L 4 AS 592/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 11 AS 275/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 592/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 5. April 2013 wird abgeändert:

Der "Änderungsbescheid" des Beklagten vom 27. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2012 wird abgeändert und der Leistungsanspruch des Klägers wird auf 287,00 EUR für Mai 2010, 184,00 EUR für Juni 2010, 495,00 EUR für Juli 2010 sowie jeweils 263,00 EUR für die Monate August bis Oktober 2010 festgesetzt.

Der Erstattungsbescheid des Beklagten vom 27. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 3. Januar 2012 wird auf einen Gesamtbetrag vom 975,53 EUR herabgesetzt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind weder für das Klage- noch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die endgültige Festsetzung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2010.

Der im Jahr 1955 geborene Kläger und Berufungsbeklagte (im Weiteren: Kläger) stellte am 29. Oktober 2009 bei dem Beklagten einen SGB II-Leistungsantrag. Er gab an, er habe sich von seiner Ehefrau getrennt und derzeit kein Einkommen. Er sei seit 2005 als freier Handelsvertreter tätig gewesen; zuletzt seit Oktober 2007 für die Firma P. GmbH. Er legte die Gewerbeabmeldung zum 14. August 2009 und eine Bescheinigung des Steuerberaters vom 28. Oktober 2009 vor, nach der er aus dieser Tätigkeit seit Juli 2007 keine Einnahmen erwirtschaftet habe. Weiter gab an, er sei seit 2004 Gesellschafter (mit 24,5% der Anteile) und Geschäftsführer der H. Limited und seit 2006 Geschäftsführer (und alleiniger Gesellschafter) der E. GmbH. Aus beiden Tätigkeiten beziehe er kein Gehalt, da die Firmen nicht profitabel seien. Die H. habe ausweislich ihrer Bilanz für das Jahr 2008 zwar einen Überschuss von 14.602,90 EUR erwirtschaftet. Dieser sei jedoch – ausweislich einer Bescheinigung des Steuerberaters – nicht ausgeschüttet worden. Der Kläger erklärte dazu, mit dem Überschuss hätten noch Restarbeiten, insbesondere Bepflanzungen, ausgeführt werden müssen. Die E. GmbH sei aus der Firma K. GmbH hervorgegangen, deren Gesellschaftsanteile er im Wege des Mantelkaufs (eine Geschäftstätigkeit habe nicht mehr stattgefunden) im Januar 2006 für 2.000 EUR gekauft habe. Als Geschäftsführer arbeite er zunächst unentgeltlich. Auch dazu legte er Unterlagen vor. Er besitze einen darlehensfinanzierten Pkw S. F. (Erstzulassung 2006, Kilometerstand 90.000), für den er monatliche Raten von 189,87 EUR zahlen müsse. Es seien noch 10.700,00 EUR abzubezahlen. Er belegte einen monatlichen Kfz-Haftpflichtversicherungsbeitrag von 20,99 EUR. Nach den vorgelegten Kontoauszügen stand das Geschäftskonto bei der D. Bank (Kto.-Nr ...) mit 3.000 EUR im Soll; das Privatkonto bei der D. Bank (Kto.-Nr ...) hatte einen Kontostand von Null. Der Kläger gab an, seine Ehefrau habe ein monatliches Nettoeinkommen von ca. 1.700 bis 1.800 EUR. Er habe kein Vermögen. Zum 1. Dezember 2009 bezog der Kläger eine Einraumwohnung in der D. 8 in W., für die er eine monatliche Gesamtmiete von 280 EUR zu zahlen hatte.

Mit Bescheid vom 19. November 2009 und Änderungsbescheid vom 11. Dezember 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufige Leistungen für den Zeitraum von November 2009 bis April 2010.

Zum 11. Februar 2010 meldete der Kläger unter Angabe der Betriebsstätte "J. 10 in W." ein Gewerbe mit der Tätigkeit: "Aufbau Groß- und Einzelhandel mit Reisen, Drogerieartikel, Nahrungsergänzung, Garsysteme, Büroartikel, Wasserfiltersysteme, Amway-Produkte, Handelsvertreter nach § 84 HGB - Versicherungen und Bausparverträgen" zunächst im Nebenerwerb, ab 28. Mai 2010 im Haupterwerb an und teilte dies dem Beklagten am 18. März 2010 mit.

Am 6. April 2010 stellte er einen Weiterbewilligungsantrag unter Verwendung der Anlage EKS (Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb im Bewilligungszeitraum), in der er zu den allgemeinen Daten der selbstständigen Tätigkeit erklärte:

"Gewerbeart: "Versicherungen ADM / Aufbau Groß- u. Einzelhandel

Beginn der Tätigkeit: 01.03.2010

Betriebssitz: C. 53a W. / J. 10 W."

Er bezifferte er die voraussichtlichen Betriebseinnahmen in den nächsten sechs Monaten auf insgesamt 5.200 EUR und die Betriebsausgaben auf 5.400 EUR. Angaben zu erwarteten Einnahmen aus den Gesellschaften machte er nicht.

Mit Bescheid vom 23. April 2010 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2010 vorläufige SGB II-Leistungen von 632,53 EUR monatlich. Die Bewilligung erfolge vorläufig, da das Ergebnis der selbstständigen Tätigkeit im Bewilligungszeitraum noch nicht feststehe. Für den Zeitraum vom 5. Mai bis zum 9. November 2010 gewährte der Beklagte zudem ein monatliches Einstiegsgeld von 179,50 EUR.

Am 28. Juni 2010 legte der Kläger bei dem Beklagten ein Unternehmenskonzept mit gesonderten Angaben zu den Bereichen "Versicherungen/Bausparen" als Versicherungsagentur unter der Anschrift C. 53a und "Vertriebsagentur, Multi-Level-Marketing, Werbung-Beratung-Vertrieb" unter der Anschrift J. 10 in W. vor. Darin führte er aus, er werde eine selbstständige Tätigkeit als gebundener Versicherungs- und Bausparvermittler für die S. Gruppe aufnehmen, die von der Generalagentur W. in W. begleitet werde, in deren Geschäftsräumen er aktiv werde. Er werde die Betreuung von ca. 1.000 Bestandskunden aus dem Raum W. übernehmen. Bei der Neukundenaquise unterliege er keinen territorialen Einschränkungen. Das Angebot der Vertriebsagentur sei vielfältig und beinhalte den Aufbau eines Groß- und Einzelhandels mit genehmigungsfreien Waren sowie Dienstleistungen unterschiedlicher Firmen (Internethandel, Direktvertrieb). Zu den Chancen und Risiken des Unternehmens führte er als Vorteil seine Kundennähe an. Die Bestandskundendaten der Versicherung könne er mit Genehmigung der Versicherungsgesellschaft auch für die Vertriebsagentur nutzen; zu diesen Kunden bestehe bereits ein Vertrauensverhältnis. Er rechne mit Gewinnen in beiden Bereichen ab dem fünften bzw. sechsten Monat der Tätigkeit.

