S 25 KR 105/14

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 25 KR 105/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 KR 10/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 24.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2014 wird aufgehoben.

Der Beklagte hat der Klägerin ihrer außergerichtlichen notwendigen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitgegenständlich geht es um die Aufhebung eines Bescheides, mit dem der Beklagte die Familienversicherung für die beiden Kinder der Klägerin zum 01.05.2010 rückwirkend aufgehoben hat.

Die Klägerin hatte unter dem 05.03.2010 die Durchführung der Familienversicherung für ihre Kinder J. und N. beantragt. In diesem Antrag hatte sie angegeben, dass ihr Ehemann gesetzlich krankenversichert ist.

Im Rahmen der turnusmäßigen Prüfung der Voraussetzungen für die Familienversicherung durch die Beklagte im April 2013 hatte die Klägerin erstmalig mitgeteilt, dass ihr Ehegatte seit Mai 2010 nicht mehr Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung sei, sein regelmäßiges Bruttoeinkommen höher sei als ihres und 1/12 der Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreite. So reichte die Klägerin bei der Beklagten im April 2013 die Lohnsteuerbescheinigungen des Ehemannes der Jahre 2010, 2011 und 2012 ein, welche ein Bruttoeinkommen i. H. v. jährlich 60.663,61 EUR (2010), 66.079,85 EUR (2011) und 68.261,10 EUR (2012) ausweisen. Weiter reichte sie die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 24.05.2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Familienversicherung ihrer Kinder rückwirkend zum 01.05.2010 storniert werde.

Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 17.06.2013 Widerspruch mit der Begründung, sie träfe kein Verschulden. Nach Antragstellung im März 2010 seien die Unterlagen durch die Beklagte geprüft und einer Familienversicherung zugestimmt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2013 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Klägerin sei ihrer Mitwirkungspflicht gem. § 206 SGB V nicht nachgekommen, da sie erst im April 2013 mitgeteilt habe, dass ihr Ehemann seit Mai 2010 privat krankenversichert sei. Sowohl in dem Antrag als auch auf den Formularen zur Prüfung der Familienversicherung werde darauf hingewiesen, dass der Kasse alle Änderungen, die Auswirkungen auf die Familienversicherung haben können - u. a. Änderungen zu Mitgliedschaften der Familienangehörigen - mitzuteilen sind. Nähere Informationen seien dem beigefügten Beratungsblatt zur Familienversicherung zu entnehmen gewesen. Damit sei die Beklagte ihrer Aufklärungspflicht in vollem Umfang nachgekommen.

Mit Bescheiden vom 02.07.2013 an die Kinder der Klägerin wurden diese selbst freiwillig krankenversichert ab 01.04.2013.

Die Klägerin erhob durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 13.03.2013 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Ehemann der Klägerin zum Zeitpunkt der Beantragung der Familienversicherung für ihre Kinder noch gesetzlich freiwillig pflichtversichert gewesen sei. Der Ehemann der Klägerin habe erst einen Monat nach diesem Antrag einen Wechsel in eine private Krankenversicherung vorgenommen. In diesem Zusammenhang sei eine Prüfung der Sozial- und Familiensituation durch einen Vertreter der privaten Krankenversicherung des Ehepartners durchgeführt worden. Im Ergebnis sei dem Ehemann mitgeteilt worden, dass die gemeinsamen Kinder bei der Klägerin familienversichert bleiben können.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich der Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat die private Krankenversicherung (Central Krankenversicherung AG) des Ehemannes der Klägerin um Übersendung von Vertragsunterlagen des Ehemannes gebeten. Aus diesen ergibt sich u. a., dass der Versicherungsschein für die Versicherung ab dem 01.05.2010 am 31.03.2010 erstellt wurde. Auf weitere Nachfrage durch das Gericht teilte die Unternehmensgruppe für Finanzberatung ... mit, dass gemäß dem Beratungsprotokoll und dem Versicherungsantrag das Gespräch zur privaten Krankenversicherung am 29.03.2010 stattgefunden habe.

Das Gericht hat am 19.12.2017 die mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht beim Sozialgericht Halle eingereicht worden.

