L 2 AS 24/21 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 12 AS 1699/20 ER
Datum
-
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 24/21 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Halle, das seinen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wegen Gewährung nicht durch Sanktionen geminderter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt hat.

Der am ... 1973 geborene Antragsteller bezieht vom Antragsgegner laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Nach den Bescheiden vom 12. Juni bzw. 23. Juni 2020 bewilligte ihm der Antragsgegner für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2021 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 707,00 Euro (zusammengesetzt aus einem Regelbedarf i.H.v. 432,00 Euro sowie Bedarfen für Unterkunft und Heizung i.H.v. 275,00 Euro).

Der Antragsteller hatte bereits - gemäß dem hierüber gefertigten Aktenvermerk - gegenüber dem Antragsgegner in einem Beratungsgespräch am 19. Juni 2019 erklärt, weiterhin keine Eingliederungsvereinbarung mit dem Antragsgegner abschließen zu wollen. Jener sei nicht berechtigt, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit ihm abzuschließen. Darauf kündigte der Antragsgegner an, einen Eingliederungsverwaltungsakt zu erlassen. Der Antragsteller erklärte dazu, keine eigenen Aktivitäten zur Arbeitsuche bzw. Verminderung der Hilfebedürftigkeit zu unternehmen.

Der Antragsgegner erließ den angekündigten Eingliederungsverwaltungsakt mit Bescheid vom 19. Juli 2019. Jener gelte für den Zeitraum vom 25. Juli 2019 bis 24. Januar 2020. In diesem Zeitraum sei der Antragsteller verpflichtet, unter anderem je Kalendermonat mindestens drei schriftliche Bewerbungen bzw. Online-Bewerbungen zu erstellen und zu versenden, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprächen. Diese Bewerbungen habe der Antragsteller bis zum 24. Januar 2020 nachzuweisen. Er erhalte pauschalierte Erstattung der Bewerbungs- und Fahrtkosten. In der angefügten Rechtsfolgenbelehrung wies der Antragsgegner darauf hin, dass eine Nichterfüllung der festgelegten Pflichten eine Pflichtverletzung darstelle, wenn der Antragsteller keinen wichtigen Grund darlegen und beweisen könne. Die erste Pflichtverletzung führe zur Kürzung i.H.v. 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfes, was möglicherweise auch Auswirkungen auf die aus dem Regelbedarf zu bestreitenden Kosten für Unterkunft und Heizung habe. Die Kürzung dauere regelmäßig drei Monate.

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2019 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zum Nachweis der Bewerbungen für den Zeitraum 25. Juli bis 30. September 2019 auf. Das Schreiben enthielt erneut eine Rechtsfolgenbelehrung, die der in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 19. Juli 2019 entsprach. Nachdem der Antragsteller nicht reagierte, gab der Antragsgegner dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme wegen einer beabsichtigten Minderung des Arbeitslosengeldes II (Schreiben vom 4. November 2019).

Eine Einladung des Antragsgegners vom 30. Januar 2020 zu einer Besprechung und dem Nachweis der Eigenbemühungen gemäß der Eingliederungsvereinbarung vom 19. Juli 2019 am 11. Februar 2020 kam der Antragsteller nicht nach. Der Antragsteller lehnte dies mit Schreiben vom 6. Februar 2020 ab. Er berufe sich auf die Glaubensfreiheit und darauf, dass das Sozialgesetzbuch nicht auf ihn anwendbar sei.

Mit Schreiben vom 12. Februar 2020 wiederholte der Antragsgegner die Einladung nunmehr zum 27. Februar 2020, was der Antragsteller mit Schreiben vom 20. Februar 2020 ablehnte.

Hierauf erließ der Antragsgegner unter dem 28. Februar 2020 einen Verwaltungsakt zur Ersetzung der Eingliederungsvereinbarung, wonach der Antragsteller für den Zeitraum vom 5. Februar bis zum 4. September 2020 kalendermonatlich drei schriftliche bzw. elektronische Bewerbungen zu erstellen und zu versenden habe, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprächen. Er habe diese Bewerbungsbemühungen bis zum 4. September 2020 nachzuweisen. Der Bescheid erhielt die Rechtsfolgenbelehrung, dass bei einer Verletzung der festgelegten Pflichten das Arbeitslosengeld II um einen Betrag i.H.v. 30 % des maßgebenden Regelbedarfes gemindert werde. Dies trete nicht ein, wenn der Antragsteller einen wichtigen Grund für sein Verhalten darlegen und nachweisen könne. Ein nach Auffassung des Antragstellers wichtiger Grund, der jedoch nach objektiven Maßstäben nicht als solcher anerkannt werden könne, verhindere nicht den Eintritt der Leistungsminderung. Eine Leistungsminderung solle nicht erfolgen, wenn sie zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Eine außergewöhnliche Härte liege nur im zu prüfenden Ausnahmefall vor. Erkläre der Antragsteller sich nachträglich bereit, seinen Pflichten nachzukommen oder künftig ordnungsgemäß mitzuwirken, könne unter Berücksichtigung aller Umstände der Zeitraum der Minderung begrenzt werden. Die Minderungsdauer betrage grundsätzlich drei Monate und beginne mit dem Kalendermonat nach Zugang des Sanktionsbescheides.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2020 gab der Antragsgegner dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme wegen der bislang nicht nachgewiesenen Eigenbemühungen gemäß der Eingliederungsvereinbarung vom 19. Juli 2019. Es sei beabsichtigt, das Arbeitslosengeld i.H.v. 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfes zu kürzen. Die Minderung dauere grundsätzlich drei Monate und beginne mit dem Kalendermonat nach Zugang des Sanktionsbescheides. Eine Leistungsminderung solle nicht erfolgen, wenn diese zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Eine solche liege nur in einem noch zu prüfenden Ausnahmefall vor. Erkläre sich der Antragsteller nachträglich bereit, seinen Pflichten nachzukommen oder künftig ordnungsgemäß mitzuwirken, könne unter Berücksichtigung aller Umstände der Zeitraum der Minderung begrenzt werden.

Mit Bescheid vom 6. Juli 2020 verfügte der Antragsgegner wegen der Nichterfüllung des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 19. Juli 2019 eine Minderung des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum 1. August bis 31. Oktober 2020 i.H.v. 30 % des für den Antragsteller maßgebenden Regelbedarfes (monatlich 129,60 Euro) und hob insoweit den bisherigen Bewilligungsbescheid vom 23. Juni 2020 auf. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2020 zurück.

Eine Einladung des Antragsgegners zur Vorsprache am 21. September 2020 zum Nachweis der Eigenbemühungen gemäß der Eingliederungsvereinbarung vom 28. Februar 2020 kam der Antragsteller nicht nach. Er teilte stattdessen schriftlich mit, dass er den Termin nicht wahrnehmen werde. Den im Einladungsschreiben genannten zuständigen Mitarbeiter lehne er aus privaten Gründen und aufgrund seiner mangelhaften grundrechtlichen Kenntnisse sowie der bisherigen grundrechtswidrigen Forderungen und Nötigungen ab. Er habe Anspruch auf die Aushandlung einer Vereinbarung mit einem sachkundigen und kompetenten Mitarbeiter, welchem die Rechtslage gemäß den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 1/09-3/09 und 4/09 bekannt sei. Er nehme auch Bezug auf seine bisherigen Zurückweisungen der Eingliederungsverwaltungsakte. Der Antragsgegner dürfe mit ihm keine privatrechtlichen Verträge abschließen. Er habe sich einer Glaubensgemeinschaft angeschlossen, welche untersage, für ein privates Unternehmen zu arbeiten, das Steuern an die Bundesrepublik Deutschland abführe. Zudem werde er nur noch dann einen Termin wahrnehmen, wenn ihm zuvor zugesagt werde, dass er die Räume des Antragsgegners ohne einen Mund-Nase-Schutz betreten dürfe.

Mit Schreiben vom 21. September 2020 gab der Antragsgegner dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme wegen der bislang nicht nachgewiesenen Eigenbemühungen gemäß der Eingliederungsvereinbarung vom 28. Februar 2020.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2020 minderte der Antragsgegner mit Hinweis auf die Nichterfüllung des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 28. Februar 2020 die Leistungen an den Antragsteller im Zeitraum vom 1. November 2020 bis 31. Januar 2021 um 30 % der für ihn maßgebenden Regelleistungen (monatlich 129,60 Euro) und hob insoweit seine vorgehende Bewilligung vom 6. Juli 2020 zum Teil auf. Der Antragsteller sei der Aufforderung des Verwaltungsaktes vom 28. Februar 2020 nicht nachgekommen, seine Eigenbemühungen nachzuweisen. Ein wichtiger Grund sei nicht erkennbar. Eine außergewöhnliche Härte, bei der auf eine Leistungsminderung verzichtet werden könnte, sei bei einer Prüfung aller vorliegenden Unterlagen und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nicht festzustellen. Den am 5. November 2020 erhobenen Widerspruch hat der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2021 zurückgewiesen.

Am 3. November 2020 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Halle eine einstweilige Verfügung auf Nachzahlung der Sanktionsbeträge seit dem Monat August 2020 beantragt und sich hierbei auf die Änderungsbescheide bzw. Sanktionsbescheide vom 6. Juli 2020 und 16. Oktober 2020 bezogen. Eine Eingliederungsvereinbarung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Az. 1 BvL 1/09) verfassungswidrig. Ein Bewerbungszwang verstoße gegen Art. 12 des Grundgesetzes (GG). Er könne aus Glaubensgrundsätzen nur noch bei einer gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation tätig werden. Auf Nachfrage des Sozialgerichts, ob er auf den Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2020 Klage erheben wolle, hat er die Frage gestellt, warum eine Klage notwendig sei, wenn das Sozialgericht ohnehin verpflichtet sei, die Grundrechte zu gewährleisten.

Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 10. Dezember 2020 abgelehnt. Das Begehren des Antragstellers sei dahin auszulegen, dass er sich gegen den Vollzug der Minderung in den Zeiträumen 1. August 2020 bis 31. Oktober 2020 sowie 1. November 2020 bis 31. Januar 2021 wende. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 16. Oktober 2020 sei nicht anzuordnen. Die Sanktion sei rechtmäßig ergangen. Der Antragsteller habe sich geweigert, die in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 28. Februar 2020 festgelegten Pflichten, sich dreimal monatlich zu bewerben und hierüber Nachweis zu führen, zu erfüllen. Er habe keinerlei Bewerbungsbemühungen nachgewiesen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Sanktionen bestünden nicht. Sie seien insbesondere mit den Vorgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 (Az. 1 BvL 7/16) vereinbar. Sowohl in dem Eingliederungsverwaltungsakt als auch in der Rechtsfolgenbelehrung des Änderungsbescheides vom 16. Oktober 2020 sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, dass im Falle einer außergewöhnlichen Härte von der Minderung hätte abgesehen werden können. Außerdem sei darauf hingewiesen worden, dass der Zeitraum der Minderung begrenzt werden könne, wenn sich der Antragsteller nachträglich bereit erkläre, seinen Pflichten nachzukommen bzw. seine Mitwirkungspflichten wahrzunehmen. Anhaltspunkte für solch einen Härtefall seien nicht gegeben bzw. nicht geltend gemacht. Eine nachträgliche Erfüllung der auferlegten Pflichten sei nicht erfolgt. Ein wichtiger Grund für die Nichterfüllung der im Eingliederungsverwaltungsakt vom 28. Februar 2020 festgelegten Pflichten sei nicht erkennbar. Es stelle keinen wichtigen Grund dar, wenn der Antragsteller davon ausgehe, dass er voraussetzungslos Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II habe, und sich den Regelungen des SGB II im Übrigen nicht unterworfen fühle. In Bezug auf die begehrte Auszahlung für den Zeitraum August bis Oktober 2020 fehle es bereits an der für eine vorläufige Anordnung von Leistungen im Rahmen der Vollzugsfolgenbeseitigung notwendigen Eilbedürftigkeit. Es komme daher nicht darauf an, ob diese Sanktion mangels fristgerecht erhobener Klage bereits bestandskräftig sei.

