Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 39/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 53/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 55/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Mai 2008 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Berufungsverfahren noch, ob die im Bereich des rechten Auges des Klägers anerkannten Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) bedingen.
Der 1957 geborene und (seinerzeit) in D. als Küchenhilfe beschäftigte Kläger erlitt am 15. September 2004 nach Beendigung seiner Arbeit um 4.00 Uhr mit seinem Pkw einen Unfall, als er auf der Fahrt von seiner (damaligen) Nebenwohnung in D. zum Familienwohnsitz nach W. gegen 12.20 Uhr auf der B 100 am Ortsausgang B. in Höhe der Einmündung N. Straße von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum stieß (Verkehrsunfallanzeige vom 15. September 2004 und Unfallanzeige vom 1. Dezember 2004). Nach seinen Angaben habe er nach dem Arbeitsende in seiner Nebenwohnung geschlafen und sei von dort gegen 10.00 Uhr gestartet. Zum Unfallzeitpunkt sei ihm schwarz vor Augen geworden. Laut seinem Durchgangsarztbericht vom 16. September 2004 erhob der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses B./W. Dr. K. im Rahmen seiner am Unfalltag um 13.00 Uhr durchgeführten Untersuchung einen Druckschmerz im Bereich der linken Thoraxseite in Höhe der vierten bis achten Rippe und diagnostizierte eine entsprechende Prellung. Äußere Verletzungszeichen seien nicht sichtbar.
Unter dem 2. Februar 2005 teilte Dr. K. ergänzend mit, der Kläger habe bei der Untersuchung am 15. September 2004 auch auf eine bekannte Augenerkrankung hingewiesen, weshalb eine Vorstellung in der Augenklinik D. veranlasst worden sei. Dort waren für die am 16. September 2004 um 18.00 Uhr durchgeführte Untersuchung von Privatdozent (PD) Dr. F. für das rechte Auge u.a. eine Oberlidptosis, ein erheblicher gemischter Reizzustand, eine Stromatrübung der Hornhaut, Fibrinschwaden in der Vorderkammer sowie eine übermittelweit entrundete und nach nasal oben ausgezogene Pupille festgehalten worden. Als Zustand nach Verkehrsunfall hatte PD Dr. F. die Diagnosen einer Contusio bulbi, Hinterkammerlinsendislokation, intraokularer Reizzustand sowie Ablatio retinae (Netzhautablösung) mit Riesenriss gestellt. Bereits im zwölften Lebensjahr habe der Kläger am rechten Auge ein Trauma erlitten, aus dem sich seit 1988 ein Sekundärglaukom entwickelt habe. Am 29. September 2004 sei in D. eine operative Reposition der Hinterkammerlinse erfolgt. Nachdem sich eine Netzhautablösung entwickelt habe, sei der Kläger in die Universitätsaugenklinik L. überwiesen worden.
Am 8. Oktober 2004 stellte sich der Kläger bei dem Facharzt für Augenheilkunde Dr. H. vor, der als Sehschärfe links einen Wert von 1,0 und rechts nur Lichtschein angab (Augenarztbericht vom 5. November 2004). In seinem Bericht vom 7. Dezember 2004 hielt er als Diagnosen eine Ablatio retinae nach Contusio bulbi mit Luxation und Druckdekompensation rechts sowie Visuswerte von 1/15 rechts und 1,0 links fest. Laut seinen Angaben vom 25. Januar 2005 befinde sich der Kläger wegen eines Glaukoms rechts seit März 1991 und wegen einer Augenlinsentrübung rechts seit August 1993 in Behandlung. Am 27. März 2001 sei eine Kataraktoperation mit Implantation einer Kunstlinse rechts erfolgt. Am 9. September 2002 habe eine Laserbehandlung des rechten Auges stattgefunden. Bis zum Unfall habe der Visus des rechten Auges bei 0,8 gelegen. Es sei mit einer MdE um wahrscheinlich 25 vH zu rechnen.
Auf Anfrage der Beklagten gab der Oberarzt der Augenklinik des Städtischen Klinikums D. Dr. K. unter dem 21. März 2005 ergänzend an, bei der Erstuntersuchung am 16. September 2004 hätten am rechten Auge zunächst erhebliche entzündliche Veränderungen ohne weitere Verletzungszeichen bestanden, welche einen typischen Unfallschaden nicht eindeutig erkennen ließen. Nach Abklingen dieser Befunde habe sich eine Dislokation der Hinterkammerlinse gezeigt.
Die Beklagte ließ den Direktor der Universitätsaugenklinik L. Prof. Dr. W. zusammen mit dem Oberarzt Dr. O. und dem Assistenzarzt N. nach ambulanter Untersuchung am 29. April 2005 das Gutachten vom 28. Juli 2005 erstatten. Gegenüber dem Sachverständigen gab der Kläger an, im zwölften Lebensjahr von einem Baseball am rechten Auge getroffen worden zu sein. Später habe sich ein Sekundärglaukom gebildet, welches dann mittels der Kataraktoperation im Jahre 2001 versorgt worden sei. Beim Unfall am 15. September 2004 sei er mit dem Kopf auf das Lenkrad geschlagen. Nach der Verlegung von D. nach L. seien dort am 4. Oktober 2004 eine Augapfelumgürtelung gelegt sowie der Glaskörper und Teile der Netzhaut entfernt worden. Im Ergebnis schätzte Prof. Dr. W. ein, dass als Folge einer unfallbedingten Augapfelprellung mit Netzhautablösung rechts eine ausgeprägte Visusreduktion bei schweren Netzhautveränderungen mit zentralem Netzhautloch, abgehobenen Netzhauträndern und narbigen peripheren Veränderungen vorliege. Hierfür spreche insbesondere die aus dem Aufnahmebefund der Augenklinik D. ableitbare Art und Schwere der Einwirkung. Nicht unfallbedingt seien dagegen das Sekundärglaukom nach Contusio bulbi im Jugendalter sowie der Zustand nach Kunstlinsenimplantation (Pseudophakie) bei Linsentrübung rechts. Der (Gesamt-)Grad der MdE sei um 25 vom Hundert (vH) zu bemessen, wobei entsprechend den Mitteilungen Dr. H.s aufgrund der Pseudophakie von einem Vorschaden um 10 vH auszugehen sei. Die korrigierte Sehschärfe links betrage 1,0, rechts ohne Korrektur 1/30 (0,032) und mit Korrektur 1/25 (0,04).
Der Augenarzt Dr. W. gab in seiner beratenden Stellungnahme vom 19. September 2005 die Einschätzung ab, die nach dem Unfall vom 15. September 2004 aufgetretenen Augenprobleme des Klägers seien mit hoher Wahrscheinlichkeit allein aus dem Unfall im zwölften Lebensjahr erklärbar. Hierfür sei anzuführen, dass der D-Arzt keine äußeren Verletzungen am Auge festgestellt und der Kläger ihm gegenüber auch nicht über Sehstörungen geklagt, sondern nur einen früher erlittenen Unfall am rechten Auge angegeben habe. Hinzu komme, dass Linsenverlagerungen nach Staroperationen, die wegen einer Bulbusprellung notwendig würden, auch noch nach Jahren zu beobachten seien. Auch eine Laserbehandlung, wie sie am 9. September 2002 erfolgt sei, könne eine Kunstlinsenverlagerungstendenz verstärken. Schließlich träten entzündliche Veränderungen, wie sie in der Augenklinik D. erhoben worden seien, entweder endogen (anlagebedingt) oder nach perforierender Augenverletzung auf, die hier eindeutig nicht vorgelegen habe. Im Übrigen habe Prof. Dr. W. im Rahmen seiner Befunderhebung einen hochgradigen Sehnervenschwund beschrieben, der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als starbedingt zu werten sei, so dass von einer MdE um 15 vH schon vor dem angeschuldigten Unfall ausgegangen werden könne.
