L 4 AS 173/18 ZVW

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AS 1933/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 173/18 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Rücknahme und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von Januar 2005 bis Oktober 2009.

Die am ... 1947 in Minsk geborene und seit Abschluss des Studiums in der nördlich des Polarkreises am Nordpolarmeer gelegenen Hafenstadt Murmansk lebende Klägerin und Berufungsklägerin (im Weiteren: Klägerin) ist russische Staatsangehörige. Sie besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Nach einer Zusage des Bundesverwaltungsamts über die "Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion" reiste sie am 7. Mai 2004 ein. Zuvor hatte sie auf einem zweisprachigen Vordruck eine Zoll- und Devisenerklärung abgegeben, in der sie zu ihren monatlichen Einkünften in die Rubrik "Gehalt/Rente/ Sozialleistungen" einen Betrag von 2.365 Rubel eintrug. Sie besitze eine 43 m² große Wohnung, in der jetzt ihr Bruder wohne.

Von Mai bis Dezember 2004 erhielt die Klägerin vom Sozialamt der Beigeladenen Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). In den Sozialhilfeanträgen gab sie zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen an, 200 EUR Bargeld zu besitzen. Zur Frage im Antragsformular nach Renteneinkommen gab sie keine Erklärung ab. Die Beigeladene wies die Klägerin im September 2004 unter Übersendung von SGB II-Antragsformularen auf die Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II im Januar 2005 hin. Sie vergab einen Termin zur Antragsabgabe im Sozialamt und benannte zwei Anlaufstellen, die beim Ausfüllen der Formulare helfen könnten.

Am 22. Oktober 2004 stellte die Klägerin einen SGB II-Leistungsantrag beim Beklagten und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Beklagter). Das Antragsformular enthielt unter "VI. Einkommensverhältnisse " (Seite 3) folgenden Hinweis:

"Als Einkommen sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen.

Haben Sie und/oder die mit Ihnen im Haushalt lebenden Angehörigen Einnahmen aus

Nichtselbständiger oder selbständiger Arbeit, Vermietung oder Verpachtung, Land- und Forstwirtschaft,

Kindergeld, Entgeltersatzleistungen wie Arbeitslosengeld, Übergangsgeld, Krankengeld,

Renten aus der Sozialversicherung, Betriebsrenten oder Pensionen, ( )

sonstige laufende oder einmaligen Einnahmen gleich welcher Art?"

Danach fügte die Klägerin handschriftlich "Sozialhilfe" ein.

Der Beklagte bewilligte für die Monate Januar bis April 2005 SGB II-Leistungen für Regelbedarf und Kosten der Unterkunft und Heizung [KdUH] von anfänglich 566,80 EUR (später geändert). Auf den Weiterbewilligungsantrag, in dem die Klägerin erklärte, in ihren persönlichen Verhältnissen hätten sich keine relevanten Änderungen ergeben, bewilligte der Beklagte weiter SGB II-Leistungen. Jeweils zum Ablauf des sechsmonatigen Bewilligungsabschnitts stellte die Klägerin einen Fortzahlungsantrag und gab an, es hätten sich keine Änderungen in den Einkommensverhältnissen ergeben. Im Weiterbewilligungsverfahren für die Zeit ab Mai 2008 war die "Anlage EK" erneut auszufüllen: Die Klägerin verneinte, eine "Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung (z.B. Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistungen, Unfall-/Verletztenrente), Betriebsrenten oder Pensionen" zu beziehen. Mit Bescheiden vom 24. November 2004, 21. April, 7. September und 14. Oktober 2005, 1. April und 27. Oktober 2006, 13. und 29. März und 26. Oktober 2007, 7. April und 8. Oktober 2008 und 23. April 2009 gewährte der Beklagte bestandkräftig folgende Leistungen und Beiträge:

Zeitraum

Leistungen

Beiträge

Insgesamt

RL

KdUH

KV

PV

01.2005 574,79

331

243,79

125,01

14,86

? bis 04.2006

02.2005 bis 06.2005

578,29

331

247,29

11.2005

542,34

331

211,34

12.2005 bis 06.2006

563,45

331

232,45

117,07

15,08

? ab 05.2006

07.2006 bis 11.2006

577,45

345

232,45

112,20

14,45

? ab 11.2006

12.2006

579,09

345

234,09

01.2007 bis 02.2007

591,40

345

246,40

03.2007

858,40

345

246,40 + 266,68 BK

112,20

14,45

? bis 04.2007

04.2007 bis 06.2007

591,40

345

246,40

113,05

14,45

? ab 05.2007

07.2007 bis 03.2008

593,40

347

246,40

04.2008

767,65

347

246,40 + 174,25 BK

05.2008 bis 06.2008

593,40

347

246,40

118,31

15,29

? ab 05.2008

07.2008

594,20

351

243,20

08.2008

549,09

351

198,09

09.2008 bis 10.2008

594,20

351

243,20

118,31

15,29

11.2008 bis 04.2009

592,07

351

241,07

118,31

17,54

? ab 11.2008

05.2009

582,36

351

231,36

129,54

17,79

? ab 05.2009

06.2009

601,07

351

250,07

07.2009 bis 10.2009

609,07

359

250,07

129,54

17,79

Im August 2009 gingen bei dem Beklagten zwei gleichlautende Schreiben ein, in denen die namentlich genannte Verfasserin mitteilte, die Klägerin beziehe eine russische Rente von ca. 300 EUR monatlich, die auf ein Konto in Russland gezahlt werde. Sie verwende das Geld bei Urlaubsbesuchen in Russland. Den Erlös aus der Veräußerung ihrer Wohnung von 38.000 EUR habe sie angelegt und beziehe daraus Zinsen.

Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin im Oktober 2009 mit, über den aktuellen Leistungsantrag könne noch nicht entschieden werden, und forderte sie unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflichten auf, eine Kopie ihres Rentenbescheids in deutscher Sprache vorzulegen und anzugeben, seit wann und in welcher Höhe Rentenzahlungen erfolgten. Zudem seien Unterlagen zum Wohnungsverkauf vorzulegen.

Im Schreiben vom 15. November 2009 verwies die Klägerin auf die Zollerklärung vom 30. Januar 2004, in der sie die Höhe der Rente angegeben habe. Diese könne der Beklagte "bei Bedarf rausholen". Bei der Vorsprache am 20. November 2009 legte sie Kopien des russischen Reisepasses, der Zoll- und Devisenerklärung sowie eines ausgefüllten Fragebogens der Bundesversicherungsanstalt über Anrechnungszeiten in der ehemaligen Sowjetunion vor. Zudem legte sie in Kopie ein Dokument in russischer Sprache mit einer kursorischen (von Y. Zaytsev gefertigten) Übersetzung vor. Danach belief sich die lebenslängliche Rente seit April 2007 auf 3.536,73 Rubel monatlich. Weiterhin legte sie in Kopie ein "Rentenbuch" vor, aus dem sich der o.g. Rentenbetrag ab April 2007 und die Erstbewilligung von Altersrente im Oktober 1997 ergab. Der anwesende Herr Z. erklärte, er sei ein Bekannter der Klägerin. Er habe ihr – gemeinsam mit einem Sozialarbeiter der jüdischen Gemeinde – beim Ausfüllen der Anträge geholfen. Viele aus Russland stammende SGB II-Leistungsberechtigte seien in derselben Lage wie die Klägerin und bezögen eine russische Rente und SGB II-Leistungen. Bislang habe noch nie jemand nach der russischen Rente gefragt.

Am 24. November 2009 beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII), die auch bewilligt wurde.

Mit Bescheid vom 26. November 2009 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin ab. Gemäß § 7 Abs. 4 SGB II sei sie wegen des Bezugs einer Altersrente von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Mit Schreiben vom selben Tag meldete er bei der Beigeladenen einen Erstattungsanspruch nach §§ 103, 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) an.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2010 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rücknahme der SGB II-Bewilligungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Oktober 2009 an. Die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nach dem SGB II hätten nicht vorgelegen, weil sie eine russische Altersrente für Frauen erhalte. Gemäß § 7 Abs. 4 SGB II sei sie damit von SGB II-Leistungen ausgeschlossen. Ihr sei die Fehlerhaftigkeit der Leistungsgewährung bekannt gewesen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Die Leistungen seien gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Auch die erbrachten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 335 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) zu erstatten. Unter Auflistung in den einzelnen Bewilligungszeiträumen der erbrachten Leistungen bezifferte er die Gesamtforderung auf 42.155,88 EUR.

