Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 331/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
I. Die nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V verpflichtende Dialyse-Rufbereitschaft schließt grundsätzlich eine Teilnahme am Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst nicht aus.
II. Ein subjektiver Anspruch des Klägers auf Einrichtung eines Fachärztlichen Bereitschaftsdienstes nach § 7 BDO-KVB besteht nicht. Während die Schaffung eines Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstes für die Beklagte verpflichtend ist (§ 1 BDO-KVB), liegt die Schaffung des Fachärztlichen Bereitschaftsdienstes in der Gestaltungsfreiheit der Beklagten. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit sind nur bei Willkür und damit bei Verstoß gegen Art. 3 GG überschritten.
III. Ist bereits eine hälftige Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst – wie hier -gewährt worden, kommt es darauf an, ob im konkreten Fall eine solche
teilweise Befreiung ausreicht, um ein Überschreiten der Grenze der Zumutbarkeit auszuschließen.
IV. Der Behörde kann nicht verwehrt werden, ihre Verwaltungspraxis zu ändern oder sogar aufzugeben, insbesondere dann, wenn sich die Verwaltungspraxis als rechtswidrig erweist und/oder für eine Änderung bzw. Aufgabe der Verwaltungspraxis sachlich einleuchtende Gründe vorliegen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 05.10.2018, Az 20 K 2276/18).
II. Ein subjektiver Anspruch des Klägers auf Einrichtung eines Fachärztlichen Bereitschaftsdienstes nach § 7 BDO-KVB besteht nicht. Während die Schaffung eines Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstes für die Beklagte verpflichtend ist (§ 1 BDO-KVB), liegt die Schaffung des Fachärztlichen Bereitschaftsdienstes in der Gestaltungsfreiheit der Beklagten. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit sind nur bei Willkür und damit bei Verstoß gegen Art. 3 GG überschritten.
III. Ist bereits eine hälftige Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst – wie hier -gewährt worden, kommt es darauf an, ob im konkreten Fall eine solche
teilweise Befreiung ausreicht, um ein Überschreiten der Grenze der Zumutbarkeit auszuschließen.
IV. Der Behörde kann nicht verwehrt werden, ihre Verwaltungspraxis zu ändern oder sogar aufzugeben, insbesondere dann, wenn sich die Verwaltungspraxis als rechtswidrig erweist und/oder für eine Änderung bzw. Aufgabe der Verwaltungspraxis sachlich einleuchtende Gründe vorliegen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 05.10.2018, Az 20 K 2276/18).
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 03.07.2019. Die Beklagte gewährte dem Kläger zwar eine hälftige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst, lehnte aber eine vollständige Befreiung ab. Der Kläger ist Internist und Facharzt für Nephrologie und verfügt über einen vollen Versorgungsauftrag. Zusammen mit Dres. A., F. und S. bildet er eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Hauptsitz der BAG ist B-Stadt mit Filialen in C-Stadt und D-Stadt. Die Beklagte führte aus, ein schwerwiegender Grund nach § 14 Abs. 1 Bereitschaftsdienstordnung der KVB (BDO-KVB) sei zu bejahen. Dies führe aber nicht zu einer vollständigen Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst. Es sei darauf hinzuweisen, dass der Ärztliche Bereitschaftsdienst in den letzten Jahren umorganisiert wurde. Dies habe letztendlich zu kürzeren Dienstschichten und der Möglichkeit einer Wunschdienstplanung geführt. Außerdem gebe es nunmehr eine Trennung zwischen Sitz-und Fahrdienst. Im Hinblick auf die sehr geringe Verpflichtung des Klägers (29 Stunden/Jahr) sei dessen Teilnahme zumutbar. Der Kläger könne auch auf andere Kollegen in der Berufsausübungsgemeinschaft zurückgreifen. Das Argument des Klägers, es gebe lediglich drei volle Stellen mit dem Anrechnungsfaktor 3,0 werde nicht geteilt, da vier Ärzte zur Verfügung stehen würden und deshalb keine vergleichbare Situation mit lediglich drei Nephrologen bestehe. Einzuräumen sei zwar, dass Frau Dr. F. für die Zentrumsdialyse die Anwesenheit eines weiteren Nephrologen notwendig mache. Letztendlich werde die Berufsausübungsgemeinschaft durch Frau Dr. F aber entlastet. Erforderlich sei die unmittelbare Erreichbarkeit nur eines Nephrologen an drei Standorten. Die Dialyse-Rufbereitschaft werde auch in Krankheitszeiten, Urlaub und sonstigen Ausfällen in der Praxis aufrechterhalten. Die teilweise Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst sei ermessensgerecht. Im Übrigen könnten die Dienste auch an Vertreter oder Poolärzte abgegeben werden.
Dagegen ließ der Kläger Klage zum Sozialgericht München einlegen. Der Prozessbevollmächtigte wies darauf hin, der Kläger und Herr Dr. A. verfügten über einen vollen Versorgungsauftrag hinsichtlich nephrologischer Leistungen, Frau Dr. F. und Herr Dr. S. jeweils über einen hälftigen Versorgungsauftrag, ebenfalls bezogen auf nephrologische Leistungen. Darüber hinaus nehme Herr Dr. S. einen weiteren hälftigen Versorgungsauftrag als Allgemeiner Hausarzt wahr. In der Praxis würden viele Diabetespatienten (2000) jährlich behandelt; davon entfielen 400 Patienten auf Typ I Diabetes mellitus. 150 Patienten befänden sich in Hämodialyse. An Präsenzzeiten der Praxis wird ein Zeitraum von 6:30 bis 23:30 Uhr (Montag, Mittwoch, Freitag) und am Donnerstag von 6:30 bis 15:00 Uhr angegeben. Die Dialyse-Rufbereitschaft bestehe rund um die Uhr, d. h. 24 Stunden/Tag an 365 Tagen im Jahr. Es sei darauf hinzuweisen, dass von der Beklagten eine Verwaltungspraxis geübt werde. Danach werde eine völlige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst gewährt, wenn der Dialysebereitschaftsdienst von nicht mehr als drei Nephrologen durchgeführt werde. Es bestehe der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.
Ein schwerwiegender Grund als Befreiungstatbestand im Sinne von § 14 Abs. 1 BDO-KVB sei zu bejahen. Denn nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V sei eine Dialyse-Rufbereitschaft vorgesehen. Dies führe zu einer Kollision zwischen dem Ärztlichen Bereitschaftsdienst einerseits und der Dialyse-Rufbereitschaft andererseits. Hinzu komme, dass der Kläger, wie auch die anderen Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft die Krankenhäuser in C-Stadt und D-Stadt ebenfalls mit versorgten.
