Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 1 KR 7/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 KR 4/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nichtverschreibungspflichtiges Arzneimittel; Salbeiextrakt
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 28. April 2009 – S 1 KR 7/05 – aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für das als Arzneimittel zugelassene Salbeipräparat "Salvysat" des Herstellers Bürger, die der Kläger für dessen Beschaffung von März 2004 bis Dezember 2006 aufgewendet hat, sowie über die weitere Versorgung des Klägers mit diesem Arzneimittel bzw. wirkstoffgleichen Mitteln und sonstigen Folgepräparaten.
Der 1969 geborene Kläger ist bei der beklagten Ersatzkasse krankenversichert. Er ist multimorbid und leidet u. a. an Adipositas (162 kg Körpergewicht bei 1,83 m Körper-größe), essentieller arterieller Hypertonie, metabolischem Syndrom, koronarer Herzkrankheit (KHK), chronischem Karpaltunnelsyndrom, chronischen Wirbelsäulen- und Schmerzsyndromen, Diabetes mellitus und Neurodermitis (vgl. Aufstellung Bl. 195 d. A.). Hierzu nimmt er täglich ca. 30 verschiedene Arzneimittel in Tablettenform ein, zum Teil mehrfach (vgl. Aufstellung Bl. 196 d. A.).
Seit Jahren leidet der Kläger außerdem auf Grund einer Stoffwechselstörung an Hyperhidrosis (übermäßigem Schwitzen). Deshalb verordnete ihm die Vertragsärztin Dr. M. regelmäßig "Salvysat". Es handelt sich um ein pflanzliches Arzneimittel, das zur Anwendung bei vermehrter Schweißbildung zugelassen ist (Antihydrotikum, vgl. Fachinformation zum Nachfolgeprodukt "Salvysat plus Bürger", Bl. 180 d. A.). "Salvysat" ist ebenso wie seine Nachfolgeprodukte apothekenpflichtig, aber nicht gemäß § 48 Arzneimittelgesetz (AMG) verschreibungspflichtig. Nach Auskunft von Dr. M. hat der Kläger die Hyperhidrosis mit der täglichen Einnahme von 3 x 2 Dragees dieses Mittels "sehr gut unter Kontrolle gebracht".
Zum 1. Januar 2004 schloss der Gesetzgeber grundsätzlich nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzli-che Krankenversicherung – SGB V). Zugleich beauftragte er den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), in Richtlinien erstmals zum 31. März 2004 festzulegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwer-wiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). In den daraufhin eingefügten Abschnitt F 16 der Arzneimittelrichtlinien (AMR) ist weder Hyperhidrosis als schwerwiegende Erkrankung noch "Salvysat" als Standardtherapeutikum dieser Erkrankung aufgeführt (vgl. F 16 AMR, seit dem 23. April 2009 § 12 AMR iVm Anlage I der AMR [sog. Over-the-Counter-Liste, im Folgenden: OTC-Liste]).
Mit einem am 16. März 2004 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für "Salvysat". Auf Anfrage der Beklagten teilte die Hausärztin Dr. M. im April 2004 mit, dass für die beim Kläger bestehende Hyperhidrose eine endokrinisch funktionelle Ursache ausgeschlossen werden konnte. Deshalb existiere neben "Salvysat" keine andere effiziente Behandlungsmöglichkeit dieser sehr unangenehmen und das gesellschaftliche Leben beeinträchtigenden Erkrankung (Bl. 4 d. VA). Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Sachsen-Anhalt (MDK) lehnte die Beklagte mit Be-scheid vom 17. Mai 2004 die Kostenübernahme ab, da "Salvysat" weder verschrei-bungspflichtig noch in die OTC-Liste aufgenommen worden sei.
Mit seinem am 10. Juni 2004 eingelegten Widerspruch berief sich der Kläger darauf, dass die bei ihm bestehende Hyperhidrosis eine dauerhafte Beeinträchtigung seiner Lebensqualität darstelle. Die Erkrankung bestehe am ganzen Körper und habe oft zu Entzündungen geführt. Seine Kleidung werde teilweise so stark durchgeschwitzt, dass er sich überlegen müsse, ob er noch auf die Straße gehen könne. Auf Grund der Erkrankung fühle er sich ausgegrenzt und leide psychisch. Alternativmittel zur lokalen Anwendung, wie Iontophorese oder operative Eingriffe, kämen nicht in Betracht. Allein "Salvysat" könne ihm helfen. In einer von der Beklagten eingeholten Stellungnahme teilte Dr. M. unter dem 15. Juli 2004 mit, dass eine alternative medikamentöse oder chirurgische Therapiemöglichkeit nicht bestehe und zudem wesentlich kostenintensiver sei. Die Versorgung mit dem Präparat sei medizinisch dringend notwendig.
Ein von der Beklagten eingeholtes sozialmedizinisches Gutachten des MDK vom 3. August 2004 (Dr. B. ) gelangte zu dem Ergebnis, dass ungeachtet der arzneimittelrechtlichen Zulassung von "Salvysat" als Antihydrotikum eine Versorgung zu Lasten der GKV ausscheide, da das Mittel nicht verschreibungspflichtig und nicht in die OTC-Liste aufgenommen worden sei. Unter Berufung auf diese Begründung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. August 2004 eine Kostenübernahme erneut ab. In dem Bescheid war als Rechtsbehelf "Widerspruch" angegeben worden. Mit seinem am 14. September 2004 eingelegten Widerspruch verwies der Kläger auf die einge-schränkte Lebensqualität und die psychische Belastung, welche die Hyperhidrose für ihn bewirke. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Wiederholung ihres Rechtsstandpunktes zurück.
Mit seiner am 10. Januar 2005 beim Sozialgericht eingegangenen Klage macht der Kläger geltend, dass bei chronischen Erkrankungen Ausnahmeregelungen greifen müssten. "Salvysat" sei das einzige Medikament, das bei seiner Hyperhidrose wirke, und zudem arzneimittelrechtlich für diese Therapie zugelassen. Dass es als Therapeu-tikum für diese Erkrankung nicht in die OTC-Liste aufgenommen sei, könne nicht zu seinen Lasten gehen.
Die Beklagte hat die medizinische Notwendigkeit einer Anwendung von "Salvysat" im Falle des Klägers nicht bestritten. Sie hat sich aber weiterhin darauf berufen, dass die Versorgung mit diesem Mittel durch die GKV gesetzlich ausgeschlossen sei.
Das Sozialgericht hat Befundberichte beigezogen. In dem Bericht der Fachärztin für Innere Medizin/Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. W. vom 1. Juni 2005 (Bl. 21 f. d. A.) heißt es, die Hyperhidrosis sei beim Kläger so stark, dass oft nachts ein Wäschewechsel erfolgen müsse und auch tags schwere Schweißausbrüche mit Durchschwitzen der Kleidung und damit verminderte Gesellschaftsfähigkeit beschrie-ben würden. Es handele sich nicht um ein vordergründig ästhetisches Problem, sondern im Zusammenhang mit der sich hierdurch verschlechternden Akne bis hin zum Auftreten einer Furunkulose um ein medizinisches Problem mit Krankheitswert. Die behandelnde Ärztin Dr. M. hat im Befundbericht vom 17. Juli 2005 mitgeteilt, dass beim Kläger ein pathologisches Schwitzen am gesamten Körper ohne jegliche körperli-che Anstrengung auftrete. Infolge der Vielzahl seiner Erkrankungen handele es sich bei der Hyperhidrose eindeutig um ein Krankheitsbild, das auf einer Elektrolytdifferenz und einer Schilddrüsenfehlfunktion beruhe. Der behandelnde Dermatologe und Venerologe PD Dr. F. hat im Befundbericht vom 16. Juli 2005 (Bl. 40 f. d. A.) von verschiedenen Hauterkrankungen des Klägers sowie extremer Hyperhidrose berichtet, wobei die lokalisierten Formen (Handflächen, Sohlen und Axillen) in Zusammenhang mit einem Atopiesyndrom stünden, die generalisierte Form eher in Abhängigkeit von der Adiposi-tas zu sehen sei. Die generalisierte Schweißbildung sei nicht mit der sonst üblichen Leitungswasseriontophorese zu behandeln; wirksame und nebenwirkungsarme Präparate existierten nicht.
Mit seinem am 28. April 2006 verkündeten und am 7. Dezember 2006 unterschrieben zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle gelangten Urteil hat das Sozialgericht antragsgemäß
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 17. Mai 2004 und vom 11. August 2004, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2004, verurteilt, die Kosten für das ärztlich verordnete Medikament "Salvysat" ab Antragstellung zu übernehmen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass "Salvysat" bei dem Krankheitsbild des Klägers zweckmäßig und wirtschaftlich eingesetzt sei und seine Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Der Umstand, dass "Salvysat" nicht verschreibungspflichtig und auch nicht in die OTC-Liste aufgenommen worden sei, stehe im vorliegenden Fall einer Kostenübernahme der Beklagten nicht entgegen, weil alle anderen Therapieansätze beim Kläger versagt hätten.
Gegen das am 11. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 8. Januar 2007 beim Landessozialgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Darin beruft sie sich weiterhin darauf, dass "Salvysat" nicht in der OTC-Liste enthalten ist. Diese Liste sei abschließend gemeint.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Halle vom 28. April 2006 - S 1 KR 7/05 – die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Darüber hinaus beantragt er im Berufungsrechtszug (Bl. 112 d. A.),
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auch Folgepräparate oder wirkstoffgleiche Medikamente zu zahlen.
