L 6 SF 18/19 EK AS

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 18/19 EK AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Unwirksamkeit einer Verzögerungsrüge, wenn sie ihre Warn- und Beschleunigungsfunktion nicht erreichen kann

2. Zur entschädigungsrelevanten Bedeutung eines Ausgangsverfahrens, das mit einem weiteren Verfahren, für das ebenfalls Entschädigung geltend gemacht wird, eng zusammenhängt
I. Es wird festgestellt, dass das Verfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main zum Aktenzeichen S 9 AS 197/16 eine unangemessene Dauer im Umfang von zwölf Monaten aufwies. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt fünf Sechstel, der Beklagte ein Sechstel der Kosten des Verfahrens. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht einen Entschädigungsanspruch wegen der nach seiner Auffassung überlangen Dauer des vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen S 9 AS 197/16 geführten Verfahrens geltend.

Das Ausgangsverfahren betraf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), konkret die endgültige Festsetzung von Arbeitslosengeld II nach vorangegangener vorläufiger Entscheidung, und zwar zum einen für die Zeit von August 2013 bis Oktober 2013 bei Ablehnung von Leistungen für November 2013 (Bescheid des im Ausgangsverfahren beklagten Jobcenters Frankfurt am Main vom 19. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2016) und zum anderen für den Dezember 2013 bei Ablehnung von Leistungen für Januar 2014 (weiterer Bescheid vom 19. Mai 2015 in Gestalt eines Änderungsbescheides vom 14. August 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2016). Die daran anknüpfenden Bescheide über die Erstattung von 414,31 Euro sowie 206,45 Euro waren Gegenstand eines weiteren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen S 9 AS 195/16 geführten Verfahrens, dessen nach Auffassung des Klägers ebenfalls unangemessene Dauer Gegenstand des Parallelverfahrens L 6 SF 16/19 EK AS ist; wegen entsprechender Bescheide gegenüber seiner Ehefrau und seinem Sohn haben diese das Verfahren S 9 AS 196/16 geführt, dessen Dauer im weiteren Parallelverfahren L 6 SF 17/19 EK AS streitig ist. Konkret umstritten waren in den Ausgangsverfahren namentlich die Höhe der vom dortigen Beklagten zu übernehmenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

Im hier maßgeblichen Ausgangsverfahren – und ebenso im Parallelverfahren – erhob der Kläger, anwaltlich vertreten, am 24. Februar 2016 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main und kündigte eine Klagebegründung an. Am 8. Juni 2016 legte der Beklagte des Ausgangsverfahrens nach Erinnerung des Gerichts vom 10. Mai 2016 seine Verwaltungsakten vor und beantragte Klageabweisung. Mit Eingang am 5. Juli 2016 reichte der Kläger die angekündigte Klagebegründung ein. Dabei nahm er die Klage hinsichtlich der Leistungen für die Zeit von August bis November 2013 zurück. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens erwiderte zunächst sehr kurz durch Schreiben vom 29. Juli 2016 und nach entsprechender Aufforderung durch das Gericht ausführlich durch Schreiben vom 26. September 2016. Der Kläger äußerte sich daraufhin nochmals am 22. November 2016, der Beklagte durch Schreiben vom 30. November 2016 mit Eingang am 2. Dezember 2016. Auf die Übermittlung dieses Schreiben äußerte die Bevollmächtigte des Klägers sich mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 dahin, nach ihrer Auffassung sei das Verfahren ausgeschrieben.

Nachdem ein zwischenzeitlicher Verfahrensfortgang nicht ersichtlich ist, fragte der Kläger mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 15. August 2018 "höflich an, wann mit einem Verhandlungstermin gerechnet werden" könne. Die Klage datiere bereits vom 23. Februar 2016. Das Sozialgericht teilte daraufhin am 23. August 2018 mit, das Verfahren sei zur Sitzung vorgesehen, ein konkreter Termin könne jedoch noch nicht benannt werden. Unter dem 24. Januar 2019 erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung für den 1. März 2019. Nachdem diese bei seiner Prozessbevollmächtigten am 28. Januar 2019 zugestellt worden war, erhob der Kläger durch diese am 6. Februar 2019 Verzögerungsrüge. Im Termin zur mündlichen Verhandlung gab der Beklagte des Ausgangsverfahrens ein Teilanerkenntnis ab; der Kläger nahm dieses an und die Klage im Übrigen zurück.

Am 23. August 2019 hat er gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Sohn zum hiesigen Ausgangsverfahren und zu den beiden Parallelverfahren Entschädigungsklage wegen der nach ihrer Auffassung unangemessenen Dauer dieser Verfahren erhoben, nachdem er zuvor entsprechende Ansprüche ohne Erfolg außergerichtlich geltend gemacht hatte. Der Senat hat das Entschädigungsklageverfahren hinsichtlich der drei unterschiedlichen Ausgangsverfahren durch Beschluss vom 9. Oktober 2019 aufgetrennt.

Zur Begründung seines Entschädigungsbegehrens macht der Kläger im Wesentlichen geltend, gemäß der einschlägigen Rechtsprechung komme es in den ersten zwölf Monaten eines Verfahrens noch nicht zu einer Verzögerung. Hier lägen jedoch anschließend Zeiträume der Verzögerung vom 1. Januar 2017 bis 31. März 2017, vom 1. Juni 2017 bis zum 31. Juli 2018 sowie vom 1. Oktober 2018 bis zum 31. Dezember 2018 vor, so dass ihm Entschädigung für 20 Monate und also in Höhe von 2.000,- Euro zuzubilligen sei. Zusätzlich habe der Beklagte die Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 255,85 Euro zu tragen.