Die Anzahl von Köpfen (4 Ärzte) sei ohne Belang. Es komme vielmehr auf den Versorgungsauftrag an, wie sich aus § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BDO-KVB ergebe. Es sei auch Art. 3 Grundgesetz zu beachten. Die Arbeitsbelastung sei aufgrund der Verpflichtung der Ärzte in der Berufsausübungsgemeinschaft vollständig vergleichbar mit drei Ärzten mit drei Versorgungsaufträgen. Es gebe zwar einen Anrechnungsfaktor von insgesamt 3,5, davon entfiele aber lediglich ein Wert von 3,0 auf die nephrologische Tätigkeit. Eine Vergleichbarkeit sei auch deshalb gegeben, weil Frau Dr. F Zentrumsdialyse nicht allein ausüben könne. Die besondere Belastungssituation werde auch darin deutlich, dass der Kläger zu 25 % des gesamten Jahres in Dialyse-Rufbereitschaft stehe. Dies habe Einfluss auf die private Lebensführung (Art. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 GG). Zu berücksichtigen sei auch, dass Fachärzte, wie z.B. Augenärzte die Möglichkeit hätten, einen Fachärztlichen Bereitschaftsdienst einzurichten. Bestehe ein Fachärztlicher Bereitschaftsdienst, dann seien diese am Fachärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmenden Fachärzte vom Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit. Die Dialyse-Rufbereitschaft sei mit dieser Konstellation vergleichbar. Schließlich sei auch von einem sonstigen Ermessensfehlgebrauch auszugehen. Gänzlich übersehen worden sei die enorme Mehrbelastung der Ärzte. Was den Verweis der Beklagten auf die Möglichkeit betreffe, den Ärztlichen Bereitschaftsdienst durch Vertreter oder sogenannte Poolärzte wahrnehmen zu lassen, könne diese Argumentation nicht geteilt werden. Denn dann wäre schließlich für eine Befreiung im Sinne von § 14 Abs. 1 BDO-KVB kein Raum mehr. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wies auch auf andere Verfahren hin, die von den Ärzten der Berufsausübungsgemeinschaft geführt werden und beim Sozialgericht München anhängig seien, nämlich Verfahren Herr Dr. A. unter dem Aktenzeichen S 43 KA 127/19, Verfahren Dr. F., anhängig unter dem Aktenzeichen S 28 KA 329/19 und Verfahren Dr. S., anhängig unter dem Aktenzeichen S 38 KA 330/19. Es werde eine Verbindung dieser Verfahren angeregt.
In ihrer Klageerwiderung wies die Beklagte darauf hin, sie gehe auch von einem schwerwiegenden Grund im Sinne von § 14 Abs. 1 BDO-KVB aus. Die Verpflichtung zur Dialyse-Rufbereitschaft an 91 Tagen/Jahr stehe einem ärztlichen Bereitschaftsdienst von 47 Stunden/Jahr gegenüber. Dies sei dem Kläger zumutbar und könne auch durch entsprechende organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden. In dem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass die Zeiten der Dialyse-Rufbereitschaft bekannt seien. Deshalb ließen sich die wenigen Dienstschichten des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes einplanen. Zu beachten sei auch der Grundsatz der Gleichbehandlung. Eine vollständige Befreiung des Klägers würde dazu führen, dass sich die Dienstfrequenz für die anderen Mitglieder erhöhen würde. Soweit behauptet werde, es werde eine Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst nach Köpfen vorgenommen, treffe das nicht zu und werde auch nicht so praktiziert. Denn eine Befreiung nach Köpfen wäre mit Art. 3 Grundgesetz nicht zu vereinbaren. Es gelte der Grundsatz, dass alle Vertragsärzte gleichmäßig zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen seien. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG sei nicht ersichtlich. Soweit der Kläger auf die Kooperation mit den Krankenhäusern C-Stadt und D-Stadt hinweise, sei eine solche Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. Es sei zwar insgesamt einzuräumen, dass eine hohe Gesamtarbeitsbelastung bestehe. Diese rühre aber aus diversen, vom Kläger aufgrund freier unternehmerischer Entscheidungen aufgenommenen Tätigkeiten her. Wie bereits in dem angefochtenen Bescheid ausgeführt, habe eine Umstrukturierung des Bereitschaftsdienstes mit einer Reduzierung der Dienstverpflichtung stattgefunden. Deshalb sei es jetzt möglich, eine Dialyse-Rufbereitschaft mit dem vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst in Einklang zu bringen. Die Regelung in § 5 der Qualitätssicherungsvereinbarung bedeute nicht, dass alle Ärzte ständig in der Dialyseeinrichtung anwesend sein müssten.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers betonte, es bestehe eine Verwaltungspraxis, die langjährig geübt worden sei und an dieser die Beklagte auch nach Umstrukturierung festgehalten habe. Der Kläger erbringe im Übrigen auch andere nephrologische Leistungen im großem Umfang. Die hohe Belastbarkeit des Klägers stelle einen Eingriff in Art. 2, 12 GG dar.
Zum Gesichtspunkt der Verwaltungspraxis führte die Beklagte aus, die im Ausgangsbescheid erwähnte Spruchpraxis sei bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides insgesamt nicht nur diesem Einzelfall für die Zukunft aufgegeben worden. Die grundlegende Änderung der gesamten Rahmenbedingungen des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes infolge der bayernweiten Umorganisation des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes stelle hierfür einen tragfähigen sachlichen Grund dar. Eine Fortführung der im Ausgangsbescheid erwähnten Spruchpraxis sei unter den geänderten Rahmenbedingungen rechtswidrig. Die Beklagte sei daher verpflichtet, die genannte Spruchpraxis zu ändern. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Fortführung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis. Des Weiteren führte die Beklagte aus, die Heranziehung zum Bereitschaftsdienst stelle keine neue Pflicht dar. Eine vollständige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst sei unter keinem Gesichtspunkt vertretbar. So sei nach dem aktuellen Dienstplan, geltend vom 01.07.2020 bis 07.01.2021, der Kläger nur an drei Tagen (insgesamt ca. 23 Stunden) zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst herangezogen worden. Überdies habe der Kläger auch nicht deutlich gemacht, warum die Versorgung der Dialysepatienten nicht durch andere Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft erbracht werden könne.
Nachdem der Kläger nicht mehr von seinem Prozessbevollmächtigten vertreten wurde, nahm er die Gelegenheit wahr, nochmals seinen Standpunkt darzulegen. Er wies auf die hohe Arbeitsbelastung hin. Allein die Dialyse-Rufbereitschaft habe einen Umfang von 1.592,5 Stunden/Jahr pro Arzt. Darüber hinaus handle es sich um eine Diabetes-Schwerpunktpraxis, in der viele Diabetiker betreut würden. Damit verbunden sei auch eine Entlastung des Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstes.