Seit dem 1. Januar 2007 versorgt die Beklagte den Kläger zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts mit dem Mittel "Salvysat" bzw. den Nachfolgepräparaten. Auf Hinweis des Senats hat der Kläger seinen Leistungsan-trag auf Erstattung der Kosten für die Selbstbeschaffung von "Salvysat" in den Jahren 2004 bis 2006 wie folgt gefasst (Bl. 214 d. A.):
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für das Medikament "Salvysat" für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 12. Dezember 2006 in Höhe von 609,26 EUR an den Kläger zu zahlen.
Der Kläger hat die einzelnen Verordnungen und Rechnungen für "Salvysat" aus den Jahren 2004 bis 2006 aufgelistet und in Kopie zu den Akten gereicht (Bl. 214 ff. d. A.). Im Übrigen verteidigt er das erstinstanzliche Urteil und verweist insbesondere auf seine individuell starke Belastung durch die Hyperhydrosis sowie darauf, dass "Salvysat" das einzige bei ihm wirksame und einsetzbare Mittel sei.
Der Senat hat Auskünfte eingeholt. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat unter dem 14. Mai 2009 mitgeteilt, dass dort bislang ein Antrag auf Aufnahme von nicht ver-schreibungspflichtigen Arzneimitteln mit Salbeiextrakten in die OTC-Liste durch ein pharmazeutisches Unternehmen nicht gestellt worden sei. Der Geschäftsstelle des GBA lägen auch keine Erkenntnisse über die Einordnung einer starken Hyperhydrosis als schwerwiegende Erkrankung vor. Die arzneimittelrechtliche Zulassung von "Salvy-sat" auch für das Anwendungsgebiet der Hyperhidrosis genüge den Anforderungen an die Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für sich genommen nicht. Hierfür bedürfe es über den Nachweis seiner Wirksamkeit hinaus des Nachweises des therapeutischen Nutzens des Arzneimittels zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Nach der Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zur "Definition und Therapie der primären Hyperhidrose" basiere die Anwendung von Tabletten mit Salbeiextrakt auf Erfahrungsberichten. Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit lägen nicht vor, so dass die Substanz allenfalls als "alternati-ver bzw. adjuvanter Therapieansatz" zu betrachten sei. Demnach könne von einem Therapiestand i. S. der AMR nicht ausgegangen werden.
Der Kläger hat hierzu eingewandt, dass die Hyperhidrose bei ihm sehr stark ausgeprägt sei und seine Lebensqualität dauerhaft beeinträchtige. Weiterhin hat er eine ärztliche Stellungnahme der Dr. M. vom 23. Juli 2009 (Bl. 144 d. A.) zum Nutzen von "Salvysat" bei Hyperhidrosis im Allgemeinen sowie in seinem besonderen Fall vorge-legt. Ferner hat der Kläger Internetausdrucke zur Wirkung von Salbeiextrakten bei Hyperhidrosis sowie den Auszug einer Studie von Prof. Dr. M. aus dem Jahr 1932 zu den Akten gereicht. Schließlich hat der Kläger die Stellungnahme seines behandelnden Dermatologen PD Dr. F. vom 28. Juli 2009 und seiner behandelnden Psychothera-peutin vom 2. August 2009 (Bl. 153 und 154 d. A.) übersandt. Darin wird mitgeteilt, dass der Kläger in seiner Lebensqualität und in seiner psychischen Verfassung durch die Hyperhidrose stark eingeschränkt werde. Dr. F. fügt hinzu, dass die Behand-lung mit "Salvysat" so gut angeschlagen habe, dass bisher auf weitere Maßnahmen wie die Anwendung von Leitungswasseriontophorese oder operative Verfahren habe verzichtet werden können.
Der Senat hat ferner vom Hersteller des Mittels "Salvysat" Fachinformationen über das Medikament sowie Unterlagen über dessen arzneimittelrechtliche Zulassung eingeholt (Bl. 179 – 190 d. A.). Daraus ergibt sich u. a., dass "Salvysat" das Krampfgift Thujon enthält. Unter Hinweis darauf wird in der Dosierungsanleitung empfohlen, Zubereitun-gen aus Salbeiblättern nicht länger als 14 Tage einzunehmen (Bl. 180 und 185 d. A.). Die gleiche Empfehlung ergibt sich aus einer von Dr. M. unter dem 8. Oktober 2009 als Anlage 3 zu den Akten gereichten Unterlage (Bl. 198 d. A.). Der Kläger hat hierzu die Expertise des Dipl. Chemikers Dr. J. S. vom 26. November 2009 nebst Anlagen vorgelegt, wonach u.a. bei "wässriger Zubereitung" von Salbei keine Neben-wirkungen des Krampfgiftes Thujon zu befürchten seien und dies auch für "Salvysat"-Tabletten gelte, da für den Trockenextrakt des Salbei Wasser als Auszugsmittel verwendet werde. Dr. S. ist nach eigener Darstellung ehemaliger leitender Mitarbeiter des Herstellers von "Salvysat" und im Ruhestand als Gutachter für das Unternehmen tätig.
Schließlich hat der Senat ärztliche Stellungnahmen von Dr. M. und Dr. F. eingeholt. Dr. M. berichtet unter dem 8. Oktober 2009, dass andere Behandlungsmög-lichkeiten ohne Erfolg praktiziert worden seien. Das Medikament "Vagantin" aus der Klasse der Anticholinerika habe nicht zu einer Verbesserung der Hyperhidrose, wohl aber zu vermehrten Nebenwirkungen geführt und deshalb abgesetzt werden müssen. Auch die weiteren denkbaren Behandlungsmöglichkeiten der Hyperhidrose (Salben/Cremes, Iontophorese, Aluminiumchlorid, die Behandlung mit Botox sowie diverse operative Eingriffe) versprächen keinen Erfolg. Zu bedenken sei bei einer Alternativtherapie, dass der Kläger eine Vielzahl von Medikamenten einnehme und daher proble-matische Nebenwirkungen auftreten könnten, die bei "Salvysat" nicht zu befürchten seien. Die Stellungnahme von PD Dr. F. vom 18. Oktober 2009 geht in die gleiche Richtung.
Im Erörterungstermin am 23. November 2009 hat der Kläger erklärt, dass er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe. Sozialhilfeleistungen erhalte er nicht. Die jährliche Kostenbelastung für "Salvysat" betrage – bei derzeitigen Apothektenpreisen – ca. 323,00 EUR. Zusätzlich trage er bis zur Belastungsgrenze die Zuzahlungen für eine Vielzahl weiterer Arzneimittel. Weiterhin hat der Kläger angegeben, dass er durch die Einnahme von "Salvysat" die Hyperhidrosis gut im Griff habe. Ohne die Einnahme würde er die Öffentlichkeit oder die Gesellschaft viel stärker meiden. Früher sei er im Sommer an heißen Tagen schon vollständig durchgeschwitzt gewesen, wenn er nur die Treppe zur Straße heruntergegangen sei. Salvysat nehme er schon seit weit vor dem Jahre 2003 ein. Ob er es 1999 schon eingenommen habe, als er noch gearbeitet habe, wisse er nicht mehr.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts-akte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
I. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist die Berufungsfrist gewahrt, obwohl die Berufung erst über acht Monate nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils eingelegt wurde. Anders als andere Gerichtsordnungen knüpft § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für den Beginn der Berufungsfrist nicht an den Ablauf der so genannten Fünf-Monats-Frist zwischen Verkündung des Urteils und seiner Übergabe in vollständiger und unterschriebener Form an die Geschäftsstelle an (vgl. dazu Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.04.1993 – GmS-OGB 1/92); in diesem Fall wäre die Berufungsfrist nicht eingehalten worden. § 151 Abs 1 SGG stellt für den Beginn der einmonatigen Berufungsfrist ausnahmslos auf die Zustellung des Urteils ab (hier 11. Dezember 2006). Davon ausgehend ist die am 8. Januar 2007 beim Sozialgericht eingegangene Berufungsschrift der Beklagten rechtzeitig beim Landessozialgericht eingegangen.
II. Eine Zurückverweisung des Verfahrens an das Sozialgericht, wie sie § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG bei wesentlichen Verfahrensmängeln in das Ermessen des Landessozialgerichts stellt, ist im vorliegenden Fall nicht geboten. Das erstinstanzliche Verfahren leidet allerdings an einem schweren Mangel. Die Entscheidung gilt wegen Verstreichens der Fünf-Monats-Frist zwischen Verkündung des Urteils (28. April 2006) und seiner Übergabe in vollständiger und unterschriebener Form an die Geschäftsstelle (7. Dezember 2006) als nicht mit Gründen versehen (vgl. BSG vom 20.11.03 – B 13 RJ 41/03 R). Doch prüft das Landessozialgericht gemäß § 157 SGG den Streitfall in gleichem Umfang wie das Sozialgericht. Der Verlust einer (verfahrensfehlerfreien) Instanz wiegt daher nicht allzu schwer. Auch im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer und das Interesse der Beteiligten an einer Sachentscheidung innerhalb angemessener Frist war daher von einer Zurückverweisung abzusehen.
