L 6 KR 18/17

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 17 KR 146/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 KR 18/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 88/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Fahrtkosten für ambulante Behandlungen.

Unter dem 6. November 2012 verordnete die Allgemeinmedizinerin K. dem 1938 geborenen und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten Kläger Krankenbeförderung zur ambulanten Behandlung in der Urologischen Universitätsklinik H. (Stentwechsel im sechswöchigen Rhythmus). In seiner hierzu im Auftrag der Beklagten abgegebenen Stellungnahme vom 29. November 2012 schätzte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt ein, eine Fahrtkostenübernahme sei nicht möglich, da kein Ausnahmetatbestand entsprechend § 8 Krankentransport-Richtlinie (KrTransp-RL) gegeben sei. So sei einem Befundbericht Frau K. vom 20. November 2012 zu entnehmen, dass die ohne Einschränkung zurücklegbare Gehstrecke des an einem Zustand nach Rektumkarzinom leidenden Klägers bis zu 1 km betrage und er auch über keinen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) verfüge.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2012 lehnte die Beklagte die Übernahme von Fahrkosten unter Darlegung der nach § 8 KrTransp-RL nötigen Voraussetzungen daraufhin ab.

In einem Schreiben vom 12. Dezember 2012 führte die Urologische Universitätsklinik H. aus, die beim Kläger im Rahmen eines großen onkologischen Eingriffs gelegten Harnleiterhautfisteln müssten alle vier bis sechs Wochen mit Harnleiterschienen (Endoureterkathetern) abgeleitet werden. Geschehe dies nicht, sei die Nierenfunktion des Klägers dauerhaft gefährdet. Zudem sei dieser mit einer Urostoma (künstlicher Blasenausgang) im Bereich des linken Unterbauches versorgt, was zusätzlich die Anreise von L. nach H. erschwere.

Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch des Klägers und wies diesen nach nochmaliger Einschaltung des MDK (der im Ergebnis bei seiner Bewertung vom 29. November 2012 verblieb) unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2013 als unbegründet zurück. Es läge weder eine hohe Behandlungsfrequenz im Sinne von § 8 Abs. 1 und 2 KrTransp-RL vor noch seien die Merkzeichen aG, Bl oder H bzw. eine Pflegestufe 2 oder 3 bekannt. Auch eine vergleichbare Einschränkung der Mobilität sei beim Kläger nicht gegeben.

Hiergegen hat der Kläger am 22. April 2013 vor dem Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) seien erfüllt. Nach der Behandlung in H. sei er fahruntüchtig. Eine Straßenbahn könne er für die Fahrten nicht benutzen. Sowohl links als auch rechts trage er Beutel mit Flüssigkeit (links ca. ¼ Liter, rechts ca. ½ Liter), mit deren er nirgends anstoßen dürfe. Die Fahrt dauere etwa zwei Stunden. In diesem Zeitraum müsse er regelmäßig eine Toilette aufsuchen. Würde er nicht zur Universitätsklinik anreisen, sei eine stationäre Behandlung unabdingbar.

Der Kläger hat für den Zeitraum Januar 2013 bis März 2016 Quittungen über Fahrtkosten vorgelegt, aus denen sich insgesamt ein Betrag von rund 2.510,00 EUR ergibt.

Das SG hat vom Allgemeinmediziner Dr. B., dem Krankenaus S. H., der Urologischen Universitätsklinik H. sowie der Internistin Dipl.-Med. N. Befundberichte (nebst weiteren beigefügten medizinischen Unterlagen) beigezogen.

Mit Urteil vom 16. August 2016 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Die Fahrtkosten des Klägers seien nicht nach § 60 Abs. 2 Nr. 4 SGB V erstattungsfähig, da durch den Katheterwechsel in H. keine sonst gebotene stationäre Krankenhausbehandlung ersetzt werde. Sowohl eine voll- als auch teilstationäre Behandlung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht auf eine Erledigung innerhalb eines Tages angelegt (Urteil vom 4. März 2004 – B 3 KR 4/03 R – juris). Gerade dies sei hier aber der Fall. Der vom Kläger verfolgte Anspruch lasse sich mangels hoher Behandlungsfrequenz auch nicht auf § 8 Abs. 2 KrTransp-RL stützen (vgl. Urteile des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 KR 31/13 – und 16. April 2015 – L 6 KR 49/14 – jeweils juris). Die in § 8 Abs. 3 KrTrans-RL genannten Voraussetzungen (bestimmte Merkzeichen nach dem Schwerbehindertenrecht bzw. Feststellung einer Pflegestufe II oder III) erfülle der Kläger ebenfalls nicht; eine entsprechende Mobilitätseinschränkung liege bei ihm weder nach seinem Vortrag noch den eingeholten Befundberichten vor. Denn die angegebenen Fahrthindernisse seien mit Beeinträchtigungen im Sinne der Merkzeichen aG, Bl und H bzw. der Pflegestufen 2 oder 3 nicht vergleichbar.

Gegen das ihm am 20. Januar 2017 zugestellte (und am 16. Januar 2017 unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangte) Urteil hat der Kläger unter Wiederholung seines Vorbringens am 14. Februar 2017 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Jedenfalls seien die Voraussetzungen von § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V erfüllt. Wenn er auf eine notwendige Krankenhausbehandlung verzichtet und sich für eine kostengünstigere Variante entschieden habe, sei nicht einzusehen, dass er die hierfür erforderlichen Fahrtkosten selbst tragen müsse.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. August 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit von November 2012 bis Oktober 2017 für Fahrten zur ambulanten Behandlung in der Urologischen Universitätsklinik H. Kosten in Höhe von mindestens 2.510,00 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Auf Anfrage des Senats, ob entsprechend dem Vortrag des Klägers durch die Fahrten zur Klinik eine ansonsten notwendige voll- bzw. teilstationäre Behandlung vermieden werde, hat die Urologische Universitätsklinik H. unter dem 2. November 2017 mitgeteilt, eine ambulante Betreuung des Klägers sei notwendig, da der Katheterwechsel alle sechs Wochen erfolgen müsse. Eine stationäre Übernachtung sei nur dann erforderlich, wenn beim Kläger klinische Symptome wie Flankenschmerzen, Fieber, Schüttelfrost oder eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes aufträten bzw. der Katheterwechsel in Kombination mit einer sedoanalgetischen Therapie (Narkose) erfolge.

Unter dem 12. Mai bzw. 15. November 2017 hat der Berichterstatter den Kläger ergänzend auf die Urteile des BSG vom 13. Dezember 2016 (B 1 KR 1/16 R sowie B 1 KR 2/16 – juris) hingewiesen, mit denen die Rechtsprechung des Senats ausdrücklich bestätigt worden sei. Eine stationäre Behandlung setze eine Betreuung "rund um die Uhr" – also über einen Tag hinaus – voraus. Entsprechendes sei hier nicht der Fall. Teilstationäre Behandlung sei nicht erforderlich, wenn die Maßnahme – wie vorliegend – ambulant durchgeführt werden könne.

Unter Bezugnahme auf die von ihm vorgelegte Mitteilung der Urologischen Universitätsklinik H. vom 22. Januar 2018 hat der Kläger im Erörterungstermin am 18. September schließlich darauf hingewiesen, dass der Katheterwechsel seit November 2017 stationär erfolge und eine Kostenabrechnung direkt mit der Beklagten über einen Transportschein des Taxiunternehmens erfolge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet, worüber nach entsprechender Zustimmung der Beteiligten vom 18. September 2018 nach den §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter zu entscheiden war.

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2013 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da er keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Fahrtkosten hat.

Zunächst sind die Fahrten nicht im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 8 KrTransp-RL aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig (vgl. BSG, Urteil vom 8. September 2015 – B 1 KR 27/14 R – juris). Denn insoweit ist nach § 8 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 KrTransp-RL erforderlich, dass eine Behandlung in einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema erfolgt, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist und dass diese Behandlung oder der Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigt, dass die Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist. Entsprechendes liegt in den von § 8 Abs. 2 Satz 2 KrTransp-RL in Verbindung mit der Anlage II – nicht abschließend – genannten Ausnahmefällen (Dialysebehandlung, onkologische Strahlentherapie, parenterale onkologische Chemotherapie) in der Regel zwar vor. Eine hohe Behandlungsfrequenz ist auch bei einer unbegrenzten Behandlungsdauer aber jedenfalls dann nicht gegeben, wenn lediglich 13 Behandlungen im Jahr erfolgten (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juli 2008 – B 1 KR 27/07 R – juris; Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 KR 31/12 – s.o.; Urteil vom 16. April 2015 – L 6 KR 49/14 – s.o.). Vorliegend geht es bezogen auf einen vier- bzw. sechswöchigen Rhythmus "nur" um acht bzw. maximal zwölf Behandlungen jährlich, womit es offensichtlich an einer hohen Behandlungsfrequenz im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 1 KrTransp-RL fehlt. Damit kann dahinstehen, ob die ambulante Behandlung des Klägers im Ergebnis überhaupt mit einer onkologischen Chemotherapie vergleichbar ist und ihn in einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist. Ebenso kann offen bleiben, ob er mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird.