Aus den von der Beklagten von Dr. H. beigezogenen Aufzeichnungen seiner Krankenakte geht u.a. für den 31. Mai 2001 für das rechte Auge ein Visus von 0,8 hervor.
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 15. September 2004 als Arbeitsunfall ab; Leistungen seien deshalb nicht zu erbringen. Ebenso wie von Dr. K. seien auch von der Augenklinik D. keine äußeren Verletzungszeichen mitgeteilt, sondern erhebliche entzündliche Veränderungen des rechten Auges entdeckt worden. Da somit kein Körperschaden erwiesen sei, seien auch keine Leistungen zu gewähren.
Hiergegen erhob der Kläger am 20. Oktober 2005 Widerspruch und trug vor, dass er bei der Kollision mit dem rechten Auge auf das Lenkrad des Pkw´s geschlagen sei, der über keinen Airbag verfügt habe. Wie Prof. Dr. W. in seinem Gutachten zutreffend festgestellt habe, sei das rechte Auge nicht so vorgeschädigt gewesen, dass die diagnostizierten Unfallfolgen in gleicher Art in etwa zur gleichen Zeit bei jeder alltäglichen Verrichtung eingetreten wären, womit der Unfall vom 15. September 2004 kein austauschbares Ereignis im Sinne einer so genannten Gelegenheitsursache sei.
In seinem Bericht vom 12. Dezember 2005 teilte Dr. H. ergänzend mit, dass der Visus des rechten Auges des Klägers bei der Erstuntersuchung am 6. März 1991 0,9 betragen habe. Ebenso wie Prof. Dr. W. und entgegen Dr. W. sei auch er der Ansicht, dass eine Luxation der Kunstlinse sowie die Netzhautablösung direkte Folgen des Unfalls vom 15. September 2004 seien.
Nach Einholung einer nochmaligen Stellungnahme Dr. W.s wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2006 als unbegründet zurück.
Am 12. April 2006 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau Klage erhoben und sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen vertieft und die Ansicht vertreten, der 10%ige Vorschaden sei deshalb bei der Bemessung der unfallbedingten MdE außer Betracht zu lassen, weil das Unfallgeschehen eben keine Gelegenheitsursache darstelle und sein Sehvermögen sich nach Einsatz der Kunstlinse fast vollständig erholt habe.
Aus dem vom Kläger vorgelegten Einsatzprotokoll des Rettungsassistenten ergibt sich, dass dieser bei seinem Eintreffen am Unfallort um 12.35 Uhr als Diagnosen geschlossene Verletzungen des rechten Auges und des linken Thorax sowie als Unfallmechanismus ein stumpfes Trauma festgehalten hatte.
Das SG hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Oberarzt der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums M. Dr. W. das Gutachten vom 3. Dezember 2007 nach ambulanter Untersuchung am 6. August 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 10. April 2008 eingeholt. Der Gutachter hat einen Visus des rechten Auges von 1/30 (links korrigiert 1,0) erhoben. Der Unfall vom 15. September 2004 habe zu einer Augapfelprellung rechts geführt. Die dabei abgelaufene Krafteinwirkung habe einen ausgeprägten intraokularen Reizzustand sowie eine Verlagerung der Hinterkammerlinse bedingt. Als Folgen seien ein stark herabgesetztes Sehvermögen bei schweren Netzhautschäden mit einem zentralen Netzhautloch, angehobenen Rändern und peripheren narbigen Netzhautveränderungen verblieben. Obwohl im D-Arztbericht äußere Augen- und Lidverletzungen nicht festgehalten seien, spreche die weiterhin bestehende lichtstarre Pupillenerweiterung für diese Einschätzung. Unfallunabhängig bestünden im Bereich des rechten Auges ein Sekundärglaukom nach Contusio bulbi im Jugendalter, ein Zustand nach Kunstlinsenimplantation sowie eine zentrale optische Lücke bei Zustand nach Laserbehandlung. Die MdE sei um 25 vH einzuschätzen; der Vorschaden betrage wegen der Pseudophakie 10 vH. Werde zur Berechnung des Vorschadens nur das Sehvermögen herangezogen, resultiere insoweit keine messbare MdE. Die unfallbedingte MdE sei dann um 25 vH zu bemessen.
Mit Urteil vom 21. Mai 2008 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2006 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 Verletztenrente nach einer MdE um 25 vH zu zahlen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Darlegungen Dr. W.s gestützt, die überzeugten.
Gegen das ihr am 5. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. Juni 2008 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Sie macht gegen das Urteil des SG noch geltend, dass angesichts des von allen Ärzten übereinstimmend bezifferten Gesamtschadens um 25 vH sowie des Vorschadens, den Prof. Dr. W. und Dr. W. grundsätzlich mit einer MdE um 10 vH und Dr. W. mit einer solchen um 15 vH bewertet hätten, keine unfallbedingte MdE um 25 vH zu begründen sei. Diese belaufe sich allenfalls auf 10 bis 15 vH.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, er habe vor dem Unfall eine praktisch unbeeinträchtigte Sehschärfe besessen. Daher sei die jetzt unstrittig verbliebene Funktionsstörung, die die Erwerbsfähigkeit um 25 vH mindere, in vollem Umfang Folge des Arbeitsunfalls.
Aus einer Aufstellung der Krankenkasse des Klägers geht als letzter Tag einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit nach dem Arbeitsunfall der 30. Januar 2005 hervor.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2011 hat die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 11. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2006 das Ereignis vom 15. September 2004 mit einer folgenlos ausgeheilten Thoraxprellung links als Arbeitsunfall anerkannt, was der Kläger mit Schreiben vom 15. Dezember 2011 angenommen hat.
Darüber hinaus hat die Beklagte im Termin der mündlichen Verhandlung am 22. Dezember 2011 auf der Grundlage einer Augapfelprellung ein herabgesetztes Sehvermögen rechts bei schweren Netzhautveränderungen mit zentralem Netzhautloch, angehobenen Netzhauträndern und narbigen peripheren Netzhautveränderungen bei unfallunabhängig vorbestehendem Sekundärglaukom nach Contusio Bulbi im Jugendalter, einem Zustand nach Kunstlinsenimplantation sowie einer zentralen optischen Lücke bei Zustand nach Laserbehandlung als Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 anerkannt, was der Kläger angenommen hat. Schließlich haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung darüber geeinigt, dass bei der Prüfung einer Stützrentengewährung beim Kläger vom 31. März 2011 an wegen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 von einer MdE um 15 vH auszugehen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung hat im noch anhängigen Umfang Erfolg.
Der Kläger kann sein Begehren gemäß § 54 Abs. 1 und 4 SGG zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgen. Bezogen auf die Leistungsklage kann dahinstehen, ob das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Unfallversicherungsträger jedwede Entschädigung schon deshalb abgelehnt, weil nach seiner Auffassung kein Versicherungsfall vorliegt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 23, m.w.N.). Denn hier hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 11. Oktober 2005 nicht nur die Feststellung eines Versicherungsfalls als solchen abgelehnt, sondern dies nach dem Verfügungssatz ausdrücklich mit einer Entscheidung über eine Leistungsgewährung verknüpft.
Die danach zulässige Klage ist im noch anhängigen Umfang unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2006 sowie der Teilanerkenntnisse vom 12. und 22. Dezember 2011 beschweren den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn die im Bereich seines rechten Auges anerkannten Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 bedingen keine MdE um mindestens 20 vH, so dass sich insoweit kein Anspruch auf Verletztenrente ergibt.
Ein solcher setzt nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 vH gemindert ist. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe etwa bei Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Juni 2011, K § 56, Anhang V). Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (vgl. nur BSG, Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt 2003, 565.; Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R – SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Ist die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten aufgrund eines Vorschadens bereits vor dem Versicherungsfall gemindert, können die MdE-Erfahrungswerte nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Denn dann können sich die Folgen des Versicherungsfalls und der Vorschaden gegenseitig beeinflussen. Typischerweise ist eine derartige Beeinflussung anzunehmen, wenn zwischen ihm und dem durch den Versicherungsfall verursachten Schaden eine funktionelle Wechselbeziehung vorliegt, was vor allem bei paarigen Körperteilen und Organen oder in Abhängigkeit zueinander bestehenden Organsystemen (z.B. Arme, Beine, Augen, Nieren) der Fall sein kann. Im Vergleich zum Regelfall (kein Vorschaden) kann sich die MdE erhöhen, wenn die Folgen des Versicherungsfalles den Versicherten auf Grund des Vorschadens erheblich stärker treffen als einen Gesunden (z.B. Verlust des zweiten Armes bei einem Einarmigen). Es gehört nämlich zum Risiko der Unfallversicherung, auch für solche Folgen einzustehen, in denen sich die unmittelbaren Folgen des Versicherungsfalls wegen des Vorschadens verstärken. Umgekehrt kann die MdE beim Zusammentreffen mit einem Vorschaden auch niedriger zu bemessen sein als üblich. Dies gilt insbesondere, wenn ein bereits relevant in seiner Gebrauchsfähigkeit beeinträchtigter Körperteil durch einen Unfall getroffen wird, so dass sich die Funktionsstörungen aus dem Vor- und dem Unfallschaden überschneiden (z.B. Verlust des linken Beines im Unterschenkel bei amputiertem Fuß links als Vorschaden). Es ist sogar denkbar, dass der durch den Arbeitsunfall Betroffene besser gestellt wird, als sein Zustand angesichts des Vorschadens war (BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 25/05 R – SozR 4-2700 § 56 Nr. 2).
Liegt ein solcher Fall gegenseitiger Einflussnahme von Vor- und Versicherungsfallschaden vor, ist klarzustellen, inwieweit bereits eine Funktionsbeeinträchtigung bestand und ob diese durch den Versicherungsfall – in welchem Maße – weiter zugenommen hat. Hierbei darf aus dem MdE-Wert des Vorschadens und dem MdE-Wert des versicherten Schadens nicht etwa eine Gesamt-MdE gebildet werden. Denn entschädigt wird – unter Berücksichtigung des Vorschadens – nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nur der "infolge eines Versicherungsfalls" verschlimmerte Anteil, also die verursachte Steigerung der MdE. Nur dieser ist nämlich der schädigenden Einwirkung zuzurechnen (so schon für den Bereich des Versorgungsrechts BSG, Urteil vom 15. Dezember 1959 – 11/10 RV 1326/56 – BSGE 11, 161 (163); Kater in: ders./Leube, SGB VII, § 56 Rn. 58; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Abschn. 1.8.2, S. 34, Abschn. 3.6.4, 104 ff. und Abschn. 6.4.8.2, S. 300 f.). Erforderlich ist damit eine relevante Vergrößerung des bereits vorhandenen Schadens. Bei der Feststellung dieses durch den Versicherungsfall bewirkten Verschlimmerungsanteils ist von der Erwerbsfähigkeit des Verletzten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls auszugehen, von seiner unter Berücksichtigung der Vorschädigung verbliebenen individuellen Erwerbsfähigkeit. Dann ist festzustellen, wie die Folgen des Versicherungsfalls bei einem nicht vorgeschädigten Versicherten zu bewerten wären. Schließlich ist zu ermitteln, welcher Teil der vor dem Versicherungsfall vorhandenen individuellen Erwerbsfähigkeit durch die zu beurteilende Einwirkung weiter gelitten hat (versicherungsfallbedingte individuelle Erwerbsfähigkeit). Hierbei ist die individuelle Erwerbsfähigkeit des Verletzten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls – auch angesichts des Vorschadens – mit 100 vH anzusetzen und die durch den Versicherungsfall verursachte Einbuße an dieser Erwerbsfähigkeit in einem bestimmten vH-Satz auszudrücken, wobei eine allein rechnerische Betrachtung (siehe hierzu Kater, a.a.O., § 56 Rn. 59) unzulässig ist (so schon BSG, Urteil vom 29. April 1964 – 2 RU 155/62 – BSGE 21, 63; Urteil vom 3. März 1966 – 8 RV 815/64 – BSGE 24, 275). Entscheidend ist vielmehr der im Einzelfall sachgerecht zu schätzende Funktionsverlust im Verhältnis zum Zustand vor dem Versicherungsfall. Je stärker sich der Vorschaden und die Schädigung durch den Versicherungsfall in Bezug auf die betroffene Funktionseinheit gegenseitig beeinflussen und kumulieren, um so mehr ist der Vorschaden bei der Feststellung des Grades der versicherungsfallbedingten individuellen MdE einzubeziehen (BSG, Urteil vom 3. März 1966, a.a.O.; Kranig, a.a.O., K § 56 Rn. 42; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand August 2011, § 56 Rn. 10.6).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die durch die Unfallfolgen bedingten Funktionseinschränkungen des rechten Auges des Klägers mit einer MdE um 15 vH zu bemessen, wobei der Senat im Ergebnis den Empfehlungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. folgt, die mit den etablierten Erfahrungssätzen überein stimmen.
Als Vorschaden liegen bei dem Kläger im Bereich des rechten Auges ein Sekundärglaukom nach Contusio bulbi im Jugendalter, ein Zustand nach Kunstlinsenimplantation bei Linsentrübung sowie eine zentrale optische Lücke bei Zustand nach Laserbehandlung vor. Dies haben Prof. Dr. W. und Dr. W. übereinstimmend festgestellt, wird auch von Dr. H. bestätigt und ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Darüber hinaus ist durch die Angaben Dr. H.s bereits vor dem Arbeitsunfall vom 15. September 2004 ein vermindertes Sehvermögen des rechten Auges nachgewiesen. Denn für den 31. Mai 2001 ist durch seine Eintragungen in der Krankenakte des Klägers eine Sehkraft von 0,8 rechts belegt. In seinen Berichten vom 25. Januar und 12. Dezember 2005 hat Dr. H. zudem ausdrücklich erklärt, dass dieser Visus bis zum Unfall gegeben war. Auf dem linken Auge des Klägers besteht demgegenüber (bei entsprechender Korrektur) durchgehend bis heute volle Sehkraft. Ausgehend hiervon ist die von Prof. Dr. W. im Gutachten vom 28. Juli 2005 für den Vorschaden am rechten Auge eingeschätzte MdE um 10 vH nicht zu beanstanden. Denn nach den einschlägigen Erfahrungswerten wird die MdE bei einer Sehschärfe von 0,4 und mehr im Falle eines durch Kunstlinsenersatz korrigierten Linsenverlustes mit eben diesem Grad bemessen (siehe Kranig, a.a.O., K § 56 S. 48; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Anhang 12, J 006; Schönberger/Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Abschn. 6.4.4, S. 296). Dem entspricht grundsätzlich auch die Empfehlung Dr. W.s, der für den Vorschaden ebenfalls eine MdE um 10 vH benannt und zur Begründung ausdrücklich auf die Pseudophakie abgestellt hat. Soweit er nur die Sehkraft herangezogen hat, resultierte insoweit nach der einschlägigen Tabelle (siehe nur Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, Abschn. 6.4.1, S. 292) bei einer Sehstärke von 0,8 rechts und 1,0 links zwar in der Tat keine messbare MdE, womit die unfallbedingte MdE um 25 vH zu veranschlagen wäre. Dabei lässt er es aber nicht bewenden. Ein Abstellen allein auf die Sehschärfe steht auch nicht mit den Erfahrungswerten in Einklang, die hierfür die Unkorrigierbarkeit einer verminderten Sehschärfe im Falle des Linsenverlustes voraussetzen (Schönberger/Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Abschn. 6.4.4, S. 296). Eine solche Situation lag beim Kläger vor dem Unfall aber gerade nicht vor. Der Senat sieht insoweit auch keine Veranlassung, von den hergebrachten Bewertungsvorschlagen abzugehen, denen die Erwägung zugrunde liegt, dass ein Zustand nach Linsenverlust wegen des dadurch verlorenen Anpassungsvermögens bereits für sich eine nicht lediglich unerhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung darstellt, die sachgerecht mit einer MdE um 10 vH zu erfassen ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, Abschn. 6.4.4, S. 296; Gramberg-Danielsen/ Lehmann in: Ludolph/Schürmann/Gaidzik, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, Stand Dezember 2011, VI-4.1, S. 8).
Dem Senat erscheint es daher angemessen, für das Sekundärglaukom, den Zustand nach Kunstlinsenimplantation sowie die nach der Laserbehandlung am 9. September 2002 verbliebene zentrale optische Lücke und dem damit einhergehenden vor dem Arbeitsunfall vom 15. September 2004 dokumentierten Sehvermögen rechts eine insgesamt um 10 vH geminderte individuelle Erwerbsfähigkeit als Vorschaden anzusetzen.
Für die von Dr. W. vorgeschlagene Bemessung des Vorschadens um 15 vH verbleibt dagegen kein Raum, nachdem ein von ihm vermuteter starbedingter Sehnervenschwund bereits vor dem 15. September 2004 zwar durchaus möglich erscheint, Belege hierfür aber nicht vorhanden sind.
Die im Bereich des rechten Auges des Klägers bestehenden Unfallfolgen (schwere Netzhautveränderungen mit zentralem Netzhautloch, angehobenen Netzhauträndern und narbigen peripheren Veränderungen) wären bei der verbliebenen Gebrauchssehkraft rechts im Falle eines nicht vorgeschädigten Versicherten mit einer MdE um 25 vH zu bewerten. Prof. Dr. W. dokumentierte im Rahmen seiner Untersuchung des Klägers am 29. April 2005 einen (korrigierten) Visus rechts von 1/25. Dem entspricht im Wesentlichen auch die Befunderhebung durch Dr. W., der für den 6. August 2007 einen (unkorrigierbaren) Wert von 1/30 rechts gemessen hat. Nach den Erfahrungswerten wird die MdE bei einer verbliebenen Sehkraft von 1/20 – und weniger – auf einem Auge und 1,0 auf dem anderen Auge um 25 vH bemessen (statt aller Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, Abschn. 6.4.1, S. 292). Dieser Grad, der dem vollständigen Verlust des Sehvermögens auf einem Auge bei voller Sehkraft des anderen Auges entspricht (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 6.4.1, S. 293), kann hier nicht weiter erhöht werden, was zudem kein eingeschalteter Arzt vorgeschlagen hat. Weder haben Prof. Dr. W. oder Dr. W. bei ihren jeweiligen Befundbeschreibungen Gesichtspunkte mitgeteilt, die unter Umständen eine Erhöhung der MdE rechtfertigen könnten (z.B. entstellende Narben oder chronische Reizzustände), noch sind entsprechende Indizien in diese Richtung sonst vorhanden (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 6.4.1, S. 292).
Ist demnach für den Vorschaden auf dem rechten Auge von einer individuellen MdE des Klägers um 10 vH auszugehen und würden die durch den Arbeitsunfall vom 15. September 2004 hervorgerufenen Funktionseinschränkungen auf diesem Auge ohne den Vorschaden grundsätzlich zu einer MdE um 25 vH führen, rechtfertigt die unfallbedingte individuelle Erwerbsfähigkeit des Klägers unter Einbeziehung des Vorschadens keine Bemessung mit einer MdE um mindestens 20 vH. Denn der Ansatz eines solchen Wertes entspricht nicht dem durch den Arbeitsunfall verschlimmerten Funktionsverlust im Verhältnis zum Zustand vor dem Versicherungsfall. Im Gegenteil liefe die Steigerung auf einen MdE-Satz um mindestens 20 vH darauf hinaus, den Vorschaden nahezu unberücksichtigt zu lassen bzw. die schon aus ihm herrührende MdE praktisch vollständig dem Arbeitsunfall zuzurechnen. Obgleich schon vor dem Arbeitsunfall ein erheblicher Schaden des rechten Auges bestanden hat, würde der Kläger dann so behandelt, als wenn dort ein unbeeinträchtigter Zustand vorgelegen und der unfallbedingte Schaden allein für sich nochmals zu einer diesem Vorschaden gleichkommenden Funktionseinbuße geführt hätte. Die durch den Arbeitsunfall zu entschädigende MdE kann folglich nicht mit derjenigen gleichgesetzt werden, die im Wesentlichen auch einem bisher mit voller Funktion des Auges ausgestatteten Versicherten zuzubilligen wäre (in diesem Sinne bereits BSG, Urteil vom 3. März 1966, a.a.O.; SGB VII-Kommentar/Krasney, Stand Oktober 2011, § 56 Rn. 56).
Da nach alledem der Arbeitsunfall vom 15. September 2004 den bereits vorhandenen Schaden des rechten Auges nicht so relevant vergrößert hat, dass hierfür eine Bemessung mit einer MdE um mindestens 20 vH gerechtfertigt ist, besteht vom 31. Januar 2005 an (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) kein Anspruch auf Verletztenrente. Der Berufung war somit stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei der Senat berücksichtigt hat, dass (fast) bis zum Schluss des Verfahrens neben der Anerkennung des Arbeitsunfalls an sich vor allem auch die Feststellung und Bewertung seiner Folgen im Bereich des rechten Auges umstritten war. Gemessen daran war das Begehren des Klägers in der Sache in nicht lediglich unerheblichem Umfang erfolgreich.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Berufungsverfahren noch, ob die im Bereich des rechten Auges des Klägers anerkannten Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) bedingen.
Der 1957 geborene und (seinerzeit) in D. als Küchenhilfe beschäftigte Kläger erlitt am 15. September 2004 nach Beendigung seiner Arbeit um 4.00 Uhr mit seinem Pkw einen Unfall, als er auf der Fahrt von seiner (damaligen) Nebenwohnung in D. zum Familienwohnsitz nach W. gegen 12.20 Uhr auf der B 100 am Ortsausgang B. in Höhe der Einmündung N. Straße von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum stieß (Verkehrsunfallanzeige vom 15. September 2004 und Unfallanzeige vom 1. Dezember 2004). Nach seinen Angaben habe er nach dem Arbeitsende in seiner Nebenwohnung geschlafen und sei von dort gegen 10.00 Uhr gestartet. Zum Unfallzeitpunkt sei ihm schwarz vor Augen geworden. Laut seinem Durchgangsarztbericht vom 16. September 2004 erhob der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses B./W. Dr. K. im Rahmen seiner am Unfalltag um 13.00 Uhr durchgeführten Untersuchung einen Druckschmerz im Bereich der linken Thoraxseite in Höhe der vierten bis achten Rippe und diagnostizierte eine entsprechende Prellung. Äußere Verletzungszeichen seien nicht sichtbar.
Unter dem 2. Februar 2005 teilte Dr. K. ergänzend mit, der Kläger habe bei der Untersuchung am 15. September 2004 auch auf eine bekannte Augenerkrankung hingewiesen, weshalb eine Vorstellung in der Augenklinik D. veranlasst worden sei. Dort waren für die am 16. September 2004 um 18.00 Uhr durchgeführte Untersuchung von Privatdozent (PD) Dr. F. für das rechte Auge u.a. eine Oberlidptosis, ein erheblicher gemischter Reizzustand, eine Stromatrübung der Hornhaut, Fibrinschwaden in der Vorderkammer sowie eine übermittelweit entrundete und nach nasal oben ausgezogene Pupille festgehalten worden. Als Zustand nach Verkehrsunfall hatte PD Dr. F. die Diagnosen einer Contusio bulbi, Hinterkammerlinsendislokation, intraokularer Reizzustand sowie Ablatio retinae (Netzhautablösung) mit Riesenriss gestellt. Bereits im zwölften Lebensjahr habe der Kläger am rechten Auge ein Trauma erlitten, aus dem sich seit 1988 ein Sekundärglaukom entwickelt habe. Am 29. September 2004 sei in D. eine operative Reposition der Hinterkammerlinse erfolgt. Nachdem sich eine Netzhautablösung entwickelt habe, sei der Kläger in die Universitätsaugenklinik L. überwiesen worden.
Am 8. Oktober 2004 stellte sich der Kläger bei dem Facharzt für Augenheilkunde Dr. H. vor, der als Sehschärfe links einen Wert von 1,0 und rechts nur Lichtschein angab (Augenarztbericht vom 5. November 2004). In seinem Bericht vom 7. Dezember 2004 hielt er als Diagnosen eine Ablatio retinae nach Contusio bulbi mit Luxation und Druckdekompensation rechts sowie Visuswerte von 1/15 rechts und 1,0 links fest. Laut seinen Angaben vom 25. Januar 2005 befinde sich der Kläger wegen eines Glaukoms rechts seit März 1991 und wegen einer Augenlinsentrübung rechts seit August 1993 in Behandlung. Am 27. März 2001 sei eine Kataraktoperation mit Implantation einer Kunstlinse rechts erfolgt. Am 9. September 2002 habe eine Laserbehandlung des rechten Auges stattgefunden. Bis zum Unfall habe der Visus des rechten Auges bei 0,8 gelegen. Es sei mit einer MdE um wahrscheinlich 25 vH zu rechnen.
Auf Anfrage der Beklagten gab der Oberarzt der Augenklinik des Städtischen Klinikums D. Dr. K. unter dem 21. März 2005 ergänzend an, bei der Erstuntersuchung am 16. September 2004 hätten am rechten Auge zunächst erhebliche entzündliche Veränderungen ohne weitere Verletzungszeichen bestanden, welche einen typischen Unfallschaden nicht eindeutig erkennen ließen. Nach Abklingen dieser Befunde habe sich eine Dislokation der Hinterkammerlinse gezeigt.
Die Beklagte ließ den Direktor der Universitätsaugenklinik L. Prof. Dr. W. zusammen mit dem Oberarzt Dr. O. und dem Assistenzarzt N. nach ambulanter Untersuchung am 29. April 2005 das Gutachten vom 28. Juli 2005 erstatten. Gegenüber dem Sachverständigen gab der Kläger an, im zwölften Lebensjahr von einem Baseball am rechten Auge getroffen worden zu sein. Später habe sich ein Sekundärglaukom gebildet, welches dann mittels der Kataraktoperation im Jahre 2001 versorgt worden sei. Beim Unfall am 15. September 2004 sei er mit dem Kopf auf das Lenkrad geschlagen. Nach der Verlegung von D. nach L. seien dort am 4. Oktober 2004 eine Augapfelumgürtelung gelegt sowie der Glaskörper und Teile der Netzhaut entfernt worden. Im Ergebnis schätzte Prof. Dr. W. ein, dass als Folge einer unfallbedingten Augapfelprellung mit Netzhautablösung rechts eine ausgeprägte Visusreduktion bei schweren Netzhautveränderungen mit zentralem Netzhautloch, abgehobenen Netzhauträndern und narbigen peripheren Veränderungen vorliege. Hierfür spreche insbesondere die aus dem Aufnahmebefund der Augenklinik D. ableitbare Art und Schwere der Einwirkung. Nicht unfallbedingt seien dagegen das Sekundärglaukom nach Contusio bulbi im Jugendalter sowie der Zustand nach Kunstlinsenimplantation (Pseudophakie) bei Linsentrübung rechts. Der (Gesamt-)Grad der MdE sei um 25 vom Hundert (vH) zu bemessen, wobei entsprechend den Mitteilungen Dr. H.s aufgrund der Pseudophakie von einem Vorschaden um 10 vH auszugehen sei. Die korrigierte Sehschärfe links betrage 1,0, rechts ohne Korrektur 1/30 (0,032) und mit Korrektur 1/25 (0,04).
Der Augenarzt Dr. W. gab in seiner beratenden Stellungnahme vom 19. September 2005 die Einschätzung ab, die nach dem Unfall vom 15. September 2004 aufgetretenen Augenprobleme des Klägers seien mit hoher Wahrscheinlichkeit allein aus dem Unfall im zwölften Lebensjahr erklärbar. Hierfür sei anzuführen, dass der D-Arzt keine äußeren Verletzungen am Auge festgestellt und der Kläger ihm gegenüber auch nicht über Sehstörungen geklagt, sondern nur einen früher erlittenen Unfall am rechten Auge angegeben habe. Hinzu komme, dass Linsenverlagerungen nach Staroperationen, die wegen einer Bulbusprellung notwendig würden, auch noch nach Jahren zu beobachten seien. Auch eine Laserbehandlung, wie sie am 9. September 2002 erfolgt sei, könne eine Kunstlinsenverlagerungstendenz verstärken. Schließlich träten entzündliche Veränderungen, wie sie in der Augenklinik D. erhoben worden seien, entweder endogen (anlagebedingt) oder nach perforierender Augenverletzung auf, die hier eindeutig nicht vorgelegen habe. Im Übrigen habe Prof. Dr. W. im Rahmen seiner Befunderhebung einen hochgradigen Sehnervenschwund beschrieben, der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als starbedingt zu werten sei, so dass von einer MdE um 15 vH schon vor dem angeschuldigten Unfall ausgegangen werden könne.
