L 3 R 230/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 818/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 230/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 117/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht im dritten Überprüfungsverfahren gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) erneut einen Anspruch auf Gewährung von Rente an geschiedene Ehegatten gemäß § 243 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (Gesetzliche Renten-versicherung - SGB VI) geltend.

Die am ... 1937 geborene Klägerin war seit dem ... 1960 mit dem am ... 1913 geborenen und am ... 1992 verstorbenen J. Z. (im Folgenden: Versicherter) verheiratet. Aus der Ehe ging der am ... 1960 geborene H. Z. (im Folgenden: Sohn) hervor. Die Ehe wurde durch das - selbst nicht aktenkundige - Urteil des Landgerichts B. vom ... 1966 ( ... R .../ ...) aus Alleinschuld der Klägerin geschieden. Dies ergibt sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts B. vom ...1966 ( ... X .../ ...). In diesem Beschluss übertrug das Amtsgericht der Klägerin gemäß § 1671 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die elterliche Gewalt für den gemeinsamen Sohn. Dies entsprach den Anträgen der Klägerin und des Versicherten. In dem Beschluss wurde ausgeführt: "Nach den Ermittlungen des Jugendamtes wird das Kind von der Mutter, obwohl sie berufstätig ist, gut versorgt. Außerdem ist der Vater selbst der Überzeugung, dass die Mutter das Kind gut erziehen und betreuen wird. Es liegen daher schwerwiegende Gründe im Sinne des § 1671 BGB vor, ausnahmsweise dem schuldigen Elternteil die elterliche Gewalt zu übertragen."

Am 15. Mai 1992 beantragte die Klägerin erstmals Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen geschiedenen Ehemannes. In diesem Zusammenhang forderte die Beklagte die Klägerin insbesondere auf, das Scheidungs- bzw. Unterhaltsurteil vorzulegen. Nachfolgend übersandte diese jedoch lediglich den o.g. Beschluss des Amtsgerichts B. vom ...1966. Den Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 1993 ab. Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht D. mit Urteil vom ...1995 ab. Die dagegen erhobene Berufung war erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom ...1996). Das dortige LSG führte aus, das Sozialgericht habe mit überzeugender Begründung herausgestellt, dass der Versicherte der Klägerin nicht zum Unterhalt verpflichtet gewesen sei und er ihr im maßgeblichen Zeitraum auch tatsächlich keinen Unterhalt in rechtlich relevanter Höhe gezahlt habe. Ergänzend wies das LSG darauf hin, dass sich die Klägerin insbesondere nicht erfolgreich auf die Zeugenaussagen ihres Sohnes und der Eheleute K. berufen könne. Daraus lasse sich nämlich keineswegs herleiten, dass ihr der Versicherte regelmäßig monatlich 150,00 DM bis 200,00 DM an Unterhalt geleistet habe. Denn der Sohn habe ausdrücklich erklärt, dass er sich nicht an die Höhe der vom Vater an seine Mutter übergebenen Geldbeträge erinnern könne und nur vom Hörensagen wisse, dass die Geldübergaben wohl regelmäßig erfolgt seien. Und die Zeugen K. hätten lediglich bestätigt, dass der Versicherte der Klägerin Geld gegeben habe; über die Höhe, die Anzahl und die Zweckbestimmung dieser Geldzuwendungen hätten sie jedoch ebenfalls nichts sagen können. Darüber hinaus spreche gegen eine regelmäßige Unterhaltszahlung des Versicherten, dass er gemäß den übereinstimmenden Erklärungen der Klägerin und des Sohnes zur Zeit seines Todes überschuldet gewesen sei und monatliche Tilgungsraten von 300,00 DM bis 400,00 DM habe leisten müssen. Wenn er dann noch von seinem letzten Monatseinkommen in Höhe von 1.420,62 DM regelmäßig einen Unterhalt von monatlich 150,00 DM bis 200,00 DM gezahlt hätte, wären ihm nur ca. 850,00 DM bis 900,00 DM verblieben, wogegen die Klägerin nach ihren eigenen Angaben zu dieser Zeit über ein Monatseinkommen von ca. 1.000,00 DM verfügt habe. Schließlich lasse sich auch durch die von der Klägerin vorgelegten Quittungen nicht nachweisen, dass sie im maßgeblichen Zeitraum von April 1991 bis März 1992 regelmäßig und in rechtlich relevantem Umfang Unterhalt von dem Versicherten erhalten habe. Denn danach seien in dieser Zeit lediglich 200,00 DM im November 1991 und weitere 200,00 DM im Februar 1992 an sie geleistet worden. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Am 10. Dezember 2002 sprach die Klägerin bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Ba. vor. Diese Vorsprache wertete die Beklagte als Antrag auf Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 2. Oktober 1992. Mit Bescheid vom 24. Januar 2003 lehnte sie den so ausgelegten Antrag mit der Begründung ab, die Überprüfung habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Am 22. März 2010 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2010 ab und führte zur Begründung aus, die Rente nach § 243 SGB VI habe Unterhaltsersatzfunktion. Sie solle die durch den Tod des Versicherten weggefallene Unterhaltszahlung oder Unterhaltsverpflichtung ersetzen. Voraussetzung für die Zahlung der Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten sei folglich, dass der geschiedene Ehegatte entweder im letzten Jahr vor dem Tod Unterhalt vom verstorbenen Versicherten erhalten oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten einen Anspruch auf Unterhalt gehabt habe. Im vorliegenden Fall habe ein Anspruch auf Unterhaltszahlung aus dem EheG nicht bestanden. Im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten sei auch kein Unterhalt im Sinne des § 243 SGB VI gezahlt worden. Die Ausführungen der Klägerin seien bereits Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens in den 90er Jahren gewesen und führten zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

