L 5 AL 1909/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 3118/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 AL 1909/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einmalzahlung vor 22.06.2000.
1. Ein Anspruch auf höheres Alg durch die Mitberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Berechnung des Bemessungsentgelts besteht nicht, wenn der Leistungsbezug vor dem 22.06.2000 beendet worden ist. Weder § 44 SGB X noch der Herstellungsanspruch geben hierfür eine Rechtsgrundlage.
2. Die Bundesanstalt für Arbeit war nicht verpflichtet, Alg für Zeiträume nach dem 1.1.1997 nur vorläufig zu bewilligen.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. März 2001 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Rücknahme von Bescheiden über die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und die Zahlung höheren Alg unter Berücksichtigung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt.

Der 1939 geborene Kläger war bis 13.12.1996 beschäftigt. Der Konkursverwalter seines früheren Arbeitgebers bescheinigte für die Monate September 1996 bis November 1996 und den Zeitraum vom 1.12.1996 bis 13.12.1996 ein Bruttoarbeitsentgelt von insgesamt DM 15.048,36 bei 545 geleisteten Arbeitsstunden. Das Arbeitsamt Reutlingen (AA) bewilligte Alg ab 14.12.1996 in Höhe von DM 430,80 wöchentlich (Bemessungsentgelt: DM 1.020,00; Leistungsgruppe C; Kindermerkmal 0; Leistungssatz 60%; Leistungstabelle 1996; Anspruchsdauer 832 Tage; Bescheid vom 8.1.1997). Der wöchentliche Leistungssatz betrug ab 1.1.1997 nach Anpassung an die Leistungstabelle 1997 DM 424,20 (Bescheid vom 8.1.1997), ab 1.1.1998 nach Anpassung an die Leistungstabelle 1998 DM 427,98 (Bescheid vom 7.1.1998), ab 14.12.1998 nach Dynamisierung des Bemessungsentgeltes auf DM 1.030,00 DM 430,99 (Bescheid vom 23.12.1998) und ab 1.1.1999 nach Anpassung an die Leistungstabelle 1999 DM 437,85 (Bescheid vom 7.1.1999). Gegen die Bewilligungsbescheide erhob der Kläger keinen Widerspruch. Alg wurde bis 31.7.1999 gezahlt. Seit 1.8.1999 erhält der Kläger Altersrente.

Unter Verweis auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 11.1.1995 (1 BvR 892/88) und 24.5.2000 (1 BvL 1/98) beantragte er am 21.9.2000 die Überprüfung des Arbeitslosengelds hinsichtlich der Höhe für die Bezugsdauer vom 14.12.1996 bis 31.7.1999, weil auch er während seines Arbeitslebens jahrelang Sozialversicherungsbeiträge von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt entrichtet habe. Das AA lehnte die Rücknahme der Bewilligungsbescheide ab (Bescheid vom 28.9.2000; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2000). Die Widerspruchsstelle des AA stützte sich auf § 330 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und führte weiter aus, über den Anspruch des Klägers auf Alg sei zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (vom 24.5.2000) am 21.6.2000 bereits rechtskräftig und damit unanfechtbar entschieden gewesen. Am 21.6.2000 habe er keinen Anspruch auf Alg mehr gehabt. Sein Anspruch auf Alg bleibe daher von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes unberührt.

Gegen den nach Angaben seiner Prozessbevollmächtigten ihnen am 13.11.2000 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 12.12.2000 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Die Unzulässigkeit des Nichteinbeziehens sozialversicherungspflichtiger Einmalzahlungen habe das Bundesverfassungsgericht bereits mit der Entscheidung vom 11.1.1995 festgestellt, so dass eine Neuberechnung auch für die Vergangenheit bis einschließlich 1.1.1997 vorzunehmen sei.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9.3.2001 unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides abgewiesen.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am Montag, dem 22.3.2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.4.2001 Berufung eingelegt. Er hält § 330 SGB III wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) für verfassungswidrig. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 11.1.1995 hätte die Beklagte ihre Bescheide zumindest für vorläufig erklären müssen (Hinweis auf das Urteil des LSG Brandenburg vom 24.9.01 - L 8AL 60/01). Insoweit bestehe auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Bei In-Kraft-Treten des SGB III habe sie gewusst, dass die Frage der Einbeziehung von Einmalzahlungen bei der Ermittlung der Berechnungsgrundlage Gegenstand eines Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht gewesen sei. Auch habe die Beklagte ihn nicht dahingehend beraten, im Hinblick auf die anhängigen Verfahren beim Bundesverfassungsgericht Widerspruch einzulegen bzw. einen Antrag auf Vorläufigkeitserklärung zu stellen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. März 2001 und den Bescheid des Arbeitsamtes Reutlingen vom 28. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 8. Januar 1997, 7. Januar 1998, 23. Dezember 1998 und 7. Januar 1999 zurückzunehmen und ihm Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines um 10% erhöhten Bemessungsentgelts ab 14. Dezember 1996 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Leistungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegt nicht vor. Denn der Kläger begehrt höhere Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat hat mit der Zustimmung beider Beteiligter ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nicht begründet Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Alg.

1.) Ein Anspruch des Klägers auf höheres Alg ergibt sich zunächst nicht aus § 434c Abs. 1 SGB III, eingefügt durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21.12.2000 (BGBl. I, S. 1971) mit Wirkung vom 1.1.2001. Nach § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III gilt die (in Satz 1 bestimmte 10-prozentige) Erhöhung des Bemessungsentgeltes für Ansprüche, über die am 21.6.2000 bereits unanfechtbar entschieden war, vom 22.6.2000 an. Am 22.6.2000 hatte der Kläger keinen Anspruch auf Alg mehr, weil er seit 1.8.1999 Altersrente bezieht.

2.)

Da die Bewilligungsbescheide über Alg vom 8.1.1997, 7.1.1998, 23.12.1998 und 7.1.1999 bestandskräftig sind, kann der Kläger höheres Alg nur erhalten, wenn die Beklagte verpflichtet ist, diese Bewilligungsbescheide zurückzunehmen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach dieser Vorschrift besteht kein Verpflichtung zur Rücknahme der genannten Bescheide.

Die Berechnung der Höhe des dem Kläger bewilligten Arbeitslosengelds beruht auf § 112 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der zum Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger im Dezember 1996 noch geltenden Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21.12.1993 (BGBl. I, S. 2353). Auf der Grundlage dieser Bestimmung hat das AA die Höhe des Arbeitslosengeld zutreffend errechnet. Da nach § 112 Abs. 1 Satz 2 AFG u. a. einmalige Zuwendungen außer Betracht bleiben, hat das AA dem Kläger eventuell zugeflossene Einmalzahlungen nicht berücksichtigt.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 24.5.2000 § 112 Abs. 1 Satz 2 AFG erst für die Zeit ab 1.1.1997 mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, so dass für die Zeit vor dem 1.1.1997 eine Rechtswidrigkeit hinsichtlich der unterbliebenen Berücksichtigung von Einmalzahlungen nicht besteht. Die Bewilligungsbescheide für diesen Zeitraum sind somit bindend und rechtmäßig

Für die Zeit ab 1.1.1997 sind die Vorschriften, die vom Bundesverfassungsgericht als mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden sind, zwar verfassungswidrig gewesen, die verfassungswidrigen und damit rechtswidrigen Bewilligungsbescheide sind allerdings bestandskräftig und damit für die Beteiligten bindend geworden. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, bestandkräftige Bescheide mit verfassungswidriger Rechtsgrundlage zurückzunehmen besteht für den Gesetzgeber allerdings nicht, wie das BVerfG in dem Beschluss vom 24.5.2000 ausdrücklich entschieden hat. Insoweit hängt die Entscheidung des Falles davon ab, ob Verwaltungsverfahrensrecht, hier kommt allein § 44 SGB X in Betracht, eine Durchbrechung der Bestandkraft erlaubt. Dies ist nicht der Fall.

Obwohl die Voraussetzungen des § 44 SGB X hinsichtlich der Rechtswidrigkeit vorliegen, hat der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide. Im Bereich des AFG und SGB III findet § 44 SGB X nur eingeschränkt Anwendung, weil insoweit die abweichende Regelung des § 152 Abs. 1 AFG (bis 31.12.1997) und § 330 Abs. 1 SGB III (ab 1.1.1998) besteht. Nach § 37 Satz 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) gelten das Erste und Zehnte Buch für alle Sozialleistungsbereiche des Gesetzbuches, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt.

Liegen die § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nichtbegünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil er auf eine Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch das Arbeitsamt ausgelegt worden ist, so ist nach § 330 Abs. 1 SGB III der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Der bis 31.12.1997 geltende § 152 Abs. 1 AFG war wortgleich. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Jahre 2000 hatte der Kläger keinen Anspruch auf Alg mehr.

Die Bestimmung des § 330 Abs. 1 SGB III unterliegt keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Da sie wortgleich mit § 152 Abs. 1 AFG ist, gilt dasselbe wie zu § 152 Abs. 1 AFG. Diese Vorschrift beruht ähnlich wie § 79 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auf der verfassungsrechtlichen zulässigen - wenn auch nicht gebotenen - Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Behandlung von nicht mehr anfechtbaren Verwaltungsakten dem Gedanken der Rechtssicherheit Vorrang vor dem des Rechtsschutzes des Einzelnen i. S. der Herstellung der materiell richtigen Rechtslage zu geben (BSGE 64, 62, 66; BVerfGE 11, 263, 265; 20, 230, 235; 32, 287, 289) § 152 Abs. 1 AFG verstößt auch nicht dadurch gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass der Kläger anders behandelt wird als Versicherte, die das die Rechtslage klärende Urteil erwirkt haben. Insoweit wirkt sich die Vorschrift in ähnlicher Weise aus wie eine Stichtagsregelung, die als zeitliche Differenzierung in der Form der Typisierung grundsätzlich hinzunehmen ist, sofern sie sich als notwendig erweist, sich angegebenen Sachverhalt orientiert und sachlich vertretbar ist.(BVerfGE 13, 31, 38; 58, 81, 126; 75, 78,106) ; Hiervon ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung (Abbau von Verwaltungsaufwand) sowie der Tatsache das ist jeder Versicherte grundsätzlich in der Hand hat, durch Einlegung von Rechtsmitteln die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes zu verhindern, auszugehen (so zu § 152 Abs. 1 AFG: BSG SozR 3-4100 § 152 Nr. 10, S. 39 f).

3.) Die Beklagte ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches verpflichtet, bestandskräftige Bewilligungsbescheide zurückzunehmen. Der Kläger begehrt im Wege des Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden wie er stünde, wenn die Beklagte ihn bei Erlass der bestandskräftig gewordenen Bewilligungsbescheide über die verfassungsrechtliche Problematik so beraten hätte, dass er danach rechtzeitig Widerspruch eingelegt hätte. Im Ergebnis will der Kläger erreichen, über den Herstellungsanspruch die inzwischen eingetretene Bestandskraft zu beseitigen. Dies ist rechtlich nicht möglich. Liegen die Voraussetzung des §§ 44 SGB X vor, kann zugleich noch ein Herstellungsanspruch gegeben sein. Jedoch geht § 44 SGB X als gesetzliche Sonderregelung dem allgemeinen Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs vor, wenn das konkrete Fehlverhalten bereits durch § 44 SGB X erfasst wird (BSG SozR 1300 § 44 Nr.23). So liegt hier der Fall. Wie oben dargelegten, waren die Bewilligungsbescheide objektiv rechtswidrig, weil sie auf einer seit 1.1.1997 für verfassungswidrig erklärten Rechtsgrundlage ergangen sind. In diesem Fall verbietet jedoch § 330 SGB III gerade die Anwendung von § 44 SGB X. Dieses Verbot darf durch den Herstellungsanspruch somit nicht unterlaufen werden.

4.) Auch aus § 328 SGB III bzw. § 147AFG folgt nichts anderes. Nach § 328 Abs. 1 SGB III, der die bis 31.12.1997 geltende Regelung des § 147 AFG inhaltlich unverändert übernommen hat, kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn 1. die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigen Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem EuGH ist,

2. eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist oder

3. zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat.

Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben in den Fällen des Satzes 1 Nr. 3 ist auf Antrag vorläufig zu entscheiden (§ 330 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB III).

Eine direkte Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus, weil die bisher ergangenen Bewilligungsbescheide durchgehend bestandskräftig geworden sind. Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch darauf, dass die Bescheide nachträglich für vorläufig erklärt werden. Als Rechtsgrundlage hierfür kommt allein § 44 SGB X in Betracht.

