L 4 AS 237/15 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 2 AS 638/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 237/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 31. März 2015 wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. März 2015 angeordnet.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten für das erst- und das zweitinstanzliche Verfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Aufforderung des Antrags- und Beschwerdegegners, vorzeitig einen Altersrentenantrag zu stellen.

Die am ... 1951 geborene Antragstellerin bezieht vom Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt bewilligte der Antragsgegner vorläufige Leistungen in Höhe von 769,00 EUR monatlich mit Bescheid vom 6. Februar 2015 für die Monate Februar bis April 2015 und mit Bescheid vom 7. April 2015 für den Bewilligungszeitraum von Mai bis Oktober 2015. Dabei berücksichtigte er die Regelleistung in Höhe von 399,00 EUR sowie KdU in Höhe von 370,00 EUR.

Nach der Rentenauskunft der D. R. M. (im Weiteren: DRV) vom 18. Februar 2013 werde die Regelaltersrente, die die Antragstellerin am 17. Juli 2016 erreiche, monatlich 595,70 EUR betragen. Nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von insgesamt 61,05 EUR würden voraussichtlich 534,65 EUR netto gezahlt. Ab März 2014 könne sie Altersrente wegen Arbeitslosigkeit beziehen, die mit einer Minderung von 7,2 % verbunden sei. Seit März 2011 sei der Bezug einer Altersrente für Frauen mit einem Rentenabschlag von 18 % möglich. Im Versicherungsverlauf der Antragstellerin sei die Zeit von Januar bis Dezember 2011 ungeklärt.

Mit Bescheid vom 20. November 2013 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin erstmalig auf, beim zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen. Dagegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein, sprach aber am 31. März 2014 bei der DRV vor und beantragte die Gewährung einer Altersrente für Frauen ab dem 1. April 2014. Mit Bescheid vom 18. August 2014 bewilligte die DRV antragsgemäß die Altersrente für Frauen ab April 2014. Die monatliche Rente betrage ab Oktober 2014 brutto 657,33 EUR und nach Abzug des Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrags 589,95 EUR. Eine Nachzahlung für die Monate April bis September 2014 erfolge noch nicht, weil zunächst Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger zu klären seien. Mit einer Erklärung vom 28. August 2014 über die "Nichtinanspruchnahme" der Altersrente wandte sich die Antragstellerin an die DRV, was diese als Antragsrücknahme wertete, die rechtzeitig vor Eintritt der Bindungswirkung des Rentenbescheids abgegeben worden sei. Die DRV teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 16. Januar 2015 mit, aufgrund der Rücknahme des Rentenantrags entfalte der Bescheid vom 18. August 2014 keine Rechtswirkungen, und bat um dessen Rücksendung.

Mit Bescheid vom 5. November 2014 hob der Antragsgegner auf den Widerspruch der Antragstellerin seinen Aufforderungsbescheid vom 20. November 2013 in Kenntnis des Rentenbescheids vom 18. August 2014 und der Rücknahme des Rentenantrags auf. In einem Begleitschreiben vom selben Tag an die Antragstellerin führte er u.a. aus, es sei möglich, dass eine weitere Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung ergehe.

Mit Bescheid vom 6. März 2015 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin erneut auf, die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 12a SGB II zu beantragen. Er wies auf seine Berechtigung zur Antragstellung anstelle der Antragstellerin hin, wenn diese der Aufforderung nicht bis zum 2. April 2015 nachkomme. Die Antragstellerin habe das 63. Lebensjahr bereits vollendet und sei daher gemäß § 12a Satz 1 SGB II verpflichtet, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Die Tatbestände der Unbilligkeitsverordnung träfen auf sie nicht zu. Sonstige Unbilligkeitsgesichtspunkte seien nicht ersichtlich. Ihr sei es bislang nicht gelungen, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Eine Integration erscheine auch zukünftig wenig aussichtsreich. Die mit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente verbundenen Abschläge führten auch nicht zu einer unbilligen Härte, da aufgrund der Rentenauskunft vom 18. Februar 2013 sich auch bei Inanspruchnahme der vollen Regelaltersrente nur eine monatliche Nettorente von 534,65 EUR ergebe. Es werde im Fall der Antragstellerin Hilfebedürftigkeit nicht dauerhaft vermieden werden können. Aufgrund des monatlichen SGB II-Leistungsanspruchs in Höhe von 769,00 EUR sei es wahrscheinlich, dass sie auch ergänzende Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müsse. Es seien keine besonderen Umstände erkennbar, aus denen in ihrem Fall das Interesse am weiteren Bezug von SGB II-Leistungen das öffentliche Interesse an einer wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung überwiege. Im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung könne daher nicht von der Aufforderung nach § 12a SGB II abgesehen werden.

Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 12. März 2015 Widerspruch ein. Es sei ihr nicht zuzumuten, aufgrund einer vorzeitigen Inanspruchnahme Rentenabschläge in Kauf nehmen zu müssen.

Am 16. März 2015 sprach die Antragstellerin erneut bei der DRV vor und erklärte, sie werde die Aufforderung nicht befolgen, weil der Bezug der Altersrente mit Abschlägen unbillig sei. Ab März 2016 könne sie eine Altersrente für Frauen ohne Abzug in Anspruch nehmen. Den dafür erforderlichen Rentenantrag werde sie rechtzeitig stellen.

Am 17. März 2015 hat die Antragstellerin bei dem SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs beantragt und auf die Unbilligkeit der von ihr hinzunehmenden Rentenkürzungen hingewiesen.

Mit Beschluss vom 31. März 2015 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Es hat zur Begründung ausgeführt, nach der gebotenen summarischen Prüfung des angegriffenen Bescheids ergäben sich keine ernstlichen Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Daher bestehe kein überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Der Antragsgegner habe das ihm zustehende Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Er habe ermessenleitend die Vorgaben der Unbilligkeitsverordnung berücksichtigt, ohne diese als abschließend zu betrachten. Er habe berücksichtigt, dass eine Eingliederung der Antragstellerin in den Arbeitsmarkt bislang nicht zum Erfolg geführt habe. Zudem habe er erkannt, dass die ungeminderte Altersrente voraussichtlich zur Deckung des Grundsicherungsbedarfs nicht ausreichen werde. Der Antragsgegner habe sich mit den konkreten Verhältnissen der Antragstellerin auseinandergesetzt.

Gegen den ihr am 4. April 2015 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 9. April 2015 Beschwerde eingelegt und sinngemäß ausgeführt: Die vom SG vorgenommene Interessenabwägung sei zu beanstanden. Der erlassene Bescheid sei willkürlich und damit rechtswidrig. Sie hat vorgetragen und durch eine Bestätigung der DRV glaubhaft gemacht, am 9. April 2015 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung beantragt zu haben. Dazu hat sie ausgeführt, eine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente würde sie akzeptieren.

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 31. März 2015 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. März 2015 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hat sich zum Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG ist zulässig im Sinne von § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 iVm § 144 Abs. 1 SGG greift nicht, weil der angegriffene Bescheid des Antragsgegners keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder ein hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft. Zudem handelt es sich nicht um einen Erstattungsstreit im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGG.

Die Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Vorliegend ist die aufschiebende Wirkung ihres gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. März 2015 eingelegten Widerspruchs anzuordnen. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners mit der Aufforderung zur vorzeitigen Beantragung der Altersrente hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 iVm § 39 Abs. 1 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug grundsätzlich dem Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung eingeräumt hat. Bei der Abwägung sind neben den Folgen der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids, sodass das private Interesse der Antragstellerin an der Außervollzugsetzung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.

Der angegriffene Bescheid vom 6. März 2015, zu dem nach Kenntnis des Senats noch kein Widerspruchsbescheid vom Antragsgegner erlassen worden ist, wird sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen.

Derzeit ist der Bescheid schon deshalb rechtswidrig, weil die Antragstellerin vor seinem Erlass nicht im Sinne von § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) angehört worden ist. Denn gemäß § 24 Abs. 1 ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte des Betroffenen eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu dem für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Möglichkeit hat der Antragsgegner der Antragstellerin nicht eingeräumt. Zwar kann der Bescheid durch Nachholen der fehlerhaft unterbliebenen Anhörung geheilt werden – insbesondere durch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens, indes wird er dadurch nicht rückwirkend rechtmäßig. Der formelle Fehler wirkt sich lediglich im sich ggf. anschließenden Klageverfahren nicht mehr aus (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 1979, Aktenzeichen: 3 RK 35/77, SozR 1200 § 34 Nr. 7). Der Bescheid ist dann so anzusehen, als sei er von Anfang an mangelfrei gewesen (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Solange jedoch – wie vorliegend – über den Widerspruch noch nicht entschieden worden ist, kann sich der Betroffene auf die fehlende Anhörung berufen.

Darüber hinaus erweist sich der Bescheid voraussichtlich wegen fehlerhafter Ermessenausübung als rechtswidrig. Denn im angegriffenen Bescheid hat der Antragsgegner nicht im hinreichenden Umfang Ermessen ausgeübt.

Bei einer Ermessensentscheidung hat ein Gericht nur zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010, Aktenzeichen: B 2 U 10/10 R). Ein Ermessensnichtgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung liegt hier nicht vor. Jedoch besteht ein Ermessensfehlgebrauch. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt (Ermessensmissbrauch). Zum anderen liegt der Fehlgebrauch als Abwägungsdefizit vor, wenn die Behörde nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die je nach der Lage des Falles zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der Fehlgebrauch kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn der Leistungsträger die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch darin liegen, dass er seiner Ermessenbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Deshalb haben die Tatsacheninstanzen in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Behörde die Tatsachen, die sie in ihrer Ermessensentscheidung zugrunde gelegt hat, zutreffend und vollständig ermittelt hat (BSG, Urteil vom 9. November 2010, a.a.O.).