Die Verzögerungsrüge sei entgegen der Auffassung des Beklagten nicht verspätet, auch wenn sie erst nach Zugang der Ladung zur mündlichen Verhandlung erhoben worden sei. Eine Frist für ihre Erhebung sei nur im Rahmen von § 198 Abs. 5 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vorgesehen. Anderweitige Fristen seien gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verzögerungsrüge könne vielmehr erhoben werden, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestünden, dass das Verfahren sich verzögern werde, oder eine Verzögerung bereits eingetreten sei. Eine Rüge zu einem späteren Zeitpunkt sei unschädlich und begrenze den Entschädigungsanspruch nicht. Im Übrigen habe er im Ausgangsverfahren schon durch die Sachstandsanfrage vom 15. August 2018 Verzögerungsrüge erhoben. Er habe damit dem Sozialgericht gegenüber erklärt, dass er mit der Dauer des Verfahrens nicht einverstanden sei und eine Beschleunigung verlange.

Zu der Frage, welchen Zweck er mit der Erhebung der (ausdrücklichen) Verzögerungsrüge (erst) nach Zugang der Ladung verfolgt habe, hat seine Prozessbevollmächtigte in dem (auch) insoweit gleichgelagerten Parallelverfahren in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, Beweggrund sei ein von ihr geführtes Gespräch mit einem Richter am überlasteten Sozialgericht Duisburg gewesen, wie die Anwaltschaft durch die Erhebung von Verzögerungsrügen unterstützend wirken könne. Weiter sei es, so hat der Kläger selbst im Parallelverfahren geltend gemacht, darum gegangen, auf diese Weise noch einmal die Verzögerung deutlich zu machen, nachdem er zuvor durch seine Prozessbevollmächtigte schon ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass das Verfahren ausgeschrieben sei, und sich schon mit einer Sachstandsanfrage an das Gericht gewandt habe. Entscheidend sei gewesen, dass die Verfahren immer wieder so lang gelegen hätten. Damit seien für ihn auch Nachteile verbunden gewesen, weil in der mündlichen Verhandlung im Ausgangsverfahren "gar nicht mehr alles zur Sprache gekommen" sei. Es habe aufgrund der Dauer des Verfahrens nicht mehr alles nachvollzogen werden können. Außerdem sei, wie namentlich seine Ehefrau in dem von ihr und dem gemeinsamen Sohn geführt Parallelverfahren betont hat, eine solch lange Dauer auch belastend. Daher hätten sie mit den Verzögerungsrügen dagegen angehen wollen.

Auch sei eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend. Die überlange Verfahrensdauer habe nicht in seinem Verantwortungsbereich gelegen. Auch habe das Ausgangsverfahren für ihn erhebliche Bedeutung gehabt, da es um existenzsichernde Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch gegangen sei. Entgegen der Auffassung des Beklagten komme es dabei weder darauf an, auf welchen Betrag er sich mit dem Beklagten des Ausgangsverfahrens vergleichsweise geeinigt habe, noch darauf, ob ein weiteres Parallelverfahren mit dem hiesigen Ausgangsverfahren verknüpft gewesen sei oder nicht. Es sei vielmehr jedes Verfahren einzeln daraufhin zu prüfen, ob eine überlange Verfahrensdauer bestanden habe und die Umstände des Einzelfalles eine Wiedergutmachung in Geld notwendig machten.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main mit dem Aktenzeichen S 9 AS 197/16 einen Entschädigungsbetrag von 2.000, Euro für die daraus erwachsenen immateriellen Nachteile und weitere 255,85 Euro wegen der von ihm aufgewendeten außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 1. August 2019 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte macht geltend, dem Kläger stehe trotz der Dauer des Verfahrens weder ein Entschädigungsanspruch in Geld noch ein Anspruch auf Feststellung zu, dass die Dauer des Ausgangsverfahrens unangemessen lang gewesen sei. Trotz des Umstandes, dass das Ausgangsverfahren für 24 Monate nicht betrieben worden sei, sei dessen Dauer im konkreten Einzelfall nicht unangemessen. Es habe nämlich für den Entschädigungskläger mit Blick auf das weitere von ihm parallel geführte Klageverfahren zum Aktenzeichen S 9 AS 195/16 keine eigenständige Bedeutung gehabt. Insoweit dürfe nicht übersehen werden, dass die Streitgegenstände beider Verfahren untrennbar dergestalt miteinander verbunden gewesen seien, dass es dem Entschädigungskläger letztlich allein um die Berücksichtigung ungekürzter Unterkunftskosten bei der endgültigen Leistungsbewilligung gegangen sei, die denknotwendig zu einer Reduzierung der im Parallelverfahren streitigen Erstattungsforderung hätte führen müssen.

Ungeachtet dessen stehe dem Entschädigungskläger aber auch deshalb kein Entschädigungsanspruch zu, weil er die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG verspätet erhoben habe. Die nach der Ladung zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung erhobene Verzögerungsrüge sei zwar wirksam, aber offenkundig allein deshalb angebracht worden, um dem Kläger trotz nahendem Abschluss des Ausgangsverfahrens noch einen Entschädigungsanspruch in Geld sichern zu können. Einer Verfahrensbeschleunigung, der die Verzögerungsrüge unter anderem diene, habe es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bedurft und sie wäre dem Gericht im Übrigen zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht mehr möglich gewesen. Die Verzögerungsrüge verfolge aber eine doppelte Intention: Zum einen solle sie dem Gericht als Vorwarnung dienen und es zur Förderung und Beschleunigung des Verfahrens veranlassen; zum anderen solle sie ein bloßes "Dulde und Liquidiere" verhindern. Wenn ein Beteiligter die Verzögerungsrüge verspätet erhebe, wie das im vorliegenden Fall geschehen sei, und dies bei Würdigung der Gesamtumstände ein "Dulde und Liquidiere" darstelle, solle eine Verzögerung statt durch die Gewährung einer Entschädigung anderweitig berücksichtigt werden (Verweis auf BT-Drucks. 17/3802, S. 21). Eine frühere Verzögerungsrüge sei entgegen der Auffassung des Entschädigungsklägers nicht ersichtlich: Namentlich könne in dessen Sachstandsanfrage vom 15. August 2018 keine Verzögerungsrüge gesehen werden. Einer derartigen einfachen Sachstandsanfrage sei kein eindeutiges Verlangen nach einer Beschleunigung des Verfahrens zu entnehmen.