In der mündlichen Verhandlung am 25.11.2020 wurde die Sach-und Rechtslage mit den Beteiligten besprochen. Der Kläger, der persönlich anwesend war, wies auf die Regelung in § 7 BDO-KVB hin. Es bestehe der Grundsatz, dass alles, was ein allgemeinärztlicher Bereitschaftsdienst nicht leisten könne, fachärztlich sichergestellt werden müsse. Es handle sich um ein Fehlverhalten der KVB, dass diese im Bereich der Nephrologie keinen eigenen Fachärztlichen Bereitschaftsdienst installiert habe. Dies stelle eine Ungleichbehandlung und damit einen Verstoß gegen Art. 3 GG dar. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es nur drei Nephrologen-Sitze in der Praxis gebe. Insofern sei der Kläger mit einer Berufsausübungsgemeinschaft mit drei Nephrologen gleichzusetzen. Auch die Tätigkeit in den Krankenhäusern C-Stadt und D-Stadt sei mit zu berücksichtigen. Es würden dort ein bis zwei Patienten pro Woche (4-5 Dialysen) betreut.
Die Vertreterin der Beklagten betonte, es habe eine Umstrukturierung des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes stattgefunden, beginnend im Jahr 2013. In dem Zusammenhang seien die Bereitschaftsdienstbereiche neu geordnet worden. Die Umsetzung sei sukzessive bis zum Jahr 2018 erfolgt. Die bisherige Praxis sei aufgegeben worden. Soweit vorgetragen werde, durch die Dialyse-Rufbereitschaft sei der Allgemeine ärztliche Bereitschaftsdienst entlastet worden, sei darauf hinzuweisen, dass dies zumindest nicht in hohem Maße der Fall sei, da es nur sehr wenige Fälle gebe. Insgesamt hätte nach der geltenden Rechtslage sogar überhaupt keine Befreiung stattfinden dürfen.
In der mündlichen Verhandlung am 25.11.2020 stellte der Kläger den Antrag aus dem Schriftsatz seines ehemaligen Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2019.
Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen. Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 25.11.2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage - es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 SGG - ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, am Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst nicht teilzunehmen zu müssen.
Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, die den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgetragen ist, umfasst auch die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (§§ 73 Abs. 2, 75 S. 1 S. 1 und 2 SGB V). Auf dieser Rechtsgrundlage wurde die Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (BDO-KVB) erlassen, die hier in der Fassung vom 23.11.2012, in Kraft getreten am 20.4.2013, letztmalig geändert durch Beschluss der Vertreterversammlung vom 23.11.2019 zur Anwendung kommt. In deren § 2 sind diejenigen Ärzte, medizinische Versorgungszentren ... aufgeführt, die zur Teilnahme an dem ärztlichen Bereitschaftsdienst verpflichtet sind. Nachdem der Antragsteller als Vertragsarzt mit vollem Versorgungsauftrag zugelassen ist, besteht für ihn eine entsprechende Verpflichtung (§ 2 Abs. 1 Ziff. 1).
Die Verpflichtung zur Teilnahme am Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst entfällt nicht dadurch, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet ist, dass eine Fachärztlicher Bereitschaftsdienst geschaffen wird, dem der Kläger zuzuordnen wäre. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 BDO-KVB kann die Beklagte Fachärztliche Bereitschaftsdienste für die Fachgruppen der Augenärzte, Chirurgen/Orthopäden, Frauenärzte, HNO-Ärzte und der Kinder-und Jugendärzte einrichten. Andere Fachärztliche Bereitschaftsdienste können im Benehmen mit den betroffenen Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstgruppen eingerichtet werden, solange ein Sicherstellungsbedarf hierfür besteht (§ 7 Abs. 1 S. 3 BDO-KVB). Die Einrichtung von Fachärztlichen Bereitschaftsdienstgruppen hat zur Folge, dass deren Mitglieder nicht am Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen müssen (§ 5 Abs. 3 S. 2 BDO-KVB). Der Kläger gehört als Internist /Nephrologie nicht zu dem in § 7 Abs. 1 S. 1 BDO-KVB genannten Personenkreis. Für die Fachgruppe der Internisten/Nephrologie wurde aber auch nicht von der Möglichkeit des § 7 Abs. 1 S. 3 BDO-KVB Gebrauch gemacht. Ein subjektiver Anspruch des Klägers auf Einrichtung eines Fachärztlichen Bereitschaftsdienstes besteht nicht. Während die Schaffung eines Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstes für die Beklagte verpflichtend ist (§ 1 BDO-KVB), handelt es sich vielmehr beim Fachärztlichen Bereitschaftsdienst um eine Ermessensentscheidung, die im Fall der Internisten/Nephrologie von dem Benehmen der betroffenen Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstgruppen abhängt und auch einen Sicherstellungsbedarf voraussetzt. Die Schaffung eines Fachärztlichen Bereitschaftsdienstes ist nicht verpflichtend, sondern liegt in der Gestaltungsfreiheit der Beklagten. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit sind nur bei Willkür und damit bei Verstoß gegen Art. 3 GG überschritten. Hierfür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.
Auch ist für eine analoge Anwendung von § 7 Abs. 1 BDO-KVB kein Raum. Den Ausführungen des Klägers ist zu entnehmen, dass dieser die für ihn nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V verpflichtende Dialyse-Rufbereitschaft als faktischen Fachärztlichen Bereitschaftsdienst beurteilt. Zum einen obliegt es der Beklagten und nicht ärztlichen Fachgruppen, Fachärztliche Bereitschaftsdienstgruppen einzurichten. Die Regelung in § 7 Abs. 1 BDO-KVB ist ersichtlich auf einen bestimmten Sachverhalt beschränkt, sodass von einem Analogieverbot auszugehen ist.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf vollständige Befreiung vom Bereitschaftsdienst.
§ 14 BDO-KVB enthält einen Befreiungstatbestand. Danach k a n n ein Vertragsarzt ... aus schwerwiegenden Gründen ganz, teilweise oder vorübergehend und zusätzlich auch befristet (§ 14 Abs. 1) vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit werden.
Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung (auch Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst ganz, teilweise, vorübergehend, zeitlich befristet), wie sich der Formulierung "kann" in § 14 Abs. 1 BDO-KVB entnehmen lässt. Ferner ist in Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu differenzieren zwischen der völligen Befreiung, der teilweisen oder vorübergehenden und zeitlich befristeten. Liegt ein schwerwiegender Grund für die Befreiung vor, ist zu prüfen, ob statt einer völligen Befreiung andere eingeschränkte Befreiungsmöglichkeiten wie zum Beispiel eine teilweise Befreiung in Betracht zu ziehen sind.
Unstrittig zwischen den Beteiligten ist offenbar, dass ein Befreiungsgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 1 BDO-KVB besteht, so dass dies keiner Klärung durch das Gericht bedarf. Strittig zwischen den Beteiligten ist aber, ob die Voraussetzungen für eine vollständige Befreiung vorliegen. Die Beklagte hat nur eine teilweise Befreiung vom Bereitschaftsdienst u.a. erteilt, weil
- die Befreiung vom Bereitschaftsdienst äußerst restriktiv zu handhaben sei und - sie der Auffassung ist, dass trotz der nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V dem Kläger auferlegten Dialyse-Rufbereitschaft nach der Umstrukturierung des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes und nach Ausschöpfung der organisatorischen Möglichkeiten innerhalb der Berufsausübungsgemeinschaft diesem zumutbar ist, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst im reduzierten Umfang teilzunehmen.
