L 4 KA 24/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 34/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 24/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. April 2018 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch über Honorarrückforderungen in Höhe von 19.890 Euro aufgrund von patientenbezogenen Plausibilitätsprüfungen der Honorarabrechnungen der vier Quartale I/13 bis IV/13.

Der 1953 geb. Kläger ist als praktischer Arzt seit 12. Oktober 1995 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt, A-Straße, zugelassen. Herr Dr. C., geb. 1942, ist als praktischer Arzt seit 27. Oktober 1981, seit 16. Januar 1995 als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz wie der Kläger zugelassen. Sie führten in den Quartalen IV/06 bis IV/07 eine Berufsausübungsgemeinschaft, ebenso wieder ab dem Quartal III/15.

Die Beklagte hatte zunächst für die Quartale I/08 bis IV/10 eine patientenbezogene Plausibilitätsprüfung durchgeführt. Mit Schreiben vom 17. Januar 2012 hatte sie eine Verfahrenseinstellung mit beratendem Hinweis vorgenommen. Darin führte sie aus, die Praxis des Klägers sei mit der Praxis des Dr. C., mit der er eine Praxisgemeinschaft bilde, gegenübergestellt worden. Nach den aufgeführten Berechnungsergebnissen habe der Anteil identischer Patienten im Quartal II/08 bei 18,7 %, in den übrigen Quartalen zwischen 44,07 % und 66,29 % gelegen. Das Abrechnungsverhalten erwecke den Verdacht, dass der Kläger mit Herrn Dr. C. in weiten Bereichen wie eine Berufsausübungsgemeinschaft zusammenarbeite. Dies zeige sich an der hohen Zahl von bis zu 750 gemeinsamen Patienten. Den hiergegen eingelegten Widerspruch hatte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2012 als unzulässig zurückgewiesen.

Die Beklagte hatte ferner mit Bescheid vom 28. August 2014 auf Grund einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnung für die Quartale I/11 bis IV/12 eine Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 25.365,22 EUR festgesetzt. Die Praxis des Klägers sei wiederum mit der Praxis des Dr. C., mit der er eine Praxisgemeinschaft bilde, gegenübergestellt worden. Es hätte sich bei dem Kläger ein Anteil gemeinsamer Patienten zwischen 59,43% und 66,70% ergeben. Den hiergegen erhobenen Widerspruch hatte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2015 als unbegründet zurückgewiesen.

In den Quartalen I/13 bis I/15 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers jeweils wie folgt fest:

Quartal I/13 II/13 III/13 IV/13
Honorar PK/EK/SKT in Euro 51.388,10 52.018,62 50.438,89 55.340,62
Fallzahl 1.065 1.001 1.013 1.130

Quartal I/14 II/14 III/14 IV/14
Honorar PK/EK/SKT in Euro 46.096,71 48.280,75 50.902,43 52.261,02
Fallzahl 991 908 1.035 906

Quartal I/15
Honorar PK/EK/SKT in Euro 53.409,96
Fallzahl 914

Die Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 8. Februar 2016 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale I/13 bis II/15 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung des Klägers zusammen mit der Honorarabrechnung der Praxis Dr. med. C. in A-Stadt, mit der der Kläger eine Praxisgemeinschaft gebildet habe, einer Plausibilitätsprüfung unterzogen und beide Abrechnungen gegenübergestellt. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt.

Der Kläger trug mit Schreiben vom 29. März 2016 (Bl. 13 VA) vor, bis zu diesem Plausibilitätsverfahren seien weder er noch Dr. C. jemals auffällig geworden. Er habe bereits anderenorts präzise beschrieben, dass die kleine Notdienstgemeinschaft nach einem Zerwürfnis, an dem er völlig unbeteiligt gewesen sei, von den Kollegen der anderen Praxen vor Ort ohne triftigen Grund aufgelöst worden sei. Dr. C. sei bereits vom regelmäßigen KV-Notdienst befreit gewesen. Dies habe zur Folge gehabt, dass er bis auf ca. 68 Tage im Jahr rund um die Uhr Dienst gehabt hätte, ganz zu schweigen vom Dienstplan über Weihnachten usw. über 5-7 Tage. Seine Intervention bei der Beklagten um eine Notdienstregelung sei ergebnislos geblieben. Sein Kollege habe in dieser kritischen Zeit einen manifesten Myokardinfarkt erlitten. In dieser Zeit habe er ihn durchgehend vertreten müssen.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 12. Juli 2016 (Bl. 71 VA) die Honorarrückforderungen für die Quartale I/13 bis I/15 in Höhe von 70.072,16 Euro fest. Im Einzelnen entfielen auf die streitbefangenen Quartale folgende Honorarrückforderungen:

Quartal Honorarrückforderung in Euro (brutto)
I/13 8.878,00
II/13 6.963,98
III/13 8.215,35
IV/13 9.598,12
I/14 7.773,20
II/14 6.965,27
III/14 8.901,58
IV/14 6.172,95
I/15 6.603,72
Zur Begründung führte sie aus, die Abrechnungen von Ärzten, welche untereinander in einer Praxisgemeinschaft verbunden seien, könnten unplausibel sein, wenn bestimmte Grenzwerte des Anteils identischer Patienten überschritten worden seien. Die Anzahl der doppelt abgerechneten Patienten sei ins Verhältnis zur praxiseigenen Patientenzahl zu setzen. Eine Abrechnungsauffälligkeit sei bei 20% Patientenidentität - auf die abrechnenden Praxen bezogen - bei versorgungsbereichsidentischen Praxen zu vermuten. Die Berechnungsergebnisse hätten für die Praxis des Klägers folgende Werte ergeben:
Quartal Fallzahl Gemeinsame Patienten Anteil in %
I/13 1065 658 61,78
II/13 1001 479 47,85
III/13 1013 589 58,14
IV/13 1130 700 61,95
I/14 991 573 57,82
II/14 908 466 51,32
III/14 1035 647 62,51
IV/14 906 375 41,39
I/15 914 404 44,20
Die Partner der Praxisgemeinschaft hätten auf die Prüfungen in den Vorquartalen nur dahingehend reagiert, dass in allen Vertretungsfällen der zu vertretende Arzt tatsächlich nicht gearbeitet habe und auch nicht in der Praxis gewesen sei. Die Zahl der gemeinsamen Fälle habe sich jedoch nicht verringert und sei derzeit bei bis zu 700 Fällen gemeinsamer Patienten angekommen, dieser Trend könne auch nicht durch die eingereichte Stellungnahme erklärt werden. Es würden im Quartal zwar über 100 Notfallpauschalen abgerechnet werden, dies erkläre aber sicher nicht eine erhöhte Präsenz im Bereitschaftsdienst gegenüber vergleichbaren Praxen. Ab dem Quartal I/14 werde diese Leistung nicht mehr abgerechnet, da ab diesem Zeitpunkt eine Umorganisation im ÄBD-Dienst stattgefunden habe. Auch das Argument einer erhöhten Versorgung eigener Patienten im Notdienst sei so nicht nachvollziehbar, da beispielsweise nur wenige Besuche zur Unzeit abgerechnet würden. Durch die erhöhte Abrechnungsfrequenz der Ziffer 01430 (Verwaltungskomplex) werde der Eindruck erweckt, dass hier zusätzliche Scheine generiert würden, ohne dass hierfür eine regelhafte Notwendigkeit zu erkennen sei. Dies führe zu dem Ergebnis, dass für über 700 Patienten eine Behandlungsnotwendigkeit durch zwei Hausärzte suggeriert werde. Die Karteneinlesung erfolge überwiegend am gleichen Tag, was auf einen Gestaltungsmissbrauch mit dem Ziel der ungerechtfertigten Fallzahlvermehrung schließen lasse. Die Diagnosen seien in ca. 80 % der Fälle abweichend. Es handele sich ausschließlich um Urlaubs- und Krankheitsvertretungen mit der Scheinart 42; Überweisungen zum Zweck von besonderen Untersuchungen hätten nicht stattgefunden. Ungewöhnlich sei, dass in vielen Vertretungsfällen der zu vertretende Arzt keinen zusammenhängenden Urlaub gehabt habe, sondern, wie vom Kläger dargelegt, lediglich nur einen Tag nicht in der Praxis gewesen sei. Auch dies deute auf einen Gestaltungsmissbrauch mit dem Ziel der ungerechtfertigten Fallzahlzahlvermehrung bei den Vertretungen hin. Zur Untermauerung dieser Ausführungen führte die Beklagte verschiedene Behandlungsfälle an, in denen Dr. C. den Kläger bzw. der Kläger Herrn Dr. C. vertrat, obwohl der andere Arzt jeweils nur tageweise abwesend gewesen sei. Nicht nachvollziehbar sei auch die in den Prüfquartalen festzustellende, nicht unerhebliche Steigerung der Zahl von gemeinsamen Patienten. Die Stellungnahme des Klägers erkläre diesen Zuwachs nicht. Von indizieller Bedeutung sei weiterhin die ungewöhnlich hohe Anzahl von Vertreterfällen in der Praxis des Klägers, die nicht in allen Fällen plausibel habe erklärt werden können. Ein Teil der Vertreterscheine entfalle auf eine nur stundenweise Abwesenheit des Praxisgemeinschaftspartners. In diesen Fällen seien von ihm Leistungen abgerechnet worden, die einen unmittelbaren und persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt voraussetzten, sodass von einer Besetzung der Praxis an diesen Behandlungstagen auszugehen sei. Die ärztliche Kooperation sei über den üblichen Betrieb einer Praxisgemeinschaft als reine Organisationsgemeinschaft zur Kostenminimierung hinausgegangen. Dies habe zu einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen und damit verbunden zu einer erheblichen Steigerung des Honorars geführt, ohne dass dies in diesem Zusammenhang durch die Morbidität der Klientel oder strukturelle Besonderheiten begründet werden könne. Wenn die Patienten einer Praxisgemeinschaft regelmäßig von mehreren Ärzten betreut würden, so führe dies zu einer unzulässigen Fallzahlvermehrung und stelle letztlich einen Missbrauch der Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft dar. Der prozentuale Anteil an Vertretungsfällen liege hessenweit bei unter 10 %. Im hausärztlichen Bereich sei hessenweit von einem Anteil an Vertretungsfällen von 5 % bis 10 % auszugehen. Er habe 20 % der gemeinsamen Patienten aufgrund einiger als plausibel bewerteter Vertretungen anerkannt. Darüber hinaus habe er im Rahmen einer individuellen Ermessensentscheidung einen weiteren Abschlag in Höhe von 30 % zu Gunsten des Klägers berücksichtigt. Die Korrekturhöhe pro Behandlungsfall errechne sich dabei aus dem quotierten Nettofalldurchschnitt aus allen Behandlungsfällen der Praxis multipliziert mit der Gesamtzahl der implausiblen Behandlungsfälle.