Die Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 und 3 KrTransp-RL sind ebenfalls nicht erfüllt, da beim Kläger nicht die Merkzeichen aG, Bl oder H bzw. mindestens die Pflegestufe 2 festgestellt worden sind und bei ihm auch keine vergleichbare Mobilitätsbeeinträchtigung besteht. Stehen rechtliche Hindernisse den vorausgesetzten Feststellungen auf den Gebieten des Schwerbehindertenrechts oder der Pflegeversicherung – wie hier – nicht entgegen, ist es Angelegenheit des Versicherten, diese zu erwirken (siehe nochmals Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 KR 31/12 – a.a.O.). Der Kläger hat selbst nicht behauptet, über die einschlägigen Merkzeichen zu verfügen. Anhaltspunkte für schwere Mobilitätseinschränkungen im Sinne der zuvor genannten relevanten Feststellungen sind angesichts der unwidersprochen gebliebenen Darlegungen des MDK vom 29. November 2012 auch sonst nicht ersichtlich.

Ein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung ergibt sich auch nicht aus § 60 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V, da durch die ambulante Behandlung im streitgegenständlichen Zeitraum keine an sich gebotene stationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung ersetzt worden ist. Sowohl der voll- als auch teilstationären Behandlung ist eigen, dass sie nicht auf eine Erledigung innerhalb eines Tages angelegt sind (BSG, Urteil vom 4. März 2004 – B 3 KR 4/03 R – s.o.). Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, setzt eine stationäre Behandlung eine Betreuung "rund um die Uhr" – also mehr als einen Tag – voraus. Eine teilstationäre Behandlung ist nicht erforderlich, wenn die Maßnahme – wie hier – ambulant durchgeführt werden kann (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris). Nach der Mitteilung der Urologischen Universitätsklinik H. vom 5. November 2017 handelte es sich im streitgegenständlichen Zeitraum jeweils um ambulante Katheterwechsel. Die Klinik hat zwar die (unstrittige) Notwendigkeit ambulanter Behandlungen, gerade nicht jedoch diejenige einer (teil-)stationären Krankenhausbehandlung bescheinigt. Eine Vergleichbarkeit mit Fahrten zu einer (über einen Tag hinausgehenden) parenteralen onkologischen Chemotherapie im Sinne der Anlage II der KrTransp-RL ist damit nicht ersichtlich.

Schließlich lässt sich der geltend gemachte Anspruch auch nicht auf § 60 Abs. 5 SGB V in Verbindung mit § 53 Abs. 1 bis 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX; in der hier maßgeblichen und bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung) stützen. Denn die vorliegenden ambulanten Behandlungen stellten Maßnahmen der Akutmedizin und keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dar, weshalb auch § 14 SGB IX nicht einschlägig ist (vgl. nochmals Urteile des Senats vom 16. April 2015 – L 6 KR 49/14 – s.o. und vom 23. Januar 2013 – L 4 KR 17/10 – juris). Insoweit bedurfte es auch keiner Beiladung des Sozialhilfeträgers, zumal kein Anspruch auf rückwirkende Kostenerstattung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) besteht (vgl. nochmals Urteile des Senats vom 16. April 2015 – L 6 KR 49/14 – und 23. Januar 2013 – L 4 KR 17/10 – a.a.O.). Überdies ist Sozialhilfe ungeachtet ihrer Nachrangigkeit (§ 2 Abs. 1 SGB XII) und der im Wesentlichen unter Verweisung auf das SGB V erfolgenden Leistungserbringung jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Betroffene – wie vorliegend – die Fahrten selbst organisiert und die Kosten getragen hat (vgl. nochmals Senatsurteil vom 17. Dezember 2015 – L 6 KR 31/12 – s.o.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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