Aus den von der Beklagten von Dr. H. beigezogenen Aufzeichnungen seiner Krankenakte geht u.a. für den 31. Mai 2001 für das rechte Auge ein Visus von 0,8 hervor.
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 15. September 2004 als Arbeitsunfall ab; Leistungen seien deshalb nicht zu erbringen. Ebenso wie von Dr. K. seien auch von der Augenklinik D. keine äußeren Verletzungszeichen mitgeteilt, sondern erhebliche entzündliche Veränderungen des rechten Auges entdeckt worden. Da somit kein Körperschaden erwiesen sei, seien auch keine Leistungen zu gewähren.
Hiergegen erhob der Kläger am 20. Oktober 2005 Widerspruch und trug vor, dass er bei der Kollision mit dem rechten Auge auf das Lenkrad des Pkw´s geschlagen sei, der über keinen Airbag verfügt habe. Wie Prof. Dr. W. in seinem Gutachten zutreffend festgestellt habe, sei das rechte Auge nicht so vorgeschädigt gewesen, dass die diagnostizierten Unfallfolgen in gleicher Art in etwa zur gleichen Zeit bei jeder alltäglichen Verrichtung eingetreten wären, womit der Unfall vom 15. September 2004 kein austauschbares Ereignis im Sinne einer so genannten Gelegenheitsursache sei.
In seinem Bericht vom 12. Dezember 2005 teilte Dr. H. ergänzend mit, dass der Visus des rechten Auges des Klägers bei der Erstuntersuchung am 6. März 1991 0,9 betragen habe. Ebenso wie Prof. Dr. W. und entgegen Dr. W. sei auch er der Ansicht, dass eine Luxation der Kunstlinse sowie die Netzhautablösung direkte Folgen des Unfalls vom 15. September 2004 seien.
Nach Einholung einer nochmaligen Stellungnahme Dr. W.s wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2006 als unbegründet zurück.
Am 12. April 2006 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau Klage erhoben und sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen vertieft und die Ansicht vertreten, der 10%ige Vorschaden sei deshalb bei der Bemessung der unfallbedingten MdE außer Betracht zu lassen, weil das Unfallgeschehen eben keine Gelegenheitsursache darstelle und sein Sehvermögen sich nach Einsatz der Kunstlinse fast vollständig erholt habe.
Aus dem vom Kläger vorgelegten Einsatzprotokoll des Rettungsassistenten ergibt sich, dass dieser bei seinem Eintreffen am Unfallort um 12.35 Uhr als Diagnosen geschlossene Verletzungen des rechten Auges und des linken Thorax sowie als Unfallmechanismus ein stumpfes Trauma festgehalten hatte.
Das SG hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Oberarzt der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums M. Dr. W. das Gutachten vom 3. Dezember 2007 nach ambulanter Untersuchung am 6. August 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 10. April 2008 eingeholt. Der Gutachter hat einen Visus des rechten Auges von 1/30 (links korrigiert 1,0) erhoben. Der Unfall vom 15. September 2004 habe zu einer Augapfelprellung rechts geführt. Die dabei abgelaufene Krafteinwirkung habe einen ausgeprägten intraokularen Reizzustand sowie eine Verlagerung der Hinterkammerlinse bedingt. Als Folgen seien ein stark herabgesetztes Sehvermögen bei schweren Netzhautschäden mit einem zentralen Netzhautloch, angehobenen Rändern und peripheren narbigen Netzhautveränderungen verblieben. Obwohl im D-Arztbericht äußere Augen- und Lidverletzungen nicht festgehalten seien, spreche die weiterhin bestehende lichtstarre Pupillenerweiterung für diese Einschätzung. Unfallunabhängig bestünden im Bereich des rechten Auges ein Sekundärglaukom nach Contusio bulbi im Jugendalter, ein Zustand nach Kunstlinsenimplantation sowie eine zentrale optische Lücke bei Zustand nach Laserbehandlung. Die MdE sei um 25 vH einzuschätzen; der Vorschaden betrage wegen der Pseudophakie 10 vH. Werde zur Berechnung des Vorschadens nur das Sehvermögen herangezogen, resultiere insoweit keine messbare MdE. Die unfallbedingte MdE sei dann um 25 vH zu bemessen.
Mit Urteil vom 21. Mai 2008 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2006 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 Verletztenrente nach einer MdE um 25 vH zu zahlen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Darlegungen Dr. W.s gestützt, die überzeugten.
Gegen das ihr am 5. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. Juni 2008 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Sie macht gegen das Urteil des SG noch geltend, dass angesichts des von allen Ärzten übereinstimmend bezifferten Gesamtschadens um 25 vH sowie des Vorschadens, den Prof. Dr. W. und Dr. W. grundsätzlich mit einer MdE um 10 vH und Dr. W. mit einer solchen um 15 vH bewertet hätten, keine unfallbedingte MdE um 25 vH zu begründen sei. Diese belaufe sich allenfalls auf 10 bis 15 vH.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, er habe vor dem Unfall eine praktisch unbeeinträchtigte Sehschärfe besessen. Daher sei die jetzt unstrittig verbliebene Funktionsstörung, die die Erwerbsfähigkeit um 25 vH mindere, in vollem Umfang Folge des Arbeitsunfalls.
Aus einer Aufstellung der Krankenkasse des Klägers geht als letzter Tag einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit nach dem Arbeitsunfall der 30. Januar 2005 hervor.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2011 hat die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 11. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2006 das Ereignis vom 15. September 2004 mit einer folgenlos ausgeheilten Thoraxprellung links als Arbeitsunfall anerkannt, was der Kläger mit Schreiben vom 15. Dezember 2011 angenommen hat.
Darüber hinaus hat die Beklagte im Termin der mündlichen Verhandlung am 22. Dezember 2011 auf der Grundlage einer Augapfelprellung ein herabgesetztes Sehvermögen rechts bei schweren Netzhautveränderungen mit zentralem Netzhautloch, angehobenen Netzhauträndern und narbigen peripheren Netzhautveränderungen bei unfallunabhängig vorbestehendem Sekundärglaukom nach Contusio Bulbi im Jugendalter, einem Zustand nach Kunstlinsenimplantation sowie einer zentralen optischen Lücke bei Zustand nach Laserbehandlung als Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 anerkannt, was der Kläger angenommen hat. Schließlich haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung darüber geeinigt, dass bei der Prüfung einer Stützrentengewährung beim Kläger vom 31. März 2011 an wegen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 von einer MdE um 15 vH auszugehen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung hat im noch anhängigen Umfang Erfolg.
