L 6 U 4712/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 00489/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4712/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 4. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung eines hepatozellulären Karzinoms der Leber als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 oder 1303 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Die Klägerin ist die Witwe des 1932 geborenen und 1999 verstorbenen W. E. (E.). Dieser hatte ab 1947 den Beruf des Malers erlernt und war bis August 1958 in diesem Beruf bei wechselnden Arbeitgebern tätig. Ab 1958 arbeitete er als selbstständiger Bodenleger. Am 26. Januar 1999 erstattete er gegenüber der Beklagten eine Anzeige über das Vorliegen einer BK und gab an, unter starken Schmerzen im Bauchraum zu leiden, die er auf langjähriges Arbeiten mit Klebstoffen und Lösungsmitteln zurückführe. In der ärztlichen Anzeige vom 25. Januar 1999 führte der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. P. aus, E. leide unter einem ausgedehnten hepatozellulären Karzinom mit diffuser Pfortaderinfiltration bei Leberzirrhose mit Ascites. Der Anzeige beigefügt waren Arztbriefe des Klinikums M. vom 22. Dezember 1998 und 12. Januar 1999.

E. legte auf Aufforderung der Beklagten eine Aufstellung über seine Arbeits- und Krankheitsanamnese vor, die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei Dr. P. bei (übersandt mit Schreiben vom 8. Februar 1999), die sich unmittelbar auf die im Dezember 1998 diagnostizierte Krebserkrankung bezogen.

Im Telefonvermerk vom 23. Februar 1999 wurde der Inhalt des Telefonats des Beratungsarztes Dr. F. mit Dr. P. vom gleichen Tag niedergelegt. Danach habe Dr. P. ausgeführt, dass E. nach seiner Kenntnis keinen besonderen Alkoholkonsum aufweise, und stets sehr arbeitsam und zuverlässig gewesen sei. Hinweise auf eine Alkoholsucht hätten sich zu keiner Zeit ergeben. Es sei ihm daher unverständlich, dass im Entlassbrief des Klinikums M. vom 19. Januar 1999 von einer am ehesten äthyltoxisch-induzierten Leberzirrhose gesprochen worden sei. Diesbezüglich bestünden absolut keine Hinweise.