Hiergegen legte der Kläger am 11. August 2016 Widerspruch (Bl. 72 VA) ein. Er wies darauf hin, dass sein Kollege und er einer extremen Arbeitsbelastung ausgesetzt gewesen seien. Auch sei ihnen die Unterschiede zwischen der Praxisgemeinschaft und der Berufsausübungsgemeinschaft als juristischen Laien nicht in dem erforderlichen Maße bewusst gewesen. Zur Gewährleistung der Versorgung sei auch der freie Tag eingeführt worden, da sein Kollege und er gesundheitlich angeschlagen gewesen seien. Es sei nicht um die Generierung von Vertretungsfällen gegangen. Untersuchungen hätten oftmals stattfinden müssen, um festzustellen, ob ein Notfall vorliege oder nicht. Die doppelte Einlesung der Versichertenkarten sei auf Grund der Belastungssituation aus Vereinfachungsgründen geschehen. Auch der Disziplinarausschuss sei in der Sitzung vom 22. Juli 2015 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verstöße gegen vertragsärztliche Regelungen im konkreten Fall nicht zwingend als grobfahrlässig anzusehen seien, also auf keinen Fall vorsätzlich.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2016 (Bl. 97 VA) den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf die Patientenidentitäten zwischen 41,39 % und 62,51 % in den streitgegenständigen Quartalen. Die bewusste Abstimmung der Behandlungszeiten der ärztlichen Kollegen sei typisch für eine BAG. Entstünden durch das begrenzte Sprechstundenangebot viele "Vertretungsfälle" bei Kollegen, dann stelle sich die Frage, ob das Sprechstundenangebot wirklich den Bedürfnissen nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung entspreche. Die Abwesenheit an einzelnen Tagen, auch aus Gesundheitsgründen, könne nicht dazu führen, dass fast die gesamte Praxis des Kollegen übernommen werde. Der Kläger habe beispielsweise am Freitag, den 18. Januar 2013, insgesamt 64 Patienten behandelt. Hiervon seien 35 Patienten als Vertretungsfälle für Herrn Dr. C. und damit mehr als eigene Patienten behandelt worden. Mehr als 30 Vertretungsfälle an einem freien Tag des Kollegen seien nicht selten (Quartal I/13: 4. Januar 2013 von 87 Patienten 38 Vertretungsfälle; Quartal I/14: 8. Januar 2014 von 84 Patienten 38 Vertretungsfälle; Quartal I/15: 21. Januar 2015 von 73 Patienten 31 Vertretungsfälle). Teilweise sei dort nur der Verwaltungskomplex nach Nr. 01430 EBM abgerechnet worden. Auch das alleinige Ausstellen von Rezepten sei dann als unzulässige Parallelbehandlung zu werten, wenn dies systematisch über mehrere Quartale erfolge und nicht auf einem dringlichen Medikamentenbedarf beruhe, sondern von dem Arzt abgerechnet werde, der zufällig gerade den Praxisbetrieb übernehme. Es bestehe die Pflicht des Hausarztes, einer unkoordinierten Inanspruchnahme anderer Ärzte entgegen zu wirken, indem er die Patienten darauf hinweise, dass sie innerhalb des Quartals an die Behandlung durch einen Hausarzt gebunden seien, es sei denn, es liege ein wichtiger Grund für den Wechsel vor. Wenn die gesamte Organisation darauf ausgerichtet sei, dass jeweils ein Arzt den anderen regelmäßig vertrete, dann werde die regelmäßige, gegenseitige Mitbehandlung der Patienten der anderen Praxis in Kauf genommen. Sie erhielten dann die Versichertenpauschale, aber ohne die entsprechenden hausärztlichen Aufgaben (Umfassende Betreuung, Koordination, Dokumentation) zu erfüllen. Die Zusammenarbeit wie in einer BAG lasse sich durch eine Weitergabe von Patientendaten bestätigen. Eine bewusste Doppeleinlesung zur Vereinfachung des Praxisablaufs sei ein wesentliches Indiz für die faktisch fehlende Trennung der Praxen und Organisation wie in einer BAG. So ließen sich unter den 658 identischen Patienten im Quartal I/13 nur 80 Behandlungsscheine, im Quartal I/14 48 Scheine und im Quartal I/15 44 Scheine nachweisen, in denen die Krankenversichertenkarte in beiden Praxen nicht am selben Tag eingelesen worden sei. Im Bescheid wurden verschiedene Fälle für die gemeinsame Karteneinlesung aufgeführt. Die Weitergabe der Krankenversichertenkarte sowie Einlesung und Speicherung der Daten in anderen, rechtlich eigenständigen Praxen verstoße gegen den Datenschutz, die ärztliche Schweigepflicht und gegen die Vorgaben der Bundesmantelverträge (§ 19 Abs. 5, § 35 BMV-Ä). Es sei auch nicht glaubhaft, dass in jedem Quartal zwischen 375 und 700 Patienten einen wichtigen Grund gehabt hätten, den Arzt zu wechseln oder Notfälle gewesen seien. Ferner erläuterte sie nochmals die Ausübung ihres Kürzungsermessens.

Hiergegen hat der Kläger am 11. Januar 2017 Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben.

Er hat zur Begründung nochmals auf die damalige Situation im Rahmen des Bereitschaftsdienstes hingewiesen und auf die damit einhergehende Dauerbelastung. Hinsichtlich des Vorwurfs der Doppeleinlesung von Versichertenkarten hat er vorgetragen, dies habe der allgemeinen Vereinfachung des Praxisablaufs in der beschriebenen Extremsituation gedient und um den ständigen Diskussionen mit den Patienten entgegenzuwirken. Ein Schaden für die Krankenkassen sei nicht entstanden, es sei vielmehr eine Optimierung der Versorgung kranker Menschen angestrebt worden. Mit dem Ansatz der Verwaltungspauschale sei ein Honorar von 1,25 EUR im Quartal erzielt worden. Ferner hat er auf das Disziplinarverfahren hingewiesen und den Beschluss des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 22. Juli 2015 (bl. 56 ff GA) vorgelegt. Die Rechtsprechung des LSG Hessen sei auf seinen Fall nicht übertragbar, da nicht eine vergleichbare Belastungssituation bestanden habe.

Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid sowie im Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend vorgetragen, eine Patientenidentität von 50 % gemeinsamer Patienten sei ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Rechtsform der Praxisgemeinschaft nicht transparent realisiert worden sei, sondern tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende Ausübung der ärztlichen Tätigkeit stattgefunden habe. Hierfür spreche auch die Karteneinlesung der Versichertenkarten überwiegend am selben Tag und die Urlaubsvertretungen oftmals nur für einen Tag. Bei der Berechnung der Rückforderung seien auch bereits Sicherheitsabschläge zu Gunsten des Klägers vorgenommen worden. Auf Seite 1 des Ausgangsbescheides finde sich hinsichtlich des Quartals I/14 insoweit ein Schreibfehler, als dort ein Betrag in Höhe von 7.773,20 EUR ausgewiesen sei. Die Rückforderung für dieses Quartal tatsächlich nur 7.443,20 EUR. Die Kürzung für die Quartale II bis IV/14 sei für beide Praxisgemeinschaftspartner zwischenzeitlich bestandskräftig geworden. Ein Disziplinarverfahren sei losgelöst vom hiesigen Klageverfahren zu betrachten und habe insoweit keine Indizwirkung.