III. In der Sache ist die Berufung der Beklagten begründet. Zwar ist die Klage, auch soweit sie in der Berufungsinstanz erstmals erhoben oder geändert wurde, zulässig (dazu 1). Doch ist sie in der Sache unbegründet (dazu 2).
1. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist ohne weiteres zulässig. Soweit das Klagebegehren auf Kostenübernahme für die Vergangenheit gerichtet ist, war es – wie zweitinstanzlich geschehen – zu beziffern (vgl. BSG vom 28.01.1999 – B 3 KR 4/98 R). Dies gilt für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 12. Dezember 2006. Ab dem 1. Januar 2007 hat die Beklagte die Kosten zur Abwendung der Zwangsvoll-streckung aus dem erstinstanzlichen Urteil übernommen. Insoweit handelte es sich um eine Verurteilung auf künftige Versorgung, die der Bezifferung nicht bedurfte.
Der im Berufungsrechtszug gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, auch Folgepräparate oder wirkstoffgleiche Medikamente zu gewähren (Schriftsatz vom 8. November 2007, Bl. 112 d. A.), bringt in der Sache keine Klägeänderung. Gemäß § 129 Abs 1 Nr 1 SGB V ist der Apotheker ohnehin zur Abgabe eines (wirkstoffgleichen) preisgünstigen Arzneimittels verpflichtet, wenn der Arzt – wie hier – die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches nicht ausgeschlossen hat. Die Leistungsklage erstreckte sich damit – wie ihre Auslegung ergibt – von Anfang an bereits auf wirkstoffgleiche Medikamente und Folgepräparate.
2. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen An-spruch auf Versorgung mit "Salvysat" bzw. wirkstoffgleichen Salbeiextrakten noch einen Anspruch auf Erstattung der für diese Mittel in der Vergangenheit aufgewendeten Kosten (dazu a). Die Beklagte hat die Kosten für das Arzneimittel auch nicht als Rehabilitationsträger gemäß § 14 SGB IX nach anderen sozialrechtlichen Leistungsbe-stimmungen (Sozialhilfe) zu tragen (siehe dazu b).
a) Der Kläger hat gegen die Beklagte weder Anspruch auf Versorgung mit "Salvysat" bzw. wirkstoffgleichen Salbeiextrakten noch auf Erstattung der hierfür in der Vergan-genheit aufgewendeten Kosten. Die gesetzlichen Voraussetzungen eines Sachleistungsanspruchs auf Versorgung mit Salbeiextrakt sind nicht erfüllt. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV verstößt weder gegen das Grundgesetz (GG) noch gegen Europarecht.
aa) § 34 Abs 1 Sätze 1 und 2 SGB V iVm der AMR begründet keinen Anspruch auf die Versorgung mit "Salvysat" bzw. Salbeiextrakt.
Nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF durch Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst aa des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003, BGBl I 2190, in Kraft getreten am 1.1.2004) sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel – und damit auch Salbeiextrakt – grundsätzlich von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlos-sen. Die Regelung gilt nicht für versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen (§ 34 Abs 1 Satz 5 SGB V). Darüber hinaus hatte der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V (AMR) – erstmals bis zum 31.3.2004 – festzule-gen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs 1 Satz 2 SGB V). In Ausführung dieser Vorschrift hat der GBA die AMR um den Abschnitt "F" (heute § 12 AMR nebst Anlage I) ergänzt. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind nicht erfüllt. "Salvysat" bzw. Salbeiextrakt ist weder als "Therapiestandard zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung" iSd § 12 AMR noch nach anderen Bestimmungen der AMR zu Lasten der GKV verordnungsfähig.
(1) Die Verordnungsfähigkeit eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels als "Therapiestandard zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung" zu Lasten der GKV erfordert, dass es in die OTC-Liste der Anlage I zur AMR (früher: F 16.4) unmit-telbar aufgenommen wurde (so auch Bay VGH vom 05.03.2009 – 14 BV 06.815, Juris m.w.N (a.A. die Vorinstanz); unklar BSG vom 8.11.2008 – B 1 KR 6/08 R – Gelomyr-tol, Juris Rz. 10, das nicht auf die – dort fehlende – Aufnahme des Arzneimittels in die OTC-Liste abstellt, sondern darauf, ob es zum Therapiestandard gehört und eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt).
Der in Ausführung von § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V ergangene § 12 Abs 1 bis 10 AMR (früher F 16.1 bis 9 AMR) regelt nach Auffassung des Senats nur iVm Anlage I zu § 12 Abs 5 AMR (OTC-Liste, früher F 16.4.1 ff AMR) abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ausnahmsweise zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind. Ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das nicht in die Liste aufgenommen ist, kann daher grundsätzlich nicht zu Lasten der GKV verordnet werden, selbst wenn es im konkreten Fall die Voraussetzungen einer "Standardtherapie" für eine "schwerwiegende Erkrankung" iSv § 12 Abs 2, 3 und 4 AMR nF (früher: F 16.1, 2 u. 3 AMR) erfüllt. Diese Bestimmungen bilden nicht für sich allein die Tatbestandsvoraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit, sondern erst zusammen mit der OTC-Liste (so auch Bay VGH vom 05.03.2009 – 14 BV 06.815, aaO). Anderenfalls brächte die AMR gegenüber dem gesetzlichen Ausgangspunkt in § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V nur wenig Neues. Auch wäre die mittlerweile gestrichene Übergangsregelung in § 34 Abs 1 Satz 4 SGB V idF des GMG (s. o. vor aa) überflüssig gewesen. Danach konnte der Vertragsarzt bis zum Inkrafttreten der Richtlinie nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel übergangsweise nach den Kriterien des Satzes 1 verordnen (Standardtherapie bei schwerwiegenden Erkrankungen). Nach Inkrafttreten der OTC-Liste hätte sich nichts geändert. Diese wäre auf eine beispielhafte Aufzählung reduziert, ohne dass dafür ein Hinweis bestünde (etwa durch Verwendung des Wortes "insbesondere" etc.). Demgemäß enthält die OTC-Liste (Anlage I zu § 12 Abs 5 AMR) klarstellend den einleitenden Satz: "Die Vorschriften in § 12 Abs 1 bis 10 der Richtlinie iVm dieser Anlage regeln abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht ver-schreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind". Entsprechendes galt zuvor gemäß F 16.9 AMR.
Die OTC-Liste führt Salbeipräparate nicht als Standardtherapeutika zur Behandlung von Hyperhidrose als schwerwiegender Erkrankung auf. Nach der Auskunft des GBA vom 18.5.2009 wurde für das Arzneimittel auch keine Aufnahme in die OTC-Liste beantragt. Auch eine verzögerte Bearbeitung eines Antrags auf Aufnahme in die OTC-Liste durch das GBA scheidet damit aus (so genanntes Systemversagen, vgl BSG vom 19. April 2004 – B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 – Visudyne). Das begehrte Präparat kann der Kläger daher schon mangels Aufnahme in die OTC-Liste nicht als Standarttherapeutikum für eine schwerwiegende Erkrankung von der Beklagten beanspru-chen.
(2) Ungeachtet dessen kann "Salvysat" bzw. Salbeiextrakt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht als Therapiestandard iSv § 12 Abs 4 AMR zur Behandlung von Hyperhidrose angesehen werden. Ob Hyperhidrose außerdem als schwerwiegende Erkrankung iSv § 12 Abs 3 AMR einzuordnen ist, erscheint zweifelhaft, kann aber offen bleiben.
Gemäß § 12 Abs 4 AMR gilt ein Arzneimittel als Therapiestandard, wenn sein therapeutischer Nutzen zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Nach der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts entspricht es dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn die Therapie die Kriterien des in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V geregelten Wissenschaftlichkeitsgebots erfüllt. Das ist der Fall, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSG vom 13. Dezember 2005 – B 1 KR 21/04 R, SozR 4-2500 § 18 Nr 5 mwN).
Diese Anforderungen erfüllt ein Salbeiextrakt in Bezug auf Hyperhidrose nicht. Zu-nächst genügt allein die arzneimittelrechtliche Zulassung von "Salvysat" für das Anwendungsgebiet der Hyperhidrose für die Einordnung als Standardtherapie nicht. Die Zulassung dient dem Nachweis der Wirksamkeit, der Unbedenklichkeit und der pharmazeutischen Qualität eines Arzneimittels. Daraus folgt noch nicht die für eine Standardtherapie erforderliche hinreichende Aussicht auf therapeutischen Nutzen. Über die Wirksamkeit hinaus ist der therapeutische Nutzen in seiner Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte sowie die Effizienz des Mittels im Vergleich zu anderen verfügbaren Mitteln und Möglichkeiten zu bewerten. Diese Gesichtspunkte werden bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht geprüft (so zutreffend auch der GBA in seiner Stellungnahme vom 18. Mai 2009, Bl. 134 ff. dA).
Auch sonst erfüllt "Salvysat" oder ein anderes Salbeiextrakt die Voraussetzungen als Therapiestandard für die Behandlung von Hyperhidrose nicht. Nach der Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zur "Definition und Therapie der primären Hyperhidrose" (http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/II/013-059.htm) basiert die Anwendung von Tabletten mit Salbeiextrakt auf Erfahrungsberichten. Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit liegen nicht vor, "so dass die Substanz allenfalls als alternati-ver bzw. adjuvanter Therapieansatz betrachtet werden muss". Auch die vom Kläger mit Schriftsatz vom 28. Juli 2009 vorgelegten Unterlagen (Bl. 142-151) vermögen nicht den hier geforderten wissenschaftlich einwandfrei geführten Nachweis zu erbringen. Die im Internet bei "medizin.at" (Bl. 145-148 dA) sowie zum Thema "Schwitzen" (Bl. 150 dA) recherchierten Beiträge beruhen auf bloßen Erfahrungsberichten (zB Prof. Dr. L. – Bl. 150: "Das Arzneimittel, das auch in der Volksmedizin eine große Tradition hat, ist der Salbei. Der Salbei hat vielfältige Anwendungsbereiche, einer davon ist der als schweißhemmendes Mittel"). In die gleiche Richtung geht es, wenn Prof. Dr. M. im Jahre 1932 ausführt (Bl. 151 dA): " so stehen uns vornehmlich drei Arzneimittel zur Bekämpfung übermäßiger Schweißbildung zur Verfügung, nämlich das Atropin, das Agacirin und die Sal-beidroge. Diese drei besitzen ohne Zweifel eine deutliche Schweiß herabsetzende Wirkung, deren Größe jedoch fast ausschließlich nach Eindrücken bewertet wird und durch exakte Versuche kaum bestimmt worden ist."
Die Stellungnahmen von Dr. M. , Dr. F. und Dr. W. geben schließlich ebenfalls keinen Anhaltspunkt für den therapeutischen Nutzen von "Salvysat" oder Salbeiextrakt nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse. Sie berichten im Wesentlichen nur über die Wirksamkeit des Mittels im Falle des Klägers und stellen damit lediglich einen einzelnen Erfahrungsbericht dar. Demnach kann von einem Therapiestandard iSd AMR nicht ausgegangen werden. Für einen so genannten Seltenheitsfall, bei dem wegen des seltenen Auftretens und demgemäß fehlender Studien ähnlich wie für die arzneimittelrechtliche Zulassung (vgl BSG vom 19. April 2004 – B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 – Visudyne) eine Ausnahme von dem Erforder-nis der Aufnahme in die OTC-Liste erwogen werden könnte, besteht nach Auswertung der medizinischen Stellungnahmen im Rechtsstreit und der Auskunft des GBA vom 14. Mai 2009 sowie angesichts der Verbreitung von Hyperhidrosis in der Bevölkerung kein Anhaltspunkt.
Gegen die Einordnung von "Salvysat" als Standardtherapeutikum für Hyperhidrose spricht letztlich auch – ohne dass es darauf noch entscheidend ankommt – der in den Fachinformationen Bl. 180 und 185 dA enthaltene Hinweis, dass das Mittel nicht länger als 14 Tage eingenommen werden soll, weil es das Krampfgift Thujon enthält. Dieser Hinweis betrifft keineswegs nur Jugendliche oder Kinder über zwölf Jahren, sondern ebenso Erwachsene, wie die von Dr. M. vorgelegte Information unzweifelhaft ergibt (Anlage 3 zum Schreiben vom 8. Oktober 2009, Bl. 198 dA). Selbst wenn der Hinweis – gemäß der vom Kläger vorgelegten Expertise des Dr. S. – unzutreffend wäre, spräche allein seine Existenz indiziell gegen den erforderlichen wissenschaftlichen Konsens, dass "Salvysat" als Standardtherapeutikum auch für die beim Kläger beste-hende chronische Hyperhidrose gilt.
(3) Für eine sonstige ausnahmsweise Leistungspflicht der GKV nach der AMR bestehen keine Anhaltspunkte. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 6-8 AMR (früher: F 16.5-7 AMR) sind nicht erfüllt. Insbesondere stellt nach allen vorliegenden medizini-schen Unterlagen die Hyperhidrose des Klägers nicht eine "unerwünschte Arzneimit-telwirkung" (UAW) iSv § 12 Abs 8 AMR (früher F 16.7) dar, die beim bestimmungsge-mäßen Gebrauch eines zugelassenen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Arzneimittels aufgetreten ist. Eine entsprechende Begründung für den Einsatz von "Salvysat", die gemäß § 12 Abs 9 AMR (F 16.8) geboten wäre, findet sich in keiner ärztlichen Stellungnahme. Der Kläger selbst gibt Stoffwechselstörungen an (Bl. 1 der Verwaltungsakte – VA), sein Hautarzt Dr. F. führt die generalisierte Hyperhidrose vornehmlich auf die bestehende Adipositas zurück (Befundbericht vom 16. Juli 2005, Bl. 40 dA). Die Hausärztin Dr. M. gibt als Ursache eine Elektrolytdiffe-renz und eine Schilddrüsenfehlfunktion an (Befundbericht vom 17. Juli 2005, Bl. 36 R dA).
bb) Die ausnahmsweise Verordnung eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels lässt sich ferner nicht auf § 31 Abs 1 Satz 5 SGB V stützen (idF des GKV-OrgWG v. 15. Dezember 2008, BGBl I 2426). Die Vorschrift regelt einen anderen Fall. Sie ermöglicht eine ausnahmsweise Verordnung von Arzneimitteln, die aufgrund der AMR nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind. Sie ist nicht anwendbar bei dem hier vorliegenden gesetzlichen Ausschluss der Leistungspflicht durch § 34 Abs. 1 Satz 1 u. 2 SGB V (so auch KassKomm/Hess, § 34 SGB V Rz. 8).
cc) "Salvysat" konnte dem Kläger auch nach der übergangsweise geltenden Geset-zeslage vor Inkrafttreten der OTC-Liste nicht zu Lasten der Beklagten verordnet werden. Der inzwischen außer Kraft getretene § 34 Abs. 1 Satz 4 SGB V (i.d.F. des GMG, s. o. vor aa) bestimmte seinerzeit, dass der Vertragsarzt bis zum Inkrafttreten der Richtlinien nach Satz 2 der Vorschrift (OTC-Liste) nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nach den Kriterien des Satzes 2 ("Therapiestandard zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung") verordnen konnte. In dieser Zeit kam es daher auf die Aufnahme des Mittels in eine Liste nicht an. Doch kann der Salbeiextrakt, wie dargelegt, nicht als Therapiestandard zur Behandlung von Hyperhidrose angesehen werden. Zudem scheitert ein solcher – auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V gerichteter – Anspruch daran, dass die bis zum ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2004 dem Kläger entstandenen Kosten nicht durch die Ablehnung der Beklagten verursacht waren. Versicherte können ausschließlich dann Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V für selbstbeschaffte Leistungen verlangen, wenn die Krankenkasse vor der Selbstbeschaffung über den Leistungsantrag entschieden hat (BSG vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 8/06, SozR 3-2500 § 34 Nr 2). Einzige Ausnahme ist der hier nicht gegebene Fall der unaufschiebbaren Leistung.
dd) Dem Ergebnis steht Verfassungs- oder Europarecht nicht entgegen. Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 6. November 2008 (B 1 KR 6/08 R - Gelomyrtol, Juris) ausführlich dargelegt, dass der grundsätzliche Ausschluss nicht ver-schreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV auf Sachgrün-den beruht und trotz des Grundkonzepts, wonach der Versicherte Anspruch auf bedarfsgerechte medizinische Versorgung hat, aus finanzwirtschaftlichen Erwägungen ein Ausschluss gewisser Arzneimittel mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist (a.a.O. Rz. 11 ff; siehe auch die Hinweise des BVerfG in seinem Beschl. Vom 4. August 2004 – 1 BvR 1076/04, Juris). Es sei verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragt hat, die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V festzulegen (so Rz. 19). Die Leistungsbegrenzung in § 34 Abs. 1 SGB V hat das Gericht auch mit Blick auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit Art 2 Abs 2 Satz 1 GG sowie das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip als verfassungskonform angesehen (Rz. 20). Der Senat schließt sich dem an, auch insoweit, als das Bundessozialgericht eine Verletzung europäischen Rechts verneint hat (Rz. 21 ff.).
b) Die Beklagte hat die Kosten für "Salvysat" oder Salbeiextrakt auch nicht aus dem Gesichtpunkt der Sozialhilfe zu übernehmen. Gemäß § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) muss die Beklagte als angegangener Träger allerdings grundsätz-lich auch prüfen, ob der geltend gemachte sozialrechtliche Leistungsantrag von einem anderen Träger nach dessen Leistungsrecht zu erfüllen ist. Leitet sie den Antrag nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen an den zuständigen Träger weiter, bleibt sie zur Bescheidung des Antrags unter Anwendung des maßgeblichen Leistungsrechts zuständig. Ob die Beklagte im vorliegenden Fall den Antrag des Klägers auf Kostener-stattung und künftige Versorgung mit dem Arzneimittel unter den gegebenen Umstän-den auch als Antrag auf Leistung nach dem SGB XII auslegen musste, kann aber dahinstehen. Denn der Kläger kann – nach eigenen Angaben auf Befragen des Senats und vorausgegangenem Hinweis (vom 19. August 2009, Bl. 162 d. A.) – als Empfänger einer Rente wegen voller Erwerbsminderung Sozialhilfe nicht beanspruchen. Auf die weitere Frage, ob die Kostenbelastung von monatlich unter 30,00 EUR überhaupt einen sozialhilferechtlichen Sonderbedarf gebildet hätte, kam es daher nicht mehr an.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für das als Arzneimittel zugelassene Salbeipräparat "Salvysat" des Herstellers Bürger, die der Kläger für dessen Beschaffung von März 2004 bis Dezember 2006 aufgewendet hat, sowie über die weitere Versorgung des Klägers mit diesem Arzneimittel bzw. wirkstoffgleichen Mitteln und sonstigen Folgepräparaten.