Im Rahmen der Ermessensausübung hat der Leistungsträger die individuellen Verhältnisse des Einzelfalls abzuwägen, d.h. er ist gehalten, auf die für die Ermessensentscheidung relevanten Verhältnisse des Einzelfalls einzugehen. Den für seine Entscheidung benötigten Sachverhalt hat er ggf. von Amts wegen zu ermitteln; er kann sich dabei u. a. der Mitwirkung der Beteiligten bedienen.

Vorliegend hat der Antragsgegner seiner Entscheidung einen unvollständig ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt. Denn er ist auf der Grundlage der Rentenauskunft der DRV vom 18. Februar 2013 von einer voraussichtliche Regelaltersrente (ab August 2016) in Höhe von 595,70 EUR brutto, bzw. von 534,65 EUR netto, ausgegangen. Er hat seiner Entscheidung eine mehr als zwei Jahre alte Rentenauskunft zugrunde gelegt, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Auskunft nicht mehr aktuell ist. Zum einen enthält bereits die Auskunft vom 18. Februar 2013 den Hinweis (Seite 10), dass die Beitragszeiten für das gesamte Jahr 2011 noch nicht geklärt sind. Diesbezüglich könnten sich zwischenzeitlich Änderungen mit Auswirkungen auf den voraussichtlichen Rentenzahlbetrag ergeben haben. Zudem hat der Antragsgegner außer Acht gelassen, dass der Antragstellerin mit Bescheid der DRV (aufgrund der späteren Antragsrücknahme ohne Rechtswirkungen) eine Altersrente für Frauen bewilligt worden war, deren monatlicher Bruttobetrag von 657,33 EUR – bei einem Auszahlungsbetrag nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge von 589,95 EUR netto – ab Juli 2014 höher war als die in der Rentenauskunft mitgeteilte Höhe der (ungekürzten) ab August 2016 zu zahlenden Regelaltersrente. Da jedoch die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente für Frauen mit deutlich höheren Rentenabschlägen (18%, vgl. Rentenauskunft vom 18. Februar 2013, Seite 7) verbunden ist als die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (Minderung von 7,2%), spricht einiges dafür, dass der von der DRV im Februar 2013 prognostizierte Regelaltersrentenbetrag inzwischen überholt ist. Angesichts dieser deutlichen Abweichung hätte es dem Antragsgegner oblegen, seiner Entscheidung eine aktuelle Rentenauskunft zugrunde zu legen. Zu deren Vorlage hätte er die Antragstellerin auffordern können.

Zudem begegnet die Ermessensausübung insoweit Zweifel, als der Antragsgegner im angegriffenen Bescheid zwar festgestellt hat, die Integration der Antragstellerin in den ersten Arbeitsmarkt sei gescheitert und auch für die Zukunft nicht zu erwarten. Die Tatsachen, aufgrund derer er zu dieser Erkenntnis gelangt ist, hat er jedoch nicht mitgeteilt. Es ergeben sich weder aus dem angegriffenen Bescheid noch aus dem vorliegenden Verwaltungsvorgang Informationen über den berufliche Werdegang der Antragstellerin, ihre Beschäftigungszeiten seit dem Jahr 2005 oder die bislang (erfolglos) absolvierten Eingliederungsmaßnahmen. Es ergibt sich weiter nicht, seit wann die Antragstellerin im SGB II-Leistungsbezug steht. Ohne diese erforderlichen Angaben lässt sich die Einschätzung des Antragsgegners, die Eingliederung sei gescheitert und werde auch in Zukunft bis zum Eintritt in die Regelaltersrente nicht gelingen, nicht überprüfen. Auch zum aktuellen Stand der Eingliederungsbemühungen, insbesondere ob aktuell mit der Antragstellerin eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen worden ist, gibt es keine Angaben.

Daraus resultiert ein Ermessensfehlgebrauch dergestalt, dass der Antragsgegner die konkreten Auswirkungen seines Bescheides auf die Situation der leistungsberechtigten Antragstellerin nicht angemessen einzelfallbezogen geprüft hat. Der Ermessensfehler führt im Rahmen der Abwägung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG dazu, dass das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angegriffenen Bescheids überwiegt. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Antragsgegner möglich ist, mit einer erneuten Aufforderung und einer Ermessenentscheidung unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen ggf. eine neue Grundlage für eine Verpflichtung zur vorzeitigen Rentenantragstellung zu schaffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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