Weiter sei auch der Einwand des Klägers unzutreffend, die bloße Feststellung der überlangen Dauer des Ausgangsverfahrens sei in seinem Fall für eine Wiedergutmachung nicht ausreichend. Insbesondere könne keine Rede davon sein, dass das Ausgangsverfahren für ihn von erheblicher Bedeutung gewesen sei. Namentlich habe sich dessen Dauer im konkreten Fall für ihn sogar vorteilhaft ausgewirkt, nachdem dort die endgültige Festsetzung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch und [daran anknüpfend im Parallelverfahren] Erstattungsansprüche des Beklagten des Ausgangsverfahrens im Streit gestanden hätten. Dessen Dauer habe bewirkt, dass dem Kläger der Betrag entsprechend lange gewissermaßen als zinsloses Darlehen zur Verfügung gestanden habe. Auch habe die Möglichkeit bestanden, dass er zwischenzeitlich wieder Arbeit finde, so dass er die Erstattung nicht während des laufenden Bezugs von Grundsicherungsleistungen hätte zurückführen müssen. Für den verlangten Ausgleich der Rechtsverfolgungskosten schließlich fehle es an einer Anspruchsgrundlage.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakten sowohl zum Entschädigungsklage- als auch zum Ausgangsverfahren, und zwar sowohl zum hiesigen als auch zu den Parallelverfahren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber überwiegend unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Entschädigung in Geld wegen der mit der Überlänge des Ausgangsverfahrens verbundenen immateriellen Nachteile wie auch wegen der Kosten der außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung sowie der Zinsanspruch nicht zu. Allerdings hat er Anspruch auf die Feststellung einer unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens in einem Umfang von zwölf Monaten.

I. Gegenstand des Verfahrens sind nach dem Trennungsbeschluss des Senats vom 9. Oktober 2019 nur noch Ansprüche wegen der Überlänge des unter dem Aktenzeichen S 9 AS 195/16 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main geführten Rechtsstreits. Daher ist am hiesigen Verfahren auch nur der Kläger, nicht aber seine Ehefrau und sein Sohn beteiligt, wie durch die Antragstellung in der mündlichen Verhandlung nur zusätzlich klargestellt worden ist.

Neben beziehungsweise hilfsweise zu dem Entschädigungsanspruch in Geld wird regelmäßig – und auch hier – ein auf die Feststellung der Überlänge gerichtetes Begehren Gegenstand des Verfahrens; eines gesonderten Antrags hierfür bedarf es kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Anders als in den beiden Parallelverfahren liegt im hiesigen Verfahren auch kein (angenommenes) Teilanerkenntnis vor, so dass dieser Feststellungsanspruch in vollem Umfang streitig ist.

II. Die Klage ist zulässig. Die auf Entschädigung in Geld gerichtete Klage ist als reine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG), für den Hilfsantrag eine Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 SGG) statthaft. Der Kläger hat zudem die Wartefrist aus (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eingehalten. Das Landessozialgericht ist schließlich– erstinstanzlich – für die Entscheidung zuständig (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG). Auch sonstige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit bestehen nicht.

III. Die Klage ist jedoch nur hinsichtlich des Feststellungsantrags und auch insofern nur teilweise begründet.

1. Das Ausgangsverfahren dauerte allerdings – was dem Grunde nach zwischen den Beteiligten zu Recht gar nicht streitig ist – unangemessen lang. Allerdings geht der als unangemessen zu bewertende Teil der Verfahrensdauer nicht über zwölf Monate hinaus.

a) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Der unbestimmte Rechtsbegriff "unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist dabei insbesondere unter Rückgriff auf die Grundsätze auszulegen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention und das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art 19. Abs. 4 Grundgesetz – GG –) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben (BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136, Rn. 30, BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 – B 10 ÜG 7/14 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 10, Rn. 25). Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich (vgl. am Maßstab von Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1980 – 2 BvR 419/80 –, BVerfGE 55, 349, 369; BVerfG, Beschluss vom 30. August 2016 – 2 BvC 26/14 – Vz 1/16 –, juris), zumal Zügigkeit und Verfahrensbeschleunigung keine absoluten Werte darstellen, sondern stets im Zusammenhang mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen, insbesondere dem Amtsermittlungsgrundsatz und dem damit korrespondierenden Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer gründlichen und zutreffenden Bearbeitung durch das Gericht, zu sehen sind. Kleinste in diesem Rahmen relevante Zeiteinheit ist der Kalendermonat (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136, Rn. 30).

