L 8 BA 4/20

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 249/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 BA 4/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. März 2018, der Bescheid vom 24. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2003 sowie der Bescheid vom 28. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Mai 2013 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) aufgrund ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 1. September 1994 bis zum 31. August 2000 nicht der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Kranken- und Sozialen Pflegeversicherung, in der Gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitslosenversicherung unterlag.

Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der sozialversicherungspflichtige Status der Beigeladenen zu 1) aufgrund ihrer Tätigkeit als Fahrradkurierin in der Zeit von September 1994 bis einschließlich August 2000 streitig.

Geschäftsgegenstand der Klägerin, frühere Bezeichnung A.-Service GmbH - AX. GmbH, ist die Durchführung von Transportleistungen aller Art, soweit diese nicht durch Gesetz oder Verordnung genehmigungspflichtig sind (Handelsregister B des Amtsgerichts Frankfurt am Main HRxxx1).

Die Klägerin und die Beigeladene zu 1) schlossen am 2. September 1994 eine als "Anschlussvertrag" bezeichnete schriftliche Vereinbarung mit folgendem wesentlichen Inhalt: (Nr. 1 des Vertrags) Die Klägerin unterhalte eine Vermittlungszentrale. Die Beigeladene zu 1) erhalte über die Funkzentrale der Klägerin Aufträge zur Durchführung von Transportdienstleistungen gegen Kreditscheine der Klägerin. (Nr. 2 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) erhalte von der Klägerin ein Funkgerät zur Durchführung der Aufträge. Zur Sicherstellung der Verfügbarkeit eines Funkgeräts, habe die Beigeladene zu 1) sich in die Anwesenheitsliste für Zweiradkuriere einzutragen, die wöchentlich erstellt werde und im Stadtbüro ausliege. Die Beigeladene zu 1) verpflichtete sich zur sorgfältigen Behandlung des Funkgeräts und zur Haftung für vorsätzlich oder fahrlässig daran entstandene Schäden. Die Klägerin habe den Anspruch auf Zahlung der nach Nr. 7 des Vertrags vereinbarten Vermittlungsgebühr auch, wenn ihre Funkanlage nicht benutzbar sei. (Nr. 3 des Vertrags) Die Klägerin schließe für die Funkanlage eine Schwachstromversicherung und trage deren Kosten, deren Versicherungsschutz auch Diebstahl- und Elementarschäden umfasse. Lehne die Versicherung eine Schadensregulierung ab, hafte die Beigeladene zu 1) für alle entstandenen Schäden. (Nr. 4 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) verpflichte sich, am 15. und an jedem Monatsletzten alle bis dahin ordnungsgemäß unterschriebenen Kreditscheine abzurechnen und der Klägerin zu übergeben. Die Klägerin schreibe der Beigeladene zu 1) den nach den Kreditscheinen erzielten Umsatz gut. (Nr. 5 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) erhalte am 15. und am 30. des Monats per Verrechnungsscheck 50% des, nach Abzug sämtlicher Forderungen der Klägerin, verbleibenden Betrags des Vormonats. Im Falle eines Negativsaldos sei die Beigeladene zu 1) innerhalb von 3 Werktagen zum Ausgleich verpflichtet. (Nr. 6 des Vertrags) Die Klägerin übernehme als Vermittlerin keine Haftung für abgeschlossene Fahraufträge und garantiere nicht die Vermittlung von Fahraufträgen, auch für den Fall, dass sie wegen technischer Störung ihrer Zentrale oder des Netzbetreibers keine Aufträge vermitteln könne. Könne aus Verschulden der Klägerin keine Aufträge vermittelt werden, entfalle die Verpflichtung der Beigeladenen zu 1) zur Zahlung der Vermittlungsgebühr für diesen Zeitraum. Eine weitergehende Haftung der Klägerin sei ausgeschlossen. (Nr. 7 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) verpflichte sich an die Klägerin monatlich im Voraus eine Vermittlungsgebühr in Höhe von 100,00 DM zzgl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer zu zahlen sowie eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 15% ihres Gesamtumsatzes. (Nr. 8 des Vertrags) Die Klägerin habe eine Transportversicherung abgeschlossen, deren Kosten sie trage. Im Fall, dass diese im Schadensfall die Übernahme und Regulierung eines Schadens ablehne, hafte die Beigeladenen zu 1), wenn sie am Entstehen des Schadens Vorsatz oder Fahrlässigkeit treffe. (Nr. 11 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) verpflichte sich unverzüglich zur Anmeldung eines Gewerbes, sowie zur Einleitung aller Maßnahmen, die zur Durchführung eines selbstständigen Gewerbes notwendig seien. (Nr. 12 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) verpflichte sich, während und nach Beendigung dieses Vertrages keine an sie vermittelten Kunden abzuwerben. Für den Fall des Zuwiderhandelns wurde die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 3.000,00 DM vereinbart. Die Beigeladene zu 1) trat an die Klägerin zur Sicherung sämtlicher Ansprüche gegen sie künftige Lohn- und Gehaltsforderungen sowie Provisionen und ähnliches ab.

Auf Anregung der Klägerin beantragte die Beigeladene zu 1) am 3. Juli 2000 bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status ihrer Tätigkeit für die Klägerin und gab dazu an, seit 1994 befördere sie Kuriersendungen von Kunden zu deren angegebenen Adressen, für mehrere Auftraggeber sei sie nicht tätig und erhalte hinsichtlich der Ausführung ihrer Tätigkeit keine Weisungen.

Auf die Mitteilung der Beklagten, es sei die Feststellung einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) beabsichtigt, führte die Klägerin aus, ihre eigene Tätigkeit beschränke sich auf die Vermittlung von Kurierdienstleistungen jeglicher Art. Sie stelle einzig und allein die Verbindung zwischen den Auftraggebern und den selbständig tätigen Kurierfahrern her. Dafür erhielte sie von diesen eine Provision. Sie sei nicht die Auftraggeberin der Kurierfahrten, die Aufträge kämen zwischen den Auftraggebern und den Kurierfahrern zustande. Es bestehe keine persönliche Abhängigkeit. Die Beigeladene zu 1) sei nicht in ihren Betrieb eingegliedert. Sie sei wie die übrigen Kurierfahrer im Wesentlichen frei in der Einteilung ihrer Arbeitszeit und der Gestaltung der Arbeitsleistung. Sie könne selbst entscheiden, ob sie einen Auftrag annehme oder nicht. Die Beigeladene zu 1) könne selbst Preise anbieten. Ebenso stehe es ihr frei, die Aufträge persönlich oder von eigenen Mitarbeitern durchführen zu lassen. Hinsichtlich des unternehmerischen Risikos sei zu beachten, dass die Fahrradkuriere die Aufträge mit den eigenen Fahrrädern ausführten, deren Anschaffungskosten fast immer im Bereich eines gebrauchten kleinen Pkws lägen. Zudem müssten die Fahrräder wegen hoher Belastungen regelmäßig auf eigene Kosten gewartet werden.

Die Beklagte stellte mit zwei im Wesentlichen inhaltsgleichen Bescheiden vom 24. Juli 2001 gegenüber der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) fest, die Beigeladene zu 1) übe ihre Tätigkeit als Fahrradkurierin für die Klägerin in dem Zeitraum vom September 1994 bis einschließlich August 2000 im Rahmen eines abhängigen und damit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses aus.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die AOK Hessen (Beigeladene zu 2) habe in Bezug auf zwei andere Kurierfahrer entschieden, dass diese nicht der Sozialversicherungspflicht unterlägen, die unter den gleichen Bedingungen für sie arbeiteten.

Die Beigeladene zu 1) führte im Widerspruchsverfahren aus, die Klägerin habe die bei ihr telefonisch eingegangenen Aufträge verschiedener Firmen per Funk an die Fahrradkuriere weitergeleitet. Habe sich dieser geweigert, den Auftrag auszuführen, habe es geheißen, es warteten täglich jede Menge anderer darauf, diesen Job machen zu dürfen. Sie persönlich habe zwei Festtouren (Firma E. und Firma F.) gefahren, da sie damals zwei schulpflichtige Kinder hatte und keiner ihrer Kollegen diese Touren habe übernehmen wollen. Die Verträge mit diesen Firmen habe die Klägerin geschlossen. Die Touren habe sie mit ihrem eigenen Bike gefahren. Die Reparaturkosten seien von den Kurierfahrern getragen worden. Die fällige Umsatzsteuer von 16 % sei von den Kurierfahrern an das zuständige Finanzamt gezahlt worden. Sie habe mit den Auftragsfirmen keine Preise aushandeln können.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2003 den Widerspruch der Klägerin zurück.