Dagegen erhob die Klägerin am ...2010 Klage beim Sozialgericht Halle (S ... R .../ ...), das diese mit Urteil vom ...2013 abwies. Die dagegen beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegte Berufung (L ... R .../ ...) nahm die Klägerin am ...2014 zurück.

Während des laufenden Klageverfahrens S ... R .../ ... beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 27. November 2012 erneut die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen geschiedenen Ehegatten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Januar 2013 ab. Dagegen legte die Klägerin am 20. Februar 2013 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dem Scheidungsurteil des Landgerichts B. vom ... 1966, durch das ihre Ehe mit dem Versicherten aus ihrem alleinigen Verschulden geschieden worden sei, habe ein Sachvortrag zugrunde gelegen, der in Absprache zwischen dem Versicherten und ihr zur Erleichterung des Scheidungsverfahrens erfolgt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Überprüfung des Bescheides vom 2. Oktober 1992 habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Frage des Unterhaltsanspruchs sei bereits Gegenstand des vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahrens gewesen. Eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage ergebe sich nicht. Auch ohne Unterhaltszahlung bzw. Unterhaltsanspruch bestehe nach § 243 Abs. 3 SGB VI Anspruch auf Witwenrente für die frühere Ehefrau, wenn ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe oder einen Lebenspartner des Versicherten nicht bestehe und für die frühere Ehefrau ein Unterhaltsanspruch wegen eigener Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht bestanden habe. Die Regelung des § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI verlange, dass ein Unterhaltsanspruch allein wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit des Mannes und/oder wegen des Einkommens der Frau aus einer Tätigkeit nicht bestanden habe. Die Voraussetzungen für eine Witwenrente lägen folglich nicht vor, wenn ein Unterhaltsanspruch bereits aus anderen Gründen (z.B. einem Unterhaltsverzicht) nicht gegeben gewesen sei. Ein Anspruch auf Unterhaltszahlung aus dem Ehegesetz (EheG) bestehe hier nicht. Nach § 58 EheG habe der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Ehemann der geschiedenen Frau Unterhalt zu gewähren. Gemäß § 60 EheG komme ein Unterhaltsanspruch in Betracht, wenn beide Ehegatten an der Scheidung schuld seien und gemäß § 61 EheG, wenn das Urteil keinen Schuldausspruch enthalte. Keine dieser Voraussetzungen sei hier erfüllt, denn die Ehe sei aus Alleinschuld der Klägerin geschieden worden. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum so genannten deklaratorischen Unterhaltsverzicht ergebe sich nichts, was die Folgen dieses rechtskräftigen Scheidungsurteils beseitigen könnte. Die Voraussetzungen des § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI lägen somit nicht vor. Damit scheide auch ein Anspruch auf Witwenrente für Geschiedene nach § 243 Abs. 3 SGB VI aus, da die dortigen Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssten. Sie, die Beklagte, sei bei der Anwendung des § 243 SGB VI an den Schuldspruch im Scheidungsverfahren gebunden (BSG, Urteil vom 24. November 1960 - 10 RV 351/58 -).

Dagegen hat die Klägerin am 1. Oktober 2013 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben (S 8 R 818/13) und vorgetragen, sie habe ab Vollendung ihres 60. Lebensjahres einen Anspruch auf die Bewilligung einer großen Witwenrente unter den erleichterten Bedingungen gemäß § 243 Abs. 3 SGB VI. Der Anspruch auf diese Rente bestehe nach dieser Vorschrift u.a. auch für geschiedene Ehegatten, die einen Unterhaltsanspruch wegen eines Arbeitsentgelts oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht gehabt hätten, im Zeitpunkt der Scheidung ein eigenes Kind bzw. ein Kind des Versicherten erzogen und das 60. Lebensjahr vollendet hätten. Diese Anspruchsvoraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Das Fehlen des Unterhaltsanspruchs gemäß § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI sei im Wesentlichen eine Folge der Absprache zwischen ihr und dem Versicherten. Sie - die Klägerin - habe über ein Monatseinkommen von ca. 1.000,00 DM verfügt. Der Versicherte hingegen sei überschuldet und nicht in der Lage gewesen, ihr Unterhalt zu gewähren. In den letzten Jahren vor dem Tode des Versicherten sei ihr Unterhaltsanspruch damit faktisch an eigenem Arbeitseinkommen bzw. der wirtschaftlichen Unfähigkeit des Versicherten gescheitert. Es komme gegebenenfalls die Rechtsprechung des BSG zur "leeren Hülse" des Unterhaltsverzichts zum Tragen (Urteil vom 19. Januar 1989 - 4 RA 16/88 -).

Mit Gerichtsbescheid vom 6. Mai 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Überprüfungsbescheid vom 21. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2013 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin sei § 44 Abs. 1 SGB X. Dessen Voraussetzungen seien aber nicht erfüllt. Der eine Hinterbliebenenrente ablehnende Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 1992 sei rechtmäßig. Die Beklagte habe weder das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Gemäß § 243 Abs. 1 SGB VI in der ab dem 1. Januar 1992 geltenden Fassung bestehe für geschiedene Ehegatten ein Anspruch auf kleine Witwenrente ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate, wenn deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden sei, sie nicht wieder geheiratet hätten und sie im letzten Jahr vor dem Tod des geschiedenen Ehegatten (Versicherten) Unterhalt von diesem erhalten oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf gehabt hätten, wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt gehabt habe und nach dem 30. April 1942 verstorben sei. Nach § 243 Abs. 2 SGB VI in der ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung bestehe für geschiedene Ehegatten Anspruch auf große Witwenrente unter der weiteren Voraussetzung, dass sie entweder ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erzögen (§ 46 Abs. 2 SGB VI) oder das 45. Lebensjahr vollendet hätten oder erwerbs- oder berufsunfähig seien. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Der Anspruch auf kleine oder große Witwenrente scheitere daran, dass die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten weder Unterhalt von diesem erhalten habe noch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf gehabt hätte (§ 243 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 SGB VI). Die Klägerin könne sich nicht auf eine Verpflichtung des Versicherten zum Unterhalt berufen. Ob ein Unterhaltsanspruch bestehe, beurteile sich nach den Vorschriften des mit Ablauf des 30. Juni 1977 außer Kraft getretenen EheG. Die Vorschriften des EheG über die Scheidung der Ehe und die Folgen der Scheidung seien noch anwendbar, weil die Ehe vor dem Inkrafttreten des ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 am 1. Juli 1977 durch Urteil vom 11. März 1966 geschieden worden sei. Nach den Vorschriften des EheG komme ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten nicht in Betracht. Hier sei die Ehe aus dem Verschulden der Klägerin geschieden worden. § 58 Abs. 1 EheG bestimme, dass der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren habe, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichten. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus den Ausführungen der Klägerin, die Ehe sei tatsächlich aus dem alleinigen Verschulden des verstorbenen Ehemannes geschieden worden und sie habe nur deshalb die Alleinschuld auf sich genommen, weil er sonst einer Scheidung nicht zugestimmt hätte. Die Versicherungsträger und die Gerichte seien bei Anwendung des § 243 SGB VI an den Schuldspruch im Scheidungsurteil gebunden (BSG, Urteil vom 24. November 1960 - 10 RV 351/58 -).