Die Beklagte zog weiter die Unterlagen des Arbeitsmedizinischen Dienstes über die im Betrieb des E. durchgeführten arbeitsmedizinischen Untersuchungen bei. Unter dem 24. Februar 1981 hatte die Ärztin für Chirurgie Dr. L. E. schriftlich u.a. mitgeteilt, ein Leberschaden sowie ein Bluthochdruck bei Übergewicht bedürften der Behandlung durch den Hausarzt. Der Kläger müsse bestrebt sein, sein Gewicht auf ein Normalmaß zu reduzieren, da er durch seine Asbestarbeit ohnehin einer gewissen Gefährdung unterliege. Dem Schreiben beigefügt war der Laborbericht vom 17. Februar 1981. Im Schreiben vom 21. September 1983 (mit Laborbericht vom 16. September 1983) wurde u.a. auf schwere Veränderungen der vergrößerten Leber hingewiesen sowie darauf, dass sich über eine chronische Hepatitis und Fettleber hinaus eine bindegewebige Umwandlung der Leber anbahne, die zu einer recht schweren und unheilbaren Lebererkrankung führen könne. Im Schreiben vom 21. Juni 1985 (mit Laborbericht vom 14. Juni 1985) wurde eine Leberschädigung in Gestalt einer Fettleber mitgeteilt. Unter dem 26. Mai 1987 (mit Laborbericht vom 6. Mai 1987) wurde im Zusammenhang mit dem ärztlichen Rat zu einer deutlichen Gewichtsabnahme auf leicht erhöhte Leberwerte hingewiesen. Der Betriebsarzt Dr. R. teilte E. mit Schreiben vom 13. August 1992 (mit Laborbericht vom 6. August 1992) u.a. mit, bei den Laborwerten sei eine geringgradige Erhöhung sämtlicher Leberwerte sowie der Harnsäure aufgefallen. Unter dem 16. Juli 1997 teilte der Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. S. E. mit, die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung aufgrund der früheren Asbestfeinstaubbelastung habe keine Hinweise auf das Vorliegen einer BK im Sinne einer Asbestose ergeben. Bekannt seien dagegen das diagnostizierte Übergewicht sowie Bluthochdruck. Die von der Beklagten beigezogenen Unterlagen enthielten des Weiteren u.a. den Arztbrief des T.krankenhauses M. vom 13. Februar 1995, Dr. C. (Diagnosen: Sinusbradycardie, arterielle Hypertonie, HWS-Syndrom), des Klinikums M., Chirurgische Klinik, Prof. Dr. P., vom 15. Dezember 1998 (Diagnosen: Verdacht auf Gastroenteritis, differentialdiagnostisch Salmonellose), den Entlassbericht aus der Rehabilitationsmaßnahme in der B.-Klinik B. K. vom 19. September 1994 (Aufenthalt vom 17. August bis 14. September 1994) sowie zahlreiche Laborbefunde.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD), Technischer Aufsichtsbeamter (TAB) Dipl.-Ing. S. nahm unter dem 11. März 1999 nach Rücksprache mit E. und der Klägerin Stellung zur Belastung des E. mit lösemittelhaltigen Arbeitsstoffen. Danach habe er in der Zeit vom 1. Januar 1947 bis 10. November 1952 etwa zu einem Viertel seiner Arbeitszeit einen Anstrichstoff aus "Streichteer" verwendet, der mit einer Benzollösung verdünnt worden und von der US-Armee bezogen worden sei. Damit seien insbesondere Holzbauteile gestrichen worden. Für die Innenanstriche seien mit Terpentin oder Benzin verdünnte Leim- und Ölfarben verwendet worden. Vom 1. März 1953 bis 28. Mai 1955 habe er in einem anderen Betrieb Ölfarben und Kombilacke im Bereich des Innenanstrichs (60% der Arbeitszeit) verwendet. Kombilacke seien als Decklack verwendet worden und hätten aus Kunstharz- und Öllack bestanden. Zur Verdünnung wie auch zur Reinigung sei Testbenzin verwendet worden. In der Zeit vom 31. Mai 1955 bis 1. Februar 1956 habe E. nach eigenen Angaben in etwa 40% seiner Arbeitszeit Kontakt zu lösehaltigen Produkten besessen. Als Verdünnung seien Nitro und Testbenzin zur Anwendung gelangt. Im Stahlwerk M. sei E. vom 16. Februar 1956 bis 28. Februar 1957 als Betriebsmaler eingesetzt gewesen, als Verdünnung sei Testbenzin, als Anstrichstoff für Holzarbeiten (etwa 20% der Arbeitszeit) Karbonileum eingesetzt worden. Vom 1. März 1957 bis 6. August 