In der von der Klägerin vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage (S 9 KR 583/03 Bl. 1) hat sie ausgeführt, die Beigeladene zu 1) sei als selbständige Kurierunternehmerin für sie von September 1994 bis August 2000 tätig gewesen. Sie (die Klägerin) habe erst Ende des Jahres 1999 neben der Vermittlung auch eigene Kurierdienstleistungen mit zwei Autos und angestellten Fahrern angeboten. Die Vermittlung von Fahrradkurierfahrten sei in der Weise erfolgt, dass sie einzelne Aufträge, die in ihrer Telefonzentrale eingegangen seien, per Funk an die einzelnen Kurierunternehmer weitergeleitet habe. Diese hätten sich mit Tag bzw. Tageszeit in einer Liste eingetragen, in denen sie Kurierfahrten annehmen und ausführen wollten. Sie habe nur die in der Liste eingetragenen Kurierfahrer angefunkt. Es habe für die Kurierfahrer keine Verpflichtung bestanden, sich in die Liste einzutragen bzw. entsprechend der Eintragung Kurieraufträge durchzuführen oder Mindestzeiten abzudecken. Andererseits sei keine Mindestvergütung gezahlt worden. Eine Richtpreisliste für Kundenanfragen habe bestanden, in der die Preise für die einzelnen Fahrten aufgeführt waren. Den Kurierfahrern habe es jedoch freigestanden, eine abweichende Preisgestaltung vorzunehmen. Die von der Beigeladenen zu 1) in Rechnung gestellten Beträge schwankten monatlich zwischen 800 und 2.200 DM. Die Zusammenarbeit mit der Beigeladenen zu 1) habe geendet, nachdem sie sich nach einem Krankenhausaufenthalt nicht mehr bei ihr gemeldet habe. Auch dies zeige, dass keine persönliche oder Weisungsabhängigkeit bestanden habe. Sie verwende die gleichen Verträge wie andere Vermittler von Fahrradkurierfahrten im Bundesgebiet. Diese Verträge seien von der AOK Hamburg geprüft worden mit dem Ergebnis, dass die Fahrradkuriere keinem Direktionsrecht unterlägen. Die Vergütung der Kurierfahrt habe der Fahrer zum Teil selbst bei der Sendungsübernahme abgerechnet. Für den Fall, dass dies nicht erfolgt sei, habe sie (die Klägerin) die Abrechnung vorgenommen. Der Fahrradkurier habe von ihr eine Auflistung der erzielten Umsätze erhalten und aller geleisteten Fahrten. Diese Auflistung sei Grundlage der von dem Fahrradkurier erstellten Rechnung und der Berechnung, der von dem Fahrradkurier zu zahlenden Vermittlungsgebühr gewesen. Eine Rekonstruktion der Umsätze der Beigeladenen zu 1) sei nicht mehr möglich wegen einer Umstellung des Abrechnungsablaufs und Installation neuer Software.

Die Beigeladene zu 1) hat ausgeführt, sie habe nie eigene Verträge mit den Auftraggebern der Transporte geschlossen. Wegen der vereinbarten Vertragsstrafe von 3.000 DM sei es nicht möglich gewesen mit den Auftraggebern der Kurierfahrten selbst zu verhandeln. Da sie zwei feste Touren gefahren habe, habe für diese die von der Klägerin genannte Preisliste nicht gegolten. Sie habe keinen Urlaub gemacht und sei erst im August 2000 wegen Krankheit ausgefallen. In der Zeit von 1994 bis 1996 sei sie für verschiedene Kunden gefahren. In der Zeit ab Herbst 1997 bis zum Jahr 2000 habe der Anteil der sogenannten Festtouren 90 bis 95 % ausgemacht. Im Jahre 1995 habe sie für die Klägerin Werbung an verschiedenen Stellen in A-Stadt abgegeben.

Das Sozialgericht hat den Geschäftsführer der Klägerin, Herrn G. angehört. Nach seiner Erinnerung habe die Beigeladene zu 1) bis zum Jahre 1999 einschließlich etwa zur Hälfte sogenannte Festtouren gefahren und erst ab dem Jahre 2000 fast ausschließlich Festtouren. Eine Festtour sei pro Monat mit ca. 500 DM als Durchschnittswert vergütet worden. Pro Stunde sei als Vergütung 35 DM pro Tour angefallen. Dies beziehe sich auf die Zeit von 1997 bis 1999.

Zur Beendigung dieses Rechtsstreits haben die Beteiligten am 14. Juni 2007 einen Vergleich geschlossen, aufgrund dessen das Widerspruchsverfahren zur Durchführung weiterer Ermittlungen wiedereröffnet werde.