2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 24.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist allein § 48 Abs. 1 SGB X. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Bescheid der Beklagten vom 29.03.2010, mit dem die Beklagte der Klägerin mitteilte, dass für ihre Kinder N. und J. im Rahmen der TK-Famlienversicherung umfassender Kranken- und Pflegeversicherungsschutz bestehe, ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da er - wenn auch nur deklaratorisch - die Familienversicherung der Kinder der Klägerin für die Zukunft feststellte.

Für die Aufhebung dieses Verwaltungsaktes vom 29.03.2010 lagen jedoch die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X nicht vor: Nach dieser Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Nr. 1), dieser einer Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2), soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3), oder soweit der Betroffene wusste oder grob fahrlässig nicht wusste, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder weggefallen ist (Nr. 4).

Vorliegend kommt lediglich eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 oder Nr. 4 in Betracht. Dafür müsste der Klägerin aber grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz hinsichtlich der Nichtmitteilung der Tatsache, dass ihr Ehemann seit Mai 2010 privat versichert war und ein höheres Einkommen als sie bezieht, was 1/12 der Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitet, vorwerfbar sein. Nach Auffassung der Kammer ist dies nicht der Fall. Zum Zeitpunkt der Beantragung der Familienversicherung für die Kinder am 05.03.2010 lagen die Voraussetzungen für die Familienversicherung der Kinder nach § 10 SGB V noch vor. Um eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzung der Klägerin im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I oder § 206 SGB V anzunehmen, müsste die Klägerin zum Zeitpunkt des Wechsels ihres Ehemannes in die private Krankenversicherung gewusst oder dies grob fahrlässig nicht gewusst haben, dass sie diesen Umstand der Beklagten mitzuteilen hat.

Für die Entscheidung, wann grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X vorliegt, verweist die Rechtsprechung auf die Definition in § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X. Grobe Fahrlässigkeit ist danach gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist in Bezug auf die Unterlassung der Mitteilung der Veränderung dann der Fall, wenn die betroffene Person hier einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Falle jedem einleuchten muss. Es ist auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der betroffenen Person sowie die besonderen Umstände des Falls abzustellen. Dabei ist weiter ggf. in die Bewertung einzubeziehen, dass den Leistungsträger Beratungspflichten treffen können. Fehlte es an einer erforderlichen Beratung, so kann dies Auswirkungen auf die Beurteilung, ob einer betroffenen Person in Bezug auf die Versäumung der Mitteilung einer Veränderung grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, haben (siehe dazu Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 48 SGB X Rn. 132 m. w. N.)

Die Mitteilungspflicht hinsichtlich der Tatsache, dass der Ehemann der Klägerin privat versichert ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Zwar schreibt § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I vor, dass, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen hat. Dabei kommt es darauf an, ob für die Klägerin offensichtlich war, dass die private Krankenversicherung ihres Ehemannes erheblich für die Familienversicherung ihrer Kinder ist. Nach den oben genannten Kriterien ist dies nach Auffassung der Kammer nicht der Fall. Der Klägerin hat es sich nicht quasi aufgedrängt, dass sie diesen Umstand der Beklagten mitzuteilen hat. Dies ergab sich auch nicht eindeutig aus dem Bescheid vom 29.03.2010, der lediglich den Hinweis enthielt, dass die Klägerin alle Änderungen mitteilen solle, die Auswirkungen auf die Familienversicherung haben könnten, wozu u. a. der Beginn einer eigenen Mitgliedschaft, jede Änderung des Familienstandes sowie Änderungen in den Einkommensverhältnissen des mitversicherten Angehörigen gehören würden. Von einer Mitteilungspflicht hinsichtlich der privaten Krankenversicherung des Ehemannes war hier nicht die Rede. Zwar war im Antragsformular die Frage enthalten, wie der Ehemann versichert ist, aber auch dieses Antragsformular enthielt keinen expliziten Hinweis darauf, dass dieser Umstand zwingend mitzuteilen ist. Das Antragsformular enthält lediglich folgenden Passus: "Ich informiere Sie, wenn sich etwas ändert, z. B. die Höhe des Einkommens oder der Beginn einer eigenen Mitgliedschaft meiner Familienangehörigen."

