Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AS 386/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 139/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu tragen.
Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist die wiederholte Verpflichtung der Klägerin, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen.
Die am ... 1952 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Klägerin) ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann in einer ca. 82,68 m² großen Mietwohnung in Z ... Sie bezogen gemeinsam seit dem 1. Januar 2005 vom Beklagten und Berufungskläger (im Folgenden: Beklagter) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Nach den gegenüber dem Beklagten gemachten Angaben sind die Klägerin und ihr Ehemann je zur Hälfte Eigentümer eines im Jahre 1985 erworbenen Gartengrundstücks mit einer Fläche von 614 m².
Die Klägerin und ihr Ehemann waren während des Leistungsbezuges geringfügig beschäftigt. Sie bezogen nicht bedarfsdeckende Einkünfte in Höhe von zuletzt jeweils 170,00 EUR aufgrund eines (wiederholten) Arbeitsvertrages als Hauswart/Hausmeister.
Nach einer Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) vom 10. November 2014 erreiche die Klägerin am 23. Oktober 2017 die Regelaltersgrenze und könne eine monatliche Rente von 660,38 Euro auf Basis der bereits erworbenen Anwartschaften und des aktuellen Rentenwertes berechnet beziehen. Bei Hochrechnung von Beiträgen wie im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahre würde die Rente monatlich 671,00 Euro betragen. Eine Altersrente für langjährige Versicherte konnte die Antragstellerin danach frühestens am 1. Mai 2015 mit einem Abschlag von 9 % beziehen.
Erstmals forderte der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 auf, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Dagegen erhob die Klägerin am 20. Januar 2015 Widerspruch: Sie arbeite in Teilzeit und zahle Renten- und Krankenversicherungsbeiträge. Daraufhin hatte der Beklagte ermittelt, dass keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt werde. Darauffolgend forderte der Beklagte mit einem - hier nicht streitgegenständlichen - Bescheid vom 10. März 2015 die Klägerin erneut auf, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2015 zurück. Dagegen erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Halle (SG), Az. S 7 AS 1240/15, und ersuchte zugleich um einstweiligen Rechtschutz (Az. S 7 AS 1076/15 ER). Mit Beschluss vom 17. Juli 2015 ordnete das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. März 2015 an. Die vom Beklagten eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 17. Juli 2015, Az. L 2 AS 341/15 B ER). Zur Begründung führte der 2. Senat des Landessozialgerichts (LSG) aus: Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Rentenantragstellung, weshalb die Interessenabwägung zu Lasten des Antragsgegners gehe. Es liege ein Ermessensfehler vor. Es sei nicht ermittelt worden, ob bei einer notwendigen Inanspruchnahme ergänzender Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) Schonvermögen des Leistungsberechtigten oder des Einstandspartners nach den Regeln des SGB XII nicht mehr in gleichem Umfang wie bisher geschützt wäre und aufgebraucht werden müsse. Es hätte ohnehin ermittelt werden müssen, ob es sich bei dem Grundbesitz der Antragstellerin um zu verwertendes und verwertbares Vermögen handele.
Aufgrund dessen gab der Beklagte im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren (Az. S 7 AS 1240/15) ein Anerkenntnis ab und nahm mit Schreiben vom 19. August 2015 den Bescheid vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. März 2015 zurück. Wörtlich hieß es weiter in diesem Schreiben: "Eine vorzeitige Rentenantragstellung ist daher zunächst nicht erforderlich."
Im Nachgang prüfte der Beklagte die Vermögensverhältnisse der Klägerin und ihres Ehemanns umfassend.
Mit Bescheid vom 26. November 2015 forderte der Beklagte die Klägerin erneut auf, umgehend zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Vollendung des 63. Lebensjahres einen Rentenantrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen: Sie sei verpflichtet, diesen zu stellen. Denn im Rahmen der Ermessensausübung seien bei Prüfung ihres Einzelfalls keine Gründe festzustellen, wonach von einer Aufforderung zur Rentenantragstellung abzusehen sei. Unbilligkeitsgründe nach der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV) lägen nicht vor. Andere einzelfallbezogene Gründe, von der Aufforderung abzusehen, seien nicht erkennbar. Die Klägerin könne mit der Inanspruchnahme der geminderten Rente ihren persönlichen Bedarf decken und ihre Hilfebedürftigkeit beenden. Die ab dem 1. Mai 2015 vorzeitig in Anspruch genommene Rente würde 634,77 EUR betragen, selbst die sich hieraus ergebende Nettorente in Höhe von 569,70 EUR liege noch über dem aktuellen Arbeitslosengeld II-Anspruch in Höhe von 497,34 EUR monatlich. Es sei keine künftige Erwerbstätigkeit angezeigt oder in nächster Zukunft geplant. Der Beklagte sei berechtigt, den Rentenantrag ersatzweise zu stellen, wenn die Antragstellung nicht umgehend erfolge. Bis zum 17. Dezember 2015 sollte die Klägerin ihre Antragstellung mitteilen.
Mit Schreiben vom gleichen Tage meldete der Beklagte einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) für die Klägerin bei der DRV an.
Mit Änderungsbescheid vom 8. Dezember 2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von 1002,70 Euro (Anteil Klägerin: 501,35 Euro) monatlich.
Auf einem Antwortvordruck zum Bescheid vom 26. November 2015, der bei dem Beklagten am 16. Dezember 2015 einging, kreuzte die Antragstellerin auf die Frage, ob ein Antrag gestellt worden sei, "Nein" an und ergänzte: Sie stelle keinen vorzeitigen Rentenantrag. Das Jobcenter Naumburg habe keinen "Revisionsantrag beim OSG Halle gestellt." Der Beschluss des Sozialgerichts Halle S 7 AS 1076/15 ER sei rechtskräftig.
Der Beklagte stellte sodann mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 für die Klägerin bei der DRV einen Antrag auf Altersrente, über welchen die DRV bis zur mündlichen Verhandlung des Senats im Berufungsverfahren nicht entschieden hat.
Mit Bescheid vom 7. Januar 2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann endgültig unter anderem für Oktober und November 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von jeweils 497,35 Euro monatlich.
Mit Schreiben vom 26. Januar 2016 monierte die nunmehr beauftragte Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass über den persönlich von der Klägerin erhobenen Widerspruch aus Dezember 2015 noch nicht entschieden worden sei. Im Übrigen stehe die Rechtskraft der abgegebenen Anerkenntniserklärung einer erneuten Aufforderung zur Rentenantragsstellung entgegen. Vorsorglich werde erneut Widerspruch eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2016 verwarf der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unzulässig: Aus dem Antwortschreiben vom 16. Dezember 2015 sei nicht zu erkennen, dass es sich um einen Widerspruch handeln sollte. Der Widerspruch vom 26. Januar 2016 sei verfristet.
Hiergegen hat die Klägerin am 9. Februar 2016 Klage beim SG erhoben.
Am selben Tage hat die Klägerin zusätzlich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beim SG beantragt. Mit Beschluss vom 15. März 2016 hat das SG den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat der 2. Senat des LSG Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 9. Juni 2016 zurückgewiesen (Az. L 2 AS 238/16 ER). Zur Begründung führt er aus, dass es dahinstehen könne, ob der Widerspruch rechtzeitig erhoben wurde, wofür jedoch viel spreche, denn in der Sache erweise sich die Aufforderung als rechtmäßig. Der Beklagte sei nicht durch sein Anerkenntnis in einem früheren Verfahren oder durch die Erklärung, dass "zunächst keine Rentenantragstellung erforderlich" sei, gebunden. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ausgeführt: Das am 16. Dezember 2015 dem Beklagten zugegangene Schreiben stelle einen Widerspruch dar. Darüber hinaus sei die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid fehlerhaft gewesen, denn es hätte auf die Möglichkeit des Widerspruchs in elektronischer Form hingewiesen werden müssen. Der Beklagte habe nicht geprüft, ob ein Härtefall vorliegt. Daher sei der Bescheid ermessensfehlerhaft. Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. Februar 2016 aufzuheben, sowie hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte aufgrund seines Anerkenntnisses im Verfahren S 7 AS 1240/15 an der erneuten Aufforderung zur Rentenantragstellung und der auf der Grundlage des Bescheides vom 26. November 2015 nach § 5 Abs. 3 SGB II ersatzweise vorgenommenen Rentenantragstellung gehindert ist, und den Beklagten zu verpflichten, den ersatzweise für die Klägerin bei der DRV gestellten Antrag nach § 5 Abs. 3 SGB II auf Altersrente zurückzunehmen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, das am 16. Dezember 2015 eingegangene Schreiben habe lediglich einen Hinweis an den Beklagten zur Rechtslage enthalten. Die ansonsten rechtskundig vertretene Klägerin hätte sich auch hinsichtlich des erforderlichen Rechtsbehelfs beraten lassen müssen. Seine Entscheidung sei auch ermessensfehlerfrei getroffen worden. Eine besondere Härte liege nicht vor.
Das SG hat am 12. Juli 2017 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die DRV hat der Klägerin mit Bescheid vom 30. August 2017 ab dem 1. November 2017 eine abschlagsfreie Regelaltersrente in Höhe von 767,54 Euro brutto/689,64 Euro netto auf ihren Antrag vom 16. Juni 2017 gewährt.
Mit Urteil vom 23. Januar 2019 hat das SG den Bescheid vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. Februar 2016 aufgehoben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Es gelte die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs, da eine Einlegung des Widerspruches in elektronischer Form bei Erlass des Aufforderungsbescheides noch nicht zulässig gewesen sei. Das Schreiben vom 16. Dezember 2015 sei als Widerspruch auszulegen. Die Klägerin habe damit deutlich gemacht, dass sie der Ansicht sei, dass aufgrund des vorangegangenen Klageverfahrens rechtlich keine erneute Aufforderung möglich sei. Daher sei im Zweifel davon auszugehen, dass eine Überprüfung erfolgen solle, und ihr Schreiben als Widerspruch auszulegen. Erledigung sei nicht eingetreten, da die DRV trotz bewilligter Regelaltersrente noch keine Entscheidung über den Antrag des Beklagten getroffen habe. Jedoch sei die Aufforderung rechtswidrig, denn diese sei unbillig. Die Klägerin habe im Rahmen ihrer Selbsthilfeobliegenheit nicht zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet werden dürfen. Zwar liege keiner der Gründe der UnbilligkeitsV vor, jedoch könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass zum 1. Januar 2017 § 6 der UnbilligkeitsV hinzugefügt worden sei. Aufgrund dessen müsse im Rahmen der allgemeinen Auslegung des §1 der UnbilligkeitsV bereits vorab die neue Rechtslage Berücksichtigung finden. Es sei in noch nicht abgeschlossenen Rentenverfahren eine Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung unbillig, wenn eine lebenslange sozialhilferechtliche Bedürftigkeit drohe. Der Antrag auf Rücknahme des gestellten Rentenantrages durch den Beklagten sei dagegen abzuweisen, da sich diese Verpflichtung unmittelbar aus der Aufhebung des streitigen Bescheides ergebe.
Gegen das ihm am 14. Februar 2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 4. März 2019 Berufung beim LSG eingelegt. Er hat auf seinen bisherigen Vortrag verwiesen und ergänzend ausgeführt: Das SG habe zwar richtigerweise festgestellt, dass keiner der in der UnbilligkeitsV genannten Gründe bei Erlass des Widerspruchbescheides einschlägig gewesen sein; jedoch sei es rechtswidrig zu der Ansicht gelangt, dass der ab 1. Januar 2017 geltende § 6 der UnbilligkeitsV beachtet werden müsse. Indes seien Rechtsänderungen nach Erlass des Widerspruchbescheides unbeachtlich. Es komme bei der Beurteilung auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung an. Die Aufforderung sei rechtmäßig ergangen. Daher sei der ersatzweise gestellte Rentenantrag des Beklagten nicht zu beanstanden.
Am 23. November 2020 (Zugang per Fax) hat die Berichterstatterin den Beklagten darauf hingewiesen, dass es möglicherweise an einer Anhörung nach § 24 SGB X fehle.
In der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2020 hat der Beklagte vorgetragen, eine formelle Anhörung vor Erlass des streitigen Bescheides sei nicht erfolgt. Richtigerweise sei das Schreiben vom 16. Dezember 2015 als Widerspruch auszulegen. Allerdings sei durch die anwaltliche Stellungnahme im Widerspruchsverfahren Heilung eingetreten. Sollte dieser Rechtsansicht nicht gefolgt werden, werde gebeten, die Anhörung nachholen zu dürfen. Hierfür habe er bereits einen vorbereiteten Vordruck mitgebracht, welcher übergeben werden könne.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Januar 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtstreit zu vertagen und dem Beklagten Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme bis zum 18. Dezember 2020 einzuräumen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, es sei entgegen der Ansicht des Beklagten auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Denn sie habe nicht nur eine isolierte Anfechtungsklage, sondern eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben. Daher sei auch die ab 1. Januar 2017 geltende UnbilligkeitsV anzuwenden. Im Ergebnis habe das SG dies auch zutreffend vorgenommen. Auch habe der Beklagte sein Recht zur Aufforderung verwirkt, da die DRV mittlerweile der Klägerin eine abschlagsfreie Regelaltersrente bewilligt habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten dem Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft. Sie unterfällt nicht der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom 27. März 2017 - L 5 AS 176/17 B ER -, Rn. 32, juris). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 151, 153 SGG) erhoben.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG entschieden, dass die Aufforderung an die Klägerin zur Rentenantragstellung rechtswidrig ist.
I.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 23. Januar 2019 sowie der Bescheid des Beklagten vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2016, durch den die Klägerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente aufgefordert worden ist.
Zutreffende Klageart ist die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG), weil es sich bei der Aufforderung, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen, um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X handelt (vgl. BSG vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R -, Rn. 12, juris).
Einer echten notwendigen Beiladung der DRV nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG bedurfte es nicht (vgl. BSG vom 19. August 2015, a.a.O., Rn. 14). Durch die Entscheidung des Rechtsstreits über die Aufforderung der Klägerin durch den Beklagten zur Rentenantragstellung werden nicht gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte der DRV gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben. Denn dieser Rechtsstreit beantwortet nur eine Vorfrage für die von der DRV zu treffende Entscheidung über den Rentenantrag des Beklagten, so dass ohne ihre Beteiligung über den vorliegenden Rechtsstreit entschieden werden darf.
Die Klage ist zulässig.
Der Bescheid vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. Februar 2016 ist nicht bestandskräftig geworden. Denn die Klägerin hat rechtzeitig Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. November 2015 eingelegt. Nach § 77 SGG ist ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der gegebene Rechtsbehelf nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. Rechtzeitig eingelegt ist der Widerspruch, wenn er innerhalb der Frist nach § 84 Abs. 1 SGG eingelegt wurde. Nach § 84 Abs. 1 S. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist berechnet sich nach § 37 Abs. 2 SGB X. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, mithin hier am 29. November 2015.
Bereits am 16. Dezember 2015 - und nicht erst am 26. Januar 2016 - hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Denn das an diesem Tage bei dem Beklagten eingegangene Antwortschreiben stellt einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. November 2015 dar. Dies ergibt die erforderliche Auslegung. Eine Erklärung ist unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen auszulegen. Dabei ist sie nach dem Meistbegünstigungsprinzip so auszulegen, dass das Begehren des Erklärenden möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Es ist daher nicht erforderlich, dass ein Rechtsbehelf als ein Widerspruch bezeichnet ist. Auch die Formulierung eines Antrags oder eine Begründung sind keine notwendigen Mindestinhalte. Bei Unklarheiten, die nicht im Wege der Auslegung beseitigt werden können, ist die Behörde gehalten, durch Rückfragen zu klären, ob ein förmlicher Widerspruch eingelegt werden soll und wogegen sich dieser richtet. Im Zweifel ist jedoch davon auszugehen, dass mit dem Widerspruch alle Verfügungssätze angegriffen werden (vgl. Gall in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 83 SGG [Stand: 15.07.2017], Rn. 12). Indem die Klägerin mitteilte, dass sie keinen Antrag auf vorzeitige Altersrente stellen werde, da bereits eine rechtskräftige Ablehnung dieser Aufforderung gegeben sei, hat sie hinreichend deutlich gemacht, dass sie meinte, dass der Beklagte nicht berechtigt sei, sie erneut aufzufordern. Ihr Rechtschutzziel bezieht sich im Zweifel darauf, diese Aufforderung zu beseitigen bzw. für gegenstandslos zu erklären. Zwar hat sie dies nicht eindeutig erklärt. Es erscheint aber fernliegend, dass sie den Beklagten lediglich unverbindlich auf ihre Einschätzung der Rechtslage hinweisen wollte. Der Beklagte durfte daher nicht von einem unverbindlichen Hinweis ausgehen, sondern hätte (mindestens) bei der Klägerin nachfragen müssen.
Für die Anfechtungsklage besteht auch nach Beginn des Bezugs einer abschlagsfreien Regelaltersrente ab dem 1. November 2017 ein Rechtsschutzbedürfnis, weil die angefochtene Aufforderung nicht im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt ist. Solange das auf dem Antrag des Beklagten beruhende Rentenverfahren auf Gewährung einer vorzeitigen Altersrente noch nicht abgeschlossen ist, begründet und erhält die angefochtene Aufforderung die Verfahrensführungsbefugnis für die Klägerin im Rentenverfahren, in dem eine rückwirkende Bewilligung einer vorzeitigen Altersrente weiterhin in Betracht kommt (vgl. BSG vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R -, Rn. 13, juris; BSG vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 12/20 R –, Rn. 12, juris).
II.
Die Klage ist auch begründet, mithin die Berufung des Beklagten unbegründet.
Der Bescheid vom 26. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2016 ist - entgegen der Ansicht des SG - bereits formell rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente und die Ersatzvornahme ist § 12a in Verbindung mit § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, wobei nach § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag nicht, können die SGB II-Leistungsträger nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II den Antrag selbst stellen.
Vorliegend ist die Klägerin vor Erlass des Bescheides vom 26. November 2015, bei dem es sich um einen belastenden Verwaltungsakt handelt (vgl. BSG vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R -, Rn. 12, juris), nicht angehört worden (hierzu 1; vgl. zum Erfordernis einer Anhörung BSG vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 46/15 R -, Rn. 16, juris). Die Anhörung ist nicht im Vorverfahren (hierzu 2) oder im Gerichtsverfahren (hierzu 3) nachgeholt worden bzw. nachholbar (hierzu 4).
(1)
§ 24 Abs. 1 SGB X bestimmt, dass einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in dessen Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Hierzu gehören auch alle Tatsachen, die die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen muss und kann (vgl. BSG vom 20. Dezember 2012 - B 10 LW 2/11 R -, Rn. 35, juris; BSG vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 9/11 R -, Rn. 14, juris). Der Beklagte hat den Bescheid erlassen, ohne vorab der Klägerin Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
Die Anhörung war auch nicht entbehrlich. Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn
1. eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2. durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3. von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4. Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5. einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6. Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7. gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll.
Keiner der aufgeführten Ausnahmegründe liegt vor, nach denen der Beklagte nach Ausübung seines diesbezüglich gegebenen Ermessens von einer Anhörung hätte absehen können.
Auch konnte die Anhörung für den Bescheid vom 26. November 2015 nicht aufgrund der in dieser Rechtsfrage zwischen den Beteiligten bereits zuvor durchgeführten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren unterlassen werden.
Generell sind gesetzliche Ausnahmetatbestände eng gefasst. So sind bereits die Ausnahmetatbestände des § 24 Abs. 2 SGB X nicht über den Wortlaut hinaus auszulegen. Eine erweiternde Auslegung kommt regelmäßig nicht in Betracht. Aufgrund dessen ist es nicht zulässig, von einer (erneuten) Anhörung abzusehen, wenn in einem vorherigen aufgehobenen Bescheid zum gleichen Sachverhalt eine Anhörung bzw. Heilung erfolgt war. Denn mit dem neuen Bescheid wurde eine erneute belastende Ermessensentscheidung, die in die Rechtsposition der Klägerin eingreift, getroffen, welche auf einer neuen (erweiterten) Ermessensausübung (hier Vermögensprüfung) beruht.
(2)
Der Anhörungsfehler ist auch nicht geheilt worden. Nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X ist eine Verletzung von einer Verfahrens- oder Formvorschrift, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (§ 41 Abs. 2 SGB X) nachgeholt wird.
Insbesondere ist mit dem dem Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2016 zugrundeliegenden Widerspruchsverfahren - entgegen der Ansicht des Beklagten - die Anhörung nicht wirksam nachgeholt worden. Eine Heilung des dem Beklagten unterlaufenen Verfahrensfehlers ergibt sich nämlich - was hier allein in Betracht käme - nicht daraus, dass die Klägerin gegen den streitigen Bescheid ein anwaltliches Widerspruchsschreiben eingereicht hat. Im Anwendungsbereich des SGB X, das die Anhörungsobliegenheit der Behörde zu einem subjektiven Verfahrensrecht des Betroffenen mit Abwehranspruch bei dessen Verletzung (§ 42 Satz 2 SGB X) ausgestaltet hat, liegt in der bloßen Einlegung des Widerspruchs keine Heilung des Verfahrensmangels der unterlassenen Anhörung (vgl. BSG vom 26. September 1991 – B 4 RK 4/91 –, Rn. 33, juris). Denn die Behörde darf das Vorbringen des Betroffenen nicht lediglich zur Kenntnis nehmen, sondern sie muss vielmehr in Hinsicht auf das Vorgetragene ihre getroffene Entscheidung nach außen erkennbar kritisch überdenken (vgl. BSG vom 9. Oktober 2010 - B 4 AS 37/09 R, SozR 4-1300 § 41 Nr. 2; Siewert/Waschull in LPK-SGB X, § 41 Rn. 18: Grundsatz der substanziellen Anhörung). Andernfalls (Heilung bereits "durch Einlegung" des Widerspruchs) liefe § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X leer. Denn § 41 SGB X zählt die Voraussetzungen abschließend auf, von denen der Eintritt der "Unbeachtlichkeit" eines dort genannten Verfahrensfehlers abhängt (vgl. BSG vom 26. September 1991 – B 4 RK 4/91 –, Rn. 33, juris). Nach außen erkennbar kritisch überdacht ist die Entscheidung, wenn die Behörde dem Betroffenen entweder in einem besonderen Schreiben oder im Widerspruchsbescheid das Ergebnis mitteilt (vgl. Littmann in: Hauck/Noftz, SGB, 08/17, § 41 SGB X, Rn. 24). Aufgrund dessen wird die unterlassene Anhörung des Betroffenen nicht mit heilender Wirkung im Widerspruchsverfahren nachgeholt, wenn der Verwaltungsakt wegen vermeintlicher verspäteter Anfechtung als rechtsverbindlich behandelt (vgl. BSG, Urteil vom 7. Februar 1985 – 9a RVs 10/83 –, Leitsatz, juris) und keine Überprüfung in der Sache vorgenommen wird. Durch die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig, hat sich der Beklagte nicht mit den vorgebrachten Sachargumenten der Klägerin auseinandergesetzt. Er hat seine Prüfung im Widerspruchsbescheid lediglich auf die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs beschränkt.
(3)
Eine Heilung ist auch nicht im erstinstanzlichem Verfahren eingetreten.
Eine Nachholung der Anhörung im Gerichtsverfahren setzt ein entsprechendes mehr oder minder förmliches Verwaltungsverfahren - gegebenenfalls unter Aussetzung desselben (§ 114 Abs. 2 Satz 2 SGG) - voraus (vgl. BSG vom 7. Februar 1985 – B 9a RVs 10/83 -, Rn. 22, juris; Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 41, Rn. 17; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage 2000, § 45 Rn. 45 f.; Waschull in LPK-SGB X, § 41, Rn. 15). Es reicht nicht aus, dass die Behörde in einem Schriftsatz auf den Vortrag der Klägerin eingeht oder der Terminsvertreter diesbezüglich eine Erklärung in der mündlichen Verhandlung - ggf. zu Protokoll - abgibt. Es muss vielmehr eine Entscheidung der Behörde zum Vollzug ergehen (vgl. BSG vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R -, SozR 4-1300 § 41 Nr. 2; BSG, Urteil vom 06. April 2006 – B 7a AL 64/05 R –, Rn. 15, juris). Dies ist im Verfahren vor dem SG nicht geschehen.
(4)
Hier ist die Anhörung auch nicht im Berufungsverfahren nachgeholt worden.
1.
Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte aus eigenem Antrieb das Anhörungsverfahren nicht nachgeholt.
2.
Das Gericht war nicht verpflichtet, dem Beklagten Gelegenheit zur Nachholung der Anhörung in Anschluss an die mündliche Verhandlung zu geben.
(a)
Es ist - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – nicht mehr sachdienlich, das Verfahren auszusetzen, um dem Beklagten die Gelegenheit zur Nachholung (wie in der mündlichen Verhandlung sinngemäß beantragt) zu geben. Nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Eine Sachdienlichkeit der Aussetzung im Sinne der Verfahrenskonzentration kann nur bejaht werden, wenn durch eine Heilung von Verfahrens- und Formmängeln im Gerichtsverfahren eine Verkürzung der Dauer des gesamten Verfahrens unter Berücksichtigung eines zu erwartenden neuen Verwaltungs- und anschließenden Gerichtsverfahrens zur erneuten Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit erreicht werden kann (vgl. zur Verkürzung der Gesamtdauer sowohl des Verwaltungs- als auch des Gerichtsverfahrens: BSG vom 12. Juni 2001 - B 4 RA 37/00 R -, SozR 3-2600, § 243 Nr. 9, S. 38; BSG vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R –, Rn. 25, juris). Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung ist eine entsprechende Ermessensentscheidung des Gerichts möglich.
Diese Voraussetzung liegt jedoch nicht vor. Denn es kann aus Rechtsgründen kein weiteres Klageverfahren geben, das durch eine Nachholung der Anhörung im laufenden Berufungsverfahren erspart werden könnte. Es ist keine Verkürzung oder Verfahrenskonzentration möglich. Da die Klägerin bereits seit dem 1. November 2017 Regelaltersrente bezieht, ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine erneute Aufforderung zur Rentenantragstellung nicht mehr möglich.
(b)
Der Senat ist aber auch nicht aus anderen Gründen verpflichtet, Gelegenheit zur Nachholung der Anhörung zu geben
Dies ergibt sich nicht aus der richterlichen Hinweispflicht. Nach § 106 Abs. 1 SGG hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
Mit dieser Norm soll zunächst sichergestellt werden, dass die erforderlichen prozessualen Formerfordernisse im gerichtlichen Verfahren eingehalten werden. Formfehler des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens, die Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Klageverfahren sind, werden von § 106 Abs. 1 SGG nicht erfasst. Das Gericht zu einem Hinwirken auf die Beseitigung von Formfehlern im Verwaltungsverfahren zu verpflichten, würde letztlich nichts anderes bedeuten, als von diesem eine einseitige, die Besorgnis der Befangenheit auslösende Parteinahme zu Gunsten der Beklagten zu verlangen (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 28. Dezember 2011 – L 13 AL 4778/11 NZB –, Rn. 6, juris). Mithin kann der Beklagte aus § 106 Abs. 1 SGG keinen Anspruch auf eine Aussetzung oder Vertagung zur Nachholung der Anhörung herleiten.
Zum anderen konkretisiert die richterliche Hinweispflicht den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl. BVerwG vom 21. September 2011 – 5 B 11/11 –, Rn. 3, juris). Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne des § 62 SGG (vgl. auch Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 1 SGG), muss den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (vgl. BSG vom 28. August 1991 – B 7 BAr 50/91 -, Rn. 4, juris). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte bzw. sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Termin eröffnet wird (vgl. BSG vom 16. Dezember 1993 – B 13 RJ 37/93 –, Rn. 16, juris).
Aus dem Gebot der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen als Ausfluss des rechtlichen Gehörs folgt jedoch grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es den Sachverhalt rechtlich zu bewerten beabsichtigt. Die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung des Spruchkörpers (vgl. BVerwG vom 21. September 2011 - 5 B 11/11 -, juris). Eine Überraschungsentscheidung liegt daher nur vor, wenn das Urteil auf tatsächliche Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (vgl. BSG vom 12. Dezember 1990 - B 11 RAr 137/89 -, Rn. 4, juris; BVerwG vom 21. September 2011 - 5 B 11/11, Rn. 3, juris). Hier hat der Senat kurz vor dem Verhandlungstermin darauf hingewiesen, dass ein Anhörungsmangel bestehen könnte. Es handelt sich um einen rechtlichen Hinweis – nicht um tatsächliche Aspekte des Sachverhalts.
Der Anhörungsmangel, der der Sphäre des Beklagten als Herrin des Verwaltungsverfahrens zuzurechnen ist, war im gerichtlichen Verfahren zwischen den Beteiligten bislang noch nicht thematisiert worden. Es sollte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden und ist dies auch geworden. Der Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung zu dem Rechtsproblem geäußert. Damit hat sich der Hinweis erledigt.
Aus dem Hinweis kann der Beklagte keinen Anspruch auf eine Vertagung oder eine Aussetzung des Verfahrens ableiten, um den Mangel zu Heilen. Dafür ist dieser und die Äußerungsfrist nicht bestimmt (vgl. BSG vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R –, Rn. 34, juris).
(c)
Daher war der in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellte Antrag auf Vertagung nach § 202 S. 1 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) abzulehnen. Denn jede Terminsänderung erfordert im Interesse der Förderung und Straffung des Verfahrens das Vorliegen eines erheblichen Grundes. Jedoch sind rechtfertigende "erhebliche" Gründe im Sinne des § 227 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (vgl. BVerwG vom 23. Januar 1995 - 9 B 1/95-, Rn. 3, juris). Notwendiges rechtliches Gehör wurde - wie bereits oben ausgeführt - dem Beklagten bereits gewährt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 193 SGG.
IV.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Vorliegend wurde eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage getroffen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu tragen.
Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist die wiederholte Verpflichtung der Klägerin, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen.
Die am ... 1952 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Klägerin) ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann in einer ca. 82,68 m² großen Mietwohnung in Z ... Sie bezogen gemeinsam seit dem 1. Januar 2005 vom Beklagten und Berufungskläger (im Folgenden: Beklagter) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Nach den gegenüber dem Beklagten gemachten Angaben sind die Klägerin und ihr Ehemann je zur Hälfte Eigentümer eines im Jahre 1985 erworbenen Gartengrundstücks mit einer Fläche von 614 m².
Die Klägerin und ihr Ehemann waren während des Leistungsbezuges geringfügig beschäftigt. Sie bezogen nicht bedarfsdeckende Einkünfte in Höhe von zuletzt jeweils 170,00 EUR aufgrund eines (wiederholten) Arbeitsvertrages als Hauswart/Hausmeister.
Nach einer Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) vom 10. November 2014 erreiche die Klägerin am 23. Oktober 2017 die Regelaltersgrenze und könne eine monatliche Rente von 660,38 Euro auf Basis der bereits erworbenen Anwartschaften und des aktuellen Rentenwertes berechnet beziehen. Bei Hochrechnung von Beiträgen wie im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahre würde die Rente monatlich 671,00 Euro betragen. Eine Altersrente für langjährige Versicherte konnte die Antragstellerin danach frühestens am 1. Mai 2015 mit einem Abschlag von 9 % beziehen.
Erstmals forderte der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 auf, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Dagegen erhob die Klägerin am 20. Januar 2015 Widerspruch: Sie arbeite in Teilzeit und zahle Renten- und Krankenversicherungsbeiträge. Daraufhin hatte der Beklagte ermittelt, dass keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt werde. Darauffolgend forderte der Beklagte mit einem - hier nicht streitgegenständlichen - Bescheid vom 10. März 2015 die Klägerin erneut auf, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2015 zurück. Dagegen erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Halle (SG), Az. S 7 AS 1240/15, und ersuchte zugleich um einstweiligen Rechtschutz (Az. S 7 AS 1076/15 ER). Mit Beschluss vom 17. Juli 2015 ordnete das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. März 2015 an. Die vom Beklagten eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 17. Juli 2015, Az. L 2 AS 341/15 B ER). Zur Begründung führte der 2. Senat des Landessozialgerichts (LSG) aus: Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Rentenantragstellung, weshalb die Interessenabwägung zu Lasten des Antragsgegners gehe. Es liege ein Ermessensfehler vor. Es sei nicht ermittelt worden, ob bei einer notwendigen Inanspruchnahme ergänzender Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) Schonvermögen des Leistungsberechtigten oder des Einstandspartners nach den Regeln des SGB XII nicht mehr in gleichem Umfang wie bisher geschützt wäre und aufgebraucht werden müsse. Es hätte ohnehin ermittelt werden müssen, ob es sich bei dem Grundbesitz der Antragstellerin um zu verwertendes und verwertbares Vermögen handele.
Aufgrund dessen gab der Beklagte im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren (Az. S 7 AS 1240/15) ein Anerkenntnis ab und nahm mit Schreiben vom 19. August 2015 den Bescheid vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. März 2015 zurück. Wörtlich hieß es weiter in diesem Schreiben: "Eine vorzeitige Rentenantragstellung ist daher zunächst nicht erforderlich."
Im Nachgang prüfte der Beklagte die Vermögensverhältnisse der Klägerin und ihres Ehemanns umfassend.
Mit Bescheid vom 26. November 2015 forderte der Beklagte die Klägerin erneut auf, umgehend zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Vollendung des 63. Lebensjahres einen Rentenantrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen: Sie sei verpflichtet, diesen zu stellen. Denn im Rahmen der Ermessensausübung seien bei Prüfung ihres Einzelfalls keine Gründe festzustellen, wonach von einer Aufforderung zur Rentenantragstellung abzusehen sei. Unbilligkeitsgründe nach der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV) lägen nicht vor. Andere einzelfallbezogene Gründe, von der Aufforderung abzusehen, seien nicht erkennbar. Die Klägerin könne mit der Inanspruchnahme der geminderten Rente ihren persönlichen Bedarf decken und ihre Hilfebedürftigkeit beenden. Die ab dem 1. Mai 2015 vorzeitig in Anspruch genommene Rente würde 634,77 EUR betragen, selbst die sich hieraus ergebende Nettorente in Höhe von 569,70 EUR liege noch über dem aktuellen Arbeitslosengeld II-Anspruch in Höhe von 497,34 EUR monatlich. Es sei keine künftige Erwerbstätigkeit angezeigt oder in nächster Zukunft geplant. Der Beklagte sei berechtigt, den Rentenantrag ersatzweise zu stellen, wenn die Antragstellung nicht umgehend erfolge. Bis zum 17. Dezember 2015 sollte die Klägerin ihre Antragstellung mitteilen.
Mit Schreiben vom gleichen Tage meldete der Beklagte einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) für die Klägerin bei der DRV an.
Mit Änderungsbescheid vom 8. Dezember 2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von 1002,70 Euro (Anteil Klägerin: 501,35 Euro) monatlich.
Auf einem Antwortvordruck zum Bescheid vom 26. November 2015, der bei dem Beklagten am 16. Dezember 2015 einging, kreuzte die Antragstellerin auf die Frage, ob ein Antrag gestellt worden sei, "Nein" an und ergänzte: Sie stelle keinen vorzeitigen Rentenantrag. Das Jobcenter Naumburg habe keinen "Revisionsantrag beim OSG Halle gestellt." Der Beschluss des Sozialgerichts Halle S 7 AS 1076/15 ER sei rechtskräftig.
Der Beklagte stellte sodann mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 für die Klägerin bei der DRV einen Antrag auf Altersrente, über welchen die DRV bis zur mündlichen Verhandlung des Senats im Berufungsverfahren nicht entschieden hat.
Mit Bescheid vom 7. Januar 2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann endgültig unter anderem für Oktober und November 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von jeweils 497,35 Euro monatlich.
Mit Schreiben vom 26. Januar 2016 monierte die nunmehr beauftragte Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass über den persönlich von der Klägerin erhobenen Widerspruch aus Dezember 2015 noch nicht entschieden worden sei. Im Übrigen stehe die Rechtskraft der abgegebenen Anerkenntniserklärung einer erneuten Aufforderung zur Rentenantragsstellung entgegen. Vorsorglich werde erneut Widerspruch eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2016 verwarf der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unzulässig: Aus dem Antwortschreiben vom 16. Dezember 2015 sei nicht zu erkennen, dass es sich um einen Widerspruch handeln sollte. Der Widerspruch vom 26. Januar 2016 sei verfristet.
Hiergegen hat die Klägerin am 9. Februar 2016 Klage beim SG erhoben.
Am selben Tage hat die Klägerin zusätzlich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beim SG beantragt. Mit Beschluss vom 15. März 2016 hat das SG den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat der 2. Senat des LSG Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 9. Juni 2016 zurückgewiesen (Az. L 2 AS 238/16 ER). Zur Begründung führt er aus, dass es dahinstehen könne, ob der Widerspruch rechtzeitig erhoben wurde, wofür jedoch viel spreche, denn in der Sache erweise sich die Aufforderung als rechtmäßig. Der Beklagte sei nicht durch sein Anerkenntnis in einem früheren Verfahren oder durch die Erklärung, dass "zunächst keine Rentenantragstellung erforderlich" sei, gebunden. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ausgeführt: Das am 16. Dezember 2015 dem Beklagten zugegangene Schreiben stelle einen Widerspruch dar. Darüber hinaus sei die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid fehlerhaft gewesen, denn es hätte auf die Möglichkeit des Widerspruchs in elektronischer Form hingewiesen werden müssen. Der Beklagte habe nicht geprüft, ob ein Härtefall vorliegt. Daher sei der Bescheid ermessensfehlerhaft. Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. Februar 2016 aufzuheben, sowie hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte aufgrund seines Anerkenntnisses im Verfahren S 7 AS 1240/15 an der erneuten Aufforderung zur Rentenantragstellung und der auf der Grundlage des Bescheides vom 26. November 2015 nach § 5 Abs. 3 SGB II ersatzweise vorgenommenen Rentenantragstellung gehindert ist, und den Beklagten zu verpflichten, den ersatzweise für die Klägerin bei der DRV gestellten Antrag nach § 5 Abs. 3 SGB II auf Altersrente zurückzunehmen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, das am 16. Dezember 2015 eingegangene Schreiben habe lediglich einen Hinweis an den Beklagten zur Rechtslage enthalten. Die ansonsten rechtskundig vertretene Klägerin hätte sich auch hinsichtlich des erforderlichen Rechtsbehelfs beraten lassen müssen. Seine Entscheidung sei auch ermessensfehlerfrei getroffen worden. Eine besondere Härte liege nicht vor.
Das SG hat am 12. Juli 2017 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die DRV hat der Klägerin mit Bescheid vom 30. August 2017 ab dem 1. November 2017 eine abschlagsfreie Regelaltersrente in Höhe von 767,54 Euro brutto/689,64 Euro netto auf ihren Antrag vom 16. Juni 2017 gewährt.
Mit Urteil vom 23. Januar 2019 hat das SG den Bescheid vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. Februar 2016 aufgehoben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Es gelte die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs, da eine Einlegung des Widerspruches in elektronischer Form bei Erlass des Aufforderungsbescheides noch nicht zulässig gewesen sei. Das Schreiben vom 16. Dezember 2015 sei als Widerspruch auszulegen. Die Klägerin habe damit deutlich gemacht, dass sie der Ansicht sei, dass aufgrund des vorangegangenen Klageverfahrens rechtlich keine erneute Aufforderung möglich sei. Daher sei im Zweifel davon auszugehen, dass eine Überprüfung erfolgen solle, und ihr Schreiben als Widerspruch auszulegen. Erledigung sei nicht eingetreten, da die DRV trotz bewilligter Regelaltersrente noch keine Entscheidung über den Antrag des Beklagten getroffen habe. Jedoch sei die Aufforderung rechtswidrig, denn diese sei unbillig. Die Klägerin habe im Rahmen ihrer Selbsthilfeobliegenheit nicht zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet werden dürfen. Zwar liege keiner der Gründe der UnbilligkeitsV vor, jedoch könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass zum 1. Januar 2017 § 6 der UnbilligkeitsV hinzugefügt worden sei. Aufgrund dessen müsse im Rahmen der allgemeinen Auslegung des §1 der UnbilligkeitsV bereits vorab die neue Rechtslage Berücksichtigung finden. Es sei in noch nicht abgeschlossenen Rentenverfahren eine Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung unbillig, wenn eine lebenslange sozialhilferechtliche Bedürftigkeit drohe. Der Antrag auf Rücknahme des gestellten Rentenantrages durch den Beklagten sei dagegen abzuweisen, da sich diese Verpflichtung unmittelbar aus der Aufhebung des streitigen Bescheides ergebe.
Gegen das ihm am 14. Februar 2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 4. März 2019 Berufung beim LSG eingelegt. Er hat auf seinen bisherigen Vortrag verwiesen und ergänzend ausgeführt: Das SG habe zwar richtigerweise festgestellt, dass keiner der in der UnbilligkeitsV genannten Gründe bei Erlass des Widerspruchbescheides einschlägig gewesen sein; jedoch sei es rechtswidrig zu der Ansicht gelangt, dass der ab 1. Januar 2017 geltende § 6 der UnbilligkeitsV beachtet werden müsse. Indes seien Rechtsänderungen nach Erlass des Widerspruchbescheides unbeachtlich. Es komme bei der Beurteilung auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung an. Die Aufforderung sei rechtmäßig ergangen. Daher sei der ersatzweise gestellte Rentenantrag des Beklagten nicht zu beanstanden.
Am 23. November 2020 (Zugang per Fax) hat die Berichterstatterin den Beklagten darauf hingewiesen, dass es möglicherweise an einer Anhörung nach § 24 SGB X fehle.
In der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2020 hat der Beklagte vorgetragen, eine formelle Anhörung vor Erlass des streitigen Bescheides sei nicht erfolgt. Richtigerweise sei das Schreiben vom 16. Dezember 2015 als Widerspruch auszulegen. Allerdings sei durch die anwaltliche Stellungnahme im Widerspruchsverfahren Heilung eingetreten. Sollte dieser Rechtsansicht nicht gefolgt werden, werde gebeten, die Anhörung nachholen zu dürfen. Hierfür habe er bereits einen vorbereiteten Vordruck mitgebracht, welcher übergeben werden könne.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Januar 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtstreit zu vertagen und dem Beklagten Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme bis zum 18. Dezember 2020 einzuräumen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, es sei entgegen der Ansicht des Beklagten auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Denn sie habe nicht nur eine isolierte Anfechtungsklage, sondern eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben. Daher sei auch die ab 1. Januar 2017 geltende UnbilligkeitsV anzuwenden. Im Ergebnis habe das SG dies auch zutreffend vorgenommen. Auch habe der Beklagte sein Recht zur Aufforderung verwirkt, da die DRV mittlerweile der Klägerin eine abschlagsfreie Regelaltersrente bewilligt habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten dem Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft. Sie unterfällt nicht der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom 27. März 2017 - L 5 AS 176/17 B ER -, Rn. 32, juris). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 151, 153 SGG) erhoben.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG entschieden, dass die Aufforderung an die Klägerin zur Rentenantragstellung rechtswidrig ist.
I.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 23. Januar 2019 sowie der Bescheid des Beklagten vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2016, durch den die Klägerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente aufgefordert worden ist.
Zutreffende Klageart ist die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG), weil es sich bei der Aufforderung, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen, um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X handelt (vgl. BSG vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R -, Rn. 12, juris).
Einer echten notwendigen Beiladung der DRV nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG bedurfte es nicht (vgl. BSG vom 19. August 2015, a.a.O., Rn. 14). Durch die Entscheidung des Rechtsstreits über die Aufforderung der Klägerin durch den Beklagten zur Rentenantragstellung werden nicht gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte der DRV gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben. Denn dieser Rechtsstreit beantwortet nur eine Vorfrage für die von der DRV zu treffende Entscheidung über den Rentenantrag des Beklagten, so dass ohne ihre Beteiligung über den vorliegenden Rechtsstreit entschieden werden darf.
Die Klage ist zulässig.
Der Bescheid vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. Februar 2016 ist nicht bestandskräftig geworden. Denn die Klägerin hat rechtzeitig Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. November 2015 eingelegt. Nach § 77 SGG ist ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der gegebene Rechtsbehelf nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. Rechtzeitig eingelegt ist der Widerspruch, wenn er innerhalb der Frist nach § 84 Abs. 1 SGG eingelegt wurde. Nach § 84 Abs. 1 S. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist berechnet sich nach § 37 Abs. 2 SGB X. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, mithin hier am 29. November 2015.
Bereits am 16. Dezember 2015 - und nicht erst am 26. Januar 2016 - hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Denn das an diesem Tage bei dem Beklagten eingegangene Antwortschreiben stellt einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. November 2015 dar. Dies ergibt die erforderliche Auslegung. Eine Erklärung ist unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen auszulegen. Dabei ist sie nach dem Meistbegünstigungsprinzip so auszulegen, dass das Begehren des Erklärenden möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Es ist daher nicht erforderlich, dass ein Rechtsbehelf als ein Widerspruch bezeichnet ist. Auch die Formulierung eines Antrags oder eine Begründung sind keine notwendigen Mindestinhalte. Bei Unklarheiten, die nicht im Wege der Auslegung beseitigt werden können, ist die Behörde gehalten, durch Rückfragen zu klären, ob ein förmlicher Widerspruch eingelegt werden soll und wogegen sich dieser richtet. Im Zweifel ist jedoch davon auszugehen, dass mit dem Widerspruch alle Verfügungssätze angegriffen werden (vgl. Gall in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 83 SGG [Stand: 15.07.2017], Rn. 12). Indem die Klägerin mitteilte, dass sie keinen Antrag auf vorzeitige Altersrente stellen werde, da bereits eine rechtskräftige Ablehnung dieser Aufforderung gegeben sei, hat sie hinreichend deutlich gemacht, dass sie meinte, dass der Beklagte nicht berechtigt sei, sie erneut aufzufordern. Ihr Rechtschutzziel bezieht sich im Zweifel darauf, diese Aufforderung zu beseitigen bzw. für gegenstandslos zu erklären. Zwar hat sie dies nicht eindeutig erklärt. Es erscheint aber fernliegend, dass sie den Beklagten lediglich unverbindlich auf ihre Einschätzung der Rechtslage hinweisen wollte. Der Beklagte durfte daher nicht von einem unverbindlichen Hinweis ausgehen, sondern hätte (mindestens) bei der Klägerin nachfragen müssen.
Für die Anfechtungsklage besteht auch nach Beginn des Bezugs einer abschlagsfreien Regelaltersrente ab dem 1. November 2017 ein Rechtsschutzbedürfnis, weil die angefochtene Aufforderung nicht im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt ist. Solange das auf dem Antrag des Beklagten beruhende Rentenverfahren auf Gewährung einer vorzeitigen Altersrente noch nicht abgeschlossen ist, begründet und erhält die angefochtene Aufforderung die Verfahrensführungsbefugnis für die Klägerin im Rentenverfahren, in dem eine rückwirkende Bewilligung einer vorzeitigen Altersrente weiterhin in Betracht kommt (vgl. BSG vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R -, Rn. 13, juris; BSG vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 12/20 R –, Rn. 12, juris).
II.
Die Klage ist auch begründet, mithin die Berufung des Beklagten unbegründet.
Der Bescheid vom 26. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2016 ist - entgegen der Ansicht des SG - bereits formell rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente und die Ersatzvornahme ist § 12a in Verbindung mit § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, wobei nach § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag nicht, können die SGB II-Leistungsträger nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II den Antrag selbst stellen.
Vorliegend ist die Klägerin vor Erlass des Bescheides vom 26. November 2015, bei dem es sich um einen belastenden Verwaltungsakt handelt (vgl. BSG vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R -, Rn. 12, juris), nicht angehört worden (hierzu 1; vgl. zum Erfordernis einer Anhörung BSG vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 46/15 R -, Rn. 16, juris). Die Anhörung ist nicht im Vorverfahren (hierzu 2) oder im Gerichtsverfahren (hierzu 3) nachgeholt worden bzw. nachholbar (hierzu 4).
(1)
§ 24 Abs. 1 SGB X bestimmt, dass einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in dessen Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Hierzu gehören auch alle Tatsachen, die die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen muss und kann (vgl. BSG vom 20. Dezember 2012 - B 10 LW 2/11 R -, Rn. 35, juris; BSG vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 9/11 R -, Rn. 14, juris). Der Beklagte hat den Bescheid erlassen, ohne vorab der Klägerin Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
Die Anhörung war auch nicht entbehrlich. Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn
1. eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2. durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3. von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4. Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5. einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6. Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7. gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll.
Keiner der aufgeführten Ausnahmegründe liegt vor, nach denen der Beklagte nach Ausübung seines diesbezüglich gegebenen Ermessens von einer Anhörung hätte absehen können.
Auch konnte die Anhörung für den Bescheid vom 26. November 2015 nicht aufgrund der in dieser Rechtsfrage zwischen den Beteiligten bereits zuvor durchgeführten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren unterlassen werden.
Generell sind gesetzliche Ausnahmetatbestände eng gefasst. So sind bereits die Ausnahmetatbestände des § 24 Abs. 2 SGB X nicht über den Wortlaut hinaus auszulegen. Eine erweiternde Auslegung kommt regelmäßig nicht in Betracht. Aufgrund dessen ist es nicht zulässig, von einer (erneuten) Anhörung abzusehen, wenn in einem vorherigen aufgehobenen Bescheid zum gleichen Sachverhalt eine Anhörung bzw. Heilung erfolgt war. Denn mit dem neuen Bescheid wurde eine erneute belastende Ermessensentscheidung, die in die Rechtsposition der Klägerin eingreift, getroffen, welche auf einer neuen (erweiterten) Ermessensausübung (hier Vermögensprüfung) beruht.
(2)
Der Anhörungsfehler ist auch nicht geheilt worden. Nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X ist eine Verletzung von einer Verfahrens- oder Formvorschrift, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (§ 41 Abs. 2 SGB X) nachgeholt wird.
Insbesondere ist mit dem dem Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2016 zugrundeliegenden Widerspruchsverfahren - entgegen der Ansicht des Beklagten - die Anhörung nicht wirksam nachgeholt worden. Eine Heilung des dem Beklagten unterlaufenen Verfahrensfehlers ergibt sich nämlich - was hier allein in Betracht käme - nicht daraus, dass die Klägerin gegen den streitigen Bescheid ein anwaltliches Widerspruchsschreiben eingereicht hat. Im Anwendungsbereich des SGB X, das die Anhörungsobliegenheit der Behörde zu einem subjektiven Verfahrensrecht des Betroffenen mit Abwehranspruch bei dessen Verletzung (§ 42 Satz 2 SGB X) ausgestaltet hat, liegt in der bloßen Einlegung des Widerspruchs keine Heilung des Verfahrensmangels der unterlassenen Anhörung (vgl. BSG vom 26. September 1991 – B 4 RK 4/91 –, Rn. 33, juris). Denn die Behörde darf das Vorbringen des Betroffenen nicht lediglich zur Kenntnis nehmen, sondern sie muss vielmehr in Hinsicht auf das Vorgetragene ihre getroffene Entscheidung nach außen erkennbar kritisch überdenken (vgl. BSG vom 9. Oktober 2010 - B 4 AS 37/09 R, SozR 4-1300 § 41 Nr. 2; Siewert/Waschull in LPK-SGB X, § 41 Rn. 18: Grundsatz der substanziellen Anhörung). Andernfalls (Heilung bereits "durch Einlegung" des Widerspruchs) liefe § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X leer. Denn § 41 SGB X zählt die Voraussetzungen abschließend auf, von denen der Eintritt der "Unbeachtlichkeit" eines dort genannten Verfahrensfehlers abhängt (vgl. BSG vom 26. September 1991 – B 4 RK 4/91 –, Rn. 33, juris). Nach außen erkennbar kritisch überdacht ist die Entscheidung, wenn die Behörde dem Betroffenen entweder in einem besonderen Schreiben oder im Widerspruchsbescheid das Ergebnis mitteilt (vgl. Littmann in: Hauck/Noftz, SGB, 08/17, § 41 SGB X, Rn. 24). Aufgrund dessen wird die unterlassene Anhörung des Betroffenen nicht mit heilender Wirkung im Widerspruchsverfahren nachgeholt, wenn der Verwaltungsakt wegen vermeintlicher verspäteter Anfechtung als rechtsverbindlich behandelt (vgl. BSG, Urteil vom 7. Februar 1985 – 9a RVs 10/83 –, Leitsatz, juris) und keine Überprüfung in der Sache vorgenommen wird. Durch die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig, hat sich der Beklagte nicht mit den vorgebrachten Sachargumenten der Klägerin auseinandergesetzt. Er hat seine Prüfung im Widerspruchsbescheid lediglich auf die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs beschränkt.
(3)
Eine Heilung ist auch nicht im erstinstanzlichem Verfahren eingetreten.
Eine Nachholung der Anhörung im Gerichtsverfahren setzt ein entsprechendes mehr oder minder förmliches Verwaltungsverfahren - gegebenenfalls unter Aussetzung desselben (§ 114 Abs. 2 Satz 2 SGG) - voraus (vgl. BSG vom 7. Februar 1985 – B 9a RVs 10/83 -, Rn. 22, juris; Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 41, Rn. 17; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage 2000, § 45 Rn. 45 f.; Waschull in LPK-SGB X, § 41, Rn. 15). Es reicht nicht aus, dass die Behörde in einem Schriftsatz auf den Vortrag der Klägerin eingeht oder der Terminsvertreter diesbezüglich eine Erklärung in der mündlichen Verhandlung - ggf. zu Protokoll - abgibt. Es muss vielmehr eine Entscheidung der Behörde zum Vollzug ergehen (vgl. BSG vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R -, SozR 4-1300 § 41 Nr. 2; BSG, Urteil vom 06. April 2006 – B 7a AL 64/05 R –, Rn. 15, juris). Dies ist im Verfahren vor dem SG nicht geschehen.
(4)
Hier ist die Anhörung auch nicht im Berufungsverfahren nachgeholt worden.
1.
Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte aus eigenem Antrieb das Anhörungsverfahren nicht nachgeholt.
2.
Das Gericht war nicht verpflichtet, dem Beklagten Gelegenheit zur Nachholung der Anhörung in Anschluss an die mündliche Verhandlung zu geben.
(a)
Es ist - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – nicht mehr sachdienlich, das Verfahren auszusetzen, um dem Beklagten die Gelegenheit zur Nachholung (wie in der mündlichen Verhandlung sinngemäß beantragt) zu geben. Nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Eine Sachdienlichkeit der Aussetzung im Sinne der Verfahrenskonzentration kann nur bejaht werden, wenn durch eine Heilung von Verfahrens- und Formmängeln im Gerichtsverfahren eine Verkürzung der Dauer des gesamten Verfahrens unter Berücksichtigung eines zu erwartenden neuen Verwaltungs- und anschließenden Gerichtsverfahrens zur erneuten Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit erreicht werden kann (vgl. zur Verkürzung der Gesamtdauer sowohl des Verwaltungs- als auch des Gerichtsverfahrens: BSG vom 12. Juni 2001 - B 4 RA 37/00 R -, SozR 3-2600, § 243 Nr. 9, S. 38; BSG vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R –, Rn. 25, juris). Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung ist eine entsprechende Ermessensentscheidung des Gerichts möglich.
Diese Voraussetzung liegt jedoch nicht vor. Denn es kann aus Rechtsgründen kein weiteres Klageverfahren geben, das durch eine Nachholung der Anhörung im laufenden Berufungsverfahren erspart werden könnte. Es ist keine Verkürzung oder Verfahrenskonzentration möglich. Da die Klägerin bereits seit dem 1. November 2017 Regelaltersrente bezieht, ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine erneute Aufforderung zur Rentenantragstellung nicht mehr möglich.
(b)
Der Senat ist aber auch nicht aus anderen Gründen verpflichtet, Gelegenheit zur Nachholung der Anhörung zu geben
Dies ergibt sich nicht aus der richterlichen Hinweispflicht. Nach § 106 Abs. 1 SGG hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
Mit dieser Norm soll zunächst sichergestellt werden, dass die erforderlichen prozessualen Formerfordernisse im gerichtlichen Verfahren eingehalten werden. Formfehler des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens, die Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Klageverfahren sind, werden von § 106 Abs. 1 SGG nicht erfasst. Das Gericht zu einem Hinwirken auf die Beseitigung von Formfehlern im Verwaltungsverfahren zu verpflichten, würde letztlich nichts anderes bedeuten, als von diesem eine einseitige, die Besorgnis der Befangenheit auslösende Parteinahme zu Gunsten der Beklagten zu verlangen (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 28. Dezember 2011 – L 13 AL 4778/11 NZB –, Rn. 6, juris). Mithin kann der Beklagte aus § 106 Abs. 1 SGG keinen Anspruch auf eine Aussetzung oder Vertagung zur Nachholung der Anhörung herleiten.
Zum anderen konkretisiert die richterliche Hinweispflicht den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl. BVerwG vom 21. September 2011 – 5 B 11/11 –, Rn. 3, juris). Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne des § 62 SGG (vgl. auch Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 1 SGG), muss den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (vgl. BSG vom 28. August 1991 – B 7 BAr 50/91 -, Rn. 4, juris). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte bzw. sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Termin eröffnet wird (vgl. BSG vom 16. Dezember 1993 – B 13 RJ 37/93 –, Rn. 16, juris).
Aus dem Gebot der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen als Ausfluss des rechtlichen Gehörs folgt jedoch grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es den Sachverhalt rechtlich zu bewerten beabsichtigt. Die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung des Spruchkörpers (vgl. BVerwG vom 21. September 2011 - 5 B 11/11 -, juris). Eine Überraschungsentscheidung liegt daher nur vor, wenn das Urteil auf tatsächliche Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (vgl. BSG vom 12. Dezember 1990 - B 11 RAr 137/89 -, Rn. 4, juris; BVerwG vom 21. September 2011 - 5 B 11/11, Rn. 3, juris). Hier hat der Senat kurz vor dem Verhandlungstermin darauf hingewiesen, dass ein Anhörungsmangel bestehen könnte. Es handelt sich um einen rechtlichen Hinweis – nicht um tatsächliche Aspekte des Sachverhalts.
Der Anhörungsmangel, der der Sphäre des Beklagten als Herrin des Verwaltungsverfahrens zuzurechnen ist, war im gerichtlichen Verfahren zwischen den Beteiligten bislang noch nicht thematisiert worden. Es sollte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden und ist dies auch geworden. Der Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung zu dem Rechtsproblem geäußert. Damit hat sich der Hinweis erledigt.
Aus dem Hinweis kann der Beklagte keinen Anspruch auf eine Vertagung oder eine Aussetzung des Verfahrens ableiten, um den Mangel zu Heilen. Dafür ist dieser und die Äußerungsfrist nicht bestimmt (vgl. BSG vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R –, Rn. 34, juris).
(c)
Daher war der in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellte Antrag auf Vertagung nach § 202 S. 1 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) abzulehnen. Denn jede Terminsänderung erfordert im Interesse der Förderung und Straffung des Verfahrens das Vorliegen eines erheblichen Grundes. Jedoch sind rechtfertigende "erhebliche" Gründe im Sinne des § 227 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (vgl. BVerwG vom 23. Januar 1995 - 9 B 1/95-, Rn. 3, juris). Notwendiges rechtliches Gehör wurde - wie bereits oben ausgeführt - dem Beklagten bereits gewährt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 193 SGG.
IV.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Vorliegend wurde eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage getroffen.
Rechtskraft
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