Mit Urteil vom 11. April 2018 hat das Sozialgericht dem Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2016 aufgehoben, als eine höhere Honorarkürzung für das Quartal I/13 von mehr als 4.053,00 EUR, für das Quartal II/13 von mehr als 1.766,98 EUR, für das Quartal III/13 von mehr als 3.236,35 EUR und für das Quartal IV/13 von mehr als 4.701,12 EUR festgesetzt wird. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Teilaufhebung beruhe auf dem Umstand, dass das Fehlen eines organisierten Bereitschaftsdienstes bis zum Quartal IV/13 von der Beklagten bei Ausübung des Schätzungsermessens nicht berücksichtigt worden sei. Die Beklagte habe eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinreichend nachgewiesen. Der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten in den streitbefangenen Quartalen bei dem Kläger betrage zwischen 41,39 % und 62,51 %. Nicht alle diese Fälle beruhten darauf, dass es sich um, wenn auch der Organisation der klägerischen Praxis geschuldete Notfälle gehandelt hat. Insofern setzten die geltenden vertragsarztrechtlichen Regelungen für eine letztlich arbeitsteilige Behandlungsweise Grenzen. Die von dem Kläger mit seinem Gemeinschaftspraxispartner gewählte Organisationsform wäre allenfalls nur dann zulässig, wenn die strikte Trennung beider Praxen durchgehalten werde würde. Sie wäre selbst dann noch problematisch, wenn sich aufgrund der zwangsläufig gehäuften Abwesenheitszeiten vermehrt Überlappungen der Behandlungen ergäben. Die Beklagte habe im Einzelnen auf die große Zahl der gemeinsamen Patienten und auf weitere Indizien hingewiesen, die eindeutig auf das Vorliegen einer Berufsausübungsgemeinschaft hindeuteten, so die gegenseitige Vertretungspraxis, den Praxiswechsel innerhalb des Quartals ohne erkennbaren Grund - und das vertragsarztwidrige Benutzen der Versichertenkarten. Ferner habe sie dargelegt, dass die hohe Zahl der doppelten Patienten - jedenfalls nicht ausschließlich - nicht auf Vertretungen im ärztlichen Notfalldienst zurückzuführen sei. Das Gericht folge der Begründung des Widerspruchsbescheides (§ 136 Abs. 3 SGG). Aus den Ausführungen des Klägers gehe hervor, dass aufgrund des Unterlaufens der Hausarztbindung eine wirkliche Akzeptanz nicht zu erreichen gewesen sei bzw. sich der Kläger und sein Gemeinschaftspraxispartner nicht hinreichend bemüht hätten, auf eine Akzeptanz der Trennung beider Praxen hinzuwirken. Das decke sich insofern mit den Feststellungen der Beklagten, dass bei Abwesenheit eines Praxispartners die Behandlung von dem anwesenden Praxispartner fortgeführt worden sei. Die Kammer habe auch die unzureichende Organisation des Notdienstes berücksichtigt. Ab dem Quartal I/14 habe mit der Neuorganisation des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes dieses Problem nicht mehr bestanden. Für die Quartale ab I/14 sei die Vertretung in den üblichen Bereitschaftsdienstzeiten ohne Bedeutung. Für den Zeitraum bis Ende 2013 gehe die Kammer aber nach dem unwiderlegten Vortrag des Klägers davon aus, dass am Praxissitz des Klägers kein von der Beklagten organisierter Bereitschaftsdienst bestanden habe. Die hohe Anzahl gemeinsamer Patienten könne keinesfalls allein auf die spezifische Notdienstsituation zurückgeführt werden, was sich auch aus der geschilderten Kooperationsweise und den übrigen von der Beklagten aufgeführten Indizien ergebe. Der Umstand des fehlenden organisierten Bereitschaftsdienstes sei aber im Rahmen des Schätzungsermessens zu berücksichtigen. Es reiche nicht aus, den Einwand des Klägers, es habe bis zum Ende des Jahres 2013 kein organisierter Ärztlicher Bereitschaftsdienst stattgefunden, unter Hinweis auf die verbliebenen anerkannten gemeinsamen Fälle als hinreichend berücksichtigt zu betrachten. Bei dem von der Klägerin angewandten und insbesondere von der Rechtsprechung des LSG Hessen gebilligten Kürzungsmodus handele es sich um den allgemeinen Kürzungsmodus ohne Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten. Schon aus Gründen der Gleichbehandlung sei zu verlangen, dass hiervon abgewichen wird, soweit besondere und nicht nur marginale Abweichungen vorliegen. So sei der fachkundig mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte besetzten Kammer bekannt, dass gerade im ländlichen Raum kaum eine Alternative in den sprechstundenfreien Zeiten zur eigenen hausärztlichen Praxis bestehe. Der Kläger habe nachvollziehbar dargelegt, dass er und sein Partner sich gerade auch in den üblichen sprechstundenfreien Zeiten wegen des Fehlens eines organisierten Ärztlichen Bereitschaftsdienstes, wofür die Beklagte verantwortlich sei, ganzjährig vertreten haben. In dieser Vertretung sei jedenfalls kein Missbrauch der Kooperationsform zu sehen. Die Kammer schätze die auf den fehlenden organisierten Ärztlichen Bereitschaftsdienst zurückzuführenden Vertretungsfälle auf 100 Behandlungsfälle pro Quartal. Hierbei greife sie auf die Zahl der abgerechneten Notdienstscheine und, mangels nicht vorhandener weiterer Daten, auf ihr allgemeines Erfahrungswissen zurück.

Gegen das ihr am 18. April 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Mai 2018 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Die Berichterstatterin des Senats hat am 31. Juli 2019 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.

Die Beklagte trägt vor, das Sozialgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass ein organisierter Bereitschaftsdienst in den Quartalen I/13 bis IV/13 gefehlt habe. Sie behauptet, Frau Dr. D. D. sei Obfrau im Notdienstbezirk A-Stadt gewesen, in der die klägerische Praxis liege. Die Notdienstgemeinschaft habe aus insgesamt fünf Ärzten bestanden, wobei zwei Ärzte in Berufsausübungsgemeinschaft tätig gewesen seien. In den Quartalen I/13 bis IV/13 habe ein Bereitschaftsdienst für die Wochenenden, die Feiertage, den 24. Dezember und 31. Dezember, Brückentage und in den sprechstundenfreien Zeiten von Montag bis Freitag jeweils von 18:00 Uhr bis 7:00 Uhr und Freitag von 18:00 Uhr bis Samstag 7:00 Uhr existiert. Die Beklagte legte hierzu Dienstpläne vor (Bl. 157 bis 171 GA). Dr. C. sei vom Notdienst am Wochenende befreit gewesen, entsprechend den Vorgaben der damaligen Notdienstordnung nicht für den Hintergrunddienst unter der Woche. Unter Vorlage der Abrechnungssammelerklärungen des Klägers für die Quartale I/13 bis IV/13 (Bl. 240 – 251 GA) gibt sie an, der Kläger habe darin an, welchen Tagen er am organisierten ärztlichen Bereitschaftsdienst teilgenommen habe, dies sei nicht nur an Wochenenden, Feiertagen, Brückentagen und dem 24. Dezember der Fall gewesen, sondern auch an Tagen unter der Woche. Die Angaben in den Dienstplänen bestätigten die Angaben in den Quartalserklärungen bis auf sieben Tage. Dies führt die Beklagte im Einzelnen aus (Bl. 224 ff GA). Die Beklagte führt weiter aus, die klägerischen Fallzahlen ließen keine besondere Belastungssituation des Klägers erkennen, auch aus den Dienstplänen ergebe sich keine besondere Notdienstbelastung im Vergleich zu den anderen Ärzten der Notdienstgemeinschaft. Selbst wenn man davon ausginge, dass ein organisierter Bereitschaftsdienst gefehlt habe, hätte dieser Umstand entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts nicht im Rahmen des Schätzungsermessens berücksichtigt werden müssen. Die Honorarrückforderung sei bereits durch die Fälle des Doppeleinlesens der Krankenversichertenkarten begründet, allein die Zahl dieser Fälle übersteige die tatsächlich der Kürzungsberechnung unterworfenen Doppelfälle; dies stelle sich im Detail wie folgt dar:
Quartal Gemeinsame Fälle Fälle mit Doppeleinlesen der KVK am gleichen Tag Gekürzte Fälle des Klägers
I/13 658 578 184
II/13 479 430 134
III/13 589 534 165
IV/13 700 629 196
I/14 573 525 160
II/14 466 424 131
III/14 647 582 181
IV/14 375 335 105
I/15 404 360 113

Es erschließe sich nicht, warum eine besondere Situation hinsichtlich des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes auf dem Land ein Doppeleinlesen der Krankenversichertenkarten am gleichen Tag rechtfertigen sollte. Des Weiteren seien die Patientenidentitäten in den Quartalen I/14 bis I/15 mit 41.39% bis 62,51% im Vergleich zu den Quartalen I/13 bis IV/13 mit 47,85% bis 61,95% nicht wesentlich zurückgegangen. Selbst unterstellt, dass einzelne gemeinsame Fälle aus der behaupteten besonderen Situation im Ärztlichen Bereitschaftsdienst resultierten, wären durch die Anerkennung von 20% der gemeinsamen Fälle und dem 30%-igen Sicherheitsabschlag jedenfalls alle plausiblen Fälle berücksichtigt. Bei dem Sicherheitsabschlag handele es sich nicht um einen allgemeinen Kürzungsmodus ohne Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten. Er erfolge, um die Berücksichtigung möglicherweise plausibler Fälle sicherzustellen und eine Kürzung insoweit zu vermeiden, die Gründe für eine mögliche Plausibilität seien dabei variabel.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. April 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, es sei befremdlich, dass in dem Bereitschaftsplanes des Obfrau Dr. C. als vollwertiger Bereitschaftsarzt eingestuft werde, obwohl er mit Zustimmung der Beklagten bereits längst vom Notdienst befreit gewesen sei; er könne höchstens als sein freiwilliger Vertreter geführt werden. Die Dienstzahlen seien somit nicht zutreffend. Er räume aber ein, dass der Dienstplan so bestanden haben könne. In den Quartalen I/13 bis IV/13 habe er alle drei Wochen Notdienst am Wochenende gehabt, unter der Woche wochentags habe kein Hintergrunddienst stattgefunden. Er sei unter der Woche immer für seine Patienten und die des Dr. C. da gewesen; Dr. C. habe ihn dabei unterstützt obwohl er vom Notdienst schon befreit gewesen sei. Angesichts der vorgelegten Abrechnungssammelerklärung hält er an dem Vortrag, es habe wochentags kein organisierter Notdienst stattgefunden, nicht fest.

Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2019 und die Beklagte mit Schriftsatz vom 19. November 2019 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, §§ 153 Abs. 1 i. V. m. 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2016 ist auch insoweit rechtmäßig, als die Beklagte damit eine Honorarkürzung für das Quartal I/13 von mehr als 4.053,00 Euro, für das Quartal II/13 von mehr als 1.766,98 Euro, für das Quartal III/13 von mehr als 3.236,35 Euro und für das Quartal IV/13 von mehr als 4.701,12 Euro festgesetzt hat. Der Kläger ist hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt. Das erstinstanzliche Urteil war entsprechend zu ändern.

Zunächst liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die von der Beklagten durchgeführten sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarquartalsbescheide für die im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Quartale I/13 bis IV/13 wegen des Missbrauchs der Kooperationsform vor. Zur Begründung nimmt der Senat auf die Gründe des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts (Umdruck S. 9, 7. Absatz bis S. 16, 1. Absatz und S. 16, 3. Absatz bis S. 17, 2. Absatz) Bezug und sieht insoweit von einer Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs. 2 SGG.

Angesichts des Formenmissbrauchs erweisen sich die von dem Kläger in den genannten Quartalen jeweils der Abrechnung beigefügten Abrechnungssammelerklärungen, in denen er die ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten Leistungen bestätigt hat, als falsch, mit der Folge, dass die Beklagte berechtigt war, die Honorarbescheide aufzuheben und die Honorare im Wege der Schätzung neu festzusetzen (vgl. Senatsurteil vom 30. November 2016 – L 4 KA 22/14 –, Rn. 54, juris; s. auch BSG vom 17. September 1997, Az.: 6 RKa 86/95, SozR 3-5500 § 35 Nr.1; Bayerisches LSG, Urteil vom 16. Mai 2007 - L 12 KA 563/04 -, Rn. 37, juris), wobei die Rechtmäßigkeit nachträglicher sachlich-rechnerischer Berichtigung entgegen der Auffassung des Klägers im Fall eines Gestaltungsmissbrauchs der Rechtsformen der beruflichen Kooperation grundsätzlich kein Verschulden der beteiligten Ärzte voraussetzt (Senatsurteil vom 30. November 2016 – L 4 KA 22/14 –, Rn. 54, juris; vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2006 - L 4 KA 76/04 R, juris Rn. 28).

Der Beklagten kommt insoweit ein weites Schätzungsermessen zu. Das BSG hat zur Höhe der Rückforderung in Fällen des Gestaltungsmissbrauchs ausgeführt, dass auf die Abrechnungsregelungen für die Gemeinschaftspraxis zurückgegriffen werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 6. Februar 2013 - B 6 KA 43/12 B, juris Rn. 6). Innerhalb einer Gemeinschaftspraxis kann jedoch eine Vertretung grundsätzlich nicht abgerechnet werden, da es einer Vertretung nur für die seltenen Fälle bedarf, in denen der Ausfall eines Partners nicht durch den weiterhin tätigen anderen Partner aufgefangen werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 2. Juli 2014, B 6 KA 2/14 B, juris Rn. 10; Urteil vom 14. Dezember 2011 = SozR-4 2500 § 106a Nr. 8, juris Rn. 27, 28 ff). Bei der Berechnung der Rückforderung wurden zugunsten des Klägers 30% der Doppelbehandlungsfälle als zutreffend unterstellt und die verbleibenden gemeinsamen Fälle beiden Partnern der Praxisgemeinschaft zugerechnet, d. h. nochmals halbiert. Damit ist dem Kläger in erheblichem Umfang Honorar für einen Anteil von Patientenidentitäten belassen worden, so dass Fehler bei der sachgerechten Ausübung des Schätzungsermessens nicht ersichtlich sind (vgl. Senatsurteil vom 30. November 2016 – L 4 KA 22/14 –, Rn. 55, juris; siehe zur Methode der Honorarberechnung aufgrund einer fiktiven Zahl "plausibler" Behandlungsfälle: LSG NRW, Urteil vom 13. Dezember 2006, L 11 KA 2006, juris Rn. 22).