Die Beklagte holte im wiederaufgenommenen Verwaltungsverfahren die Auskunft von H. (Schreiben vom 20. Mai 2011) ein. Danach sei ihm die Beigeladene zu 1) aus seiner Zeit als Kurierfahrer der Klägerin nicht bekannt. Die Klägerin verlange von den Fahrradkurieren eigenständiges Arbeiten. Der Kurier sei selbst verantwortlich für seine Arbeitskleidung und sein Fortbewegungsmittel (Rad, Moped, Auto etc.), einschließlich für die Kosten für Krankenversicherung, Berufsgenossenschaftsbeiträge, Unfallversicherung, Rentenversicherung. Die Klägerin trete als Vermittler zwischen Kunden und Fahrer auf und disponiere die in der Zentrale einkommenden Aufträge. Dafür verlange sie vom erbrachten Umsatz eine Provision und eine feste Gebühr für das von der Klägerin verliehene Funkgerät. Die Kurierfahrer könnten ihre Arbeitszeiten individuell gestalten.

Die Beklagte stellte mit zwei im Wesentlichen inhaltsgleichen Bescheiden vom 28. März 2012 gegenüber der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) fest, der Bescheid vom 24. Juli 2001 werde dahingehend abgeändert, dass für die von der Beigeladenen zu 1) ausgeübte Beschäftigung als Fahrradkurierin für die Klägerin Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Die Versicherungspflicht beginne am 1. September 1994.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und vertrat ergänzend die Auffassung, ihr bisheriger Vortrag werde durch die Ausführungen von Herrn H. bestätigt.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2013 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 20. Juni 2013 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben.

Die Klägerin hat unter Bezug auf ihren bisherigen Vortrag die Auffassung vertreten, die Beigeladene zu 1) sei als Fahrradkurierin selbständig tätig gewesen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 15. März 2018 die Klage abgewiesen. Zwar spreche für eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) ihre Freiheit, entscheiden zu können, wann sie für die Klägerin tätig werde, die Durchführung der Kurierfahrten mit dem eigenen Fahrrad und ihre alleinige Verantwortung für dessen Unterhaltung, ferner der fehlende Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub. In der Gesamtbetrachtung überwögen jedoch die Merkmale der abhängigen Beschäftigung. Die Beigeladene zu 1) sei in die Organisation der Klägerin eingegliedert gewesen, indem sie die ihr zugewiesenen festen Touren durchgeführt habe. Dafür spreche auch, dass die Klägerin der Beigeladenen zu 1) ein Funkgerät zur Verfügung gestellt habe und die Fahrradkuriere sich in einen Dienstplan hätten eintragen müssen. Nicht ersichtlich sei, dass die Beigeladene zu 1) in der Lage gewesen sei, die Preise mit den Auftraggebern der Kurierfahrten frei zu verhandeln. Es habe eine feste Preisliste ergeben, die Grundlage der Vermittlung von Aufträgen zwischen der Klägerin und den Kunden gewesen sei. Lediglich wenn ein besonderes Interesse des Kunden an der Durchführung seines Auftrages durch einen spezifischen Fahrradkurier bestanden habe, sei es anders gewesen. Nicht ersichtlich sei, dass die Beigeladene zu 1) über diese Rechtsmacht verfügte hätte. Gegen eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) spräche auch, dass sie allein für die Klägerin tätig gewesen sei. Dem Vortrag der Klägerin, es habe der Beigeladenen zu 1) freigestanden, für weitere Auftraggeber tätig zu seien, stehe sowohl das Abwerbungsverbot verbunden mit der Androhung einer Vertragsstrafe in Höhe von 3.000 DM entgegen als auch, dass diese Möglichkeit in ihrem Fall eher hypothetischer Natur gewesen sei. Ebenfalls spreche für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung, dass die Klägerin eine Transportversicherung abgeschlossen hatte.

Die Klägerin hat gegen das am 8. Mai 2018 zugestellte Urteil am 5. Juni 2018 Berufung eingelegt.

Die Klägerin vertritt unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrags weiterhin die Auffassung, die Beigeladene zu 1) sei als Fahrradkurierin selbständig tätig gewesen. Auch habe sie der Beigeladenen zu 1) keine feste Tour zugewiesen, vielmehr habe sie die Fahrten angenommen, die sie wollte. An Tagen, an denen sie nicht gefahren sei, seien diese Touren von anderen Kurieren durchgeführt worden. Auch sei aus dem Fahren von festen Touren nicht auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu schließen. Ihre Leihgabe des Funkgeräts an die Beigeladene zu 1) sei kein Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Es wäre auch möglich gewesen, dass sie - wie einige andere Kurierfahrer - ihr eigenes Funkgerät genutzt hätte. Daneben seien Tagesaufträge gefahren worden, so dass jeder der Kuriere sich am Tagesgeschäft habe beteiligen können. Die Übernahme von Daueraufträgen habe die Teilnahme am Tagesgeschäft nicht ausgeschlossen. Es habe keine Verpflichtung bestanden, neben übernommenen Daueraufträgen weitere Fahrten zu übernehmen. Die in der Liste genannten Preise seien Grundpreise zur Orientierung gewesen. Diese seien von den Fahrradkurieren vorgeschlagen worden. Die Beigeladene zu 1) sei daran nicht gebunden gewesen und habe Preise verhandeln können. Sei ein Fahrer nicht bereit, zu diesen Tarifen zu arbeiten, würde sie dies an den Kunden weitergeben, der darüber entscheide, ob der Fahrradkurier zum anderen Preis beauftragt werde. Weder das Abwerbeverbot noch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe spreche gegen eine selbständige Tätigkeit, da dies nur ihre eigenen Kunden betreffe. Es sei der Beigeladenen zu 1) möglich gewesen, für einen anderen Kurierdienst tätig zu sein bzw. eigene Kunden zu akquirieren und selbst eine Transportversicherung abzuschließen. Auch sei es vorgekommen, da von der Beigeladenen zu 1) übernommene Aufträge nachvermittelt werden mussten, da sie diese nicht ausgeführt habe.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. März 2018 und den Bescheid vom 24. Juli 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2003, abgeändert durch den Bescheid vom 28. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2013 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene zu 1) aufgrund ihrer Tätigkeit als Fahrradkurierin in der Zeit vom 1. September 1994 bis zum 30. August 2000 nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt,
hilfsweise,
die Vernehmung des Herrn J. zu dem im Schriftsatz vom 26. Juni 2019 genanntem Beweisthema, dass die Preise frei verhandelt werden konnten und dass keine Bindung an die zur Orientierung von den Kollegen vorgeschlagenen Preisen bestand.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene trägt ergänzend vor, sie habe keine Freiheit hinsichtlich der Arbeitseinteilung besessen und sei – selbst bei Krankheit unter Androhung einer Kündigung – von der Klägerin gezwungen worden, Touren zu fahren. Sie habe die Touren gefahren, die andere Fahrradkuriere nicht hätten übernehmen wollen. In der Zeit von September 1994 bis 1997 sei sie in Besitz eines leihweise überlassenen Funkgerätes der Klägerin gewesen. 1997 habe sie es zurückgegeben, da sie Festtouren (z. B. die Firmen E. und F.) gefahren habe. Nach der Rückgabe des Funkgeräts habe sie sich täglich bei der Funkzentrale melden müssen, um Aufträge abzuholen und habe auf der Fahrt dorthin weitere Aufträge erfüllt. Auch habe sie Over-Night-Touren übernehmen müssen, wenn zuständige Fahrer krankheitsbedingt ausgefallen seien. Die Vereinbarung von anderen Preisen wäre einer Abwerbung von Kunden gleichgekommen mit der Folge der Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe. Zudem sei es ihr wegen der kompletten Einbindung in die Arbeitsprozesse der Klägerin nicht möglich gewesen, eigene Kunden außerhalb des Kundenstamms der Klägerin zu akquirieren oder für einen anderen Kurierdienst tätig zu sein. Die Abrechnung der gefahrenen Touren sei auf der Grundlage der Umsatzauflistung der Klägerin erfolgt, so dass sie der Klägerin keine Rechnung gestellt habe.

Die Beigeladenen zu 2) bis 4) stellen keine Anträge und haben sich zur Sache nicht geäußert.

Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin, Herr G., und die Beigeladene zu 1) gehört. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte sowie den Akten der Verfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (S 9 KR 482/07 und S 9 683/03) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht erhobene Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts am Main vom 15. März 2018 kann keinen Bestand haben. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Beigeladene zu 1) unterlag aufgrund ihrer Tätigkeit als Fahrradkurierin für die Klägerin in der Zeit vom 1. September 1994 bis zum 30. August 2000 nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Gegenstand der vorliegend durchgeführten Statusfeststellung nach § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) ist die Feststellung von Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit in der konkreten Rechtsbeziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Dabei unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V), sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI) und gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist dabei jeweils § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, zu denen die rechtlich relevanten Umstände gehören, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben (vgl. BSG, Urteil vom 1. Dezember 1977 12/3/12 RK 39/74 –, BSGE 45, 199-206, SozR 2200 § 1227 Nr. 8; Urteil vom 4. Juni 1998 - B 12 KR 5/97 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; Urteil vom 18. Dezember 2001 - B 12 KR 10/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 20; Urteil vom 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 5; Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7; Urteil vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 13/07 R, USK 2008-45 und Urteil vom 11. März 2009 – B 12 KR 21/07 R; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11).

Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 29. August 2012, Az. B 12 KR 25/10 R -). Hinsichtlich des Weisungsrechtes ist zu beachten, dass dieses bei Diensten höherer Art zu einem funktionsgerechten Dienen in der fremden betrieblichen Organisation verfeinert sein (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 - B 12 KR 8/01R, Juris), jedoch kann für die Annahme des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung nicht gänzlich auf eine Weisungsabhängigkeit verzichtet werden (vgl. Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Februar 2015 - L 4 R 3943/13 - und Urteil vom 19. Juli 2015 – L 4 R 2821/14 -; Hessisches LSG, Urteil vom 30. November 2000 - L 14 KR 777/97 - Juris, Rn. 22).

Nach Überzeugung des Senats vereinbarten die Klägerin und die Beigeladene zu 1) mit Abschluss des Vertrags vom 2. September 1994 – im Sinne eines Rahmenvertrags – entgegen der vertraglichen Formulierung nicht die Vermittlung von Transportaufträgen an die Beigeladene zu 1), sondern die Erbringung des Transports als Dienstleistung zur Erfüllung der von der Klägerin ihrerseits gegenüber ihren Auftraggebern eingegangenen entsprechenden Verpflichtung. Dies entspricht zum Einem dem Geschäftsgegenstand der Klägerin. Entsprechend dem Handelsregister (Amtsgericht Frankfurt am Main HRxxx1) ist der Geschäftsgegenstand der Klägerin definiert mit der Durchführung von Transportleistungen aller Art, soweit diese nicht durch Gesetz oder Verordnung genehmigungspflichtig sind. Zum anderen beruhten die von der Beigeladenen zu 1) durchgeführten Transportaufträge entweder auf längerfristigen Geschäftsbeziehungen zu den Auftraggebern (Firma E. und Firma F.) oder auf Einzelaufträgen aus dem sogenannten Tagesgeschäft, die in der Funkzentrale der Klägerin täglich eingingen. Die Beigeladene zu 1) stand zu keinem dieser Auftraggeber im geschäftlichen Kontakt. Die jeweiligen Transportaufträge wurden von der Klägerin in der von ihr betriebenen Telefon-/Funkzentrale entgegengenommen und bereits hierbei der vom Auftraggeber zu zahlende Preis vereinbart. Dies zeigt sich auch darin, dass die Fahrten – nach dem Vortrag der Klägerin - von anderen Fahrradkurieren ausgeführt wurden, wenn die Beigeladene zu 1) nicht zur Verfügung stand. Nach allgemeiner Verkehrsanschauung geht ein Auftraggeber, der bei einem sich selbst als Kurierdienst bezeichnenden Unternehmen anruft und dort eine Transportdienstleistung zu einem festgelegten Preis bestellt, davon aus, dass der Kurierdienst – und nicht der einzelne Kurier – für die Erbringung der Dienstleistung haftet. Nicht erheblich ist insoweit, ob die von der Klägerin verwendete Preisliste – wie die Klägerin vorträgt - auf einen Vorschlag aus dem Kreis von Fahrradkurieren beruht. Maßgeblich ist, dass die Klägerin diese Preisliste der Durchführung ihres Geschäftszwecks zugrunde legte. Dem entsprechend führte die Beigeladene zu 1) zur Überzeugung des Senats die vorliegend streitige Tätigkeit für die Klägerin im Rahmen eines Dienstvertrags aus. Den Auftrag zur Durchführung erhielt die Beigeladene zu 1) erst, nachdem der einzelne Transportvertrag zwischen der Klägerin und dem Auftraggeber zustande gekommen war. Die Beigeladene zu 1) stand, unabhängig davon, ob die Beigeladene zu 1) Kurierfahrten eines Dauerkunden oder aus dem Tagesgeschäft durchführte, nicht im geschäftlichen Kontakt mit den Auftraggebern und hatte somit keinen Einfluss auf die Vereinbarung des Preises. Sobald sie von der Klägerin den Auftrag zur Durchführung der Kurierfahrt bekam, war bereits die Geschäftsbeziehung mit dem Auftraggeber zustande gekommen.

Die Beigeladene zu 1) war im streitigen Zeitraum bei der Erbringung der mit der Klägerin vertraglich vereinbarten Dienstleistung als Fahrradkurierin aber nicht abhängig beschäftigt, sondern selbständig tätig.

Der Gesetzgeber (407ff. Handelsgesetzbuch – HGB – in der Fassung vom 1. Januar 1964 bzw. ab 1. Juli 1998) hat den Frachtführer als selbständigen Gewerbetreibenden und damit nicht als Arbeitnehmer eingeordnet, obwohl der Frachtführer schon von Gesetzes wegen weitreichenden Weisungsrechten unterliegt (§§ 433 ff. HGB a.F.; § 418 HGB n.F.) Der Frachtführer ist regelmäßig auch dann selbständiger Gewerbetreibender, wenn die Zusammenarbeit mit seinem Auftraggeber auf einem auf Dauer angelegten entsprechenden Rahmenvertrag beruht. Im Einzelfall kann jedoch ein Arbeitsverhältnis zu bejahen sein, wenn Vereinbarungen getroffen und praktiziert werden oder wurden, die zur Folge haben, dass der betroffene Fahrer in der Ausübung seiner Tätigkeit weniger frei ist als der Frachtführer im Sinne des HGB (so auch: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Juni 2001 – 5 AZR 561/99 -, juris Rn. 18 m.w.N.).

Dies zugrunde gelegt überwiegen vorliegend die Aspekte der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) für die Klägerin als Fahrradkurierin, die gegen eine abhängige Beschäftigung und für eine selbständige Tätigkeit sprechen.

Vorliegend fehlt es an einer persönlichen Abhängigkeit der Beigeladenen zu 1) gegenüber der Klägerin. Die Beigeladene zu 1) unterlag keinem Weisungsrecht der Klägerin hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort ihrer Tätigkeit, welches über die Weisungsbefugnisse in einem freien Dienstverhältnis hinausging. Die Beigeladene zu 1) war in die betriebliche Organisation der Klägerin nicht eingegliedert. Sie war vertraglich nicht zur Übernahme von Transportaufträgen verpflichtet und auch nicht zur Übernahme von Tätigkeiten in Bezug auf den weiteren Geschäftsbetrieb der Klägerin, wie z. B. ihrer Telefon-/Funkzentrale. Auch die Eintragung der Beigeladenen zu 1) in die Anwesenheitsliste entsprechend Nr. 2 des Vertrages führten nicht zu ihrer Eingliederung in den Geschäftsbetrieb der Klägerin. Dies diente im Wesentlichen der Sicherstellung der Verfügbarkeit eines Funkgeräts bzw. der Übersicht der Klägerin, wer für die Vergabe der anstehenden Transportaufträge zur Verfügung stand.

Die Beigeladene zu 1) war in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit und der Dauer frei. Sie unterlag keinem Zeit und Dauer umfassenden Weisungsrecht der Klägerin. Weder nach den vertraglichen Regelungen noch nach der tatsächlichen Durchführung des Vertrags war die Klägerin berechtigt, die Beigeladene zu 1) einseitig zur Übernahme von Aufträgen zu verpflichten. Entsprechendes gilt auch für ein Weisungsrecht der Klägerin zur Arbeitszeit. Sie machte der Beigeladenen zu 1) keine verbindlichen Vorgaben hinsichtlich der Tage bzw. den Zeitraum, für den sie für die Erledigung der Aufträge zur Verfügung stehen musste. Der Beigeladenen zu 1) stand es frei zu entscheiden, an welchen Tagen und zu welcher Zeit sie Aufträge der Klägerin übernahm und ausführte.

Die vertragliche Vereinbarung beinhaltete auch die Berechtigung der Beigeladenen zu 1), für längere zusammenhängende Zeiträume keine Dienste zu übernehmen, also Urlaub zu machen. Dies ist atypisch für ein Arbeitsverhältnis und deutet auf die Eigenverantwortlichkeit eines freien Dienstverhältnisses hin (BAG a.a.O. juris Rn. 21).

Auch hinsichtlich Ort und Art der Tätigkeitsausübung unterlag die Beigeladene zu 1) keinem Weisungsrecht der Klägerin, welches über die jeden – auch selbständigen – Kurier treffenden Pflichten hinausgingen, denn der Ort und die Art der Ausübung der Tätigkeit als Fahrradkurierin waren der Beigeladenen zu 1) durch die konkreten Transportaufträge der Kunden der Klägerin vorgegeben.

Dem steht nicht entgegen, dass die Beigeladene zu 1) im Rahmen der mündlichen Verhandlung des Senats ihren Vortrag wiederholte und glaubhaft ausführte, sie habe sich verpflichtet gefühlt, Tätigkeiten bzw. Fahrten durchzuführen, die andere Kurierfahrer nicht übernahmen bzw. nicht übernehmen wollten. Dies weist auf die subjektiv empfundene Überzeugung der Beigeladenen zu 1) hin bezüglich ihrer Bindung an die Klägerin, die jedoch von den vertraglichen Regelungen nicht getragen wird. Die Beigeladene zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung selbst geschildert, dass andere Kurierfahrer ihre Entscheidung zur Übernahme von Aufträgen freier trafen, als sie es, evtl. aus persönlichen Gründen, für sich für möglich hielt, obwohl es ihr nach den vertraglichen Regelungen ebenfalls möglich gewesen wäre. Der Senat hat keinen Anlass daran zu zweifeln, dass auch die Beigeladene zu 1) – wie die anderen Fahrradkuriere – über Zeit und Umfang ihrer Tätigkeit hätte frei entscheiden können. Auch stand es ihr frei, für andere Auftraggeber tätig zu werden bzw. sich einen eigenen Kundenstamm aufzubauen. Soweit die Beigeladene zu 1) die Auffassung vertritt, durch das mit Vertragsstrafe bedrohte Abwerbeverbot sei es ihr nicht möglich gewesen, auf dem freien Markt eigene Kunden zu akquirieren, verkennt sie, dass ihr dies nur die Abwerbung der Kunden der Klägerin verbot, nicht jedoch den Aufbau eines eigenen Kundenstamms darüber hinaus. Ebenso bestand für die Beigeladene zu 1) keine Verpflichtung zur persönlichen Erbringung der vertraglichen Dienstleistung.

Die Beigeladene zu 1) trug auch ein wirtschaftliches Risiko. Sie setzte zur Durchführung der von ihr übernommenen Transporte ihr eigenes Fahrrad ein und trug das Kostenrisiko seiner Wartung und Instandhaltung bzw. gegebenenfalls auch der Neuanschaffung, ohne einer weiteren Beauftragung durch die Klägerin sicher zu sein.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Beigeladene zu 1) von der Klägerin nach den vertraglichen Regelungen in nicht unerheblichem Umfang wirtschaftlich abhängig gewesen ist. Angesichts des Vergütungssystems war die Beigeladene zu 1) faktisch gezwungen, Kurierfahrten in einem gewissen Umfang durchzuführen. Ohne eine garantierte Vermittlung von Aufträgen (Nr. 5 des Vertrags) war die Beigeladene zu 1) verpflichtet, an die Klägerin im Voraus eine Vermittlungsgebühr in Höhe von 100 EUR zu zahlen (Nr. 7 des Vertrags), deren Erstattung nach den vertraglichen Regelungen nicht bzw. nur unter erschwerten Umständen möglich war. Diese Zahlungsverpflichtung der Beigeladenen zu 1) entfiel nach den vertraglichen Regelungen lediglich für den Zeitraum, in dem die Klägerin aus eigenem Verschulden zur Vermittlung von Kurierfahrten außerstande gewesen wäre (Nr. 5 des Vertrags), nicht jedoch, wenn die Beigeladene zu 1) in dem Monat keine Aufträge übernommen hätte. Auch war die Beigeladene zu 1) nach den vertraglichen Regelungen zur Tragung weiterer Kosten wie Bearbeitungs- und Leihgebühren für ein Funkgerät verpflichtet. Zudem wurde eine Garantie für Kurierfahrten bzw. das Erzielen eines Umsatzes ausgeschlossen (Nr. 6 des Vertrags). Die daraus sich ergebende wirtschaftliche Notwendigkeit, in einem gewissen Umfang Kurierdienstleistungen für die Klägerin zu erbringen, ist jedoch zu unterscheiden von der persönlichen Abhängigkeit eines abhängig Beschäftigten, die sich in der Bindung an Weisungen des Arbeitgebers hinsichtlich Ort, Art und Zeit der Arbeitsausführung zeigt. Die vertraglich übernommenen Zahlungspflichten waren auch nicht so weitgehend, dass sie die Beigeladene zu 1) faktisch zwangen, vergleichbar einem Arbeitnehmer ständig für die Klägerin zur Verfügung zu stehen. Diese von der Klägerin vorgetragene wirtschaftliche Abhängigkeit hat keinen Einfluss auf die vorliegend zu entscheidende Frage des sozialversicherungsrechtlichen Status.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und Abs. 3 1. Halbsatz VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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