S 3 U 175/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 175/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 4/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (Bk) nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) festzustellen ist.

Die am ... 1960 geborene Klägerin hatte seit 1979 als medizinisch technische Laborangestellte beruflich Umgang mit irritativen Substanzen, Desinfektionsmitteln und Entwicklerlösungen (Fotochemikalien). Frau Dr. H. diagnostizierte bei der Klägerin ein irritativ-toxisches Handekzem bei atopischer Disposition und Sensibilisierungen gegenüber Diazolidinylharnstoff sowie Formaldehyd und zeigte unter dem 15.2.2009 den Verdacht einer beruflich verursachten Hauterkrankung an. Die Beklagte nahm Ermittlungen auf.

Ärzte der Spezialklinik N. berichteten unter dem 20.3.2007 und 7.5.2007 (sowie ebenso unter dem 28.7.2009) ohne Erhebung oder Nennung von Sensibilisierungs-Befunden; sie diagnostizierten ein mikrobielles [also nicht durch Chemikalien verursachtes] Ekzem und ein atopisches Palmoplantarekzem [Pompholyx].

Dr. A. berichtete über eine Behandlung der Klägerin mit letztmalig am 14.5.2007 erhoben Hautbefund unter dem 16.3.2010 und fügte das Ergebnis der Testung vom 9.1.2007 mit Standard-Substanzen bei, das u. a. eine Reaktion auf Formaldehyd nach bzw. innerhalb von drei Tagen verzeichnet.

Der Entlassungsbericht vom 15.1.2009 über eine zu Lasten des Rentenversicherungsträgers durchgeführte Rehabilitation auf Borkum teilte keine selbst erhobenen Sensibilisierungs-Befunde mit, sondern leitete die Diagnose "multiple Typ I- sowie Typ IV-Sensibilisierungen” aus alter Testung ab, offenbar aus der von Dr. A. vom 9.1.2007. Im Übrigen kam der Entlassungsbericht zu dem Ergebnis: Bei der Klägerin bestünden ein chronisches Ekzem, ein Zustand nach Hepatitis B-Infektion, eine Varikosis der Beine und ein Erschöpfungs-Syndrom. Sie sei arbeitsfähig und könne ihren bisherigen Beruf sowie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Frau Dr. H. legte Testergebnisse vom 2.2.2009 vor und erläuterte: Eine Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd habe sie nicht getestet, da diese bekannt sei. Die Anzahl der erreichten Punkte bei den Atopie-Kriterien spreche zu 97 % für eine atopische Hautdiathese [Neigung zur Hauterkrankung], die schon ab 78 % angenommen werde.

Dr. S./Dr. F., Dr. N. Hautschutzzentrum L., teilten über eine Vorstellung der Klägerin am 1.4.2009 mit Arztbericht vom 29.4.2009 mit: Als Diagnosen, bei denen ein Zusammenhang mit beruflichen Einwirkungen jeweils unwahrscheinlich sei, bestünden eine Sebostase (verminderte Talgabsonderung der Haut), anamnetisch, aber ohne sicheres klinisches Korrelat eine Sensibilisierung gegenüber verschiedene Stoffe, darunter Diazolidinylharnstoff, und ein atopisches Ekzem bei Verdacht auf multiples Chemikaliensensitivitäts-Syndrom. Als Diagnosen, bei denen ein beruflicher Zusammenhang wahrscheinlich sei, bestünden die Verschlimmerung eines atopischen Ekzems und eine Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd. (Eine eigene Testung mit Formaldehyd ist nicht ersichtlich.)

Frau Dr. H. berichtete unter dem 18.6.2009: Bei der Klägerin bestünden der Verdacht auf ein berufsbedingt verschlimmertes atopisches Handekzem, der Verdacht auf ein kontaktallergisches Ekzem, anamnetisch eine Typ IV-Sensibilisierung und eine Sebostase bei atypischer Diathese [Erkrankungsanfälligkeit] mit gestörter Hautbarriere.