Der Ärztliche Bereitschaftsdienst ist immanenter Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Mit seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 SGB V übernimmt der Vertragsarzt auch die Verpflichtung, am Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Es handelt sich also um keine neuen Pflichten und keine nachträgliche Erweiterung des Pflichtenkreises. Dies macht deutlich, dass an eine Befreiung vom Bereitschaftsdienst hohe Anforderungen zu stellen sind. Dabei sind selbst über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse, die mit der Teilnahme am Bereitschaftsdienst verbunden sind, hinzunehmen und führen nicht zu einem unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz. Liegen allerdings solche schwerwiegenden Gründe vor, die über die Grenze der Zumutbarkeit hinausgehen, kann grundsätzlich eine Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst in Betracht kommen (vgl. SG Marburg, Urteil vom 06.10.2010, Az S 12 KA 186/10). Ist bereits eine hälftige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst - wie hier -gewährt worden, kommt es darauf an, ob im konkreten Fall eine solche teilweise Befreiung ausreicht, um ein Überschreiten der Grenze der Zumutbarkeit auszuschließen.
Das Gericht räumt ein, dass die geschilderten Tätigkeiten, vor allem die nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V verpflichtende Dialyse-Rufbereitschaft für die behandelten Dialysepatienten (150-200) im Umfang von 1.592,5 Stunden/Jahr pro Arzt, aber auch die Behandlung von vielen Diabetes-Patienten (2.000) auch schwereren Grades, die Versorgung von Patienten sowohl in der Hauptpraxis, als auch in den beiden Filialen und die Kooperation mit den Krankenhäusern in C-Stadt und D-Stadt mit einer sehr hohen Arbeitsbelastung auch des einzelnen Arztes der Berufsausübungsgemeinschaft verbunden ist. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der BAG vier Ärzte angehören, für die Dialyse-Rufbereitschaft immer nur ein Arzt zur Verfügung stehen muss und hierfür nicht ständig alle Mitglieder der BAG präsent sein müssen. Außerdem hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen, warum es nicht möglich ist, während den Zeiten des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes die Versorgung der Dialysepatienten durch andere Mitglieder der BAG sicherzustellen. Hinzu kommt, dass die Dienstfrequenz und damit einhergehend die Dienstbelastung nach der hälftigen Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst gering ist, wie sich aus der Dienstplaneinteilung für den Zeitraum vom 01.07.2020 bis 07.01.2021 ergibt (Heranziehung des Klägers an drei Tagen mit insgesamt ca. 23 Stunden). Diese Einteilung zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst ist dem Kläger überdies geraume Zeit vorher bekannt und kann rechtzeitig mit den Zeiten für die Dialyse-Rufbereitschaft organisatorisch so abgestimmt werden, dass es zu keiner Kollision der Dialyse-Rufbereitschaft mit der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst kommt. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeiten auch zu einem Teil auf einer unternehmerischen Entscheidung beruht. Dies gilt insbesondere für das Tätigwerden in den Krankenhäusern in C-Stadt und D-Stadt aufgrund einer Kooperationsvereinbarung. Insgesamt wird dadurch deutlich, dass der Ärztliche Bereitschaftsdienst für den Kläger leistbar und zumutbar ist sowie die Grenze der Zumutbarkeit bei Gewährung einer hälftigen Befreiung nicht überschritten wird.
Für das Ergebnis sprechen auch mehrere Entscheidungen der Sozialgerichte, denen gleiche oder zumindest vergleichbare Sachverhalte zugrunde lagen. So war das Sozialgericht Marburg (SG Marburg, Urteil vom 07.03.2007, S 12 KA 927/06) der Auffassung, ein Nephrologe, der zusammen mit einem anderen Nephrologen Dialyseleistungen in einer Gemeinschaftspraxis erbringt, habe keinen Anspruch auf Befreiung vom Bereitschaftsdienst. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW, Beschluss vom 29.08.2011, Az L 11 KA 55/11 B ER) hatte sich damit zu befassen, ob ein Onkologe, der nach § 5 der Onkologie-Vereinbarung vom 01.10.2009 zur Rufbereitschaft (24 Stunden) verpflichtet ist, einen Anspruch auf Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst hat. Dies hat das Gericht mit der Begründung verneint, die Rufbereitschaft sei nicht ansatzweise mit dem Notfalldienst vergleichbar. Sogar eine belegärztliche Tätigkeit rechtfertigt nach der Entscheidung des SG Marburg (SG Marburg, Urteil vom 06.10.2010, Az S 12 KA 186/10) grundsätzlich nicht die Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst (Anmerkung: anders in Bayern: dort ist die belegärztliche Tätigkeit ausdrücklich als Befreiungsgrund nach § 14 Abs. 1 S. 2 lit. e BDO-KVB genannt).
Soweit der Kläger darauf hinweist, es sei Verwaltungspraxis, bei drei Nephrologensitzen eine vollständige Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst auszusprechen, ist bereits fraglich, ob die BAG mit dieser Konstellation vergleichbar ist. Zwar gibt es insgesamt drei Nephrologensitze mit insgesamt drei Versorgungsaufträgen, jedoch zusätzlich einen hälftigen Allgemeinärztlichen Versorgungsauftrag.
Letztendlich kommt es jedoch darauf nicht an.
Eine gelebte Verwaltungspraxis führt zur Selbstbindung der Verwaltung und verpflichtet die Behörde zur Wahrung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Grundgesetz, in gleichgelagerten Fällen gleich zu entscheiden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2006, Az L 3 R 3/05; VG Braunschweig, Urteil vom 06.06.2012, Az 6 A 122/11). Der Behörde kann aber nicht verwehrt werden, ihre Verwaltungspraxis zu ändern oder sogar aufzugeben, insbesondere dann, wenn sich die Verwaltungspraxis als rechtswidrig erweist und/oder für eine Änderung bzw. Aufgabe der Verwaltungspraxis sachlich einleuchtende Gründe vorliegen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 05.10.2018, Az 20 K 2276/18).
Wie die Beklagte ausgeführt hat, kam es mit der neuen Bereitschaftsdienstordnung in der Fassung vom 23.11.2012, in Kraft getreten am 20.4.2013, zu einer Neuordnung der Bereitschaftsdienststruktur (§ 5 BDO-KVB). Damit verbunden waren weniger Dienstzeiten, eine Wunschdienstplanung, größere Bereitschaftsdienstbereiche und die Einführung von Sitz- und Fahrdiensten. Letztendlich hat die Neuordnung zu einer geringeren Belastung der Mitglieder des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes geführt, wovon auch der Kläger profitiert. Die Umsetzung dieser neuen Strukturen fand bis 2018 statt. Damit liegen sachlich einleuchtende Gründe für eine Aufgabe einer bestehenden Verwaltungspraxis vor. Allein deshalb vermag der Kläger einen Anspruch auf vollständige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst nicht auf die vergangene Verwaltungspraxis der Beklagten zu stützen. Konkrete Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe ihre Verwaltungspraxis auch nach Umstrukturierung fortgesetzt, sind nicht ersichtlich.