1958 habe E. im Lager und Verkauf eines Farbenhandels gearbeitet und dabei etwa 2 Stunden täglich Farben für die eingesetzten Malerkolonnen hergestellt. Daneben seien Zuschnitte und Verlegearbeiten von Fußbodenbelägen ohne Verklebung erfolgt. Ab 1. August 1958 habe E. im eigenen Betrieb als selbstständiger Bodenleger gearbeitet. Die von Anfang an durchgeführten vollflächigen Verklebungen des Belags seien anfangs mit selbst hergestelltem "Sulfid-Laugen-Kleber" erfolgt, die Belagränder seien nach dem Schwinden mit einem lösemittelhaltigen Kunstharzkleber (Fa. Uzin) verklebt worden. Ab 1960 habe E. handelsübliche Fertigprodukte eingesetzt. Die Grundierung sei mit lösemittelhaltigen Neoprenen erfolgt, die Spachtelmasse sei zementgebunden und aus Kunstharz gewesen, als Kleber sei ebenfalls ein lösemittelhaltiges Kunstharzprodukt verwendet worden. Ab Mitte der 60er Jahre seien verstärkt Flexplatten verlegt worden, überwiegend mit asbesthaltigen Trägerschichten. Die Platten seien mit einem Bitumenkleber verklebt worden. Ab ca. Ende der 60er Jahre habe E. mit dem Verlegen textiler Beläge unter Verwendung lösemittelhaltiger Kunstharzkleber begonnen. Ab Mitte der 70er Jahre seien mit Markteinführung von PVC-Platten oder PVC-Belägen ebenfalls lösemittelhaltige Neoprene zum Grundieren, Spachteln und Kleben verwendet worden. Ab ca. 1990 habe E. im Umfang von 8 Wochen pro Jahr Oberflächenbeschichtungen von Zementestrichen mit einem lösemittelhaltigen 2-Komponenten-Kunstharzsystem im Zusammenhang mit Bodenbelagsarbeiten im Klinikum M. durchgeführt. Ab etwa 1985 seien zunehmend lösemittelfreie Produkte eingesetzt worden, bis zur Geschäftsaufgabe 1995 noch etwa zu 40% lösemittelhaltige Produkte. Zusammenfassend führte der TAB aus, dass davon auszugehen sei, dass E. während seiner gesamten Tätigkeit als Maler und Bodenleger kontinuierlich Umgang mit lösemittelhaltigen Produkten gehabt habe und bei deren Verarbeitung lösemittelhaltigen Dämpfen ausgesetzt gewesen sei. Die Lösemittelbeeinflussung in der Luft am Arbeitsplatz sei während der Tätigkeit als Bodenleger besonders relevant, da die Arbeit in geschlossenen Räumen stattgefunden habe und Lüftungsmaßnahmen verarbeitungstechnisch nur begrenzt möglich gewesen seien. Von einer Lösemittelbeeinflussung sei auch bei Arbeiten ohne direkten Umgang mit lösemittelhaltigen Produkten auszugehen, da erfahrungsgemäß die Wirkung der bereits verarbeiteten Produkte, z.B. Emissionen aus Grundierungen, über einige Zeit anhalte. Der Stellungnahme des TAB beigefügt waren ein Schreiben der Uzin Utz AG vom 12. April 1999 über die von ihr hergestellten und vertriebenen Neoprenklebstoffe bzw. die früher verwendeten Bitumenkleber. Darin wurde ausgeführt, dass in den fraglichen Produkten zu keiner Zeit krebserzeugende Lösemittel verarbeitet worden seien. Richtig sei aber, dass es sich bei den fraglichen Produkten bzw. Produktgruppen um stark lösemittelhaltige Erzeugnisse handle. Die Henkel KGaA führte ebenfalls unter dem 12. April 1999 aus, Bitumenverdünner nie hergestellt oder vertrieben zu haben. Für "Thomsit K 182 Neoprenkleber" (1972-1984 und 1985-11/91 sowie ab 12/91) waren der Auskunft Merkblätter über die Inhaltsstoffe sowie Sicherheitsdatenblätter beigefügt, für den "Thomsit Neoprenvorstrich R 780" (bis 1984), den "Thomsit DX-Bodenausgleich" (vor bzw. ab 1988) und den "Thomsit F 586 Flexfliesenkleber" (Rezeptur von 11/71) waren ebenfalls Inhaltsstofflisten beigefügt. Der Industrieverband Klebstoffe e.V. teilte in seinem Schreiben vom 28. September 1998 mit, dass nach Auskunft verschiedener Fachleute in den 50er und 60er Jahren in Neoprenklebstoffen oder -vorstrichen kein reines Benzol als Lösemittel eingesetzt worden sei. Als Verunreinigung sei in Spuren Benzol in eingesetztem Spezialbenzin und in Toluol vorgekommen.