Im August 2010 teilte der Kläger dem Beklagten schriftlich mit, er erhalte von seiner Ehefrau Trennungsunterhalt, den er bisher versehentlich nicht angegeben habe. Die Ehefrau habe zunächst vorwiegend Rechnungen für ihn beglichen. Seit August 2010 überweise sie monatlich 232,00 EUR auf sein Konto. Für Mai 2010 habe sie Zahlungen von insgesamt 208,00 EUR, für Juni 2010 von 300,65 EUR und für Juli 2010 keine Zahlung erbracht. Zudem zeigte er an, seit Juni 2010 einen Haushaltsservice als weiteres Gewerbe zu betreiben. Nach der Gewerbeanmeldung vom 18. Juni 2010 für die Tätigkeit "Haushaltshilfe" ist die in der D. 8 (Wohnanschrift des Klägers) als Betriebsstätte und die J. 10 (Büroraum H.) als Hauptniederlassung angegeben.

Am 12. August 2010 machte der Kläger "abschließende Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit " für den Zeitraum von November 2009 bis April 2010. Danach standen für beide Gewerbe ab März 2010 Betriebseinnahmen von insgesamt 676,70 EUR Ausgaben von insgesamt 967,51 EUR gegenüber. Dazu legte er die vom Steuerberater erstellten monatlichen Betriebswirtschaftlichen Auswertungen (im Weiteren: BWA) und die Provisionsabrechnungen der Versicherung für die Monate März und April 2010 vor.

Nach der am 31. August 2010 beim Beklagten vorgelegten Anlage EKS zur Gewerbeart "Haushaltshilfe-Service (zusätzl. zu den bereits gemeld. Gew.)" rechnete der Kläger für den Zeitraum von Juni bis Oktober 2010 mit einem Gewinn von insgesamt 10 EUR (Einnahmen: 4.550 EUR, Betriebsausgaben: 4.540 EUR).

Am 27. Oktober 2010 stellte der Kläger einen Weiterbewilligungsantrag. Er legte eine Anlage EKS für die Tätigkeiten "Haushaltshilfe-Service, Amway, Versicherungen" für den Zeitraum von November 2010 bis April 2011 vor. Danach rechnete er mit Gesamteinnahmen von 3.838,61 EUR bei Betriebsausgaben von 3.558,51 EUR (Gewinn 290,10 EUR).

Mit Bescheid vom 2. November 2010 bewilligte der Beklagte vorläufige Leistungen für den Bewilligungszeitraum von November 2010 bis April 2011 von monatlich 400,53 EUR Als Grund für die vorläufige Bewilligung nannte er die nur voraussichtlichen Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit. Auf den Gesamtbedarf des Klägers von 632,53 EUR rechnete der Beklagte den Unterhalt von 232,00 EUR voll und im Ergebnis kein Erwerbseinkommen an, da der Gewinn voraussichtlich unter 100 EUR monatlich liege.

Nach erneutem Hinweis des Klägers auf eine Überzahlung der SGB II-Leistungen wegen des Unterhaltseinkommens erließ der Beklagte am 18. November 2010 einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid für den Zeitraum Mai bis Oktober 2010 über einen Betrag von 1.054,65 EUR wegen des Zuflusses von Unterhaltsleistungen, der bestandskräftig wurde.

In der Folge machte der Kläger endgültige Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit – getrennt auf drei Antragsformularen – zu den Gewerben Versicherung, Haushaltshilfeservice und Groß- und Einzelhandel für den Zeitraum Mai bis Oktober 2010. Im Versicherungsbereich standen Betriebseinnahmen von insgesamt 2.796,59 EUR Ausgaben von 1.181,55 EUR gegenüber, sodass sich ein Gewinn von 1.615,04 EUR ergab. Im Haushaltsservice verzeichnete er Einnahmen von insgesamt 350,00 EUR. Diesen standen Ausgaben von 727,15 EUR gegenüber (Verlust: 377,15 EUR). Im Groß- und Einzelhandel erzielte der Kläger Einnahmen von 1.028,38 EUR bei Betriebsausgaben von 1.701,69 EUR (Verlust: 673,31 EUR). Er fügte seine BWA für die Monate Mai bis Oktober 2010 bei. In den BWA sind die monatlichen Einnahmen differenziert nach den Gewerben aufgeführt, von denen alle Ausgaben, bestehend insbesondere aus 80% der Handy- und Festnetztelefonaufwendungen, Büromaterial, 2/3 der Büromiete für die J. 10, Kfz-Kosten sowie Wareneinkauf (überwiegend Amway) abgezogen wurden. Aus den BWA ergeben sich folgende Zahlen:

- Tabelle nicht darstellbar -

Mit Schreiben vom 26. November 2010 forderte der Beklagte vom Kläger Einzelnachweise für die drei Gewerbe an und forderte ihn auf, Angaben zu den Einnahmen im Bereich Grundstücksvermittlung und -verkauf zu machen. Daraufhin legte der Kläger u.a. die Abrechnungen der Versicherungsprovisionen vor. Im Februar 2011 führte er schriftlich aus, für die H. habe er im Jahr 2010 sieben Grundstücke verkauft. Die Zahlungen stünden überwiegend noch aus, würden aber in nächster Zeit erwartet. Die bisherigen Einnahmen seien für den Kapitaldienst des Darlehens, mit dem die Erschließung finanziert werde, und für die laufenden Betriebsausgaben verwendet worden. Gesellschafteranteile oder Gehälter seien nicht ausgezahlt worden. Weitere Belege legte er nicht vor.