Die Prüfung der Unangemessenheit hat ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben in mehreren Schritten zu erfolgen (vgl. zum Folgenden: BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, juris, Rn. 30; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Verfahren, § 198 GVG Rn. 97 ff.): Ausgehend von der Gesamtverfahrensdauer und unter Berücksichtigung seiner Schwierigkeit und Bedeutung ist das Verfahren daraufhin zu untersuchen, ob in den einzelnen Verfahrensabschnitten eine angemessene Sachbehandlung im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes stattgefunden hat. Dabei ist im Wege der Abwägung der genannten Faktoren festzustellen, ob der Entschädigungskläger diese Dauer, insbesondere wegen des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten, im jeweiligen Abschnitt hinzunehmen hat oder aber diese dem Staat als unzureichende Verfahrensförderung zuzurechnen ist. Im Rahmen einer umfassenden Abwägung vor dem Hintergrund der Gesamtverfahrensdauer ist schließlich zu prüfen, ob Verzögerungen kompensiert wurden oder aber eine unangemessene Gesamtverfahrensdauer eingetreten ist. Wegen der Einzelheiten kann auf die Urteile des erkennenden Senats vom 27. November 2019 – L 6 SF 24/17 EK KR –, juris, Rn. 37 f. und vom 1. August 2018 – L 6 SF 2/18 EK SB –, juris, Rn. 29 ff. Bezug genommen werden.

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Überlänge des Ausgangsverfahrens im Umfang von (nur) zwölf Monaten festzustellen.

Das Ausgangsverfahren dauerte von der Klageerhebung am 24. Februar 2016 bis zu seiner Erledigung in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 1. März 2019 (knapp über) drei Jahre.

Dabei ist es bis Dezember 2016 nicht zu einer dem Gericht zuzurechnenden Verzögerung gekommen: Nach der Klageerhebung dauerte es zunächst bis Juli 2016 bis – nach Erinnerung durch das Sozialgericht – die Akten des Beklagten des Ausgangsverfahrens sowie die – angekündigte – Klagebegründung vorlagen. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens erwiderte hierauf im September 2016. Es folgte anschließend weiterer Schriftwechsel der Beteiligten bis Dezember 2016.

Dagegen ist in der dann folgenden Zeit bis zur Ladung zur mündlichen Verhandlung im Januar 2019 ein Verfahrensfortschritt nicht ersichtlich; nachdem beide Beteiligte zu erkennen gegeben hatten, dass sie das Verfahren für ausgeschrieben beziehungsweise entscheidungsreif hielten, und das Gericht auch seinerseits keine weiteren Maßnahmen zur Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Situation für veranlasst hielt, ist somit der Zeitraum von Januar 2017 bis Dezember 2018 je einschließlich als dem Gericht zurechenbare Zeit der Inaktivität zu qualifizieren.

Dem steht allerdings die übliche Bearbeitungs- und Überlegungsfrist des Gerichts von zwölf Monaten gegenüber (vgl. zu dieser grdl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 B 10 ÜG 2/13 R –, BSGE 117, 21, Rn. 45 ff.; außerdem BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, juris, Rn. 53; erk. Senat, Urteil vom 27. November 2019 – L 6 SF 24/17 EK KR –, juris, Rn. 45 ff.). Es gibt im vorliegenden Verfahren keinen Anlass, diese zu verkürzen. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt diese Frist auch keineswegs zwingend in den ersten zwölf Monaten eines Verfahrens; vielmehr hat das Bundessozialgericht ausdrücklich und nach Auffassung des Senats zutreffend ausgeführt, dass diese Zeitspanne in der Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage beziehungsweise die Einlegung der Berufung liegen werde, in der das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorge und Entscheidungsunterlagen beiziehe; die Vorbereitungs- und Bedenkzeit könne vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein (BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R –, BSGE 117, 21, Rn. 46).

Soweit der Kläger sich zur Unterstützung seiner Auffassung auf Rechtsprechung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen beruft, ist dies für den Senat jedenfalls anhand der veröffentlichten Rechtsprechung des Gerichts nicht nachvollziehbar: Vielmehr verweist das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gerade in jüngeren Entscheidungen schlicht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Bearbeitungs- und Überlegensfrist, ohne sich auch nur in Details von dieser abzusetzen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 19. September 2018 – L 11 SF 362/17 EK KR –, juris, Rn. 37; LSG NRW, Urteil vom 16. Mai 2018 – L 11 SF 2/17 EK KN –, juris, Rn. 46; LSG NRW, Beschluss vom 4. März 2016 – L 11 SF 554/15 EK SB –, juris, Rn. 53 ff.). In früheren Entscheidungen hatte das Landessozialgericht zwar Bedenken gegenüber der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts formuliert, allerdings in methodischer Hinsicht und ohne deswegen, wie von Klägerseite behauptet, einen festen Zeitraum von zwölf Monaten gerade zu Verfahrensbeginn zu postulieren, in dem es nicht zu einer Überlänge komme (vgl. LSG NRW, Urteile vom 17. Februar 2016 – L 11 SF 86/16 EK SB –, juris, Rn. 61 ff. und – L 11 SF 398/15 EK SG –, juris, Rn. 69 ff.), und ohne sich deswegen im Ergebnis von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu lösen (vgl. beispielhaft auch LSG NRW, Urteil vom 25. November 2015 – L 11 SF 215/15 EK R –, juris, Rn. 51 f.). Der Senat hält daher an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Bearbeitungs- und Bedenkzeit von regelmäßig zwölf Monaten nicht notwendig am Stück und (regelmäßig gerade) nicht am Anfang des Verfahrens liegen muss.

Schließlich führen auch die weiteren in die Gesamtabwägung einzubeziehenden Faktoren weder zu einer Reduzierung noch zu einer Erhöhung der vom Kläger hinzunehmenden Verfahrensdauer; namentlich entfällt entgegen der Auffassung des Beklagten die Annahme einer unangemessen langen Dauer des Verfahrens nicht mit Blick auf das anhängige Parallelverfahren: Vielmehr musste der Entschädigungskläger schon deswegen auch im hiesigen Ausgangsverfahren Klage erheben, weil andernfalls die endgültige Festsetzung eines aus seiner Sicht zu niedrigen Leistungsbetrages bindend geworden und er schon deswegen mit der im Parallelverfahren erhobenen Klage gegen die Erstattung vermeintlich überzahlter vorläufiger Leistungen keinen Erfolg hätte haben können.