Im Auftrag der Beklagten erstellte am 19. Juli 1999 Prof. Dr. B., Chefarzt der Pathologischen Abteilung am Klinikum der Stadt M., unter Mitwirkung von Dr. W. ein fachpathologisches Gutachten nach der Obduktion des am 25. März 1999 verstorbenen E. Als Grundkrankheiten bezeichnete er eine arterielle Hypertonie, eine chronische Linksherzinsuffizienz, eine Leberzirrhose im hypertrophen Stadium sowie ein primäres hepatozelluläres Karzinom mit Pfortaderinfiltration, als Todesursache ein Herzkreislaufversagen. Er führte weiter aus, bei der Erkrankung des E. handle es sich um ein primäres, mäßig differenziertes, zum Teil solide, zum Teil pseudoglandulär wachsendes hepatozelluläres Karzinom auf der Grundlage einer mittel- bis grobknotigen Leberzirrhose. Unter Einbeziehung der immunhistochemischen Untersuchungen liege dieser Leberzirrhose eine chronische Hepatitis-C-Infektion zu Grunde. Für die Ausbildung der Leberzirrhose komme noch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein zusätzlicher alkohol-toxischer Leberparenchymschaden hinzu. Hierfür spreche bereits der makroskopische und mikroskopische Pankreasbefund. Zudem seien bereits 1981 bei E. erhöhte Transaminasenwerte dokumentiert, ebenso eine Erhöhung des mittleren korpuskulären Erythrozytenvolumens von normalerweise 76,0 - 96,0 auf 100,0 femto-Liter. Dies sei ebenfalls ein Parameter, der für einen chronischen Alkoholabusus spreche. Die erhöhten Transaminasenwerte seien bis 1992 immer wieder dokumentiert. Der Einfluss der Lösemittelexposition auf die Entstehung der Krankheit könne schon deshalb nicht eindeutig beurteilt werden, weil keine genauen Angaben über die Expositionsdauer, die inkorporierte Menge und die Art der Lösemittel zur Verfügung stünden. Zudem seien die Literaturdaten bezüglich des Zusammenhangs zwischen Lösemittelexposition und Karzinomentstehung teilweise widersprüchlich. Korrelationen zwischen Lösemittelexpositionen und dem Auftreten bösartiger Erkrankungen seien in der neueren Literatur zwar beschrieben, jedoch sei es bislang nicht gelungen, ein eindeutig auslösendes Agens zu identifizieren bzw. eine Dosis-Wirkungsbeziehung aufzustellen. Der Einfluss der Lösemittel auf die Krebserkrankung könne angesichts der außerberuflichen Ursachen lediglich im Sinne eines Summationseffekts verstanden werden, so dass die Krebserkrankung nicht allein auf die Einwirkung von Lösungsmitteln zurückgeführt werden könne. Bei der gesicherten pathogenetischen Bedeutung der Hepatitis C und des nutritiv-toxischen Parenchymschadens für die Leberzirrhose und das nachfolgende primäre Leberzellkarzinom komme der Lösemittelexposition nur eine nachgeordnete, nicht wesentliche Bedeutung zu. Der Staatliche Gewerbearzt Prof. T. schloss sich in seiner Stellungnahme vom 10. August 1999 der Beurteilung durch Prof. Dr. B. an.

Nach Übersendung des Obduktionsgutachtens wandte sich die Klägerin an die Beklagte und teilte dieser mit, E. sei sein Leben lang Blutspender gewesen. Eine Hepatitis-C-Infektion wäre dabei festgestellt und er nicht weiter zum Blutspenden zugelassen worden. Die Klägerin legte die Bescheinigung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Blutspendedienst Baden-Württemberg vom 17. September 1999 vor. Darin wurde E. nach seiner Blutspende am 9. Oktober 1998 das Ergebnis der Laboruntersuchungen mitgeteilt. Der Leberwert (GPT) war mit 35 U/l über dem Grenzwert von 22 U/l für Männer, der Test auf Hepatitis-C-Antikörper war negativ.

Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme teilte die Beklagte mit Bescheid vom 2. November 1999 mit, der Tod des E. sei nicht Folge einer BK. Auch seien die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK im Rahmen des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) nicht gegeben, so dass Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen nicht bestünden. E. sei an den Folgen eines Leberzellkarzinoms verstorben, das nicht im Zusammenhang mit beruflichen Einflüssen gestanden habe. Auf die Vorlage des Laborberichts des DRK habe der Beratungsarzt ausgeführt, dass eine chronische Hepatitis-C-Infektion auch ohne "Anti-HCV-Expression" ablaufen könne, die sich konventionellen und relativ unsensitiven Testmethoden entzogen habe. Am Ergebnis des immunhistologischen Befundes im Rahmen der Obduktion direkt aus den befallenen Leberzellen sei nicht zu zweifeln.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und legte neben dem Gutachten des Dr. P. vom 19.11.1999 das Schreiben des DRK vom 5. November 1999 vor. Danach habe E. zwischen Februar 1986 und dem 9. Oktober 1999 insgesamt 22 Blutspenden geleistet, seit dem 6. Dezember 1990 seien diese Spenden (insgesamt 16) auch auf Hepatitis-C getestet worden, seit Oktober 1997 (insgesamt 4 Spenden) auch auf das Vorhandensein von HCV-Nukleinsäure als direktem Virusnachweis (HCV[RNA]-PCR). Zu keinem Zeitpunkt seien bei E. Befunde erhoben worden, die für eine Infektion mit HCV gesprochen hätten, ebenfalls keine erhöhten Serumwerte des Leberenzyms GPT (ALT) festgestellt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2000 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es sich bei der Leberkrebserkrankung um kein von der Berufskrankheitenverordnung (BKV) erfasstes Krankheitsbild handle. Die Voraussetzungen zur Anerkennung der Erkrankung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII seien aber auch nicht erfüllt, da kein ursächlicher Zusammenhang der Erkrankung mit der gefährdenden Tätigkeit hinreichend wahrscheinlich sei und auch wissenschaftlich nicht nachgewiesen sei, dass die Einwirkung lösemittelhaltiger Dämpfe Krankheiten dieser Art verursache.

Dagegen erhob die Klägerin am 3. März 2000 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) und führte zur Begründung u.a. aus, zuletzt sei während des stationären Aufenthalts des E. im Klinikum M. im Dezember 1998 nach eingehender Untersuchung eine Hepatitis-Infektion ausgeschlossen worden. Im Übrigen reiche die Immunhistologie nicht aus, um eine entsprechende Infektion nachzuweisen. E. habe darüber hinaus ein normales Trinkverhalten an den Tag gelegt, so dass die Leberzirrhose nicht auf einen erhöhten Alkoholkonsum zurückgeführt werden könne.

Das SG holte daraufhin von Prof. Dr. B. eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme ein. In seiner Stellungnahme vom 13. September 2000 führte er aus, man habe in Kenntnis der Einwände die immunhistologischen Untersuchungen am Lebergewebe des E. wiederholt. Bei Verwendung von monoklonalen Antikörpern gegen das Hepatitis-C-Virus habe sich dabei keine spezifische Immunreaktion der Hepatozyten finden lassen. Das immunologische Ergebnis im Rahmen des Vorgutachtens müsse mithin als unspezifische Reaktion betrachtet und insofern korrigiert werden. Demzufolge könne aus dieser immunhistologischen Voruntersuchung nicht mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden, dass bei E. eine Hepatitis-C-Infektion vorgelegen habe. Zusätzlich habe man aus dem Lebergewebe die Ribonukleinsäure (RNA) und die Desoxyribonukleinsäure (DNA) isoliert. Diese seien im Labor auf das Vorhandensein von Hepatitis-C-RNA und Hepatitis-B-DNA untersucht worden, wobei beide Untersuchungen negativ verlaufen seien. Daher habe bei E. weder eine Hepatitis-C noch eine Hepatitis-B-Infektion vorgelegen, so dass die Laborbefunde des DRK bestätigt worden seien. Da der Hausarzt des E. aus langjähriger Beobachtung zudem bekunden könne, dass bei diesem keine Anzeichen eines Alkoholabusus vorgelegen hätten und auch die Histologie der Leber keine beweisenden Kriterien für einen Alkoholabusus zeigen würde, käme auch dies nicht als ätiologischer Faktor für die Leberzirrhose in Frage. Es kämen aber noch weitere seltene Ursachen eines hepatozellulären Karzinoms in Betracht, z.B. Industrietoxine wie Toluen und Dimethylnitrosamin, so dass bei Ausschluss anderer Ursachen die Lösungsmittelexposition als Ursache für die Lebererkrankung durchaus in Betracht komme. Gleichermaßen könne das hepatozelluläre Karzinom aber auch auf dem Boden einer idiopathischen Zirrhose oder einer autoimmunen Hepatitis entstanden sein, was sich allerdings aus rein morphologischer Sicht nicht eindeutig klären lasse. Die idiopathische, kryptogene Zirrhose (Zirrhose unklarer Ätiologie) werde in Mitteleuropa mit einer Häufigkeit von 10% aller Leberzirrhosen angegeben. Wieviel davon möglicherweise auf eine klinisch unbekannte hepatotoxische Schadstoffexposition zurückzuführen sei, sei unklar. Zusammenfassend müsse angesichts des definitiven Ausschlusses virogener und metabolischer Noxen für die Manifestation der Leberzirrhose mit hepatozellulärem Karzinom die langjährige Schadstoffexposition trotz der Existenz idiopathischer Leberzirrhosen als hinreichend wahrscheinliche Ursache der Leberzirrhose mit konsekutivem hepatozellulärem Karzinom gewertet werden.