Mit als "Änderungsbescheid" bezeichnetem Bescheid vom 27. Januar 2011 nahm der Beklagte eine endgültige Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum von Mai bis Oktober 2010 vor. Er bewilligte SGB II-Leistungen in Höhe von 286,52 EUR für Mai, 193,87 EUR für Juni, 494,52 EUR für Juli sowie monatlich 262,52 EUR für August bis Oktober 2010. Nach den abschließenden Angaben sei das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit endgültig berechnet worden. Der Kläger habe als Handelsvertreter einen Gewinn erzielt, der als Einkommen anzurechnen sei. Es ergebe sich eine Überzahlung von 138,01 EUR im Juli 2010 und 168,01 EUR in den übrigen Monaten des Bewilligungszeitraumes. Mit Bescheid über die "Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruches" forderte der Beklagte den Kläger gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) zur Rückzahlung eines Gesamtbetrages von 978,06 EUR auf. Bei der endgültigen Entscheidung habe sich ein geringerer Leistungsanspruch ergeben.

Am 8. Februar 2011 legte der anwaltlich vertretene Kläger Widerspruch gegen den Änderungs- und den Erstattungsbescheid ein. Zur Begründung gab er an, das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit sei falsch berechnet. Es sei eine jährliche Berechnung des Einkommens angezeigt. Da der Kläger erst im März 2010 die selbstständige Tätigkeit aufgenommen habe, sei der Zeitraum von März bis Dezember 2010 zugrunde zu legen. In diesem Zeitraum habe er einen Gewinn von insgesamt 42,43 EUR erzielt, der zu einem monatlichen Anrechnungsbetrag von 4,24 EUR führe. Dem Widerspruchsschreiben beigefügt waren die BWA für die Monate März bis Dezember 2010.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2012 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück: Die Voraussetzungen für eine jährliche Berechnung des Einkommens gemäß § 3 Abs. 5 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) lägen nicht vor, weil der Kläger keine stark schwankenden Einnahmen, ähnlich Saisonbetrieben, habe. Vorliegend sei allein das Einkommen aus dem Versicherungsbereich zu berücksichtigen. Eine Gesamtbetrachtung der drei Tätigkeitsbereiche sei nicht vorzunehmen. Es handele sich um selbstständige Gewerbe, deren Gewinne und Verluste nicht zu saldieren seien. Einem Leistungsbezieher sei zuzumuten, unwirtschaftliche Tätigkeiten aufzugeben. Ein Verlustausgleich finde nicht statt. Die Verluste in den der Bereiche Haushaltsservice und Vertrieb seien leistungsrechtlich unbeachtlich. Von den Betriebseinnahmen im Versicherungsbereich von insgesamt 2.796,59 EUR seien Betriebsausgaben von 1.161,55 EUR abzugsfähig, die sich aus Raumkosten von 540,00 EUR, Beiträgen von 36,00 EUR, Telefonaufwendungen von 169,58 EUR, Büromaterial von 111,82 EUR sowie Fahrzeugkosten von 304,15 EUR zusammensetzten. Es verbleibe ein Gewinn von 1.635,04 EUR. Der Monatsbetrag von 272,51 EUR sei um Freibeträge von insgesamt 134,50 EUR (Grundfreibetrag: 100 EUR, weiterer Freibetrag: 34,50 EUR) zu bereinigen, sodass ein Einkommen von 138,01 EUR anzurechnen sei. Unter Anrechnung des Unterhalts ergäben sich die endgültig bewilligten Leistungen.

Am 6. Februar 2012 hat der Kläger beim Sozialgericht Dessau (SG) Klage gegen den Änderungsbescheid und den Erstattungsbescheid vom 27. Januar 2011 erhoben. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.

In der mündlichen Verhandlung des SG hat der Kläger erklärt, seine streitige Betätigung sei eine einheitliche, zusammenhängende selbstständige Tätigkeit. Die wesentlichen Kosten fielen letztlich nur einmal an, würden aber vom Beklagten rechnerisch auf die Tätigkeitsbereiche verteilt. Wenn eine Saldierung unzulässig sei, müssten die gesamten betrieblichen Aufwendungen von den Einnahmen aus der Versicherungsvertretertätigkeit abgezogen werden. Jedenfalls in der Anfangszeit sei der Kundenstamm der Gewerbebereiche im Wesentlichen deckungsgleich gewesen. An die zumeist älteren Bestandskunden der Versicherung habe er auch die Drogerie-Produkte verkauft und Haushaltshilfen vermittelt.

Mit Urteil vom 5. April 2013 hat das SG den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2012 geändert und die dem Kläger zustehenden SGB II-Leistungen auf 424,53 EUR im Mai 2010, 331,88 EUR im Juni 2010, 632,53 EUR im Juli 2010 sowie monatlich 400,53 EUR für die Monate August bis Oktober 2010 festgesetzt. Weiter hat es den Erstattungsbescheid geändert und den Erstattungsbetrag auf insgesamt 150,00 EUR reduziert. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf den Bedarf des Klägers von 632,53 EUR sei das Unterhaltseinkommen anzurechnen. Zudem sei ein Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit nach Korrektur eines Übertragungsfehler aus den BWA und nach Saldierung von insgesamt 584,58 EUR im Sechsmonatszeitraum zu berücksichtigen. Die erwirtschafteten Verluste seien nicht unbeachtlich. Denn nach dem Wortlaut von § 5 ALG II-V sei der Ausgabenabzug bis zur Höhe der Einnahmen aus derselben Einkunftsart möglich. Danach sei ein Verlustausgleich nur dann unzulässig, wenn es sich um eine andere Einkommensart handele. Da der Kläger ausschließlich Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erziele, unterfalle sein Fall nicht der Regelung des § 5 ALG II-V. Eine andere Sicht sei auch nicht geboten, weil der Kläger durch seinen Steuerberater seine Einkünfte nach Geschäftsbereichen differenziere. Zudem sei zu beachten, dass die Fixkosten, wie Miete, Telefon- und Kfz-Kosten, in allen Tätigkeitsbereichen anfielen, aber insgesamt nur einmal zu berücksichtigen seien. Dieser Sichtweise stünden die fachlichen Hinweise der BA zu § 11 SGB II, die für das Gericht nicht bindend seien, nicht entgegen. Danach sei eine Saldierung nur bei nicht artverwandten Tätigkeiten unzulässig. Hier habe der Kläger nachvollziehbar dargelegt, dass sich alle Bereiche seiner Tätigkeit an denselben Kundenkreis richteten und die Tätigkeiten miteinander verknüpft seien. Der Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit von monatlich 97,44 EUR werde vollständig durch den Grundfreibetrag von 100,00 EUR aufgezehrt, sodass es allein bei der Anrechnung des Unterhalts bleibe.

