Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 11 AS 1386/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 538/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 4. September 2020 wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 5. Mai 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. Juli 2020 wird angeordnet.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Der Antrag der Antragstellerin auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt.
Die 1977 geborene Antragstellerin bezieht laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) vom Antragsgegner. Dieser hatte zuletzt unter dem 3. Mai 2019 einen Eingliederungsverwaltungsakt gegenüber der Antragstellerin erlassen.
Am 23. März 2020 erstellte eine Vertragsärztin der Agentur für Arbeit Halle eine sozialmedizinische gutachterliche Stellungnahme zum Leistungsbild der Antragstellerin. Danach war die Antragstellerin für voraussichtlich bis zu sechs Monate nur in einem Umfang von täglich weniger als drei Stunden (wöchentlich unter 15 Stunden) leistungsfähig. Die Gutachterin stützte sich auf eine symptombezogene Untersuchung der Antragstellerin, ein Vorgutachten mit Vorbefunden sowie zwei fachspezifische Fremdbefunde. Sie führte aus, es sei zu erwarten, dass durch medizinische Behandlungsmaßnahmen eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes erreicht werde. Sie empfehle einen "zeitnahen Kontakt ins Fachgebiet Psychiatrie zu einer konsequenten Diagnostik und notwendigen Therapie". Sie selbst habe bei der Antragstellerin keine Behandlungseinsicht erzeugen können. Abschießend heißt es in dem Gutachten: "In diesem Zustand ist die Kundin so nicht vermittelbar."
Aus Anlass dieses Gutachtens fand am 6. April 2020 ein längeres – wegen der Coronavirus-Pandemie: telefonisches – Gespräch zwischen einer Mitarbeiterin des Antragsgegners und der Antragstellerin statt. Dabei wurde auch der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung besprochen. Einen daraufhin vom Antragsgegner übersandten Entwurf einer solchen Vereinbarung unterschrieb die Antragstellerin jedoch nicht. In der Folgezeit blieben mehrere Versuche des Antragsgegners, die Antragstellerin aufgrund eines von ihr geäußerten Rückrufwunsches telefonisch zu erreichen, erfolglos (29. April, 30. April, 5. Mai 2020).
Unter dem 5. Mai 2020 erließ der Antragsgegner einen Eingliederungsverwaltungsakt. Dieser sollte bis auf Weiteres gelten, wobei eine regelmäßige, spätestens nach Ablauf von sechs Monaten erfolgende Überprüfung und ggf. Fortschreibung vorgesehen war. Eine solche sollte insbesondere bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse erfolgen. Als Ziel des Eingliederungsverwaltungsaktes wurde unter Ziffer 3 die "Klärung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit" der Antragstellerin genannt. Unter Ziffer 4 ("Unterstützung durch das Jobcenter") war neben der Beratung der Antragstellerin in persönlichen Gesprächen und der Klärung möglicher Anliegen die erneute Einschaltung des Fachdienstes im September 2020 zur Abklärung der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin genannt. Unter Ziffer 5 sah der Bescheid Folgendes vor:
5. Zur Integration in Arbeit
- der Ärztliche Dienst empfiehlt im Gutachten vom 23.03.2020, eine zeitnahe Kontaktaufnahme zum Fachbereich Psychiatrie, zu einer konsequenten Diagnostik und notwendigen Therapie
- Ich nehme Termine zu Beratungsgesprächen auch beim Ärztlichen Dienst, entsprechend der Einladungen nach 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III wahr. Falls ich an dem schriftlich mitgeteilten Tag oder Zeitpunkt verhindert bin, unterrichte ich unverzüglich das Jobcenter Halle und begründe die Nichtwahrnehmung des Termins.
- Ich teile alle vermittlungsrelevanten Veränderungen der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse mit.
Über das Eintreten von Sanktionen in Folge der Verletzung meiner Melde- und Mitwirkungspflichten wurde ich informiert.
Weitere Punkte des Bescheids betrafen die Genehmigungsbedürftigkeit von Ortsabwesenheiten (Ziffer 6: "Ortsabwesenheit muss genehmigt werden") und die Abgabe von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Ziffer 7). Unter Ziffer 10 wurde über die Rechtsfolgen der Verletzung von Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt belehrt.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Widerspruch ein und führte aus, sie komme ihren Melde- und Mitwirkungspflichten stets nach; die Möglichkeit einer Sanktionierung verursache bei ihr aber ein rheumatisches Beschwerdebild, das psychosomatisch bedingt sei. Sie verwies auf ein Schreiben der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. U. W. vom 22. April 2020, wonach sie unter Anpassungsstörungen (F43.2 G) und chronischen Schmerzstörungen mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41 G) litt. Die Ärztin führte u.a. aus, dass sie eine ambulante Psychotherapie aktuell für nicht indiziert halte.
