Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 13 R 602/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 197/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 6. April 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Dem Beigeladenen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren über die Frage, ob die Klägerin wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen die Berechtigung verloren hat, gegen einen Beitragsbescheid Widerspruch einzulegen.
In der Zeit vom 7. November 2011 bis zum 5. Januar 2012 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) bei dem Betrieb "K. W. R. Fischmarkt und E.-Räucherei" in P. (einem am P. gelegenen Ortsteil von L.) durch. Prüfzeitraum war der 1. Januar 2008 bis zum 31. Mai 2011. Bei dem Betrieb handelte es sich um ein nicht eingetragenes Einzelunternehmen. Gegenstand des Unternehmens war der Betrieb eines Hofladens (Verkauf von Räucher- und Frischfisch, Marinaden, Fischbrötchen, kleines Imbissangebot, ohne alkoholische Getränke). Das Unternehmen bestand vom 18. Januar 2007 bis zum 31. Mai 2011. Mit Bescheid vom 25. Januar 2012 stellte die Beklagte eine sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung in Höhe von insgesamt 60.875,87 EUR fest. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 27. Februar 2012 Widerspruch ein. Während des Widerspruchsverfahrens wurde durch Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts H. vom 28. Juni 2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet (59 IN 177/12). Zum Insolvenzverwalter bestellte das Amtsgericht den Beigeladenen. Mit Schreiben vom 27. Juli 2012 an die Beklagte teilte der Beigeladene mit, dass er in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter das Widerspruchsverfahren nicht wieder aufnehmen bzw. weiterführen werde. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 mit, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliere der Schuldner das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über sein Vermögen an den Insolvenzverwalter. An seine Stelle trete der Insolvenz-verwalter in das Verfahren ein und bestimme, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe oder zurückgenommen werde. Im Hinblick auf die Mitteilung des Beigeladenen, der die vollständige und alleinige Entscheidungskompetenz im Widerspruchsverfahren besitze, sei das Widerspruchsverfahren damit erledigt. Die Klägerin vertrat dagegen die Auffassung, es stehe ihr völlig frei, das Widerspruchsverfahren auf eigene Verantwortung und Kosten fortzuführen.
Daraufhin entschied die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013: "Der Widerspruch wird als unzulässig abgewiesen." Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 80 der Insolvenzordnung (InsO) habe die Klägerin als Insolvenzschuldnerin die Verfügungsmacht über ihr Vermögen (hier über den gegen sie gerichteten Anspruch auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge) mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verloren. Ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibe die Klägerin als Insolvenzschuldnerin zwar rechtsfähig, geschäftsfähig, parteifähig und prozessfähig. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens werde jedoch der vom Amtsgericht bestellte Insolvenzverwalter, der Beigeladene des gerichtlichen Verfahrens, Partei kraft Amtes. Die Prozessführungsbefugnis der Insol-venzschuldnerin, der Klägerin, falle weg. Die Klägerin sei also nicht mehr befugt, das Widerspruchsverfahren weiterzuführen. An ihre Stelle sei der Beigeladene getreten. Dieser habe erklärt, er werde das Widerspruchsverfahren nicht wieder aufnehmen bzw. weiterführen. Er allein sei dazu befugt, Erklärungen im vorliegenden Widerspruchsverfahren abzugeben. Damit sei das Widerspruchsverfahren erledigt.
Dagegen hat die Klägerin am 19. Juli 2013 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und sich gegen den Bescheid vom 25. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2013 gewandt. In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts am 16. März 2016 hat sie erklärt, es gehe ihr hauptsächlich darum, keine Bestandskraft der Feststellung der Beitragsforderungen zuzulassen. Daher nehme sie die Anregung des Sozialgerichts an, lediglich die Aufhebung des Widerspruchsbescheides zu beantragen. Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 6. April 2016 hat das Sozialgericht den Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 aufgehoben und den Streitwert endgültig auf 60.875,87 EUR festgesetzt. Zur Begründung der Entscheidung in der Sache hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin sei durch den angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 beschwert. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen. Nach § 80 Abs. 1 InsO gehe durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Jedoch werde in der Vorschrift des § 85 InsO ausdrücklich die Aufnahme von Aktivprozessen gesondert geregelt. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO könnten Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen, die zurzeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängig seien, in der Lage, in der sie sich befänden, vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Nach § 85 Abs. 2 InsO könnten sowohl der Schuldner als auch der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen, wenn der Verwalter die Aufnahme des Rechtsstreits ablehne. Mit dem Schreiben vom 27. Juli 2012 habe der Insolvenzverwalter - der Beigeladene - im Sinne des § 85 InsO die Aufnahme des Widerspruchsverfahrens hinsichtlich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge abgelehnt. Dies habe zur Folge, dass die Klägerin als Schuldnerin gemäß § 85 Abs. 2 InsO den Rechtsstreit aufnehmen könne. Mit der Erklärung, dass sie sich gegen die Erledigung des Widerspruchsverfahrens wende und dementsprechend den Erlass eines Widerspruchsbescheides begehre, habe sie das Wider-spruchsverfahren aufgenommen. Somit sei die Klägerin parteifähig und im Widerspruchsverfahren auch prozessführungsberechtigt. Folglich sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen, den Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen. Entweder hätte die Beklagte entsprechend § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) das Widerspruchsverfahren als unterbrochen ansehen oder eine sachliche Entscheidung treffen müssen.
