L 11 KR 3880/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 1727/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3880/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die für die Gewährung von Implantaten in den Zahnbehandlungs-RL in der Fassung vom 24.07.1998 vorgesehene Ausnahme einer generalisierten genetischen Nichtanlage von Zähnen setzt voraus, dass im betroffenen Kiefer zumindest die überwiegende Zahl der typischerweise bei einem Menschen angelegten Zähne fehlt. Dies ist rein zahlenmäßig zu ermitteln (Bestätigung von BSG U. v. 13.07.2004 - B 1 KR 37/02 R -).
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. Juni 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Arztkosten, die überwiegend im Zusammenhang mit der Insertion von Zahnimplantaten angefallen sind.

Die 1984 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet in Folge eines sog. Bloch-Sulzberger-Syndroms an einer Oligodontie (Nichtanlage mehrerer Zähne) in der Weise, dass ihr im Oberkiefer rechts und links jeweils 4 Zähne und im Unterkiefer rechts 2 und links 5 Zähne fehlen.

Im Dezember 1999 stellte sie sich ambulant bei Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie des M. S., der zur ambulanten vertragsärztlichen Behandlung ermächtigt ist, vor. Dieser schlug ausweislich eines Arztbriefes vom 10.01.2000 über diese Vorstellung vor, implantatmäßig bei Persistenz der Milchzähne jeweils 2 Implantate im Oberkiefer links und rechts und 3 im Unterkiefer links zu insertieren. Voraussetzung hierfür sei zunächst eine kieferorthopädische Behandlung der Gestalt, dass die Lücken soweit geöffnet würden, dass problemlos eine Einzelzahnimplantation vorgenommen werden könne. Die operativen Maßnahmen zum Aufbau der Alveolarfortsätze könnten im kommenden Jahr und die Einzelzahnimplantationen im Jahr 2001 durchgeführt werden. Er bat um Beginn der kieferorthopädischen Behandlung und Beantragung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse.

Die Klägerin begann darauf hin im April 2000 die kieferorthopädische Behandlung, die von der Beklagten mit Ausnahme der Eigenbeteiligung übernommen wurde. Am 10.10. und 16.10.2001 wurde die Klägerin erneut von Prof. Dr. W. behandelt. Hierbei wurden u.a. der Gesichtsschädel untersucht, Kiefermodelle analysiert, ein Kiefermodell montiert und ein Aufbissbehelf eingegliedert. Prof. Dr. W. stellte der Klägerin, die mit dem Arzt mehrere überwiegend undatierte Vereinbarungen nach § 2 Gebührenordnung für Ärzte (GOA) und Zahnärzte (GOZ) über privatärztliche Leistungen getroffen hatte, hierfür einen Betrag in Höhe von insgesamt 744,79 EUR in Rechnung (Rechnung vom 19.12.2001). Zwischen dem 25.10. und 08.11.2001 erfolgte im Rahmen einer auf Kosten der Beklagten durchgeführten stationären Behandlung im M. in S. die operative Richtigstellung von Ober- und Unterkiefer und gleichzeitige Knochentransplantation aus der Hüfte in den linken Unterkiefer.

Im Januar 2002 berichtete Prof. Dr. W. aufgrund einer Untersuchung am 28.01.2002, dass nunmehr die Insertion von 3 Implantaten im Unterkiefer links vorgesehen sei. Aus medizinischen Gründen sei es sinnvoll, diese Freiendsituation im Unterkiefer links implantatprothetisch zu rehabilitieren. Die Kosten für die operative Insertion und Freilegung der Implantate betrage laut Kostenvoranschlag zwischen 3.000,- und 4.000,- DM. Der Kostenplan vom 15.01.2002 wies eine Gesamtsumme von ca. 3.210,74 DM aus. Im Rahmen dieser Untersuchung am 28.01.2002 war ausweislich der der Klägerin gestellten Rechnung des Prof. Dr. W. vom 27.02.2003 eine Abformung beider Kiefer und einfache Bissfixierung vorgenommen worden. Die Kosten für Honorar wurden mit 33,63 EUR, Material mit 1,02 EUR und Labor mit 169,23 EUR angegeben. Am 20.02.2002 wurde von Prof. Dr. W. im Oberkiefer links Osteosynthesematerial aus dem Knochen entfernt (Rechnung vom 27.02.2003 über 259,08 EUR). Am 16.05.2002 setzte Prof. Dr. W. ambulant operativ 4 Implantate im Unterkiefer links ein (Rechnung vom 27.02.2003 über 2094,72 EUR; für die am 24.05.2002 erfolgte Nachbehandlung 8,42 EUR). Die hierfür erforderliche Narkose hatte Dr. J., M. S., der zur ambulanten vertragsärztlichen Behandlung ermächtigt ist, im Auftrag von Prof. Dr. W. durchgeführt und der Klägerin hierfür 677,51 EUR berechnet (Rechnung vom 02.10.2002). Prof. Dr. M., M. S. stellte der Klägerin aufgrund eines Überweisungsscheins von Prof. Dr. W., wonach die Klägerin Selbstzahlerin ist, für eine am 30.09.2002 gefertigte Röntgenaufnahme der Kiefer 41,97 EUR in Rechnung. Im Januar 2003 legte Prof. Dr. W. während eines stationären Aufenthalts der Klägerin im Marienhospital vom 29.01. bis 03.02.2003 die Implantate für die Suprakonstruktion frei. Er berechnete der Klägerin, die Wahlleistungen am Operationstag gewählt hatte, hierfür 1000 EUR (Rechnung vom 21.03.2003). Dr. J. verlangte für die erforderliche Narkose am Operationstag 175,42 EUR (Rechnung vom 18.02.2003). Die Kosten des stationären Aufenthalts trug die Beklagte. Zwischen März und Juni 2003 wurden der Implantataufbau und die Kronen im Bereich der Zähne 34 bis 37 gesetzt (Rechnung Dr. Volk 2220,49 EUR).

Bereits am 07.02.2002 hatte die Klägerin unter Vorlage des Befundberichts und Arztbriefes von Prof. Dr. W. vom 10.01.2000 und 30.01.2002 und des Kostenplans die Versorgung mit Zahnimplantaten durch die Beklagte beantragt.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Zahnarztes Dr. K. ein. Nach dem Gutachten ist eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate möglich. Um eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen handele es sich nicht. Dies sei nur dann der Fall, wenn die Mehrzahl aller Zähne nicht angelegt sei und eine konventionelle Versorgung nicht mit dem Restzahnbestand durchführbar wäre. Dies sei nicht gegeben. Die vorgesehene implantatgestützte Rekonstruktion stelle sicher die höherwertige und bessere Versorgung dar. Sie erfülle jedoch nicht die vertraglichen Kriterien der Ausnahmeindikation.

Mit Bescheid vom 21.03.2002 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Eine Ausnahmeindikation, nach der sich die Kasse an den Kosten für Zahnimplantate und Suprakonstruktion entsprechend dem Ausnahmeindikationskatalog des Bundesausschusses Zahnärzte und Krankenkassen beteilige, liege nicht vor.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie berief sich darauf, dass sie eine junge Frau sei, der eine konventionelle prothetische Versorgung nicht zugemutet werden könne. Abgesehen davon würden sich bei einer herkömmlichen Zahnversorgung die Kieferverhältnisse noch mehr verschlechtern. Die "tragenden" Zähne, welche mit Halteelementen versehen werden müssten, seien besonders gefährdet. Dies bedeute, dass sie früher oder später ihre noch vorhandenen völlig gesunden, kariesfreien Zähne auch noch verlieren würde und auf dem bis dahin noch mehr atrophierten Kiefer wahrscheinlich nicht einmal mehr eine Vollprothese halten würde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht H. (SG). Sie trug ergänzend vor, es könne nicht zugelassen werden, dass die gesunden Zähne nach und nach geopfert werden sollten, nur weil nach Meinung der Beklagten der bei ihr vorliegende äußerst seltene Fall noch nicht extrem genug für den Leistungskatalog sei. Sie fordere eine Versorgung, die ihre wenigen vorhandenen Zähne am wenigsten belaste und die aus heutiger medizinischer Sicht auch am sinnvollsten sei. Vor Beginn der Behandlung habe sie bei der Beklagten wegen der Kostenübernahme angefragt. Damals sei mündlich mitgeteilt worden, dass man sicherlich die Kosten übernehmen werde, dies aber erst schriftlich definieren könne, wenn der konkrete Kostenvoranschlag bzw. eine Rechnung der behandelnden Klinik vorliegen würde. Diese Information sei unmittelbar nach Erhalt eingereicht worden.