Im Widerspruchsverfahren erließ der Antragsgegner unter dem 24. Juli 2020 einen neuen Eingliederungsverwaltungsakt, mit dem der Bescheid vom 5. Mai 2020 fortgeschrieben werden sollte. Der neue Bescheid entsprach inhaltlich weitestgehend dem vom 5. Mai 2020, allerdings verzichtete der Antragsgegner unter Ziffer 5 auf den bisherigen zweiten Spiegelstrich (Wahrnehmung von Beratungsgesprächen). Im Übrigen wies der Antragsgegner den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2020 als unbegründet zurück.
Die Antragstellerin hat am 25. August 2020 beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben (S 11 AS 1387/20) und einen "Antrag auf einstweilige Anordnung" gestellt. Die Klage hat sie insbesondere damit begründet, dass das Drohen einer Sanktionierung ihr psychosomatisch bedingtes rheumatisches Beschwerdebild verschlechtere. Insoweit hat sie sich auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2, 3 und 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) berufen. Im Eilverfahren hat sie auf dieses Klagevorbringen Bezug genommen. Weiter hat sie ausgeführt, mit dem Eingliederungsverwaltungsakt könne ihre Erwerbsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden. Ergänzend hat sie auf ein weiteres Klageverfahren (S 11 AS 1829/19) verwiesen, das den Eingliederungsverwaltungsakt vom 3. Mai 2019 betrifft.
Mit Beschluss vom 4. September 2020 hat das SG den "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung [ ] abgelehnt". Ein solcher Antrag sei bereits unzulässig. Richtigerweise, so das SG, hätte die Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs begehren müssen. Allerdings bestünden nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Durch dessen Vollziehung entstehe auch keine unbillige Härte für die Antragstellerin. Deshalb überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse. Die von der Antragstellerin verlangte Bemühung, sich um eine medizinische Behandlung zu kümmern, liege an der unteren Zumutbarkeitsgrenze und sei auch gemessen an Art. 2 GG nicht zu beanstanden. Der Beschluss ist der Antragstellerin am 10. September 2020 zugestellt worden.
Mit ihrer am 7. Oktober 2020 erhobenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Für das Beschwerdeverfahren hat sie Prozesskostenhilfe beantragt. Sie hat u.a. einen Arztbrief von Dr. W. vom 11. September 2019, ein Schreiben des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. M. M. vom 22. Januar 2020 und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt.
Der Antragsgegner verweist darauf, dass als Ziel des Eingliederungsverwaltungsaktes die Klärung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit festgelegt sei. Dies sei für die Antragstellerin ein tatsächlich erreichbares Ziel.
Der Berichterstatter hat den Antragsgegner darauf hingewiesen, dass den Ausführungen zur Kontaktaufnahme zum Fachbereich Psychiatrie unter Ziffer 5 des Eingliederungsverwaltungsaktes wohl keine konkrete Verpflichtung der Antragstellerin zu entnehmen sei, und dass sich deshalb die Frage stelle, worauf sich die Rechtsfolgenbelehrung des Bescheides beziehe.
Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 5. Mai 2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. Juli 2020 (S 11 AS 1387/20) hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 20. Oktober 2020 abgewiesen.
Der Senat hat die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Antragsgegners einschließlich der Gesprächsvermerke seit Januar 2020 beigezogen, außerdem die Prozessakten S 11 AS 1829/19 und S 11 AS 1387/20 des SG Halle.
II.
1. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Das Begehren der Antragstellerin ist bei der nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebotenen Auslegung gerichtet auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs und ihrer Anfechtungsklage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 5. Mai 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. Juli 2020. Den darauf gerichteten Antrag hat das SG zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den hier im Streit stehenden Eingliederungsverwaltungsakt haben gemäß § 39 Nr. 1 SGB II kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung. Es liegen jedoch die Voraussetzungen für eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung vor.
Bei der Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat das Gericht das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids gegen das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Es sind zuvörderst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen Rechten verletzt, wird die Vollziehung in aller Regel ausgesetzt, weil dann kein überwiegendes öffentliches Interesse an ihr besteht. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, überwiegt in den Fällen eines gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs i.d.R. das Vollzugsinteresse, wenn nicht besondere Umstände vorgetragen oder ersichtlich sind, die dafür sprechen, im konkreten Fall ausnahmsweise von der gesetzgeberischen Grundentscheidung abzuweichen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 10. Oktober 2003 – 1 BvR 2025/03 –, NVwZ 2004, 93). Sind die Erfolgsaussichten nicht absehbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung (siehe dazu den Beschluss des Senats vom 15. Mai 2019 – L 2 AS 125/19 B ER –, juris Rn. 59).
Der Bescheid vom 5. Mai 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. Juli 2020 ist offensichtlich rechtswidrig. An seiner sofortigen Vollziehung besteht kein berechtigtes öffentliches Interesse.
Der Bescheid beruht auf § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person unter Berücksichtigung der Feststellungen der Potenzialanalyse die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Soweit eine solche Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt, sieht § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II vor, die Regelungen durch Verwaltungsakt zu treffen.
Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist (dazu unter a)) und ob der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes schon entgegensteht, dass sein Ziel die "Klärung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit" der Antragstellerin sein soll (dazu unter b)). Jedenfalls ist er rechtswidrig, weil er sich in der Wiedergabe allgemeiner Vorgaben erschöpft und keinerlei Regelungen zur Eingliederung der Antragstellerin in Arbeit enthält (dazu unter c)).
a) Es spricht vieles dafür, dass die Antragstellerin eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist. Zum einen entspricht dies den Feststellungen des ärztlichen Gutachtens vom 23. März 2020, das von einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit nur für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten ausgeht. Zum anderen dürfte es unabhängig davon ausreichen, dass die Antragstellerin jedenfalls nach § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II als erwerbsfähig gilt. Zwar wird z.T. die Auffassung vertreten, bei Zweifeln über die Erwerbsfähigkeit seien diese zu klären, bevor eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden dürfe (vgl. Fuchsloch, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 15 SGB II Rn. 34 (Stand: Juni 2006); ähnl. Hessisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 17. Oktober 2008 – L 7 AS 251/08 B ER –, juris Rn. 58). Dagegen spricht jedoch, dass Arbeitsuchende, deren Erwerbsfähigkeit zweifelhaft ist, gem. § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II bis zum Abschluss des dort zur Klärung dieser Frage vorgesehenen Verfahrens "Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende" erhalten. Das umfasst auch die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem ersten Abschnitt des dritten Kapitels (vgl. Blüggel, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 44a Rn. 70; Korte, in: Münder, LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 44a Rn. 24). Folge des § 44 Abs. 1 Satz 7 SGB II ist gerade, dass bis zur verbindlichen Klärung die Erwerbsfähigkeit fingiert wird (vgl. Blüggel, a.a.O., Rn. 66 f.; Korte, a.a.O., Rn. 25). Letztlich bedarf dies hier aber keiner Entscheidung.
b) Es kann auch offenbleiben, ob der Eingliederungsverwaltungsakt schon deshalb rechtswidrig ist, weil er ausdrücklich der "Klärung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit" dienen soll. In Rechtsprechung und Literatur wird verbreitet die Auffassung vertreten, dass in eine Eingliederungsvereinbarung keine Verpflichtungen des Leistungsberechtigten aufgenommen werden dürfen, die dazu dienen, das Vorliegen seiner Erwerbsfähigkeit abzuklären (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. Juli 2007 – L 3 ER 175/07 AS –, juris Rn. 20; Hessisches LSG, a.a.O.; SG Freiburg, Beschluss vom 11. September 2015 – S 19 AS 4555/5 ER –, juris Rn. 18 ff.; Hammel, info also 2016, 214; Berlit, in: Münder, a.a.O., § 15 Rn. 33). Diese Frage kann vorliegend aber dahinstehen, weil der im Streit stehende Verwaltungsakt keine solchen Verpflichtungen enthält. Unter Ziffer 3 wird lediglich eine Zielsetzung formuliert, die mit keinen konkreten Pflichten einhergeht. Soweit unter Ziffer 5 aufgeführt wird, dass der Ärztliche Dienst in seinem Gutachten eine zeitnahe Kontaktaufnahme zum Fachbereich Psychiatrie zum Zwecke einer konsequenten Diagnostik und Therapie empfehle, ist dies nach der eindeutigen Formulierung eine bloße Mitteilung, die zudem lediglich eine Empfehlung wiedergibt. Eine Pflicht oder Obliegenheit wird dadurch erkennbar nicht begründet.
c) Der Verwaltungsakt ist aber jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil er keinerlei konkrete Regelungen trifft, die auf eine Eingliederung der Antragstellerin in Arbeit abzielen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person unter Berücksichtigung der Potenzialanalyse die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Bestimmt werden soll gem. Satz 2 der Regelung, welche Leistungen zur Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit nach dem ersten Abschnitt des dritten Kapitels des SGB II die leistungsberechtigte Person erhält (Nr. 1), welche Bemühungen sie in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen soll (Nr. 2) und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind (Nr. 3). Gem. Satz 3 kann die Eingliederungsvereinbarung insbesondere bestimmen, in welche Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche die leistungsberechtigte Person vermittelt werden soll.
Auch wenn dies in der seit 1. August 2016 geltenden Gesetzesfassung nicht mehr so deutlich wie zuvor zum Ausdruck kommt, ist der Katalog in § 15 Abs. 2 Satz 2 SGB II zwar nicht abschließend zu verstehen (vgl. Harich, in: BeckOK-SozR, § 15 SGB II Rn. 16 (Stand: 1. September 2020)). Die dort vorgesehenen Regelungsgegenstände sind aber die prägenden (und auch namensgebenden) Merkmale einer Eingliederungsvereinbarung bzw. eines Eingliederungsverwaltungsaktes (vgl. Berlit, in: Münder, a.a.O., § 15 Rn. 32; vgl. auch Kador, in: Eicher/Luik, a.a.O., § 15 Rn. 53). Das wird bestätigt durch die systematische Stellung des § 15 im ersten Abschnitt des dritten Kapitels des SGB II ("Leistungen zur Eingliederung in Arbeit"). Ein Eingliederungsverwaltungsakt, der sich in Vorgaben ohne konkreten Bezug zum Ziel der Eingliederung in Arbeit erschöpft, ist deshalb rechtswidrig (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Juli 2015 – L 9 AS 609/15 –, juris Rn. 25). So liegt es hier.
Nicht nur die ausdrücklich formulierte Zielsetzung des Verwaltungsaktes ("Klärung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit", also gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II einer allgemeinen Leistungsvoraussetzung), sondern auch sämtliche Einzelregelungen weisen keinerlei konkreten Bezug zur Eingliederung der Antragstellerin in Arbeit auf. Neben der Ankündigung, die Leistungsvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit im September 2020 erneut zu prüfen, und der Empfehlung, den Fachbereich Psychiatrie zu kontaktieren, finden sich lediglich allgemeine Leistungen und Pflichten im Zusammenhang mit dem Leistungsverhältnis. Diese weisen zum einen keinen spezifischen Bezug zur Eingliederung in Arbeit auf und gehen zum anderen kaum über das hinaus, was sich ohnehin aus dem Gesetz ergibt. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, worauf sich die Sanktionsdrohung in der Rechtsfolgenbelehrung konkret beziehen und wodurch diese gerechtfertigt sein soll.
Der Bescheid ist auch nicht etwa deshalb rechtmäßig, weil der Antragsgegner zum Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes verpflichtet gewesen wäre und eingliederungsspezifische Regelungen wegen des Leistungsbildes der Antragstellerin nicht in Betracht kamen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 "soll" eine Eingliederungsvereinbarung getroffen werden; nach Absatz 3 Satz 3 "sollen" die Regelungen ggf. durch Verwaltungsakt getroffen werden. Damit besteht in atypischen Fällen die Möglichkeit, davon abzusehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 26; Berlit, a.a.O., Rn. 24). Nichts anderes ergibt sich aus § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach die dort konkretisierten Meldepflichten im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in eine Eingliederungsvereinbarung oder einen Eingliederungsverwaltungsakt aufgenommen werden sollen. Abgesehen kann von einer solchen Vereinbarung bzw. einem solchen Verwaltungsakt insbesondere dann, wenn aktuell weder eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt noch darauf abzielende Eingliederungsleistungen und Eigenbemühungen in Betracht kommen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
3. Angesichts der nicht anfechtbaren Kostengrundentscheidung zugunsten der Antragstellerin besteht für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe kein Bedürfnis. Im Übrigen liegen keine vollständigen Antragsunterlagen vor.
4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Der Antrag der Antragstellerin auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt.
Die 1977 geborene Antragstellerin bezieht laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) vom Antragsgegner. Dieser hatte zuletzt unter dem 3. Mai 2019 einen Eingliederungsverwaltungsakt gegenüber der Antragstellerin erlassen.
Am 23. März 2020 erstellte eine Vertragsärztin der Agentur für Arbeit Halle eine sozialmedizinische gutachterliche Stellungnahme zum Leistungsbild der Antragstellerin. Danach war die Antragstellerin für voraussichtlich bis zu sechs Monate nur in einem Umfang von täglich weniger als drei Stunden (wöchentlich unter 15 Stunden) leistungsfähig. Die Gutachterin stützte sich auf eine symptombezogene Untersuchung der Antragstellerin, ein Vorgutachten mit Vorbefunden sowie zwei fachspezifische Fremdbefunde. Sie führte aus, es sei zu erwarten, dass durch medizinische Behandlungsmaßnahmen eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes erreicht werde. Sie empfehle einen "zeitnahen Kontakt ins Fachgebiet Psychiatrie zu einer konsequenten Diagnostik und notwendigen Therapie". Sie selbst habe bei der Antragstellerin keine Behandlungseinsicht erzeugen können. Abschießend heißt es in dem Gutachten: "In diesem Zustand ist die Kundin so nicht vermittelbar."
Aus Anlass dieses Gutachtens fand am 6. April 2020 ein längeres – wegen der Coronavirus-Pandemie: telefonisches – Gespräch zwischen einer Mitarbeiterin des Antragsgegners und der Antragstellerin statt. Dabei wurde auch der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung besprochen. Einen daraufhin vom Antragsgegner übersandten Entwurf einer solchen Vereinbarung unterschrieb die Antragstellerin jedoch nicht. In der Folgezeit blieben mehrere Versuche des Antragsgegners, die Antragstellerin aufgrund eines von ihr geäußerten Rückrufwunsches telefonisch zu erreichen, erfolglos (29. April, 30. April, 5. Mai 2020).
Unter dem 5. Mai 2020 erließ der Antragsgegner einen Eingliederungsverwaltungsakt. Dieser sollte bis auf Weiteres gelten, wobei eine regelmäßige, spätestens nach Ablauf von sechs Monaten erfolgende Überprüfung und ggf. Fortschreibung vorgesehen war. Eine solche sollte insbesondere bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse erfolgen. Als Ziel des Eingliederungsverwaltungsaktes wurde unter Ziffer 3 die "Klärung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit" der Antragstellerin genannt. Unter Ziffer 4 ("Unterstützung durch das Jobcenter") war neben der Beratung der Antragstellerin in persönlichen Gesprächen und der Klärung möglicher Anliegen die erneute Einschaltung des Fachdienstes im September 2020 zur Abklärung der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin genannt. Unter Ziffer 5 sah der Bescheid Folgendes vor:
5. Zur Integration in Arbeit
- der Ärztliche Dienst empfiehlt im Gutachten vom 23.03.2020, eine zeitnahe Kontaktaufnahme zum Fachbereich Psychiatrie, zu einer konsequenten Diagnostik und notwendigen Therapie
- Ich nehme Termine zu Beratungsgesprächen auch beim Ärztlichen Dienst, entsprechend der Einladungen nach 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III wahr. Falls ich an dem schriftlich mitgeteilten Tag oder Zeitpunkt verhindert bin, unterrichte ich unverzüglich das Jobcenter Halle und begründe die Nichtwahrnehmung des Termins.
- Ich teile alle vermittlungsrelevanten Veränderungen der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse mit.
Über das Eintreten von Sanktionen in Folge der Verletzung meiner Melde- und Mitwirkungspflichten wurde ich informiert.
Weitere Punkte des Bescheids betrafen die Genehmigungsbedürftigkeit von Ortsabwesenheiten (Ziffer 6: "Ortsabwesenheit muss genehmigt werden") und die Abgabe von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Ziffer 7). Unter Ziffer 10 wurde über die Rechtsfolgen der Verletzung von Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt belehrt.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Widerspruch ein und führte aus, sie komme ihren Melde- und Mitwirkungspflichten stets nach; die Möglichkeit einer Sanktionierung verursache bei ihr aber ein rheumatisches Beschwerdebild, das psychosomatisch bedingt sei. Sie verwies auf ein Schreiben der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. U. W. vom 22. April 2020, wonach sie unter Anpassungsstörungen (F43.2 G) und chronischen Schmerzstörungen mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41 G) litt. Die Ärztin führte u.a. aus, dass sie eine ambulante Psychotherapie aktuell für nicht indiziert halte.
Im Widerspruchsverfahren erließ der Antragsgegner unter dem 24. Juli 2020 einen neuen Eingliederungsverwaltungsakt, mit dem der Bescheid vom 5. Mai 2020 fortgeschrieben werden sollte. Der neue Bescheid entsprach inhaltlich weitestgehend dem vom 5. Mai 2020, allerdings verzichtete der Antragsgegner unter Ziffer 5 auf den bisherigen zweiten Spiegelstrich (Wahrnehmung von Beratungsgesprächen). Im Übrigen wies der Antragsgegner den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2020 als unbegründet zurück.
Die Antragstellerin hat am 25. August 2020 beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben (S 11 AS 1387/20) und einen "Antrag auf einstweilige Anordnung" gestellt. Die Klage hat sie insbesondere damit begründet, dass das Drohen einer Sanktionierung ihr psychosomatisch bedingtes rheumatisches Beschwerdebild verschlechtere. Insoweit hat sie sich auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2, 3 und 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) berufen. Im Eilverfahren hat sie auf dieses Klagevorbringen Bezug genommen. Weiter hat sie ausgeführt, mit dem Eingliederungsverwaltungsakt könne ihre Erwerbsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden. Ergänzend hat sie auf ein weiteres Klageverfahren (S 11 AS 1829/19) verwiesen, das den Eingliederungsverwaltungsakt vom 3. Mai 2019 betrifft.
Mit Beschluss vom 4. September 2020 hat das SG den "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung [ ] abgelehnt". Ein solcher Antrag sei bereits unzulässig. Richtigerweise, so das SG, hätte die Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs begehren müssen. Allerdings bestünden nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Durch dessen Vollziehung entstehe auch keine unbillige Härte für die Antragstellerin. Deshalb überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse. Die von der Antragstellerin verlangte Bemühung, sich um eine medizinische Behandlung zu kümmern, liege an der unteren Zumutbarkeitsgrenze und sei auch gemessen an Art. 2 GG nicht zu beanstanden. Der Beschluss ist der Antragstellerin am 10. September 2020 zugestellt worden.
Mit ihrer am 7. Oktober 2020 erhobenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Für das Beschwerdeverfahren hat sie Prozesskostenhilfe beantragt. Sie hat u.a. einen Arztbrief von Dr. W. vom 11. September 2019, ein Schreiben des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. M. M. vom 22. Januar 2020 und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt.
Der Antragsgegner verweist darauf, dass als Ziel des Eingliederungsverwaltungsaktes die Klärung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit festgelegt sei. Dies sei für die Antragstellerin ein tatsächlich erreichbares Ziel.
Der Berichterstatter hat den Antragsgegner darauf hingewiesen, dass den Ausführungen zur Kontaktaufnahme zum Fachbereich Psychiatrie unter Ziffer 5 des Eingliederungsverwaltungsaktes wohl keine konkrete Verpflichtung der Antragstellerin zu entnehmen sei, und dass sich deshalb die Frage stelle, worauf sich die Rechtsfolgenbelehrung des Bescheides beziehe.
Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 5. Mai 2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. Juli 2020 (S 11 AS 1387/20) hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 20. Oktober 2020 abgewiesen.
Der Senat hat die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Antragsgegners einschließlich der Gesprächsvermerke seit Januar 2020 beigezogen, außerdem die Prozessakten S 11 AS 1829/19 und S 11 AS 1387/20 des SG Halle.
II.
1. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Das Begehren der Antragstellerin ist bei der nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebotenen Auslegung gerichtet auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs und ihrer Anfechtungsklage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 5. Mai 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. Juli 2020. Den darauf gerichteten Antrag hat das SG zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den hier im Streit stehenden Eingliederungsverwaltungsakt haben gemäß § 39 Nr. 1 SGB II kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung. Es liegen jedoch die Voraussetzungen für eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung vor.
