L 11 R 3020/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 1717/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3020/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen des § 102 Abs. 2 S. 4 SGB VI behoben werden kann, ist dann unwahrscheinlich, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Krankheitsverlaufs und unter Berücksichtigung der vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten von einem Dauerzustand auszugehen ist. Hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten sind alle Maßnahmen zu berücksichtigen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 20. September 2004 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um den Zeitpunkt des Rentenbeginns und ob der Klägerin anstelle einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung eine volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer zu gewähren ist.

Die 1957 geborene, aus K. stammende Klägerin hat keinen Beruf erlernt. In der Bundesrepublik Deutschland war sie ab 1972 versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 1987 arbeitete sie als Montagearbeiterin (Verpackerin). Seit 10.05.2000 ist sie entweder arbeitsunfähig krank oder arbeitslos. Ihr Grad der Behinderung beträgt 60 seit 18.01.2000.

Am 16.02.2000 und 26.04.2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit wegen eines Fibromyalgiesyndroms, Polyneuropathie, Schmerzen im ganzen Körper, brennenden Beinen und einem innerlichen Zittern. Die Beklagte zog hierauf den Reha-Entlassungsbericht über die von der Klägerin zwischen dem 07.06. und 12.07.2000 durchgeführte stationäre Heilbehandlung in der S.klinik in Bad S. bei. Aus diesem Heilverfahren war die Klägerin unter Nennung der Diagnosen Fibromyalgiesyndrom, Polyneuropathie der Beine, Zustand nach CTS-Operation rechts 11/99, links 1994 und 5/00, Harninkontinenz I. - II. Grades und Adipositas mit einem zweistündigen bis unterhalbschichtigen Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, jedoch vollschichtig leistungsfähig für leichte Arbeiten im Bewegungswechsel, ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, häufiges Bücken, überwiegend einseitige Körperhaltung, Zwangshaltung, Klettern auf Leitern und Gerüsten, häufiges Treppensteigen, dauernde Kraft- und Druckbelastung der Hände, Gefährdung durch Kälte, Nässe, Zugluft und Lärm, besonderen Zeitdruck, Akkord und häufig wechselnde Arbeitszeit entlassen worden.

Mit Bescheiden vom 16.08.2000 und 07.09.2000 wies die Beklagte hierauf die Rentenanträge ab.

Hiergegen erhob die Klägerin jeweils Widerspruch, den sie damit begründete, dass die ärztlicherseits festgestellten Beeinträchtigungen aus ihrer Sicht für die Bejahung einer Erwerbsunfähigkeit ausreichen würden. Aufgrund ihrer geschwächten Erwerbsfähigkeit könne sie insbesondere wegen der Schwere der von ihr zu verrichtenden Tätigkeiten nicht mehr arbeiten. Auf andere Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt sei sie nicht mehr verweisbar. Ihr Erwerbsleben hätten stets einfache, aber körperlich schwere Arbeiten geprägt. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2001 wies die Beklagte nach Anhörung ihres Beratungsarztes den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG).

Das SG hörte zunächst den Orthopäden Dr. A., den Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. S. und Dr. R ... Dr. A. führte aus, die maßgeblichen Leiden für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin lägen auf orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet (Fibromyalgiesyndrom) sowie auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet (Verdacht auf Somatisierungsstörung). Nach seinen Feststellungen sei die Klägerin noch in der Lage, leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne grob-manuelle Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Dr. S. teilte mit, dass er die Klägerin zuletzt im Februar 2000 gesehen habe und vermute, dass das für die Beurteilung der beruflichen Belastungsfähigkeit maßgebliche Leiden auf dem seelisch-psychiatrischen Gebiet liege. Nach den Befunden, die er zuletzt erhoben habe, sei die Klägerin sicherlich in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt halb- bis untervollschichtig auszuüben. Dr. R. bekundete unter Beifügung einer eigenen ärztlichen Bescheinigung, die Klägerin könne nicht stehen, nicht sitzen und habe Schmerzen am ganzen Körper. Sie sei nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.

Hierzu äußerte sich die Klägerin dahingehend, dass sich aus den Auskünften eindeutig ergebe, dass sie erwerbsunfähig sei. Die Beklagte trat dem unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. B. entgegen.

Im Anschluss daran hörte das SG die Internistin Dr. B. als sachverständige Zeugin. Dr. B. nahm dahingehend Stellung, dass sie bei der Klägerin ein Fibromyalgiesyndrom, einen Zustand nach cervikalem Bandscheibenvorfall HWK 4/5, ein depressives Syndrom und ein Colon irritabile diagnostiziert habe. Ihren bisherigen Beruf als Verpackerin könne sie nicht mehr verrichten. Aus rheumatologischer Sicht könnten leichte Arbeiten mit Funktionseinschränkungen mindestens 6 bis unter 8 Stunden täglich verrichtet werden. Sie fügte einen Arztbrief des Dr. S. bei.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete sodann der Internist und Rheumatologe Dr. K., Sana-Rheumazentrum W., ein Gutachten. Dr. K., der sich der Mitarbeit der Internistin Dr. H. bediente, diagnostizierte Fibromyalgie, chronisches HWS-, BWS- und LWS-Syndrom, Zustand nach zervikalem Bandscheibenvorfall C5/C6 2000, Zustand nach Carpaltunnelsyndrom-Operation rechts 1999, links 1994 und 2000, Adipositas, Polyneuropathie unklarer Genese und Gonarthrose beidseits. Außerdem wies er niedrigstufige nukleäre Antikörper-Titer sowie SSA (ro)-Antikörper ohne klinischen Anhalt für eine Kollagenose nach. Im Vordergrund der Beschwerdesymptomatik stehe sicherlich die Fibromyalgie. Ein Teil der Beschwerden sei auch auf degenerative Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und im Bereich beider Knie zurückzuführen. Die Klägerin sei in der Lage, mindestens 6 bis unter 8 Stunden leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 10 Kilogramm, überwiegendes Gehen, Stehen bzw. Sitzen, gleichförmige Körperhaltungen, häufiges Bücken und Treppensteigen, Tätigkeiten, die Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, an gefährdenden Maschinen oder Akkord- und Fließbandarbeiten einschließen würden, Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht sowie bei Hitze, Kälte, Zugluft, Nässe oder Lärm zu verrichten. Der Grund für die zeitliche Einschränkung sei die zugrunde liegende Fibromyalgie.

Im Anschluss daran erstattete der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. ein Gutachten von Amts wegen. Der Gutachter führte aus, die Klägerin leide unter einer somatoformen Schmerzstörung bei ängstlich-selbstunsicherer Persönlichkeit, einem deutlichen Carpaltunnelsyndrom beidseits, einem chronischen Wirbelsäulensyndrom mit Spannungskopfschmerzen, Cervikobrachialgie, chronischer Lumbalgie und einer Fibromyalgie. Anhaltspunkte für eine wesentliche Polyneuropathie fand er nicht. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne erhöhte Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit beider Hände seien aus neurologischer und psychiatrischer Sicht vollschichtig möglich.

Erneut auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG erhob das SG sodann Beweis durch Einholung eines Gutachtens bei dem Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Sportmedizin, Schmerztherapie und Psychotherapie Dr. R ... Dr. R. gelangte zu dem Ergebnis, die Klägerin leide unter einer rezidivierenden Cervikobrachialgie als Schulter-Arm-Syndrom, einer rezidivierenden Lumbalgie mit gelegentlichen ischialgieformen Beschwerden, einer beginnenden Gonarthrose beidseits, einer Angst- und depressiven Störung und einer somatoformen Schmerzstörung. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorwiegend im Sitzen mit Möglichkeiten zum Bewegungswechsel ohne Heben von Lasten über 10 Kilogramm, regelmäßigem Verpacken von Gegenständen, Zwangshaltungen, vermehrtem Treppen- oder Leiternsteigen, Arbeiten auf Gerüsten, Akkord- und Fließbandarbeiten, Arbeiten unter Hitze, Kälte, Zugluft und Nässe, an gefährdeten Maschinen und besonderer Verantwortung oder geistiger Beanspruchung seien ihr 4 bis 6 Stunden täglich möglich. Eine vollschichtige Tätigkeit könne sie auf Grund der doch ganz erheblichen psychischen Beeinträchtigung nicht mehr verrichten.

Der Internist Dr. B. vom ärztlichen Dienst der Beklagten äußerte sich hierzu im wesentlichen dahingehend, dass die von Dr. R. postulierte ganz erhebliche psychische Beeinträchtigung in seinem Gutachten nicht nachvollziehbar begründet werde. Seiner Leistungseinschätzung könne nicht gefolgt werden.

Auf Veranlassung des SG nahm Dr. P. zu dem Gutachten von Dr. R. dahingehend Stellung, dass ihn dies zu einer Änderung seiner Leistungseinschätzung seitens des neurologischen und auch psychiatrischen Fachgebietes nicht bewegen könne.

Die Klägerin legte den Entlassungsbericht über ihre stationäre Behandlung im Rheuma-Zentrum B.-B. in der Zeit vom 10.02. bis 01.03.2003 (Diagnosen: Fibromyalgiesyndrom, degeneratives HWS-Syndrom, Bandscheibenvorfall C4/5, Fingerpolyarthrose, Varikosis, Adipositas, akuter Infekt der oberen Luftwege) und Arztbriefe des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. (Diagnose: Karpaltunnelsyndrom beidseits, linksbetont; beginnendes Sulcus-ulnaris-Syndrom links, bekanntes Fibromyalgie-Syndrom) vor.

Mit Urteil vom 27.06.2003, dem Klägerbevollmächtigten per Empfangsbekenntnis zugestellt am 25.07.2003, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Klägerin sei nicht erwerbsunfähig, da sie gestützt insbesondere auf das Sachverständigengutachten von Dr. P. noch in der Lage sei, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben. An der Richtigkeit dieser Einschätzung zu zweifeln, bestehe auch unter Berücksichtigung der Aussagen der sachverständigen Zeugen, der von Dr. R. und Dr. K. erstatteten Gutachten und des Entlassungsberichts des Rheuma-Zentrums B.-B. kein Anlass.

Hiergegen richtet sich die am 01.08.2003 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, dass sie primär durch die bestehende Schmerzproblematik, die das SG verkannt habe, eingeschränkt sei. Zwischenzeitlich habe sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Ihr neuer Hausarzt Dr. R. habe eine erhebliche Gonarthrose in beiden Kniegelenken festgestellt. Auch die Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörung sowie die bereits bestehende Müdigkeit habe sich weiter verschlechtert. Zur Unterstützung ihres Begehrens fügte sie ein ärztliches Attest des Arztes für Innere Medizin, Rheumatologie Dr. B. sowie einen Arztbrief des Orthopäden Dr. S. bei.

Der Senat hat den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. R. und Dr. B. als sachverständige Zeugen gehört. Dr. R. hat unter Beifügung eines bisher nicht bekannten Arztbriefes des Internisten Prof. Dr. K. ausgeführt, dass die Klägerin bei der letzten Untersuchung über Rückenschmerzen und ein Kältegefühl am Rücken geklagt habe. Objektive Befunde seien nicht vorhanden gewesen. Magenbeschwerden und Durchfall hätten sich gebessert gehabt. Die Frage, ob sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig und regelmäßig ausüben könne, sei von ihm nicht sicher zu beantworten. Dr. B. hat mitgeteilt, er habe die Klägerin 3 mal behandelt. Es handle sich um eine Fibromyalgie in klassischer Ausprägung, die sich aus einem Wirbelsäulenschmerzsyndrom heraus entwickelt habe. Die Chronifizierung der Schmerzen sei sehr weit fortgeschritten, so dass es meistens nicht mehr möglich sei, diese Schmerzchronifizierung umzukehren. Trotz Behandlung sei bis zuletzt keine Verbesserung feststellbar gewesen. Körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne die Klägerin wegen raschen Nachlassens der Muskelkraft, durch stärker werdende Schmerzen im Rücken, in den Gelenken und in der Muskulatur, wegen stark ausgeprägter Müdigkeit und einem schlechten Schlaf nicht mehr vollschichtig verrichten.

Die Klägerin hat einen Arztbrief der Gemeinschaftspraxis Diagnostische Radiologie in Stuttgart, wonach ein Riss im Hinterhorn und der Pars intermedia des Innenmeniskus, eine beginnende Gonarthrose mit femorotibial und kleinen knöchernen Anbauten, zusätzlich großer Grad 4 Knorpeldefekt ventraler MFC/Trochlea und ein Grad 4 - Knorpelschaden retropatellar festgestellt wurde, vorgelegt.

Im Anschluss daran hat der Senat Dr. S. als sachverständigen Zeugen gehört. Dr. S. hat unter Beifügung des Operationsberichts über die am 17.12.2003 durchgeführte Innenmeniskus-Teilresektion und Abrasionschondroplastik dargelegt, dass bei der Klägerin zunächst Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und später Schmerzhaftigkeiten im Bereich des Kniegelenkes bestanden hätten. Im Laufe der Behandlung hätte sich die Beschwerdesymptomatik im Bereich des linken Kniegelenks und der Lendenwirbelsäule verschlechtert. Am 17.12.2003 sei die Klägerin im Bereich des linken Kniegelenkes operiert worden. Seines Erachtens seien ihr körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig möglich.

Die Klägerin hat sich hierzu dahingehend geäußert, dass der sie nunmehr behandelnde Chirurg Dr. P. eine deutliche Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit durch die bestehende Beschwerdesymptomatik im Bereich des linken Kniegelenkes bejaht habe. Durch die operative Maßnahme im Dezember 2003 sei keine Besserung des Gesundheitszustands eingetreten.

Der Senat hat sich daraufhin an Dr. P. gewandt. Dr. P. hat berichtet, dass er bei der letzten Untersuchung der Klägerin am 17.02.2004 eine diffuse Schmerzhaftigkeit des linken Kniegelenkes, einen Erguss von ca. 15 ml und eine Beweglichkeit für das Strecken/Beugen zwischen 0/10/90 Grad festgestellt habe. Der Zustand bedinge Arbeitsunfähigkeit.

Auf Antrag der Klägerin hat daraufhin der Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Sportmedizin Dr. S. ein chirurgisch/orthopädisches Gutachten gemäß § 109 SGG erstattet. Der Gutachter hat ausgeführt, bei der Klägerin handle es sich um einen zum Teil schmerzhaften Reizzustand des Weichteilgewebes im Halswirbelsäulen- und Nackenbereich beidseits mit teilweiser Ausstrahlung in den rechten und linken Arm und zum Teil schmerzhaft eingeschränkter Beweglichkeit der Halswirbelsäule und verminderter Kraft. Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule bestünden allenfalls mäßige und im Bereich der BWS deutlich akzentuiertere verschleißbedingte Veränderungen. Im Bereich beider Hände sei ohne wesentliche Bewegungseinschränkung eine Kraft- und Muskelminderung nachweisbar. Der Hauptbefund sei das linke Kniegelenk. Hier liege ein schweres Verschleißleiden mit schmerzhaftem Reizzustand, Ergussbildung und Bewegungseinschränkung (0/15/100 Grad) vor. Darüber hinaus bestünde im Bereich beider Unterschenkel ein Krampfaderleiden und im Bereich beider Füße zeigten sich beginnende Zeichen einer Hammerzehenbildung. Außerdem habe er sämtliche sogenannte Tenderpoints als Symptomatik einer Fibromyalgie positiv gefunden. Am stärksten sei die Leistungsfähigkeit derzeit durch die Symptomatik des linken Kniegelenkes reduziert. Stehende Tätigkeiten seien nicht möglich. Gehen auf Treppen oder unebenem Grund scheide aus. Das Zurücklegen längerer Strecken mit normalem Tempo sei ebenso wie das Arbeiten im Bewegungswechsel nicht möglich. Es verblieben lediglich leichte Tätigkeiten, die sitzend ohne besondere Beanspruchung der Konzentration und der Hände durchgeführt werden könnten. Ausschließlich sitzende Tätigkeiten seien wegen der Beschwerden durch die Fibromyalgie und durch die Rückenbeschwerden aber nicht möglich. Unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen seien leichte Arbeiten allenfalls noch halb- bis unterhalbschichtig durchführbar. Der von ihm festgestellte Gesundheitszustand bestehe spätestens ab der durchgeführten Operation am 17.12.2003. Es handle sich um Befunde von Dauercharakter. Eine Heilung der Arthrose des linken Kniegelenkes sei nicht möglich.

Mit Schriftsatz vom 01.09.2004 hat die Beklagte daraufhin eine volle Erwerbsminderung der Klägerin seit Dezember 2003 anerkannt und sich bereit erklärt, Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet ab 01.07.2004 bis 31.12.2005 zu gewähren. Sie hat hierzu eine Stellungnahme der Ärztin für Chirurgie Dr. H. vom ärztlichen Dienst, die sich hinsichtlich der Ausschöpfung von konservativen und operativen Behandlungsmaßnahmen auf einen beigefügten Artikel "Interdisziplinäre klinische Rheumatologie" beruft, vorgelegt.

Die Klägerin hat dieses Anerkenntnis als Teilanerkenntnis angenommen und vorgetragen, es bestünde kein Einverständnis mit der Festlegung des Versicherungsfalls auf Dezember 2003 und außerdem handle es sich bei den bei ihr erhobenen Befunden um solche von Dauercharakter, weshalb die ihr zustehende Rente als Dauerrente zu bewilligen sei.

Der entsprechende Ausführungsbescheid datiert vom 20.09.2004.

Der Senat hat daraufhin noch einmal Dr. S. gehört. Er hat ausgeführt, dass den Ausführungen von Dr. H. grundsätzlich zugestimmt werden könne. Bei der Beurteilung der Klägerin komme er jedoch zu einem anderen Ergebnis. Es bestehe bei ihr ein schwerer viertgradiger Knorpelschaden, eine Valgusstellung, Adipositas und deutliche Varikosis. Zwischenzeitlich liege ein fixiertes Streckdefizit des linken Kniegelenkes vor. Durch konservative Maßnahmen könne hier keine dauerhafte Besserung erzielt werden. Denkbar wären die antiphlogistische Therapie, eine Injektionstherapie oder andere Maßnahmen der IGEL-Leistungen. Operative Möglichkeiten würden eine konsequente und zuverlässige postoperative Entlastung des Beines voraussetzen. Dies sei bei der Klägerin aufgrund der anderen Diagnosen nicht gewährleistet.

Für die Beklagte hat sich hierzu noch einmal Dr. H. unter Vorlage eines Artikels "Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung" geäußert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Juni 2003 sowie die Bescheide vom 16. August 2000 und 7. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2001 aufzuheben, den Bescheid vom 20. September 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Februar 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab 01.07.2003 zu gewähren, hilfsweise ein Gutachten bei Dr. H. nach § 109 SGG einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 20. September 2004 abzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten und den der Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin und ihre Klage sind, soweit die Hauptsache nicht durch das angenommene Teilanerkenntnis gemäß § 101 Abs. 2 SGG erledigt worden ist, nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.02.2000 und ihr ist die befristete Rente auch nicht als Dauerrente zu gewähren.