Das SG hörte den Zahnarzt für Kieferorthopädie Dr. L. und Prof. Dr. W. als sachverständige Zeugen. Dr. L. teilte mit, die Klägerin habe sich bei ihm erstmals im Jahr 1994 vorgestellt. Von 32 Zähnen seien 16 Zähne nicht vorhanden gewesen. Die gesamte linke Unterkieferhälfte sei ohne Seitenzähne. Seine Behandlung habe in einer kieferorthopädischen Vorbereitung für eine Umstellungsosteotomie und späteren Zahnersatz bestanden. Eine konventionelle prothetische Versorgung würde auf lange Sicht die zur Verankerung nötigen Zähne lockern und damit zum vorzeitigen Zahnverlust führen. Prof. Dr. W. führte aus, die Klägerin sei erstmals im November 1995 in seiner Behandlung gewesen. Es sei zunächst eine kombinierte kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung in die Wege geleitet worden. Am 26.10.2001 sei eine bimaxilläre Umstellungsosteotomie zur Beseitigung des Fehlbisses vorgenommen worden. Damit habe die Lage der Kiefer zueinander normalisiert werden können. Durch das Fehlen der Zähne sei die Kaufunktion insuffizient. Wenn im Alter der Klägerin eine konventionelle prothetische Versorgung durchgeführt werde, werde der Patient wegen der Überlastung der vorhandenen Zähne bald zahnlos sein. Er halte die implantatprothetische Versorgung für die einzig sinnvolle Rehabilitation der Klägerin.

Im Anschluss daran erstattete der Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie, Fachzahnarzt für Oralchirurgie Dr. Dr. M. ein zahnmedizinisches Gutachten. Er fand im Oberkiefer 7 bleibende und 4 Milchzähne und im Unterkiefer 9 bleibende Zähne und 4 Implantate mit Entzündungszeichen der sie umgebenden Mundschleimhaut. Durch kieferorthopädische Vorbehandlung und kieferchirurgische Umstellungsoperation des Unterkiefers seien Unter- und Oberkiefer in korrekte Relation zueinander gebracht worden. Die Verzahnung der vorhandenen bleibenden Zähne und Restmilchzähne sei optimiert. Es liege eine multiple Nichtanlage von insgesamt 14 bleibenden Zähnen vor. Der über gut 15 Jahre aufgrund fehlender Backenzähne zahnlose Unterkieferbereich links sei stark atrophiert. Der anatomische Verlauf des Unterkiefernerven links imponiere sehr kieferkammnah. Eine konventionelle prothetische Versorgung in diesem Stadium sei ohne aufwändige chirurgische Nervverlagerung nicht möglich und habe selbst dann bei zu befürchtender weiterer Atrophie nur aufschiebenden Charakter. Der bereits erfolgte Knochenaufbau mit konsekutiver Implantation erscheine gerechtfertigt. Als Lager für eine schleimhautgelagerte Teilprothese wären diese Voraussetzungen a priori unvorteilhaft gewesen. Dies hätte eher eine Verschlimmerung des fortgeschrittenen Atrophiezustandes herbeigeführt.

Die Beklagte äußerte sich hierzu dahingehend, dass die von Dr. Dr. M. bestätigte multiple Nichtanlage von 14 bleibenden Zähnen keine generalisierte Nichtanlage von Zähnen im Sinne der o.g. Richtlinie darstelle. Die Frage, ob eine konventionelle, prothetische Versorgung ausreichend sei, sei nicht eindeutig beantwortet.

Dr. Dr. M. führte hierauf auf Veranlassung des SG ergänzend aus, dass der Fall sich dadurch auszeichne, dass genau die Hälfte der bleibenden Zähne fehle und die Verteilung der Restzähne so ungünstig sei, dass der komplette Seitenzahnbereich des linken Unterkiefers nicht angelegt sei. Neben der ungünstigen anatomischen Lokalisation der Nichtanlagen sei in besonderer Weise die Belastbarkeit des Prothesenlagers zu berücksichtigen. Zum einen sei die Klägerin noch sehr jung und habe somit eine Prothesentragezeit von ca. 60 Jahren vor sich, außerdem sei aus den Röntgenaufnahmen vor der Implantation ersichtlich, dass der zahnlose linke Unterkieferabschnitt schon einen so hohen Atrophiegrad aufgewiesen habe, dass der ungefähr in der Mitte des Unterkiefers verlaufende Nervenkanal fast auf Kieferkammhöhe zu liegen komme. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen sei eine konventionelle prothetische Versorgung nicht ausreichend.

Anlässlich der mündlichen Verhandlung legte die Klägerin eine von ihr gefertigte Aufstellung der entstandenen Kosten über 7.475,40 EUR und Rechnungen von Prof. Dr. W. und M., Dr. J., des Dental-Labors K. GmbH und der Zahnärzte Dr. V., H. sowie Mahnungen von Prof. Dr. W. und M. vor.

Mit Urteil vom 24.06.2004, der Beklagten zugestellt am 16.08.2004, hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 21.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2002 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin 7.475,40 EUR zu erstatten. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Beklagte sei verpflichtet, der Klägerin zumindest den Einsatz von 4 Implantaten im linken Unterkiefer als Sachleistung zu bewilligen. Im Falle der Klägerin liege eine vom Bundesausschuss festgelegte Ausnahmeindikation vor. Es handele sich um eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen. Bei der Klägerin sei genau die Hälfte der üblicherweise angelegten Zähne nicht ausgebildet. Es sei der Beklagten zwar zuzugeben, dass damit noch nicht die Mehrzahl aller Zähne fehle, dennoch liege im Falle der Klägerin eine über die zahnmedizinische Notwendigkeit hinausgehende qualifizierte Ausnahmesituation vor. Die Situation im Gebiss der Klägerin sei wegen der besonders ungünstigen Verteilung der nicht angelegten Zähne mit den anderen anerkannten Ausnahmefällen wie z.B. Tumoroperationen, Schädel- und Gesichtstrauma ohne weiteres vergleichbar. Als einzige Behandlungsalternative sei nach dem Gutachten von Dr. Dr. M. aufgrund des Atrophiezustandes und des hochverlaufenden Nervens eine Implantatversorgung übrig geblieben. Dieser zahnmedizinische Gesichtspunkt in Verbindung mit dem Umstand, dass genau die Hälfte der normalerweise angelegten Zähne nicht vorhanden sei, rechtfertige die Einstufung des Behandlungsfalles als einen besonders schweren Fall. Wegen der Konzentration der nicht angelegten Zähne im linken Unterkiefer sei deshalb von einer generellen genetischen Nichtanlage von Zähnen auszugehen.

Hiergegen richtet sich die am 08.09.2004 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie weist darauf hin, dass die erste Behandlung bereits am 10.10.2001 und damit vor Beantragung der Kostenübernahme am 07.02.2002 erfolgt sei. Die Rechnungen ließen teilweise nicht erkennen, ob es sich um Kosten im Zusammenhang mit einer Implantatbehandlung des linken Unterkiefers handele, teilweise wären es keine Rechnungen, sondern Mahnungen. Im übrigen würden die Rechnungen auch Kosten für Behandlungen, des Oberkiefers beinhalten. Kosten für den stationären Krankenhausaufenthalt vom 29.01.2003 bis 03.02.2003 seien direkt in Höhe von 2.745,44 EUR an das M. gezahlt worden. Mit der Zahlung der Pflegesätze habe sie ihre Leistungspflicht gemäß den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen bereits voll erfüllt. Die daneben abrechenbaren Wahlleistungen fielen allein dem Versicherten zur Last. Abgesehen davon handele es sich nicht um die Ausnahmeindikation einer generalisierten genetischen Nichtanlage von Zähnen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe erst jüngst mit Urteil vom 13.07.2004 - B 1 KR 37/02 R - ausgeführt, dass diese Ausnahmeindikation voraussetze, dass zumindest das mehrheitliche Fehlen typischerweise in einem Kiefer angelegten Zähne aufgrund einer Nichtanlage vorliege. Bei der Klägerin seien im Unterkiefer unter Berücksichtigung der Weisheitszähne von 16 Zähnen 7 Zähne nicht angelegt. Da fraglich sei, ob die Weisheitszähne typischerweise bei Erwachsenen angelegt seien, ergebe sich unter Nichtberücksichtigung dieser Zähne eine Nichtanlage von 5 von 14 Zähnen im Unterkiefer. Damit handele es sich nicht um eine überwiegende Nichtanlage von Zähnen im Unterkiefer. Ferner sei bei der Klägerin eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate regelhaft möglich gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts H. vom 24. Juni 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hat die mit Prof. Dr. W. getroffenen Vereinbarungen über privatärztliche Leistungen und die bereits dem SG vorgelegten Rechnungen und Mahnungen für ihre Behandlung vorgelegt und darauf hingewiesen, dass sie alle im unmittelbaren Zusammenhang mit den eigentlichen Implantaten stünden. Die Entscheidung für die Implantate sei aus rein medizinischer Sicht erfolgt. Auch ökonomisch habe es keine Alternative gegeben.

Die Beklagte hat auf Anforderung des Senats eine Kostenaufstellung vorgelegt und mitgeteilt, dass Prof. Dr. W. und M. sowie Dr. J. zur vertragsärztlichen Behandlung zugelassen seien.

Dr. J. hat den von der Klägerin unterzeichneten Wahlleistungsvertrag für die Operation am 29.01.2003, Prof. Dr. M. den Überweisungs- und Abrechnungsschein vom 30.09.2002, wonach die Klägerin Selbstzahlerin ist, und Prof. Dr. W. Vereinbarungen nach § 2 Gebührenordnung der Ärzte und Zahnärzte eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 21.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2002 verurteilt, der Klägerin 7.475,40 EUR zu erstatten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Implantate und die damit im Zusammenhang stehenden ärztlichen Leistungen. Soweit die Leistungen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Implantaten stehen, scheitert der Anspruch daran, dass die Klägerin Wahlleistungen in Anspruch genommen hat.

Aufwendungen für eine selbstbeschaffte Leistung darf die Krankenkasse, einerlei ob die medizinische Maßnahme notwendig war oder nicht, nach § 13 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) anstelle der geschuldeten Sach- und Dienstleistung nur erstatten, soweit das SGB V oder das 9. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) es vorsehen. Als Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung im Hinblick auf die Implantate kommt hier allein § 13 Abs. 3 2. Alt. SGB V in Betracht, nachdem die Klägerin sich die in Rede stehende Behandlung auf einem anderen als dem gesetzlich vorgesehenen Weg selbst beschafft hat.

Die Voraussetzungen für eine solche Kostenerstattung sind indessen nicht erfüllt. Nach der genannten Regelung hat eine Krankenkasse nur dann, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, und dadurch dem Versicherten Kosten für die selbst beschaffte Leistung entstanden sind, diese Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Dies ist hier nicht der Fall. Zwar hat die Klägerin die eigentliche Implantatversorgung erst am 16.05.2002 begonnen, nachdem die Beklagte ihr am 21.03.2002 einen ablehnenden Bescheid erteilt hatte. Der Anspruch aus § 13 Abs. 3 SGB V scheitert jedoch, weil ein Primäranspruch auf eine Versorgung mit implantatgestützter Zahnprothetik nicht besteht. Der Übernahme der Kosten der Behandlung durch Prof. Dr. W. im Oktober 2001 und Januar sowie Februar 2002, die vor der ablehnenden Verwaltungsentscheidung angefallen sind, steht, abgesehen davon, dass es, wenn es sich um Leistungen, die im Zusammenhang mit den Implantaten angefallen sind, handeln würde, an der Kausalität der ablehnenden Verwaltungsentscheidung für die Inanspruchnahme der Leistung fehlen dürfte, ebenso wie der Rechnung von Prof. Dr. M. vom 29.10.2002 die von der Klägerin unterzeichnete Wahlleistungsvereinbarung entgegen.

Gemäß § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Primäranspruch auf zahnärztliche Behandlung umfasst nach der bis 31.12.2004 gültigen Fassung des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V, die hier zu Grunde zu legen ist, nachdem die Klägerin die streitige Behandlung bereits hat durchführen lassen (ständige Rechtssprechung des BSG, zuletzt Urteil vom 13.07.2004 - B1 KR 37/02 R -) auch Zahnersatz. Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in Verbindung mit Satz 8 gehören jedoch implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktionen grundsätzlich nicht zur zahnärztlichen Behandlung und dürfen von den Krankenkassen auch nicht bezuschusst werden, es sei denn "seltene" vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen "für besonders schwere Fälle", in denen die Krankenkasse die implantologische Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt, würden vorliegen. Diese Festlegungen hat der Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Kapitel B VII. seiner "Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung" (Zahnbehandlungs-RL in der Fassung vom 24.07.1998) vorgenommen. Seit 01.01.2000 besteht darüber hinaus in weiteren vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen festgelegten Ausnahmefällen ein nach Maßgabe des § 30 SGB V an eine Eigenbeteiligung geknüpfter Anspruch auf Gewährung der zur implantologischen Versorgung gehörenden Suprakonstruktionen. Insoweit sind zusätzlich die Ausnahmefälle in den am 24.03.2001 in Kraft getretenen RL des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen (Zahnersatz-RL vom 15.09.2000) einschlägig.

Abgesehen davon, dass dem Anspruch der Klägerin im Hinblick auf die von Prof. Dr. W. und Dr. J. für die am 30.01.2003 durchgeführte Operation in Rechnung gestellten Leistungen entgegensteht, dass diese Leistungen im Zusammenhang mit dem stationären Aufenthalt der Klägerin im Marienhospital erbracht wurden und die Beklagte die Kosten dieses stationären Aufenthalts und damit auch die ärztlichen Leistungen getragen hat und die Klägerin darüber hinaus insoweit Wahlleistungen in Anspruch genommen hat, und die Kosten für die von Prof. Dr. M. für die Klägerin als Selbstzahlerin in Rechnung gestellte Röntgenaufnahme vom 30.09.2002 doppelt vorgelegt wurden (Rechnung vom 29.10.2002 über 41,97 EUR und Mahnung vom 12.12.2002 über 43,47 EUR), enthalten die Zahnbehandlungs-RL keine zu Gunsten der Klägerin eingreifende Ausnahme für die Gewährung implantologischer Leistungen. Bei der Klägerin handelt es sich nicht um - was hier allein in Betracht kommen könnte - eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat diese Ausnahme in seinem Urteil vom 13.07.2004 - B 1 KR 37/02 -, dem der Senat folgt, dahingehend konkretisiert, dass die zur Behandlung Anlass gebende körperliche Regelwidrigkeit zumindest in einem der Kiefer in besonderer Weise ausgeprägt sein muss. Ein Kiefer muss sich danach von seinem Erscheinungsbild her wesentlich durch die Nichtanlage von Zähnen auszeichnen. Es muss ein Stadium vorliegen, das im Bereich des Ober- und/oder Unterkiefers der vollständigen Zahnlosigkeit eher nahe kommt als dem Fehlen nur einzelner Zähne bei ansonsten noch als regelgerecht anzusehenden Gebissverhältnissen. Ein solcher Zustand lässt sich nur bejahen, wenn zumindest die überwiegende Zahl der typischerweise bei einem Menschen angelegten Zähne fehlt. Diese Schwelle ist in praktikabler Weise nur zahlenmäßig zu ermitteln. Eine solche Konstellation liegt bei der Klägerin nicht vor. Ihr fehlen im Bereich des Oberkiefers acht Zähne und im Unterkiefer unter Berücksichtigung der Weißheitszähne von 16 Zähnen sieben Zähne und unter Außerachtlassung der Weißheitszähne von 14 Zähnen fünf Zähne. Damit fehlt ihr weder im Oberkiefer noch im hier maßgeblichen Unterkiefer rein rechnerisch die Mehrzahl der Zähne. Der bei ihr vorliegende Zustand ist nicht mehr charakteristisch für die Beurteilung des Kiefers als anlagebedingt zahnlos. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Zähne überwiegend im Unterkiefer links fehlen. Es ist auf das Organsystem Kiefer und dies gliedert sich in Ober- und Unterkiefer jeweils als Gesamtheit abzustellen. Eine weitere Differenzierung im Hinblick auf die jeweiligen Kieferhälften ist nicht vorzunehmen. Entscheidend ist insoweit, dass es sich hier um die Ausnahme von dem gesetzlich normierten "Verbot" der Nichtgewährung von Implantaten handelt, was eine weitere Differenzierung verbietet. Außerdem ist, solange im Ober- oder Unterkiefer die Mehrzahl der Zähne, einerlei wie sie im einzelnen im Kiefer angeordnet sind, vorhanden ist, - wenn auch unter Einschränkungen - die Kaufunktion bzw. die Möglichkeit der Verkleinerung fester Nahrung mit dem vorhandenen Zähnen gegeben. Dies schließt es aus, von einer "generalisierten" Nichtanlage zu sprechen. Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin vermutlich nicht auf der linken Seite kauen und die Nahrung zu verkleinern vermag, es ist jedoch ausreichend, wenn ihr dies mit der rechten Seite, woran aufgrund des Zahnstatuses kein Zweifel besteht, möglich ist. Eine darüber hinaus gehende Sichtweise wäre mit dem differenzierenden und einer erweiterten Auslegung bzw. Analogie nicht zugänglichen Wortlaut der Ausnahmeindikation in den Zahnbehandlungs-Richtlinien nicht vereinbar. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz (Suprakonstruktionen) gegen Eigenbeteiligung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 5 SGB V. Die insoweit maßgeblichen Zahnersatz-RL begünstigen nur die Implantatversorgung bei zahnbegrenzten Einzelzahnlücken sowie bei einem atrophierten zahnlosen Kiefer. Beides liegt bei der Klägerin nicht vor. Es handelt sich um keine Einzelzahnlücken. Der Kiefer ist zwar atrophiert, er ist jedoch nicht zahnlos. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte auch nicht verpflichtet ist, sich an den Kosten der Klägerin in der Höhe zu beteiligten, die durch eine konservative Behandlung entstanden wären. Dies ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut. Nach § 28 Abs. 2 Satz 8 SGB V gehören funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen nicht zur zahnärztlichen Behandlung; sie dürfen von den Krankenkassen auch nicht bezuschusst werden. Nach Satz 9 dieser Norm gilt das gleiche für implantologische Leistungen, es sei denn seltene Ausnahmefälle liegen vor. Satz 9 nimmt also auf Satz 8 des § 28 Abs. 2 SGB V Bezug. Nach Satz 8 ist eine Bezuschussung ausdrücklich untersagt, nachdem das gleiche auch für implantologische Leistungen gilt, heißt dies eindeutig, dass auch für implantologische Leistungen kein Zuschuss möglich ist. Auch die Mehrkostenregelung des § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB V findet hier keine Anwendung. Erforderlich hierfür wäre, dass die Grundleistung als solche Gegenstand der von der Beklagten geschuldeten zahnärztlichen Versorgung ist und lediglich die Art der Ausführung über das zahnmedizinisch Gebotene hinaus geht (BSG Urteil vom 19.06.2001 - B 1 KR 27/00 R -). Dies trifft bei einem Implantat nicht zu. Dies stellt auch keine Benachteiligung der Klägerin, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren wäre, dar. Die Klägerin hatte die Wahl, ob sie sich anstelle der Implantatversorgung für den wirtschaftlicheren "einfacheren" Zahnersatz entscheidet. Bei ihr war grundsätzlich beides möglich. Zweifelsohne ist die Implantatversorgung bei ihr insbesondere auch angesichts ihres Alters medizinisch und auch ökonomisch die sinnvollere Variante. Dennoch hatte sie aber eine Behandlungsalternative in Form einer Prothese. Sie hat bewusst die Implantatversorgung gewählt. Dies rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung. Im übrigen stellen die Vorteile einer implantologischen Versorgung gegenüber konventionellen Methoden einen wesentlichen Unterschied dar, so dass auch aus diesem Grund eine Gleichbehandlung nicht geboten ist.