Der Kläger kann sein Begehren gemäß § 54 Abs. 1 und 4 SGG zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgen. Bezogen auf die Leistungsklage kann dahinstehen, ob das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Unfallversicherungsträger jedwede Entschädigung schon deshalb abgelehnt, weil nach seiner Auffassung kein Versicherungsfall vorliegt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 23, m.w.N.). Denn hier hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 11. Oktober 2005 nicht nur die Feststellung eines Versicherungsfalls als solchen abgelehnt, sondern dies nach dem Verfügungssatz ausdrücklich mit einer Entscheidung über eine Leistungsgewährung verknüpft.
Die danach zulässige Klage ist im noch anhängigen Umfang unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2006 sowie der Teilanerkenntnisse vom 12. und 22. Dezember 2011 beschweren den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn die im Bereich seines rechten Auges anerkannten Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 bedingen keine MdE um mindestens 20 vH, so dass sich insoweit kein Anspruch auf Verletztenrente ergibt.
Ein solcher setzt nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 vH gemindert ist. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe etwa bei Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Juni 2011, K § 56, Anhang V). Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (vgl. nur BSG, Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt 2003, 565.; Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R – SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Ist die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten aufgrund eines Vorschadens bereits vor dem Versicherungsfall gemindert, können die MdE-Erfahrungswerte nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Denn dann können sich die Folgen des Versicherungsfalls und der Vorschaden gegenseitig beeinflussen. Typischerweise ist eine derartige Beeinflussung anzunehmen, wenn zwischen ihm und dem durch den Versicherungsfall verursachten Schaden eine funktionelle Wechselbeziehung vorliegt, was vor allem bei paarigen Körperteilen und Organen oder in Abhängigkeit zueinander bestehenden Organsystemen (z.B. Arme, Beine, Augen, Nieren) der Fall sein kann. Im Vergleich zum Regelfall (kein Vorschaden) kann sich die MdE erhöhen, wenn die Folgen des Versicherungsfalles den Versicherten auf Grund des Vorschadens erheblich stärker treffen als einen Gesunden (z.B. Verlust des zweiten Armes bei einem Einarmigen). Es gehört nämlich zum Risiko der Unfallversicherung, auch für solche Folgen einzustehen, in denen sich die unmittelbaren Folgen des Versicherungsfalls wegen des Vorschadens verstärken. Umgekehrt kann die MdE beim Zusammentreffen mit einem Vorschaden auch niedriger zu bemessen sein als üblich. Dies gilt insbesondere, wenn ein bereits relevant in seiner Gebrauchsfähigkeit beeinträchtigter Körperteil durch einen Unfall getroffen wird, so dass sich die Funktionsstörungen aus dem Vor- und dem Unfallschaden überschneiden (z.B. Verlust des linken Beines im Unterschenkel bei amputiertem Fuß links als Vorschaden). Es ist sogar denkbar, dass der durch den Arbeitsunfall Betroffene besser gestellt wird, als sein Zustand angesichts des Vorschadens war (BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 25/05 R – SozR 4-2700 § 56 Nr. 2).
Liegt ein solcher Fall gegenseitiger Einflussnahme von Vor- und Versicherungsfallschaden vor, ist klarzustellen, inwieweit bereits eine Funktionsbeeinträchtigung bestand und ob diese durch den Versicherungsfall – in welchem Maße – weiter zugenommen hat. Hierbei darf aus dem MdE-Wert des Vorschadens und dem MdE-Wert des versicherten Schadens nicht etwa eine Gesamt-MdE gebildet werden. Denn entschädigt wird – unter Berücksichtigung des Vorschadens – nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nur der "infolge eines Versicherungsfalls" verschlimmerte Anteil, also die verursachte Steigerung der MdE. Nur dieser ist nämlich der schädigenden Einwirkung zuzurechnen (so schon für den Bereich des Versorgungsrechts BSG, Urteil vom 15. Dezember 1959 – 11/10 RV 1326/56 – BSGE 11, 161 (163); Kater in: ders./Leube, SGB VII, § 56 Rn. 58; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Abschn. 1.8.2, S. 34, Abschn. 3.6.4, 104 ff. und Abschn. 6.4.8.2, S. 300 f.). Erforderlich ist damit eine relevante Vergrößerung des bereits vorhandenen Schadens. Bei der Feststellung dieses durch den Versicherungsfall bewirkten Verschlimmerungsanteils ist von der Erwerbsfähigkeit des Verletzten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls auszugehen, von seiner unter Berücksichtigung der Vorschädigung verbliebenen individuellen Erwerbsfähigkeit. Dann ist festzustellen, wie die Folgen des Versicherungsfalls bei einem nicht vorgeschädigten Versicherten zu bewerten wären. Schließlich ist zu ermitteln, welcher Teil der vor dem Versicherungsfall vorhandenen individuellen Erwerbsfähigkeit durch die zu beurteilende Einwirkung weiter gelitten hat (versicherungsfallbedingte individuelle Erwerbsfähigkeit). Hierbei ist die individuelle Erwerbsfähigkeit des Verletzten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls – auch angesichts des Vorschadens – mit 100 vH anzusetzen und die durch den Versicherungsfall verursachte Einbuße an dieser Erwerbsfähigkeit in einem bestimmten vH-Satz auszudrücken, wobei eine allein rechnerische Betrachtung (siehe hierzu Kater, a.a.O., § 56 Rn. 59) unzulässig ist (so schon BSG, Urteil vom 29. April 1964 – 2 RU 155/62 – BSGE 21, 63; Urteil vom 3. März 1966 – 8 RV 815/64 – BSGE 24, 275). Entscheidend ist vielmehr der im Einzelfall sachgerecht zu schätzende Funktionsverlust im Verhältnis zum Zustand vor dem Versicherungsfall. Je stärker sich der Vorschaden und die Schädigung durch den Versicherungsfall in Bezug auf die betroffene Funktionseinheit gegenseitig beeinflussen und kumulieren, um so mehr ist der Vorschaden bei der Feststellung des Grades der versicherungsfallbedingten individuellen MdE einzubeziehen (BSG, Urteil vom 3. März 1966, a.a.O.; Kranig, a.a.O., K § 56 Rn. 42; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand August 2011, § 56 Rn. 10.6).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die durch die Unfallfolgen bedingten Funktionseinschränkungen des rechten Auges des Klägers mit einer MdE um 15 vH zu bemessen, wobei der Senat im Ergebnis den Empfehlungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. folgt, die mit den etablierten Erfahrungssätzen überein stimmen.