Auch wenn es nicht entscheidungserheblich ist, weist das Gericht darauf hin, dass der Antragsteller nicht einfach darauf verwiesen werde, er habe mehrere Möglichkeiten, seine mit dem Bereitschaftsdienst verbundenen Belastungen zu reduzieren (Rückgriff auf die Vertretungsmöglichkeit bzw. den sog. Bereitschaftsdienstpool). Hierzu ist zu bemerken, dass es meist immer Mittel und Wege gibt, der Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst nachzukommen. Im Ergebnis würde dies darauf hinauslaufen, dass eine Befreiung vom Bereitschaftsdienst dann nie zu erteilen wäre, was nach Auffassung des Gerichts mit dem Befreiungstatbestand der § 14 BDO-KVB nicht zu vereinbaren ist.
Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 03.07.2019. Die Beklagte gewährte dem Kläger zwar eine hälftige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst, lehnte aber eine vollständige Befreiung ab. Der Kläger ist Internist und Facharzt für Nephrologie und verfügt über einen vollen Versorgungsauftrag. Zusammen mit Dres. A., F. und S. bildet er eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Hauptsitz der BAG ist B-Stadt mit Filialen in C-Stadt und D-Stadt. Die Beklagte führte aus, ein schwerwiegender Grund nach § 14 Abs. 1 Bereitschaftsdienstordnung der KVB (BDO-KVB) sei zu bejahen. Dies führe aber nicht zu einer vollständigen Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst. Es sei darauf hinzuweisen, dass der Ärztliche Bereitschaftsdienst in den letzten Jahren umorganisiert wurde. Dies habe letztendlich zu kürzeren Dienstschichten und der Möglichkeit einer Wunschdienstplanung geführt. Außerdem gebe es nunmehr eine Trennung zwischen Sitz-und Fahrdienst. Im Hinblick auf die sehr geringe Verpflichtung des Klägers (29 Stunden/Jahr) sei dessen Teilnahme zumutbar. Der Kläger könne auch auf andere Kollegen in der Berufsausübungsgemeinschaft zurückgreifen. Das Argument des Klägers, es gebe lediglich drei volle Stellen mit dem Anrechnungsfaktor 3,0 werde nicht geteilt, da vier Ärzte zur Verfügung stehen würden und deshalb keine vergleichbare Situation mit lediglich drei Nephrologen bestehe. Einzuräumen sei zwar, dass Frau Dr. F. für die Zentrumsdialyse die Anwesenheit eines weiteren Nephrologen notwendig mache. Letztendlich werde die Berufsausübungsgemeinschaft durch Frau Dr. F aber entlastet. Erforderlich sei die unmittelbare Erreichbarkeit nur eines Nephrologen an drei Standorten. Die Dialyse-Rufbereitschaft werde auch in Krankheitszeiten, Urlaub und sonstigen Ausfällen in der Praxis aufrechterhalten. Die teilweise Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst sei ermessensgerecht. Im Übrigen könnten die Dienste auch an Vertreter oder Poolärzte abgegeben werden.
Dagegen ließ der Kläger Klage zum Sozialgericht München einlegen. Der Prozessbevollmächtigte wies darauf hin, der Kläger und Herr Dr. A. verfügten über einen vollen Versorgungsauftrag hinsichtlich nephrologischer Leistungen, Frau Dr. F. und Herr Dr. S. jeweils über einen hälftigen Versorgungsauftrag, ebenfalls bezogen auf nephrologische Leistungen. Darüber hinaus nehme Herr Dr. S. einen weiteren hälftigen Versorgungsauftrag als Allgemeiner Hausarzt wahr. In der Praxis würden viele Diabetespatienten (2000) jährlich behandelt; davon entfielen 400 Patienten auf Typ I Diabetes mellitus. 150 Patienten befänden sich in Hämodialyse. An Präsenzzeiten der Praxis wird ein Zeitraum von 6:30 bis 23:30 Uhr (Montag, Mittwoch, Freitag) und am Donnerstag von 6:30 bis 15:00 Uhr angegeben. Die Dialyse-Rufbereitschaft bestehe rund um die Uhr, d. h. 24 Stunden/Tag an 365 Tagen im Jahr. Es sei darauf hinzuweisen, dass von der Beklagten eine Verwaltungspraxis geübt werde. Danach werde eine völlige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst gewährt, wenn der Dialysebereitschaftsdienst von nicht mehr als drei Nephrologen durchgeführt werde. Es bestehe der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.
Ein schwerwiegender Grund als Befreiungstatbestand im Sinne von § 14 Abs. 1 BDO-KVB sei zu bejahen. Denn nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V sei eine Dialyse-Rufbereitschaft vorgesehen. Dies führe zu einer Kollision zwischen dem Ärztlichen Bereitschaftsdienst einerseits und der Dialyse-Rufbereitschaft andererseits. Hinzu komme, dass der Kläger, wie auch die anderen Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft die Krankenhäuser in C-Stadt und D-Stadt ebenfalls mit versorgten.
Die Anzahl von Köpfen (4 Ärzte) sei ohne Belang. Es komme vielmehr auf den Versorgungsauftrag an, wie sich aus § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BDO-KVB ergebe. Es sei auch Art. 3 Grundgesetz zu beachten. Die Arbeitsbelastung sei aufgrund der Verpflichtung der Ärzte in der Berufsausübungsgemeinschaft vollständig vergleichbar mit drei Ärzten mit drei Versorgungsaufträgen. Es gebe zwar einen Anrechnungsfaktor von insgesamt 3,5, davon entfiele aber lediglich ein Wert von 3,0 auf die nephrologische Tätigkeit. Eine Vergleichbarkeit sei auch deshalb gegeben, weil Frau Dr. F Zentrumsdialyse nicht allein ausüben könne. Die besondere Belastungssituation werde auch darin deutlich, dass der Kläger zu 25 % des gesamten Jahres in Dialyse-Rufbereitschaft stehe. Dies habe Einfluss auf die private Lebensführung (Art. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 GG). Zu berücksichtigen sei auch, dass Fachärzte, wie z.B. Augenärzte die Möglichkeit hätten, einen Fachärztlichen Bereitschaftsdienst einzurichten. Bestehe ein Fachärztlicher Bereitschaftsdienst, dann seien diese am Fachärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmenden Fachärzte vom Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit. Die Dialyse-Rufbereitschaft sei mit dieser Konstellation vergleichbar. Schließlich sei auch von einem sonstigen Ermessensfehlgebrauch auszugehen. Gänzlich übersehen worden sei die enorme Mehrbelastung der Ärzte. Was den Verweis der Beklagten auf die Möglichkeit betreffe, den Ärztlichen Bereitschaftsdienst durch Vertreter oder sogenannte Poolärzte wahrnehmen zu lassen, könne diese Argumentation nicht geteilt werden. Denn dann wäre schließlich für eine Befreiung im Sinne von § 14 Abs. 1 BDO-KVB kein Raum mehr. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wies auch auf andere Verfahren hin, die von den Ärzten der Berufsausübungsgemeinschaft geführt werden und beim Sozialgericht München anhängig seien, nämlich Verfahren Herr Dr. A. unter dem Aktenzeichen S 43 KA 127/19, Verfahren Dr. F., anhängig unter dem Aktenzeichen S 28 KA 329/19 und Verfahren Dr. S., anhängig unter dem Aktenzeichen S 38 KA 330/19. Es werde eine Verbindung dieser Verfahren angeregt.
