Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 25 KR 19/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 KR 15/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 56/18 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der Kläger von der Beklagten als freiwilliges Mitglied zur gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen ist.
Der 1954 geborene Kläger ist selbständig tätig und privat krankenversichert. Mit Bescheid vom 7. August 2010 stellte das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt beim Kläger aufgrund eines Prostatakarzinoms ab dem 20. April 2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 fest (Ablauf der Heilungsbewährung März 2015).
Unter dem 13. Juli 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten daraufhin die Aufnahme als freiwilliges Mitglied. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Juli 2010 ab, da nach § 8 Abs. 1 ihrer Satzung schwerbehinderte Menschen nur dann freiwilliges Mitglied werden könnten, wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten.
Zur Begründung des hiergegen am 3. August 2010 erhobenen Widerspruchs machte der Kläger geltend, dass keine gesetzliche Grundlage für die Beschränkung der freiwilligen Mitgliedschaft existiere.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) könnten schwerbehinderte Menschen der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitreten, wenn sie (oder andere Personen, wie insbesondere ein Ehegatte) in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei Jahre versichert gewesen seien, es sei denn, sie könnten wegen ihrer Behinderung diese Voraussetzung nicht erfüllen. Durch Satzungsbestimmung könnten die Krankenkassen das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. Dies sei vorliegend geschehen. Die entsprechende Festlegung sei auch nicht verfassungswidrig (Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Berlin-Brandenburg vom 19. Dezember 2007 – L 9 KR 167/02 – juris; Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 22. August 2000 – L 1 KR 37/99 – juris).
Am 19. Januar 2012 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und sein Anliegen weiter verfolgt. In § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V sei keine Altersgrenze vorgesehen. Wirtschaftliche Erwägungen der Krankenkasse dürften insoweit keine Rolle spielen. Die satzungsmäßige Altersbeschränkung stelle eine unzulässige Ungleichbehandlung aus Altersgründen dar und verstoße gegen EU-Recht.
Aus Sicht der Beklagten liege kein Verstoß gegen höherrangiges Recht vor; eine sachlich begründete Altersgrenze beinhalte keine rechtswidrige Diskriminierung. Der Ausschluss des Klägers als freiwilliges Mitglied habe auch keinen fehlenden Versicherungsschutz zur Folge, da er in der privaten Krankenversicherung versichert bleibe.
Mit Urteil vom 7. Dezember 2016 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Zwar gehöre der Kläger zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen und habe seinen Beitritt auch rechtzeitig im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 4 SGB V angezeigt. Ob er die in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V geregelte Vorversicherungszeit erfülle, bedürfe indessen keiner abschließenden Entscheidung. Denn dem Kläger stehe jedenfalls deshalb kein Recht zum Beitritt als freiwilliges Mitglied zu, weil im Zeitpunkt seiner Erklärung die in § 8 Abs. 1 der Satzung der Beklagten festgelegte Altersgrenze des 45. Lebensjahres überschritten gewesen sei. Weder die entsprechende Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V noch diese Satzungsregelung seien zu beanstanden, was insbesondere hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gelte. Zweck des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V sei es, das Beitrittsrecht zu beschränken, um Missbrauch zu begegnen, nachdem in der Vergangenheit der Beitritt erst erfolgte, wenn Krankheitskosten entstanden bzw. zu erwarten waren (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 16/07 R – SozR 4-2500 § 9 Nr. 2). Die Begrenzung diene durch Verringerung der Zahl der Beitrittsberechtigten der finanziellen Entlastung der Krankenkassen, um deren Leistungsfähigkeit zu sichern, zumal behinderte Menschen ein besonders ungünstiges Risiko in der Krankenversicherung darstellten (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 16/07 – a.a.O.). Freiwillige Mitglieder seien grundsätzlich in geringerem Maße schutzbedürftig; ihre Krankenversicherung solle von pflichtversicherten Mitgliedern möglichst nicht mitfinanziert werden (BSG, Urteil vom 7. November 1991 – 12 RK 18/91 – SozR 3-2500 § 240 Nr. 7). Dies gelte selbst dann, wenn eine private Versicherung wegen etwaiger Risikoausschlüsse oder -zuschläge ausgeschlossen oder unwirtschaftlich sei (BSG, Urteil vom 7. November 1991 – 12 RK 18/91 – a.a.O.). Die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V, die auf § 176c Satz 2 Reichsversicherungsordnung zurückgehe (zu dessen Verfassungsmäßigkeit siehe BSG, Urteil vom 19. Februar 1987 – 12 RK 37/84 – BSGE 61, 169), sei auch nicht willkürlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG. Die Möglichkeit des Satzungsgebers, eine Altersgrenze für den freiwilligen Beitritt zur Krankenversicherung einzuführen, stelle darauf ab, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschäftigten und selbständig Tätigen mit zunehmendem Alter regelmäßig gefestigt seien und dabei auch eine soziale Absicherung hinsichtlich der gesetzlichen Sozialversicherung oder einer privaten Versicherung geklärt sei. Insofern sei die satzungsmäßige Festlegung des vollendeten 45. Lebensjahres als Beitrittsgrenze vom Normzweck der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt.
Die unterschiedliche Altersbeschränkung für schwerbehinderte Menschen beim Zugang zur freiwilligen Krankenversicherung verstoße auch nicht gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (LSG Niedersachsen, Urteil vom 17. Juli 1996 – L 4 KR 133/95 – juris). Insoweit liege eine Beeinträchtigung nur vor, wenn eine behinderungsbezogene Ungleichbehandlung zu einem Nachteil für den behinderten Menschen führe. Dies setze Regelungen oder Maßnahmen voraus, welche die Situation des behinderten Menschen wegen seiner Behinderung verschlechterten, indem ihm Leistungen verwehrt würden, die grundsätzlich jedermann zustünden. Vergleichsgruppe sei diejenige der Nichtbehinderten. Für Differenzierungen innerhalb der Gruppe behinderter Menschen sei das Benachteiligungsverbot dagegen nicht einschlägig, da die Benachteiligung in diesen Fällen nicht an das Merkmal der Behinderung anknüpften (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 14. März 2000 – 1 BvR 284/96 und 1 BvR 1659/96 – BVerfGE 102, 41; BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 1999 – 1 BvR 2161/94 – BVerfGE 99, 341; BSG, Beschluss vom 28. Mai 1997 – 9 BV 203/96 – juris). Vorliegend bestehe weder ein allgemeines Recht auf Beitritt zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung noch werde ein behinderter Mensch gegenüber beitrittsberechtigten Nichtbehinderten schlechter gestellt. Denn etwaige sonstige Beitrittsrechte würden ebenso für behinderte Menschen gelten. Durch § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V werde die Beitrittsmöglichkeit für schwerbehinderte Menschen lediglich erweitert. Soweit innerhalb dieser Gruppe nach dem Alter differenziert werde, sei Anknüpfungspunkt nicht die Behinderung, sondern das Alter. Dies sei ein sachliches und verhältnismäßiges Differenzierungskriterium, an das der Gesetzgeber habe anknüpfen dürfen und das die Beklagte in ihrer Satzung in nicht zu beanstandender Weise konkretisiert habe (s.o.).
Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG sei ebenfalls nicht verletzt. Denn hierbei sei zu berücksichtigen, dass die freiwillige Krankenversicherung Mitglieder erfasse, die originär nicht zum schutzbedürftigen Personenkreis zählten. Zu den staatlichen Pflichten gehöre zwar die soziale Hilfe für Bürger, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihren persönlichen und sozialen Entfaltungsmöglichkeiten gehindert seien. Allerdings stehe das Sozialstaatsprinzip unter dem Vorbehalt des politisch Gewollten und des Finanzierbaren. Die dem Gesetzgeber insoweit eingeräumte Gestaltungsfreiheit schließe die Festlegung der Voraussetzungen materieller Leistungen ein. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Teilhabe schwerbehinderter Menschen durch Einräumung eines uneingeschränkten Rechts auf Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied sicherstellen müsse. Zudem sei für den Fall keiner anderweitigen Sicherung im Krankheitsfall durch die Auffangregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vorgesorgt. Letztlich liege auch kein Verstoß gegen europäisches Recht vor.
Gegen das ihm am 16. Januar 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. Februar 2017 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und an seiner Ansicht unter Wiederholung seines Vorbringens festgehalten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Halle vom 7. Dezember 2016 sowie des Bescheides vom 21. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2011 zu verpflichten, seinem Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft zur gesetzlichen Krankenversicherung stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG kann der Senat außer in den – hier nicht gegebenen – Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. So liegt es hier. Streitig ist vorliegend allein die Rechtsfrage einer Vereinbarkeit der in § 8 Abs. 1 der Satzung der Beklagten enthaltenen Einschränkung der Möglichkeit eines freiwilligen Beitritts zur gesetzlichen Krankenversicherung. Hierzu haben die Beteiligten ihre Argumente hinreichend ausgetauscht, so dass eine nochmalige mündliche Verhandlung zwecks Erörterung der Rechtsalge entbehrlich erscheint. Gegen die ihnen mitgeteilte Absicht des Senats, über den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden, haben die Beteiligten keine Einwände erhoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2011 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Zu Recht hat die Beklagte hierin dessen Aufnahme als freiwilliges Mitglied abgelehnt.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V können der gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied schwerbehinderte Menschen im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch beitreten, wenn sie, ein Elternteil, ihr Ehegatte oder ihr Lebenspartner in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei Jahre versichert waren, es sei denn, sie konnten wegen ihrer Behinderung diese Voraussetzung nicht erfüllen; die Satzung kann das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. In Konkretisierung dieser Ermächtigung bestimmt § 8 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Beklagten, dass versicherungsberechtigte schwerbehinderte Menschen ihr nur dann beitreten können, wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Zum Zeitpunkt seiner Antragstellung im Juli 2010 hatte der Kläger diese Altersgrenze bereits lange überschritten, womit die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind.
Diese Satzungsbestimmung ist durch § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V gedeckt, der seinerseits nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Zur Begründung bezieht sich der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG nach eigener Prüfung auf die ausführlichen sowie zutreffenden Darlegungen des SG und weist lediglich ergänzend darauf hin, dass das ebenso in Bezug auf das Europarecht gilt. Denn auch insoweit ist eine Ungleichbehandlung wegen Alters dann gerechtfertigt, wenn sie aus sachlichen Gründen erfolgt (siehe nur Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 1. Oktober 2015 – C-432/14 – NZA 2015, 1309; Urteil vom 22. November 2005 – C-144/04 – NJW 2005, 3695). Das ist hier der Fall (s.o.). Die Ermächtigung des Satzungsgebers, durch autonome Regelung eine Altersgrenze für den freiwilligen Beitritt zur Krankenversicherung festzulegen, erfolgt vor dem Hintergrund, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse mit zunehmendem Alter in der Regel gefestigt sind und das Bedürfnis sozialen Schutzes abnimmt. Da es sich um eine abstrakt-generelle Normgebung handelt, muss die Entscheidung, wann hiervon auszugehen ist, typisierend getroffen werden. Mit der Einführung der Beitrittsgrenze zum vollendeten 45. Lebensjahr ist die Beklagte dem Normzweck, nämlich der Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Krankenkassen, in plausibler Weise nachgekommen. Unerheblich ist dabei, ob andere Krankenkassen möglicherweise höhere Altersgrenzen vorgesehen haben. Denn einerseits überlässt es § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V ausdrücklich der Satzungsautonomie der einzelnen Krankenkasse, abweichende Regelungen zu treffen. Andererseits ist vom Gericht nicht zu prüfen, ob der jeweilige Satzungsgeber im Rahmen des ihm eingeräumten weiten Gestaltungsspielraums die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung festgelegt hat. Maßgebend ist vielmehr, dass – wie hier – sachgerechte Gründe für die erfolgte Rechtsetzung existieren (vgl. nur BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 2 U 11/13 R – BSGE 118, 9; Urteil vom 24. Januar 1991 – 2 RU 62/89 – SozR 3-2200 § 809 Nr. 1; BSG, Urteil vom 23. Mai 1978 – 8/7 RU 43/71 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Der Senat sieht die Rechtslage durch die angeführte Rechtsprechung als geklärt an.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der Kläger von der Beklagten als freiwilliges Mitglied zur gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen ist.
Der 1954 geborene Kläger ist selbständig tätig und privat krankenversichert. Mit Bescheid vom 7. August 2010 stellte das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt beim Kläger aufgrund eines Prostatakarzinoms ab dem 20. April 2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 fest (Ablauf der Heilungsbewährung März 2015).
Unter dem 13. Juli 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten daraufhin die Aufnahme als freiwilliges Mitglied. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Juli 2010 ab, da nach § 8 Abs. 1 ihrer Satzung schwerbehinderte Menschen nur dann freiwilliges Mitglied werden könnten, wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten.
Zur Begründung des hiergegen am 3. August 2010 erhobenen Widerspruchs machte der Kläger geltend, dass keine gesetzliche Grundlage für die Beschränkung der freiwilligen Mitgliedschaft existiere.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) könnten schwerbehinderte Menschen der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitreten, wenn sie (oder andere Personen, wie insbesondere ein Ehegatte) in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei Jahre versichert gewesen seien, es sei denn, sie könnten wegen ihrer Behinderung diese Voraussetzung nicht erfüllen. Durch Satzungsbestimmung könnten die Krankenkassen das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. Dies sei vorliegend geschehen. Die entsprechende Festlegung sei auch nicht verfassungswidrig (Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Berlin-Brandenburg vom 19. Dezember 2007 – L 9 KR 167/02 – juris; Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 22. August 2000 – L 1 KR 37/99 – juris).
Am 19. Januar 2012 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und sein Anliegen weiter verfolgt. In § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V sei keine Altersgrenze vorgesehen. Wirtschaftliche Erwägungen der Krankenkasse dürften insoweit keine Rolle spielen. Die satzungsmäßige Altersbeschränkung stelle eine unzulässige Ungleichbehandlung aus Altersgründen dar und verstoße gegen EU-Recht.
Aus Sicht der Beklagten liege kein Verstoß gegen höherrangiges Recht vor; eine sachlich begründete Altersgrenze beinhalte keine rechtswidrige Diskriminierung. Der Ausschluss des Klägers als freiwilliges Mitglied habe auch keinen fehlenden Versicherungsschutz zur Folge, da er in der privaten Krankenversicherung versichert bleibe.
Mit Urteil vom 7. Dezember 2016 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Zwar gehöre der Kläger zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen und habe seinen Beitritt auch rechtzeitig im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 4 SGB V angezeigt. Ob er die in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V geregelte Vorversicherungszeit erfülle, bedürfe indessen keiner abschließenden Entscheidung. Denn dem Kläger stehe jedenfalls deshalb kein Recht zum Beitritt als freiwilliges Mitglied zu, weil im Zeitpunkt seiner Erklärung die in § 8 Abs. 1 der Satzung der Beklagten festgelegte Altersgrenze des 45. Lebensjahres überschritten gewesen sei. Weder die entsprechende Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V noch diese Satzungsregelung seien zu beanstanden, was insbesondere hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gelte. Zweck des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V sei es, das Beitrittsrecht zu beschränken, um Missbrauch zu begegnen, nachdem in der Vergangenheit der Beitritt erst erfolgte, wenn Krankheitskosten entstanden bzw. zu erwarten waren (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 16/07 R – SozR 4-2500 § 9 Nr. 2). Die Begrenzung diene durch Verringerung der Zahl der Beitrittsberechtigten der finanziellen Entlastung der Krankenkassen, um deren Leistungsfähigkeit zu sichern, zumal behinderte Menschen ein besonders ungünstiges Risiko in der Krankenversicherung darstellten (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 16/07 – a.a.O.). Freiwillige Mitglieder seien grundsätzlich in geringerem Maße schutzbedürftig; ihre Krankenversicherung solle von pflichtversicherten Mitgliedern möglichst nicht mitfinanziert werden (BSG, Urteil vom 7. November 1991 – 12 RK 18/91 – SozR 3-2500 § 240 Nr. 7). Dies gelte selbst dann, wenn eine private Versicherung wegen etwaiger Risikoausschlüsse oder -zuschläge ausgeschlossen oder unwirtschaftlich sei (BSG, Urteil vom 7. November 1991 – 12 RK 18/91 – a.a.O.). Die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V, die auf § 176c Satz 2 Reichsversicherungsordnung zurückgehe (zu dessen Verfassungsmäßigkeit siehe BSG, Urteil vom 19. Februar 1987 – 12 RK 37/84 – BSGE 61, 169), sei auch nicht willkürlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG. Die Möglichkeit des Satzungsgebers, eine Altersgrenze für den freiwilligen Beitritt zur Krankenversicherung einzuführen, stelle darauf ab, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschäftigten und selbständig Tätigen mit zunehmendem Alter regelmäßig gefestigt seien und dabei auch eine soziale Absicherung hinsichtlich der gesetzlichen Sozialversicherung oder einer privaten Versicherung geklärt sei. Insofern sei die satzungsmäßige Festlegung des vollendeten 45. Lebensjahres als Beitrittsgrenze vom Normzweck der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt.
Die unterschiedliche Altersbeschränkung für schwerbehinderte Menschen beim Zugang zur freiwilligen Krankenversicherung verstoße auch nicht gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (LSG Niedersachsen, Urteil vom 17. Juli 1996 – L 4 KR 133/95 – juris). Insoweit liege eine Beeinträchtigung nur vor, wenn eine behinderungsbezogene Ungleichbehandlung zu einem Nachteil für den behinderten Menschen führe. Dies setze Regelungen oder Maßnahmen voraus, welche die Situation des behinderten Menschen wegen seiner Behinderung verschlechterten, indem ihm Leistungen verwehrt würden, die grundsätzlich jedermann zustünden. Vergleichsgruppe sei diejenige der Nichtbehinderten. Für Differenzierungen innerhalb der Gruppe behinderter Menschen sei das Benachteiligungsverbot dagegen nicht einschlägig, da die Benachteiligung in diesen Fällen nicht an das Merkmal der Behinderung anknüpften (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 14. März 2000 – 1 BvR 284/96 und 1 BvR 1659/96 – BVerfGE 102, 41; BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 1999 – 1 BvR 2161/94 – BVerfGE 99, 341; BSG, Beschluss vom 28. Mai 1997 – 9 BV 203/96 – juris). Vorliegend bestehe weder ein allgemeines Recht auf Beitritt zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung noch werde ein behinderter Mensch gegenüber beitrittsberechtigten Nichtbehinderten schlechter gestellt. Denn etwaige sonstige Beitrittsrechte würden ebenso für behinderte Menschen gelten. Durch § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V werde die Beitrittsmöglichkeit für schwerbehinderte Menschen lediglich erweitert. Soweit innerhalb dieser Gruppe nach dem Alter differenziert werde, sei Anknüpfungspunkt nicht die Behinderung, sondern das Alter. Dies sei ein sachliches und verhältnismäßiges Differenzierungskriterium, an das der Gesetzgeber habe anknüpfen dürfen und das die Beklagte in ihrer Satzung in nicht zu beanstandender Weise konkretisiert habe (s.o.).
Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG sei ebenfalls nicht verletzt. Denn hierbei sei zu berücksichtigen, dass die freiwillige Krankenversicherung Mitglieder erfasse, die originär nicht zum schutzbedürftigen Personenkreis zählten. Zu den staatlichen Pflichten gehöre zwar die soziale Hilfe für Bürger, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihren persönlichen und sozialen Entfaltungsmöglichkeiten gehindert seien. Allerdings stehe das Sozialstaatsprinzip unter dem Vorbehalt des politisch Gewollten und des Finanzierbaren. Die dem Gesetzgeber insoweit eingeräumte Gestaltungsfreiheit schließe die Festlegung der Voraussetzungen materieller Leistungen ein. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Teilhabe schwerbehinderter Menschen durch Einräumung eines uneingeschränkten Rechts auf Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied sicherstellen müsse. Zudem sei für den Fall keiner anderweitigen Sicherung im Krankheitsfall durch die Auffangregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vorgesorgt. Letztlich liege auch kein Verstoß gegen europäisches Recht vor.
Gegen das ihm am 16. Januar 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. Februar 2017 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und an seiner Ansicht unter Wiederholung seines Vorbringens festgehalten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Halle vom 7. Dezember 2016 sowie des Bescheides vom 21. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2011 zu verpflichten, seinem Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft zur gesetzlichen Krankenversicherung stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG kann der Senat außer in den – hier nicht gegebenen – Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. So liegt es hier. Streitig ist vorliegend allein die Rechtsfrage einer Vereinbarkeit der in § 8 Abs. 1 der Satzung der Beklagten enthaltenen Einschränkung der Möglichkeit eines freiwilligen Beitritts zur gesetzlichen Krankenversicherung. Hierzu haben die Beteiligten ihre Argumente hinreichend ausgetauscht, so dass eine nochmalige mündliche Verhandlung zwecks Erörterung der Rechtsalge entbehrlich erscheint. Gegen die ihnen mitgeteilte Absicht des Senats, über den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden, haben die Beteiligten keine Einwände erhoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2011 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Zu Recht hat die Beklagte hierin dessen Aufnahme als freiwilliges Mitglied abgelehnt.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V können der gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied schwerbehinderte Menschen im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch beitreten, wenn sie, ein Elternteil, ihr Ehegatte oder ihr Lebenspartner in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei Jahre versichert waren, es sei denn, sie konnten wegen ihrer Behinderung diese Voraussetzung nicht erfüllen; die Satzung kann das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. In Konkretisierung dieser Ermächtigung bestimmt § 8 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Beklagten, dass versicherungsberechtigte schwerbehinderte Menschen ihr nur dann beitreten können, wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Zum Zeitpunkt seiner Antragstellung im Juli 2010 hatte der Kläger diese Altersgrenze bereits lange überschritten, womit die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind.
Diese Satzungsbestimmung ist durch § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V gedeckt, der seinerseits nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Zur Begründung bezieht sich der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG nach eigener Prüfung auf die ausführlichen sowie zutreffenden Darlegungen des SG und weist lediglich ergänzend darauf hin, dass das ebenso in Bezug auf das Europarecht gilt. Denn auch insoweit ist eine Ungleichbehandlung wegen Alters dann gerechtfertigt, wenn sie aus sachlichen Gründen erfolgt (siehe nur Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 1. Oktober 2015 – C-432/14 – NZA 2015, 1309; Urteil vom 22. November 2005 – C-144/04 – NJW 2005, 3695). Das ist hier der Fall (s.o.). Die Ermächtigung des Satzungsgebers, durch autonome Regelung eine Altersgrenze für den freiwilligen Beitritt zur Krankenversicherung festzulegen, erfolgt vor dem Hintergrund, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse mit zunehmendem Alter in der Regel gefestigt sind und das Bedürfnis sozialen Schutzes abnimmt. Da es sich um eine abstrakt-generelle Normgebung handelt, muss die Entscheidung, wann hiervon auszugehen ist, typisierend getroffen werden. Mit der Einführung der Beitrittsgrenze zum vollendeten 45. Lebensjahr ist die Beklagte dem Normzweck, nämlich der Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Krankenkassen, in plausibler Weise nachgekommen. Unerheblich ist dabei, ob andere Krankenkassen möglicherweise höhere Altersgrenzen vorgesehen haben. Denn einerseits überlässt es § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V ausdrücklich der Satzungsautonomie der einzelnen Krankenkasse, abweichende Regelungen zu treffen. Andererseits ist vom Gericht nicht zu prüfen, ob der jeweilige Satzungsgeber im Rahmen des ihm eingeräumten weiten Gestaltungsspielraums die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung festgelegt hat. Maßgebend ist vielmehr, dass – wie hier – sachgerechte Gründe für die erfolgte Rechtsetzung existieren (vgl. nur BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 2 U 11/13 R – BSGE 118, 9; Urteil vom 24. Januar 1991 – 2 RU 62/89 – SozR 3-2200 § 809 Nr. 1; BSG, Urteil vom 23. Mai 1978 – 8/7 RU 43/71 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Der Senat sieht die Rechtslage durch die angeführte Rechtsprechung als geklärt an.
Rechtskraft
Aus
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