Der in § 11 Abs. 2 a) der zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen mit Wirkung vom 1. Januar 2005 vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen nach § 106a SGB V (DÄ 2004, A-2555 – ARL) bestimmte Grenzwert von 20% Patientenidentität (bei versorgungsbereichsidentischen Praxen) dient als Aufgreifkriterium im Rahmen der Plausibilitätsprüfung bei Praxisgemeinschaften und damit die Tatbestandsseite der Auffälligkeitsprüfung, während die Ausübung des Schätzungsermessens die Rechtsfolgenseite betrifft, mithin die Ermittlung der Höhe der Honorarkürzung als Rechtsfolge der Implausibilität der Abrechnung. Damit hat die 20%-Grenze zunächst nur die Funktion, den Zugang zur Prüfung der Auffälligkeit zu eröffnen. Bis zur Höhe dieses normativ festgelegten Wertes von 20% (bei versorgungsbereichsidentischen Praxen) sind Honorarkürzungen aber auch bei pauschalierender Berechnung nach der Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil vom 30. November 2016 – L 4 KA 22/14 –, Rn. 59, juris) grundsätzlich ermessensfehlerfrei. Da indessen eine Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften von bis 15% in der Literatur (vgl. Clemens in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl., § 106d SGB V [Stand: 16. Mai 2019], Rn. 220) als noch normgerecht erachtet wird und erst ab der Höhe des Grenzwertes – normativ – eine Implausibilität vermutet werden kann, so dass allein pauschalierende Erwägungen zur Begründung des Kürzungsermessens nicht ausreichend sind, wenn der Grenzwert unterschritten wird. Nach der Senatsrechtsprechung (a.a.O) reicht es indessen aus, wenn die Beklagte - wie hier - in ihre Ermessenserwägungen die Größenordnung der gegenseitigen Vertretung von unter 10% im Fachgruppendurchschnitt in Hessen eingestellt hat. Angesichts der von der Beklagten ermittelten fiktiven Fallzahl plausibler Fälle mit Patientenidentität in einer Quote von jeweils deutlich über 10% der Gesamtfallzahl in den betroffenen Quartalen, wird der in der Fachgruppe erreichte Wert von unter 10% nicht unterschritten.

Soweit das Sozialgericht – ausgehend von dem erstinstanzlich unwidersprochenen Vortrag des Klägers - beanstandet hat, die Beklagte habe den Umstand des fehlenden organisierten Bereitschaftsdienstes im Rahmen des Schätzungsermessens nicht berücksichtigt, kann der Senat offen lassen, ob und wie das Fehlen eines organisierten Bereitschaftsdienstes im Rahmen der Schätzung der Rückforderung zu berücksichtigen ist.

Nachdem die Beklagte den klägerischen Vortrag erstmals mit der Berufung bestritten hat, konnte sich der Senat anhand der von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen davon überzeugen, dass im Notdienstbezirk A-Stadt, in dem die Praxis des Klägers liegt, auch in den noch streitgegenständlichen Quartalen I/13 bis IV/13 ein organisierter Bereitschaftsdienst sowohl für die Wochenenden, die Feiertage, den 24. Dezember und 31. Dezember, Brückentage als auch in den sprechstundenfreien Zeiten von Montag bis Freitag jeweils von 18:00 Uhr bis 7:00 Uhr und Freitag von 18:00 Uhr bis Samstag 7:00 Uhr existierte. Dies ergibt sich zum einen aus den von der Beklagten vorgelegten und von ihr unterzeichneten Dienstpläne der damaligen Obfrau des Notdienstbezirks für die Quartale I/13 bis IV/13 und zum anderen an den Angaben des Klägers selbst in den Abrechnungssammelerklärungen für diese Quartale, in denen der Kläger bestätigte, an dem organisierten Notdienst teilgenommen zu haben. Die Behauptung des Klägers ist daher zur Überzeugung des Senats widerlegt. Nachdem der Kläger zuletzt auch an seinem Vortrag, es habe wochentags kein organisierter Notdienst stattgefunden, nicht mehr festgehalten hat, sah sich der Senat auch nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gedrängt. Besondere Umstände, die Veranlassung geben würden, die Ausübung des Schätzungsermessens durch die Beklagte zu beanstanden, ließen sich nach alledem nicht objektivieren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung; der Kläger als der unterliegende Teil hat danach die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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