In ihrer Klageerwiderung wies die Beklagte darauf hin, sie gehe auch von einem schwerwiegenden Grund im Sinne von § 14 Abs. 1 BDO-KVB aus. Die Verpflichtung zur Dialyse-Rufbereitschaft an 91 Tagen/Jahr stehe einem ärztlichen Bereitschaftsdienst von 47 Stunden/Jahr gegenüber. Dies sei dem Kläger zumutbar und könne auch durch entsprechende organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden. In dem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass die Zeiten der Dialyse-Rufbereitschaft bekannt seien. Deshalb ließen sich die wenigen Dienstschichten des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes einplanen. Zu beachten sei auch der Grundsatz der Gleichbehandlung. Eine vollständige Befreiung des Klägers würde dazu führen, dass sich die Dienstfrequenz für die anderen Mitglieder erhöhen würde. Soweit behauptet werde, es werde eine Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst nach Köpfen vorgenommen, treffe das nicht zu und werde auch nicht so praktiziert. Denn eine Befreiung nach Köpfen wäre mit Art. 3 Grundgesetz nicht zu vereinbaren. Es gelte der Grundsatz, dass alle Vertragsärzte gleichmäßig zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen seien. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG sei nicht ersichtlich. Soweit der Kläger auf die Kooperation mit den Krankenhäusern C-Stadt und D-Stadt hinweise, sei eine solche Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. Es sei zwar insgesamt einzuräumen, dass eine hohe Gesamtarbeitsbelastung bestehe. Diese rühre aber aus diversen, vom Kläger aufgrund freier unternehmerischer Entscheidungen aufgenommenen Tätigkeiten her. Wie bereits in dem angefochtenen Bescheid ausgeführt, habe eine Umstrukturierung des Bereitschaftsdienstes mit einer Reduzierung der Dienstverpflichtung stattgefunden. Deshalb sei es jetzt möglich, eine Dialyse-Rufbereitschaft mit dem vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst in Einklang zu bringen. Die Regelung in § 5 der Qualitätssicherungsvereinbarung bedeute nicht, dass alle Ärzte ständig in der Dialyseeinrichtung anwesend sein müssten.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers betonte, es bestehe eine Verwaltungspraxis, die langjährig geübt worden sei und an dieser die Beklagte auch nach Umstrukturierung festgehalten habe. Der Kläger erbringe im Übrigen auch andere nephrologische Leistungen im großem Umfang. Die hohe Belastbarkeit des Klägers stelle einen Eingriff in Art. 2, 12 GG dar.
Zum Gesichtspunkt der Verwaltungspraxis führte die Beklagte aus, die im Ausgangsbescheid erwähnte Spruchpraxis sei bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides insgesamt nicht nur diesem Einzelfall für die Zukunft aufgegeben worden. Die grundlegende Änderung der gesamten Rahmenbedingungen des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes infolge der bayernweiten Umorganisation des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes stelle hierfür einen tragfähigen sachlichen Grund dar. Eine Fortführung der im Ausgangsbescheid erwähnten Spruchpraxis sei unter den geänderten Rahmenbedingungen rechtswidrig. Die Beklagte sei daher verpflichtet, die genannte Spruchpraxis zu ändern. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Fortführung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis. Des Weiteren führte die Beklagte aus, die Heranziehung zum Bereitschaftsdienst stelle keine neue Pflicht dar. Eine vollständige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst sei unter keinem Gesichtspunkt vertretbar. So sei nach dem aktuellen Dienstplan, geltend vom 01.07.2020 bis 07.01.2021, der Kläger nur an drei Tagen (insgesamt ca. 23 Stunden) zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst herangezogen worden. Überdies habe der Kläger auch nicht deutlich gemacht, warum die Versorgung der Dialysepatienten nicht durch andere Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft erbracht werden könne.
Nachdem der Kläger nicht mehr von seinem Prozessbevollmächtigten vertreten wurde, nahm er die Gelegenheit wahr, nochmals seinen Standpunkt darzulegen. Er wies auf die hohe Arbeitsbelastung hin. Allein die Dialyse-Rufbereitschaft habe einen Umfang von 1.592,5 Stunden/Jahr pro Arzt. Darüber hinaus handle es sich um eine Diabetes-Schwerpunktpraxis, in der viele Diabetiker betreut würden. Damit verbunden sei auch eine Entlastung des Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstes.
In der mündlichen Verhandlung am 25.11.2020 wurde die Sach-und Rechtslage mit den Beteiligten besprochen. Der Kläger, der persönlich anwesend war, wies auf die Regelung in § 7 BDO-KVB hin. Es bestehe der Grundsatz, dass alles, was ein allgemeinärztlicher Bereitschaftsdienst nicht leisten könne, fachärztlich sichergestellt werden müsse. Es handle sich um ein Fehlverhalten der KVB, dass diese im Bereich der Nephrologie keinen eigenen Fachärztlichen Bereitschaftsdienst installiert habe. Dies stelle eine Ungleichbehandlung und damit einen Verstoß gegen Art. 3 GG dar. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es nur drei Nephrologen-Sitze in der Praxis gebe. Insofern sei der Kläger mit einer Berufsausübungsgemeinschaft mit drei Nephrologen gleichzusetzen. Auch die Tätigkeit in den Krankenhäusern C-Stadt und D-Stadt sei mit zu berücksichtigen. Es würden dort ein bis zwei Patienten pro Woche (4-5 Dialysen) betreut.
Die Vertreterin der Beklagten betonte, es habe eine Umstrukturierung des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes stattgefunden, beginnend im Jahr 2013. In dem Zusammenhang seien die Bereitschaftsdienstbereiche neu geordnet worden. Die Umsetzung sei sukzessive bis zum Jahr 2018 erfolgt. Die bisherige Praxis sei aufgegeben worden. Soweit vorgetragen werde, durch die Dialyse-Rufbereitschaft sei der Allgemeine ärztliche Bereitschaftsdienst entlastet worden, sei darauf hinzuweisen, dass dies zumindest nicht in hohem Maße der Fall sei, da es nur sehr wenige Fälle gebe. Insgesamt hätte nach der geltenden Rechtslage sogar überhaupt keine Befreiung stattfinden dürfen.