Insofern konnte die Klägerin weder aus dem Bescheid vom 29.03.2010 noch aus dem Antragsformular, sozusagen auf den ersten Blick erkennen, dass der Umstand, dass ihr Ehemann seit Mai 2010 privat krankenversichert ist, erheblich für die Familienversicherung ihrer Kinder ist und sie deshalb zur Mitteilung an die Beklagte verpflichtet gewesen wäre. Insofern nimmt die Kammer eher einen Beratungsmangel durch die Beklagte an. Darüber hinaus hat sich die Klägerin nach ihrem Vortrag auf die Auskunft des Versicherungsvertreters der privaten Krankenversicherung ihres Ehemannes verlassen, der wohl gesagt hat, dass sie nichts weiter veranlassen müsse. Für die Kammer war es insofern vollkommen nachvollziehbar, dass die Klägerin sich nicht gehalten gefühlt hat, der Beklagten den Umstand der privaten Krankenversicherung ihres Ehemannes mitzuteilen. Die Rechtsfrage, ob Kinder eines verheirateten Paares bei dem gesetzlich versicherten Ehepartner kostenlos familienversichert werden können, ist für den rechtlichen Laien nicht ohne weiteres zu beantworten, da es auf die Höhe der Gehälter ankommt und erst bei Überschreiten einer gewissen Gehaltsgrenze die Regelung des § 10 Abs. 3 SGB V greift, dass die Kinder von verheirateten Paaren zwangsweise privat krankenversichert werden müssen, da in diesem Fall eine Familienversicherung nach § 10 SGB V ausscheidet. Dies ist weder auf den ersten Blick zu durchschauen noch tatsächlich nachvollziehbar, da diese Regelung für nichtverheiratete Paare eben nicht greift, d. h. im letzteren Fall kommt es nicht darauf an, ob das eine Elternteil privat krankenversichert ist oder nicht, da die Regelung des § 10 Abs. 3 SGB V in diesem Fall nicht zur Anwendung kommt und die Kinder bei dem anderen Elternteil gesetzlich familienversichert werden können. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 12.02.2003 - 1 BvR 624/01 ist diese Regelung des § 10 Abs. 3 SGB V mit dem Grundgesetz vereinbar. Insofern handelt es sich um eine komplizierte Rechtsmaterie, die nicht von jedem Versicherten gekannt werden kann noch muss.

Auch aus § 206 SGB V ergibt sich keine gesteigerte Mitteilungspflicht für die Klägerin. Danach schreibt § 206 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V vor, dass, wer versichert ist oder als Versicherter in Betracht kommt, der Krankenkasse, soweit er nicht nach § 28o des Vierten Buches auskunftspflichtig ist, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht erheblich sind und nicht durch Dritte gemeldet werden, unverzüglich mitzuteilen hat. Ausweislich der Gesetzesbegründung präzisiert und erweitert die Vorschrift § 318a RVO und konkretisiert die allgemeine Regelung des § 60 SGB I ("Angaben von Tatsachen"). Allerdings regelt § 206 SGB V - anders als § 60 SGB I - nicht auskunfts- und Mitteilungspflichten in dem Bereich der Gewährung und Beantragung von Sozialleistungen. § 206 SGB V nimmt auf die Versicherungs- und Beitragspflicht Bezug. Im Ergebnis gelten daher § 206 SGB V und § 60 SGB I für unterschiedliche Regelungsbereiche. Eine Konkurrenz zwischen beiden Normen besteht nicht (siehe dazu Baierl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 206 SGB V Rn. 1).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin hier nach § 60 SGB I oder nach § 206 SGB V mitteilungspflichtig gewesen wäre, da auch § 206 SGB V keine strengeren Anforderungen an die Mitteilungspflichten stellt als § 60 SGB I. Schließlich erschließt sich auch aus § 10 Abs. 6 SGB V nicht auf den ersten Blick, dass die Klägerin eine Mitteilungspflicht hinsichtlich der privaten Krankenversicherung ihres Ehemannes gehabt hätte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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