Gegen das ihr am 13. April 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Mai 2016 Berufung eingelegt. Sie meint, die Voraussetzungen des § 85 Abs. 2 InsO seien hier nicht erfüllt. Das Insolvenzverfahren sei nach Erhebung des gegen den Bescheid vom 25. Januar 2012 erhobenen Widerspruchs eröffnet worden. Damit sei zunächst gemäß § 240 ZPO eine Unterbrechung des Widerspruchsverfahrens eingetreten. Der Fortgang des Verfahrens und die Möglichkeit einer weiteren Beteiligung der Klägerin richteten sich somit nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften. Gemäß § 85 Abs. 1 InsO könnten die im Zeit-punkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängigen Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Lehne dieser die Aufnahme des Rechtsstreits ab, so könnten sowohl der Schuldner als auch der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen. Voraussetzung für die Aufnahmebefugnis im Sinne des § 85 InsO sei jedoch das Vorliegen eines Aktivprozesses. Ein solcher liege lediglich dann vor, wenn der Schuldner einen Anspruch verfolge, der zur Insolvenzmasse gehöre und im Falle seines Obsiegens die zur Verteilung anstehenden Masse vergrößern würde. Die formelle Parteirolle sei dabei nicht maßgeblich. Entscheidend sei allein, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über eine Pflicht zu einer Leistung gestritten werde, die in die Masse zu gelangen habe (Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 14. April 2015, IX ZR 221/04). Werde dagegen vom Gläubiger ein Recht zu Lasten der Insolvenzmasse beansprucht, so dass ein Unterliegen des Schuldners zu einer Verringerung der Masse führen würde, liege ein Passivprozess vor, der unter den Voraussetzungen des § 86 InsO aufgenommen werden könne. Im vorliegenden Streitfall seien durch die Beklagte Beitragsforderungen festgestellt worden, welche gemäß § 38 InsO Insolvenzforderungen seien, die vor dem Tag der Insolvenz entstanden seien. Die Erklärung des Beigeladenen mit Schreiben vom 27. Juli 2012 habe nicht zur Folge, dass die Prozessbefugnis damit wieder auf die Klägerin übergehe. Sie, die Beklagte, sei im Übrigen nicht Gläubigerin der Forderungen, sondern die jeweiligen Einzugsstellen (Krankenkassen). Eine Aufnahmebefugnis der Klägerin nach § 85 Abs. 2 InsO komme nicht in Betracht. Nach § 87 InsO könnten die an der Schuldenmasse streitbeteiligten Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vor-schriften über das Insolvenzverfahren, d.h. nach den §§ 174 ff. InsO, verfolgen. Im vorlie-genden Fall hätten die Einzugsstellen ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet. Im Prüfungstermin vor dem Amtsgericht könnten sowohl der Insolvenzverwalter als auch die Schuldnerin den nach § 174 Abs. 1 InsO angemeldeten Forderungen widersprechen. Eine Rechtsstreitigkeit hinsichtlich der Insolvenzforderungen sei nur in einem Passivprozess (§ 86 InsO) möglich. Hierbei handele es sich um zivilrechtliche Forderungen, für welche die ordentlichen Gerichte (Amts- oder Landgerichte) zuständig seien. Es verbleibe im Ergebnis bei der in § 80 InsO normierten Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass der Schuldner für die Dauer des Insolvenzverfahrens von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (hier über den gegen die Klägerin gerichteten Anspruch auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge) ausgeschlossen sei (Urteil des Bundesfi-nanzhofs - BFH - vom 7. März 2006, VII R 11/05). Hinsichtlich der festgestellten Beitragsnachforderungen bleibe ihr lediglich die Möglichkeit des Bestreitens innerhalb des Insolvenzverfahrens (§ 176 InsO) mit der Folge des § 184 InsO. Ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibe die Insolvenzschuldnerin zwar rechtsfähig, geschäftsfähig, parteifähig und prozessfähig. Nach herrschender Amtstheorie werde jedoch der Insolvenzverwalter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens in anhängigen Widerspruchs- bzw. Klageverfahren Partei kraft Amtes. Die Prozessführungsbefugnis der Insolvenzschuldnerin falle weg.
Durch das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 24. Oktober 2012 liege auch keine echte Freigabe des Streitgegenstandes durch diesen vor. Die echte Freigabe sei die Entlassung von Gegenständen der Insolvenzmasse aus dem Insolvenzbeschlag und sei in der InsO nicht geregelt. Sie werde lediglich als mögliche Handlung des Insolvenzverwalters am Rande erwähnt. Mit der Aufhebung des Insolvenzbeschlages erhalte der Insolvenzschuldner die freie Verfügungsbefugnis zurück. Eine echte Freigabe komme auch bei Forderungen in Betracht, wenn ihre Durchsetzung mit erheblichen Risiken verbunden sei. Allerdings könne der Insolvenzverwalter genauso wenig einen Passivprozess (§ 87 InsO) wie eine Verbindlichkeit freigeben. Insofern sei die Erklärung des Insolvenzverwalters unwirksam, wenn sie unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten offensichtlich dem Zweck des Insolvenzverfahrens, der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, zuwider laufe. Forderungen von Insolvenzgläubigern könnten gemäß § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden. Diese Regelung betreffe nur Passivprozesse. Dafür spreche auch, dass bei Anwendung des § 85 InsO die Ablehnung der Weiterführung des Widerspruchsverfahrens durch den Insolvenzverwalter als Freigabe des streitbefangenen Gegenstandes aus der Insolvenzmasse gelten und somit insolvenzfreies Vermögen des Insolvenzschuldners werden würde.
In der Erklärung des Insolvenzverwalter vom 24. Oktober 2012 könne auch keine allgemeine Ermächtigung zur Weiterführung des Widerspruchsverfahrens durch Erteilung einer Vollmacht gemäß § 164 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bzw. durch Verfügung eines Nicht-Berechtigten mit Einwilligung des Berechtigten gemäß § 185 BGB gesehen werden. Eine solche Ermächtigung sei unzulässig, wenn - wie vorliegend - der Insolvenzverwalter anstelle der Freigabe des Streitgegenstandes den Insolvenzschuldner zur Weiterführung des Verfahrens ermächtige, um das Kostenrisiko zu ersparen.
Im Übrigen habe das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 28. Mai 2015 (B 12 R 16/13 R) betont, dass das Verfahren zur Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen im Falle einer Betriebsprüfung zweigeteilt sei. Der Leistungs- bzw. Zahlungsbescheid des Rentenversicherungsträgers habe die Funktion eines Grundlagenbescheides. Ob ein solcher Bescheid vollstreckt werden dürfe oder die zwangsweise Durchsetzung der Beitragsforderung wegen eines insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbots ausscheide, sei erst auf einer späteren Ebene von den Krankenkassen als Einzugsstellen beim Einzug der Beiträge zu prüfen. Diese Auffassung habe das BSG in seinen aktuellen Urteilen vom 15. September 2016 (B 12 R 2/15 R, B 12 R 3/15 R und B 12 R 4/15 R) bestätigt. Vor diesem Hintergrund sei es sinn- und zweckwidrig, würde man das Verfahren der Insolvenzschuldnerin bei der sozialgerichtlichen Gerichtsbarkeit und das Insolvenzverfahren parallel führen. Die Beitragsnachforderungen könnten lediglich im Insolvenzverfahren durch die Einzugsstellen angemel-det und festgestellt werden.
Wenn die Beitragsforderungen im Insolvenzverfahren nach § 178 Abs. 3 InsO zur Insolvenztabelle festgestellt werden, wirke diese Feststellung wie ein Urteil, und zwar auch gegenüber der Insolvenzschuldnerin, hier der Klägerin. Die Insolvenzschuldnerin könne daher im Widerspruchsverfahren nichts Anderes bzw. Gegenteiliges erreichen. Das Insolvenzrecht gelte vorrangig gegenüber dem Sozialrecht. Erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens gehe die Vermögensmacht wieder vom Insolvenzverwalter auf die Insolvenzschuldnerin über. Bei einem zu diesem Zeitpunkt noch offenen Widerspruchsverfahren wäre die Insol-venzschuldnerin dann auch wieder als Widerspruchsführerin anzusehen. Im vorliegenden Widerspruchsverfahren habe der Insolvenzverwalter jedoch mit Schreiben vom 27. Juli 2012 erklärt, dass er das Widerspruchsverfahren nicht wieder aufnehmen bzw. weiterführen werde. Damit sei das Widerspruchsverfahren (in der Hauptsache) beendet.