In der mündlichen Verhandlung am 25.11.2020 stellte der Kläger den Antrag aus dem Schriftsatz seines ehemaligen Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2019.
Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen. Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 25.11.2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage - es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 SGG - ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, am Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst nicht teilzunehmen zu müssen.
Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, die den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgetragen ist, umfasst auch die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (§§ 73 Abs. 2, 75 S. 1 S. 1 und 2 SGB V). Auf dieser Rechtsgrundlage wurde die Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (BDO-KVB) erlassen, die hier in der Fassung vom 23.11.2012, in Kraft getreten am 20.4.2013, letztmalig geändert durch Beschluss der Vertreterversammlung vom 23.11.2019 zur Anwendung kommt. In deren § 2 sind diejenigen Ärzte, medizinische Versorgungszentren ... aufgeführt, die zur Teilnahme an dem ärztlichen Bereitschaftsdienst verpflichtet sind. Nachdem der Antragsteller als Vertragsarzt mit vollem Versorgungsauftrag zugelassen ist, besteht für ihn eine entsprechende Verpflichtung (§ 2 Abs. 1 Ziff. 1).
Die Verpflichtung zur Teilnahme am Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst entfällt nicht dadurch, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet ist, dass eine Fachärztlicher Bereitschaftsdienst geschaffen wird, dem der Kläger zuzuordnen wäre. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 BDO-KVB kann die Beklagte Fachärztliche Bereitschaftsdienste für die Fachgruppen der Augenärzte, Chirurgen/Orthopäden, Frauenärzte, HNO-Ärzte und der Kinder-und Jugendärzte einrichten. Andere Fachärztliche Bereitschaftsdienste können im Benehmen mit den betroffenen Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstgruppen eingerichtet werden, solange ein Sicherstellungsbedarf hierfür besteht (§ 7 Abs. 1 S. 3 BDO-KVB). Die Einrichtung von Fachärztlichen Bereitschaftsdienstgruppen hat zur Folge, dass deren Mitglieder nicht am Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen müssen (§ 5 Abs. 3 S. 2 BDO-KVB). Der Kläger gehört als Internist /Nephrologie nicht zu dem in § 7 Abs. 1 S. 1 BDO-KVB genannten Personenkreis. Für die Fachgruppe der Internisten/Nephrologie wurde aber auch nicht von der Möglichkeit des § 7 Abs. 1 S. 3 BDO-KVB Gebrauch gemacht. Ein subjektiver Anspruch des Klägers auf Einrichtung eines Fachärztlichen Bereitschaftsdienstes besteht nicht. Während die Schaffung eines Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstes für die Beklagte verpflichtend ist (§ 1 BDO-KVB), handelt es sich vielmehr beim Fachärztlichen Bereitschaftsdienst um eine Ermessensentscheidung, die im Fall der Internisten/Nephrologie von dem Benehmen der betroffenen Allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstgruppen abhängt und auch einen Sicherstellungsbedarf voraussetzt. Die Schaffung eines Fachärztlichen Bereitschaftsdienstes ist nicht verpflichtend, sondern liegt in der Gestaltungsfreiheit der Beklagten. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit sind nur bei Willkür und damit bei Verstoß gegen Art. 3 GG überschritten. Hierfür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.
Auch ist für eine analoge Anwendung von § 7 Abs. 1 BDO-KVB kein Raum. Den Ausführungen des Klägers ist zu entnehmen, dass dieser die für ihn nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V verpflichtende Dialyse-Rufbereitschaft als faktischen Fachärztlichen Bereitschaftsdienst beurteilt. Zum einen obliegt es der Beklagten und nicht ärztlichen Fachgruppen, Fachärztliche Bereitschaftsdienstgruppen einzurichten. Die Regelung in § 7 Abs. 1 BDO-KVB ist ersichtlich auf einen bestimmten Sachverhalt beschränkt, sodass von einem Analogieverbot auszugehen ist.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf vollständige Befreiung vom Bereitschaftsdienst.
§ 14 BDO-KVB enthält einen Befreiungstatbestand. Danach k a n n ein Vertragsarzt ... aus schwerwiegenden Gründen ganz, teilweise oder vorübergehend und zusätzlich auch befristet (§ 14 Abs. 1) vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit werden.
Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung (auch Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst ganz, teilweise, vorübergehend, zeitlich befristet), wie sich der Formulierung "kann" in § 14 Abs. 1 BDO-KVB entnehmen lässt. Ferner ist in Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu differenzieren zwischen der völligen Befreiung, der teilweisen oder vorübergehenden und zeitlich befristeten. Liegt ein schwerwiegender Grund für die Befreiung vor, ist zu prüfen, ob statt einer völligen Befreiung andere eingeschränkte Befreiungsmöglichkeiten wie zum Beispiel eine teilweise Befreiung in Betracht zu ziehen sind.
Unstrittig zwischen den Beteiligten ist offenbar, dass ein Befreiungsgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 1 BDO-KVB besteht, so dass dies keiner Klärung durch das Gericht bedarf. Strittig zwischen den Beteiligten ist aber, ob die Voraussetzungen für eine vollständige Befreiung vorliegen. Die Beklagte hat nur eine teilweise Befreiung vom Bereitschaftsdienst u.a. erteilt, weil
- die Befreiung vom Bereitschaftsdienst äußerst restriktiv zu handhaben sei und - sie der Auffassung ist, dass trotz der nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V dem Kläger auferlegten Dialyse-Rufbereitschaft nach der Umstrukturierung des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes und nach Ausschöpfung der organisatorischen Möglichkeiten innerhalb der Berufsausübungsgemeinschaft diesem zumutbar ist, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst im reduzierten Umfang teilzunehmen.
Der Ärztliche Bereitschaftsdienst ist immanenter Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Mit seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 SGB V übernimmt der Vertragsarzt auch die Verpflichtung, am Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Es handelt sich also um keine neuen Pflichten und keine nachträgliche Erweiterung des Pflichtenkreises. Dies macht deutlich, dass an eine Befreiung vom Bereitschaftsdienst hohe Anforderungen zu stellen sind. Dabei sind selbst über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse, die mit der Teilnahme am Bereitschaftsdienst verbunden sind, hinzunehmen und führen nicht zu einem unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz. Liegen allerdings solche schwerwiegenden Gründe vor, die über die Grenze der Zumutbarkeit hinausgehen, kann grundsätzlich eine Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst in Betracht kommen (vgl. SG Marburg, Urteil vom 06.10.2010, Az S 12 KA 186/10). Ist bereits eine hälftige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst - wie hier -gewährt worden, kommt es darauf an, ob im konkreten Fall eine solche teilweise Befreiung ausreicht, um ein Überschreiten der Grenze der Zumutbarkeit auszuschließen.
Das Gericht räumt ein, dass die geschilderten Tätigkeiten, vor allem die nach § 5 Abs. 4 der Qualitätssicherungs-Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren nach § 135 Abs. 2 SGB V verpflichtende Dialyse-Rufbereitschaft für die behandelten Dialysepatienten (150-200) im Umfang von 1.592,5 Stunden/Jahr pro Arzt, aber auch die Behandlung von vielen Diabetes-Patienten (2.000) auch schwereren Grades, die Versorgung von Patienten sowohl in der Hauptpraxis, als auch in den beiden Filialen und die Kooperation mit den Krankenhäusern in C-Stadt und D-Stadt mit einer sehr hohen Arbeitsbelastung auch des einzelnen Arztes der Berufsausübungsgemeinschaft verbunden ist. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der BAG vier Ärzte angehören, für die Dialyse-Rufbereitschaft immer nur ein Arzt zur Verfügung stehen muss und hierfür nicht ständig alle Mitglieder der BAG präsent sein müssen. Außerdem hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen, warum es nicht möglich ist, während den Zeiten des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes die Versorgung der Dialysepatienten durch andere Mitglieder der BAG sicherzustellen. Hinzu kommt, dass die Dienstfrequenz und damit einhergehend die Dienstbelastung nach der hälftigen Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst gering ist, wie sich aus der Dienstplaneinteilung für den Zeitraum vom 01.07.2020 bis 07.01.2021 ergibt (Heranziehung des Klägers an drei Tagen mit insgesamt ca. 23 Stunden). Diese Einteilung zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst ist dem Kläger überdies geraume Zeit vorher bekannt und kann rechtzeitig mit den Zeiten für die Dialyse-Rufbereitschaft organisatorisch so abgestimmt werden, dass es zu keiner Kollision der Dialyse-Rufbereitschaft mit der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst kommt. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeiten auch zu einem Teil auf einer unternehmerischen Entscheidung beruht. Dies gilt insbesondere für das Tätigwerden in den Krankenhäusern in C-Stadt und D-Stadt aufgrund einer Kooperationsvereinbarung. Insgesamt wird dadurch deutlich, dass der Ärztliche Bereitschaftsdienst für den Kläger leistbar und zumutbar ist sowie die Grenze der Zumutbarkeit bei Gewährung einer hälftigen Befreiung nicht überschritten wird.
Für das Ergebnis sprechen auch mehrere Entscheidungen der Sozialgerichte, denen gleiche oder zumindest vergleichbare Sachverhalte zugrunde lagen. So war das Sozialgericht Marburg (SG Marburg, Urteil vom 07.03.2007, S 12 KA 927/06) der Auffassung, ein Nephrologe, der zusammen mit einem anderen Nephrologen Dialyseleistungen in einer Gemeinschaftspraxis erbringt, habe keinen Anspruch auf Befreiung vom Bereitschaftsdienst. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW, Beschluss vom 29.08.2011, Az L 11 KA 55/11 B ER) hatte sich damit zu befassen, ob ein Onkologe, der nach § 5 der Onkologie-Vereinbarung vom 01.10.2009 zur Rufbereitschaft (24 Stunden) verpflichtet ist, einen Anspruch auf Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst hat. Dies hat das Gericht mit der Begründung verneint, die Rufbereitschaft sei nicht ansatzweise mit dem Notfalldienst vergleichbar. Sogar eine belegärztliche Tätigkeit rechtfertigt nach der Entscheidung des SG Marburg (SG Marburg, Urteil vom 06.10.2010, Az S 12 KA 186/10) grundsätzlich nicht die Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst (Anmerkung: anders in Bayern: dort ist die belegärztliche Tätigkeit ausdrücklich als Befreiungsgrund nach § 14 Abs. 1 S. 2 lit. e BDO-KVB genannt).
Soweit der Kläger darauf hinweist, es sei Verwaltungspraxis, bei drei Nephrologensitzen eine vollständige Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst auszusprechen, ist bereits fraglich, ob die BAG mit dieser Konstellation vergleichbar ist. Zwar gibt es insgesamt drei Nephrologensitze mit insgesamt drei Versorgungsaufträgen, jedoch zusätzlich einen hälftigen Allgemeinärztlichen Versorgungsauftrag.
Letztendlich kommt es jedoch darauf nicht an.
Eine gelebte Verwaltungspraxis führt zur Selbstbindung der Verwaltung und verpflichtet die Behörde zur Wahrung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Grundgesetz, in gleichgelagerten Fällen gleich zu entscheiden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2006, Az L 3 R 3/05; VG Braunschweig, Urteil vom 06.06.2012, Az 6 A 122/11). Der Behörde kann aber nicht verwehrt werden, ihre Verwaltungspraxis zu ändern oder sogar aufzugeben, insbesondere dann, wenn sich die Verwaltungspraxis als rechtswidrig erweist und/oder für eine Änderung bzw. Aufgabe der Verwaltungspraxis sachlich einleuchtende Gründe vorliegen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 05.10.2018, Az 20 K 2276/18).
Wie die Beklagte ausgeführt hat, kam es mit der neuen Bereitschaftsdienstordnung in der Fassung vom 23.11.2012, in Kraft getreten am 20.4.2013, zu einer Neuordnung der Bereitschaftsdienststruktur (§ 5 BDO-KVB). Damit verbunden waren weniger Dienstzeiten, eine Wunschdienstplanung, größere Bereitschaftsdienstbereiche und die Einführung von Sitz- und Fahrdiensten. Letztendlich hat die Neuordnung zu einer geringeren Belastung der Mitglieder des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes geführt, wovon auch der Kläger profitiert. Die Umsetzung dieser neuen Strukturen fand bis 2018 statt. Damit liegen sachlich einleuchtende Gründe für eine Aufgabe einer bestehenden Verwaltungspraxis vor. Allein deshalb vermag der Kläger einen Anspruch auf vollständige Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst nicht auf die vergangene Verwaltungspraxis der Beklagten zu stützen. Konkrete Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe ihre Verwaltungspraxis auch nach Umstrukturierung fortgesetzt, sind nicht ersichtlich.
Auch wenn es nicht entscheidungserheblich ist, weist das Gericht darauf hin, dass der Antragsteller nicht einfach darauf verwiesen werde, er habe mehrere Möglichkeiten, seine mit dem Bereitschaftsdienst verbundenen Belastungen zu reduzieren (Rückgriff auf die Vertretungsmöglichkeit bzw. den sog. Bereitschaftsdienstpool). Hierzu ist zu bemerken, dass es meist immer Mittel und Wege gibt, der Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst nachzukommen. Im Ergebnis würde dies darauf hinauslaufen, dass eine Befreiung vom Bereitschaftsdienst dann nie zu erteilen wäre, was nach Auffassung des Gerichts mit dem Befreiungstatbestand der § 14 BDO-KVB nicht zu vereinbaren ist.
Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
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