Jedenfalls wenn – wie hier – der Leistungsträger mehrere Bescheide erlässt, statt mehrere inhaltliche Verfügungen in einem Bescheid zusammenzufassen – konkret die endgültige Festsetzung der Grundsicherungsleistungen einerseits und damit zeitlich und inhaltlich zusammenhängende Erstattungsforderungen andererseits – kann dem Betroffenen auch im Rahmen des Entschädigungsrechts nicht entgegengehalten werden, dass diese inhaltlich eng verbunden gewesen seien und er dementsprechend gegen beide im Wege der objektiven Klagehäufung und also im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens hätte vorgehen können. Entscheidend ist vielmehr, dass er vorliegend gegen beide Bescheide vorgehen musste, um sein Rechtsschutzziel zu erreichen, und sich letztlich nur der von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens gewählten Ausgestaltung des Verfahrens durch die Aufteilung auf mehrere Bescheide angepasst hat. Das letztlich identische wirtschaftliche Interesse kann insofern zwar bei der Bedeutung des Verfahrens berücksichtigt werden und auch dazu führen, dass eine Wiedergutmachung durch die Feststellung der Überlänge ausreichend ist; es hat jedoch nicht zur Konsequenz, dass von vornherein die Dauer des Verfahrens nicht als unangemessen qualifiziert werden könnte.

Im Ergebnis weist das Verfahren damit eine Überlänge auf, die allerdings – ganz ähnlich wie im Parallelverfahren der Ehefrau und des Sohnes des Klägers unter dem Aktenzeichen L 6 SF 17/19 EK AS – nur zwölf Monate beträgt. Nachdem der Beklagte im hiesigen Verfahren eine unangemessene Verfahrensdauer in entsprechendem Umfang nicht anerkannt hat, hat die Klage in diesem Umfang Erfolg.

2. Ein Anspruch auf Entschädigung in Geld scheitert schon daran, dass der Kläger nicht wirksam Verzögerungsrüge erhoben hat.

Entschädigung in Geld erhält ein Verfahrensbeteiligter nach (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Dieser kommt Warn- und Beschleunigungsfunktion zu (vgl. BT-Drucks. 17/3802 Satz 20; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 28). Zweckbestimmung einer Verzögerungsrüge ist danach, wie das Bundessozialgericht unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien überzeugend formuliert hat, dass sie dem mit der Sache befassten Gericht – soweit erforderlich – die (zukunftsgerichtete) Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und insofern als Vorwarnung dienen soll (BSG, Urteil vom 27. März 2020 – B 10 ÜG 4/19 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 19, Rn. 27). Die Verzögerungsrüge hat dementsprechend den Charakter einer "Mahnung" (so Loytved, SGb 2014, 293, 295).

Sie dient damit dem Primärrechtsschutz, soll dem Betroffenen also helfen, sein – vom Gesetzgeber unterstelltes – Ziel, ihm Rechtsschutz in angemessener Zeit zu verschaffen, als solches zu realisieren. Zugleich soll ein sogenanntes "Dulde und liquidiere" ausgeschlossen werden; es soll einem Verfahrensbeteiligten also nicht ermöglicht werden, einem Prozess seinen Lauf zu lassen und im Nachhinein Entschädigung zu verlangen, ohne zuvor dem Gericht gegenüber rechtzeitig kenntlich gemacht zu haben, dass nach seiner Auffassung eine überlange Verfahrensdauer droht (vgl. ähnl. LSG NRW, Beschluss vom 4. Dezember 2013 – L 11 SF 398/13 EK AS –, juris, Rn. 22). Dies würde dem zentralen Gesetzeszweck widersprechen, überlange Gerichtsverfahren gerade zu verhindern (vgl. BSG, Urteil vom12. Dezember 2019 – B 10 ÜG 3/19 R –, juris, Rn. 46). Kann die Verzögerungsrüge diesen Zweck auf Grund ihrer gemessen daran verspäteten Erhebung nicht mehr erfüllen, erfolgt sie vielmehr (gerade erst) zu einem Zeitpunkt, zu dem das Gericht von sich aus Maßnahmen veranlasst hat, die einen baldigen Verfahrensabschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, so liegt regelmäßig eine auf ein "Dulde und Liquidiere" gerichtete Gestaltung des Verfahrens nahe (vgl. ähnl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. April 2017 – L 15 SF 18/16 EK AS –, juris, Rn. 15).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Verzögerungsrüge vorliegend nicht wirksam: Der Kläger hat sie vielmehr erst (unmittelbar) nach (und damit erkennbar als Reaktion auf den) Zugang der Ladung zur mündlichen Verhandlung erhoben. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen; im Gegenteil war nunmehr ein Ende des Verfahrens auch unabhängig von der Verzögerungsrüge und auf Grund des davon unabhängigen Bemühens des Ausgangsgerichts um den Fortgang des Verfahrens alsbald zu erwarten, nachdem keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich waren, dass das Sozialgericht den Rechtsstreit nicht – wie in § 106 Abs. 2 SGG für den Regelfall vorgesehen – in der anberaumten mündlichen Verhandlung würde erledigen können. Überdies war zu diesem Zeitpunkt eine Beschleunigung des Verfahrens nicht mehr möglich, da das Sozialgericht zur mündlichen Verhandlung geladen hatte und angesichts der sich vollständig im üblichen Rahmen bewegenden Ladungsfrist von fünf Wochen weder Anlass noch Raum für eine Umladung auf einen früheren Termin bestand; eine – ohnehin nur theoretisch denkbare – Umladung auf Grund der Verzögerungsrüge hätte unter Berücksichtigung der Ladungsfrist von in der Regel zwei Wochen (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG) keine nennenswerte Verkürzung des Verfahrens bewirken können.

