L 7 SO 1594/05 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SO 198/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1594/05 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs; Grundrechtsrelevanz von Leistungen zum Lebensunterhalt; Angemessenheit der Wohnung
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 9. März 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Ulm (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 13. Auflage, § 123 Rdnrn. 7 ff.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 (http://www.bverfg.de/entscheidungen)); Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 2. Auflage, § 123 Rdnr. 58; Puttler in Sodan/Zietow, a.a.O. Rdnrn. 95, 99 ff.). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, a.a.O.; Beschluss vom 12. Mai 2005 a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (OVG), Beschluss vom 4. April 1990 - Bs IV 8/90 - (JURIS); Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 24. August 1994 - 12 CE 94.2401 (JURIS); Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 165 ff.; Puttler in Sodan/Zietow, a.a.O. Rdnr. 79).

Vorliegend fehlt es bereits am Anordnungsgrund. Die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung im Sinne der notwendigen Behebung einer gegenwärtigen Notlage ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht; die vorgebrachte Gefahr für die Rechtsposition muss objektiv bestehen, subjektive Einschätzungen und Befürchtungen des Antragstellers genügen grundsätzlich nicht (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnr. 83; ferner OVG für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Januar 1993 - 5 M 112/92 - (JURIS)). Zwar hat der Antragsteller in der Antragsschrift vom 24. Januar 2005 vortragen lassen, "über kurz oder lang" drohten Mietrückstände und damit die Kündigung der Wohnung; konkrete Darlegungen hierzu sind indes auch im Beschwerdeverfahren nicht nachgereicht worden, obwohl er mit Verfügungen vom 25. April und 10. Mai 2005 auf die Bedenken hinsichtlich einer ausreichenden Glaubhaftmachung der Anordnungsvoraussetzungen hingewiesen worden ist. Im Gegenteil stehen dem Antragsteller und seiner mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau H. G. nach den aktenkundigen Unterlagen derzeit monatlich EUR 1.087,23 zur Verfügung (Rente wegen Erwerbsunfähigkeit des Antragstellers EUR 557,16, laufende Leistungen der bedarfsorientierten Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) laut Bescheid des Antragsgegners vom 15. Dezember 2004 EUR 43,57, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an die Ehefrau gemäß Bescheid vom 2. Dezember 2004 EUR 486,50); dies sind EUR 102,96 (pro Person rund EUR 51,50) weniger, als im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 14. Juli 2004 über laufende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ab März 2004 (dort noch unter Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft von EUR 513,43) als Bedarf zugrunde gelegt worden sind. Der Antragsteller und seine Ehefrau wirtschaften aber bereits seit November 2004 mit entsprechend niedrigeren Beträgen, wobei sie im November und Dezember 2004 in Ansehung der Berechnungen im Bescheid vom 11. Oktober 2004 zum Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG gemeinsam gar nur über monatlich EUR 1.006,76 verfügten. Dass mit den gegenwärtig vorhandenen Mitteln kein Auskommen mehr wäre, ist vom Antragsteller weder im Einzelnen dargetan noch glaubhaft gemacht.

Sonach kommt es auf die weiteren Voraussetzungen für die begehrte gerichtliche Eilentscheidung nicht an, insbesondere auf den vom SG verneinten Anordnungsanspruch oder auf die Frage, ob und inwieweit namentlich in den Verfahren betreffend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB XII oder nach dem SGB II das richterrechtlich entwickelte Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache zum Tragen kommt (vgl. hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 a.a.O.; BVerwGE 63, 110, 111; Funke-Kaiser in Bader, a.a.O., Rdnr. 58; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 141 ff; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnrn. 103 ff.).

Hinsichtlich des vom Antragsteller geltend gemachten zu sichernden Rechts wird ergänzend jedoch auf Folgendes hingewiesen: Umstritten sind beim derzeitigen Sachstand allein die Kosten der Unterkunft, während der Bescheid vom 15. Dezember 2004 vom Antragsteller bereits im Widerspruchsverfahren nicht angegriffen wurde, soweit es den Regelbedarf (§ 42 Satz 1 Nr. 1 SGB XII), die Mehrbedarfe (§ 42 Satz 1 Nr. 3 SGB XII) und die Heizungskosten (§ 42 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) betrifft, ferner der Antragsgegner den Grundsicherungsleistungen als Einkommen (§ 82 Abs. 1 SGB XII) die von der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg gezahlte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (ab 1. April 2004 EUR 557,16) gegenübergestellt und außerdem den Regelsatz um EUR 34,00 bereinigt hat. Mit seinem Begehren auf volle Übernahme der Aufwendungen für die Unterkunft vermag der Antragsteller indessen beim gegenwärtigen Erkenntnisstand schon mangels Angemessenheit der tatsächlich gezahlten Miete (EUR 587,99 (einschließlich Nebenkosten) laut Mietvertrag vom 25. Oktober 1999, abzüglich EUR 21,00 (Heizung), EUR 17,77 (Warmwasser) und EUR 35,79 (Garage) = EUR 513,43) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren nicht durchzudringen, wobei der Antragsgegner im vorgenannten Bescheid ohnehin schon Mietkosten (ohne Heizung) von EUR 330,00 anerkannt hat (vgl. aber zum sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz BVerwGE 101, 194 ff; BVerwG Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr. 49), von denen auf den Antragsteller nach Abzug der Mietanteile seiner - Leistungen nach dem SGB II beziehenden Ehefrau - EUR 165,00 entfallen (zur Kopfteil-Methode BVerwGE 79, 17ff.). Insoweit ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass ausweislich der Darstellung des Antragsgegners (vgl. Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2005) die Quadratmeter-Miete in Gö. nach dem Preisspiegel für Immobilien des Verbandes Deutscher Makler bei einfachen bis mittleren Wohnungen bei EUR 4,40 bis EUR 5,60 liegt und der Antragsgegner darüber hinaus auch die Auffassung vertritt, dass die vom Antragsteller gemeinsam mit seiner Ehefrau bewohnte Wohnung von etwa 65 m² anstelle der zugebilligten 60 m² unangemessen groß sei (vgl. hierzu BVerwGE 97, 110, 112 f.). Zwar hat der Antragsteller - was unter den Beteiligten auch nicht umstritten ist - auf der Grundlage des § 41 Abs. 1 und 2 SGB XII Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung, mithin auch auf die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft (§ 42 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 29 SGB XII). Die Wohnung im S. weg in Gö. erscheint aber bereits abstrakt nicht angemessen im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Denn nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als Orientierungshilfe heranzuziehenden Tabelle zu § 8 des Wohngeldgesetzes (in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Gesetzes vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954); vgl. dazu BVerwG NJW 2005, 310 f.) ergibt sich bei zwei Familienmitgliedern - bei der für die Stadt Gö. geltenden Mietstufe III - für ab 1. Januar 1966 bis 31. Dezember 1991 bezugsfertig gewordenen Wohnraum aus der vorletzten Spalte ein Wert von EUR 330,00. Mit Blick auf den vom Antragsgegner vorgelegten Auszug aus der örtlichen Tageszeitung "NWZ - Gö. Kreisnachrichten" vom 2. Februar 2005 sind zudem Unterkunftsalternativen durchaus gegeben (vgl. hierzu BVerwGE 101, 194, 197 f. BVerwG NJW 2005, 310, 311); dem hat der Antragsteller nichts Substanziiertes entgegengesetzt. Ebenso fehlt es an der Glaubhaftmachung dazu, dass ihm - selbst in Anbetracht der vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen - nach den Umständen des Einzelfalls ein objektiv möglicher Wechsel subjektiv nicht zuzumuten wäre, zumal der Antragsgegner angeboten hat, den Umzug für ihn mit Hilfe gemeinnützig beschäftigter Mitarbeiter durchzuführen. Die vom Antragsgegner im Bescheid vom 12. Mai 2004 eingeräumte Übergangszeit von fünf Monaten (vgl. dazu jetzt § 29 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB XII) ist bereits seit langem überschritten, wobei hinzukommt, dass die überteuerte Miete schon von Anfang an Streitpunkt unter den Beteiligten war (vgl. nur die Bescheide vom 24. Juli, 30. September und 28. Oktober 2003 sowie die gegen die beiden letztgenannten Bescheide eingelegten Widersprüche).

Nach allem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG (vgl. Bundessozialgericht SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved