L 1 R 147/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 6 R 189/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 147/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 03. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in der Berufungsinstanz.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung eines Altersrentenbescheides für die Zukunft.

Die am ... 1948 geborene Klägerin ist gelernte Industriekauffrau. Sie war bis November 1996 als kaufmännische Angestellte tätig. Am 24. Juli 1997 und 04. August 1998 erteilte die Beklagte Auskunft zum Versorgungsausgleich an das Amtsgericht B. – Familiengericht. Mit Urteil vom 09. Juni 1998 wurde die Ehe der Klägerin geschieden. Zudem wurde festgelegt, dass von dem Versicherungskonto der Klägerin Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 199,42 DM, bezogen auf den 31. Oktober 1996 als Ende der Ehezeit, auf das Versicherungskonto des Ehegatten übertragen werden. Es wurde angeordnet, dass der zu übertragende Monatsbetrag von dem zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung in Entgeltpunkte Ost umzurechnen ist. Nachfolgend erhielt die Klägerin seit 2002 jährlich einen Versicherungsverlauf übersandt. Mit Bescheiden vom 20. Dezember 2004 und 16. Februar 2005 stellte die Beklagte die Versicherungszeiten nach § 149 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) verbindlich fest.

Die Klägerin stellte am 13. Dezember 2007 bei der Beklagten einen Antrag auf Altersrente für Frauen. Sie gab im Antragsformular an, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden sei. Mit Rentenbescheid vom 17. Januar 2008 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Altersrente für Frauen ab dem 01. März 2008 in Höhe von monatlich 729,00 EUR. Mit weiterem Rentenbescheid vom 18. Juni 2008 wurde die Altersrente neu festgestellt, da weitere Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung zu berücksichtigen seien. In beiden Rentenbescheiden berechnete die Beklagte die Rente, ohne den für die Klägerin bestehenden Malus aus dem Versorgungsausgleich zu berücksichtigen.

Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Juli 2008 dazu an, dass sie beabsichtige, die erlassenen Bescheide mit Wirkung ab dem 01. Juli 2008 aufzuheben, da der Versorgungsausgleich nicht berücksichtigt worden sei und sich die Rente dadurch entsprechend reduziere. Daraufhin teilte die Klägerin mit Schreiben vom 26. Juli 2008 mit, dass sie alle Angaben zum Versorgungsausgleich gewissenhaft gemacht habe. Bei sämtlichen Renteninformationen und Nachfragen habe sie den Eindruck gewonnen, dass der Malus aus dem Versorgungsausgleich bei der Rentenberechnung berücksichtigt worden sei.

Mit Bescheid vom 04. August 2008 berechnete die Beklagte die Altersrente für Frauen ab 01. September 2008 neu und bewilligte laufend monatlich 645,97 EUR, weil sich die persönlichen Entgeltpunkte aufgrund des Versorgungsausgleichs geändert hätten. In Anlage 10 "Ergänzende Begründungen und Hinweise" führte die Beklagte aus, der Rentenbescheid vom 17. Januar 2008 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für die Zukunft ab 01. September 2008 nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) zurückgenommen. Vertrauensschutz in den Bestand des Rentenbescheides sei nicht gegeben, weil an der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich ein öffentliches Interesse bestehe. Dass dem gesamten Rentenbescheid kein Hinweis auf den Malus zum Versorgungsausgleich zu entnehmen gewesen sei, hätte die Klägerin erkennen können. Bei den gespeicherten Daten zum Versorgungsausgleich, die die Auskünfte und Informationen beinhalten würden, handele es sich lediglich um die Grunddaten ohne Auswirkung zur Berechnung des Malus. Ob die von der Klägerin getroffenen Vermögensdispositionen nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden könnten, sei nicht bekannt und könne daher nicht geprüft werden. Auch im Wege des Ermessens halte sie die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt.