Auch die im Rahmen der mündlichen Verhandlung (im Parallelverfahren) auf Befragen des Gerichts angebotenen Argumente des Klägers für die erst nach Zugang der Ladung erhobene Verzögerungsrüge vermögen nicht zu einer anderen Bewertung zu führen: Seine Prozessbevollmächtigte hat dazu auf ein Gespräch mit einem Richter des Sozialgerichts Duisburg verwiesen, wonach durch die Erhebung von Verzögerungsrügen dieses Gericht in einer Situation der Überlastung [offenbar in dessen Bemühen um zusätzliches Personal] unterstützt werden sollte. Der Senat lässt offen, ob eine derartige fremdnützige Intention auch für ein ganz anderes Gericht – noch dazu in einem anderen Bundesland – plausibel dargetan werden kann, ohne dass (auch) von dort Hinweise vorliegen, dass Hilfe in dieser Form erwünscht sein könnte. Jedenfalls erklärt auch dies nicht den (zu) späten Zeitpunkt für die Erhebung der Rüge. Auch das Vorbringen des Klägers, es sei um die Verdeutlichung der Verzögerung gegangen, erscheint dem Senat nicht plausibel, weil ein Bedarf dafür angesichts des nahen Verfahrensabschlusses nicht nachvollziehbar ist. Das weitere Argument, mit der langen Dauer seien Nachteile verbunden gewesen, weil in der mündlichen Verhandlung im Ausgangsverfahren "nicht mehr alles zur Sprache gekommen" sei und nicht mehr alle relevanten Umstände nachvollziehbar gewesen seien, ist schon deswegen untauglich, weil der Kläger dies zum Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge kurz vor der mündlichen Verhandlung noch nicht gewusst haben kann.

Schließlich ist die Belastung durch die lange Verfahrensdauer, welche die Ehefrau des Klägers im Parallelverfahren in diesem Zusammenhang betont hat, zwar prinzipiell gerade das zentrale Argument für den vom Gesetz eingeräumten Entschädigungsanspruch wegen immaterieller Nachteile, kann aber auch nicht erklären, warum der Kläger Verzögerungsrüge just zu dem Zeitpunkt erhoben hat, zu dem ein baldiges Ende dieser langen Dauer auf Grund der Ladung zum Termin absehbar geworden ist. Im Übrigen steht das Vorbringen seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung im Parallelverfahren, wonach die lange Verfahrensdauer auch vor dem Hintergrund des Ausscheidens aus dem Bezug von Grundsicherungsleistungen im Sommer 2016 und des Wunsches, etwaige Schulden zu begleichen und die Angelegenheit erledigt zu wissen, eine Belastung gewesen sei, in einem merklichen Spannungsverhältnis zu der Argumentation im Schriftsatz der gemeinsamen Prozessbevollmächtigten vom 28. Februar 2020, in dem die besondere Bedeutung des Verfahrens mit der auf Grund der finanziellen Situation drohenden Verschuldung begründet wird.

Im Ergebnis folgen weder aus dem eigenen Vorbringen des Klägers noch aus dem Vorbringen in den Parallelverfahren plausible Argumente für den für die Verzögerungsrüge gewählten Zeitpunkt; es ist damit nicht geeignet, die angesichts des zeitlichen Ablaufs sich aufdrängende Vermutung, es liege der vom Gesetz gerade nicht gewollte Fall eines "Dulde und Liquidiere" vor, zu entkräften, auch wenn, worauf der Kläger im Ausgangspunkt zu Recht hinweist, gesetzlich ein bestimmter Zeitpunkt für die Erhebung einer Verzögerungsrüge nicht vorgegeben ist. Unter den konkreten Umständen ist jedoch die nach dem Zugang der Ladung erhobene Verzögerungsrüge nach Auffassung des Senats nicht wirksam, da sie zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks von vornherein und erkennbar nicht mehr geeignet war.

Eine frühere Verzögerungsrüge liegt nicht vor, namentlich kann sie der vom Kläger in diesem Zusammenhang angeführten Sachstandsanfrage vom 15. August 2018 nicht entnommen werden. Zwar ist die Verzögerungsrüge nicht formgebunden; auch hat der Gesetzgeber konkrete Anforderungen an ihren Inhalt nicht formuliert (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2020 – B 10 ÜG 4/19 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 1, Rn. 25 f.); der Beteiligte muss lediglich, aber immerhin zum Ausdruck bringen, dass er mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist und eine Beschleunigung des Verfahrens verlangt (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 21). Ist dies dem Inhalt einer Erklärung in Verbindung mit den Umständen, die für das Gericht erkennbar sind, zu entnehmen, so wäre es, wie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, bloße Förmelei, diese Erklärung allein deshalb nicht als Verzögerungsrüge anzusehen, weil sie nicht als solche ausdrücklich bezeichnet oder unzulänglich formuliert ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. Dezember 2015 – 1 BvR 3164/13 –, juris Rn. 31 f.; BSG, Urteil vom 27. März 2020 – B 10 ÜG 4/19 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 19, Rn. 28; BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 X K 13/12 –, BFHE 243,126 = juris Rn. 27; Wenner, SozSich 2014, 118, 120).