In einem am 2. Februar 2010 beim Beklagten eingegangenen Schreiben führte die Klägerin aus, sie habe ihre russische Rente nie verheimlicht. Sie sei in allen Dokumenten erwähnt – insbesondere in der Vermögenserklärung vom 30. Januar 2004. Die Rente sei sehr gering, sie reiche nicht für den Lebensunterhalt. Sie beziehe SGB II-Leistungen als Zuschuss zur Rente.

Mit auf § 40 Abs. 1 SGB II in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X, 330 Abs. 2 SGB III und § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestütztem Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 16. Februar 2010 nahm der Beklagte die Leistungsbewilligungen für den Zeitraum von Januar 2005 bis Oktober 2009 ganz zurück. Er listete die in den einzelnen Bewilligungszeiträumen eingetretenen Überzahlungen differenziert nach Regelleistung, KdUH sowie Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung auf und gelangte zu einem Gesamtbetrag von 42.155,88 EUR. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin sei nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II. Sie beziehe eine Altersrente, die sie in ihren Leistungsanträgen nicht angegeben habe. Sie habe ein Renteneinkommen sogar ausdrücklich verneint. Aufgrund der falschen und unvollständigen Angaben sei die fehlerhafte Bewilligung (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) erfolgt. Zudem hätte sie die Rechtswidrigkeit der Bewilligungen erkennen können (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Soweit sie aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse die Leistungsanträge unvollständig bzw. fehlerhaft ausgefüllt habe, rechtfertige dies keine andere Entscheidung. Die Amtssprache sei deutsch (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Zudem habe die Klägerin erklärt, dass ihr Sozialarbeiter der jüdischen Gemeinde beim Ausfüllen der Anträge geholfen hätten. Sie habe jeweils mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit der Angaben in den Anträgen bestätigt. Es sei der Gesamtbetrag der gezahlten Leistungen zu erstatten.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2010 zurück. Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II für Bezieher von Altersrenten gelte grundsätzlich auch für ausländische Altersrenten, wenn sie einer deutschen Rente vergleichbar seien. Es komme nicht auf die Höhe des Rentenbetrags an. Da die Klägerin seit 1997 eine russische Altersrente erhalte, habe sie keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen. Die von Anfang an rechtswidrige Bewilligung sei gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, da sich die Klägerin nicht auf Vertrauen berufen könne. Sie habe grob fahrlässig im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X gehandelt, da sie nach den Fragen und Hinweisen in Vordrucken und Merkblättern hätte wissen müssen, dass Angaben zum Rentenbezug zu machen waren. Im Erstantrag sei nach einem Renteneinkommen gefragt worden, das sie – wie auch in den Folgeanträgen – verneint habe. Zudem hätte sie die Rechtswidrigkeit der Bewilligungen erkennen können. Die SGB II-Leistungen von insgesamt 34.307,03 EUR seien gemäß § 50 Abs. 1 SGB X und die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von insgesamt 7.848,85 EUR seien nach § 335 SGB III in Verbindung mit § 40 Abs. 1 SGB II zu erstatten. Es ergebe sich ein Rückzahlungsbetrag von insgesamt 42.155,88 EUR.

Am 22. Juni 2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Der Beklagte habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie die deutsche Sprache nicht beherrsche. Ihr Verständnis der gesprochenen Sprache sei gering und sie könne selbst nicht deutsch sprechen. Die Schriftsprache verstehe sie nicht, denn sie könne nur kyrillische Schrift lesen. Sie habe den Bezug der russischen Rente beim Ausfüllen der Anträge nicht verschwiegen. Sie habe den Inhalt der Formulare nicht verstanden. Wenn man sie in russischer Sprache nach der Altersrente gefragt habe, habe sie diese immer angegeben. Dies gelte beispielsweise für ihre Angaben gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Wegen des Verständigungsproblems sei ihr keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Der Verweis auf die Amtssprache sei zynisch. Da ihre Rente nicht bedarfsdeckend sei, müsse ohnehin ein Sozialleistungsträger Leistungen erbringen. Es sei kein Schaden entstanden. Daher bestehe kein Grund für eine Rücknahme. Die betroffenen Leistungsträger (SGB II und SGB XII) müssten die Leistungen im Erstattungswege ausgleichen, ohne sie zu belasten. Sie habe nach ihrer Übersiedlung eine Vielzahl von Erklärungen und Formularen ausfüllen und unterschreiben müssen, für deren Übersetzung niemand gesorgt habe. Da der Beklagte ihr keinen Dolmetscher zur Verfügung gestellt habe, könne er ihr keine grobe Fahrlässigkeit vorwerfen.

Im Erörterungstermin des SG am 26. Januar 2012 hat die Klägerin erklärt, sie habe die russische Rente überall angegeben, beim Finanzamt, bei der Rente und beim Sozialamt. Gemeinsam mit ihrem Bekannten Yuri Zaytsev habe sie die Anträge ausgefüllt und abgegeben. Mit Beschluss vom 6. Februar 2012 hat das SG die Stadt D. als Sozialhilfeträger beigeladen.

Die Klägerin hat im Juni 2012 ergänzend ausgeführt, sie genieße Vertrauensschutz, da sie nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Denn sie habe die Leistungsanträge nicht ohne eigene Prüfung "blind" unterschrieben. Vielmehr habe sie stets das Erforderliche unternommen, um ihr Verständigungsproblem zu beseitigen. Wenn sie Vordrucke und Formulare nicht verstanden habe, habe sie sich um eine Übersetzung von ihr sachkundig erscheinenden Dritten bemüht. Der ihr regelmäßig behilfliche Yuri Zaytsev entstamme dem russischen Sprachraum und werde als ehrenamtlicher Helfer insbesondere in Behördenangelegenheiten für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde tätig. Einen professionellen Dolmetscher könne sie sich nicht leisten. Sie habe sich angesichts der Erfahrung und der Sprachkenntnisse der Hilfsperson darauf verlassen, dass er die ggf. erforderlichen Informationen zum Ausfüllen der Formulare von ihr erfrage.

Dem ist der Beklagte entgegengetreten: Die Klägerin müsse sich ein Fehlverhalten der herangezogenen Hilfspersonen zurechnen lassen, da sie mit ihrer Unterschrift auf den Formularen die Richtigkeit der Angaben bestätigt habe. Soweit sie wegen der Angaben unsicher gewesen sei, hätte sie dies bei der persönlichen Vorsprache beim Beklagten deutlich machen und sich um Klärung bemühen müssen.

Die Beigeladene hat darauf hingewiesen, dass auch in der Zollerklärung der Rentenbezug nicht ausdrücklich erklärt sei; der eingetragene Rubelbetrag könne sich auf ein Gehalt, eine Rente oder eine Sozialleistung beziehen. Zudem könne diese Erklärung nur die Einkommensverhältnisse im Januar 2004 abbilden. Sie sei nicht geeignet, spätere Angaben zu ersetzen. Die Beigeladene habe keine Kenntnis vom Rentenbezug gehabt. Sie habe erst am 26. November 2009 vom Bezug der russischen Rente und von ihrer Leistungspflicht erfahren. Daher komme kein Erstattungsanspruch des Beklagten in Betracht. Der Sozialhilfebezug im Jahr 2004 vermittele nicht die erforderliche Kenntnis vom Leistungsfall.

In der mündlichen Verhandlung des SG hat die Klägerin ergänzend erklärt, den ersten SGB II-Antrag habe Frau T. von der Sprachenschule, die sie damals besucht habe, ausgefüllt. Diese habe das Formular schnell ausgefüllt und sie dann unterschreiben lassen. Die Formularfragen seien ihr nicht übersetzt worden. Sie sei nach Geburtsnamen und Ort gefragt worden, jedoch nicht nach Einkommen. Sie selber habe nichts in die Formulare eingetragen. Die späteren Anträge habe sie mit Herrn Z. ausgefüllt. In den Formularen sei ihres Wissens nicht gefordert gewesen, eine russische Rente anzugeben. Es sei nur nach deutschen Renten gefragt worden. Bis April 2007 habe niemand gewusst, dass die russische Rente anzugeben war. Der als Zeuge vernommene Yuri Zaytsev hat angegeben, er habe übersetzt und gefragt, wie und was er eintragen solle. Die persönlichen Angaben der Klägerin habe er anfangs nicht gekannt, deshalb habe er fragen müssen. Nach ihren Angaben habe er dann die Formulare ausgefüllt. Er habe anfangs nicht gewusst, dass sie eine russische Altersrente bezog. Das habe er erst später erfahren. Er meine, dass in den Formularen nicht nach dem Bezug einer russischen Rente gefragt worden sei.

Mit Urteil vom 2. Dezember 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligungen lägen vor, denn diese seien anfänglich rechtswidrig gewesen, da die Klägerin aufgrund des Bezugs der russischen Altersrente gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II von SGB II-Leistungen ausgeschlossen sei. Sie könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da sie zumindest grob fahrlässig unvollständige und unrichtige Angaben in den Antragsformularen gemacht habe. Die Nichtangabe des Rentenbezugs sei ein Verschweigen leistungserheblicher Umstände. Die Klägerin habe die ihr obliegende Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt, weil sie einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt habe. Sie hätte nach ihren intellektuellen Fähigkeiten erkennen können, dass sie das Renteneinkommen hätte angeben müssen. Denn es sei nach den Fragen offensichtlich, dass alle Einkünfte anzugeben waren. Mangelnde Sprachkenntnisse könnten ihre fehlerhaften Angaben nicht entschuldigen, denn sie habe keinen Anspruch darauf, dass Formulare in einer anderen als der deutschen Sprache abgefasst würden. Sie hätte bei Verständnisproblemen alles Erforderliche unternehmen müssen, um die Probleme zu beseitigen. Der Sorgfaltspflichtverstoß bestehe darin, dass sie sich nicht ausreichend darum bemüht habe, den Inhalt der Antragsformulare vollständig zu erfassen. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung habe sie zudem seit April 2007 gewusst, dass russische Altersrenten für den Bezug von Sozialleistungen relevant sind. Bereits die Nichtangabe bei der Erstantragstellung sei grob fahrlässig gewesen. Denn die Klägerin habe nach dem "Schnelldurchgang" bei der Erstantragstellung nicht davon ausgehen dürfen, dass das vielseitige Formular vollständig und korrekt ausgefüllt worden war. Ein Erstattungsanspruch der Leistungsträger untereinander stehe der Rücknahme und -forderung gegen die Klägerin nicht entgegen, weil die Beigeladene als Trägerin der Sozialhilfe gemäß § 105 Abs. 3 SGB X erst ab dem Zeitpunkt der Kenntnis der eigenen Leistungspflicht erstattungspflichtig sei. Diese Kenntnis habe sie erst im November 2009 gehabt.

Gegen das ihr am 15. Januar 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30. Januar 2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, wegen ihrer mangelnden Deutschkenntnisse könnten ihr falsche Angaben nur dann vorgeworfen werden, wenn sie nichts unternommen hätte, um eine Übersetzung zu erhalten. Sie habe sich aber um Hilfe bemüht und den Zeugen Zaytsev zu Rate gezogen. Auf die Richtigkeit seiner Erläuterung, wonach in dem Formular nicht nach einer russischen Rente gefragt werde habe sie sich verlassen. Dies könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden.

In der mündlichen Verhandlung des Senats hat die Klägerin angegeben, sie habe an der Hochschule in Leningrad Ökonomie studiert und danach in Murmansk in einem Fischereibetrieb mit mehreren Ladengeschäften gearbeitet. Sie sei zuletzt die Direktorin dieser Läden gewesen. Zudem sei sie 10 Jahre als Schöffin bei einem Gericht zumeist in Strafsachen tätig gewesen. Sie beziehe die Altersrente bereits seit 1997, weil sie in Murmansk in der Nordregion der Russischen Föderation gelebt habe. Dort könne man wegen der harten Lebens- und Umweltbedingungen die Rente auch neben einer Erwerbstätigkeit bereits fünf Jahre früher beziehen. Im Zuge der Wirtschaftskrise sei sie 1991 von ihrem Betrieb entlassen worden. Danach sei sie selbstständig tätig gewesen. Zuletzt, praktisch bis zur Ausreise, habe sie als Einzelunternehmerin Krankenhäuser mit Waren beliefert. Damit habe sie nicht viel verdient, ca. 2.500 bis 2.800 Rubel.

Mit Urteil vom 31. Januar 2017 hat der Senat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Rücknahmeentscheidung des Beklagten sei materiell rechtmäßig. Aufgrund des Bezugs einer Altersrente sei die Klägerin gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Ein schutzwürdiges Vertrauen im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X stehe der Rücknahme der Leistungsbewilligung nicht entgegen, da die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gegeben seien. Die Bewilligungsbescheide beruhten auf Angaben, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig im wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Obwohl sie ausdrücklich nach Renten bzw. sonstigen Einkünften gefragt worden sei, habe sie im Leistungsantrag keine Angaben zu ihren laufenden Renteneinnahmen gemacht. Die geltend gemachten und bestehenden Sprachprobleme ließen den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entfallen. Ausländische Antragssteller müssten sich, auch wenn sie der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig seien, über den Inhalt amtlicher Schriftstücke mit Hilfe eines Dolmetschers sichere Kenntnis verschaffen. Es sei der Klägerin als Ausländerin als Sorgfaltspflichtverstoß anzulasten, dass sie in Kenntnis ihrer Verständigungsprobleme nicht alles Erforderliche unternommen habe, um diese auszuräumen. Sie habe sich zwar der Hilfe von ihr sachkundig erscheinenden Personen bedient. Indes habe sie sich von ihren Hilfspersonen nicht die Fragen im Antragsformular im Einzelnen erläutern lassen. Die Klägerin habe sich bei ihren Eintragungen mehr oder minder blind auf die Anweisungen der Hilfspersonen verlassen. Zudem habe sie beim Beklagten weder nachgefragt noch darauf hingewiesen, dass die Angaben möglicherweise nicht vollständig oder vollständig richtig waren. Die Klägerin sei nach § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet, die im streitigen Zeitraum gezahlten Leistungen und die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu erstatten. Dem stehe nicht die Regelung des § 107 Abs. 1 SGB X entgegen, weil kein Erstattungsanspruch zwischen den beteiligten Sozialleistungsträgern bestehe. Denn nach § 105 Abs. 3 SGB X entstehe ein Erstattungsanspruch gemäß § 105 Abs. 1 SGB X gegenüber dem Sozialhilfeträger erst ab dem Zeitpunkt seiner Kenntnis von der eigenen Leistungspflicht.

Gegen das ihr am 29. Mai 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin bereits am 13. März 2017 die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Mit Urteil vom 7. Dezember 2017 hat das BSG (Az.: B 14 AS 7/17 R) das Urteil des Senats aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen. Das BSG hat ausgeführt, es könne nicht beurteilen, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum eine der deutschen Altersrente im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II vergleichbare russische Altersrente bezogen habe und sie deshalb von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Es seien konkrete Feststellungen zur Art der bezogenen Rente und zu deren rechtlichen Einordnung in das russische Rentensystem sowie eine rechtsvergleichende Qualifizierung dieser Rente im Vergleich mit einer deutschen Altersrente erfoderlich.

Der Senat hat das vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen eingeholten Rechtsguten zu Fragen des russischen Rentenrechts vom Institut für Ostrecht München vom 26. Juni 2014 (zum Verfahren L 20 SO 254/12) beigezogen.

Auf Anforderung des Senats hat die Klägerin weitere Unterlagen vorgelegt:

Aus dem im Original vorliegenden Rentenbuch ergibt sich, dass ihr ab dem 1. Oktober 1997 (auf der Berechnungsgrundlage von 558.021 Rubel) Altersrente bewilligt wurde. Außerdem sind die Rentenzahlbeträge zum Jahresbeginn 2013, 2014 und 2015 bescheinigt.

In einem weiteren Rentenbuch, das von der Verwaltung des Rentenfonds der Russischen Föderation für den Stadtbezirk Oktjabrskij der Stadt Murmansk ausgestellt ist und ebenfalls eine Rente wegen Alters bescheinigt, sind die Rentenzahlbeträge für die Jahre von 2007 bis 2012 verzeichnet.

Es liegen mehrere Bescheinigungen der Verwaltung des Rentenfonds der Russischen Föderation über die Rentenart: "Altersrente aus Erwerbstätigkeit" und die Rentenhöhe vor.

Aus den Unterlagen ergeben sich folgende Rentenzahlbeträge:

Datum Zahlbetrag in Rubel Umrechnung in Euro

April 2007: 3.536,73 101,86 EUR

April 2008: 4.073,78 (? nicht eindeutig lesbar) 109,77 EUR

April 2009: 4.577,13 101,37 EUR

April 2010: 5.231,78 131,66 EUR

April 2011: 5.774,32 143,17 EUR

April 2012: 6.021,15 153,76 EUR

1. Januar 2013: 6.578, 56 163,37 EUR

1. Dezember 2013: 7.314,79 181,65 EUR

1. Januar 2014: 7.314,79 161,93 EUR

1. April 2014: 8.115,34 166,70 EUR

1. Januar 2015: 8.115,34 112,61 EUR

1. April 2017: 9.563,17 159,21 EUR

Aus dem Sparbuch der Klägerin bei der "Sberbank Rossii" ergeben sich folgende monatliche Gutschriften des damaligen Rentenbetrags:

Datum Zahlbetrag in Rubel Umrechnung in Euro

April 2004 bis Juli 2004: 2.534,87 Rubel 04.2004: 72,23 EUR

(Durchschnittsrente Russ. Föd. 2004: 1.836 Rubel ? 49,40)

August 2004 bis Februar 2005 2.694,06 08.2004 76,92 EUR

März 2005 bis Juli 2005 3.030,06 03.2005 82,65 EUR August 2005 bis März 2006: 3.301,92 08.2005: 95,25 EUR

April 2006 bis Juli 2006: 3.539,33 04.2006: 104,03 EUR

August 2006 bis März 2007 3.668,92 08.2006: 107,21 EUR

April 2007 bis Juni 2007 3.981,82 04.2007: 114,67 EUR

(alle Umrechnungen mit: https://www1.oanda.com/lang/de/currency/converter/)

Die Beigeladene hat im November 2020 ausgeführt, bei der Bewertung der russischen Altersrente sei zu beachten, dass tatsächlich ein Großteil der russischen Rentner einer Erwerbstätigkeit nachgehe, weil vielfach die bezogenen Renten nicht auskömmlich seien. Trotz staatlicher Festlegung einer (geringen) Mindestrente habe die Russische Föderation die Sicherung des Existenzminimums nicht garantieren können. Dies werde auch aus dem Umstand deutlich, dass Erwerbseinkommen nicht auf die Rente angerechnet werde. Sie schätze daher ein, dass bei einem Rentenbezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht davon auszugehen sei, dass die Erwerbsbiographie abgeschlossen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 2. Dezember 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 16. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Der Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Die Klägerin habe eingeräumt, dass ihr die Fragen aus den Antragsformularen nicht wörtlich übersetzt worden seien. Sie habe sich folglich damit nicht hinreichend auseinandergesetzt. Gleichwohl habe sie mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit der Angaben bestätigt. Dies sei grob fahrlässig.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Beigeladenen ergänzend Bezug genommen. Diese sind – ebenso wie die mitgeteilten Dokumente über die Renten in der Russischen Föderation – Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Streitgegenständlich ist in dem nach der Entscheidung des BSG wiedereröffneten Berufungsverfahren weiterhin der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 16. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2010. Die Bescheide sind rechtmäßig, denn der Beklagte hat zu Recht die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Oktober 2009 aufgehoben (1.) und die erbrachten Leistungen und Versicherungsbeiträge zurückgefordert (2.).

Rechtgrundlage für die Rücknahme der Bewilligungen ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 30. März 2011 geltenden Fassung in Verbindung mit den §§ 330 Abs. 2 SGB III, 45 SGB X. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 1, 2 Satz 3 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, soweit er von Anfang an rechtwidrig begünstigend ist. Voraussetzung ist weiter, dass der Begünstigte sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid ist formell rechtmäßig. Es kann dahinstehen, ob die Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 mit dem unzutreffenden Verschuldensvorwurf (Kenntnis der fehlerhaften Bewilligung) noch den Anforderungen des § 24 Abs. 1 SGB X entspricht. Insoweit war der erlassene Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 16. Februar 2010, der der Klägerin sowohl zumindest grob fahrlässige Falschangaben (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) als auch das Erkennenkönnen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X) vorwirft, zunächst formell rechtswidrig. Indes ist der Anhörungsmangel durch eine Nachholung im Sinne von § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden. Denn hier ersetzt das Widerspruchsverfahren die förmliche Anhörung. Der angegriffene Ausgangsbescheid enthielt die wesentlichen Tatsachen, auf die es nach der Rechtsansicht des Beklagten für den Verfügungssatz objektiv ankam (vgl. BSG, Urteil vom 9. Oktober 2011, Az.: B 13 R 9/11 R, juris RN 14); insbesondere ist der einschlägige Vorwurf der grob fahrlässigen Falschangaben genannt und dargelegt worden. Die Klägerin hatte mithin im Widerspruchsverfahren die Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen sachgerecht zu äußern.

Der angegriffene Rücknahme- und Erstattungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig. Er genügt in der Fassung, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2010 erhalten hat, auch den Anforderungen an die Bestimmtheit von Verwaltungsakten im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X, denn aus dem Verfügungssatz und der Begründung konnte die Klägerin klar und eindeutig erkennen, dass und für welchen Zeitraum die Leistungsbewilligung vollständig aufgehoben wird. Da der Beklagte die Leistungsbewilligung für die genannten Bewilligungszeiträume vollständig aufgehoben hat, bedurfte es keiner Bezifferung der auf die einzelnen Monate entfallenden Aufhebungsbeträge, weil die Klägerin – ggf. unter Heranziehung der Bewilligungsbescheide des Beklagten – einfach ermitteln konnte, wie hoch die monatlichen Aufhebungsbeträge sind und dass ihr kein monatlicher Leistungsbetrag verbleiben sollte. Der Bescheid vom 16. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2010 enthält eine ausführliche Aufstellung aller bewilligten Leistungen einschließlich der gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge.

Durch den Ausgangsbescheid vom 16. Februar 2010 ist auch die Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Der Beklagte hatte erst im November 2009 nach Vorlage des Rentenbuchs durch die Klägerin hinreichend sichere Kenntnis vom laufenden Altersrentenbezug.

Die Rücknahmeentscheidung ist auch im Übrigen rechtmäßig. Alle Bewilligungsbescheide für den streitbefangenen Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Oktober 2009 waren von Anfang an vollständig rechtwidrig. Denn die Klägerin war im Rücknahmezeitraum bereits dem Grunde nach von SGB II-Leistungen ausgeschlossen.

Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhalten Personen, die eine Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlichrechtlicher Art beziehen, keine SGB II-Leistungen. Hiervon erfasst wird auch der Bezug einer ausländischen Altersrente vor Erreichen der Altersgrenze nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 7a SGB II. Bei einer ausländischen Rente handelt es sich unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang und dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 4 SGB II um eine Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausschließende Leistung, wenn sie die gleichen typischen Merkmale aufweist wie die ausdrücklich benannte deutsche Altersrente. Dies ist der Fall, wenn die ausländische Rentenleistung durch einen öffentlichen Träger gewährt wird, sie an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze anknüpft und nach ihrer Gesamtkonzeption einen den Lebensunterhalt sicherstellenden Lohnersatz darstellt (BSG, Urteile vom 7. Dezember 2017, Az.: B 14 AS 7/17 R, juris RN 15 – in diesem Verfahren – und B 14 AS 5/17 R, juris RN 15; Urteil vom 16. Mai 2012, Az.: B 4 AS 105/11 R, juris). Dies ist die Voraussetzung für die typisierende Annahme, dass Bezieher von Altersrenten schon vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden müssen.

Die von dem russischen Rentenfonds der Klägerin bewilligte Altersarbeitsrente erfüllt diese Voraussetzungen. Sie ist von der Funktion und der Struktur her mit der deutschen Altersrente vergleichbar (siehe auch BSG, Urteil vom 30. Juni 2016, Az.: B 8 SO 3/15 R, juris RN 23 ff.). Nach den vom Senat durchgeführten Ermittlungen wird sie wird durch einen öffentlichen Träger, dem Rentenfonds der Russischen Föderation, verwaltet und gewährt, knüpft an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze an und soll nach der Vorstellung des russischen Gesetzgebers anstelle des Arbeitslohns den Lebensunterhalt im Alter sichern.

Zur Alterssicherung im Herkunftsland der Klägerin ist unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung von Folgendem auszugehen: In der Sowjetunion war die Rentenversicherung nach dem Staatsrentengesetz von 1956 in den Staatshaushalt eingebettet und unterlag einer zentralen Verwaltung. Voraussetzung für den Anspruch auf Altersrente waren bestimmte Beschäftigungs- und Wartezeiten sowie das Erreichen des Renteneintrittalters, das im Regelfall für Männer bei Vollendung des 60. Lebensjahres und für Frauen des 55. Lebensjahres lag. Hiervon gab es jedoch zahlreiche Ausnahmen. Die sowjetische Staatsmacht wollte wegen der wenig differenzierten Lohnstruktur mit der Möglichkeit eines (um fünf bis zehn Jahre) früheren Renteneintritts Arbeitsanreize für diese Bevölkerungsgruppen schaffen. Der frühere Renteneintritt war zwar besonderen Berufsgruppen vorbehalten, galt aber wegen der weit gespannten Regelungen tatsächlich für fast ein Drittel aller Rentenbezieher.

Sonderregelungen für einen früheren Rentenbeginn gab es für Beschäftigte mit hohen Anforderungen an die Leistungskraft oder für Beschäftigungen unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen wie die Arbeit unter Tage, bei der Berufsfeuerwehr mit Zuständigkeit für Notfälle und Naturkatastrophen, die einen Renteneintritt mit 50 Jahren von Männern und mit 45 Jahren von Frauen ermöglichten. Zur Arbeit unter besonders schwierigen Umständen gehörten auch (alle) Beschäftigungen in Regionen nördlich des Polarkreises, die einen um bis zu zehn Jahre früheren Renteneintritt ermöglichten. Ein Renteneintrittsalter von 55 Jahren bei Männern und 50 Jahren bei Frauen war vorgesehen nach einer Beschäftigung in der Textilindustrie, im Eisenbahnwesen und im Bergbau, bei geologischen und geophysikalischen Erkundungen und Expeditionen, in der holzverarbeitenden Industrie, im Hafendienst mit Ladetätigkeiten, bei der Wartung von Passagierflugzeugen sowie im Strafvollzugsdienst. Zudem durften Frauen, die mehr als fünf Kinder geboren hatten, mit 50 Lebensjahren in Rente gehen.

Die Rentenbeiträge hatte den Charakter von Steuern und wurde von den Unternehmen für die gesamte Belegschaft entrichtet. Es gab in der Sowjetunion keine individuellen Rentenbeitragskonten. Die Rentenhöhe wurde grundsätzlich nach einem bestimmten Prozentsatz des Durchschnittsverdienstes des Erwerbstätigen im letzten Jahr berechnet. Einfluss hatten aber auch die Art der früher ausgeübten Tätigkeit und die Höhe der Entlohnung. 1990 wurde eine sowjetische Rentenreform durchgeführt, die in das Rentengesetz der Russischen Föderation vom 20. November 1990 übernommen wurde. Auf der Grundlage der Regelungen des sowjetischen Rentengesetzes wurden mehrere der früher parallelen Rentensysteme (für Arbeitnehmer, Kolchosmitgliedern und z.T. die Dienstaltersrenten) zusammengeführt und eine sog. Sozialrente für die Versorgung derjenigen Bürger, die keinen Anspruch auf Arbeitsrente hatten, eingeführt. Die Voraussetzungen für den Renteneintritt und insbesondere das Eintrittsalter änderten sich nicht. Es wurde aber die Rentenberechnung durch Veränderung der Berechnungsgrundlagen modifiziert. Feste Prozentsätze des Durchschnittsverdienstes wurden als Renten, Mindest- und Höchstrenten sowie eine regelmäßige Rentenanpassung neu geregelt. In den Folgejahren gab es weitere Änderungen – wie die individuelle Erfassung von Beitragszahlungen und Versicherungszeiten (1996) sowie die Umgestaltung der Finanzierung in ein dreistufiges Rentensystem: Die erste Stufe sollte eine staatliche Grundrente oder einen Basisbetrag (als Mindestsicherung) darstellen. Die zweite Stufe bildete die sog. Versichertenrente, die diejenigen Rentenanteile umfasste, die sich aus dem Umfang der geleisteten Rentenversicherungszeiten und -beiträge ergaben. Als dritte Stufe war eine Akkumulationsrente bzw. ein Ansparanteil vorgesehen in Form einer zusätzlichen Rentenversicherung durch den Arbeitgeber (Unternehmen) oder individuelle Ansparleistungen des Erwerbstätigen bei dem staatlichen oder privaten Rentenfonds.

Weitere wesentliche Veränderungen des Rentensystems seit dem Jahr 2002 – wie u.a. eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters – gelten nur für Personen, die nach 1966 geboren worden sind. Für ältere Beschäftigte sind die Bezugsbedingungen gleichgeblieben: Voraussetzung für den Bezug einer Arbeitsaltersrente war stets eine Beschäftigung (mit Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber) von mindestens fünf Jahren, das Absolvieren der Wartezeit und das Erreichen des jeweiligen Rentenalters.

Die Altersarbeitsrente dient auch weiterhin als Lohnersatz der Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts im Alter. Dem steht nicht entgegen, dass die russischen Rentenzahlbeträge nach deutschen Maßstäben vergleichsweise niedrig waren und immer noch sind. Dies gilt auch für die Rente der Klägerin, die sich im April 2004 auf umgerechnet 72 EUR belief. Dabei war ihre Rente bereits um ca. 25% höher als die russische Durchschnittsrente. Diese wiederum lag in den Jahren von 1998 bis 2004 nur wenig (um etwa 10%) über dem Existenzminimum der Rentner. Dies rührt daher, dass die Löhne in Russland traditionell gering sind. Seit Anfang der 90er Jahre liegt die durchschnittliche Rente bei ca. 30% (zw. 25 und 40%) des Durchschnittslohns. Traditionell – die Rentenversicherung wurde in Russland erst 1929 eingeführt – sowie wegen des niedrigen Rentenniveaus und des Arbeitskräftemangels kam es häufig vor, dass Rentenbezieher einer Erwerbstätigkeit nachgingen. Im Regelfall wird Erwerbseinkommen auf die Rente nicht angerechnet, soweit es sich nicht um "Spitzeneinkommen" handelt. Die Tageszeitung "Die Welt" bezifferte 2015 den Anteil der Erwerbstätigen unter den Rentnern auf ein Drittel. Die Fortsetzung von Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Renteneintrittsalters war folglich nicht ungewöhnlich, aber auch nicht der Regelfall. Angesichts dieser Verhältnisse im russischen Rentensystem kann nach Auffassung des Senats nicht davon gesprochen werden, dass im Regelfall das Erwerbsleben mit Renteneintritt noch nicht abgeschlossen war. Die Sichtweise der Beigeladenen trifft daher nicht zu.

Aus den von der Klägerin zu ihrem Rentenbezug vorgelegten Unterlagen, insbesondere den Eintragungen im Rentenbuch, ist klar zu folgern, dass es sich bei der bezogenen Rente um eine Altersarbeitsrente handelt. Es gibt keinen Anhalt für den Bezug einer anderen Rentenform wie z.B. einer Invaliden-, Hinterbliebenen- oder Dienstrente. Weiterhin ergibt sich kein Hinweis darauf, dass es sich um eine Teilrente handeln könnte. Aus den Rentenbescheinigungen für die Jahre von 2007 bis 2017 sind regelmäßige Rentenerhöhungen – aber keine Sprünge in den Zahlbeträgen – ersichtlich. Der frühe Renteneintritt im Oktober 1997 mit Vollendung des 50. Lebensjahres beruht auf der ausschließlichen Erwerbstätigkeit in Murmansk im sog. Hohen Norden, die einen der Ausnahmetatbestände für einen früheren Renteneintritt erfüllt. Bei der von der Klägerin ab Oktober 1997 bezogenen Altersarbeitsrente handelt es sich um die Regelaltersrente für Erwerbstätige, die nach ihrer Konzeption den Lebensunterhalt im Alter sicherstellen sollte.

Der Senat stützt diese Feststellung auf die im Gemeinsamen Literatursystem der Deutschen Rentenversicherung hinterlegten Unterlagen zu Rentenleistungen in der Sowjetunion und der Russischen Föderation (www.rvrecht.deutscherentenversicherung.de), das im Verfahren L 20 SO 254/12 für das Landesozialgericht Nordrhein-Westfalen erstattete Gutachten des Instituts für Ostrecht zu Fragen des russischen Rentenrechts vom 26. Juni 2014 sowie auf Ausführungen in der Literatur, wie die von Vogts/Shteynberg (Russische Rentengesetze und Ansprüche in Deutschland, Die Rentenversicherung 2010, S. 41ff.), Feiguine (Rentenreform in Russland: heutiger Stand und Entwicklungsperspektiven im internationalen Vergleich, Working Paper Series: Finance & Accounting, No. 167, Mai 2006), Lodahl (Altersrenten in Russland: Mehr Versorgung als Versicherung, DIW Berlin 99-46-2, 1999, www.diw.de/sixcms/detail.php?id=285843), Taxis (System der Altersvorsorge in Deutschland und Russland, März 2016, Bachelorarbeit bei der Hochschule Anhalt FH) sowie einen Artikel aus der Welt vom 29. Juni 2015 (Wie andere Länder ihr Rentenproblem bekämpfen, www.welt.de/wirtschaft/article 143211552).

Daher besteht im Fall der Klägerin ein Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 SGB II. Die von ihr bezogene Altersarbeitsrente weist die gleichen typischen Merkmale wie eine deutsche Altersrente auf. Die Klägerin hatte daher von Anfang an keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Die Bewilligungsbescheide beruhen auf Angaben der Klägerin, die sie zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).

Eine unrichtige oder unvollständige Angabe kann auch im Verschweigen bestimmter Umstände erfolgen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine gesetzliche Mitteilungspflicht im Sinne von § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) hinsichtlich der Einkommenserzielung besteht und nicht (vollständig) erfüllt wird. Auch eine unvollständige Angabe führt zu einem Verschweigen, wenn sie den fälschlichen Eindruck erweckt, alle entscheidungserheblichen Angaben zum Sachverhalt vollständig gemacht zu haben (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 RN 56).

Die Klägerin hat ihre laufende Renteneinnahme im Erstantrag und auch in den Folgeanträgen gegenüber dem Beklagten nicht angegeben, obwohl ausdrücklich nach Renten bzw. sonstigen Einkünften gefragt wurde. Die Klägerin hat die Richtigkeit ihrer Angaben in den Formularen stets durch ihre Unterschrift bestätigt. Das Verschweigen des Bezugs der Altersarbeitsrente war eine unrichtige Angabe gegenüber dem Beklagten, die ursächlich für die Leistungsbewilligung war.

Der Senat ist – auch nach Befragen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung – und nach Auswertung des Verwaltungsvorgangs einschließlich der Einlassungen der Klägerin im Verfahren zu der Überzeugung gelangt, dass sie hinsichtlich der unterlassenen Angabe des Rentenbezugs als Einnahme grob fahrlässig gehandelt hat.

Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der gesetzlichen Definition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt im ganz besonders schweren Maße verletzt hat. Dies verlangt, dass schon einfache, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was ggf. jedem einleuchten muss. Entscheidend ist das individuelle Vermögen, die Fehlerhaftigkeit der gemachten Angaben erkennen zu können. Maßgeblich ist daher, ob die Klägerin bei einer Parallelwertung in der Lage gewesen wäre, zu erkennen, dass sie ihr Renteneinkommen bei Antragstellung hätte angeben müssen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, Az.: B 14 AS 76/08 R, juris RN 20).

Die von der Klägerin geltend gemachten Sprachprobleme, die auch bei der letzten mündlichen Verhandlung des Senats noch bestanden haben, können den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entkräften. Gemäß § 19 Abs. 1 SGB X ist die Amtssprache deutsch. Daher sind deutsche Behörden nicht verpflichtet, amtliche Formulare in der Heimatsprache eines Antragstellers zur Verfügung zu stellen. Zwar darf die Behörde fremdsprachige Merkblätter o.ä. herausgeben, einen Rechtsanspruch hierauf haben ausländische Antragsteller jedoch nicht (vgl. Roller in: von Wulffen/Schütze, a.a.O., § 19 RN 6). Ebenso besteht kein Anspruch darauf, dass die Behörde zu Anhörungen und Vorsprachen einen Dolmetscher hinzuzieht. Ausländische Antragsteller müssen sich, wenn sie der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sind, über den Inhalt amtlicher Schriftstücke – zu denen auch die Antragsformulare für SGB II-Leistungen gehören – mit Hilfe eines Dolmetschers Klarheit verschaffen. Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass einem Ausländer ein Sorgfaltspflichtverstoß anzulasten ist, wenn er in Kenntnis von Verständigungsproblemen nicht alles Erforderliche unternimmt, um diese auszuräumen. Es obliegt ihm, alles Zumutbare zu unternehmen, um sich die notwendige zuverlässige Kenntnis von Inhalt amtlicher Schriftstücke zu verschaffen. Zuverlässige Kenntnis vom Inhalt erhält jedoch nur, wer sich amtliche Schriftstücke vollständig übersetzen lässt. Dies bedeutet für mehrseitige Antragsformulare, dass bei Hinzuziehung eines Dritten als Dolmetschers alle Einzelfragen des Formulars zu übersetzen sind. Grob fahrlässig handelt derjenige, der auf Anweisung eines Dritten ein Antragsformular ausfüllt und quasi "blind" unterschreibt, ohne im Einzelnen zu wissen, welche Angaben gefordert sind (vgl. Schütze, a.a.O., § 45 RN 61).

Dies trifft vorliegend zu. Die Klägerin hat eingeräumt, sich hinsichtlich der erforderlichen Angaben auf die Einschätzung (bzw. rechtliche Würdigung oder das Wissen) der herangezogenen Hilfsperson verlassen zu haben (eine russische Rente müsse nicht angegeben werden), ohne sich selbst durch eine wortgetreue Übersetzung der einzelnen Fragen und Antwortmöglichkeiten im Formular zum Punkt Einkommen ein eigenes Bild davon zu verschaffen, was der Beklagte eigentlich wissen wollte. Denn bei einer Übersetzung der Frage nach Renteneinkommen hätten sich jedenfalls zumindest Zweifel dahingehend aufdrängen müssen, ob nur deutsche oder auch ausländische Renten gemeint waren. Im Zusammenhang mit den Fragen nach den übrigen Einkommensarten (Arbeitsentgelt, Vermietung oder Verpachtung, Zinsen, Kapitalerträge, Unterhaltszahlungen oder sonstige laufende oder einmalige Einnahmen gleich welcher Art) liegt die Erkenntnis nahe, dass es um die Angabe von jeder Form von finanziellen Zuflüssen ging. Da die Klägerin nach ihren Angaben sich die im Antrag unter VI. aufgeführten Angaben von ihrer Hilfsperson nicht hat übersetzten lassen, hat sie Angaben gemacht, ohne sich die erforderliche Kenntnis zu verschaffen. Damit hat sie grob fahrlässig gehandelt.

Aufgrund ihrer vorherigen Kontakte zur Beigeladenen im Rahmen des vorhergehenden Sozialhilfebezugs musste ihr die große Bedeutung von Einkünften beim Bezug von Sozialleistungen bekannt sein. Insoweit ist die Nichtangabe der russischen Altersarbeitsrente gegenüber dem Beklagten im ersten Antrag und den Folgeanträgen als leichtfertig zu bewerten. Die Klägerin war zur Überzeugung des Senats nach ihren intellektuellen Fähigkeiten als Ökonomin mit Hochschulabschluss und im Geschäftsleben erfahrene Person (Direktorin von mehreren Ladengeschäften, Einzelunternehmerin) auch grundsätzlich in der Lage zu erkennen, dass die russische Altersrente wegen der eindeutigen Frage nach Renten oder sonstigen Einkünften hätte aufgeführt werden müssen. Auch aufgrund des persönlichen Eindrucks, den die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf den Senat gemacht hat, ergeben sich keine Hinweise auf eine geistige Überforderung bei dem ordnungsgemäßen Ausfüllen des Leistungsantrags.

Zudem hat sie vor ihrer Unterschriftsleistung gegenüber den Mitarbeitern des Beklagten weder auf eigene Verständnis- oder Verständigungsprobleme noch auf eine eigene Unsicherheit beim Ausfüllen des Formulars hingewiesen und auch keine Nachfragen gestellt. Dadurch hat sie den Eindruck hinreichender sprachlicher und fachlicher Kompetenz vermittelt. Denn eine Behörde kann sich grundsätzlich darauf verlassen, dass der Antragsteller die im Formular gemachten Angaben, die mittels Unterschrift bestätigt worden sind, tatsächlich auch verstanden hat (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31. Januar 2007, L 12 AL 124/06; Hessisches LSG, Urteil vom 21. Oktober 2011, L 7 AL 191/11 jeweils zitiert nach juris). Der Umstand, dass sich der Klägerin entsprechende Nachfragen zum gemeinten Renteneinkommen nicht aufgedrängt haben, und sie dementsprechend auch bei ihrer Vorsprache beim Beklagten auch nicht nachgefragt hat, macht die Nichtangabe des laufenden Renteneinkommens grob fahrlässig (vgl. zu den Sorgfaltspflichten ausländischer Antragsteller: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Dezember 2000, L 5 AL 4372/00, RN 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Mai 2009, L 3 AL 3823/06, RN 35; BSG, Urteil vom 27. April 1997, 11 RAr 89/96, jeweils zitiert nach juris). Insoweit hat sich die Klägerin nicht ausreichend darum bemüht, die an sie gerichteten Fragen vollständig zu erfassen und zu beantworten. Mit der unzureichenden bzw. falschen Beantwortung hat sie zumindest billigend in Kauf genommen, dass abgefragte und wesentliche Einzel- bzw. Detailinformationen nicht vollständig oder zutreffend erklärt wurden. Es erweist sich insoweit als grob fahrlässig, dass die Klägerin nach ihren Angaben ohne Übersetzung der einzelnen Fragen darauf vertraute, die herangezogenen Hilfsperson werde die Fragen zutreffend beantworten. Es schützt sie nicht, dass sie selbst keine genaue Kenntnis von der Bedeutung einzelner Fragen oder den von ihr im Detail gemachte Angaben hatte (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. September 2010, Az.: L 12 AS 233/06, juris RN 65 f.).

Die Klägerin kann sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen. Der Beklagte hatte gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 330 Abs. 2 SGB III kein Ermessen auszuüben. Er war zur Rücknahme der Leistungsbewilligungen verpflichtet. Der Beklagte hat daher dem Grunde nach zutreffend seine Bewilligungsentscheidungen vollständig aufgehoben.

Die Klägerin ist nach § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet, die im streitigen Zeitraum erhaltenen SGB II-Leistungen zu erstatten. Der Beklagte hat den Rückforderungsbetrag für die gesamten genannten Zeiträume auf insgesamt 34.307,03 EUR beziffert. Die Erstattungsforderung ist insoweit auch zutreffend berechnet worden; der Beklagte hat alle maßgeblichen Bescheide zutreffend in seine Berechnungen einbezogen. Rechenfehler sind von der Klägerin nicht geltend gemacht worden und für den Senat auch nicht ersichtlich.

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 iVm § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und Abs. 5 SGB III ist die Klägerin aufgrund der rückwirkenden Leistungsaufhebung auch zur Erstattung der vom Beklagten für sie erbrachten Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung verpflichtet. Nach der Aufstellung im angegriffenen Bescheid handelte es sich um einen Gesamtbetrag von 7.848,85 EUR. Mithin ergibt sich eine Erstattungsforderung von insgesamt 42.155,88 EUR.

Der Rücknahme und Erstattung der Leistungen (und Beiträge) steht auch nicht die Regelung des § 107 Abs. 1 SGB X entgegen. Danach gilt im Verhältnis zwischen dem erstattungsberechtigten Leistungsträger (Beklagter) und dem Sozialleistungsberechtigten ein bestehender Erstattungsanspruch als erfüllt, soweit zwischen den beteiligten Sozialleistungsträgern ein Erstattungsanspruch besteht. Greift ein Erstattungsanspruch nach den §§ 102ff. SGB X, wird kraft Gesetzes fingiert, dass durch die Leistung des vorleistenden Trägers (des Beklagten) die Verpflichtung des "an sich" leistungspflichtigen Trägers (der Beigeladenen) erfüllt ist. Diese Erfüllungsfiktion verleiht dem Sozialleistungsempfänger einen Rechtsgrund, die Leistung zu behalten. Der erstattungsberechtigte Leistungsträger ist dann gehalten, seinen Erstattungsanspruch gegenüber dem erstattungspflichtigen Leistungsträger durchzusetzen. Er hat kein Wahlrecht, die Erstattung entweder vom anderen Leistungsträger oder vom Leistungsempfänger zu verlangen (BSG, Urteil vom 26. September 1991, Az.: 4/1 RA 33/90, juris). Andererseits kann der Sozialleistungsberechtigte nicht mehr gegen den eigentlich leistungsverpflichteten Träger vorgehen. Damit werden Doppelleistungen verhindert (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 2011, Az.: B 11 AL 15/10 R, juris RN 16). Soweit einer der gesetzlich geregelten Erstattungstatbestände eingreift, ist durch die Regelungen des § 107 Abs. 1 SGB X eine Rückabwicklung im Leistungsverhältnis (zwischen dem Leistungsträger und dem Leistungsempfänger) ausgeschlossen. Maßgeblich für den Eintritt der gesetzlichen Fiktion ist das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach rein objektiver Betrachtung. Es kommt nicht darauf an, ob ein Erstattungsanspruch geltend gemacht oder erfüllt worden ist. In Höhe eines bestehenden Erstattungsanspruchs ist der Leistungsanspruch des Leistungsberechtigten bereits befriedigt und die Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs durch den unzuständigen Leistungsträger ausgeschlossen.

Erstattungsansprüche nach § 102 oder § 103 SGB X kommen vorliegend nicht in Betracht, da der Beklagte weder vorläufig Leistungen erbracht hat noch seine Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist (§ 103 SGB X). Auch liegt kein Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers gemäß § 104 SGB X vor, weil der Beklagte von Anfang an sachlich unzuständig und damit nicht leistungsverpflichtet war. Der Senat kann im Folgenden offenlassen, ob die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 105 Abs. 1 SGB X gegeben sind – insbesondere auch, ob der Beklagte nur die Differenz zwischen den erbrachten ungekürzten SGB II-Leistungen und den nach Anrechnung der russischen Altersarbeitsrente als Einkommen zu zahlenden Leistungen zurückfordern könnte.

Denn einem etwaigen Erstattungsanspruch des Beklagten gegen den Beigeladenen steht jedenfalls § 105 Abs. 3 SGB X entgegen. Danach gilt § 105 Abs. 1 SGB X gegenüber den Trägern der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe erst von dem Zeitpunkt an, zu dem ihnen bekannt ist, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorliegen. Einem Träger der Sozialhilfe ist im Sinne von § 105 Abs. 3 SGB X bekannt, dass die Voraussetzungen seiner Leistungspflicht vorliegen, wenn er weiß, dass deren tatsächliche Voraussetzungen, insbesondere die Hilfebedürftigkeit des Leistungsbeziehers, gegeben sind. Im hier maßgeblichen Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Oktober 2009 hatte die Beigeladene keine Kenntnis vom Leistungsfall und/oder der Hilfebedürftigkeit der Klägerin bzw. ihrer Leistungsverpflichtung. Der Leistungsfall nach dem BSHG war für die Beigeladene spätestens seit Ende 2004 mit dem Wechsel in das SGB II-Leistungssystem abgeschlossen. Damit endete ihre Kenntnis. Erst mit Anmeldung des Erstattungsanspruchs durch den Beklagten Ende November 2009 kann eine Kenntnis angenommen werden. Diese liegt aber außerhalb des hier streitigen Zeitraums.

Die Kenntnis des Beklagten von der Hilfebedürftigkeit der Klägerin für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 ist der Beigeladenen nicht zuzurechnen. Die Kenntnis des Leistungsträgers, der die Leistung erbracht hat und Erstattung begehrt, kann nach der Auffassung des Senats einem Sozialhilfeträger weder über § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I noch nach § 18 Abs. 2 SGB XII zugerechnet werden (vgl. auch: LSG NRW, Urteile vom 9. Februar, 2012, Az.: L 9 AS 36/09, juris, und vom 22. November 2018; Az.: L 19 AS 2281/16, juris RN 53; Roos in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 105 RN 14; Kater in: Kasseler Kommentar, a.a.O., § 105 SGB X RN 28; Becker in: Hauck/ Noftz, SGB X, 11/17, § 105 SGB X RN 63; Prange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB X, 2. Aufl. 2017, § 105 SGB X; a.A.: SG Augsburg, Urteil vom 17. November 2015, Az.: S 8 AS 983/15, juris; SG Altenburg, Urteil vom 20. Oktober 2016, Az.: S 30 AS 471/14; offengelassen: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Februar 2016, Az.: L 9 AS 2914/15 B, juris).

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist die im Zusammenhang mit seiner Leistungserbringung erworbene Kenntnis des die Erstattung begehrenden Sozialleistungsträgers dem zum Ausgleich herangezogenen Sozialhilfeträger im Erstattungsrechtsverhältnis nicht nach § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I zuzurechnen, da § 105 Abs. 3 SGB X ausdrücklich die Kenntnis des Sozialhilfeträgers verlangt (BVerwG, Urteil vom 15 Juni 2000, Az.: 5 C 35/99, juris). Dazu hat es im Urteil vom 2. Juni 2005 (Az.: 5 C 30/04, juris) weiter ausgeführt, für den Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Voraussetzungen der Leistungspflicht im Sinne von § 105 Abs. 3 SGB X sei im Erstattungsrechtsverhältnis auf die Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe abzustellen, gegen den der Erstattungsanspruch geltend gemacht werde. Ein im Leistungsverhältnis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 BSHG (bzw. 16 Abs. 2 SGB I) für das Einsetzen von Sozialhilfe im Leistungsverhältnis hinreichendes Bekanntwerden bei einem nichtzuständigen Sozialhilfeträger ersetze im Erstattungsverhältnis nicht die nach § 105 Abs. 3 SGB X erforderliche eigene Kenntnis des auf Erstattung in Anspruch genommenen Sozialhilfeträgers. § 105 Abs. 3 SGB X begrenze die Anwendung der Abs. 1 und 2 im Verhältnis zu bestimmten Leistungsträgern und stelle darauf ab, ob diese wussten, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen. Nach dem Wortlaut sei daher für einen Erstattungsanspruch gegen einen Sozialhilfeträger die Kenntnis des unzuständigen Leistungsträgers vom Leistungsbedarf nicht ausreichend, es werde die (eigene) Kenntnis des auf Erstattung in Anspruch genommenen Sozialhilfeträgers verlangt. Stelle man hingegen letztlich auf die Kenntnis des die Erstattung begehrenden Leistungsträgers ab, liefe die gesetzliche Regelung mangels sinnvollen Anwendungsbereichs ins Leere (a.a.O., RN 11). Sinn und Zweck der Regelung in § 105 Abs. 3 SGB X sei eine Begrenzung von Erstattungsansprüchen gegen die genannten Sozialleistungsträger. Auch in Ansehung des § 5 Abs. 2 Satz 2 BSHG, der eingeführt worden sei, um die Regelung des § 16 Abs. 2 SGB I ausdrücklich in das Sozialhilferecht zu implementieren, ergebe sich kein Anhalt für eine andere Auslegung (a.a.O., RN 11). Der Gesetzgeber habe die Einführung von § 5 Abs. 2 Satz 2 BSHG, der für die Leistungsverhältnisse gelte, im Jahr 1996 nicht zum Anlass genommen, eine entsprechende Regelung für Erstattungsrechtsverhältnisse einzufügen oder § 105 Abs. 3 SGB X einzuschränken. Mithin sei für das Erstattungsrecht der allgemeine Schutzzweck des § 105 Abs. 3 SGB X, nicht wegen Aufwendungen für Leistungen in Anspruch genommen zu werden, von denen den benannten Trägern nicht bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen, weiterhin gültig.

Eine teleologisch reduzierende Auslegung von § 105 Abs. 3 SGB X im Hinblick auf die Regelungen über Zurechnung von Kenntnissen Dritter im Leistungsverhältnis zum Hilfesuchenden (§ 16 SGB I, § 5 Abs. 2 Satz 2 BSHG) hat das BVerwG abgelehnt. Eine normative Zurechnung der Kenntnis Dritter im Rahmen des Erstattungsrechtsverhältnisses ergibt sich auch nicht aus § 18 Abs. 2 Satz 2 SGB XII (a.A.: SG Augsburg, a.a.O.; SG Altenburg, a.a.O.). Denn der Wortlaut von § 18 Abs. 2 Satz 2 SGB XII ist identisch mit dem von § 5 Abs. 2 Satz 2 BSHG. Die Vorschrift bezweckt zum Schutz des Hilfebedürftigen einen niedrigschwelligen Zugang zum Sozialhilfesystem (vgl. BSG, Urteil vom 26. August 2008; Az.: B 8/9b SO 18/07 R, juris). Sie regelt (wie § 5 Abs. 2 Satz 2 BSHG) den Zeitpunkt des Einsetzens der Sozialhilfe im Leistungsverhältnis. Die Normierung einer umfassenden Kenntniszurechnung zwischen dem Träger der Sozialhilfe und einem Dritten – auch für Erstattungsverhältnisse – ist ihr nicht zu entnehmen.

Mit dieser Auffassung des BVerwG hat sich das BSG bislang noch nicht befasst. Die Entscheidungen zu § 16 Abs. 2 SGB I (BSG, Urteile vom 26. August 2008, Az.: B 8/9b SO 18/07 R, juris, und vom 2. Dezember 2014, Az.: B 14 AS 66/13 R, juris) ergingen zu Leistungsverhältnissen, in denen wegen des Meistbegünstigungsgrundsatzes und der Regelung von § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I im Verhältnis von SGB II- zu SGB XII-Leistungen im Zweifel davon auszugehen sei, dass ein Antrag auf SGB II-Leistungen auch als Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII zu verstehen sei. Folgerungen für Erstattungsverfahren wurden nicht gezogen.

Soweit einige Sozialgerichte die Auffassung vertreten, die Rechtsprechung des BSG zu § 16 Abs. 2 SGB I im Leistungsverhältnis sei auf das Erstattungsrecht nach den §§ 102 ff. SGB X zu übertragen und dies mit der "notwendigen Konnexität" von materiellem Leistungsrecht und Erstattungsrecht begründen (SG Altenburg, a.a.O., RN 48; SG Augsburg a.a.O., RN 35), überzeugt dies den Senat nicht. Denn einen allgemeinen Gleichklang von Leistungs- und Erstattungsrecht gibt es gerade wegen der gesetzlich normierten Ausnahmen und Durchbrechungen u.a. durch § 105 Abs. 3 SGB X nicht.

Mit der Regelung in § 105 Abs. 3 SGB X hat der Gesetzgeber (im Jahr 1983) den genannten Sozialleistungsträgern einen besonderen Schutz vor Kostenerstattungen zugebilligt und unverändert aufrechterhalten, auch wenn dieser mit dem aktuell geltenden materiellen Leistungsrecht nicht (mehr) im Gleichklang steht (vgl. VG Aachen, Urteil vom 3. Februar 2004, 2 K 71/02, juris, RN 41; BVerwG, a.a.O., RN 12). Daher ist nach Auffassung des Senats die für den Leistungsfall nachvollziehbare und zutreffende Auffassung des BSG nicht auf den Erstattungsfall zu übertragen, für den es eine ausdrücklich abweichende gesetzliche Regelung gibt.

Nach alledem sind die Rücknahmeentscheidung des Beklagten und das Urteil des SG nicht zu bestanden. Gemäß § 105 Abs. 3 SGB X scheidet eine Erstattungsforderung des Beklagten gegen den Beigeladenen aus, der der Klägerin hätte zu Gute kommen können, da die Beigeladene frühestens im Juni 2010 Kenntnis vom Sachverhalt erlangt hat. Die Klägerin hat die Gesamtleistungen in Höhe von 42.155,88 EUR an den Beklagten zu erstatten. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen, denn die Auslegung von § 105 Abs. 3 SGB X hat grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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