Prof. J./Prof. S./Dr. L., Universität O., führten nach viertägiger stationärer Untersuchung und umfassender Testung der Klägerin mit hautfachärztlichem Zusammenhangs-Gutachten vom 14.3.2011 aus: Bei der Klägerin bestünden ein Zustand nach atopischem Handekzem bei generalisierter atopischer Dermatitis, eine Varikosis der unteren Extremität beidseits, anamnetisch ein Zustand nach Hepatitis B-Infektion, eine Alterssichtigkeit und nach Aktenlage ein Zustand nach Erschöpfungs-Syndrom. Im Rahmen der umfangreichen Testungen habe sich weder eine Typ I-Sensibilisierung, noch eine Typ IV-Sensibilisierung gezeigt. Die multiplen Reaktionen laut vorgelegtem Allergiepass seien bei jetziger Testung nicht reproduzierbar gewesen. Demgegenüber habe die Testung der hautphysiologischen Parameter eine deutliche Minderung der epidermalen Barrierefunktion gezeigt, was auf eine atopische Hautdisposition hinweise. Die Hauterkrankung sei nicht mit Wahrscheinlichkeit durch berufliche Einwirkungen verursacht. Bei der atopischen Dermatitis handele es sich um eine schicksalhafte, konstitutionelle Hauterkrankung.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27.4.2011 ab, bei der Klägerin eine Bk nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV (oder eine "Wie”-Bk) festzustellen, wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.8.2011 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Eine Haut-Bk sei nicht festzustellen, weil bei der Klägerin der ursächliche Zusammenhang zwischen der Hauterkrankung und beruflichen Einwirkungen fehle. Das folge überzeugend aus dem Gutachten vom 14.3.2011.

Die Klägerin hat am 26.9.2011 Klage erhoben und macht mit Klagebegründung von August 2013 geltend: Bei ihr sei eine Haut-Bk festzustellen, weil mit der Auffassung der Ärzte des Hautschutzzentrum L. ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und den Hauterscheinungen anzunehmen sei. Die Auffassung des Gutachtens vom 14.3.2011, eine Typ I- oder Typ IV-Sensibilisierung fehle, überzeuge nicht, weil Dr. H. unter dem 18.6.2009 eine berufsrelevante Typ IV-Sensibilisierung berichtet habe und das Reha-Zentrum B. multiple Typ I- und Typ IV-Sensibilisierungen zugrunde gelegt habe, zumal anderenfalls eine Rehabilitations-Maßnahme nicht bewilligt worden wäre. Dafür, dass dem Gutachten vom 14.3.2011 falsch-negative Testungen zugrunde lägen, spreche, dass die Testung auf Formaldehyd - trotz geringster Reproduzierbarkeit innerhalb der Standardallergene - "mehrfach” positiv gewesen sei. Die bei Hauttestungen verwendeten kleinen Mengen "könnten” in "seltenen” Fällen nicht ausreichend sein. Bei einem Verdacht einer falsch negativen Reaktion, sollte der Test mit anderer Methode wiederholt werden; daran fehle es im Falle der Klägerin. Eine deutliche Minderung der epidermalen Barrierefunktion und der Hinweis auf eine atopische Hautdisposition stünden der Feststellung einer Haut-Bk nicht entgegen; dann handele es sich eben um ein beruflich verursachtes kumulativ-toxisches Ekzem auf dem Boden einer atopischen Diathese, wenn ein Hautleiden nach Wegfall des Schadstoffes abheile. Der Umstand, dass die Entstehung einer atopischen Dermatitis von vielen (multi) Faktoren abhänge, schließe das Vorliegen einer Bk gerade nicht aus. Selbst bei schicksalhafter Erkrankung der Klägerin wäre die Berufsbezogenheit zu bejahen, zumal bei Abwesenheit vom Arbeitsplatz Beschwerdefreiheit eingetreten sei. Die Hauterscheinungen seien nach ihren Beobachtungen erstmals bei Nutzung des Fotoautomaten aufgetreten. Auch die [18] Bken der Gruppe 13 der Anlage 1 zur BKV seien zu prüfen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 27.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihr eine Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Bescheide für zutreffend und macht geltend: Sie könne die Auffassung der Klägerin nicht nachvollziehen, die Testung im Rahmen des Gutachtens vom 14.3.2011 sei falsch-negativ.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2011 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Beklagte hat zu Recht abgelehnt, bei der Klägerin eine Bk nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV festzustellen.

Nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) in Verbindung mit § 1 BKV ist eine Bk die Krankheit, die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet und in der Anlage 1 zur BKV bezeichnet ist. Die Anlage 1 zur BKV bezeichnet unter Nr. 5101 schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. (Wiederholte Rückfälligkeit erfordert mindestens drei gleichartige Krankheitsschübe mit einer weitgehenden Besserung oder Abheilung des vorangegangenen Krankheitsschubes. Die Schwere der Erkrankung ergibt sich aus dem klinischen Bild, der Ausdehnung, dem Verlauf und der Dauer der Erkrankung.)

Der Gesetzgeber erkennt mit der Bezeichnung einer Krankheit als Bk die Möglichkeit einer beruflichen Schädigung und ihre Entschädigungswürdigkeit generell an. Eine Bk ist indes erst dann anzunehmen, wenn mit Wahrscheinlichkeit die schädigende Einwirkung einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und andererseits die Erkrankung herbeigeführt hat. Wahrscheinlichkeit erfordert mehr als Möglichkeit und kann erst dann angenommen werden, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen die genannten ursächlichen Zusammenhänge spricht und Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.

Im Falle der Klägerin steht nicht mit Wahrscheinlichkeit fest, dass Einwirkungen durch Substanzen, denen die Klägerin beruflich ausgesetzt war, die rechtlich wesentliche Ursache waren für die bei der Klägerin bestehende Erkrankung der Haut. Hiervon ist die Kammer überzeugt aufgrund des von Prof. J./Prof. S./Dr. L. nach viertägiger stationärer Untersuchung und umfassender Testung erstellten hautfachärztlichen Zusammenhangs-Gutachten vom 14.3.2011, insbesondere aufgrund der fehlenden Reproduzierbarkeit zuvor angenommener Sensibilisierungs-Befunde. Die hiergegen von der Klägerin erhobenen Einwendungen haben die Kammer nicht vom Gegenteil überzeugt.

Die Auffassung von Dr. S./Dr. F., Dr. N. Hautschutzzentrum L., bei der Verschlimmerung eines atopischen Ekzems und der Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd sei ein beruflicher Zusammenhang wahrscheinlich, überzeugt nicht, weil sie nicht mit Gründen unterlegt ist und eine Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd lediglich unterstellt ist, nämlich lediglich auf anamnetischer Annahme und nicht auf eigener Testung beruht.

Soweit die Klägerin der Auffassung des Gutachtens vom 14.3.2011, eine Typ I- oder Typ IV-Sensibilisierung fehle, entgegenhält, dass Dr. H. eine berufsrelevante Typ IV-Sensibilisierung berichtet habe und das Reha-Zentrum B. multiple Typ I- und Typ IV-Sensibilisierungen zugrunde gelegt habe, verkennt die Klägerin, dass Grundlage hierfür jeweils nur anamnetische Angaben, nicht aber selbst umfassend erhobene Sensibilisierungs-Befunde (einschließlich Formalin) waren; weder Dr. H. noch das Reha-Zentrum B. widerlegen den in O. erhobenen Befund.

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist nicht ersichtlich, dass sie "mehrfach” positiv auf Formaldehyd getestet wurde. Ihr Vorbringen, die bei Hauttestungen verwendeten kleinen Mengen "könnten” in "seltenen” Fällen nicht ausreichend sein, drückt lediglich ihre Vermutung aus, widerlegt aber nicht die Testergebnisse des Gutachtens vom 14.3.2011.

Zwar stehen eine deutliche Minderung der epidermalen Barrierefunktion sowie der Hinweis auf eine atopische Hautdisposition der Feststellung einer Haut-Bk nicht entgegen und schließt der Umstand, dass die Entstehung einer atopischen Dermatitis von vielen (multi) Faktoren abhängt, das Vorliegen einer Bk nicht aus. Aber dieser Vortrag der Klägerin führt nicht zur begehrten Feststellung, weil diese erfordert, dass die Hauterkrankung mit Wahrscheinlichkeit wesentlich durch berufliche Einwirkungen verursacht ist; solche Wahrscheinlichkeit fehlt, wie bereits ausgeführt, im Falle der Klägerin. Dieses Erfordernis des ursächlichen Zusammenhanges verkennt auch der sinngemäße Einwand der Klägerin, selbst bei schicksalhafter Erkrankung sei die Berufsbezogenheit zu bejahen, wenn bei Abwesenheit vom Arbeitsplatz Beschwerdefreiheit eintritt.

Das Gericht hatte schließlich nicht sämtliche 18 Bken der Gruppe 13 der Anlage 1 zur BKV zu prüfen, da schon überprüfbare Entscheidungen der Beklagten insoweit fehlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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