Dabei kann offen bleiben, ob es als rechtswidrig zu bewerten ist, wenn die Beklagte trotz ihrer Kenntnis von den vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren und den in der Literatur geäußerten Bedenken die Bewilligungsbescheide nicht für vorläufig erklärt hat. Denn Bescheide, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass Sie auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage ergangen sind, können über § 44 SGB X nicht korrigiert werden. Dies wird, wenn sie bestandskräftig sind, durch § 330 Abs. 1 SGB III gerade ausgeschlossen. Dieses Ergebnis würde unterlaufen, wenn man denjenigen, die die Bewilligungsbescheide haben bestandskräftig werden lassen, nachträglich einen Anspruch auf vorläufige Entscheidung einräumen würde. § 330 Abs. 1 SGB III enthält eine Regelung, wie grundsätzlich im Falle einer nachträglichen Verfassungswidrigerklärung von Anspruchsgrundlagen bei Geldleistungen nach dem Arbeitsförderungsrecht zu verfahren ist. Wenn bereits materielle Verfassungswidrigkeit nicht zu einem Wiederaufgreifen bestandskräftig gewordener Bewilligungsbescheide führt, dann kann ein eventueller Verstoß gegen eine Verpflichtung, eine mutmaßliche Verfassungswidrigkeit verfahrensrechtlich zu berücksichtigen, nicht dazu führen, entgegen dem Willen des Gesetzgebers gleichwohl begünstigt zu werden. Dieser Wille des Gesetzgebers wurde vom Bundesverfassungsgericht sinngemäß übernommen, als es die Verpflichtung zur 10 %igen Erhöhung der Bemessungsentgelte auf laufende Leistungen ab 22.6. 2000 und auf nicht bestandskräftig gewordene Bescheide beschränkt hat.

Der Kläger könnte im Übrigen auch nur eine Verpflichtung zur Neubescheidung erreichen. Ob eine vorläufige Entscheidung getroffen wird, steht nach § 147 AFG und nach § 328 SGB III im Ermessen der Beklagten. Für den Fall dass die Beklagte nicht nachweisen könnte, über allgemeine Ermessensrichtlinien insoweit fehlerfrei Ermessen ausgeübt zu haben, könnte der Senat sie nur verpflichten, erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden. Im Falle einer erneuten Entscheidung ist jedoch die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Nachholung maßgeblich (BSGE 41,38,43). Zu beachten ist dabei, dass das BVerfG inzwischen in der Entscheidung vom 24.5.2000 die Rechtslage geklärt hat, was zur Folge hat, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Vorläufigerklärung - ein anhängiges Verfahren vor dem BVerfG - nicht mehr vorliegen. Aus Rechtsgründen ist daher jede andere Entscheidung als die nachträgliche Ablehnung der Vorläufigerklärung früherer Bewilligungsbescheide rechtswidrig.

Aber auch dann, wenn man bezüglich der in der Vergangenheit liegenden Bewilligungsbescheide eine Nachholung der Ermessensentscheidung für rechtlich geboten hielte, wäre jede andere Entscheidung als die nachträgliche Ablehnung der Vorläufigerklärung früherer Bewilligungsbescheide rechtswidrig. Insoweit ist das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert. Während das BVerfG in anderen Fällen ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass zukünftig bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber nur vorläufige Entscheidungen ergehen dürfen (vgl. BVerfGE 61,319,357), hat es sich in der Entscheidung vom 11.1.1995 darauf beschränkt, dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 1.1.1997 einzuräumen und ihm die Entscheidung überlassen, ob er die Problematik der Ungleichbehandlung auf der beitragsrechtlichen oder der leistungsrechtlichen Seite löst. Erst die unzureichenden Nachbesserungsbemühungen des Gesetzgebers in § 23 a SGB IV haben zu der Entscheidung vom 24.5.2000 geführt. Nachdem das BVerfG im Beschluss vom 24.5.2000 aber bestandskräftige Bescheide ausdrücklich von der nachträglichen Verpflichtung zur Erhöhung des Bemessungsentgelts ausgenommen hat, und § 330 SGB III eine nachträgliche Berücksichtigung verfassungswidrig vorenthalten Leistungen ausschließt, besteht für die Beklagte kein Ermessensspielraum.

5.) Da der Kläger nur Alg und niemals Arbeitslosenhilfe bezogen hat, ist es für den vorliegenden Fall unerheblich, ob Einmalzahlungen auch bei der Berechnung der Höhe der Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen sind oder nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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