Als Vorschaden liegen bei dem Kläger im Bereich des rechten Auges ein Sekundärglaukom nach Contusio bulbi im Jugendalter, ein Zustand nach Kunstlinsenimplantation bei Linsentrübung sowie eine zentrale optische Lücke bei Zustand nach Laserbehandlung vor. Dies haben Prof. Dr. W. und Dr. W. übereinstimmend festgestellt, wird auch von Dr. H. bestätigt und ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Darüber hinaus ist durch die Angaben Dr. H.s bereits vor dem Arbeitsunfall vom 15. September 2004 ein vermindertes Sehvermögen des rechten Auges nachgewiesen. Denn für den 31. Mai 2001 ist durch seine Eintragungen in der Krankenakte des Klägers eine Sehkraft von 0,8 rechts belegt. In seinen Berichten vom 25. Januar und 12. Dezember 2005 hat Dr. H. zudem ausdrücklich erklärt, dass dieser Visus bis zum Unfall gegeben war. Auf dem linken Auge des Klägers besteht demgegenüber (bei entsprechender Korrektur) durchgehend bis heute volle Sehkraft. Ausgehend hiervon ist die von Prof. Dr. W. im Gutachten vom 28. Juli 2005 für den Vorschaden am rechten Auge eingeschätzte MdE um 10 vH nicht zu beanstanden. Denn nach den einschlägigen Erfahrungswerten wird die MdE bei einer Sehschärfe von 0,4 und mehr im Falle eines durch Kunstlinsenersatz korrigierten Linsenverlustes mit eben diesem Grad bemessen (siehe Kranig, a.a.O., K § 56 S. 48; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Anhang 12, J 006; Schönberger/Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Abschn. 6.4.4, S. 296). Dem entspricht grundsätzlich auch die Empfehlung Dr. W.s, der für den Vorschaden ebenfalls eine MdE um 10 vH benannt und zur Begründung ausdrücklich auf die Pseudophakie abgestellt hat. Soweit er nur die Sehkraft herangezogen hat, resultierte insoweit nach der einschlägigen Tabelle (siehe nur Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, Abschn. 6.4.1, S. 292) bei einer Sehstärke von 0,8 rechts und 1,0 links zwar in der Tat keine messbare MdE, womit die unfallbedingte MdE um 25 vH zu veranschlagen wäre. Dabei lässt er es aber nicht bewenden. Ein Abstellen allein auf die Sehschärfe steht auch nicht mit den Erfahrungswerten in Einklang, die hierfür die Unkorrigierbarkeit einer verminderten Sehschärfe im Falle des Linsenverlustes voraussetzen (Schönberger/Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Abschn. 6.4.4, S. 296). Eine solche Situation lag beim Kläger vor dem Unfall aber gerade nicht vor. Der Senat sieht insoweit auch keine Veranlassung, von den hergebrachten Bewertungsvorschlagen abzugehen, denen die Erwägung zugrunde liegt, dass ein Zustand nach Linsenverlust wegen des dadurch verlorenen Anpassungsvermögens bereits für sich eine nicht lediglich unerhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung darstellt, die sachgerecht mit einer MdE um 10 vH zu erfassen ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, Abschn. 6.4.4, S. 296; Gramberg-Danielsen/ Lehmann in: Ludolph/Schürmann/Gaidzik, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, Stand Dezember 2011, VI-4.1, S. 8).
Dem Senat erscheint es daher angemessen, für das Sekundärglaukom, den Zustand nach Kunstlinsenimplantation sowie die nach der Laserbehandlung am 9. September 2002 verbliebene zentrale optische Lücke und dem damit einhergehenden vor dem Arbeitsunfall vom 15. September 2004 dokumentierten Sehvermögen rechts eine insgesamt um 10 vH geminderte individuelle Erwerbsfähigkeit als Vorschaden anzusetzen.
Für die von Dr. W. vorgeschlagene Bemessung des Vorschadens um 15 vH verbleibt dagegen kein Raum, nachdem ein von ihm vermuteter starbedingter Sehnervenschwund bereits vor dem 15. September 2004 zwar durchaus möglich erscheint, Belege hierfür aber nicht vorhanden sind.
Die im Bereich des rechten Auges des Klägers bestehenden Unfallfolgen (schwere Netzhautveränderungen mit zentralem Netzhautloch, angehobenen Netzhauträndern und narbigen peripheren Veränderungen) wären bei der verbliebenen Gebrauchssehkraft rechts im Falle eines nicht vorgeschädigten Versicherten mit einer MdE um 25 vH zu bewerten. Prof. Dr. W. dokumentierte im Rahmen seiner Untersuchung des Klägers am 29. April 2005 einen (korrigierten) Visus rechts von 1/25. Dem entspricht im Wesentlichen auch die Befunderhebung durch Dr. W., der für den 6. August 2007 einen (unkorrigierbaren) Wert von 1/30 rechts gemessen hat. Nach den Erfahrungswerten wird die MdE bei einer verbliebenen Sehkraft von 1/20 – und weniger – auf einem Auge und 1,0 auf dem anderen Auge um 25 vH bemessen (statt aller Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, Abschn. 6.4.1, S. 292). Dieser Grad, der dem vollständigen Verlust des Sehvermögens auf einem Auge bei voller Sehkraft des anderen Auges entspricht (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 6.4.1, S. 293), kann hier nicht weiter erhöht werden, was zudem kein eingeschalteter Arzt vorgeschlagen hat. Weder haben Prof. Dr. W. oder Dr. W. bei ihren jeweiligen Befundbeschreibungen Gesichtspunkte mitgeteilt, die unter Umständen eine Erhöhung der MdE rechtfertigen könnten (z.B. entstellende Narben oder chronische Reizzustände), noch sind entsprechende Indizien in diese Richtung sonst vorhanden (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 6.4.1, S. 292).
Ist demnach für den Vorschaden auf dem rechten Auge von einer individuellen MdE des Klägers um 10 vH auszugehen und würden die durch den Arbeitsunfall vom 15. September 2004 hervorgerufenen Funktionseinschränkungen auf diesem Auge ohne den Vorschaden grundsätzlich zu einer MdE um 25 vH führen, rechtfertigt die unfallbedingte individuelle Erwerbsfähigkeit des Klägers unter Einbeziehung des Vorschadens keine Bemessung mit einer MdE um mindestens 20 vH. Denn der Ansatz eines solchen Wertes entspricht nicht dem durch den Arbeitsunfall verschlimmerten Funktionsverlust im Verhältnis zum Zustand vor dem Versicherungsfall. Im Gegenteil liefe die Steigerung auf einen MdE-Satz um mindestens 20 vH darauf hinaus, den Vorschaden nahezu unberücksichtigt zu lassen bzw. die schon aus ihm herrührende MdE praktisch vollständig dem Arbeitsunfall zuzurechnen. Obgleich schon vor dem Arbeitsunfall ein erheblicher Schaden des rechten Auges bestanden hat, würde der Kläger dann so behandelt, als wenn dort ein unbeeinträchtigter Zustand vorgelegen und der unfallbedingte Schaden allein für sich nochmals zu einer diesem Vorschaden gleichkommenden Funktionseinbuße geführt hätte. Die durch den Arbeitsunfall zu entschädigende MdE kann folglich nicht mit derjenigen gleichgesetzt werden, die im Wesentlichen auch einem bisher mit voller Funktion des Auges ausgestatteten Versicherten zuzubilligen wäre (in diesem Sinne bereits BSG, Urteil vom 3. März 1966, a.a.O.; SGB VII-Kommentar/Krasney, Stand Oktober 2011, § 56 Rn. 56).
Da nach alledem der Arbeitsunfall vom 15. September 2004 den bereits vorhandenen Schaden des rechten Auges nicht so relevant vergrößert hat, dass hierfür eine Bemessung mit einer MdE um mindestens 20 vH gerechtfertigt ist, besteht vom 31. Januar 2005 an (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) kein Anspruch auf Verletztenrente. Der Berufung war somit stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei der Senat berücksichtigt hat, dass (fast) bis zum Schluss des Verfahrens neben der Anerkennung des Arbeitsunfalls an sich vor allem auch die Feststellung und Bewertung seiner Folgen im Bereich des rechten Auges umstritten war. Gemessen daran war das Begehren des Klägers in der Sache in nicht lediglich unerheblichem Umfang erfolgreich.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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