Trotz der danach regelmäßig geringen Anforderungen an die Erhebung einer Verzögerungsrüge und der verfassungsrechtlich gebotenen wohlwollenden Betrachtung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. Dezember 2015 – 1 BvR 3164/13 –, juris, Rn. 38) ist der Senat jedenfalls bei anwaltlich vertretenen Beteiligten wie dem hiesigen Kläger der Auffassung, dass im Regelfall zwischen einer bloßen Sachstandsanfrage und einer Verzögerungsrüge zu unterscheiden ist (vgl. hierzu auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10. Juli 2019 – L 13/15 SF 12/17 EK (AS) –, juris, und die Anm. zu dieser Entscheidung von Loytved, jurisPR 19/2019 Anm. 4; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 12. Juni 2019 – 1 EK 4/18 –, juris, Rn. 8; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Dezember 2014 – L 37 SF 129/14 EK KR –, juris, Rn. 37; zum gegenteiligen Fall, bei dem in einem als Sachstandsanfrage bezeichneten Schreiben der Regelungsgehalt von § 198 GVG angesprochen worden und daher eine Auslegung als Verzögerungsrüge möglich war: BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. Dezember 2015 – 1 BvR 3164/13 –, juris).

Bei rechtskundiger Vertretung kann das Gericht als Empfänger der Erklärung davon ausgehen, dass dem Beteiligten die Anforderungen an eine Verzögerungsrüge bekannt sind. Es darf daher eine schlichte Sachstandsanfrage beziehungsweise einer Anfrage, wann mit einer mündlichen Verhandlung gerechnet werden könne, dahin verstehen, dass damit das Verfahren nur in Erinnerung gebracht werden soll. Auch wenn dabei die Dauer des Verfahrens erwähnt wird, bringt jedenfalls ein anwaltlich vertretener Beteiligter auf diese Weise regelmäßig (gerade noch) nicht zum Ausdruck, dass er mit der bisherigen Verfahrensdauer nicht einverstanden ist und – unabhängig von der Antwort auf seine Anfrage – eine Beschleunigung des Verfahrens verlangt.

Das wird gerade im vorliegenden wie in den Parallelverfahren deutlich: Das Sozialgericht hat die Sachstandsanfrage vom 15. August 2018 wenige Tage später beantwortet. Wenn der Kläger sich damit nicht hätte zufriedengeben und eine weitergehende Verfahrensbeschleunigung hätte bewirken wollen, wäre jedenfalls bei anwaltlicher Vertretung zu erwarten gewesen, dass er dies für das Gericht erkennbar verdeutlicht und nicht Verzögerungsrüge gerade erst dann erhebt, wenn der Termin zur mündlichen Verhandlung, für den die Kammervorsitzende bei ihrer Antwort ein Datum noch nicht hatte benennen können, tatsächlich anberaumt wird.

3. Der Kläger kann eine Entschädigung in Geld überdies deswegen nicht verlangen, weil angesichts der konkreten Umstände ausnahmsweise eine Wiedergutmachung auf andere Weise, konkret durch die Feststellung, dass das Verfahren unangemessen lange gedauert hat, ausreichend ist.

Zwar erlaubt diese in (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 GVG ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit nur in Ausnahmefällen das Absehen von einer Entschädigung in Geld (vgl. hierzu B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG– Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 26a – dort auch zur Regel-Ausnahme-Struktur des Gesetzeswortlauts, der auf den ersten Blick ein anderes Verständnis nahezulegen scheint). Eine Feststellung der Überlänge kann aber nach Auffassung des Senats trotz ihres Ausnahmecharakters namentlich dann ausreichend sein, wenn der mit dem Verfahren erstrebte finanzielle, ideelle oder sonstige Vorteil erkennbar geringfügig oder gar nicht (mehr) erkennbar ist, die Dauer des Verfahrens sich nicht zum Nachteil des Betroffenen ausgewirkt hat, die Verzögerungsrüge mit Blick auf ihren Zweck verspätet erhoben wurde oder/und der eine Entschädigung begehrende Beteiligte auf Grund seines (Gesamt )Verhaltens wesentlich zur Verzögerung beigetragen hat (vgl. zu diesem Fragenkreis auch die Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drucks. 17/3802, S. 20 f.; außerdem BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 – B 10 ÜG 1/12 KL –, BSGE 113, 75, Rn. 45; BFH, Urteil vom 17. April 2013 – X K 3/12 –, BFHE 240, 516, Rn. 53 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Oktober 2017 – L 2 SF 248/17 EK AS –, juris, Rn. 44; Engel Boland, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 202 Rn. 53; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 26a).

Auch in diesem Zusammenhang kommt daher der Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge als Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch in Geld (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG) und dem mit ihr verfolgten Zweck zentrale Bedeutung zu. Sie dient der Verfahrensbeschleunigung und der Missbrauchsabwehr. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.

Der Beklagte hat zudem zutreffend hingewiesen, dass die Dauer des Ausgangsverfahrens auf Grund von dessen Streitgegenstand jedenfalls unter finanziellen Gesichtspunkten für den Kläger nicht von Nachteil war. Das mag zwar im vorliegenden Verfahren weniger eindeutig sein als in den Parallelverfahren, nachdem das hiesige Ausgangsverfahren die Festsetzung höherer endgültig zu bewilligender Leistungen betraf. Wirtschaftlich ging es nach Lage der Dinge aber letztlich auch im hiesigen Verfahren darum, die Erstattungsforderung hinsichtlich der vorläufigen Leistungen, die der Kläger bereits erhalten hatte, zu reduzieren. Es kommt hinzu, dass nach der frühen Teilklagerücknahme im hiesigen Ausgangsverfahren in diesem ohnehin nur noch Leistungen für zwei Monate streitig waren. Konkret wandte sich der Kläger gegen eine Reduzierung des vom Beklagten des Ausgangsverfahrens anerkannten Bedarfes für Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II um monatlich 230 Euro, die zudem auf die drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, also den Kläger, seine Ehefrau und seinen Sohn, aufzuteilen waren.