Am 8. Januar 2021 hat der Antragsteller gegen den ihm am 16. Dezember 2020 zugestellten Beschluss Beschwerde erhoben. Der Beschluss sei grundrechtswidrig und werde deshalb zurückgewiesen. Die Vorschriften des SGB II zu der Eingliederungsvereinbarung und den Mitwirkungspflichten seien grundrechtswidrig. Sie seien daher nicht anwendbar. Das Sozialgericht sei auch nicht aufgefordert gewesen, einen Beschluss zu erlassen, da auch keine Klage eingegangen sei. Das Sozialgericht sei aufgefordert gewesen, sein Grundrecht auf Grundsicherung durchzusetzen. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum sei unter keinen Umständen einschränkbar.

Einen konkreten Antrag hat der Antragsteller nicht formuliert.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf seine bisherigen Ausführungen.

Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

1. Gegenstand des Verfahrens ist die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 10. Dezember 2020, mit der er sein Begehren weiterverfolgt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ungeminderte Leistungen für die Zeiträume 1. August bis 30. Oktober 2020 und 1. November 2020 bis 31. Januar 2021 zu erhalten.

2. Die Beschwerde ist danach statthaft und nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen. In der Hauptsache bedürfte die Berufung keiner Zulassung, weil die vom Sozialgericht abgelehnten Ansprüche des Antragstellers und damit der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 750,00 Euro übersteigen (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Höhe der Sanktionen beträgt insgesamt 777,60 Euro und überschreitet danach den Beschwerdewert.

3. Die Beschwerde ist nicht begründet.

Soweit der Antragsteller sich gegen die mit Bescheid vom 6. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2020 und die mit Bescheid vom 16. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2021 angeordneten Minderungen seines Arbeitslosengeldes II wendet, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht vor. Dies gilt unabhängig davon, ob das Schreiben des Antragstellers vom 3. November 2020 (auch) als Klage gegen den Bescheid vom 6. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2020 zu verstehen ist oder ob dieser bestandskräftig geworden ist. Auch insoweit ist der Antrag jedenfalls unbegründet.

Der einstweilige Rechtschutz richtet sich hier nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Danach kann das Gericht im Fall der drohenden Vollziehung der Minderung des Arbeitslosengeldes, die durch den Widerspruch oder die Anfechtungsklage nicht verhindert werden kann (vgl. § 39 Nr. 1 SGB II), auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe ganz oder teilweise anordnen und so die ungeminderte Auszahlung bewirken. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann zudem die Aufhebung der Vollziehung angeordnet werden (§ 86b Abs. 1 Satz 2 SGG).

Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist ein bei der Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegendes Interesse des Antragstellers, den Verwaltungsakt nicht befolgen bzw. dessen Vollzug dulden zu müssen. Denn es ist zu beachten, dass der Gesetzgeber durch die Regelung in § 39 SGB II dem Vollzug der Sanktionen grundsätzlichen Vorrang eingeräumt hat. Ein überwiegendes Interesse an der Nichtvollziehung des Verwaltungsakts hat ein Betroffener dann, wenn dieser rechtwidrig ist und er durch dessen Vollzug in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Dann wird die aufschiebende Wirkung angeordnet. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr. 1 SGB II mit berücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 12e ff.).

Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide. Es überwiegt daher das mit der gesetzlichen Regelung regelmäßig zu bevorzugende Interesse des Antragsgegners am Vollzug der Bescheide gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des etwaigen Rechtsbehelfs bzw. einer Vollzugsbeseitigungsanordnung.

Die Minderungen sind formell ordnungsgemäß ergangen. Insbesondere ist der Antragsteller vor deren Erlass gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) hinreichend angehört worden.

Materiell-rechtliche Grundlage für die Feststellungen zur Minderung ist § 31a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 31, § 31b Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 SGB II, wonach sich das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs mindert. Dem hat die teilweise Aufhebung des vorgehenden Bewilligungsbescheides gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu folgen, weil sich aufgrund der Minderung die materiell-rechtlichen Grundlage für die Bewilligung geändert hat.

Eine Pflichtverletzung liegt hier gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II vor. Der Antragsteller hat die in den Eingliederungsverwaltungsakten festgelegte Pflicht zum Nachweis der Eigenbemühungen durch Bewerbungen nicht erfüllt. Insoweit ist die Eingliederungsvereinbarung jeweils nach Ablehnung bzw. verweigerter Mitwirkung durch den Antragsteller wirksam durch den Eingliederungsverwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II ersetzt worden. Eine Verpflichtung zu Bewerbungen in der hier geregelten Form ist dem Antragsteller zumutbar. Die Eingliederungsverwaltungsakte sind auch ansonsten rechtlich nicht zu beanstanden, weil sie nicht nur einseitig eine Verpflichtung des Antragstellers, sondern zum Ausgleich auch den Ersatz der Kosten konkret regeln.

Der Antragsteller hatte keinen wichtigen Grund, seine Pflichten nicht zu erfüllen. Als solche kommen nur Gründe in Betracht, die eine Pflichterfüllung objektiv verhindert oder unzumutbar gemacht haben. Die Meinung des Antragstellers, die Festlegung von Pflichten sei verfassungswidrig, stellt danach keinen wichtigen Grund dar. Ebensowenig kann sich der Antragsteller gegen eine allgemein gefasste Bewerbungspflicht darauf berufen, aus Glaubens- oder Gewissensgründen keine bezahlte Arbeit annehmen zu dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. August 1992 - 2 BvR 478/92, juris). Die Pflicht zu drei Bewerbungen im Monat stellt grundsätzlich eine zumutbare Pflicht dar.

Der Antragsteller war durch die jeweiligen Rechtsfolgenbelehrungen in den Eingliederungsverwaltungsakten hinreichend konkret, verständlich, richtig und vollständig und in einem engen zeitlichen Zusammenhang schriftlich über die Folgen einer ersten Pflichtverletzung informiert worden. Dabei hat der Antragsgegner zunächst die gesetzlichen und - nach dessen Erlass - auch die Maßgaben des Urteils des BVerfG (Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris) beachtet. Die vor dem Erlass des Urteils des BVerfG erfolgte Rechtsfolgenbelehrung ohne Hinweis auf die Härteregelung entsprach der damaligen Rechtslage. Sie wird durch die Entscheidung des BVerfG nicht nachträglich unzutreffend bzw. unvollständig. Denn der Antragsgegner kann nicht zu einem Hinweis auf eine Rechtslage verpflichtet gewesen sein, die zum Zeitpunkt der vorzunehmenden Belehrung objektiv noch nicht bestanden hat. Es ist daher nicht überzeugend, sie aufgrund der Nichterwähnung der späteren Maßgaben des BVerfG zur einschränkenden Anwendung der Sanktionsvorschriften (Härtefallregelung, keine starre Minderung für drei Monate) als unrichtig anzusehen (anderer Ansicht: SG Hamburg, Urteil vom 24. September 2020 - S 58 AS 369/17, juris). Das BVerfG hat ausdrücklich klargestellt, dass nicht bestandskräftige Bescheide über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II (30 %), die noch vor der Urteilsverkündung festgestellt worden sind, wirksam bleiben und also nicht automatisch nichtig bzw. hinfällig sind (vgl. Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris Rn. 221). Sind sie bzw. werden sie nachfolgend Gegenstand eines Rechtsbehelfsverfahrens, ist dementsprechend ihre Rechtmäßigkeit nach den ergänzenden Maßgaben des BVerfG zu beurteilen. Zu den nach seiner Entscheidung zu stellenden Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung hat sich das BVerfG nicht geäußert und gerade keine das bisherige Recht modifizierenden Übergangsregelungen geschaffen. Der Ausspruch des BVerfG zur weiteren Wirksamkeit der Sanktionsbescheide mit 30 % Minderung impliziert außerdem, dass eine vormalig korrekte Belehrung auch weiterhin ausreichend ist. Denn ansonsten wären sämtliche Sanktionen mit 30 % Minderung in Altfällen rechtswidrig und aufzuheben, was den Ausspruch zur Wirksamkeit entbehrlich machen würde. Zudem hat das BVerfG selbst zu dem vom Sozialgericht Gotha vorgelegten Rechtsstreit ausgeführt, dass dieses vertretbar davon ausgegangen sei, eine Rechtsfolgenbelehrung nach den damaligen gesetzlichen Regelungen habe den rechtlichen Anforderungen entsprochen (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris Rn. 110). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das bisherige Recht zu den Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung bestanden.

Im Übrigen entsprechen die Höhe, der Beginn und die Zeitdauer der vorgenommenen Minderungen den gesetzlichen Vorgaben. Gründe, nach denen von der Minderung aufgrund einer besonderen Härte abgesehen oder die Dauer der Minderung abweichend zu bestimmen waren (vgl. hierzu die nach dem Tenor zu beachtenden Maßgaben des BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris), liegen nicht vor. Eine außergewöhnliche Härte liegt nicht schon allein deshalb vor, weil sich der Antragsteller weigert, an der Überwindung seiner Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken und damit wissentlich die Vorenthaltung staatlicher Leistungen in Kauf nimmt (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris Rn. 184). Der Antragsteller hat auch nicht rechtzeitig noch in der Minderungsphase Nachweise für die Bewerbungen erbracht oder zumindest angekündigt, sich pflichtgemäß zu verhalten.

Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vereinbarkeit einer ersten Sanktion mit den Vorgaben des Grundgesetzes. Denn das BVerfG hat in den vom Antragsteller zitierten Entscheidungen gerade keinen Verfassungsgrundsatz aufgestellt, nach dem aufgrund des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums eine Grundsicherung voraussetzungslos bzw. ohne Mitwirkungspflichten zu gewähren ist. Vielmehr hat das BVerfG nachfolgend entschieden, dass der Gesetzgeber erwerbsfähige Erwachsene nach § 31 Abs. 1 SGB II zu einer nach § 10 SGB II zumutbaren Mitwirkung verpflichten darf, damit sie ihre Hilfebedürftigkeit überwinden oder verhindern (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris Rn. 138). Denn die Entscheidung des Gesetzgebers, im Grundsicherungsrecht nicht nur zumutbare Mitwirkungspflichten vorzusehen, um die Bedürftigkeit zu überwinden und insbesondere Menschen wieder in Arbeit zu bringen, sondern diese Pflichten in §§ 31a, 31b SGB II mit Sanktionen durchzusetzen, ist verfassungsrechtlich im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden, weil er damit ein legitimes Ziel verfolgt (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris Rn. 153). Auch die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II normierte Höhe einer Leistungsminderung von 30 % ist derzeit auf der Grundlage plausibler Annahmen hinreichend tragfähig begründbar (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris Rn. 158).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

5. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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