S 31 R 5203/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 31 R 5203/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 421/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Tätigkeit als angestellter Patentanwalt in München.

Der 1958 geborene Kläger ist seit 01.05.2001 als angestellter Patentanwalt in Bayern tätig. Er betreibt ferner in Baden-Württemberg selbstständig eine Patentanwaltskanzlei. Der Kläger ist Pflichtmitglied der Patentanwaltskammer. Seit 01.10.2003 ist der Kläger auf seinen Antrag hin Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg.

Am 03.11.2003 ging bei der Beklagten ein Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI für seine Tätigkeit als angestellter Patentanwalt in München ein. Der Befreiungsantrag enthielt eine Bestätigung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg, wonach der Kläger seit 1.10.2003 freiwilliges Mitglied dieses Versorgungswerks ist.

Die Beklagte lehnte die Befreiung mit Bescheid vom 16.01.2004 ab. Sie begründete die Ablehnung damit, dass in Bayern kein Versorgungswerk für Patentanwälte bestünde und von daher die Befreiungsvoraussetzungen für die angestellte Tätigkeit in München nicht erfüllt seien. Der Kläger legte Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2004 zurückgewiesen wurde. Im Widerspruchsbescheid ergänzte die Beklagte ihre Begründung dahingehend, dass die Mitgliedschaft des Klägers im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden- Württemberg allein auf seiner selbstständigen Tätigkeit in Baden-Württemberg beruhe, was sich auf die Tätigkeit in Bayern nicht auswirken könne.

Der Kläger erhob Klage. Er ist der Meinung, er sei nicht nur Pflichtmitglied der Patentanwaltskammer, sondern auch Pflichtmitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg. Seine angestellte Tätigkeit in München sei nicht gesondert zu betrachten, sowohl als Angestellter in München als auch als Selbstständiger in Ulm gehe er einer Tätigkeit als Patentanwalt nach. Die Voraussetzungen der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht seien für diese Tätigkeit einheitlich zu beurteilen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.01.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2004 zu verurteilen, den Kläger von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine angestellte Tä tigkeit als Patentanwalt in München zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beteiligten wurden in einem Erörterungstermin am 15.04.2005 zu einer Entscheidung des Rechtstreits durch Gerichtsbescheid angehört. Sie erklärten sich damit einverstanden. Der Kläger legte im Anschluss an den Erörterungstermin nochmals schriftsätzlich seine Rechtsauffassung dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Akte des Sozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da der Kläger für seine Tätigkeit als angestellter Patentanwalt in München keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gegen die Beklagte aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI hat. Die angefochtenen Bescheide sind somit rechtmäßig.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 werden Angestellte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich Kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen von der Versicherungspflicht befreit.

Der Befreiungsanspruch des Klägers scheitert vorliegend daran, dass er nicht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes verpflichtet ist, Mitglied in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu sein. Aus den zugänglichen Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren (vgl. Bundestagsdrucksache 13/2590 S. 18 und S. 21f) ist der Zweck dieser Regelung ersichtlich: Es sollte verhindert werden, dass die Personengruppe, die "in der jeweiligen Versorgungseinrichtung - ohne die Möglichkeit der Befreiung - pflichtversichert ist, mit einer doppelten Beitragszahlungspflicht belastet wird". Es kommt also entscheidend darauf an, ob für den Versicherten tatsächlich ein Zwang zur Mitgliedschaft in der anderweitigen Versorgung besteht, oder nicht. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut des Gesetzes (" ...durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung") als auch aus den begründenden Materialien. In diesem Punkt hat sich auch seit der ab 01.01.1996 geltenden Neufassung des § 6 SGB VI nichts geändert. Damals wurde zusätzlich als Befreiungsvoraussetzung die Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer eingeführt. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger, vgl. § 53 Abs. 1 Patentanwaltsordnung. Seine Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte hingegen beruht auf seiner freien Willensentscheidung, nicht auf einer Verpflichtung. Hätte der Kläger keinen Antrag beim Versorgungswerk gestellt, wäre er nicht dessen Mitglied. Dies ergibt sich sowohl aus dem baden-württembergischen Rechtsanwaltversorgungsgesetz (RAVG), als auch aus der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg. Gemäß § 5 RAVG sind Pflichtmitglieder unter anderem die Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg. Dies trifft auf den Kläger nicht zu. Er ist Mitglied der Patentanwaltskammer. § 6 RAVG sieht für Patentanwälte mit Kanzleisitz in Baden-Württemberg jedoch die Möglichkeit vor, auf Antrag in das Versorgungswerk aufgenommen zu werden, wenn sie den Antrag innerhalb von zwei Jahren nach der Zulassung zur Patenanwaltschaft stellen und bei der Antragstellung das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 6 Nr. 2 RAVG). Damit in Einklang steht die ab 1.1.1999 geltende Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg, deren Fassung ab 1.1.2004 insoweit im wesentlichen unverändert ist:

§ 9 Mitgliedschaft auf Antrag

(1) Mitglieder der Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg, die nicht gemäß § 5 Absätze 1 und 2 Mitglied des Versorgungswerkes sind, und Patentanwälte und freiberuflich tätige Notare mit Kanzleisitz in Baden-Württemberg werden auf Antrag Mitglieder des Versorgungswerkes, wenn sie am 01.01.1985 das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Der Antrag ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren ab dem 01.01.1985 zu stellen.

(2) Patentanwälte und freiberuflich tätige Notare mit Kanzleisitz in Baden-Württemberg, die erst nach dem 31.12.1984 zugelassen oder bestallt werden, können den Antrag innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren ab ihrer Zulassung oder Bestallung stellen, wenn sie bei Antragstellung das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

(3) § 5 Abs. 3 gilt entsprechend.

§ 5 Mitgliedschaft kraft Gesetzes

( ...)

(3) Mitglied kann nicht werden, wer berufsunfähig ist. Bei Zweifeln kann das Versorgungswerk eine vertrauensärztliche Untersuchung anordnen.

Diesen Regelungen ist eindeutig zu entnehmen, dass ein Patentanwalt nur auf seinen Antrag hin Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden- Württemberg werden kann. Eine durch Gesetz angeordnete oder auf Gesetz beruhende Verpflichtung zur Mitgliedschaft sieht weder das RAVG, noch die Satzung vor. Etwas anderes kann sich weder aus der Überschrift des § 6 RAVG, "Pflichtmitgliedschaft und Antrag" ergeben, noch aus der ursprünglichen Fassung des § 9 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg, der die Überschrift trug "Pflichtmitgliedschaft auf Antrag". Für die Beurteilung der Frage, ob eine Pflichtmitgliedschaft im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorliegt, kann es nicht auf die Verwendung des Begriffs "Pflichtmitgliedschaft" im Rechtsanwaltsversorgungsgesetz oder in der Satzung ankommen. Vielmehr ist anhand der gesetzlichen Regelungen festzustellen, ob der Versicherte vom Gesetzgeber zur Mitgliedschaft gezwungen wird oder nicht. Ein Befreiungsrecht gemäß § 6 SGB VI ist daher zu verneinen, wenn die in der landesrechtlichen Regelung oder in der Satzung so bezeichnete "Pflichtmitgliedschaft" nur auf Antrag herbeigeführt werden kann oder wenn z.B. in den jeweiligen kammerrechtlichen Regelungen die freiwillige Mitgliedschaft im Wege einer Fiktion der Pflichtmitgliedschaft gleichgestellt werden sollte (vgl. Grüner - Dalichau, Kommentar zur gesetzlichen Rentenversicherung, unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung, Anm. I zu § 6, Nr. 3, a am Ende). Ansonsten läge es in der Hand der jeweiligen Versorgungswerke, durch entsprechende kammerrechtliche Regelungen die vom Gesetzgeber festgelegte Friedensgrenze zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung zu verschieben.

Anderes folgt auch nicht aus der vom Kläger zitierten Kommentierung von Gürtner im Kasseler Kommentar (Rn 5 zu § 6 am Ende): "Beruht die Versicherungspflicht auf einem Antrag des Versicherten nach § 4, steht dies einer Befreiung nach § 6 nicht entgegen, wenn die Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung später begonnen hat( ...).": Nicht die Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung beruht hier auf Antrag, sondern die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 4 SGB VI, die - ist der Antrag einmal gestellt - nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Mitgliedschaft, von der § 6 SGB VI beim Versorgungswerk ausgeht, ist hingegen ausschließlich eine solche, die der Gesetzgeber dem Versicherten aufzwingt (so auch Klattenhoff in Hauck/Haines, Komm. zum SGB VI, § 6, Rn 39: "Eine Pflichtmitgliedschaft auf Antrag genügt grundsätzlich nicht. Eine freiwillig begründete Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung, der keine Pflichtversicherung vorausging, rechtfertigt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht.").

Dieser Rechtslage und dem tatsächlichen Geschehen entsprechend bescheinigte das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg dem Kläger auch lediglich eine freiwillige Mitgliedschaft im Versorgungswerk.

Die von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorausgesetzte sogenannte doppelte Pflichtmitgliedschaft liegt beim Kläger also nicht vor. Eine anderweitige, dem Wortlaut des Gesetzes nicht entsprechende Auslegung kommt nicht in Betracht. Zwar ist dem Kläger dahingehend zuzustimmen, dass der Gesetzgeber - dokumentiert in den oben zitierten Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren - auch das Ziel verfolgte, denjenigen Angehörigen der verkammerten Berufe, die im späteren Verlauf ihres Berufslebens in die Selbstständigkeit überwechseln, eine geschlossene Versicherungsbiografie in ihrer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu ermöglichen. Dieses gesetzgeberische Ziel wird im Falle des Klägers nicht erreicht, da er wegen seiner Angestelltentätigkeit als Patentanwalt Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen hat, bei einem - laut Klägervortrag durchaus nicht unüblichen - Wechsel in eine ausschließlich selbstständige Tätigkeit als Patentanwalt in Baden-Württemberg aber in die berufsständische Versorgung einzahlen würde. Aus dem Gesamtkontext der Regelung des § 6 SGB VI ist jedoch ersichtlich, dass der Gesetzgeber solche Brüche in der Versicherungsbiografie durchaus in Kauf nimmt. Dies zeigt ein Blick auf § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI, wonach eine Befreiung sich ausnahmsweise auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit erstrecken kann, wenn diese im Voraus zeitlich begrenzt ist. Im Umkehrschluss daraus ist zu erkennen, dass der Gesetzgeber bei zeitlich nicht begrenzten Tätigkeiten durchaus in Kauf nimmt, dass ein Wechsel von der oder in die gesetzliche Rentenversicherung vollzogen werden muss. Die Kontinuität der Versicherungsbiografien spielt im Vergleich zur Festschreibung der Friedensgrenze zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung nur eine untergeordnete Rolle bei den Motiven des Gesetzgebers.

Im übrigen können dem Kläger aus dem Wechsel auch keine unangemessenen Nachteile entstehen. Die Regelungen über die Nachversicherung, vgl. § 17 Abs. 6 i.V.m. § 9 Abs. 2 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg, und die Regeln über die Rückerstattung bereits geleisteter Beiträge zur Rechtsanwaltsversorgung, vgl. § 18 Abs. 2, 21 Abs. 2 derselben Satzung, stellen sicher, dass für den Versicherten ein Tätigkeitswechsel nicht mit unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Belastungen einhergeht.

Nach allem ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger für seine abhängige Beschäftigung als Patentanwalt in Bayern eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu versagen ist. Dahinstehen kann dabei, ob einer solchen Befreiung auch die Tatsache entgegen steht, dass Patentanwälte in Bayern keinen Zugang zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte und Steuerberater haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved