L 11 KR 3740/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1019/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3740/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einer ambulanten EU-Auslandsbehandlung gelten die Leistungsvoraussetzungen und Begrenzungen des Leistungsumfangs des nationalen Rechts, wenn und solange sie nicht diskriminierend wirken, auch unter Geltung des § 13 Abs. 4 SGB V uneingeschränkt (hier: Daman-Delacato-Therapie); (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 14.09.2004 -L 11 KR 2308/03, L 11 KR 2090/04-).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. Juni 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme der Behandlung mit der Doman-Delacato-Therapie (DDT) in Italien streitig.

Der am 24. Juni 1997 geborene, bei der Beklagten über seinen Vater familienversicherte Kläger ist bereits in der 32. Schwangerschaftswoche mit schweren perinatalen Komplikationen zur Welt gekommen und leidet seitdem an einer schweren Cerebralparese mit Tetraspastik. Ferner liegt eine schwere Innenohrschwerhörigkeit, eine an Blindheit grenzende Sehbehinderung sowie ein Anfallsleiden vor. Seit Juni 1999 ließen ihn seine Eltern als gesetzliche Vertreter deswegen mehrmals in den USA mit der DDT am Institut for the Achievement of Human Potential behandeln. Den Antrag auf Kostenerstattung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2001 ab. Die dagegen beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage (S 2 KR 2759/01) wurde durch Urteil vom 27. März 2002 abgewiesen. Das Berufungsverfahren blieb ebenfalls erfolglos (Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg - LSG - vom 26. November 2002 - L 4 KR 2918/02 -). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Verfahren zur Behandlung cerebralparetischer Kinder, die dem aktuellen medizinischen Kenntnisstand entsprächen, auch in Deutschland angeboten würden. Hierbei seien zum einen die bereits bei dem Kläger angewandten Therapiemethoden nach Bobath und Vojta, aber auch manualtherapeutische Behandlungen zu nennen, die erfolgreich durchgeführt würden. Auch sei die DDT-Behandlung von dem Bundesausschuss nach Anlage B Nr. 12 mit Beschluss vom 10. Dezember 1999 als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen worden.

Am 13. November 2002 ließ der Kläger erneut die Kostenübernahme der DDT-Behandlung am Institut for the Achievement of Human Potential, Europe in Pisa/Italien unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) beantragen. Danach könne eine Behandlung, die in der internationalen Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt angesehen werden könne, nicht versagt werden, wenn keine rechtzeitige wirksame Behandlung zur Verfügung stünde. Dies treffe bei ihm zu, da er im Kinderzentrum in München fast 4 Monate stationär ohne Erfolg behandelt worden sei.

Mit Bescheid vom 24. April 2003 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, für die Erkrankung stünden Behandlungsmethoden im Kinderzentrum in München zur Verfügung, die von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung als Sachleistung zur Verfügung gestellt werden könnten. Nur wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit ausschließlich im Ausland möglich sei, könne die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn die angewandte Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Das sei hier nicht der Fall.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch ließ der Kläger geltend machen, es handle sich um eine ambulante Behandlung, die von speziell ausgebildeten Therapeuten in Italien durchgeführt würde. Aus Gründen der Dienstleistungsfreiheit müsse daher die Behandlung erstattet werden. Denn es komme nicht darauf an, ob der Bundesausschuss die DDT in den Katalog der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aufgenommen habe oder nicht, da es gegen europäisches Recht verstoße, wenn Versicherten eine Behandlung versagt werde, die andere Versicherte in anderen EU-Staaten erhielten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, eine Kostenerstattung im europäischen Ausland könne nur dann beansprucht werden, wenn alle nach deutschem Recht (hierzu gehörten auch beispielsweise die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss) maßgeblichen Leistungsvoraussetzungen erfüllt seien. Dies sei hier nicht der Fall, da für die DDT von dem Bundesausschuss keine positive Empfehlung abgegeben worden wäre, sondern es sich um eine Behandlung handle, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht angewendet werden dürfe. Deswegen scheide eine Kostenerstattung auch dann aus, wenn der Versicherte sich die Leistung gezielt im europäischen Ausland selbst beschaffe.

Mit seiner dagegen beim SG erhobenen Klage ließ der Kläger geltend machen, die Üblichkeit einer Behandlung müsse sich künftig danach richten, was die internationale Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt ansehe. Dass die Methode der DDT noch in Deutschland kritisch gesehen werde, sei deswegen nicht entscheidend. Die Notwendigkeit seiner Behandlung ergebe sich daraus, dass die bislang durchgeführten Behandlungsmaßnahmen nach Bobath und Vojta keine Wirkung gezeigt hätten.

Mit Urteil vom 9. Juni 2004, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 10. August 2004, wies das SG die Klage unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid mit der Begründung ab, Voraussetzung für die Kostenerstattung einer ambulanten ärztlichen Leistung in anderen EU-Ländern sei, dass die jeweilige Behandlung dem Grunde und Umfang nach unter die Leistungspflicht der Krankenkasse falle. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall, denn die DDT sei im Inland als Behandlung nicht zugelassen.

Mit seiner hiergegen am 30. August 2004 eingelegten Berufung ließ der Kläger geltend machen, er werde bisher ausschließlich in den USA und noch nicht in Italien behandelt. Der Behandlungsbeginn dort sei in Kürze geplant. Die Kosten für eine Therapie in Italien beliefen sich ohne Reise- und Übernachtungskosten auf ca. 3.500,- EUR pro Behandlungszyklus. Die Behandlungen fänden halbjährlich statt, d.h. zweimal im Jahr. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH zum Gemeinschaftsrecht und der fehlenden demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses für die ausgesprochenen Empfehlungen müsse seinem Anspruch stattgegeben werden. Denn in europarechtskonformer Auslegung müsse die Voraussetzung der Üblichkeit so aufgefasst werden, dass immer dann, wenn eine Behandlung in der internationalen Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt angesehen werde, die beantragte Genehmigung nicht wegen mangelnder Üblichkeit versagt werden können. Die Berücksichtigung allein der gewöhnlich im Inland praktizierten Behandlungen und allein der wissenschaftlichen Auffassung der Mediziner im Inland sei für die Bestimmung darüber, was üblich sei und was nicht, nicht zulässig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. Juni 2004 sowie den Bescheid vom 24. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung mit der Doman-Delacato-Therapie in Italien zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und hat ein Gutachten nach Aktenlage des Medizinisches Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) von Dr. S. vorgelegt.

Dr. S. hat ausgeführt, dass die Doman-Delacato-Therapie eine übende Behandlungs-methode neurologisch geschädigter Kinder darstelle, die Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelt worden sei. Sie beruhe auf der unbewiesenen und derzeit als widerlegt geltenden Annahme, dass das ZNS einen siebenstufigen Aufbau besitze, dessen strukturelle Gliederung bestimmten, auch zeitlich festgelegten Reifestufen des Gehirns zugeordnet werde. Zur Beurteilung des jeweiligen Entwicklungszustandes, aber auch der Therapieergebnisse werde ein bislang unvalidiertes konzept-immanentes Entwicklungsprofil entwickelt, mit dessen Hilfe Diagnosen gestellt, Behandlungsindikationen festgelegt, Therapiepläne erarbeitet und Behandlungsergebnisse beurteilt würden. Eine klinische Wirksamkeit der Grundlagen und Methoden sei nicht belegt. Die Behandlung sei zeitlich und finanziell sehr aufwendig und schließe die Patienten während ihrer Durchführung von zahlreichen anderen Therapie- und Förderungsmöglichkeiten sowie persönlichen sowie sozialen Anregungen aus. Das hier zur Diskussion stehende Verfahren sei durch den Gemeinsamen Bundesausschuss der Anlage B der Richtlinien zugeordnet worden und dürfe daher als vertragsärztliche Leistung nicht erbracht werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakten erster und zweiter Instanz wie auch die beigezogene Akte L 4 KR 2918/02 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandung nach § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig und insbesondere statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, da die begehrte streitige Behandlung Kosten in Höhe von 7.000,- EUR verursacht und damit die erforderliche Berufungssumme von 500,- EUR erreicht wird.

Die zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der DDT.

Rechtsgrundlage für die Kostenübernahme einer ambulanten EU-Auslandsbehandlung ist der mit Wirkung vom 1. Januar 2004 angefügte § 13 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Insofern ist unerheblich, dass der Kläger die streitige Behandlung bei der Beklagten bereits am 13. November 2002 beantragt hat. Das ergibt sich daraus, dass, solange eine Behandlung nicht durchgeführt ist, regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt werden muss (BSG SozR 4-2500 § 28 Nr. 1).

Nach dieser Vorschrift, die die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Kohll (SozR 3-6030 Art. 59 Nr. 5) und Decker (SozR 3-6030 Art. 30 Nr. 1), Smits/Peerbooms (Sozr 3-6030 Art. 59 Nr. 6) und Müller-Faurè/van Riet (NJW 2003, 2298) zur Inanspruchnahme von Leistungserbringern in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sowie in anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum nachvollzieht (BT-Drs 15/528 S. 80), sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum anstelle der Sach- oder Dienstleistungen im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Der Anspruch nach § 13 Abs. 4 SGB V besteht nach Satz 3 höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte.

Der Wegfall des Genehmigungserfordernisses hat zur Folge, dass weder geprüft wird, ob eine vergleichbare Leistung im Inland möglich ist noch diese von einer vorherigen Genehmigung der Krankenkasse abhängt (so der § 18 SGB V a.F.). Insgesamt wird dadurch lediglich der Zugang der europäischen Leistungserbringer zum inländischen Gesundheitsmarkt eröffnet. Denn die europäische Dienstleistungsfreiheit setzt das nationale Recht nur insoweit außer Kraft, als es gegen das Diskriminierungsverbot verstößt; Leistungsvoraussetzungen und Begrenzungen des Leistungsumfanges gelten dagegen uneingeschränkt, wenn und solange sie nicht diskriminierend wirken (BSG, Urteil vom 13. Juli 2004, Az. B 1 KR 11/04 R, SGb. 2004, 547). Insgesamt wird daher lediglich der Zugang der europäischen Leistungserbringer zum inländischen Gesundheitsmarkt eröffnet. Inwieweit und in welchem Umfang dann die Behandlung im EU-Ausland zu übernehmen ist, richtet sich weiterhin nach dem nationalen Sachleistungssystem (vgl. zum Folgenden auch Urteil des Senats vom 14. September 2004 - L 11 KR 2090/04). Somit führt § 13 Abs. 4 SGB V nicht dazu, dass auch solche Behandlungen erstattet werden können, die nach den hiesigen Rechtsvorschriften verboten sind (vgl. auch BSG SozR 3-2500 § 18 Nr. 2 zur Organtransplantation nach bezahlter Organspende). Dass ist auch darin begründet, dass nach § 13 Abs. 1 SGB V die Kostenerstattung grundsätzlich anstelle der Sachleistung tritt, d.h. ein Anspruch auf Kostenerstattung nur dann bestehen kann, wenn die begehrte Leistung als Sachleistung erbracht werden könnte.

Das ist bei der vom Kläger begehrten DDT nicht der Fall. Diese Behandlungsmethode ist nach § 135 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. Nr. 12 der Anlage B der Richtlinien zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien) durch den Gemeinsamen Bundesausschuss mit Beschluss vom 10. Dezember 1999 von der Erbringung als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Dieser Leistungsausschluss ist nach § 91 Abs. 9 SGB V für den Versicherten verbindlich. Anhaltspunkte dafür, dass eine notwendige Aktualisierung der Richtlinien unterblieben ist (BSG SozR 4-2500 § 135 Nr. 1) und deswegen von einem Systemmangel auszugehen ist, liegen ebenfalls nicht vor oder wurden geltend gemacht. Nach dem überzeugenden und in sich schlüssigen Gutachten des MDK muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass es sich um eine bereits seit langem praktizierte Therapie handelt, deren Wirkungsweise nach wie vor wissenschaftlich nicht belegt ist und die den Versicherten von anderen anerkannten Behandlungsmethoden zeitlich ausschließt, deren Wirksamkeit im Gegensatz zu der streitigen DDT belegt ist.

Die Berufung war daher als unbegründet zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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