Damit war das Verfahren selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei einem Bezieher von Grundsicherungsleistungen schon vergleichsweise kleine Beträge von erheblichem Gewicht sein können, von eher untergeordneter Bedeutung. Zusätzlich ist im hiesigen Zusammenhang die enge Verknüpfung mit dem Parallelverfahren zu berücksichtigen: Der Sache nach ging es um die Abwehr von Erstattungsforderungen, deren Umfang von der Höhe der im hiesigen Verfahren streitigen endgültigen Festsetzung abhing; insoweit bewirkte das (parallele und mit dem hiesigen inhaltlich auf engste verknüpfte) Ausgangsverfahren S 9 AS 195/16 auf Grund der mit ihm verbundenen aufschiebenden Wirkung (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG), dass der Kläger jedenfalls bis zu dessen Abschluss mit der Rückzahlung abwarten konnte und Vollziehungsmaßnahmen nicht zu gewärtigen hatte. In derartigen Fällen wirkt sich die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens – gerade wenn die in Streit stehenden Forderungen, wie im konkreten Fall, letztlich in überwiegendem Umfang Bestand haben – unter finanziellen Gesichtspunkten als Aufschub und damit zu Gunsten des Erstattungsschuldners aus.

Soweit die Ehefrau des Klägers in dem von ihr geführten Parallelverfahren in der mündlichen Verhandlung auf die mit der Rückforderungssituation einhergehende Belastung hingewiesen hat, übersieht der Senat nicht, dass diesem Aufschub der finanziellen Verpflichtungen auf Seiten des Leistungsempfängers der Wunsch nach einer abschließenden Klärung der eigenen Situation gegenübersteht. Im Ergebnis ist der Senat dennoch der Auffassung, dass im konkreten Fall jedenfalls angesichts des Zusammentreffens der Erhebung der Verzögerungsrüge erst zu einem Zeitpunkt, zu dem diese ihren Warn- und Beschleunigungszweck nicht mehr erfüllen konnte, und der für den Kläger mit einem Aufschub seiner Zahlungsverpflichtungen verbundenen Auswirkungen des andauernden Verfahrens – im hiesigen Verfahren vermittelt über das parallele Erstattungsverfahren – eine Wiedergutmachung auf andere Weise, konkret durch die Feststellung der Überlänge, ausreichend ist.

4. Auch der auf eine Entschädigung für materielle, durch die Verzögerung bewirkte Nachteile, konkret die Erstattung der Kosten für den Versuch der außergerichtlichen Rechtsdurchsetzung, gerichtete Anspruch kann keinen Erfolg haben.

Dabei kann offenbleiben, ob es hierfür, wie der Beklagte meint, von vornherein an einer Rechtsgrundlage fehlt oder die Aufwendungen für die außergerichtliche Durchsetzung des Anspruchs möglicherweise doch zu den entschädigungsfähigen Nachteilen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG (i.V.m. § 202 Satz 2 SGG) gehören können (vgl. in diesem Sinne etwa BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 – 5 C 1/13 –, NVwZ 2014, 1523 und wohl auch B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 27a). Ebenso kann offenbleiben, ob sich die Möglichkeit einer Wiedergutmachung auf andere Weise nur auf immaterielle Nachteile bezieht – was angesichts des Bezugs des Wortes "hierfür" in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG immerhin naheliegt –, so dass materielle Nachteile, so sie sich kausal auf die Verzögerung zurückführen lassen, in jedem Falle in Geld zu entschädigen wären. Jedenfalls aber setzen die Entschädigungsansprüche in Geld auch insoweit die wirksame Erhebung einer Verzögerungsrüge voraus.

Das vorgerichtliche anwaltliche Tätigwerden durch das Schreiben vom 15. Juli 2019 hatte überdies allein die Entschädigung in Geld zum Gegenstand. Da ein entsprechender Anspruch jedoch nicht besteht und nicht bestand, kommt auch ein Entschädigungsanspruch hinsichtlich der zu seiner Durchsetzung aufgewendeten Mittel nicht in Betracht.

5. Schließlich kann der Kläger wegen des nicht gegebenen Anspruchs in der Sache auch (Prozess-)Zinsen nicht verlangen.

IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 3, § 183 Satz 6 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Dabei erscheint eine Bewertung des Obsiegens des Klägers – durch die Feststellung einer Überlänge von immerhin zwölf, wenn auch nicht 20 Monaten – im Verhältnis zu seinem Unterliegen im Übrigen – also namentlich hinsichtlich der Entschädigung in Geld – in einem Verhältnis von eins zu fünf angemessen, nachdem der Entschädigungsanspruch in Geld erkennbar im Vordergrund des klägerischen Interesses stand und er zudem auch hinsichtlich der Feststellung der Überlänge nicht in vollem Umfang Erfolg hatte. Das Teilobsiegen des Klägers ist allerdings durchaus von Relevanz und kann nicht etwa nach § 156 VwGO unberücksichtigt bleiben, nachdem jedenfalls im konkreten Fall die Voraussetzungen eines sofortigen (Teil )Anerkenntnisses nicht vorliegen.

V. Die Revision ist nicht zuzulassen, nachdem keiner der in § 160 Abs. 2 SGG abschließend aufgeführten Gründe hierfür vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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