Hiergegen legte die Klägerin am 02. September 2008 Widerspruch ein. Aufgrund der jahrelangen Auskünfte der Beklagten habe sie sich entschlossen, einen Antrag auf Altersrente zu stellen, zumal sie in die 58er-Regelung gekommen und vom Arbeitsamt gedrängt worden sei, diese zu unterschreiben. Es sei ihr keine andere Wahl geblieben. Eine Arbeitsvermittlung sei nicht mehr möglich gewesen. Es sei unbegreiflich, dass die Beklagte über zehn Jahre falsche Auskünfte erteilt habe. Unter diesen Umständen wäre es ihr nicht möglich gewesen, 18 Prozent Abzüge hinzunehmen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2008 zurück. Die Fehlerhaftigkeit des bisherigen Bescheides ergebe sich dadurch, dass die Daten zum Versorgungsausgleich nicht berücksichtigt worden seien. Vorliegend sei die Rechtsvorschrift des § 45 SGB X maßgeblich. Von der Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 17. Januar 2008 habe sie erstmalig am 03. Juli 2008 positiv Kenntnis erhalten. Die Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 SGB X müsse bereits bei Erhalt des rechtswidrigen Bescheides vorliegen, sie könne auch später eintreten. Es würden alle Voraussetzungen vorliegen, die eine Rücknahme des Bescheides für die Vergangenheit rechtfertigten. Dies habe zur Folge, dass der überzahlte Betrag von der Klägerin zu erstatten sei. § 45 SGB X sei aber eine Ermessensentscheidung. Bei der Ausübung des Ermessens sei auch das Verhalten des Rentenversicherungsträgers bzw. ein Verschulden der Beklagten zu berücksichtigen. Dem Rentenversicherungsträger sei die Entscheidung des Amtsgerichts B. – Familiengericht – vom 09. Juni 1996 erst am 03. Juli 2008 zugestellt worden. Ein Verschulden der Beklagten könne daher nicht festgestellt werden.

Am 03. Dezember 2008 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Stendal (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, dass es für sie nicht erkennbar gewesen sei, dass der Versorgungsausgleich nicht in die Rentenberechnung eingeflossen sei. Die Behauptung der Beklagten, sie habe erst durch die am 01. Juli 2008 erfolgte Übersendung des Urteils, also über zehn Jahre nach dessen Verkündung, Kenntnis von diesem erlangt, sei weder nachvollziehbar noch glaubhaft, zumal die Beklagte das Urteil unter Angabe des Gerichtszeichens am 24. Juni 2008 ausdrücklich beim Amtsgericht B. angefordert habe, nachdem sie am 17. Juni 2008 bereits eine Neuberechnung verfügt habe. Die Beklagte habe zudem von dem ihr zur Verfügung stehenden Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Es bestünden ebenso erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der (Neu-)Berechnung.

Die Beklagte hat ausgeführt, die Klägerin sei gutgläubig. Es sei somit die Prüfung nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X erforderlich, ob das bestehende Vertrauen der Klägerin auf den Bestand des Verwaltungsaktes vom 17. Januar 2008 auch unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig sei. Vermögensdispositionen, die sie auf der Grundlage des Bescheides vom 17. Januar 2008 getroffen habe, habe die Klägerin weder behauptet noch nachgewiesen. Das Vertrauen der Klägerin in den Bestand des Bescheides vom 17. Januar 2008 sei nicht schutzwürdig. Der Bescheid sei auch im Rahmen der Ermessensausübung nach § 45 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Mit Gerichtsbescheid vom 03. Mai 2010 hat das SG der Klage stattgegeben und den Bescheid vom 04. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2008 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Rücknahmeentscheidung der Beklagten wegen einer fehlerhaften Ermessensentscheidung aufzuheben sei. Die Beklagte habe im angefochtenen Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass das Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden sei. Daraus ergebe sich, dass sie zumindest bei Erlass des Widerspruchsbescheides erkannt habe, dass ihr bei der Entscheidung über die Rücknahme Ermessen zukomme. Dieses sei jedoch fehlerhaft, da die Beklagte in ihrer Begründung davon ausgegangen sei, dass eine grobe Fahrlässigkeit der Klägerin vorgelegen habe. Dem sei nicht so. Die Klägerin habe bei Antragstellung den Versorgungsausgleich genannt und es sei ihr nicht ohne Weiteres möglich gewesen, den Fehler im Bescheid zu erkennen. Während des Gerichtsverfahrens habe die Beklagte ihre Ermessenserwägungen erstmalig umfangreich dargestellt und erklärt, dass bei der Klägerin keine grobe Fahrlässigkeit vorliege, aber trotz des Verschuldens der Beklagten eine Rücknahme gerechtfertigt sei, da das Interesse an der Rücknahme dem Vertrauen der Klägerin überwiege. Vermögensdispositionen habe sie nicht getroffen. Die Beklagte habe ihr Ermessen damit fehlerhaft gebraucht, da sie von falschen Tatsachen, nämlich der groben Fahrlässigkeit ausgegangen sei. Die fehlerhafte Ermessensausübung könne nicht geheilt werden.

Gegen den am 07. Mai 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 07. Juni 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Die Frage der wirksamen Heilung der unzureichenden Begründung der Ermessensentscheidung stelle sich naturgemäß nur dann, wenn die Ermessensentscheidung unzureichend begründet worden sei. Davon könne jedoch nicht die Rede sein. Aber selbst, wenn die Ermessensentscheidung im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid unzureichend begründet worden sei, sei diese im Klageverfahren wirksam nachgeholt worden. Die Beklagte sei sich des Erfordernisses der Ermessensausübung voll bewusst gewesen. Dies ergebe sich aus den Formulierungen im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid. Allerdings habe die Klägerin keine ermessensrelevanten Aspekte in das Verfahren eingebracht. Weder im Anhörungsverfahren noch im Widerspruchsverfahren habe diese irgendwelche Aspekte vorgetragen, anhand derer die Beklagte Ermessenserwägungen hätte anstellen können. Obwohl die Klägerin vorliegend keine ermessensrelevanten Aspekte vorgetragen habe, habe sie dennoch Ermessen ausgeübt und sich dabei auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Verpflichtung zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel sowie die Gleichbehandlung der Berechtigten berufen. Allein schon vor diesem Hintergrund sei die Begründung der Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. Es liege kein beachtlicher Ermessensfehler vor, weil die Frage des Mitverschuldens der Beklagten nicht in die Ermessensausübung eingeflossen sei. Aber selbst wenn die Begründung der Ermessensentscheidung im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid nicht ausreichend wäre, wäre dieser Begründungsmangel im Klageverfahren durch den Schriftsatz der Beklagten vom 03. Juni 2009 geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X).