Gegen das ihm am 11. April 2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 8. Mai 2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es sei nicht von einer einheitlichen selbstständigen Tätigkeit auszugehen. Die Saldierung von Gewinnen und Ver-lusten zwischen den Gewerben führe zu einem höheren SGB II-Leistungsanspruch, was mit den Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzips und des Förderns und Forderns nach § 2 SGB II nicht vereinbar sei. Das BSG habe schon 1992 (Urteil vom 12. Juni 1992, Az.: 11 RAr 75/91) für das Sozialhilferecht klargestellt, dass Leistungsempfänger nicht auf Kosten der Allgemeinheit verlustreichen Tätigkeiten nachgehen dürften. Der Nachranggrundsatz sei nur dann gewahrt, wenn der Leistungsempfänger verpflichtet sei, die ihm zur Verfügung stehenden Einnahmen vorrangig zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zu verwenden. Daher dürften Gewinne aus einer selbstständigen Tätigkeit nicht dazu verwendet werden, Verluste aus einer anderen selbstständigen Tätigkeit auszugleichen. Der Beklagte hat auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26. Februar 2014 (Az.: L 18 AS 2232/11, juris) hingewiesen, nach dem im SGB II keine "Gesamtveranlagung" von Einnahmen und Ausgaben aus mehreren, nebeneinander betriebenen selbstständigen Tätigkeiten erfolgen könne.

Dem ist der Kläger entgegengetreten: Vorliegend seien die Einnahmen und Verluste der einzelnen Tätigkeitsfelder deshalb zusammenzurechnen, weil es sich um miteinander verknüpfte, artverwandte Gewerbe handele, die im Ergebnis als einheitliche selbstständige Tätigkeit auszusehen seien. In seinem Fall würde die Einstellung eines Geschäftszweigs nicht zu einer Reduzierung der Fixkosten (wie z.B. der Miete) führen; vielmehr müssten diese dann auf die verbleibenden Bereiche aufgeteilt werden und verminderten die Gewinne. Auf Nachfrage hat er unter dem 19. Oktober 2015 ergänzt, er habe die drei Geschäftsbereiche mit einem nahezu identischen Kundenstamm parallel nebeneinander betrieben. Den Büroraum benötige er für die administrativen Tätigkeiten. Auch die Telefonkosten könne er nicht exakt den einzelnen Gewerben zuordnen. Er nutze Handy, Festnetzanschluss und Kfz für Kundenbesuche gleichermaßen in den Geschäftsbereichen.

Im Erörterungstermin hat der Kläger erklärt, er habe zunächst nebenberuflich bei der Generalvertretung der S. die Betreuung eines Teils der Bestandskunden übernommen. Für die überwiegend älteren Menschen habe er die bestehenden Versicherungsverträge den aktuellen Bedürfnissen angepasst und auch neue Verträge geschlossen. Dazu habe er Hausbesuche gemacht. Bei diesen Gelegenheiten habe er den Bestandskunden der Versicherung auch die Nahrungsergänzungs- und Amway-Produkte verkauft. Als er erkannt habe, dass bei den Kunden ein Bedarf an Hilfe im Haushalt, Garten oder für Fahrten bestand, habe er als weiteren Gewerbezweig den Haushalthilfe-Service angemeldet. Alle Gewerbebereiche seien reine Außendiensttätigkeiten. Das Büro, das er aufgrund der Tätigkeit für die andere Firma (H.) bereits gehabt habe, nutze er mit der vorhandenen Infrastruktur nur für Verwaltungs- und Buchhaltungsarbeiten. Die gesonderten Gewerbeanmeldungen seien erfolgt, weil sich die Tätigkeitsfelder erst nacheinander entwickelt hätten. Die Kosten für Kfz, Telefon, Handy und Büroraum fielen für alle Tätigkeitsbereiche gleichermaßen an. Er müsse sie nur auf Veranlassung des Beklagten auseinander rechnen. Für ihn handele es sich insgesamt um einen Gewerbebetrieb. Aus Gelegenheit der für den Versicherungsbereich vereinbarten Besuche erziele er Geschäftsabschlüsse auch in den Bereichen Nahrungsergänzungsmittel, Amway und Haushaltsservice.

Der Vertreter des Beklagten hat ausgeführt, es bestehe kein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den gewerblichen Tätigkeiten des Klägers. Die Nutzung des Kundenstamms der Versicherung sei als verbindendes Element nicht ausreichend.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 5. April 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er führt aus, die Gewinne und Verluste der Tätigkeitsfelder seien zu saldieren, weil es sich um verknüpfte artverwandte Betätigungen handele, die sich im Ergebnis als einheitliche selbstständige Gewerbetätigkeit darstellten.

Am 15. November 2016 hat die Berichterstatterin um Vorlage des mit der Versicherung geschlossenen Vertrags bzw. deren Genehmigung zur Nutzung der Kundendaten zum Vertrieb anderer Dienstleistungen und Waren gebeten und darauf hingewiesen, dass abschließende EKS für die Tätigkeiten des Klägers in den Firmen H. L. und Eigenheim H. GmbH nicht vorlägen. Da 2010 Grundstücke verkauft worden, seien die Betriebsergebnisse relevant. Der Kläger hat dazu keine weiteren Unterlagen vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Der maßgebliche Berufungswert von 750,01 EUR ist erreicht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), denn der Wert der vom Urteil für den Beklagten ausgehenden Beschwer beträgt 828,06 EUR (ursprüngliche Erstattungsforderung 978,06 EUR, verbleibende Erstattungsforderung nach Urteil 150,00 EUR).

Streitgegenständlich ist das Urteil des SG, mit dem auf die Anfechtungsklage des Klägers der "Änderungsbescheid" und der Erstattungsbescheid vom 27. Januar 2011 abgeändert – und hinsichtlich der vom Beklagten verfügten Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit teilweise aufgehoben – worden sind. Maßgeblich geht es im Berufungsverfahren darum, ob das SG oder der Beklagte das Einkommen des Klägers aus Gewerbebetrieb zutreffend bewertet hat. Ein über die Entscheidung des SG hinausgehender Leistungsanspruch des Klägers – verbunden mit einer geringeren Erstattungsforderung – ist nicht mehr Gegenstand des Verfahrens, denn der Kläger ist gegen das Urteil des SG nicht vorgegangen. Daher ist die monatliche Leistungshöhe Im Rahmen der Differenz zwischen den vom Beklagten mit Bescheid vom 27. Januar 2011 festgesetzten Leistungsanspruch und dem vom SG zuerkannten Betrag und der sich daraus ergebende Erstattungsanspruch streitgegenständlich.

Die Berufung des Beklagten ist überwiegend begründet, denn das SG hat den monatlichen Leistungsanspruch des Klägers zu hoch festgesetzt und dementsprechend den Erstattungsbetrag zu weitgehend reduziert.

Mit der endgültigen Festsetzung des Leistungsanspruchs haben sich die Bescheide des Beklagten vom 23. April 2010 und 18. November 2010 erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X; vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2016, Az.: B 4 AS 54/15, juris RN 14; BSG, Urteil vom 17. Februar 2016, Az.: B 4 AS 17/15 R, juris RN 13; BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, Az.: B 4 AS 139/10 R, juris RN 13). Die vorläufige Festsetzung der Leistungshöhe ist daher nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Dies gilt sowohl für die Bewilligung mit dem Bescheid vom 23. April 2010 als auch für den dazu erlassenen sog. Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 18. November 2010, mit dem der Beklagte wegen des Unterhaltseinkommens die vorläufige Bewilligung teilweise zurückgenommen und vom Kläger eine Rückzahlung gefordert hatte. Es kann offen bleiben, ob der Bescheid vom 18. November 2010 aus Rechtsgründen geeignet war, den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 23. April 2010 abzuändern. Grundsätzlich schließen sich eine vorläufige Leistungsbewilligung und ein dazu ergehender, auf § 45 SGB X gestützter Rücknahmebescheid, der bereits seinem Wortlaut nach endgültige Leistungsbewilligungen betrifft, aus (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015, Az.: B 14 As 31/14 R, juris RN 25; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Dezember 2015, Az.: L 2 AS 733/13, juris RN 30). Vorliegend ist jedoch diese vom Beklagten zuletzt getroffene Regelung zur vorläufigen Leistungsbewilligung bestandskräftig geworden und daher als Grundlage für die Berechnung der Erstattungsforderung heranzuziehen. Denn die so geänderte vorläufige Leistungsbewilligung ist bestandskräftig und für die Beteiligten verbindlich. Der Beklagte hat sie auch der endgültigen Festsetzung und dem Erstattungsbescheid vom 27. Januar 2011 als Bezugsregelung zugrunde gelegt. Ein Rechtsnachteil für den Kläger ist damit auch nicht verbunden.

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist § 19 SGB II in Verbindung mit § 7 SGB II in der ab dem 1. Januar 2008 gültigen Fassung. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Alg II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU), wenn sie die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Der Kläger ist leistungsberechtigt, denn er ist im passenden Alter, erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Mangels ausreichenden Einkommens und Vermögens ist er streitigen Zeitraum auch hilfebedürftig im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II gewesen. Ein Ausschlusstatbestand liegt nicht vor. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind ihm in Höhe seiner Bedarfe nach § 19 Abs. 1 und 2 SGB II zu erbringen, soweit sie nicht durch sein zu berücksichtigendes Einkommen gedeckt sind (§ 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II).

Der Gesamtbedarf des Klägers hat in den streitigen Monaten jeweils 632,53 EUR betragen. Er setzt sich zusammen aus berücksichtigungsfähigen KdU in Höhe von 273,53 EUR (Warmmiete von 280,00 EUR abzüglich des im Regelsatz enthaltenen Anteils für die Kosten der Warmwasserbereitung von 6,47 EUR) und der für ihn maßgeblichen Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 SGB II in Höhe von 359,00 EUR. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil des SG verwiesen.

Auf den Bedarf ist das Einkommen des Klägers anzurechnen. Als Einkommen sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II und bestimmter weiterer, hier nicht einschlägiger Leistungen zu berücksichtigen. Es finden zunächst die monatlichen Unterhaltsleistungen der Ehefrau im streitigen Zeitraum Anrechnung. Es handelt sich um Beträge von 208,00 EUR im Mai, 300,65 EUR im Juni sowie monatlich 232,00 EUR in den Monaten August bis Oktober 2010. Weiter ist das Erwerbseinkommen zu berücksichtigen. Vorliegend geht es um die von dem Kläger aus seiner selbstständigen Tätigkeit erwirtschafteten Einnahmen.

Die Einkommensberechnung des § 11 SGB II richtet sich bei Gewerbetrieben nach den Regelungen der auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB II ergangenen Alg II-V (in der Fassung der ersten Verordnung zur Änderung der Alg II-V vom 18. Dezember 2008, BGBl I 2780). Danach ist bei der Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft von den Betriebseinnahmen auszugehen. Betriebseinnahmen sind alle aus selbstständiger Arbeit, Gewerbetrieb oder Land- und Forstwirtschaft erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) tatsächlich zufließen (§ 3 Abs. 1 Satz 1, 2 Alg II-V). Zur Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs. 2 SGB II abzusetzenden Beträge abzuziehen ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V). Von dem danach verbleibenden Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit sind die in § 11 Abs. 2 SGB II vorgesehenen Abzugsbeträge abzusetzen, mindestens aber der Grundfreibetrag von 100 EUR monatlich gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II.