Der 1969 geborene Kläger ist bei der beklagten Ersatzkasse krankenversichert. Er ist multimorbid und leidet u. a. an Adipositas (162 kg Körpergewicht bei 1,83 m Körper-größe), essentieller arterieller Hypertonie, metabolischem Syndrom, koronarer Herzkrankheit (KHK), chronischem Karpaltunnelsyndrom, chronischen Wirbelsäulen- und Schmerzsyndromen, Diabetes mellitus und Neurodermitis (vgl. Aufstellung Bl. 195 d. A.). Hierzu nimmt er täglich ca. 30 verschiedene Arzneimittel in Tablettenform ein, zum Teil mehrfach (vgl. Aufstellung Bl. 196 d. A.).
Seit Jahren leidet der Kläger außerdem auf Grund einer Stoffwechselstörung an Hyperhidrosis (übermäßigem Schwitzen). Deshalb verordnete ihm die Vertragsärztin Dr. M. regelmäßig "Salvysat". Es handelt sich um ein pflanzliches Arzneimittel, das zur Anwendung bei vermehrter Schweißbildung zugelassen ist (Antihydrotikum, vgl. Fachinformation zum Nachfolgeprodukt "Salvysat plus Bürger", Bl. 180 d. A.). "Salvysat" ist ebenso wie seine Nachfolgeprodukte apothekenpflichtig, aber nicht gemäß § 48 Arzneimittelgesetz (AMG) verschreibungspflichtig. Nach Auskunft von Dr. M. hat der Kläger die Hyperhidrosis mit der täglichen Einnahme von 3 x 2 Dragees dieses Mittels "sehr gut unter Kontrolle gebracht".
Zum 1. Januar 2004 schloss der Gesetzgeber grundsätzlich nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzli-che Krankenversicherung – SGB V). Zugleich beauftragte er den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), in Richtlinien erstmals zum 31. März 2004 festzulegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwer-wiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). In den daraufhin eingefügten Abschnitt F 16 der Arzneimittelrichtlinien (AMR) ist weder Hyperhidrosis als schwerwiegende Erkrankung noch "Salvysat" als Standardtherapeutikum dieser Erkrankung aufgeführt (vgl. F 16 AMR, seit dem 23. April 2009 § 12 AMR iVm Anlage I der AMR [sog. Over-the-Counter-Liste, im Folgenden: OTC-Liste]).
Mit einem am 16. März 2004 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für "Salvysat". Auf Anfrage der Beklagten teilte die Hausärztin Dr. M. im April 2004 mit, dass für die beim Kläger bestehende Hyperhidrose eine endokrinisch funktionelle Ursache ausgeschlossen werden konnte. Deshalb existiere neben "Salvysat" keine andere effiziente Behandlungsmöglichkeit dieser sehr unangenehmen und das gesellschaftliche Leben beeinträchtigenden Erkrankung (Bl. 4 d. VA). Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Sachsen-Anhalt (MDK) lehnte die Beklagte mit Be-scheid vom 17. Mai 2004 die Kostenübernahme ab, da "Salvysat" weder verschrei-bungspflichtig noch in die OTC-Liste aufgenommen worden sei.
Mit seinem am 10. Juni 2004 eingelegten Widerspruch berief sich der Kläger darauf, dass die bei ihm bestehende Hyperhidrosis eine dauerhafte Beeinträchtigung seiner Lebensqualität darstelle. Die Erkrankung bestehe am ganzen Körper und habe oft zu Entzündungen geführt. Seine Kleidung werde teilweise so stark durchgeschwitzt, dass er sich überlegen müsse, ob er noch auf die Straße gehen könne. Auf Grund der Erkrankung fühle er sich ausgegrenzt und leide psychisch. Alternativmittel zur lokalen Anwendung, wie Iontophorese oder operative Eingriffe, kämen nicht in Betracht. Allein "Salvysat" könne ihm helfen. In einer von der Beklagten eingeholten Stellungnahme teilte Dr. M. unter dem 15. Juli 2004 mit, dass eine alternative medikamentöse oder chirurgische Therapiemöglichkeit nicht bestehe und zudem wesentlich kostenintensiver sei. Die Versorgung mit dem Präparat sei medizinisch dringend notwendig.
Ein von der Beklagten eingeholtes sozialmedizinisches Gutachten des MDK vom 3. August 2004 (Dr. B. ) gelangte zu dem Ergebnis, dass ungeachtet der arzneimittelrechtlichen Zulassung von "Salvysat" als Antihydrotikum eine Versorgung zu Lasten der GKV ausscheide, da das Mittel nicht verschreibungspflichtig und nicht in die OTC-Liste aufgenommen worden sei. Unter Berufung auf diese Begründung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. August 2004 eine Kostenübernahme erneut ab. In dem Bescheid war als Rechtsbehelf "Widerspruch" angegeben worden. Mit seinem am 14. September 2004 eingelegten Widerspruch verwies der Kläger auf die einge-schränkte Lebensqualität und die psychische Belastung, welche die Hyperhidrose für ihn bewirke. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Wiederholung ihres Rechtsstandpunktes zurück.
Mit seiner am 10. Januar 2005 beim Sozialgericht eingegangenen Klage macht der Kläger geltend, dass bei chronischen Erkrankungen Ausnahmeregelungen greifen müssten. "Salvysat" sei das einzige Medikament, das bei seiner Hyperhidrose wirke, und zudem arzneimittelrechtlich für diese Therapie zugelassen. Dass es als Therapeu-tikum für diese Erkrankung nicht in die OTC-Liste aufgenommen sei, könne nicht zu seinen Lasten gehen.
Die Beklagte hat die medizinische Notwendigkeit einer Anwendung von "Salvysat" im Falle des Klägers nicht bestritten. Sie hat sich aber weiterhin darauf berufen, dass die Versorgung mit diesem Mittel durch die GKV gesetzlich ausgeschlossen sei.
Das Sozialgericht hat Befundberichte beigezogen. In dem Bericht der Fachärztin für Innere Medizin/Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. W. vom 1. Juni 2005 (Bl. 21 f. d. A.) heißt es, die Hyperhidrosis sei beim Kläger so stark, dass oft nachts ein Wäschewechsel erfolgen müsse und auch tags schwere Schweißausbrüche mit Durchschwitzen der Kleidung und damit verminderte Gesellschaftsfähigkeit beschrie-ben würden. Es handele sich nicht um ein vordergründig ästhetisches Problem, sondern im Zusammenhang mit der sich hierdurch verschlechternden Akne bis hin zum Auftreten einer Furunkulose um ein medizinisches Problem mit Krankheitswert. Die behandelnde Ärztin Dr. M. hat im Befundbericht vom 17. Juli 2005 mitgeteilt, dass beim Kläger ein pathologisches Schwitzen am gesamten Körper ohne jegliche körperli-che Anstrengung auftrete. Infolge der Vielzahl seiner Erkrankungen handele es sich bei der Hyperhidrose eindeutig um ein Krankheitsbild, das auf einer Elektrolytdifferenz und einer Schilddrüsenfehlfunktion beruhe. Der behandelnde Dermatologe und Venerologe PD Dr. F. hat im Befundbericht vom 16. Juli 2005 (Bl. 40 f. d. A.) von verschiedenen Hauterkrankungen des Klägers sowie extremer Hyperhidrose berichtet, wobei die lokalisierten Formen (Handflächen, Sohlen und Axillen) in Zusammenhang mit einem Atopiesyndrom stünden, die generalisierte Form eher in Abhängigkeit von der Adiposi-tas zu sehen sei. Die generalisierte Schweißbildung sei nicht mit der sonst üblichen Leitungswasseriontophorese zu behandeln; wirksame und nebenwirkungsarme Präparate existierten nicht.
Mit seinem am 28. April 2006 verkündeten und am 7. Dezember 2006 unterschrieben zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle gelangten Urteil hat das Sozialgericht antragsgemäß
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 17. Mai 2004 und vom 11. August 2004, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2004, verurteilt, die Kosten für das ärztlich verordnete Medikament "Salvysat" ab Antragstellung zu übernehmen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass "Salvysat" bei dem Krankheitsbild des Klägers zweckmäßig und wirtschaftlich eingesetzt sei und seine Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Der Umstand, dass "Salvysat" nicht verschreibungspflichtig und auch nicht in die OTC-Liste aufgenommen worden sei, stehe im vorliegenden Fall einer Kostenübernahme der Beklagten nicht entgegen, weil alle anderen Therapieansätze beim Kläger versagt hätten.
Gegen das am 11. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 8. Januar 2007 beim Landessozialgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Darin beruft sie sich weiterhin darauf, dass "Salvysat" nicht in der OTC-Liste enthalten ist. Diese Liste sei abschließend gemeint.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Halle vom 28. April 2006 - S 1 KR 7/05 – die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Darüber hinaus beantragt er im Berufungsrechtszug (Bl. 112 d. A.),
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auch Folgepräparate oder wirkstoffgleiche Medikamente zu zahlen.
Seit dem 1. Januar 2007 versorgt die Beklagte den Kläger zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts mit dem Mittel "Salvysat" bzw. den Nachfolgepräparaten. Auf Hinweis des Senats hat der Kläger seinen Leistungsan-trag auf Erstattung der Kosten für die Selbstbeschaffung von "Salvysat" in den Jahren 2004 bis 2006 wie folgt gefasst (Bl. 214 d. A.):
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für das Medikament "Salvysat" für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 12. Dezember 2006 in Höhe von 609,26 EUR an den Kläger zu zahlen.
Der Kläger hat die einzelnen Verordnungen und Rechnungen für "Salvysat" aus den Jahren 2004 bis 2006 aufgelistet und in Kopie zu den Akten gereicht (Bl. 214 ff. d. A.). Im Übrigen verteidigt er das erstinstanzliche Urteil und verweist insbesondere auf seine individuell starke Belastung durch die Hyperhydrosis sowie darauf, dass "Salvysat" das einzige bei ihm wirksame und einsetzbare Mittel sei.
Der Senat hat Auskünfte eingeholt. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat unter dem 14. Mai 2009 mitgeteilt, dass dort bislang ein Antrag auf Aufnahme von nicht ver-schreibungspflichtigen Arzneimitteln mit Salbeiextrakten in die OTC-Liste durch ein pharmazeutisches Unternehmen nicht gestellt worden sei. Der Geschäftsstelle des GBA lägen auch keine Erkenntnisse über die Einordnung einer starken Hyperhydrosis als schwerwiegende Erkrankung vor. Die arzneimittelrechtliche Zulassung von "Salvy-sat" auch für das Anwendungsgebiet der Hyperhidrosis genüge den Anforderungen an die Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für sich genommen nicht. Hierfür bedürfe es über den Nachweis seiner Wirksamkeit hinaus des Nachweises des therapeutischen Nutzens des Arzneimittels zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Nach der Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zur "Definition und Therapie der primären Hyperhidrose" basiere die Anwendung von Tabletten mit Salbeiextrakt auf Erfahrungsberichten. Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit lägen nicht vor, so dass die Substanz allenfalls als "alternati-ver bzw. adjuvanter Therapieansatz" zu betrachten sei. Demnach könne von einem Therapiestand i. S. der AMR nicht ausgegangen werden.
Der Kläger hat hierzu eingewandt, dass die Hyperhidrose bei ihm sehr stark ausgeprägt sei und seine Lebensqualität dauerhaft beeinträchtige. Weiterhin hat er eine ärztliche Stellungnahme der Dr. M. vom 23. Juli 2009 (Bl. 144 d. A.) zum Nutzen von "Salvysat" bei Hyperhidrosis im Allgemeinen sowie in seinem besonderen Fall vorge-legt. Ferner hat der Kläger Internetausdrucke zur Wirkung von Salbeiextrakten bei Hyperhidrosis sowie den Auszug einer Studie von Prof. Dr. M. aus dem Jahr 1932 zu den Akten gereicht. Schließlich hat der Kläger die Stellungnahme seines behandelnden Dermatologen PD Dr. F. vom 28. Juli 2009 und seiner behandelnden Psychothera-peutin vom 2. August 2009 (Bl. 153 und 154 d. A.) übersandt. Darin wird mitgeteilt, dass der Kläger in seiner Lebensqualität und in seiner psychischen Verfassung durch die Hyperhidrose stark eingeschränkt werde. Dr. F. fügt hinzu, dass die Behand-lung mit "Salvysat" so gut angeschlagen habe, dass bisher auf weitere Maßnahmen wie die Anwendung von Leitungswasseriontophorese oder operative Verfahren habe verzichtet werden können.
Der Senat hat ferner vom Hersteller des Mittels "Salvysat" Fachinformationen über das Medikament sowie Unterlagen über dessen arzneimittelrechtliche Zulassung eingeholt (Bl. 179 – 190 d. A.). Daraus ergibt sich u. a., dass "Salvysat" das Krampfgift Thujon enthält. Unter Hinweis darauf wird in der Dosierungsanleitung empfohlen, Zubereitun-gen aus Salbeiblättern nicht länger als 14 Tage einzunehmen (Bl. 180 und 185 d. A.). Die gleiche Empfehlung ergibt sich aus einer von Dr. M. unter dem 8. Oktober 2009 als Anlage 3 zu den Akten gereichten Unterlage (Bl. 198 d. A.). Der Kläger hat hierzu die Expertise des Dipl. Chemikers Dr. J. S. vom 26. November 2009 nebst Anlagen vorgelegt, wonach u.a. bei "wässriger Zubereitung" von Salbei keine Neben-wirkungen des Krampfgiftes Thujon zu befürchten seien und dies auch für "Salvysat"-Tabletten gelte, da für den Trockenextrakt des Salbei Wasser als Auszugsmittel verwendet werde. Dr. S. ist nach eigener Darstellung ehemaliger leitender Mitarbeiter des Herstellers von "Salvysat" und im Ruhestand als Gutachter für das Unternehmen tätig.
Schließlich hat der Senat ärztliche Stellungnahmen von Dr. M. und Dr. F. eingeholt. Dr. M. berichtet unter dem 8. Oktober 2009, dass andere Behandlungsmög-lichkeiten ohne Erfolg praktiziert worden seien. Das Medikament "Vagantin" aus der Klasse der Anticholinerika habe nicht zu einer Verbesserung der Hyperhidrose, wohl aber zu vermehrten Nebenwirkungen geführt und deshalb abgesetzt werden müssen. Auch die weiteren denkbaren Behandlungsmöglichkeiten der Hyperhidrose (Salben/Cremes, Iontophorese, Aluminiumchlorid, die Behandlung mit Botox sowie diverse operative Eingriffe) versprächen keinen Erfolg. Zu bedenken sei bei einer Alternativtherapie, dass der Kläger eine Vielzahl von Medikamenten einnehme und daher proble-matische Nebenwirkungen auftreten könnten, die bei "Salvysat" nicht zu befürchten seien. Die Stellungnahme von PD Dr. F. vom 18. Oktober 2009 geht in die gleiche Richtung.
Im Erörterungstermin am 23. November 2009 hat der Kläger erklärt, dass er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe. Sozialhilfeleistungen erhalte er nicht. Die jährliche Kostenbelastung für "Salvysat" betrage – bei derzeitigen Apothektenpreisen – ca. 323,00 EUR. Zusätzlich trage er bis zur Belastungsgrenze die Zuzahlungen für eine Vielzahl weiterer Arzneimittel. Weiterhin hat der Kläger angegeben, dass er durch die Einnahme von "Salvysat" die Hyperhidrosis gut im Griff habe. Ohne die Einnahme würde er die Öffentlichkeit oder die Gesellschaft viel stärker meiden. Früher sei er im Sommer an heißen Tagen schon vollständig durchgeschwitzt gewesen, wenn er nur die Treppe zur Straße heruntergegangen sei. Salvysat nehme er schon seit weit vor dem Jahre 2003 ein. Ob er es 1999 schon eingenommen habe, als er noch gearbeitet habe, wisse er nicht mehr.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts-akte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
I. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist die Berufungsfrist gewahrt, obwohl die Berufung erst über acht Monate nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils eingelegt wurde. Anders als andere Gerichtsordnungen knüpft § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für den Beginn der Berufungsfrist nicht an den Ablauf der so genannten Fünf-Monats-Frist zwischen Verkündung des Urteils und seiner Übergabe in vollständiger und unterschriebener Form an die Geschäftsstelle an (vgl. dazu Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.04.1993 – GmS-OGB 1/92); in diesem Fall wäre die Berufungsfrist nicht eingehalten worden. § 151 Abs 1 SGG stellt für den Beginn der einmonatigen Berufungsfrist ausnahmslos auf die Zustellung des Urteils ab (hier 11. Dezember 2006). Davon ausgehend ist die am 8. Januar 2007 beim Sozialgericht eingegangene Berufungsschrift der Beklagten rechtzeitig beim Landessozialgericht eingegangen.
II. Eine Zurückverweisung des Verfahrens an das Sozialgericht, wie sie § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG bei wesentlichen Verfahrensmängeln in das Ermessen des Landessozialgerichts stellt, ist im vorliegenden Fall nicht geboten. Das erstinstanzliche Verfahren leidet allerdings an einem schweren Mangel. Die Entscheidung gilt wegen Verstreichens der Fünf-Monats-Frist zwischen Verkündung des Urteils (28. April 2006) und seiner Übergabe in vollständiger und unterschriebener Form an die Geschäftsstelle (7. Dezember 2006) als nicht mit Gründen versehen (vgl. BSG vom 20.11.03 – B 13 RJ 41/03 R). Doch prüft das Landessozialgericht gemäß § 157 SGG den Streitfall in gleichem Umfang wie das Sozialgericht. Der Verlust einer (verfahrensfehlerfreien) Instanz wiegt daher nicht allzu schwer. Auch im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer und das Interesse der Beteiligten an einer Sachentscheidung innerhalb angemessener Frist war daher von einer Zurückverweisung abzusehen.
III. In der Sache ist die Berufung der Beklagten begründet. Zwar ist die Klage, auch soweit sie in der Berufungsinstanz erstmals erhoben oder geändert wurde, zulässig (dazu 1). Doch ist sie in der Sache unbegründet (dazu 2).
1. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist ohne weiteres zulässig. Soweit das Klagebegehren auf Kostenübernahme für die Vergangenheit gerichtet ist, war es – wie zweitinstanzlich geschehen – zu beziffern (vgl. BSG vom 28.01.1999 – B 3 KR 4/98 R). Dies gilt für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 12. Dezember 2006. Ab dem 1. Januar 2007 hat die Beklagte die Kosten zur Abwendung der Zwangsvoll-streckung aus dem erstinstanzlichen Urteil übernommen. Insoweit handelte es sich um eine Verurteilung auf künftige Versorgung, die der Bezifferung nicht bedurfte.
Der im Berufungsrechtszug gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, auch Folgepräparate oder wirkstoffgleiche Medikamente zu gewähren (Schriftsatz vom 8. November 2007, Bl. 112 d. A.), bringt in der Sache keine Klägeänderung. Gemäß § 129 Abs 1 Nr 1 SGB V ist der Apotheker ohnehin zur Abgabe eines (wirkstoffgleichen) preisgünstigen Arzneimittels verpflichtet, wenn der Arzt – wie hier – die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches nicht ausgeschlossen hat. Die Leistungsklage erstreckte sich damit – wie ihre Auslegung ergibt – von Anfang an bereits auf wirkstoffgleiche Medikamente und Folgepräparate.
2. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen An-spruch auf Versorgung mit "Salvysat" bzw. wirkstoffgleichen Salbeiextrakten noch einen Anspruch auf Erstattung der für diese Mittel in der Vergangenheit aufgewendeten Kosten (dazu a). Die Beklagte hat die Kosten für das Arzneimittel auch nicht als Rehabilitationsträger gemäß § 14 SGB IX nach anderen sozialrechtlichen Leistungsbe-stimmungen (Sozialhilfe) zu tragen (siehe dazu b).
a) Der Kläger hat gegen die Beklagte weder Anspruch auf Versorgung mit "Salvysat" bzw. wirkstoffgleichen Salbeiextrakten noch auf Erstattung der hierfür in der Vergan-genheit aufgewendeten Kosten. Die gesetzlichen Voraussetzungen eines Sachleistungsanspruchs auf Versorgung mit Salbeiextrakt sind nicht erfüllt. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV verstößt weder gegen das Grundgesetz (GG) noch gegen Europarecht.
aa) § 34 Abs 1 Sätze 1 und 2 SGB V iVm der AMR begründet keinen Anspruch auf die Versorgung mit "Salvysat" bzw. Salbeiextrakt.
Nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF durch Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst aa des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003, BGBl I 2190, in Kraft getreten am 1.1.2004) sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel – und damit auch Salbeiextrakt – grundsätzlich von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlos-sen. Die Regelung gilt nicht für versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen (§ 34 Abs 1 Satz 5 SGB V). Darüber hinaus hatte der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V (AMR) – erstmals bis zum 31.3.2004 – festzule-gen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs 1 Satz 2 SGB V). In Ausführung dieser Vorschrift hat der GBA die AMR um den Abschnitt "F" (heute § 12 AMR nebst Anlage I) ergänzt. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind nicht erfüllt. "Salvysat" bzw. Salbeiextrakt ist weder als "Therapiestandard zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung" iSd § 12 AMR noch nach anderen Bestimmungen der AMR zu Lasten der GKV verordnungsfähig.
(1) Die Verordnungsfähigkeit eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels als "Therapiestandard zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung" zu Lasten der GKV erfordert, dass es in die OTC-Liste der Anlage I zur AMR (früher: F 16.4) unmit-telbar aufgenommen wurde (so auch Bay VGH vom 05.03.2009 – 14 BV 06.815, Juris m.w.N (a.A. die Vorinstanz); unklar BSG vom 8.11.2008 – B 1 KR 6/08 R – Gelomyr-tol, Juris Rz. 10, das nicht auf die – dort fehlende – Aufnahme des Arzneimittels in die OTC-Liste abstellt, sondern darauf, ob es zum Therapiestandard gehört und eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt).
Der in Ausführung von § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V ergangene § 12 Abs 1 bis 10 AMR (früher F 16.1 bis 9 AMR) regelt nach Auffassung des Senats nur iVm Anlage I zu § 12 Abs 5 AMR (OTC-Liste, früher F 16.4.1 ff AMR) abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ausnahmsweise zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind. Ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das nicht in die Liste aufgenommen ist, kann daher grundsätzlich nicht zu Lasten der GKV verordnet werden, selbst wenn es im konkreten Fall die Voraussetzungen einer "Standardtherapie" für eine "schwerwiegende Erkrankung" iSv § 12 Abs 2, 3 und 4 AMR nF (früher: F 16.1, 2 u. 3 AMR) erfüllt. Diese Bestimmungen bilden nicht für sich allein die Tatbestandsvoraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit, sondern erst zusammen mit der OTC-Liste (so auch Bay VGH vom 05.03.2009 – 14 BV 06.815, aaO). Anderenfalls brächte die AMR gegenüber dem gesetzlichen Ausgangspunkt in § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V nur wenig Neues. Auch wäre die mittlerweile gestrichene Übergangsregelung in § 34 Abs 1 Satz 4 SGB V idF des GMG (s. o. vor aa) überflüssig gewesen. Danach konnte der Vertragsarzt bis zum Inkrafttreten der Richtlinie nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel übergangsweise nach den Kriterien des Satzes 1 verordnen (Standardtherapie bei schwerwiegenden Erkrankungen). Nach Inkrafttreten der OTC-Liste hätte sich nichts geändert. Diese wäre auf eine beispielhafte Aufzählung reduziert, ohne dass dafür ein Hinweis bestünde (etwa durch Verwendung des Wortes "insbesondere" etc.). Demgemäß enthält die OTC-Liste (Anlage I zu § 12 Abs 5 AMR) klarstellend den einleitenden Satz: "Die Vorschriften in § 12 Abs 1 bis 10 der Richtlinie iVm dieser Anlage regeln abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht ver-schreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind". Entsprechendes galt zuvor gemäß F 16.9 AMR.
Die OTC-Liste führt Salbeipräparate nicht als Standardtherapeutika zur Behandlung von Hyperhidrose als schwerwiegender Erkrankung auf. Nach der Auskunft des GBA vom 18.5.2009 wurde für das Arzneimittel auch keine Aufnahme in die OTC-Liste beantragt. Auch eine verzögerte Bearbeitung eines Antrags auf Aufnahme in die OTC-Liste durch das GBA scheidet damit aus (so genanntes Systemversagen, vgl BSG vom 19. April 2004 – B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 – Visudyne). Das begehrte Präparat kann der Kläger daher schon mangels Aufnahme in die OTC-Liste nicht als Standarttherapeutikum für eine schwerwiegende Erkrankung von der Beklagten beanspru-chen.
(2) Ungeachtet dessen kann "Salvysat" bzw. Salbeiextrakt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht als Therapiestandard iSv § 12 Abs 4 AMR zur Behandlung von Hyperhidrose angesehen werden. Ob Hyperhidrose außerdem als schwerwiegende Erkrankung iSv § 12 Abs 3 AMR einzuordnen ist, erscheint zweifelhaft, kann aber offen bleiben.
Gemäß § 12 Abs 4 AMR gilt ein Arzneimittel als Therapiestandard, wenn sein therapeutischer Nutzen zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Nach der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts entspricht es dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn die Therapie die Kriterien des in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V geregelten Wissenschaftlichkeitsgebots erfüllt. Das ist der Fall, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSG vom 13. Dezember 2005 – B 1 KR 21/04 R, SozR 4-2500 § 18 Nr 5 mwN).
Diese Anforderungen erfüllt ein Salbeiextrakt in Bezug auf Hyperhidrose nicht. Zu-nächst genügt allein die arzneimittelrechtliche Zulassung von "Salvysat" für das Anwendungsgebiet der Hyperhidrose für die Einordnung als Standardtherapie nicht. Die Zulassung dient dem Nachweis der Wirksamkeit, der Unbedenklichkeit und der pharmazeutischen Qualität eines Arzneimittels. Daraus folgt noch nicht die für eine Standardtherapie erforderliche hinreichende Aussicht auf therapeutischen Nutzen. Über die Wirksamkeit hinaus ist der therapeutische Nutzen in seiner Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte sowie die Effizienz des Mittels im Vergleich zu anderen verfügbaren Mitteln und Möglichkeiten zu bewerten. Diese Gesichtspunkte werden bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht geprüft (so zutreffend auch der GBA in seiner Stellungnahme vom 18. Mai 2009, Bl. 134 ff. dA).
Auch sonst erfüllt "Salvysat" oder ein anderes Salbeiextrakt die Voraussetzungen als Therapiestandard für die Behandlung von Hyperhidrose nicht. Nach der Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zur "Definition und Therapie der primären Hyperhidrose" (http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/II/013-059.htm) basiert die Anwendung von Tabletten mit Salbeiextrakt auf Erfahrungsberichten. Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit liegen nicht vor, "so dass die Substanz allenfalls als alternati-ver bzw. adjuvanter Therapieansatz betrachtet werden muss". Auch die vom Kläger mit Schriftsatz vom 28. Juli 2009 vorgelegten Unterlagen (Bl. 142-151) vermögen nicht den hier geforderten wissenschaftlich einwandfrei geführten Nachweis zu erbringen. Die im Internet bei "medizin.at" (Bl. 145-148 dA) sowie zum Thema "Schwitzen" (Bl. 150 dA) recherchierten Beiträge beruhen auf bloßen Erfahrungsberichten (zB Prof. Dr. L. – Bl. 150: "Das Arzneimittel, das auch in der Volksmedizin eine große Tradition hat, ist der Salbei. Der Salbei hat vielfältige Anwendungsbereiche, einer davon ist der als schweißhemmendes Mittel"). In die gleiche Richtung geht es, wenn Prof. Dr. M. im Jahre 1932 ausführt (Bl. 151 dA): " so stehen uns vornehmlich drei Arzneimittel zur Bekämpfung übermäßiger Schweißbildung zur Verfügung, nämlich das Atropin, das Agacirin und die Sal-beidroge. Diese drei besitzen ohne Zweifel eine deutliche Schweiß herabsetzende Wirkung, deren Größe jedoch fast ausschließlich nach Eindrücken bewertet wird und durch exakte Versuche kaum bestimmt worden ist."
Die Stellungnahmen von Dr. M. , Dr. F. und Dr. W. geben schließlich ebenfalls keinen Anhaltspunkt für den therapeutischen Nutzen von "Salvysat" oder Salbeiextrakt nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse. Sie berichten im Wesentlichen nur über die Wirksamkeit des Mittels im Falle des Klägers und stellen damit lediglich einen einzelnen Erfahrungsbericht dar. Demnach kann von einem Therapiestandard iSd AMR nicht ausgegangen werden. Für einen so genannten Seltenheitsfall, bei dem wegen des seltenen Auftretens und demgemäß fehlender Studien ähnlich wie für die arzneimittelrechtliche Zulassung (vgl BSG vom 19. April 2004 – B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 – Visudyne) eine Ausnahme von dem Erforder-nis der Aufnahme in die OTC-Liste erwogen werden könnte, besteht nach Auswertung der medizinischen Stellungnahmen im Rechtsstreit und der Auskunft des GBA vom 14. Mai 2009 sowie angesichts der Verbreitung von Hyperhidrosis in der Bevölkerung kein Anhaltspunkt.
Gegen die Einordnung von "Salvysat" als Standardtherapeutikum für Hyperhidrose spricht letztlich auch – ohne dass es darauf noch entscheidend ankommt – der in den Fachinformationen Bl. 180 und 185 dA enthaltene Hinweis, dass das Mittel nicht länger als 14 Tage eingenommen werden soll, weil es das Krampfgift Thujon enthält. Dieser Hinweis betrifft keineswegs nur Jugendliche oder Kinder über zwölf Jahren, sondern ebenso Erwachsene, wie die von Dr. M. vorgelegte Information unzweifelhaft ergibt (Anlage 3 zum Schreiben vom 8. Oktober 2009, Bl. 198 dA). Selbst wenn der Hinweis – gemäß der vom Kläger vorgelegten Expertise des Dr. S. – unzutreffend wäre, spräche allein seine Existenz indiziell gegen den erforderlichen wissenschaftlichen Konsens, dass "Salvysat" als Standardtherapeutikum auch für die beim Kläger beste-hende chronische Hyperhidrose gilt.
(3) Für eine sonstige ausnahmsweise Leistungspflicht der GKV nach der AMR bestehen keine Anhaltspunkte. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 6-8 AMR (früher: F 16.5-7 AMR) sind nicht erfüllt. Insbesondere stellt nach allen vorliegenden medizini-schen Unterlagen die Hyperhidrose des Klägers nicht eine "unerwünschte Arzneimit-telwirkung" (UAW) iSv § 12 Abs 8 AMR (früher F 16.7) dar, die beim bestimmungsge-mäßen Gebrauch eines zugelassenen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Arzneimittels aufgetreten ist. Eine entsprechende Begründung für den Einsatz von "Salvysat", die gemäß § 12 Abs 9 AMR (F 16.8) geboten wäre, findet sich in keiner ärztlichen Stellungnahme. Der Kläger selbst gibt Stoffwechselstörungen an (Bl. 1 der Verwaltungsakte – VA), sein Hautarzt Dr. F. führt die generalisierte Hyperhidrose vornehmlich auf die bestehende Adipositas zurück (Befundbericht vom 16. Juli 2005, Bl. 40 dA). Die Hausärztin Dr. M. gibt als Ursache eine Elektrolytdiffe-renz und eine Schilddrüsenfehlfunktion an (Befundbericht vom 17. Juli 2005, Bl. 36 R dA).
bb) Die ausnahmsweise Verordnung eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels lässt sich ferner nicht auf § 31 Abs 1 Satz 5 SGB V stützen (idF des GKV-OrgWG v. 15. Dezember 2008, BGBl I 2426). Die Vorschrift regelt einen anderen Fall. Sie ermöglicht eine ausnahmsweise Verordnung von Arzneimitteln, die aufgrund der AMR nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind. Sie ist nicht anwendbar bei dem hier vorliegenden gesetzlichen Ausschluss der Leistungspflicht durch § 34 Abs. 1 Satz 1 u. 2 SGB V (so auch KassKomm/Hess, § 34 SGB V Rz. 8).
cc) "Salvysat" konnte dem Kläger auch nach der übergangsweise geltenden Geset-zeslage vor Inkrafttreten der OTC-Liste nicht zu Lasten der Beklagten verordnet werden. Der inzwischen außer Kraft getretene § 34 Abs. 1 Satz 4 SGB V (i.d.F. des GMG, s. o. vor aa) bestimmte seinerzeit, dass der Vertragsarzt bis zum Inkrafttreten der Richtlinien nach Satz 2 der Vorschrift (OTC-Liste) nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nach den Kriterien des Satzes 2 ("Therapiestandard zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung") verordnen konnte. In dieser Zeit kam es daher auf die Aufnahme des Mittels in eine Liste nicht an. Doch kann der Salbeiextrakt, wie dargelegt, nicht als Therapiestandard zur Behandlung von Hyperhidrose angesehen werden. Zudem scheitert ein solcher – auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V gerichteter – Anspruch daran, dass die bis zum ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2004 dem Kläger entstandenen Kosten nicht durch die Ablehnung der Beklagten verursacht waren. Versicherte können ausschließlich dann Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V für selbstbeschaffte Leistungen verlangen, wenn die Krankenkasse vor der Selbstbeschaffung über den Leistungsantrag entschieden hat (BSG vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 8/06, SozR 3-2500 § 34 Nr 2). Einzige Ausnahme ist der hier nicht gegebene Fall der unaufschiebbaren Leistung.
dd) Dem Ergebnis steht Verfassungs- oder Europarecht nicht entgegen. Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 6. November 2008 (B 1 KR 6/08 R - Gelomyrtol, Juris) ausführlich dargelegt, dass der grundsätzliche Ausschluss nicht ver-schreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV auf Sachgrün-den beruht und trotz des Grundkonzepts, wonach der Versicherte Anspruch auf bedarfsgerechte medizinische Versorgung hat, aus finanzwirtschaftlichen Erwägungen ein Ausschluss gewisser Arzneimittel mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist (a.a.O. Rz. 11 ff; siehe auch die Hinweise des BVerfG in seinem Beschl. Vom 4. August 2004 – 1 BvR 1076/04, Juris). Es sei verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragt hat, die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V festzulegen (so Rz. 19). Die Leistungsbegrenzung in § 34 Abs. 1 SGB V hat das Gericht auch mit Blick auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit Art 2 Abs 2 Satz 1 GG sowie das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip als verfassungskonform angesehen (Rz. 20). Der Senat schließt sich dem an, auch insoweit, als das Bundessozialgericht eine Verletzung europäischen Rechts verneint hat (Rz. 21 ff.).
b) Die Beklagte hat die Kosten für "Salvysat" oder Salbeiextrakt auch nicht aus dem Gesichtpunkt der Sozialhilfe zu übernehmen. Gemäß § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) muss die Beklagte als angegangener Träger allerdings grundsätz-lich auch prüfen, ob der geltend gemachte sozialrechtliche Leistungsantrag von einem anderen Träger nach dessen Leistungsrecht zu erfüllen ist. Leitet sie den Antrag nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen an den zuständigen Träger weiter, bleibt sie zur Bescheidung des Antrags unter Anwendung des maßgeblichen Leistungsrechts zuständig. Ob die Beklagte im vorliegenden Fall den Antrag des Klägers auf Kostener-stattung und künftige Versorgung mit dem Arzneimittel unter den gegebenen Umstän-den auch als Antrag auf Leistung nach dem SGB XII auslegen musste, kann aber dahinstehen. Denn der Kläger kann – nach eigenen Angaben auf Befragen des Senats und vorausgegangenem Hinweis (vom 19. August 2009, Bl. 162 d. A.) – als Empfänger einer Rente wegen voller Erwerbsminderung Sozialhilfe nicht beanspruchen. Auf die weitere Frage, ob die Kostenbelastung von monatlich unter 30,00 EUR überhaupt einen sozialhilferechtlichen Sonderbedarf gebildet hätte, kam es daher nicht mehr an.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind.
Rechtskraft
Aus
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SAN
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