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 03. Mai 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 03. Mai 2010 zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag sowie auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides. Ergänzend trägt sie vor, dass Ermessenserwägungen vorliegend nicht nachgeschoben werden könnten, da im Aufhebungsbescheid bereits kein Ermessen ausgeübt worden sei. Ungeachtet dessen sei ihr Vertrauen auf die um 101,96 EUR höhere Rente schutzwürdig. Ihre Entscheidung zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente habe sich maßgeblich auf die vorab erteilte Rentenauskunft der Beklagten gestützt. Hätte die Beklagte im Rahmen der vor Beantragung der Altersrente erteilten Rentenauskunft eine um den in Rede stehenden Betrag niedrigere Rente angegeben, so hätte sie von der vorzeitigen Beantragung der Altersrente Abstand genommen. Sie hätte dann eine Rentenkürzung um 18 v. H. nicht in Kauf genommen. Sie habe im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Rentenbescheides am 03. Juli 2008 einen Bausparvertrag mit einer monatlichen Sparrate in Höhe von 50,00 EUR zur Finanzierung des in ihrem Eigentum stehenden Mietobjektes abgeschlossen und am 23. Juli 2008 mit der Finanzierungsbank eine höhere Tilgungsrate vereinbart. Sie habe auf die Auskünfte der Beklagten zur Rentenhöhe und zum bereits durchgeführten Versorgungsausgleich vertrauen dürfen und sei nicht verpflichtet gewesen, die Höhe ihrer Ansprüche selbst nachzuprüfen. Deshalb könne die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem in den Auskünften angegebenen Rentenanspruch als Schadenersatz verlangt werden. Aus demselben Grund habe sie vorliegend gegen die Beklagte den geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Die Beklagte trägt nunmehr ergänzend vor, dass die Klägerin bislang nicht nachgewiesen habe, dass sie Vermögensdispositionen getroffen habe, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne. Den Bausparvertrag könne die Klägerin ruhend stellen. Unzumutbare Nachteile seien damit nicht verbunden. Die Vereinbarung zur Erhöhung der Tilgungsrate vom 23. Juli 2008 könne schon deswegen keine Vermögensdisposition darstellen, weil sie nach der Anhörung vom 10. Juli 2008 geschlossen worden sei. Die Klägerin habe die Tilgungsvereinbarung somit in Kenntnis der Unrechtmäßigkeit und in Kenntnis der beabsichtigten Bescheidrücknahme geschlossen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf deren Inhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 04. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2008 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, soweit darin die Rentenbescheide vom 17. Januar 2008 und 18. Juni 2008 mit Wirkung ab dem 01. September 2008 teilweise für die Zukunft zurückgenommen werden. Die Entscheidung des SG ist nicht zu beanstanden.

I.

Die rechtswidrigen begünstigenden Bescheide vom 17. Januar 2008 und 18. Juni 2008 hat die Beklagte mit Bescheid vom 04. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2008 mit einer entsprechenden Regelung im Sinne eines Verwaltungsaktes insbesondere hinsichtlich der Rentenhöhe noch hinreichend bestimmt zurückgenommen. Verwaltungsakt ist nach § 31 Abs. 1 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dieses Erfordernis bezieht sich auf den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes, nicht jedoch auf dessen Gründe. Aus dem Verfügungssatz muss für den Betroffenen vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 06. Februar 2007 – B 8 KN 3/06 –, SozR 4-2600 § 96a Nr. 9 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. Februar 1989 – 11/7 RAr 103/87 –, SozR 1500 § 55 Nr. 35, S. 39). Eine Aufhebung früherer Bescheide muss nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch durch einen konkludenten, jedoch hinreichend deutlichen Verwaltungsakt erfolgen. Es genügt, wenn aus den Formulierungen, Hinweisen und Auskünften des Verwaltungsaktes für einen verständigen, objektiven Erklärungsempfänger klar erkennbar zum Ausdruck kommt, dass die nach dem bisherigen Verwaltungsakt bewilligte Leistung nicht mehr zusteht (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 – B 5 RJ 42/99 R – juris; BSG, Urteil vom 24. Februar 1999 – B 4 RJ 32/98 R – juris; jeweils in Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 16. Dezember 1997 – 4 RA 56/96 – juris und BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 4 RA 25/96 – juris). Zur Auslegung des Verfügungssatzes kann die Begründung des Verwaltungsaktes herangezogen werden (BSG, Urteil vom 06. Februar 2007 – B 8 KN 3/06 R –, SozR 4-2600 § 96 a Nr. 9 m. w. N.). Mit der Ablehnung der Zahlung der Leistung in der bisherigen Höhe wird deutlich erkennbar, dass die vorangegangene Leistungsbewilligung in den Bescheiden vom 17. Januar 2008 und 18. Juni 2008 nicht mehr aufrechterhalten wird. Eine ausdrückliche Erwähnung des Bescheides vom 18. Juni 2008 war nicht erforderlich.

II.

Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bescheide vom 17. Januar 2008 und 18. Juni 2008 kommt allein § 45 SGB X in Betracht. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

1.

