Der Aufenthaltsstatus (Duldung) ist für die Beantwortung der Frage, ob der Ausländer seinen Aufenthalt rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, unerheblich. Hat der Ausländer diese Gründe zu vertreten, hat er also insoweit selbst Einfluss auf das Geschehen genommen, kann nur deshalb, nicht aber wegen bestehender Ausreisepflicht, ein Rechtsmissbrauch bejaht werden.
Gemessen an diesem Maßstab kann dem Kläger ein solches von der Rechtsordnung missbilligtes, sozialwidriges Verhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Der Kläger wurde zwar wiederholt zur Passbeschaffung und zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten aus § 48 AufenthG aufgefordert. Dem ist er nicht nachgekommen und hat zudem am 22. Juli 2012 unwidersprochen erklärt: "Ich wäre auch jederzeit gerne bereit die Ausstellung eines iranischen Reisepasses zu beantragen, wenn unter schriftlicher Gewährleistung mir zugesichert wird, dass die Ausstellung eines iranischen Reisepasses nicht zur Abschiebung missbraucht wird". Auch daraus geht hervor, dass er willentlich und bewusst keinen Reisepass beantragt, um eine Abschiebung unmöglich zu machen.
Jedoch fehlt es aufgrund der tatsächlich bestehenden Anforderungen an die Passbeschaffung an der Sozialwidrigkeit der Verweigerung der Mitwirkung.
Der Senat geht hinsichtlich der Passbeschaffungsmöglichkeit und der Rückkehrsituation im Jahr 2012 und zuvor von folgenden Erkenntnissen aus, die er sich zu Eigen macht:
Das Auswärtige Amt führte in seinen Lageberichten vom 27. Februar 2011, GZ: 508-516.80/3 IRN, S. 43 und vom 8. Oktober 2012, Gz.: 508-516.80/3 IRN, S. 38 f. (zitiert nach asylis) Folgendes aus: "Deutsche Reiseausweise oder EU-Heimreisepapiere werden von den Grenzbehörden nicht anerkannt. Die iranischen Behörden bestehen darauf, dass ein Heimreisedokument von der zuständigen iranischen Auslandsvertretung ausgestellt wird. Diese wiederum haben Anweisung, jedem Iraner, der bei ihnen vorspricht und freiwillig die Ausstellung eines Reisepasses beantragt, einen solchen auszustellen. Dies gilt auch für Personen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt haben. Die iranischen Auslandsvertretungen in Deutschland stellen Heimreisedokumente grundsätzlich nur dann aus, wenn die betreffende Person persönlich vorgesprochen und dabei zu erkennen gegeben hat, dass sie freiwillig nach Iran zurückkehrt. Außerdem wird der zweifelsfreie Nachweis der iranischen Staatsangehörigkeit verlangt."
Für den vorherigen Zeitraum ging das Bundesministerium des Innern davon aus, dass das Erfordernis einer Freiwilligkeitserklärung mit Vorgaben aus iranischem innerstaatlichen Recht übereinstimmen solle, wonach kein iranischer Staatsangehöriger gezwungen werden könne, in den Iran zurückzukehren. Den dem Bundesministerium des Innern vorliegenden Erkenntnissen zufolge könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Iran in absehbarer Zeit von der bisherigen Praxis abweichen werde. Die Freiwilligkeitserklärung, die von iranischen Staatsangehörigen erwartet werde, erfolge bereits durch die eigenhändige Unterschrift des Betroffenen auf dem Antragsformular für die Passersatzausstellung (Gutachten des Bundesministeriums des Innern vom 28. November 2001 an VG Köln (Anfrage vom 4. Oktober 2001 zu 16 K 4056/99.A – asylis).
Nach Erkenntnissen des Oberverwaltungsgerichts Münster zu einem Sachverhalt aus dem Jahr 2005 enthielt das von den Konsulaten der Islamischen Republik Iran verwendete Antragsformular folgende Erklärung: "Hiermit erkläre ich, dass ich freiwillig in die Islamische Republik Iran zurückkehren möchte" (OVG Münster, Urteil vom 18. Juni 2008 17 A 2250/07 –, juris Rn. 66).
Verzichtbar war eine Freiwilligkeitserklärung im maßgeblichen Zeitraum nur bei Nachweis eines rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und der Vorlage weiterer Unterlagen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 – L 4 AY 16/13 B ER , juris Rn. 8). Vorliegend hielt sich der Kläger aber schon seit langem unrechtmäßig und lediglich geduldet in der Bundesrepublik auf.
Dieser Erkenntnisstand für den Zeitraum um und vor 2012 wird bestätigt durch eine Reihe sozial- und verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 – L 4 AY 16/13 B ER -, juris Rn. 8). So geht das Sächsisches Landessozialgericht (Beschluss vom 30. Juni 2011 – L 7 AY 8/10 B ER –, juris) bezüglich eines Sachverhalts aus dem Jahr 2010 von der Erforderlichkeit einer Freiwilligkeitserklärung bei der Passbeschaffung über ein iranisches Konsulat oder eine iranische Botschaft aus, ebenso das Thüringische Landessozialgericht für 2014 (Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 09. Oktober 2014 – L 8 AY 474/14 B ER –, juris), das Sozialgericht Hildesheim für 2016/2017 (SG Hildesheim, Beschluss vom 6. Januar 2017 S 42 AY 56/16 ER –, juris), das Verwaltungsgericht Bayreuth für 2018 (VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 11. Dezember 2018 – B 6 K 18.696 –, juris).
Die der Beklagten vorliegenden E-Mail-Auskünfte und Telefonvermerke, denen es im Übrigen auch an Substanz mangelt, sind damit hinsichtlich des fehlenden Erfordernisses einer Freiwilligkeitserklärung widerlegt, soweit sie überhaupt den hier relevanten Zeitraum betreffen.
Nach alledem ist zur Passbeschaffung bzw. Passersatzbeschaffung zur Überzeugung des Senats bei einem rechtswidrigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber einem iranischen Konsulat nicht nur die schlichte Mitwirkung in Gestalt der Vorlage von Urkunden zur Identitätsfeststellung und Abgabe eines entsprechenden Antrages bei einem iranischen Konsulat hinreichend. Vielmehr bedarf es auch der Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung bezüglich der Rückkehr in den Iran.
Deren Verweigerung kann nicht als gesteigert sozialwidrig und damit nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden (vgl. zum Folgenden am Maßstab von § 1a AsylbLG BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R –, BSGE 114, 302-310, SozR 4-3520 § 1a Nr. 1 zit. nach juris, Rn. 26 ff.; Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 L 4 AY 16/13 B ER –, juris). Versteht man die Aufforderungen durch die Ordnungsbehörde und zuletzt durch das Sozialamt der Beklagten an den Kläger lebensnah so, dass der Kläger alles seinerseits Erforderliche tun solle, um vom iranischen Konsulat einen Reisepass oder ein zur Einreise in den Iran berechtigendes Dokument ausgestellt zu erhalten, so wird vom Kläger ein Verhalten verlangt, das die Intimsphäre als unantastbaren Kernbereich des Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG berührt (vgl. zur Unantastbarkeit eines Kernbereichs: BVerfGE 34, 238 (245); 54, 143 (146); 103, 21 (31)). Der Kläger erklärte zuletzt mit Schreiben vom 22. Juli 2012, dass er nur an der Passbeschaffung nur mitwirke, wenn ihm versichert werde, dass er nicht abgeschoben werde. Damit erklärte der Kläger zugleich, dass er nicht freiwillig ausreisen werde. Freiwilligkeit kann sowohl nach dem allgemeinen Wortverständnis als auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles (vgl. zum Folgenden BSG a.a.O., Rn. 27 f.) nur bedeuten, dass der Kläger erklären sollte, er reise aus freien Stücken in den Iran. Diese Erklärung kann indes von niemandem verlangt werden, der den entsprechenden Willen nicht besitzt; ansonsten wäre er zum Lügen gezwungen. Der Begriff der Freiwilligkeit entzieht sich weiteren Überlegungen. Gefordert war vom der Kläger eine Erklärung, etwas zu wollen, was er gerade nicht wollte. Ein gegenteiliger Wille kann von ihm auch nicht verlangt werden; der Wille als solcher ist staatlich nicht beeinflussbar. Eine andere Frage ist, ob von dem Betroffenen trotz eines entgegenstehenden Willens bestimmte Handlungen abverlangt werden können. Der Zwang, dies auch zu wollen, entspräche einem dem Grundgesetz fremden totalitären Staatsverständnis (BSG a.a.O., Rn. 28).
Dieser vom Bundessozialgericht zu § 1a AsylbLG entwickelten Überlegungen sind auf § 2 AsylbLG übertragbar (wie hier: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Januar 2020 – L 8 AY 22/19 B ER –, juris Rn. 23 f.; vgl. auch Krauß, in: Siefert, AsylbLG, 2018, § 2 Rn. 48).
Unerheblich ist, dass in den genannten Entscheidungen die geforderte Mitwirkungshandlung bereits auf die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung hin konkretisiert wurde, demgegenüber der Kläger im hiesigen Rechtsstreit zuletzt im Jahr 2011 nur noch allgemein zur Mitwirkung an der Passbeschaffung aufgefordert wurde. Aufgrund der vom Senat herangezogenen Auskünfte steht fest, dass die Abgabe einer entsprechenden Freiwilligkeitserklärung notwendige Bedingung der Passerteilung oder Ausstellung eines Passersatzpapiers durch ein iranisches Konsulat war. Es steht zudem fest, dass der Kläger gegenüber dem iranischen Konsulat die Abgabe einer Unterschrift verweigert hat. Offen bleiben kann, ob sich diese Verweigerung durch den Kläger explizit auf die Freiwilligkeitserklärung bezog. Sollte die Passerteilung an der Verweigerung einer anderen Unterschrift gescheitert sein, so ist dies ebenfalls nicht vorwerfbar. Wegen der Erforderlichkeit der Freiwilligkeitserklärung als conditio sine qua non kann es auch nicht sozialwidrig sein, eine andere, von vornherein nicht zum Ergebnis führende unspezifische Mitwirkungshandlung zu verweigern. Nach alledem ist die schlichte Weigerung der Mitwirkung an der Passbeschaffung dann nicht sozialwidrig, wenn die Passbeschaffung ohnehin an einer nicht erzwingbaren Mitwirkungshandlung, nämlich der Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung, scheitern würde, deren Verweigerung nicht als sozialwidrig anzusehen ist.
Soweit die Beklagte für die Rechtsmissbräuchlichkeit auf die strafrechtlichen Verurteilungen wegen Passlosigkeit verweist, ist darauf hinzuweisen, dass nach verbreiteter Ansicht an die verweigerte Abgabe der Freiwilligkeitserklärung keine strafrechtlichen Sanktionen geknüpft werden können, insbesondere nicht bezüglich § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 16. Januar 2007 – 2 St OLG Ss 242/06 –, juris; OLG München, Urteil vom 9. März 2010 – 4St RR 102/09 –, juris, beide bezüglich Angeklagter mit iranischer Staatsangehörigkeit). Aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Zumutbarkeit aufenthaltsrechtlicher Mitwirkungspflichten (BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 – 1 C 19.08 –, juris) können wegen der Unterschiede der betroffenen Normen (einerseits rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts in § 2 AsylbLG, andererseits Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse in § 25 Abs. 5 AufenthG) keine zwingenden Rückschlüsse auf die hiesige Rechtsfrage gezogen werden. Zudem erkennt auch das Bundesverwaltungsgericht an, dass die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung weder rechtlich erzwungen noch gegen den Willen des Ausländers durchgesetzt werden kann (BVerwG a.a.O. Rn. 17).
Ein anderes als rechtsmissbräuchlich einzustufendes Verhalten im Zeitraum vor 2012 wird von der Beklagten nicht vorgebracht und ist auch nicht ersichtlich.
bb) Der Kläger hatte im Juli 2012 auch schon länger als 48 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG, hier: ausweislich der Feststellungen in der Ordnungsamtsakte des Beklagten, die sich der Senat zu eigen macht, sogar bereits seit mindestens August 2008 nach § 2 AsylbLG, zuvor nach § 3 AsylbLG bezogen.
cc) Dem Leistungsanspruch steht entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ein Tatbestand der Leistungsabsenkung nach § 1a AsylbLG entgegen.
Unabhängig von der Frage, inwieweit bei Erfüllung des Tatbestandes von § 2 AsylbLG noch eine Leistungsabsenkung nach § 1a AsylbLG erfolgen kann oder umgekehrt die Erfüllung eines Tatbestandes § 1a AsylbLG die Anwendung des § 2 AsylbLG sperrt (zum Meinungsstand ausf. Oppermann/Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 2 AsylbLG Rn. 16, 152 (Stand: 26. April 2020); SG Landshut, Beschluss vom 28. Februar 2018 - S 11 AY 66/18 ER - juris Rn. 107), liegen die Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. nicht vor.
Hiernach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.
Der Nichtvollzug aus von ihnen zu vertretenden Gründen setzt eine konkrete Monokausalität voraus. Liegen mehrere Ursachen für die Unmöglichkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor, so dürfen den Leistungsberechtigten lediglich die Gründe zugerechnet werden, die sie nur selbst zu vertreten haben. Ursachen, die im Verantwortungsbereich der Ausländerbehörden, des Heimatlandes oder im politischen Raum anzusiedeln sind und die die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung ebenfalls kausal beeinflussen, scheiden für eine Anspruchseinschränkung aus. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die vom Leistungsberechtigten gesetzte Ursache die einzige und diejenige sein muss, die die Anspruchseinschränkung rechtfertigt (Oppermann, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a AsylbLG Rn. 86; vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Februar 2019 – B 7 AY 1/17 R –, juris Rn. 26). Aus dem eigenen Verantwortungsbereich sind auch Ursachen ausgeklammert, die aus anderen Gründen nicht vorwerfbar sind. Dies gilt aus den oben ausgeführten Gründen insbesondere für die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R –, BSGE 114, 302-310, SozR 4-3520 § 1a Nr. 1 zit. nach juris, Rn. 26).
Da letztlich eine Passbeschaffung nach dem o.g. Kenntnisstand daran scheitern würde, dass der Kläger die Freiwilligkeitserklärung nicht abgibt, und dies ihm nicht vorgeworfen werden kann, fehlt es an der konkreten Monokausalität der Verweigerung der Mitwirkung.
dd) Nach alledem bleibt die Leistungsbewilligung für Juli 2012 hinter dem Anspruch des Klägers auf Leistungen nach § 2 AsylbLG um den ausgeurteilten Betrag zurück. Tatsächlich bewilligt wurden für Juli 2012 744,97 EUR die Leistungshöhe nach § 2 AsybLG belief sich seinerzeit auf 894 EUR (Regelbedarf 374 EUR, Kosten der Unterkunft 520 EUR).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Beklagte durch die verfahrensfehlerhafte Entscheidung im Widerspruchsverfahren einen Anlass für die erstinstanzlich und klägerseits fehlerhafte Würdigung des Streitgegenstands gesetzt hat.
Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
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