Bei der Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat das Gericht das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids gegen das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Es sind zuvörderst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen Rechten verletzt, wird die Vollziehung in aller Regel ausgesetzt, weil dann kein überwiegendes öffentliches Interesse an ihr besteht. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, überwiegt in den Fällen eines gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs i.d.R. das Vollzugsinteresse, wenn nicht besondere Umstände vorgetragen oder ersichtlich sind, die dafür sprechen, im konkreten Fall ausnahmsweise von der gesetzgeberischen Grundentscheidung abzuweichen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 10. Oktober 2003 – 1 BvR 2025/03 –, NVwZ 2004, 93). Sind die Erfolgsaussichten nicht absehbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung (siehe dazu den Beschluss des Senats vom 15. Mai 2019 – L 2 AS 125/19 B ER –, juris Rn. 59).
Der Bescheid vom 5. Mai 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. Juli 2020 ist offensichtlich rechtswidrig. An seiner sofortigen Vollziehung besteht kein berechtigtes öffentliches Interesse.
Der Bescheid beruht auf § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person unter Berücksichtigung der Feststellungen der Potenzialanalyse die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Soweit eine solche Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt, sieht § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II vor, die Regelungen durch Verwaltungsakt zu treffen.
Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist (dazu unter a)) und ob der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes schon entgegensteht, dass sein Ziel die "Klärung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit" der Antragstellerin sein soll (dazu unter b)). Jedenfalls ist er rechtswidrig, weil er sich in der Wiedergabe allgemeiner Vorgaben erschöpft und keinerlei Regelungen zur Eingliederung der Antragstellerin in Arbeit enthält (dazu unter c)).
a) Es spricht vieles dafür, dass die Antragstellerin eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist. Zum einen entspricht dies den Feststellungen des ärztlichen Gutachtens vom 23. März 2020, das von einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit nur für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten ausgeht. Zum anderen dürfte es unabhängig davon ausreichen, dass die Antragstellerin jedenfalls nach § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II als erwerbsfähig gilt. Zwar wird z.T. die Auffassung vertreten, bei Zweifeln über die Erwerbsfähigkeit seien diese zu klären, bevor eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden dürfe (vgl. Fuchsloch, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 15 SGB II Rn. 34 (Stand: Juni 2006); ähnl. Hessisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 17. Oktober 2008 – L 7 AS 251/08 B ER –, juris Rn. 58). Dagegen spricht jedoch, dass Arbeitsuchende, deren Erwerbsfähigkeit zweifelhaft ist, gem. § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II bis zum Abschluss des dort zur Klärung dieser Frage vorgesehenen Verfahrens "Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende" erhalten. Das umfasst auch die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem ersten Abschnitt des dritten Kapitels (vgl. Blüggel, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 44a Rn. 70; Korte, in: Münder, LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 44a Rn. 24). Folge des § 44 Abs. 1 Satz 7 SGB II ist gerade, dass bis zur verbindlichen Klärung die Erwerbsfähigkeit fingiert wird (vgl. Blüggel, a.a.O., Rn. 66 f.; Korte, a.a.O., Rn. 25). Letztlich bedarf dies hier aber keiner Entscheidung.
b) Es kann auch offenbleiben, ob der Eingliederungsverwaltungsakt schon deshalb rechtswidrig ist, weil er ausdrücklich der "Klärung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit" dienen soll. In Rechtsprechung und Literatur wird verbreitet die Auffassung vertreten, dass in eine Eingliederungsvereinbarung keine Verpflichtungen des Leistungsberechtigten aufgenommen werden dürfen, die dazu dienen, das Vorliegen seiner Erwerbsfähigkeit abzuklären (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. Juli 2007 – L 3 ER 175/07 AS –, juris Rn. 20; Hessisches LSG, a.a.O.; SG Freiburg, Beschluss vom 11. September 2015 – S 19 AS 4555/5 ER –, juris Rn. 18 ff.; Hammel, info also 2016, 214; Berlit, in: Münder, a.a.O., § 15 Rn. 33). Diese Frage kann vorliegend aber dahinstehen, weil der im Streit stehende Verwaltungsakt keine solchen Verpflichtungen enthält. Unter Ziffer 3 wird lediglich eine Zielsetzung formuliert, die mit keinen konkreten Pflichten einhergeht. Soweit unter Ziffer 5 aufgeführt wird, dass der Ärztliche Dienst in seinem Gutachten eine zeitnahe Kontaktaufnahme zum Fachbereich Psychiatrie zum Zwecke einer konsequenten Diagnostik und Therapie empfehle, ist dies nach der eindeutigen Formulierung eine bloße Mitteilung, die zudem lediglich eine Empfehlung wiedergibt. Eine Pflicht oder Obliegenheit wird dadurch erkennbar nicht begründet.
c) Der Verwaltungsakt ist aber jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil er keinerlei konkrete Regelungen trifft, die auf eine Eingliederung der Antragstellerin in Arbeit abzielen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person unter Berücksichtigung der Potenzialanalyse die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Bestimmt werden soll gem. Satz 2 der Regelung, welche Leistungen zur Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit nach dem ersten Abschnitt des dritten Kapitels des SGB II die leistungsberechtigte Person erhält (Nr. 1), welche Bemühungen sie in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen soll (Nr. 2) und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind (Nr. 3). Gem. Satz 3 kann die Eingliederungsvereinbarung insbesondere bestimmen, in welche Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche die leistungsberechtigte Person vermittelt werden soll.
Auch wenn dies in der seit 1. August 2016 geltenden Gesetzesfassung nicht mehr so deutlich wie zuvor zum Ausdruck kommt, ist der Katalog in § 15 Abs. 2 Satz 2 SGB II zwar nicht abschließend zu verstehen (vgl. Harich, in: BeckOK-SozR, § 15 SGB II Rn. 16 (Stand: 1. September 2020)). Die dort vorgesehenen Regelungsgegenstände sind aber die prägenden (und auch namensgebenden) Merkmale einer Eingliederungsvereinbarung bzw. eines Eingliederungsverwaltungsaktes (vgl. Berlit, in: Münder, a.a.O., § 15 Rn. 32; vgl. auch Kador, in: Eicher/Luik, a.a.O., § 15 Rn. 53). Das wird bestätigt durch die systematische Stellung des § 15 im ersten Abschnitt des dritten Kapitels des SGB II ("Leistungen zur Eingliederung in Arbeit"). Ein Eingliederungsverwaltungsakt, der sich in Vorgaben ohne konkreten Bezug zum Ziel der Eingliederung in Arbeit erschöpft, ist deshalb rechtswidrig (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Juli 2015 – L 9 AS 609/15 –, juris Rn. 25). So liegt es hier.
Nicht nur die ausdrücklich formulierte Zielsetzung des Verwaltungsaktes ("Klärung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit", also gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II einer allgemeinen Leistungsvoraussetzung), sondern auch sämtliche Einzelregelungen weisen keinerlei konkreten Bezug zur Eingliederung der Antragstellerin in Arbeit auf. Neben der Ankündigung, die Leistungsvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit im September 2020 erneut zu prüfen, und der Empfehlung, den Fachbereich Psychiatrie zu kontaktieren, finden sich lediglich allgemeine Leistungen und Pflichten im Zusammenhang mit dem Leistungsverhältnis. Diese weisen zum einen keinen spezifischen Bezug zur Eingliederung in Arbeit auf und gehen zum anderen kaum über das hinaus, was sich ohnehin aus dem Gesetz ergibt. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, worauf sich die Sanktionsdrohung in der Rechtsfolgenbelehrung konkret beziehen und wodurch diese gerechtfertigt sein soll.
Der Bescheid ist auch nicht etwa deshalb rechtmäßig, weil der Antragsgegner zum Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes verpflichtet gewesen wäre und eingliederungsspezifische Regelungen wegen des Leistungsbildes der Antragstellerin nicht in Betracht kamen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 "soll" eine Eingliederungsvereinbarung getroffen werden; nach Absatz 3 Satz 3 "sollen" die Regelungen ggf. durch Verwaltungsakt getroffen werden. Damit besteht in atypischen Fällen die Möglichkeit, davon abzusehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 26; Berlit, a.a.O., Rn. 24). Nichts anderes ergibt sich aus § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach die dort konkretisierten Meldepflichten im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in eine Eingliederungsvereinbarung oder einen Eingliederungsverwaltungsakt aufgenommen werden sollen. Abgesehen kann von einer solchen Vereinbarung bzw. einem solchen Verwaltungsakt insbesondere dann, wenn aktuell weder eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt noch darauf abzielende Eingliederungsleistungen und Eigenbemühungen in Betracht kommen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
3. Angesichts der nicht anfechtbaren Kostengrundentscheidung zugunsten der Antragstellerin besteht für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe kein Bedürfnis. Im Übrigen liegen keine vollständigen Antragsunterlagen vor.
4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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