Gegenstand des Rechtsstreits sind nicht nur die Bescheide vom 16.08.2000 und 07.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2001, sondern auch der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens gewordene Bescheid vom 20.09.2004, über den der Senat jedoch nicht kraft Berufung, sondern kraft Klage entscheidet.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in der bis 31.12.2000 gültigen Fassung (§ 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 6. Buch - SGB VI -) sind im Urteil des SG zutreffend zitiert; hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Ergänzend wird daraufhin gewiesen, dass nach der ab 01.01.2001 gültigen Fassung des § 43 Abs. 2 SGB VI Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben, wenn sie voll erwerbsgemindert sind. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Vorliegend vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass bei der Klägerin der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit bereits ab Antragstellung eingetreten ist und dass ihr anstelle der von der Beklagten für die Zeit vom 01.07.2004 bis 31.12.2005 bewilligten Rente eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer zu gewähren ist.

Die Klägerin war vor Dezember 2003 nicht erwerbsunfähig. Der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung ist mit der Operation im Dezember 2003 eingetreten. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten von Dr. S. und den sozialmedizinischen Stellungnahmen von Dr. H ... Danach hat sich das Leistungsvermögen der Klägerin erst durch die am 17.12.2003 durchgeführte Operation am linken Kniegelenk quantitativ und auch qualitativ in einem solchen Ausmaß verringert, dass ihr auch leichte Tätigkeiten nur noch halb- bis untervollschichtig möglich sind. Aufgrund des viertgradigen Knorpelschadens im Bereich des linken Kniegelenkes ist sämtliches Knorpelgewebe verschleißbedingt aufgebraucht und der sklerosierte Knochen darunter frei. Die Klägerin leidet unter einem schmerzhaften Reizzustand, einer Ergussbildung und einer Bewegungseinschränkung des Kniegelenkes mit einer Streckhemmung von 15 Grad und Einschränkung der Beugung auf 100 Grad. Mit diesen Befunden im Einklang steht auch die sachverständige Zeugenauskunft von Dr. P., der am 17.02.2004 eine Beweglichkeit zwischen 0/10/90 Grad und außerdem einen Erguss mit ca. 15 ml und eine diffuse Schmerzhaftigkeit fand. Ungünstig beeinflusst wird die eingeschränkte Belastbarkeit durch die bestehende Varikosis, beginnende Zeichen einer Hammerzehenbildung und eine beginnende Arthrose im Großzehengrundgelenk sowie durch Verschleißzeichen des rechten Kniegelenkes und nicht zuletzt auch die Adipositas der Klägerin. In der Zeit davor war die Klägerin jedoch noch fähig, leichte Tätigkeiten im Bewegungswechsel mit Funktionseinschränkungen vollschichtig zu verrichten. Für diesem Zeitraum sind im Anschluss an die Ausführungen des SG weder auf orthopädischem, rheumatologischem noch auf nervenärztlichem Fachgebiet Befunde dokumentiert, die eine zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens der Klägerin begründen könnten. Hierfür spricht auch, dass Dr. S. erst ab der durchgeführten Operation am 17.12.2003 von einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens ausgeht. Auch Dr. P. hat erst aufgrund des Zustands am 17.02.2004 das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit bejaht. Ein früherer Zeitpunkt ergibt sich auch nicht aus der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. S ... Dieser hielt die Klägerin vielmehr noch aufgrund der am 16.01.2004 erfolgten Untersuchung für in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Aus der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. R. ergeben sich ebenfalls keine Befunde, die für einen früheren Eintritt des Leistungsfalls angeführt werden könnten, nachdem er bei der letzten Untersuchung am 09.10.2003 keine objektiven Befunde gefunden hatte und die Frage nach der Leistungsfähigkeit nicht sicher zu beantworten vermochte. Dem Arztbrief des Orthopäden Dr. S. vom 09.05.2003 lässt sich für den Untersuchungszeitpunkt noch keine nennenswerte Kniegelenksarthrose entnehmen. Er hat eine freie Streck- und Beugefähigkeit beider Kniegelenke dokumentiert. Schließlich hat die Klägerin nach dem Entlassungsbericht über die durchgeführte stationäre Behandlung im Rheuma-Zentrum B.-B. vom stationären Aufenthalt profitiert. Eine völlige Beschwerdefreiheit konnte danach zwar nicht erzielt werden. Die dort erhobenen Befunde (Adipositas permagna, Varikosis beidseits, reizlose Cholecystektomienarbe, Druckdolenz im Unterbauch, beginnende Fingerpolyarthrose, sonst alle Gelenke der oberen und unteren Extremität frei beweglich, keine synovialitischen Schwellungen, Ott 2 cm, Schober 3 cm, Finger-Boden-Abstand 30 cm, Klopf- und Bewegungsschmerz sowie Bewegungseinschränkung der gesamten Wirbelsäule, sämtliche typischen tender points positiv) bedingen keine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Die Leistungsbeurteilung von Dr. B., wonach die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr vollschichtig verrichten kann, vermag den Senat nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Den von ihm mitgeteilten klinischen Befunden lässt sich eine höhergradige funktionelle Beeinträchtigung nicht entnehmen. Die Leistungseinschätzung erfolgte im wesentlichen aufgrund der subjektiven Angaben der Klägerin in den ausgefüllten Fragebögen. Dies ist nicht ausreichend.

Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für eine unbefristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Unter zu Grunde Legung des eingetretenen Leistungsfalls im Dezember 2003 folgt, dass das seit 01.01.2001 geltende Rentenrecht zur Anwendung kommt. Nach diesem neuen Recht ist die Gewährung einer Dauerrente der Ausnahmefall. Regelmäßig ist nur eine Rente auf Zeit zu gewähren. Eine Ausnahme gilt lediglich unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI. Danach werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Die Klägerin ist nach dem Gutachten von Dr. S. noch in der Lage, leichte Arbeiten halb- bis unterhalbschichtig zu verrichten. Dies bedeutet, dass ihr Anspruch von der Arbeitsmarktlage unabhängig ist, was zur Folge hat, dass die Rente nicht zwingend zu befristen ist. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Von einer Unwahrscheinlichkeit ist dann auszugehen, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Krankheitsverlaufes und unter Berücksichtigung der vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten von einem Dauerzustand auszugehen ist. Bei der Frage nach den vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten sind alle Maßnahmen zu berücksichtigen (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.02.2004 in NZS 2005,31). Im vorliegenden Fall kann eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands durch eine Operation oder konservative Maßnahmen erreicht werden. Zwar ist dies nach den Ausführungen von Dr. S. nicht gewährleistet und ein totalendoprothetischer Ersatz des Kniegelenks ist aufgrund des Alters der Klägerin kritisch zu sehen. Verbesserungen sind jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen. Bei den Maßnahmen handelt es sich nicht nur um abstrakte Möglichkeiten. Einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für den Erfolgseintritt bedarf es nach neuem Recht nicht mehr. Daraus, dass die Rente nur befristet zu leisten ist, folgt zugleich, dass die Rentenzahlung erst am 01.07.2004 beginnt (§101 Abs. 1 SGB VI). Das Ende der Rente wurde zutreffend auf den 31.12.2005, 2 Jahre nach der durchgeführten Operation am Knie, festgestellt.

Dem hilfsweisen Antrag der Klägerin, den Internisten und Rheumatologen Dr. H. mit der Erstattung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG zu beauftragen, war, nachdem erstinstanzlich bereits von dem Internisten und Rheumatologen Dr. K. ein Gutachten gemäß § 109 SGG erstattet worden ist und eine Verschlechterung insoweit nicht ersichtlich ist, nicht stattzugeben (vgl. Meyer-Ladewig in Kommentar zum SGG 7. Auflage 2002, § 109 Rdnr. 5 und 10a).

Die Berufung und die Klage konnten hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Übernahme außergerichtlicher Kosten durch die Beklagte erscheint nicht angemessen, da der Leistungsfall erst im Berufungsverfahren eingetreten ist und die Beklagte sofort ein Anerkenntnis abgegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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