Darüber hinaus sei der vom Sozialgericht festgelegte Streitwert in Höhe von 60.875,87 EUR nicht korrekt. Streitgegenstand sei der Widerspruch der Klägerin, der als unzulässig zurückgewiesen worden sei. Daher biete der Sach- und Streitgegenstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so dass der Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG) anzunehmen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 6. April 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 rechtswidrig sei. Sie, die Klägerin, sei im damals laufenden Widerspruchsverfahren trotz zwischenzeitlicher Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen weiterhin beteiligungsfähig sowie widerspruchsbefugt gewesen. Denn allein sie könne im laufenden Rechtsstreit geltend machen, durch den Bescheid vom 25. Januar 2012 in ihren Rechten verletzt zu sein. Wenn man mit der Beklagten annehme, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen habe das laufende sozialrechtliche Widerspruchs-verfahren gemäß § 240 ZPO unterbrochen, dann sei das Verfahren durch ihre Schreiben im Widerspruchsverfahren jedenfalls wieder aufgenommen worden. Sie habe auch die erforder-liche Aufnahmebefugnis gehabt. Insoweit komme es nicht streitentscheidend darauf an, ob es sich bei dem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren - wie das Sozialgericht annehme - um einen Aktivprozess oder - wovon die Beklagte ausgehe - um einen Passivprozess handele. Denn sowohl nach § 85 Abs. 2 InsO (im Falle der Annahme eines Aktivprozesses) als auch nach ausdrücklicher Freigabe des Streitgegenstandes durch den Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 24. Oktober 2012 zu ihren Gunsten (im Falle der Annahme eines Passivprozesses) sei sie zur Aufnahme des Widerspruchsverfahrens befugt gewesen. Richtig sei, dass sich die Rechtsfolge für Passivprozesse nicht aus einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung (vergleichbar mit § 85 Abs. 2 InsO für Aktivprozesse) ergebe. Jedoch werde dies von der Rechtsprechung ohne weiteres anerkannt. Wäre die Beklagte konsequent von einer Unterbrechung des Widerspruchsverfahrens infolge der Insolvenzeröffnung ausgegangen und hätte ihre Aufnahmebefugnis wie nun im Zuge ihrer Berufungsbegründung verneint, dann hätte schlicht keine Bescheidung ihres Widerspruchs erfolgen dürfen. Schließlich sei auf § 87 InsO zu verweisen, ausweislich dessen die Insolvenzgläubiger ihre jeweiligen Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen könnten. Für das hier vorliegende Widerspruchsverfahren bedeute dies, dass es nach Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen nicht mehr zur Festsetzung von Insolvenzforderungen durch den Erlass von Verwaltungsakten kommen könne. Die Beklagte sei daher auch aus diesem Grunde nicht mehr zum Erlass eines den ursprünglichen Bescheid vom 25. Januar 2012 bestätigenden Widerspruchsbescheides berechtigt gewesen.
Nach ihrem Verständnis sei das Widerspruchsverfahren ohnehin nicht nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 240 ZPO unterbrochen und auch die Widerspruchsbefugnis gerade nicht auf den bestellten Insolvenzverwalter übergegangen. Es könnten nur solche rechtshängigen Erkenntnisverfahren unterbrochen werden, die in aktiver oder passiver Richtung die Insolvenzsollmasse beträfen. Für ein (bloßes) Verwaltungs- bzw. Vorverfahren, wie das hier streitgegenständliche Widerspruchsverfahren, gelte § 240 ZPO weder direkt noch über § 202 SGG entsprechend. Überdies sei die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) durch den Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nicht betroffen. Auch deshalb seien die § 85 ff. InsO vorliegend nicht streitentscheidend. Zu verweisen sei auf die Erklärung des beigeladenen Insolvenzverwalters mit Schreiben vom 24. Oktober 2012, mit der er mitgeteilt habe, dass es ihr, der Klägerin, offen stehe, das Widerspruchsverfahren gegen die Beklagte auf eigene Verantwortung und Kosten fortzuführen, was sie auch getan habe. In Konsequenz des Vorgesagten hätte es einer Sachentscheidung der Beklagten über ihren Widerspruch bedurft, die vorliegend allerdings nicht getroffen und ihrerseits weiterhin begehrt werde.
Es sei im Übrigen darauf hinzuweisen, dass sie, die Klägerin, gegen den ursprünglichen Beitragsnachforderungsbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2012 noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen Widerspruch erhoben habe. Hiernach habe sie im Prüftermin am 25. September 2012 gegen die vermeintlichen Beitragsnachforderungen, welche von verschiedenen Krankenkassen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung angemeldet worden seien, gemäß § 175 Abs. 2 InsO Widerspruch erhoben. Ihr, der Klägerin, bleibe allein die Möglichkeit, das "unterbrochene" Widerspruchsverfahren wieder aufzunehmen bzw. weiter zu verfolgen. Seitens des beigeladenen Insolvenzverwalters sei zudem eine Freigabe des Widerspruchsverfahrens erfolgt mit der Folge einer Aufnahmebe-fugnis für sie, die Klägerin. Die Annahme der Beklagten, der beigeladene Insolvenzverwalter sei mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens in dem anhängigen Widerspruchsverfahren Partei kraft Amtes geworden und somit sei ihre Prozessführungsbefugnis weggefallen, sei unzutreffend. Richtig sei vielmehr, dass es ihr als Insolvenzschuldnerin obliege, ihren Widerspruch zu verfolgen. Genau dies habe sie getan, in dem sie die Beklagte durch Schreiben vom 29. Oktober 2012 zur ordnungsgemäßen Fortführung des Widerspruchsverfahrens aufgefordert habe. Anerkannt sei ferner, dass der Rechtsstreit in dem Stadium und auf die Weise fortzu-setzen sei, wie ihn der Schuldner fortsetzen könne, und zwar mit dem in den jeweiligen Verfahrensordnungen vorgesehenen Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln. Da im vorliegenden Fall bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein noch nicht bestandskräftiger Bescheid der Beklagten ergangen sei, habe es zur Verfolgung des Widerspruchs lediglich der Wiederaufnahme des unterbrochenen Verwaltungsvorverfahrens durch sie, die Klägerin, bedurft. Es sei jedoch keine so genannte Neuklage, insbesondere nicht vor den ordentlichen Gerichten, erforderlich (§ 185 InsO).
Mit Beschluss vom 15. August 2016 hat der Senat die Beiladung bewirkt. Der Beigeladene hat ausgeführt, er halte an seinen bisherigen Erklärungen aus Sicht der Insolvenzmasse fest. Zudem teile er die Auffassung der Klägerin, dass diese zur Aufnahme des Rechtsstreits gemäß § 85 Abs. 2 InsO berechtigt gewesen sei. Von weiteren (kostenintensiven) Ermittlungs- und Prüfungsmaßnahmen im Hinblick auf den Streitgegenstand sehe er vorerst ab. Es sei derzeit eine lediglich äußerst geringe Insolvenzmasse vorhanden. De facto liege derzeit Masseunzulänglichkeit im Sinne von § 208 InsO vor, wenngleich diese noch nicht dem Insolvenzgericht angezeigt worden sei. Zwar sei die Abwicklung des Insolvenzverfahrens noch nicht abgeschlossen. Insbesondere sei ein gegen die Tochter der Klägerin geführter Anfechtungsrechtsstreit noch nicht abgeschlossen. Vorbehaltlich des offenen Ausganges dieser Anfechtungsthematik sei jedenfalls aus heutiger Sicht nicht damit zu rechnen, dass eine die Verfahrenskosten übersteigende Insolvenzmasse zur Verfügung stehe, sodass es jedenfalls aus heutiger Sicht nicht zu Quotenzahlungen an Tabellengläubiger gemäß § 175 InsO kommen werde. Die Forderungen der Sozialversicherungsträger - infolge der streitge-genständlichen Betriebsprüfung - stellten lediglich Tabellenforderungen nach § 38 InsO dar. Auf eine weitere Stellungnahme verzichte er. Er sehe nach wie vor keinen Bezug des Rechtsstreits zu der von ihm verwalteten Insolvenzmasse.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Klägerin vom 20. Februar 2017, Schriftsatz der Beklagten vom 23. Februar 2017, Schriftsatz des Beigeladenen vom 22. Februar 2017).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen. Diese Akten haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Beklagte hat ein Rechtsschutzbedürfnis für die auch ansonsten zulässige Berufung. Zwar hat die Klägerin im Klageverfahren zuletzt ausdrücklich nur den Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 angefochten. Das hat zur Folge, dass der Ausgangsbescheid vom 25. Januar 2012 bestandskräftig geworden ist, was aus Sicht der Beklagten begünstigend ist. Allerdings ist die Beklagte durch das stattgebende Urteil des Sozialgerichts in Bezug auf die Aufhebung des angefochtenen Widerspruchsbescheides beschwert, so dass das Rechtsschutzinteresse der Beklagten zu bejahen ist.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet, denn die auf die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides gerichtete Klage der Klägerin ist unzulässig. Deshalb hätte das Sozialgericht Halle die Klage abweisen müssen.
Die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheides ist grundsätzlich unzulässig. Das folgt aus der prozessualen Einheit des Verwaltungsverfahrens (Jaritz in: Roos/Wahrendorf, Kommentar zum SGG, 2014, § 95 Rn. 27). Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn ein berechtigtes Interesse an der isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides besteht. In Betracht kommt ein derartiges Rechtsschutzinteresse, wenn der Widerspruchsbescheid eine erstmalige oder zusätzliche selbstständige Beschwer enthält (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 95 Rn. 3 ff.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Klägerin war durch den Widerspruchsbescheid nicht erstmalig beschwert. Eine solche Konstellation ist bei - im Sozialrecht seltenen - Verwaltungsakten mit Drittwirkung denkbar. Entweder wird auf den Widerspruch eines durch den ursprünglichen Verwaltungsakt beschwerten Dritten der den Adressaten begünstige Verwaltungsakt zu dessen Ungunsten geändert (erstmalige Beschwer des Adressaten durch den Widerspruchsbescheid) oder auf den Widerspruch des Adressaten gegen den einen Dritten begünstigenden Verwaltungsakt wird dieser zu Ungunsten des Dritten geändert (erstmalige Beschwer des Dritten durch den Widerspruchsbescheid). Eine derartige Drittbeteiligung ist hier ersichtlich nicht gegeben. Schließlich enthält der Widerspruchsbescheid auch keine gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt zusätzliche selbstständige Beschwer. Eine solche käme z.B. in Betracht bei einer Verböserung des Ausgangsbescheides zuungunsten des Klägers (reformatio in peius). Vorliegend hat die Beklagte den Widerspruch aus formellen Gründen "als unzulässig abgewiesen", weil die Klägerin aus ihrer Sicht gemäß § 80 InsO als Insolvenzschuldnerin die Verfügungsmacht über ihr Vermögen (hier über den gegen sie gerichteten Anspruch auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge) mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verloren habe. Darin liegt keine Verböserung, weil die festgestellte Beitragsnachforderung durch den Widerspruchsbescheid nicht geändert wurde.
Selbst wenn der Senat dazu gekommen wäre, dass in der vorliegenden Konstellation eine isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides zulässig gewesen wäre, müsste das - auch für eine solche isolierte Anfechtung erforderliche - Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu: Leitherer a.a.O., § 95 Rn. 3e) verneint werden. Bei Ermessensentscheidungen kann der Kläger daran interessiert sein, einen neuen Widerspruchsbescheid mit angemessener Ermessensüberprüfung zu erhalten. Denn diese kann das Gericht wegen der nur einge-schränkten gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen nicht vornehmen. Vorlie-gend bestand aber überhaupt kein Bedürfnis dafür, nur den Widerspruchsbescheid anzufechten. Hätte die Klägerin den Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des angefochten, hätte das Sozialgericht vorrangig die Widerspruchsbefugnis und bejahen-denfalls die materielle Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides prüfen müssen. Für das Vorgehen der Klägerin bestand überhaupt kein Rechtsschutzbedürfnis, weil es nicht um Ermessens- oder Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte ging, sondern um einen gerichtlich grundsätzlich vollumfänglich überprüfbaren Beitragsbescheid.
Abgesehen von diesen Überlegungen wäre das Rechtsschutzinteresse der Klägerin auch daran gescheitert, dass die betroffenen Krankenkassen ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet hatten. Dadurch erlangten die Krankenkassen einen eigenen Titel, dessen Bestand vom Schicksal des hier angefochtenen Beitragsbescheides unabhängig ist. Denn gemäß § 178 Abs. 3 InsO wirkt die Eintragung in die Tabelle für die festgestellten Forderun-gen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Im Ergebnis konnte die Klägerin durch das Vorgehen gegen den Beitragsbescheid im sozialgerichtlichen Verfahren also keine für sie günstige Rechtsfolge mehr erreichen.
Zu einem anderen als dem gefundenen Ergebnis konnte der Senat auch aus prozessualen Gründen nicht kommen. Wenn hier tatsächlich eine formelle Beschwer durch den Widerspruchsbescheid vorgelegen hätte, weil die Klägerin möglicherweise doch widerspruchsbefugt gewesen wäre, hätte die Klägerin einen Antrag auf Erlass eines Teilurteils, gerichtet auf isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides, und Aussetzung des Klageverfahrens bis zur (verfahrensfehlerfreien) Nachholung des Vorverfahrens beantragen müssen (Jaritz, a.a.O., § 95 Rn. 40). Hätte das Sozialgericht dann antragsgemäß entschieden, hätte sich der Senat auf die Berufung gegen ein solches Teilurteil mit der Frage beschäftigen dürfen, ob die Klägerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch widerspruchsbefugt war oder nicht. Dies ist dem Senat jetzt - im Berufungsverfahren - allerdings verwehrt, weil das Sozialgericht ein Endurteil erlassen hat, welches die Klägerin nicht mehr angreifen kann, weil das Sozial-gericht antragsgemäß geurteilt hat. Dem Senat blieb daher nichts anderes übrig, als das Urteil des Sozialgerichts auf die Berufung der Beklagten hin aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Beigeladene hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt und sich damit auch nicht in ein Kostenrisiko begeben, sodass eine Erstattung seiner Kosten hier nicht geboten gewesen ist, § 162 Abs. 3 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
Die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Berufungsverfahren folgt aus § 52 Abs. 2 GKG. Denn im Berufungsverfahren war der Ausgangsbescheid mit einer Beitragsforderung in Höhe von 60.875,87 EUR von Anfang nicht mehr streitgegenständlich, sondern lediglich der Widerspruchsbescheid. Der Wert dieses Streitgegenstandes lässt sich nicht konkret beziffern und der Sach- und Streitgegenstand bietet insoweit für die Bestimmung des Streitwerts auch keine genügenden Anhaltspunkte, so dass der Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 EUR festzusetzen ist. Im Klageverfahren ist das Sozialgericht dagegen zu Recht von einem Streitwert in Höhe von 60.875,87 EUR ausgegangen. Denn ursprünglich war mit der Klage beim Sozialgericht auch der Ausgangsbescheid vom 25. Januar 2012 angefochten. Erst in der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts am 16. März 2016 hat die Klägerin auf Anregung des Sozialgerichts nur noch die Aufhebung des Widerspruchsbescheides beantragt. Für die Wertberechnung ist jedoch der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet
(§ 40 GKG).
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Dem Beigeladenen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren über die Frage, ob die Klägerin wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen die Berechtigung verloren hat, gegen einen Beitragsbescheid Widerspruch einzulegen.
In der Zeit vom 7. November 2011 bis zum 5. Januar 2012 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) bei dem Betrieb "K. W. R. Fischmarkt und E.-Räucherei" in P. (einem am P. gelegenen Ortsteil von L.) durch. Prüfzeitraum war der 1. Januar 2008 bis zum 31. Mai 2011. Bei dem Betrieb handelte es sich um ein nicht eingetragenes Einzelunternehmen. Gegenstand des Unternehmens war der Betrieb eines Hofladens (Verkauf von Räucher- und Frischfisch, Marinaden, Fischbrötchen, kleines Imbissangebot, ohne alkoholische Getränke). Das Unternehmen bestand vom 18. Januar 2007 bis zum 31. Mai 2011. Mit Bescheid vom 25. Januar 2012 stellte die Beklagte eine sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung in Höhe von insgesamt 60.875,87 EUR fest. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 27. Februar 2012 Widerspruch ein. Während des Widerspruchsverfahrens wurde durch Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts H. vom 28. Juni 2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet (59 IN 177/12). Zum Insolvenzverwalter bestellte das Amtsgericht den Beigeladenen. Mit Schreiben vom 27. Juli 2012 an die Beklagte teilte der Beigeladene mit, dass er in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter das Widerspruchsverfahren nicht wieder aufnehmen bzw. weiterführen werde. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 mit, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliere der Schuldner das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über sein Vermögen an den Insolvenzverwalter. An seine Stelle trete der Insolvenz-verwalter in das Verfahren ein und bestimme, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe oder zurückgenommen werde. Im Hinblick auf die Mitteilung des Beigeladenen, der die vollständige und alleinige Entscheidungskompetenz im Widerspruchsverfahren besitze, sei das Widerspruchsverfahren damit erledigt. Die Klägerin vertrat dagegen die Auffassung, es stehe ihr völlig frei, das Widerspruchsverfahren auf eigene Verantwortung und Kosten fortzuführen.
Daraufhin entschied die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013: "Der Widerspruch wird als unzulässig abgewiesen." Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 80 der Insolvenzordnung (InsO) habe die Klägerin als Insolvenzschuldnerin die Verfügungsmacht über ihr Vermögen (hier über den gegen sie gerichteten Anspruch auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge) mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verloren. Ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibe die Klägerin als Insolvenzschuldnerin zwar rechtsfähig, geschäftsfähig, parteifähig und prozessfähig. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens werde jedoch der vom Amtsgericht bestellte Insolvenzverwalter, der Beigeladene des gerichtlichen Verfahrens, Partei kraft Amtes. Die Prozessführungsbefugnis der Insol-venzschuldnerin, der Klägerin, falle weg. Die Klägerin sei also nicht mehr befugt, das Widerspruchsverfahren weiterzuführen. An ihre Stelle sei der Beigeladene getreten. Dieser habe erklärt, er werde das Widerspruchsverfahren nicht wieder aufnehmen bzw. weiterführen. Er allein sei dazu befugt, Erklärungen im vorliegenden Widerspruchsverfahren abzugeben. Damit sei das Widerspruchsverfahren erledigt.
Dagegen hat die Klägerin am 19. Juli 2013 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und sich gegen den Bescheid vom 25. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2013 gewandt. In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts am 16. März 2016 hat sie erklärt, es gehe ihr hauptsächlich darum, keine Bestandskraft der Feststellung der Beitragsforderungen zuzulassen. Daher nehme sie die Anregung des Sozialgerichts an, lediglich die Aufhebung des Widerspruchsbescheides zu beantragen. Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 6. April 2016 hat das Sozialgericht den Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 aufgehoben und den Streitwert endgültig auf 60.875,87 EUR festgesetzt. Zur Begründung der Entscheidung in der Sache hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin sei durch den angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 beschwert. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen. Nach § 80 Abs. 1 InsO gehe durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Jedoch werde in der Vorschrift des § 85 InsO ausdrücklich die Aufnahme von Aktivprozessen gesondert geregelt. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO könnten Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen, die zurzeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängig seien, in der Lage, in der sie sich befänden, vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Nach § 85 Abs. 2 InsO könnten sowohl der Schuldner als auch der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen, wenn der Verwalter die Aufnahme des Rechtsstreits ablehne. Mit dem Schreiben vom 27. Juli 2012 habe der Insolvenzverwalter - der Beigeladene - im Sinne des § 85 InsO die Aufnahme des Widerspruchsverfahrens hinsichtlich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge abgelehnt. Dies habe zur Folge, dass die Klägerin als Schuldnerin gemäß § 85 Abs. 2 InsO den Rechtsstreit aufnehmen könne. Mit der Erklärung, dass sie sich gegen die Erledigung des Widerspruchsverfahrens wende und dementsprechend den Erlass eines Widerspruchsbescheides begehre, habe sie das Wider-spruchsverfahren aufgenommen. Somit sei die Klägerin parteifähig und im Widerspruchsverfahren auch prozessführungsberechtigt. Folglich sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen, den Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen. Entweder hätte die Beklagte entsprechend § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) das Widerspruchsverfahren als unterbrochen ansehen oder eine sachliche Entscheidung treffen müssen.
Gegen das ihr am 13. April 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Mai 2016 Berufung eingelegt. Sie meint, die Voraussetzungen des § 85 Abs. 2 InsO seien hier nicht erfüllt. Das Insolvenzverfahren sei nach Erhebung des gegen den Bescheid vom 25. Januar 2012 erhobenen Widerspruchs eröffnet worden. Damit sei zunächst gemäß § 240 ZPO eine Unterbrechung des Widerspruchsverfahrens eingetreten. Der Fortgang des Verfahrens und die Möglichkeit einer weiteren Beteiligung der Klägerin richteten sich somit nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften. Gemäß § 85 Abs. 1 InsO könnten die im Zeit-punkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängigen Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Lehne dieser die Aufnahme des Rechtsstreits ab, so könnten sowohl der Schuldner als auch der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen. Voraussetzung für die Aufnahmebefugnis im Sinne des § 85 InsO sei jedoch das Vorliegen eines Aktivprozesses. Ein solcher liege lediglich dann vor, wenn der Schuldner einen Anspruch verfolge, der zur Insolvenzmasse gehöre und im Falle seines Obsiegens die zur Verteilung anstehenden Masse vergrößern würde. Die formelle Parteirolle sei dabei nicht maßgeblich. Entscheidend sei allein, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über eine Pflicht zu einer Leistung gestritten werde, die in die Masse zu gelangen habe (Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 14. April 2015, IX ZR 221/04). Werde dagegen vom Gläubiger ein Recht zu Lasten der Insolvenzmasse beansprucht, so dass ein Unterliegen des Schuldners zu einer Verringerung der Masse führen würde, liege ein Passivprozess vor, der unter den Voraussetzungen des § 86 InsO aufgenommen werden könne. Im vorliegenden Streitfall seien durch die Beklagte Beitragsforderungen festgestellt worden, welche gemäß § 38 InsO Insolvenzforderungen seien, die vor dem Tag der Insolvenz entstanden seien. Die Erklärung des Beigeladenen mit Schreiben vom 27. Juli 2012 habe nicht zur Folge, dass die Prozessbefugnis damit wieder auf die Klägerin übergehe. Sie, die Beklagte, sei im Übrigen nicht Gläubigerin der Forderungen, sondern die jeweiligen Einzugsstellen (Krankenkassen). Eine Aufnahmebefugnis der Klägerin nach § 85 Abs. 2 InsO komme nicht in Betracht. Nach § 87 InsO könnten die an der Schuldenmasse streitbeteiligten Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vor-schriften über das Insolvenzverfahren, d.h. nach den §§ 174 ff. InsO, verfolgen. Im vorlie-genden Fall hätten die Einzugsstellen ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet. Im Prüfungstermin vor dem Amtsgericht könnten sowohl der Insolvenzverwalter als auch die Schuldnerin den nach § 174 Abs. 1 InsO angemeldeten Forderungen widersprechen. Eine Rechtsstreitigkeit hinsichtlich der Insolvenzforderungen sei nur in einem Passivprozess (§ 86 InsO) möglich. Hierbei handele es sich um zivilrechtliche Forderungen, für welche die ordentlichen Gerichte (Amts- oder Landgerichte) zuständig seien. Es verbleibe im Ergebnis bei der in § 80 InsO normierten Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass der Schuldner für die Dauer des Insolvenzverfahrens von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (hier über den gegen die Klägerin gerichteten Anspruch auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge) ausgeschlossen sei (Urteil des Bundesfi-nanzhofs - BFH - vom 7. März 2006, VII R 11/05). Hinsichtlich der festgestellten Beitragsnachforderungen bleibe ihr lediglich die Möglichkeit des Bestreitens innerhalb des Insolvenzverfahrens (§ 176 InsO) mit der Folge des § 184 InsO. Ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibe die Insolvenzschuldnerin zwar rechtsfähig, geschäftsfähig, parteifähig und prozessfähig. Nach herrschender Amtstheorie werde jedoch der Insolvenzverwalter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens in anhängigen Widerspruchs- bzw. Klageverfahren Partei kraft Amtes. Die Prozessführungsbefugnis der Insolvenzschuldnerin falle weg.
Durch das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 24. Oktober 2012 liege auch keine echte Freigabe des Streitgegenstandes durch diesen vor. Die echte Freigabe sei die Entlassung von Gegenständen der Insolvenzmasse aus dem Insolvenzbeschlag und sei in der InsO nicht geregelt. Sie werde lediglich als mögliche Handlung des Insolvenzverwalters am Rande erwähnt. Mit der Aufhebung des Insolvenzbeschlages erhalte der Insolvenzschuldner die freie Verfügungsbefugnis zurück. Eine echte Freigabe komme auch bei Forderungen in Betracht, wenn ihre Durchsetzung mit erheblichen Risiken verbunden sei. Allerdings könne der Insolvenzverwalter genauso wenig einen Passivprozess (§ 87 InsO) wie eine Verbindlichkeit freigeben. Insofern sei die Erklärung des Insolvenzverwalters unwirksam, wenn sie unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten offensichtlich dem Zweck des Insolvenzverfahrens, der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, zuwider laufe. Forderungen von Insolvenzgläubigern könnten gemäß § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden. Diese Regelung betreffe nur Passivprozesse. Dafür spreche auch, dass bei Anwendung des § 85 InsO die Ablehnung der Weiterführung des Widerspruchsverfahrens durch den Insolvenzverwalter als Freigabe des streitbefangenen Gegenstandes aus der Insolvenzmasse gelten und somit insolvenzfreies Vermögen des Insolvenzschuldners werden würde.
In der Erklärung des Insolvenzverwalter vom 24. Oktober 2012 könne auch keine allgemeine Ermächtigung zur Weiterführung des Widerspruchsverfahrens durch Erteilung einer Vollmacht gemäß § 164 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bzw. durch Verfügung eines Nicht-Berechtigten mit Einwilligung des Berechtigten gemäß § 185 BGB gesehen werden. Eine solche Ermächtigung sei unzulässig, wenn - wie vorliegend - der Insolvenzverwalter anstelle der Freigabe des Streitgegenstandes den Insolvenzschuldner zur Weiterführung des Verfahrens ermächtige, um das Kostenrisiko zu ersparen.
Im Übrigen habe das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 28. Mai 2015 (B 12 R 16/13 R) betont, dass das Verfahren zur Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen im Falle einer Betriebsprüfung zweigeteilt sei. Der Leistungs- bzw. Zahlungsbescheid des Rentenversicherungsträgers habe die Funktion eines Grundlagenbescheides. Ob ein solcher Bescheid vollstreckt werden dürfe oder die zwangsweise Durchsetzung der Beitragsforderung wegen eines insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbots ausscheide, sei erst auf einer späteren Ebene von den Krankenkassen als Einzugsstellen beim Einzug der Beiträge zu prüfen. Diese Auffassung habe das BSG in seinen aktuellen Urteilen vom 15. September 2016 (B 12 R 2/15 R, B 12 R 3/15 R und B 12 R 4/15 R) bestätigt. Vor diesem Hintergrund sei es sinn- und zweckwidrig, würde man das Verfahren der Insolvenzschuldnerin bei der sozialgerichtlichen Gerichtsbarkeit und das Insolvenzverfahren parallel führen. Die Beitragsnachforderungen könnten lediglich im Insolvenzverfahren durch die Einzugsstellen angemel-det und festgestellt werden.
Wenn die Beitragsforderungen im Insolvenzverfahren nach § 178 Abs. 3 InsO zur Insolvenztabelle festgestellt werden, wirke diese Feststellung wie ein Urteil, und zwar auch gegenüber der Insolvenzschuldnerin, hier der Klägerin. Die Insolvenzschuldnerin könne daher im Widerspruchsverfahren nichts Anderes bzw. Gegenteiliges erreichen. Das Insolvenzrecht gelte vorrangig gegenüber dem Sozialrecht. Erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens gehe die Vermögensmacht wieder vom Insolvenzverwalter auf die Insolvenzschuldnerin über. Bei einem zu diesem Zeitpunkt noch offenen Widerspruchsverfahren wäre die Insol-venzschuldnerin dann auch wieder als Widerspruchsführerin anzusehen. Im vorliegenden Widerspruchsverfahren habe der Insolvenzverwalter jedoch mit Schreiben vom 27. Juli 2012 erklärt, dass er das Widerspruchsverfahren nicht wieder aufnehmen bzw. weiterführen werde. Damit sei das Widerspruchsverfahren (in der Hauptsache) beendet.
Darüber hinaus sei der vom Sozialgericht festgelegte Streitwert in Höhe von 60.875,87 EUR nicht korrekt. Streitgegenstand sei der Widerspruch der Klägerin, der als unzulässig zurückgewiesen worden sei. Daher biete der Sach- und Streitgegenstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so dass der Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG) anzunehmen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 6. April 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 rechtswidrig sei. Sie, die Klägerin, sei im damals laufenden Widerspruchsverfahren trotz zwischenzeitlicher Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen weiterhin beteiligungsfähig sowie widerspruchsbefugt gewesen. Denn allein sie könne im laufenden Rechtsstreit geltend machen, durch den Bescheid vom 25. Januar 2012 in ihren Rechten verletzt zu sein. Wenn man mit der Beklagten annehme, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen habe das laufende sozialrechtliche Widerspruchs-verfahren gemäß § 240 ZPO unterbrochen, dann sei das Verfahren durch ihre Schreiben im Widerspruchsverfahren jedenfalls wieder aufgenommen worden. Sie habe auch die erforder-liche Aufnahmebefugnis gehabt. Insoweit komme es nicht streitentscheidend darauf an, ob es sich bei dem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren - wie das Sozialgericht annehme - um einen Aktivprozess oder - wovon die Beklagte ausgehe - um einen Passivprozess handele. Denn sowohl nach § 85 Abs. 2 InsO (im Falle der Annahme eines Aktivprozesses) als auch nach ausdrücklicher Freigabe des Streitgegenstandes durch den Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 24. Oktober 2012 zu ihren Gunsten (im Falle der Annahme eines Passivprozesses) sei sie zur Aufnahme des Widerspruchsverfahrens befugt gewesen. Richtig sei, dass sich die Rechtsfolge für Passivprozesse nicht aus einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung (vergleichbar mit § 85 Abs. 2 InsO für Aktivprozesse) ergebe. Jedoch werde dies von der Rechtsprechung ohne weiteres anerkannt. Wäre die Beklagte konsequent von einer Unterbrechung des Widerspruchsverfahrens infolge der Insolvenzeröffnung ausgegangen und hätte ihre Aufnahmebefugnis wie nun im Zuge ihrer Berufungsbegründung verneint, dann hätte schlicht keine Bescheidung ihres Widerspruchs erfolgen dürfen. Schließlich sei auf § 87 InsO zu verweisen, ausweislich dessen die Insolvenzgläubiger ihre jeweiligen Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen könnten. Für das hier vorliegende Widerspruchsverfahren bedeute dies, dass es nach Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen nicht mehr zur Festsetzung von Insolvenzforderungen durch den Erlass von Verwaltungsakten kommen könne. Die Beklagte sei daher auch aus diesem Grunde nicht mehr zum Erlass eines den ursprünglichen Bescheid vom 25. Januar 2012 bestätigenden Widerspruchsbescheides berechtigt gewesen.
Nach ihrem Verständnis sei das Widerspruchsverfahren ohnehin nicht nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 240 ZPO unterbrochen und auch die Widerspruchsbefugnis gerade nicht auf den bestellten Insolvenzverwalter übergegangen. Es könnten nur solche rechtshängigen Erkenntnisverfahren unterbrochen werden, die in aktiver oder passiver Richtung die Insolvenzsollmasse beträfen. Für ein (bloßes) Verwaltungs- bzw. Vorverfahren, wie das hier streitgegenständliche Widerspruchsverfahren, gelte § 240 ZPO weder direkt noch über § 202 SGG entsprechend. Überdies sei die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) durch den Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nicht betroffen. Auch deshalb seien die § 85 ff. InsO vorliegend nicht streitentscheidend. Zu verweisen sei auf die Erklärung des beigeladenen Insolvenzverwalters mit Schreiben vom 24. Oktober 2012, mit der er mitgeteilt habe, dass es ihr, der Klägerin, offen stehe, das Widerspruchsverfahren gegen die Beklagte auf eigene Verantwortung und Kosten fortzuführen, was sie auch getan habe. In Konsequenz des Vorgesagten hätte es einer Sachentscheidung der Beklagten über ihren Widerspruch bedurft, die vorliegend allerdings nicht getroffen und ihrerseits weiterhin begehrt werde.
Es sei im Übrigen darauf hinzuweisen, dass sie, die Klägerin, gegen den ursprünglichen Beitragsnachforderungsbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2012 noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen Widerspruch erhoben habe. Hiernach habe sie im Prüftermin am 25. September 2012 gegen die vermeintlichen Beitragsnachforderungen, welche von verschiedenen Krankenkassen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung angemeldet worden seien, gemäß § 175 Abs. 2 InsO Widerspruch erhoben. Ihr, der Klägerin, bleibe allein die Möglichkeit, das "unterbrochene" Widerspruchsverfahren wieder aufzunehmen bzw. weiter zu verfolgen. Seitens des beigeladenen Insolvenzverwalters sei zudem eine Freigabe des Widerspruchsverfahrens erfolgt mit der Folge einer Aufnahmebe-fugnis für sie, die Klägerin. Die Annahme der Beklagten, der beigeladene Insolvenzverwalter sei mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens in dem anhängigen Widerspruchsverfahren Partei kraft Amtes geworden und somit sei ihre Prozessführungsbefugnis weggefallen, sei unzutreffend. Richtig sei vielmehr, dass es ihr als Insolvenzschuldnerin obliege, ihren Widerspruch zu verfolgen. Genau dies habe sie getan, in dem sie die Beklagte durch Schreiben vom 29. Oktober 2012 zur ordnungsgemäßen Fortführung des Widerspruchsverfahrens aufgefordert habe. Anerkannt sei ferner, dass der Rechtsstreit in dem Stadium und auf die Weise fortzu-setzen sei, wie ihn der Schuldner fortsetzen könne, und zwar mit dem in den jeweiligen Verfahrensordnungen vorgesehenen Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln. Da im vorliegenden Fall bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein noch nicht bestandskräftiger Bescheid der Beklagten ergangen sei, habe es zur Verfolgung des Widerspruchs lediglich der Wiederaufnahme des unterbrochenen Verwaltungsvorverfahrens durch sie, die Klägerin, bedurft. Es sei jedoch keine so genannte Neuklage, insbesondere nicht vor den ordentlichen Gerichten, erforderlich (§ 185 InsO).
Mit Beschluss vom 15. August 2016 hat der Senat die Beiladung bewirkt. Der Beigeladene hat ausgeführt, er halte an seinen bisherigen Erklärungen aus Sicht der Insolvenzmasse fest. Zudem teile er die Auffassung der Klägerin, dass diese zur Aufnahme des Rechtsstreits gemäß § 85 Abs. 2 InsO berechtigt gewesen sei. Von weiteren (kostenintensiven) Ermittlungs- und Prüfungsmaßnahmen im Hinblick auf den Streitgegenstand sehe er vorerst ab. Es sei derzeit eine lediglich äußerst geringe Insolvenzmasse vorhanden. De facto liege derzeit Masseunzulänglichkeit im Sinne von § 208 InsO vor, wenngleich diese noch nicht dem Insolvenzgericht angezeigt worden sei. Zwar sei die Abwicklung des Insolvenzverfahrens noch nicht abgeschlossen. Insbesondere sei ein gegen die Tochter der Klägerin geführter Anfechtungsrechtsstreit noch nicht abgeschlossen. Vorbehaltlich des offenen Ausganges dieser Anfechtungsthematik sei jedenfalls aus heutiger Sicht nicht damit zu rechnen, dass eine die Verfahrenskosten übersteigende Insolvenzmasse zur Verfügung stehe, sodass es jedenfalls aus heutiger Sicht nicht zu Quotenzahlungen an Tabellengläubiger gemäß § 175 InsO kommen werde. Die Forderungen der Sozialversicherungsträger - infolge der streitge-genständlichen Betriebsprüfung - stellten lediglich Tabellenforderungen nach § 38 InsO dar. Auf eine weitere Stellungnahme verzichte er. Er sehe nach wie vor keinen Bezug des Rechtsstreits zu der von ihm verwalteten Insolvenzmasse.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Klägerin vom 20. Februar 2017, Schriftsatz der Beklagten vom 23. Februar 2017, Schriftsatz des Beigeladenen vom 22. Februar 2017).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen. Diese Akten haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Beklagte hat ein Rechtsschutzbedürfnis für die auch ansonsten zulässige Berufung. Zwar hat die Klägerin im Klageverfahren zuletzt ausdrücklich nur den Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 angefochten. Das hat zur Folge, dass der Ausgangsbescheid vom 25. Januar 2012 bestandskräftig geworden ist, was aus Sicht der Beklagten begünstigend ist. Allerdings ist die Beklagte durch das stattgebende Urteil des Sozialgerichts in Bezug auf die Aufhebung des angefochtenen Widerspruchsbescheides beschwert, so dass das Rechtsschutzinteresse der Beklagten zu bejahen ist.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet, denn die auf die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides gerichtete Klage der Klägerin ist unzulässig. Deshalb hätte das Sozialgericht Halle die Klage abweisen müssen.
Die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheides ist grundsätzlich unzulässig. Das folgt aus der prozessualen Einheit des Verwaltungsverfahrens (Jaritz in: Roos/Wahrendorf, Kommentar zum SGG, 2014, § 95 Rn. 27). Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn ein berechtigtes Interesse an der isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides besteht. In Betracht kommt ein derartiges Rechtsschutzinteresse, wenn der Widerspruchsbescheid eine erstmalige oder zusätzliche selbstständige Beschwer enthält (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 95 Rn. 3 ff.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Klägerin war durch den Widerspruchsbescheid nicht erstmalig beschwert. Eine solche Konstellation ist bei - im Sozialrecht seltenen - Verwaltungsakten mit Drittwirkung denkbar. Entweder wird auf den Widerspruch eines durch den ursprünglichen Verwaltungsakt beschwerten Dritten der den Adressaten begünstige Verwaltungsakt zu dessen Ungunsten geändert (erstmalige Beschwer des Adressaten durch den Widerspruchsbescheid) oder auf den Widerspruch des Adressaten gegen den einen Dritten begünstigenden Verwaltungsakt wird dieser zu Ungunsten des Dritten geändert (erstmalige Beschwer des Dritten durch den Widerspruchsbescheid). Eine derartige Drittbeteiligung ist hier ersichtlich nicht gegeben. Schließlich enthält der Widerspruchsbescheid auch keine gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt zusätzliche selbstständige Beschwer. Eine solche käme z.B. in Betracht bei einer Verböserung des Ausgangsbescheides zuungunsten des Klägers (reformatio in peius). Vorliegend hat die Beklagte den Widerspruch aus formellen Gründen "als unzulässig abgewiesen", weil die Klägerin aus ihrer Sicht gemäß § 80 InsO als Insolvenzschuldnerin die Verfügungsmacht über ihr Vermögen (hier über den gegen sie gerichteten Anspruch auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge) mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verloren habe. Darin liegt keine Verböserung, weil die festgestellte Beitragsnachforderung durch den Widerspruchsbescheid nicht geändert wurde.
Selbst wenn der Senat dazu gekommen wäre, dass in der vorliegenden Konstellation eine isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides zulässig gewesen wäre, müsste das - auch für eine solche isolierte Anfechtung erforderliche - Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu: Leitherer a.a.O., § 95 Rn. 3e) verneint werden. Bei Ermessensentscheidungen kann der Kläger daran interessiert sein, einen neuen Widerspruchsbescheid mit angemessener Ermessensüberprüfung zu erhalten. Denn diese kann das Gericht wegen der nur einge-schränkten gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen nicht vornehmen. Vorlie-gend bestand aber überhaupt kein Bedürfnis dafür, nur den Widerspruchsbescheid anzufechten. Hätte die Klägerin den Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des angefochten, hätte das Sozialgericht vorrangig die Widerspruchsbefugnis und bejahen-denfalls die materielle Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides prüfen müssen. Für das Vorgehen der Klägerin bestand überhaupt kein Rechtsschutzbedürfnis, weil es nicht um Ermessens- oder Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte ging, sondern um einen gerichtlich grundsätzlich vollumfänglich überprüfbaren Beitragsbescheid.
Abgesehen von diesen Überlegungen wäre das Rechtsschutzinteresse der Klägerin auch daran gescheitert, dass die betroffenen Krankenkassen ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet hatten. Dadurch erlangten die Krankenkassen einen eigenen Titel, dessen Bestand vom Schicksal des hier angefochtenen Beitragsbescheides unabhängig ist. Denn gemäß § 178 Abs. 3 InsO wirkt die Eintragung in die Tabelle für die festgestellten Forderun-gen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Im Ergebnis konnte die Klägerin durch das Vorgehen gegen den Beitragsbescheid im sozialgerichtlichen Verfahren also keine für sie günstige Rechtsfolge mehr erreichen.
Zu einem anderen als dem gefundenen Ergebnis konnte der Senat auch aus prozessualen Gründen nicht kommen. Wenn hier tatsächlich eine formelle Beschwer durch den Widerspruchsbescheid vorgelegen hätte, weil die Klägerin möglicherweise doch widerspruchsbefugt gewesen wäre, hätte die Klägerin einen Antrag auf Erlass eines Teilurteils, gerichtet auf isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides, und Aussetzung des Klageverfahrens bis zur (verfahrensfehlerfreien) Nachholung des Vorverfahrens beantragen müssen (Jaritz, a.a.O., § 95 Rn. 40). Hätte das Sozialgericht dann antragsgemäß entschieden, hätte sich der Senat auf die Berufung gegen ein solches Teilurteil mit der Frage beschäftigen dürfen, ob die Klägerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch widerspruchsbefugt war oder nicht. Dies ist dem Senat jetzt - im Berufungsverfahren - allerdings verwehrt, weil das Sozialgericht ein Endurteil erlassen hat, welches die Klägerin nicht mehr angreifen kann, weil das Sozial-gericht antragsgemäß geurteilt hat. Dem Senat blieb daher nichts anderes übrig, als das Urteil des Sozialgerichts auf die Berufung der Beklagten hin aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Beigeladene hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt und sich damit auch nicht in ein Kostenrisiko begeben, sodass eine Erstattung seiner Kosten hier nicht geboten gewesen ist, § 162 Abs. 3 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
Die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Berufungsverfahren folgt aus § 52 Abs. 2 GKG. Denn im Berufungsverfahren war der Ausgangsbescheid mit einer Beitragsforderung in Höhe von 60.875,87 EUR von Anfang nicht mehr streitgegenständlich, sondern lediglich der Widerspruchsbescheid. Der Wert dieses Streitgegenstandes lässt sich nicht konkret beziffern und der Sach- und Streitgegenstand bietet insoweit für die Bestimmung des Streitwerts auch keine genügenden Anhaltspunkte, so dass der Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 EUR festzusetzen ist. Im Klageverfahren ist das Sozialgericht dagegen zu Recht von einem Streitwert in Höhe von 60.875,87 EUR ausgegangen. Denn ursprünglich war mit der Klage beim Sozialgericht auch der Ausgangsbescheid vom 25. Januar 2012 angefochten. Erst in der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts am 16. März 2016 hat die Klägerin auf Anregung des Sozialgerichts nur noch die Aufhebung des Widerspruchsbescheides beantragt. Für die Wertberechnung ist jedoch der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet
(§ 40 GKG).
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