Ein Kostenerstattungsanpruch der Klägerin besteht auch nicht im Hinblick auf die von Prof. Dr. W. in Rechnung gestellten Behandlungen im Oktober 2001 sowie Januar und Februar 2002 und für die von Prof. Dr. M. am 30.09.2002 gefertigte Röntgenaufnahme. Dahingestellt bleiben kann insoweit, ob es sich insoweit um Leistungen handelte, die im Zusammenhang mit der Implantatversorgung standen und der Erstattung dieser Kosten ebenfalls die Tatsache entgegensteht, dass die Beklagte die Implantatversorgung der Klägerin nicht zu übernehmen hat, und auch die Frage der Kausalität der ablehnenden Verwaltungsentscheidung der Beklagten für die teilweise vor der Antragsstellung durch die Klägerin und der Entscheidung der Beklagten liegenden Leistungen, stellt sich nicht. Der Anspruch der Klägerin scheitert insoweit daran, dass sie bewusst Wahlleistungen und damit eine außervertragliche Behandlung gewählt hat. Nach § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V darf eine privatärztliche Behandlung nur in Anspruch genommen werden, wenn ein Notfall vorliegt. Ein Notfall i.S.v. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V liegt stets vor, wenn dringend (unaufschiebbar) "ärztliche Behandlung" benötigt wird und diese nicht rechtzeitig oder gar nicht durch die in § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Leistungserbringer erfolgen kann (Weber/Braun, Ambulante Notfallbehandlung im Krankenhaus: Sachleistung oder Kostenerstattung?, in: NZS 2002, 404ff.). Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin nicht vor, weshalb ein Kostenerstattungsanspruch nach dem hier allein maßgeblichen § 13 Abs. 3 1. Alt. SGB V nicht gegeben ist

Damit musste die Berufung der Beklagten Erfolg haben und das angefochtene Urteil des SG aufgehoben werden. Die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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