Entgegen der Auffassung des Klägers und des SG im angegriffenen Urteil lässt jedoch das SGB II bei der Berechnung des Einkommens aus mehreren Gewerbebetrieben keinen horizontalen Verlustausgleich zu (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2016, Az.: B 4 AS 17/15 R, juris, Leitsatz). Der Senat folgt dieser Rechtsauffassung, nach der § 3 Alg II-V nur den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben, die der Einkommensberechnung zugrunde zu legen sind, innerhalb eines gegenüber dem Monatsprinzip des § 11 SGB II längeren Zeitraums (regelmäßig des Bewilligungszeitraums) erlaubt, nicht aber den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben mehrerer Tätigkeiten, d.h. nicht den Ausgleich innerhalb einer Einkommensart (horizontaler Verlustausgleich). Dies folgt aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem systematischen Zusammenhang, in dem die Regelung des § 3 Alg-V steht, im Verbund mit dem Sinn und Zweck der Regelungen der § 5 Alg II-V und § 11 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2016, a.a.O., RN 21ff.). Zwar lässt sich der Regelung des § 3 Alg II-V direkt nichts für den sog. horizontalen Verlustausgleich, d.h. eine Saldierung und Verlusten innerhalb einer Einkommensart, z.B. aus mehreren Gewerbebetrieben, entnehmen, denn es wird allein die Unzulässigkeit des Verlustausgleichs zwischen unterschiedlichen Einkommensarten geregelt (RN 22). Jedoch kann aus dem fehlenden ausdrücklichen Verbot des horizontalen Verlustausgleichs im SGB II und in der Alg II-V nicht im Wege des Umkehrschlusses aus § 5 Alg II-V (eingefügt zum 1. Januar 2008) auf dessen Zulässigkeit geschlossen werden (RN 29). Verordnungshistorie und systematische Gründe (RN 24 ff.) sprechen dagegen. Mit dem Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs wird dem Nachrangrundsatz Rechnung getragen. Einkommen ist vorrangig zur Bedarfsdeckung zu verwenden; eine Subventionierung unwirtschaftlicher Tätigkeiten ist damit nicht zu vereinbaren. Verlustbringende Tätigkeiten sind nach der Wertung des Gesetzes zu beenden. Grundsicherungsrechtlich erfolgt damit – anders als im Steuerrecht – keine Gesamtbetrachtung des Einkommens aus mehreren Betrieben eines selbständig tätigen Leistungsbeziehers. Führt ein SGB II-Leistungsberechtigter mehrerer Gewerbebetriebe (derselben Einkommensart) oder hat er Einkünfte aus verschiedenen Einkommensarten (z.B. Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung oder Land- und Forstwirtschaft) ist die zuvor dargestellte Berechnung der Einnahmen und Ausgaben für jede Form der selbstständigen Betätigung gesondert durchzuführen. Es hat eine sog. betriebsbezogene Einkommensermittlung nach § 3 Alg II-V zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2016, a.a.O., RN 33; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Losebl. Stand 6/14, § 11 RN 185f.). Immer dann, wenn es sich um mehrere selbstständige Unternehmen des Leistungsberechtigten handelt, sind daher gesonderte Einkommensfeststellungen erforderlich. Für jedes Gewerbe ist eine gesonderte Abrechnung zu erstellen.

Vorliegend ist – in Übereinstimmung mit der Auffassung des Beklagten – von mehreren gesonderten gewerblichen Betätigungen auszugehen, die der Kläger lediglich gleichzeitig und zum Teil unter Verwendung derselben Betriebsmittel (Pkw, Telefonanschluss) geführt hat. Insoweit geht offensichtlich auch das SG im angegriffenen Urteil (vgl. Seite 6) von mehreren Gewerben aus.

Unproblematisch ist diese Bewertung im Hinblick auf denkbare, vorliegenden von den Beteiligten in behördlichen und gerichtlichen Verfahren nicht weiter thematisierten, Betriebsergebnisse aus den Tätigkeiten als Geschäftsführer bzw. auch Gesellschafter der rechtlich selbständigen Firmen H. und der E. GmbH. Insoweit handelt es sich zwar um artverwandte Betätigungen im Baubereich, Grundstücksvermittlung und Eigenheimbau als Bauträger. Indes stellt jede der juristischen Personen einen eigenen Gewerbebetrieb dar. Dementsprechend ist auch für jede Firma eine gesonderte betriebsbezogene Einkommensermittlung durchzuführen. Insoweit ist es irrelevant, wenn Betriebsmittel (z.B. Büroräume und Büroeinrichtung) für beide Firmen genutzt werden. Denn dann ist eine entsprechende Aufteilung und buchhalterische Zuordnung vorzunehmen.

Nichts anderes gilt für die drei weiteren vom Kläger betriebenen Gewerbe, die zwar nicht als juristische Personen rechtlich verselbständigt sind, aber ebenfalls getrennt zu betrachten sind. Allein die Nutzung von Betriebsmitteln führt nicht zur einheitlichen Betrachtung der Betriebsergebnisse, zumal – entgegen den Angaben des Klägers – von einer gleichmäßigen Nutzung der Betriebsmittel durch die drei Unternehmenssparten nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann. Beispielsweise wird für die Betätigung im Versicherungsbereich keine eigener Büroraum benötigt, weil der Kläger nach seinem Unternehmenskonzept (vom 19. April 2010, vgl. Bl. 216ff. (217 RS) der Verwaltungsakte I des Beklagten) die Geschäftsräume der Generalagentur nutzen kann. Ebenso dürfte die Nutzungsintensität von Pkw und Telefon in den Geschäftsbereichen variieren, was letztlich lediglich ein (buchhalterisches) Erfassungsproblem ist, aber keine (zwangsläufigen) Auswirkungen auf die Bewertung der Verbundenheit der Geschäftstätigkeit hat. Die vom Kläger angeführte aufwändige Zuordnung der auf die einzelnen Tätigkeiten entfallenden betrieblich bedingten Aufwendungen ist ein allein praktisches Problem. Für eine gesonderte Betrachtung der gewerblichen Betätigungen spricht auch der Umstand, dass verschiedene Gewerbeanmeldungen erfolgten. Die Tätigkeit als Handelsvertreter für Versicherungen und die Tätigkeit im Groß- und Einzelhandel mit verschiedenen Produkten werden seit Mai 2010 als Haupterwerb ausgeführt; die Haushaltshilfe kam im Juni 2010 – mit einer gesonderten Gewerbeanmeldung – hinzu.

Bei der Beurteilung, ob die selbstständigen Betätigungen des Klägers in den drei Geschäftsfeldern Handelsvertreter für Versicherungen, Groß- und Einzelhandel und Vermittlung von Haushaltsdienstleistungen als ein zusammenhängendes Gewerbe anzusehen sind, kommt es darauf an, ob es um trennbare Tätigkeiten oder eine einheitliche Betätigung handelt. Auch wenn das Geschäft – nach dem Bekunden des Klägers – einheitlich betrieben wird, ist maßgeblich, ob die einzelnen Tätigkeiten miteinander verflochten sind – ggf. so, dass sie sich gegenseitig bedingen – oder ob verschiedene, nicht artverwandte Tätigkeiten lediglich nebeneinander ausgeübt werden an. Es macht einen Unterschied, ob jemand "Äpfel und Birnen" verkauft oder "Äpfel und Versicherungen". Insoweit kommt es auf die Umstände im Einzelfall an. In die Betrachtung einzubeziehen sind die gewerberechtliche Situation, die Branche, die nähere Ausgestaltung der jeweiligen Unternehmen sowie sonstige verbindende bzw. trennende Faktoren. Dabei ist das Vorhandensein von mehreren selbständigen Gewerbeanmeldungen oder von verschiedenen Betriebssitzen Indizien, die in der Gesamtschau zu gewichten ist. Vorliegend sprechen neben zwei Gewerbeanmeldungen die drei unterschiedlichen Betriebssitze (Versicherungen: C.; Groß- und Einzelhandel: J.; Haushaltsservice: D.) schon formal gegen die Annahme eines einheitlichen Gewerbes.

Auch inhaltlich sind nach Auffassung des Senats im Streitfall mehrere eigenständige Gewerbe gegeben. Der Kläger hat (neben den Geschäftsführer-/Gesellschaftertätigkeiten) drei verschiedenartige Tätigkeiten ausgeübt, nämlich die des Versicherungsvertreters, des Verkäufers von Reinigungs- und Nahrungsergänzungsprodukten und des Vermittlers von haushaltsnahen Dienstleistungen. Es handelt sich zwar in allen Bereichen im weitesten Sinne um einen "Vertrieb". Indes sind die vertriebenen Produkte Versicherungsverträge, Gegenstände und Dienstleistungen keine Waren im eigentlichen Sinne. Allein der Verkauf von Drogerie- und Nahrungsergänzungsartikeln etc. kann dem Handel zugeordnet werden. Die geschäftlichen Betätigungen sind drei verschiedenen Branchen zuzuordnen. Die Tätigkeiten sind nicht miteinander verflochten; sie stehen in keinem Abhängigkeitsverhältnis und bedingen sich nicht gegenseitig. Die Tätigkeiten sind lediglich nebeneinander ausgeübt worden. Verknüpfendes Element ist nach Angaben des Klägers der im Wesentlichen übereinstimmende potentielle Kundenkreis der Bestandskunden der Versicherung.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren trotz gerichtlicher Aufforderung seine Behauptung, die Versicherungsgesellschaft erlaube ihm die Nutzung ihrer Kundendaten zu anderen gewerblichen Zwecken, nicht durch Vorlage einer schriftlichen Genehmigung oder Bestätigung der Versicherung belegt. Daher kann schon nicht festgestellt werden, dass eine Verknüpfung der Betätigungen zu einem Gewerbe rechtlich zulässig ist. Dagegen sprechen datenschutzrechtliche Erwägungen und das mutmaßliche Interesse der Versicherung am (Verbraucher-)Schutz ihrer Kunden. Im Übrigen genügte allein das Merkmal des im Wesentlichen einheitlichen Kundenstamms, mit dem der Kläger jedoch ein Tätigwerden für andere Kunden nicht ausgeschlossen hat, nicht, um zu einer inhaltlichen Verknüpfung der gewerblichen Tätigkeiten zu gelangen, die über die Deckungsgleichheit der Zielgruppe der einzelnen Geschäftsbereiche – jedenfalls in der Anfangszeit der gewerblichen Betätigung – hinausgeht. Neben den Versicherungen hätte der Kläger anstelle des Verkaufs von Nahrungsergänzungs- und Reinigungsmitteln jede andere geeignete Ware (Strümpfe, Schmuck) vertreiben können. Eine inhaltliche Verbindung zum Versicherungsgeschäft ist nicht ersichtlich. Zudem war die gewerbliche Betätigung des Klägers nach seinem Konzept im Bereich Groß- und Einzelhandel nicht exklusiv auf die Bestandskunden der Versicherung beschränkt. Auch im Rahmen seiner Tätigkeit im Versicherungsbereich war er nicht auf die und die Betreuung der der ihm zugewiesenen Bestandskunden und deren laufenden Verträge beschränkt. Der Kläger konnte nach seinen Angaben daneben ohne Einschränkungen Abschlüsse auch mit Neukunden tätigen. Auch der Haushaltsservice wurde nicht exklusiv den Bestandskunden der Versicherung angeboten. Die ersten Aufträge für den Haushaltsservice kamen von der Firma H., deren Geschäftsführer der Kläger war (nach der dem Beklagten vorgelegten Kontoführung für 2010, Bl 364 Verwaltungsakte Band II).

Eine weitgehende Übereinstimmung der Kunden der drei Geschäftsbereiche dürfte somit überwiegend dem Umstand der Neugründung der Unternehmen – und der faktischen Möglichkeit des Zugriffs auf Kundendaten (der Versicherung) – geschuldet gewesen sein, ohne die gewerbliche Tätigkeit entscheidend zu prägen. Entsprechendes gilt für den Rückgriff auf dieselben Betriebsmittel.

Auch die vom Kläger übersandten BWA lassen nicht auf einen einheitlichen Gewerbebetrieb schließen. Denn die Einnahmen sind nach Gewerbezweigen gesondert ausgewiesen; auch die meisten Ausgaben können den einzelnen Geschäftszweigen zugeordnet werden (z.B. Einkäufe von Amway-Produkten bzw. Aufwendungen für die Druckkosten eines Flyer für den Haushaltsservice). Lediglich die Fixkosten für Betriebsmittel (Telefon, Büroraummiete, Kfz-Kosten sowie Büromaterial) sind jeweils als Gesamtposten aufgeführt und anschließend geteilt (gedrittelt) worden, was möglicherweise rechnerisch die einfachste Option war, aber nicht dem tatsächlichen Einsatz in den jeweiligen Bereichen entsprochen haben dürfte. Ersichtlich hat der Kläger auf Anforderung des Beklagten die Aufwendungen (irgendwie) auf die einzelnen Tätigkeitsfelder verteilt.

Aus der nach alledem gebotenen getrennten Berechnung der drei Gewerbe ergibt sich Folgendes: Im Handelsgewerbe erzielte der Kläger – unter Einbeziehung der handschriftlichen Korrektur in der BWA für Mai 2010 – im streitigen Zeitraum Einnahmen von insgesamt 1.028,38 EUR. Davon sind die – auch vom Beklagten in den angegriffenen Bescheiden akzeptierten – Betriebsausgaben von insgesamt 1.701,69 EUR abzuziehen. Danach verbleibt kein positives Betriebsergebnis. Es ist insoweit kein Gewinn als Einkommen auf den Bedarf anrechenbar.

Im Haushaltsservice hatte der Kläger Einnahmen von insgesamt 350,00 EUR und betriebsbedingte Ausgaben von 727,15 EUR. Das Betriebsergebnis war ebenfalls negativ, sodass keine Einkommensanrechnung erfolgen konnte.

Im Versicherungsbereich standen Betriebseinnahmen von 2.796,59 EUR betriebliche Ausgaben von 1.161,55 EUR gegenüber – wie sie auch vom Beklagten in den angegriffenen Bescheiden anerkannt wurden. Dies führt zu einem Überschuss von 1.635,04 EUR im sechsmonatigen Bewilligungszeitraum. Bei der Teilung des Gesamteinkommens durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum (§ 3 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V) ergibt sich ein monatlicher Einkommensbetrag von 272,52 EUR, der gemäß § 11 Abs. 2 SGB II zu bereinigen ist. Die Entrichtung von Steuern wurde nicht geltend gemacht (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGBII), sodass lediglich der Grundfreibetrag von 100,00 EUR (§ 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II) und der Zusatzfreibetrag von 34,50 EUR (20% des 100,00 EUR übersteigenden Einkommens nach § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II) abzuziehen sind. Es verbleibt ein anrechenbares Erwerbseinkommen von 138,01 EUR monatlich – wie es der Beklagte bei der endgültigen Leistungsfestsetzung berücksichtigt hat.

Da der Senat im Rahmen seiner Entscheidung nur zu Gunsten des Klägers von den Feststellungen des Beklagten im Rahmen der endgültigen Festsetzung der Leistungen und der Erstattungsforderung abweichen kann, also lediglich einen höheren Leistungsanspruch zuerkennen und die Erstattung reduzieren kann, weil im Übrigen die den Kläger begünstigenden Regelungen der angegriffenen Bescheide in Bestandskraft erwachsen sind, kommt es für die Entscheidung im Berufungsverfahren nicht darauf an, ob der Kläger im Rahmen seiner weiteren selbstständigen Tätigkeiten als Geschäftsführer der H. und Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der E. GmbH im streitigen Zeitraum Einkünfte erzielt hat, die als weiteres Einkommen gemäß § 11 SGB II bei der Berechnung seines Leistungsanspruchs zu berücksichtigen gewesen wären.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren zwar erklärt, aus den beiden Gesellschaften keine Einnahmen erzielt zu haben. Dafür hat er jedoch weder belastbare Belege vorgelegt noch substantiierte Angaben zu den Betriebsergebnissen bzw. den daraus erzielten Einnahmen gemacht. Soweit die H. nach den Angaben des Klägers 2010 sieben Grundstücke verkauft hat, ist es nicht fernliegend, dass Gewinne erzielt wurden, die ggf. an die Gesellschafter (der Kläger hält nach den vorliegenden Unterlagen 24,5% der Anteile) ausgezahlt wurden, und/oder die Geschäftsführertätigkeit des Klägers vergütet wurde. Entsprechendes gilt im Grunde auch für die E. GmbH, deren Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der Kläger ist. Der Beklagte ist bei seiner abschließenden Entscheidung über den Leistungsanspruch konkludent davon ausgegangen, dass dem Kläger aus den beiden Gesellschaften keine Einnahmen zugeflossen sind. Mangels Erheblichkeit für die Entscheidung im Berufungsverfahren konnte insoweit eine weitere Aufklärung unterbleiben.

Demnach ergibt sich nach Abzug des monatlichen Einkommensbetrags aus dem Versicherungsgewerbe sowie der jeweiligen Unterhaltszahlung für den Monat für Mai 2010 ein Leistungsanspruch in Höhe von 286,52 EUR, gemäß § 41 Abs. 2 SGB II gerundet: 287,00 EUR. Für die übrigen Monate des Bewilligungszeitraums ergeben sich folgende Leistungsansprüche (jeweils gerundet): 184,00 EUR im Juni 2010, 495,00 EUR im Juli 2010 sowie von monatlich 263,00 EUR in den Monaten August bis Oktober 2010.

Die dem Kläger vorläufig gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III bewilligten Leistungen mit den Bescheiden vom 23. April 2010 und 18. November 2010 gingen darüber hinaus, sodass der monatliche Differenzbetrag durch den Kläger gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II iVm § 328 Abs. 3 SGB III zu erstatten ist. Mithin ergibt sich für die Monate Mai und August bis Oktober 2010 ein Erstattungsbetrag von monatlich 157,53 EUR, für Juni 2010 von 167,88 EUR und für Juli 2010 von 137,53 EUR. Die Erstattungsforderung für den gesamten Zeitraum beläuft sich auf 975,53 EUR.

- Tabelle nicht darstellbar -

Die monatlichen Leistungsbeträge und die Erstattungsforderungen weichen geringfügig von den Festsetzungen des Beklagten in den angegriffenen Bescheiden (Erstattung dort: 978,06 EUR) ab, weil der Beklagte bei der endgültigen Leistungsfestsetzung fehlerhaft die monatlichen Zahlbeträge nicht gemäß § 41 Abs. 2 SGB II auf volle Euro gerundet hat. Das erstinstanzliche Urteil war nicht vollständig aufzuheben, weil es in Höhe der monatlichen Rundungsdifferenzen beim Erfolg der Klage für den Kläger bleibt. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten waren entsprechend zu ändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Eine Kostenquote war nicht zu bilden, da der Obsiegensanteil des Klägers in Ansehung der Erstattungsforderung gering ist.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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