S 18 SB 798/14

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 18 SB 798/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 106/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, inwieweit der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) herabsetzen durfte.

Bei der am ... geborenen Klägerin war ein Mamma-Karzinom rechts im Stadium T1c/G2/L1/V0/R0/N1a festgestellt worden, weswegen im November 2008 die Segmentsektion der rechten Mamma erfolgte. Der Beklagte stellte daraufhin mit Feststellungsbescheid vom 29. Januar 2009 bei der Klägerin einen GdB um 60 für den Teilverlust der rechten Brust bei Erkrankung in Heilungsbewährung fest.

Im Jahr 2014 nahm der Beklagte eine Überprüfung von Amts wegen vor und holte hierfür zunächst einen Befundbericht der Fachärztin für Innere Medizin/Onkologie Dr. A. vom 9. Februar 2014 ein. Diese gab an, dass bei der Klägerin ein chronisches Lymphödem des rechten Arms und der Restbrust mit Spannung, Schmerzen, Rötung und Bewegungseinschränkung des rechten Arms bestünde, außerdem Sensibilitätsstörungen der Zehen. Es bestehe kein Anhalt für ein Rezidiv der Krebserkrankung. Erforderlich seien regelmäßige Lymphdrainage und das Tragen eines Kompressionsstrumpfs. Weiter holte der Beklagte einen Befundbericht der Fachärztin für Orthopädie Dr. L. vom 22. April 2014 ein. Diese diagnostizierte bei der Klägerin Gonarthrose mit Schmerzen und gab an, dass die Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes in der Extension/Flexion bis 0/0/90° möglich gewesen sei. Daraufhin hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Juli 2014 zu der beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 30 für den Teilverlust der rechten Brust und Restbeschwerden wie Lymphödem, Bewegungs- und Sensibilitätsstörungen an. Die Klägerin nahm dazu dahingehend Stellung, dass sie Sensibilitätsstörungen und Gelenkschmerzen habe und die ständige Einnahme von Schmerzmitteln notwendig sei.

Mit Bescheid vom 20. August 2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 29. Januar 2009 auf und stellte bei der Klägerin ab 1. September 2014 einen GdB um 30 für den Teilverlust der rechten Brust und Restbeschwerden wie Lymphödem, Bewegungs- und Sensibilitätsstörungen fest. Den dagegen am 10. September 2014 eingegangenen Widerspruch begründete die Klägerin nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 29. Dezember 2014 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg mit der Begründung erhoben, dass ihre behandelnden Ärzte der Meinung seien, dass die Herabsetzung des GdB nicht gerechtfertigt sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 20. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die in den angefochtenen Bescheiden gegebene Begründung.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung von schriftlichen Befundberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin, von Dr. A. vom 22. Dezember 2016, von der Frauenärztin Diplom-Medizinerin H. vom 1. Januar 2017, von der Internistin Dr. K. vom 7. Dezember 2016 und von Dr. L. vom 5. Dezember 2016. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf diese Befundberichte nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid vom 20. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Beklagte hat zu Recht den Bescheid vom 29. Januar 2009 aufgehoben und bei der Klägerin ab 1. September 2014 keinen höheren GdB als 30 festgestellt.

Gegenstand des Rechtsstreits ist eine isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bezieht sich daher auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung des Beklagten am 4. Dezember 2014 (siehe z. B. BSG, Urteil vom 10. September 1997 - 9 RVs 15/96, zitiert nach juris Rn. 11 mit weiteren Nachweisen).

Die angefochtenen Bescheide sind zunächst formell rechtmäßig. Insbesondere hat der Beklagte die Klägerin nach § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) vor Erlass der Bescheide ordnungsgemäß angehört.

Die Bescheide sind aber auch materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Eine solche Änderung ist hier eingetreten, weil die Klägerin keinen Anspruch mehr auf die Feststellung eines höheren GdB als 30 hat.

Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14. Januar 2015 geltenden Fassung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Die hiernach erlassene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) regelt gemäß ihrem § 1 die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Gemäß § 2 Satz 1 VersMedV sind diese Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) in der Anlage zur VersMedV festgelegt. Die VG enthalten in Teil A Allgemeine Grundsätze und in Teil B die GdB-Tabelle. Es sind in jedem Einzelfall alle körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens festzustellen, Teil A Nr. 2 a) der VG. Dabei sollen nach Teil A Nr. 2 e) der VG im Allgemeinen die folgenden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden: Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf.

Die Klägerin hat zunächst keinen Anspruch mehr auf die Feststellung eines GdB wegen der Entfernung des Brustdrüsentumors gemäß Teil B Nr. 14.1 der VG. Denn die danach maßgebliche Heilungsbewährung von 5 Jahren ist abgelaufen. Nach Teil A Nr. 7 b) der VG ist nach Ablauf der Heilungsbewährung auch bei gleichbleibenden Symptomen eine Neubewertung des GdB zulässig, weil der Ablauf der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob sich der Gesundheitszustand der Klägerin sonst in irgendeiner Weise verändert hat, vielmehr ist nach Ablauf der Heilungsbewährung der GdB ausschließlich noch nach den verbliebenen Gesundheitsstörungen zu bemessen.

Für die Segmentresektion der rechten Brust ist nach Teil B Nr. 14.1 der VG ein GdB um 0-20 vorgesehen, so dass sich hierfür kein höherer GdB als 20 ergeben kann.

Für das Lymphödem der Klägerin hält die Kammer ebenfalls keinen höheren GdB als 20 für angemessen. Die hierfür maßgeblichen Grundsätze sind in Teil B Nr. 9.2.3 der VG festgelegt. Danach ist für ein Lymphödem an einer Gliedmaße ohne wesentliche Funktionsbehinderung, Erfordernis einer Kompressionsbandage ein GdB um 0-10, mit stärkerer Umfangsvermehrung (mehr als 3 cm) je nach Funktionseinschränkung dagegen ein GdB um 20-40 vorgesehen.

Dabei geht die Kammer zunächst davon aus, dass bei der Klägerin ein Lymphödem nur rechts besteht. Diesbezüglich hat Dr. A. in ihrem Befundbericht vom 22. Dezember 2016 zwar angegeben, dass bei der Klägerin ein Lymphödem rechts mehr als links bestünde. Das hält die Kammer aber nicht für zutreffend. Denn sowohl Diplom-Medizinerin H. als auch Dr. K. haben in ihren Befundberichten angegeben, dass bei der Klägerin ein Lymphödem des rechten Arms und der Brust bestünde. Zudem hatte Dr. A. in ihrem im Verwaltungsverfahren eingeholten Befundbericht vom 9. Februar 2014 ebenfalls ein Lymphödem nur rechts berichtet.

Bezüglich des Lymphödems rechts hat Diplom-Medizinerin H. auf die konkrete Frage des Gerichts in ihrem Befundbericht eingeschätzt, dass das Erfordernis einer Kompressionsbandage bestünde. Das würde nach Teil B Nr. 9.2.3 der VG lediglich zu einem GdB um 10 führen. Da Dr. K. in ihrem Befundbericht aber angegeben hat, dass eine Umfangsvermehrung von 3,5 cm bestünde und dadurch das Schreiben an der Tafel als Lehrerin erschwert sei, hält die Kammer hierfür einen GdB um 20 für sachgerecht. Das entspricht zudem dem nach Teil 18.13 der VG vorgesehenen GdB für eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks, wenn die Armhebung nur bis 90° möglich ist. Eine Bewegungseinschränkung solchen Ausmaßes hat Dr. A. in ihrem Befundbericht vom 22. Dezember 2016 mitgeteilt.

Schließlich hält die Kammer für die von Dr. L. mitgeteilte Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes bis 0/0/90° nach Teil B Nr. 18.14 der VG einen GdB um 10 für angemessen.

Weitere Erkrankungen, die mit einem GdB um mindestens 10 zu bewerten wären, sind bei der Klägerin nicht ersichtlich.

Da bei der Klägerin Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Gesamtbehinderung zu ermitteln. Liegen danach mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Nähere Vorgaben dazu enthält Teil A Nr. 3 der VG: Bei der Bildung des Gesamt-GdB dürfen die einzelnen GdB-Werte nicht addiert werden. Es ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen, von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.

Danach ergibt sich selbst dann kein höherer Gesamt-GdB als 30, wenn der GdB um 20 für die Segmentresektion der rechten Brust wegen des Lymphödems des rechten Arms erhöht wird. Wegen der mit einem GdB um 10 zu bewertenden Bewegungseinschränkung des Kniegelenkes ist keine Erhöhung vorzunehmen, weil für einen Ausnahmefall nichts ersichtlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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