Weiterhin fehle es an der Voraussetzung des § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI, die kumulativ neben den Nrn. 2 und 3 erfüllt sein müsse. Danach dürfe der Unterhaltsanspruch nur deswegen nicht bestanden haben, weil der Versicherte angesichts seiner Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse nicht unterhaltsfähig und/oder die frühere Ehefrau wegen ihrer Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit nicht unterhaltsbedürftig gewesen sei. Habe die Unterhaltspflicht des Versicherten aus anderen Gründen gefehlt, könne § 243 Abs. 3 SGB VI keinen Rentenanspruch begründen (BSG, Urteil vom 22. Juli 1992 - 13 RJ 17/91 -). Da der Versicherte hier der Klägerin schon deswegen keinen Unterhalt zu gewähren gehabt habe, weil die Ehe aus dem Verschulden der Klägerin geschieden worden sei, könne die Klägerin einen Rentenanspruch aus § 243 Abs. 3 SGB VI nicht herleiten. Daher sei unbeachtlich, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung ein Kind des Versicherten erzogen habe. Unerheblich sei auch, ob sie zum Zeitpunkt der Scheidung ernstlich und dauerhaft krank gewesen sei.

Gegen den ihr am 11. Mai 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 9. Juni 2015 Berufung beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegt. In der am 30. Mai 2016 vorgelegten Berufungsbegründung hat sie die Auffassung vertreten, die Beklagte und das Gericht seien vorliegend ausnahmsweise nicht an das Scheidungsurteil gebunden, da das Urteil gemäß § 826 BGB durch den Versicherten sittenwidrig herbeigeführt worden sei (vgl. hierzu Bayerisches LSG, Urteil vom 22. Juli 2010 - L 6 R 728/08 -; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Januar 2007 - L 2 B 20/06 KN -). Ihr Sohn habe folgenden Sachverhalt bekundet: Der Versicherte, sein Vater, habe ihm gegenüber in mehreren persönlichen Gesprächen mitgeteilt, ihre - der Klägerin - Bereitschaft, im Scheidungsverfahren die Alleinschuld auf sich zu nehmen, durch die Drohung herbeigeführt zu haben, ansonsten in dem die elterliche Gewalt für ihn gemäß § 1671 BGB a.F. betreffenden gerichtlichen Verfahren auf eine bei ihr bestehende psychische Erkrankung hinzuweisen und so zu vereiteln, dass ihr das Sorgerecht für ihn, ihren Sohn, zugesprochen werde. Sie, die Klägerin, habe sich im Zeitraum von 1960 bis 1964 mit mehreren Unterbrechungen insgesamt über fast ein Jahr in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden. Die durch ihren Sohn berichteten Tatsachen legten nahe, dass der Versicherte im Rahmen des Scheidungsverfahrens die Übernahme der Alleinschuld und somit den faktischen Unterhaltsverzicht durch sie, die Klägerin, durch Druckausübung im Sinne des § 826 BGB herbeigeführt habe. Zum Zeitpunkt der Scheidung (11. März 1966) sei ihre seelische Gesundheit wiederhergestellt und die psychiatrische Behandlung bereits geraume Zeit abgeschlossen gewesen. Eine ordnungsgemäße gute Versorgung des damals sechsjährigen Sohnes sei durch sie tatsächlich gewährleistet gewesen. Die entsprechende Feststellung des Jugendamtes sei zutreffend gewesen. Das Jugendamt habe keinen Anlass zu weitergehenden Ermittlungen gehabt. In Rahmen eines Sorgerechtsstreits wäre der Hinweis auf eine zurückliegende psychische Erkrankung geeignet gewesen, schwere Bedenken gegen ihre Fähigkeit, das Sorgerecht auszuüben, auszulösen. Sie habe das alleinige Sorgerecht für ihren einzigen, über alles geliebten Sohn nicht durch das "Waschen schmutzige Wäsche" (nämlich Erörterungen und Ermittlungen bezüglich ihrer psychischen Gesundheit) gefährden wollen, was der Versicherte, wie ihr Sohn berichtet habe, gewusst habe.

Da das Scheidungsurteil erschlichen worden sei, sei sie - die Klägerin - so zu stellen, als wäre nie eine Scheidung vollzogen worden. Grundlage für den Unterhaltsanspruch bilde der Schuldausspruch, der in der Urteilsformel enthalten sei. Der Schuldausspruch des Scheidungsurteils unterliege nicht der Nachprüfung im Unterhaltsrechtsstreit. Anders verhalte es sich dagegen im Fall eines nicht im beiderseitigen Einvernehmen, nur von einem Ehegatten erschlichenen, Scheidungsurteil. Habe der Unterhaltspflichtige das Urteil erschlichen, so könne der andere Ehegatte nach ständiger Rechtsprechung aufgrund des ihm nach § 826 BGB zustehenden Schadenersatzanspruchs Unterhalt fordern, und zwar - da er verlangen könne, so gestellt zu werden, als ob die Ehe fortbestünde - nicht nach § 58 EheG, sondern nach den §§ 1360, 1361 BGB. Wenn der Unterhaltspflichtige nur den Schuldausspruch erschlichen habe, könne der andere Ehegatte verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne den erschlichenen Schuldausspruch stehen würde. Habe der Ehegatte, der den Unterhalt begehre, das Urteil oder wenigstens den Schuldausspruch erschlichen, so stehe seiner Forderung die Einrede der Arglist entgegen.

Die Klägerin beantragt wörtlich,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 6. Mai 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 21. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2013 sowie des Bescheides vom 2. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 1993 zu verurteilen, ihr eine Hinterbliebenenrente nach dem früheren Ehegatten J. Z. nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Einem Anspruch auf Witwenrente nach § 243 SGB VI stehe nach wie vor entgegen, dass nach dem rechtskräftigen Scheidungsurteil vom 11. März 1966 die Klägerin schuld an der Scheidung gewesen sei, ein Unterhaltsanspruch nach dem EheG deshalb nicht bestanden habe und auch kein tatsächlicher Unterhalt geleistet worden sei. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Ehemann das Scheidungsurteil im Sinne des § 826 BGB in sittenwidriger Weise erschlichen habe, sehe sie - die Beklagte - nicht. Nach den von der Klägerin zitierten Entscheidungen des Bayerischen LSG und des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen sei eine solche Durchbrechung der Rechtskraft zwar möglich, müsse aber auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Für die Annahme eines solchen besonders schwerwiegenden Falles reiche der Vortrag nicht annähernd aus.

Die Klägerin ist ergebnislos aufgefordert worden, eine Kopie des Scheidungsurteils vom 11. März 1966 vorzulegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (zwei Bände) sowie auf die Gerichtsakten nebst beigezogener Gerichtsakte des abgeschlossenen Verfahrens S ... R ... (LSG: L ... R ...) verwiesen. Diese Akten haben bei der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Das Sozialgericht hat zu Recht unter Heranziehung der zutreffenden Rechtsgrundlage des § 243 SGB VI entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten hat. Der Senat verweist zwecks Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Gerichtsbescheid vom 6. Mai 2015 und macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu Eigen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass erst im vorliegenden Verfahren - ca. 50 Jahre nach dem Scheidungsurteil und ca. 25 Jahre nach dem Tod des Versicherten - erstmalig von Gesprächsinhalten berichtet wird, die - ihre Wahrheit unterstellt - allein die Sichtweise der Klägerin wiedergeben. Es kann damit dahinstehen, dass das Vorbringen der Klä-gerin im Laufe der Antrags- und Überprüfungsverfahren mehrfach erheblich geändert wurde und der aktuelle Vortrag zu der Regelung in § 1671 Abs. 3 Satz 2 BGB in der Fassung des Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957, BGBl. I, S. 609) in Widerspruch steht. Die behaupteten Drohungen des Versicherten, auf eine bestehende psychische Erkrankung der Klägerin hinzuweisen, stellen zudem keinen sittenwidrigen Druck dar. Denn dies allein hätte noch nicht ausgereicht, der Klägerin die elterliche Gewalt über ihren Sohn vorzuenthalten. Vielmehr wäre das damals zuständige Amtsgericht B. gehalten gewesen, den Sachverhalt insoweit aufzuklären. Hätte sich daraus ergeben, dass es wegen der damaligen psychischen Konstitution der Klägerin tatsächlich nicht verantwortbar gewesen wäre, dieser die elterliche Gewalt zu übertragen, hätte das Gericht diese Übertragung auch nicht aussprechen dürfen. Außerdem kann allein aus der Erwartung eines streitigen und gegebenenfalls langwierigen Scheidungsverfahrens nicht geschlossen werden, dass auf die Klägerin sittenwidriger Druck ausgeübt worden ist. Ein besonders schwerwiegender Fall im Sinne der von der Klägerin zitierten Entscheidungen des Bayerischen LSG und des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen liegt selbst dann nicht vor, wenn ihre Behauptungen und die ihres Sohnes als zutreffend zu unterstellen wären. Deshalb war eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Vernehmung des Sohnes der Klägerin, dem im Verfahren eine Prozessvollmacht erteilt worden ist, als Zeugen nicht angezeigt, zumal die Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats am 14. März 2019 keinen förmlichen Beweisantrag zu Protokoll erklärt, sondern sich auf den Sachantrag beschränkt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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