L 13 RA 1687/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 5 RA 6819/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 RA 1687/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Schließt, wie nach § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB VI i. d. F. des Gesetzes vom 15.12.1995 (BGBl I S. 1809), das Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen den Anspruch im Sinne des Stammrechts auf die Altersrenteeine langjährige Versicherte aus, ist keine Hinweispflicht des Rentenversicherungsträgers nach § 115 Abs. 6 SGB VI gegeben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. April 2002 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob dem Kläger Altersrente für langjährig Versicherte ab einem früheren Zeitpunkt zusteht.

Der 1935 geborene Kläger war zuletzt als selbständiger Kaufmann Inhaber eines Ladengeschäfts. Er gehört der gesetzlichen Rentenversicherung seit September 1949 an. Seit Januar 1984 entrichtete er durchgängig freiwillige Beiträge. Im Kontenklärungsverfahren ergingen zwei Bescheide vom 5. November 1997. Mit dem ersten wurden nicht nachgewiesene Anrechnungszeiten aus den Jahren 1952 bis 1954 abgelehnt. Das Gleiche erfolgte durch den zweiten Bescheid für Anrechnungszeiten aus den Jahren 1956 und 1957. Diesem Bescheid war als Anlage eine Berechnung der Monatsrente, ein Versicherungsverlauf sowie die Berechnung der Entgeltpunkte beigefügt. Ebenfalls unter dem 5. November 1997 erging eine Rentenauskunft. Diese umfasste etwa drei Seiten Text. Auf Seite 2 war unter der Überschrift "Hinweise zum Rentenanspruch und zu den Wartezeiten" erläutert, eine Rente werde nur gezahlt, wenn die Wartezeit, die persönlichen und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien und ein Rentenantrag gestellt sei. Ein frühestmöglicher Rentenbeginn könne nur erreicht werden, wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Erfüllung der Voraussetzungen gestellt werde. Für die verschiedenen Rentenarten seien unterschiedliche Wartezeiten mit rentenrechtlichen Zeiten zu erfüllen. Die Wartezeit für die Altersrente an langjährig Versicherte ... betrage 35 Jahre ... diese Wartezeit sei erfüllt. Die Altersrente für langjährig Versicherte könne bei erfüllter Wartezeit nur gezahlt werden, wenn das 63. Lebensjahr vollendet sei und die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten werde. Die Bescheide vom 5. November 1997 griff der Kläger nicht an. Zum 30. Juni 1998 beendete er seine selbständige Tätigkeit.

Am 18. April 2000 beantragte der Kläger Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres. Die Rente solle vom frühestmöglichen Rentenbeginn an gezahlt werden. Durch Bescheid vom 6. Juni 2000 bewilligte die Beklagte die Rente ab 1. April 2000 (anfänglicher monatlicher Zahlbetrag DM 1.082,57). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe erst durch den Bescheid erfahren, dass er schon zum 30. Juni 1998 die Anwartschaft für die Rente erreicht habe. Außerdem habe er ohne Not über den genannten Zeitpunkt hinaus freiwillige Beiträge entrichtet. Die Beklagte legte zur Begründung des zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 27. November 2000 dar, da der Antrag erst im April 2000 und damit später als drei Kalendermonate nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gestellt worden sei, könne die Rente erst ab Beginn des Antragsmonats, also 1. April 2000 geleistet werden. - Durch Bescheid vom 6. Februar 2001 bewilligte die Beklagte ohne Änderung des Nettobetrags der Rente Zuschüsse zum Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag.

Am 11. Dezember 2000 hat der Kläger zum Sozialgericht (SG) Stuttgart Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Beklagte hätte ihn im Kontenklärungsverfahren deutlich auf die Möglichkeit zur Beantragung der Rente hinweisen müssen. Mithin habe sie nicht auf eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit hingewiesen, die jeder verständige Versicherte mutmaßlich genutzt hätte. Mittels des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei ein rechtzeitiger Rentenantrag zu fingieren. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Allein die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine vorzeitige Altersrente bedinge ohne weiteres keine Verpflichtung zu einem Hinweis. Im Übrigen sei die umfassend informierende Rentenauskunft vom 5. November 1997 erteilt worden. Durch Urteil vom 17. April 2002 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, Altersrente bereits ab 1. Juli 1998 zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen dargelegt, die Beklagte sei zu einem rechtzeitigen Hinweis verpflichtet gewesen. Die Anspruchsvoraussetzungen hätten sich anhand der im Versicherungskonto gespeicherten Daten leicht feststellen lassen. Der Hinweispflicht habe sich die Beklagte nicht aufgrund der Rentenauskunft vom 5. November 1997 entziehen können. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger noch nicht die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Im Übrigen seien die Hinweise in der Auskunft allgemein gehalten, berücksichtigten insbesondere nicht die erst in Zukunft liegende Vollendung des 63. Lebensjahres des Klägers und seien durch eine Vielzahl weiterer Hinweise zu anderen Rentenarten unterbrochen. Dem Versicherten sei es nicht zuzumuten, sich aus dieser Vielzahl allgemeiner Hinweise einzelne Bruchstücke einschlägiger Informationen herauszusuchen. Nach alledem greife der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ein.

Gegen das ihr am 24. April 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. Mai 2002 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt vor, eine Hinweispflicht bestehe regelmäßig nur für die Regelaltersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres. Bei den vorzeitigen Altersrenten sei demgegenüber der Anspruch abhängig von einem höchstpersönlich auszuübenden Gestaltungsrecht. Insbesondere komme es auf Hinzuverdienstgrenzen an. Die Hinweispflicht solle nur dann entstehen, wenn die Leistungsvoraussetzungen in der Person des Adressaten eines Hinweises erfüllt seien. Im Übrigen sei die Verpflichtung zu einem Hinweis dadurch ausgeschlossen oder erfüllt, dass die Rentenauskunft vom 5. November 1997 erteilt worden sei. Hiermit sei der Kläger über die Möglichkeiten und Voraussetzungen hinreichend informiert gewesen. Die Auffassung des SG, die Rentenauskunft sei zu unübersichtlich gewesen, überspanne die Anforderungen. Insbesondere enthalte die Auskunft auch ein Angebot zu ergänzender Auskunft und Beratung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. April 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er entgegnet, die Hinweispflicht müsse regelmäßig auch für vorzeitige Altersrenten geltend. Die den Versicherten eingeräumten Gestaltungsrechte dürften dem nicht entgegenstehen. Dem SG sei darin zu folgen, dass die zutreffenden Auskünfte mühsam aus den erteilten Hinweisen herausgesucht werden müssten. Auch der Vormerkungsbescheid enthalte keine ausreichenden Informationen.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat entgegen der Auffassung des SG keinen Anspruch auf Altersrente vor dem 1. April 2000.

Die einschlägigen Rechtsgrundlagen sind im angefochtenen Urteil zutreffend dargestellt. Der Kläger hatte mit dem 12. Juni 1998 sein 63. Lebensjahr vollendet. Damit hätte ihm gemäß § 36 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ursprünglichen bis 31. Dezember 1999 geltenden Fassung Altersrente für langjährig Versicherte zugestanden. Die Wartezeit von 35 Jahren rentenrechtlicher Zeiten war erfüllt; Hinzuverdienst im Sinne von § 34 SGB VI wurde nicht mehr erzielt. Die Rente hätte gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI vom Beginn des folgenden Kalendermonats an, also ab 1. Juli 1998 zugestanden. Dem steht jedoch entgegen, dass sie nicht im Sinne der zitierten Vorschrift bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt worden ist, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren; vielmehr konnte (vgl. Satz 2 der Vorschrift) wegen späterer Antragstellung die Rente erst ab dem Kalendermonat des Antrags geleistet werden, hier also aufgrund des Antrags vom 18. April 2000 ab Beginn dieses Monats. Entgegen den Erwägungen des SG kommt ein früherer Rentenbeginn hier nicht in Betracht.

Der Kläger vermag keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend zu machen. Dieser Anspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund Gesetzes oder eines konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber bestehenden Pflichten insbesondere zur Auskunft und Beratung ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung zur hier einschlägigen Frage Bundessozialgericht - BSG - BSGE 79, 168 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 1; BSGE 81, 251 = SozR a.a.O. Nr. 2; SozR a.a.O. Nrn. 3, 4 und 5). Eine rechtswidrige Pflichtverletzung muss einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben, wobei die verletzte Pflicht darauf gerichtet sein muss, gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren.

Zutreffend hat das SG vorrangig die Hinweispflicht der Beklagten nach § 115 Abs. 6 SGB VI geprüft. Hiernach sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen (Satz 1). In gemeinsamen Richtlinien der Träger der Rentenversicherung kann bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen (Satz 2). Die aufgrund letzterer Vorschrift erlassenen gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger (vgl. etwa bei Niesel, Kasseler Kommentar, zu § 115 SGB VI am Ende) enthalten die Fälle des Anspruchs auf vorzeitige Altersrenten nicht. Für diese Renten ist in der eingangs zitierten Rechtsprechung der Grundsatz entfaltet worden, dass eine Hinweispflicht nur in den Fällen besteht, in denen der Versicherungsträger davon ausgehen muss, dass die Berechtigten einen Rentenantrag aus Unkenntnis (noch) nicht gestellt haben (vgl. BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 5 m.w.N.) Gehört hiernach jemand zu einer abgrenzbaren Gruppe von Versicherten, die eine Altersrente im allgemeinen vom frühestmöglichen Zeitpunkt an beziehen, so lässt das Fehlen eines rechtzeitigen Rentenantrags grundsätzlich den Schluss zu, dass dies auf Unkenntnis des Versicherten beruht. An einer solchen Fallgestaltung fehlt es aber, wenn sich die Anspruchsvoraussetzungen im Einzelfall nicht von vornherein anhand des Versicherungskontos feststellen lassen. Nach der hier einschlägigen Neuregelung des § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB VI durch Gesetz vom 15. Dezember 1995, BGBl. I S. 1809 schließt das Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen den "Anspruch" auf die Rente, also das Stammrecht aus (vgl. hierzu Bundestags-Drucksache 13/3150 S. 41 zu Nr. 5), nicht nur wie nach der bis dahin geltenden Fassung der Vorschrift lediglich den jeweiligen monatlichen Zahlungsanspruch (vgl. nochmals BSG a.a.O.). Der Hinzuverdienst des Versicherten ist der Beklagten nicht bekannt; damit kann nicht mehr von einer "Gruppe" von Versicherten gesprochen werden, die im allgemeinen die Rente dem Grunde nach zu einem einheitlichen Zeitpunkt (Lebensalter) in Anspruch nehmen können und wollen. Dies aber bedeutet, dass eine Pflicht zur Spontanberatung nur nach der allgemeinen Vorschrift des § 14 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch bestand. Hierfür reicht es aus, dass der Kläger zusammen mit mehreren Bescheiden die Rentenauskunft (vgl. hierzu im Einzelnen § 109 SGB VI) vom 5. November 1997 erhalten hat, die ihn in verständlicher Form über die verschiedenen Altersrenten unterrichtet hat. Diese Auskunft ist bereits zeitnah zur Vollendung des 63. Lebensjahres des Klägers im Juni 1998 ergangen. Auf Seite 2 der Auskunft ist unter der Überschrift "Hinweise zum Rentenanspruch und zu den Wartezeiten" über die Voraussetzungen für die verschiedenen Rentenarten aufgeklärt. Der letzte Absatz der Seite weist unter Bezugnahme auf den gleichzeitig erteilten Versicherungsverlauf darauf hin, die Wartezeit für die Altersrente an langjährig Versicherte, die 35 Jahre betrage, sei im Fall des Klägers erfüllt. Auf der folgenden Seite 3 ist in der Mitte dargelegt, diese Altersrente könne (nur) gezahlt werden, wenn das 63. Lebensjahr vollendet sei und die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten werde. Im weiteren werden die Hinzuverdienstgrenzen aufgeführt.

Entgegen der Auffassung des SG erachtet der Senat im Rahmen der dargelegten Anforderungen die Rentenauskunft vom 5. November 1997 noch für übersichtlich und verständlich. Der Text umfasst nur etwas mehr als drei Seiten, also deutlich weniger, als allgemeine Informationsschriften und Merkblätter an Umfang aufweisen. Im Übrigen ist darauf hingewiesen und angeboten, dass bei weiteren Fragen die Auskunfts- und Beratungsstellen der Beklagten in Anspruch genommen werden können. Die Wartezeiten und die Altersgrenzen für die einzelnen Renten sind richtig genannt. Ebenso ist mit Bezug auf den Versicherungsverlauf klargestellt, dass im Einzelfall des Adressaten jeweils die Wartezeit erfüllt sei. Das eigene Geburtsdatum ist jedem Versicherten bekannt. Über die Erforderlichkeit eines rechtzeitigen Antrags - spätestens innerhalb von drei Monaten nach Erfüllung der Voraussetzungen - ist zutreffend und verständlich aufgeklärt. Dass die verschiedenen Rentenarten - jeweils in kurzen Absätzen - zusammen aufgeführt sind, verschafft der Auskunft nicht eine nicht mehr hinnehmbare Unübersichtlichkeit. Die Lektüre der Auskunft ist jedem auch nur durchschnittlich verständigen Versicherten zuzumuten. Von der Beklagten darf nicht verlangt werden, für jede einzelne Rentenart ein gesondertes Anschreiben zu verwenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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