Der Bescheid vom 17. Januar 2008 in der Fassung des Rentenbescheides vom 18. Juni 2007 ist ein begünstigender Verwaltungsakt, denn er begründet – neben dem hier nicht streitigen Recht auf die Altersrente für Frauen – auch das Recht der Klägerin auf Zahlung dieser Rente in bestimmter Höhe. Diese Bescheide sind rechtswidrig, denn sie setzen unter Außerachtlassung des Malus aus dem Versorgungsausgleich die monatliche Rente rechtsfehlerhaft, nämlich zu hoch, fest.

Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin von Rechts wegen keinen Anspruch auf eine ohne Berücksichtigung des Malus aus dem Versorgungsausgleich berechnete Altersrente hat. Im Falle der Klägerin ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 17. Januar 2008 und 18. Juni 2008 aus den Vorschriften der §§ 113 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 76 Abs. 3 SGB VI, wonach die Übertragung von Rentenanwartschaften zu Lasten von Versicherten zu einem Abschlag an Entgeltpunkten führt. Ob die Aufhebung in korrekter Höhe erfolgte, muss im vorliegenden Fall nicht geprüft werden, da die Voraussetzungen des § 45 SGB X für eine Rücknahme nicht erfüllt sind.

2.

Nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit

1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte;.

a)

Da keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Klägerin die Rentenbescheide der Beklagten vom 17. Januar 2008 und 18. Juni 2008 durch arglistige Täuschung, Drohung oder gar Bestechung erwirkt haben könnte, ist § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X nicht einschlägig.

b)

§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gelangt ebenfalls nicht zur Anwendung. Die Rentenbescheide beruhten nicht auf Angaben, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hatte. Die Klägerin gab im Antrag vom 13. Dezember 2007 an, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt wurde.

c)

Dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide vom 17. Januar 2008 und 18. Juni 2008 gekannt hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Es liegt auch kein Fall der grob fahrlässigen Unkenntnis vor. Nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Zweiter Halbsatz SGB X ist grobe Fahrlässigkeit gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BSG, Urteil vom 31. August 1976 – 7 RAr 112/74 –, SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R –, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Das Maß der Fahrlässigkeit ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Begünstigten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen. Voraussetzung für die Annahme grober Fahrlässigkeit bei der Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ist somit, dass die Mängel des Bewilligungsbescheides für den Begünstigten unter Berücksichtigung seines Einsichtsvermögens ohne Weiteres erkennbar waren. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Klägerin keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Es liegt aufgrund der Summierung der Umstände allenfalls eine einfache Fahrlässigkeit vor. Die oben beschriebenen Fehler springen nicht ins Auge; ohne Rechtskenntnisse und intensive Befassung mit allen Details des Bescheids sind sie nicht erkennbar. Die Kenntnis, dass den Bescheiden eine Anlage über den Versorgungsausgleich hätte beigefügt sein müssen, lag bei der Klägerin nicht vor. Dies hat sie glaubhaft in der Sitzung am 24. Januar 2013 vorgetragen. Selbst der Umstand, dass die Bescheide keinerlei Ausführungen zum Versorgungsausgleich enthielten, musste der Klägerin nach Auffassung des Senats nicht ins Auge springen. Wie der Versorgungsausgleich berechnet und in die Rentenberechnung eingeführt wird, wusste die Klägerin nach glaubhafter Angabe ebenso nicht. Aufgrund der Bestimmung im Urteil des Amtsgerichts B. und der ihr erteilten Auskünfte durfte die Klägerin davon ausgehen, dass der Versorgungsausgleich von Amts wegen berücksichtigt war. Insbesondere entsprach die Höhe der Rente auch den zuvor eingeholten Rentenauskünften.

3.

Die gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X maßgebliche Zweijahresfrist ist gewahrt. Bei Erteilung des Bescheides vom 04. August 2008 war diese Frist bezogen auf die Bescheide vom 17. Januar 2008 und 18. Juni 2008 noch offen.

Die weitere Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist vorliegend nicht anwendbar, da diese nur im Falle einer Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit maßgebend ist (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X).

4.

Die Beklagte hat vorliegend keine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen. Eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung erfordert nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I), dass die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausübt und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält. Der von der Ermessensentscheidung Betroffene hat dementsprechend einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I). In diesem eingeschränkten Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung der richterlichen Kontrolle (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Als Ermessensfehler kommen zum einen eine Ermessensunterschreitung bzw. ein Ermessensnichtgebrauch (die Beklagte unterlässt es, das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben), zum anderen eine sogenannte Ermessensüberschreitung (die Beklagte setzt eine im Gesetz nicht vorgesehene Rechtsfolge) in Betracht. Für derartige Ermessensfehler gibt es im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt. Schließlich stellt es einen Ermessensfehler dar, wenn die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung widersprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Beklagte ihrer Entscheidung entweder einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, für die Entscheidung objektiv wesentliche Gesichtspunkte nicht ermittelt oder berücksichtigt oder objektiv gemessen am Ermächtigungszweck sachfremde bzw. unsachliche Erwägungen zur Entscheidungsgrundlage gemacht hat (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 10. Auflage, 2012, § 54 Rdnr. 27 ff.).

Es liegt hier ein Ermessensfehlgebrauch vor. Die Beklagte ging bei ihrer Entscheidung davon aus, dass sich die Klägerin nicht auf Vertrauen berufen kann, da sie grob fahrlässig die Fehlerhaftigkeit des Bescheides nicht erkannt hat. Wie bereits die Beklagte selbst im Schriftsatz vom 03. Juni 2009 einräumt und das Gericht ebenfalls oben festgestellt hat, liegt eine grobe Fahrlässigkeit nicht vor. Des Weiteren hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass bei der Ausübung des Ermessens auch das Verhalten des Rentenversicherungsträgers bzw. ein Verschulden der Beklagten zu berücksichtigen sei. Da ihr die Entscheidung des Amtsgerichts B. vom 09. Juni 1996 erst am 03. Juli 2008 zugestellt worden sei, könne ein Verschulden ihrerseits nicht festgestellt werden. Der Verwaltungsakte (Blatt 70 Rückseite) ist jedoch zu entnehmen, dass der Beklagten das Urteil bereits vorlag. Sie hat zudem übersehen, dass die Klägerin den Versorgungsausgleich im Rahmen der Antragstellung am 13. Dezember 2007 angegeben hat. Da die Beklagte dies bei der Bescheiderteilung über die Rentenbewilligung nicht berücksichtigt hat, insbesondere nicht vor Bescheiderteilung das Urteil des Amtsgerichts B. anforderte, trifft sie ein Verschulden an der Fehlerhaftigkeit des Bescheides. Da die Beklagte ihrer Ermessensentscheidung eine grobe Fahrlässigkeit der Klägerin und ein Nichtverschulden ihrerseits zugrunde gelegt hat, liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor. Die Beklagte hat objektiv wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt. Diese Tatsachen hätten die Ermessensentscheidung beeinflussen können.

Der Behörde bleibt in Fällen fehlerhafter Ermessensentscheidungen nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens keine Heilungsmöglichkeit gemäß § 41 SGB X. Es liegt kein Fehler der Ermessensbegründung, sondern ein Mangel der Ermessensbetätigung vor. Eine Fehlerkorrektur ist nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens möglich (vgl. Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, 2010, § 41 Rdnr. 11; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 16. November 2010 – L 2 R 161/10 – juris, Rdnr. 49). Fehlende Ermessenserwägungen im Rücknahmebescheid können zwar nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Damit ist jedoch kein Nachschieben im Verwaltungsverfahren nicht erwogener Gründe erlaubt, sondern nur die nachträgliche Mitteilung der für den Erlass des Verwaltungsaktes aus damaliger Sicht der Behörde maßgebenden Gründe (vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar, § 41 Rdnr. 14, § 45 Rdnr. 63; so auch im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 16. April 1997 – L 1 An 37/96). Der Bescheid ist daher soweit tenoriert aufzuheben.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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