Das SG befragte daraufhin den Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Verursachung von hepatozellulären Leberkarzinomen auf Grund einer Leberzirrhose durch diverse lösemittelhaltige Produkte des Maler- und Bodenlegerhandwerks. In seinem Antwortschreiben vom 27. Juni 2001 führte der HVBG aus, es lägen entsprechende Erkenntnisse nicht vor. Allerdings sollte auch an das Vorliegen einer BK nach Nr. 1302 oder 1303 der Anlage zur BKV gedacht werden. Die Lebertoxizität von Halogenkohlenwasserstoffen sei im Merkblatt zur BK Nr. 1302 erwähnt und auch die in der BK-Nr. 1303 genannten Lösungsmittel seien im Merkblatt als potentiell hepatotoxisch beschrieben. Letztlich könne, worauf Prof. Dr. B. zu Recht hingewiesen habe, die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der Schadstoffeinwirkung und der Leberzirrhose aus pathologischer Sicht nicht eindeutig beantwortet und nur durch das Gutachten eines kompetenten arbeitsmedizinischen Wissenschaftlers geklärt werden. Dem Schreiben beigefügt war u.a. der "Forschungsbericht Leber und Beruf - Hinweise für die arbeitstechnische und medizinische Sachverhaltsaufklärung" aus der Schriftenreihe des HVBG vom Juni 1991.

Im Auftrag des SG erstellte unter dem 19. November 2001 Prof. Dr. S., Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Universitätsklinikum U., ein wissenschaftliches arbeitsmedizinisches Gutachten (mit ergänzender Stellungnahme vom 2. Mai 2002). Dieser führte aus, dass sich in der wissenschaftlichen Diskussion nur ganz wenige Hinweise auf eine isolierte lebertoxische Einwirkung von Lösemitteln finden ließen. In allen anderen Arbeiten würden die Fälle von Leberzellkarzinomen zu ganz überwiegenden Prozentsätzen auf einen chronischen Alkoholabusus oder eine Hepatitis-B oder Hepatitis-C-Infektion zurückgeführt. Ganz überwiegend entstünden Leberzellkarzinome auf der Basis einer Leberzirrhose. Den Akten könnten entgegen den Stellungnahmen der Klägerin ganz eindeutige Hinweise auf einen Alkoholmissbrauch zumindest in den 80er und 90er Jahren entnommen werden. Die Stellungnahmen des Hausarztes Dr. P. seien dagegen nicht stichhaltig, da ihnen entgegen stehe, dass vorherige ärztliche Stellungnahmen, mit oder ohne Bezug auf sog. Leberwerte, eine äthyltoxische Genese der Leberzirrhose für wahrscheinlich gehalten hätten, insbesondere müsse der immer wieder erhöhte MCV-Wert als pathognomonisch betrachtet werden, der alkoholspezifisch sei. Diese Veränderung der Erythrozyten trete nur nach langfristigem Alkoholabusus ein. Die Feststellung, dass die Lösemittelexposition mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Ursache des Leberzellkarzinoms sei, könne angesichts der auf Alkoholmissbrauch hinweisenden anamnestischen Daten nicht getroffen werden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII lägen nicht vor.

Das SG befragte weiter auf Anregung von Prof. Dr. S. Dr. P. schriftlich als sachverständigen Zeugen nach den bei E. behandelten Erkrankungen. Dieser führte aus, bei E. 1992 eine Hypertonie diagnostiziert zu haben, die medikamentös behandelt worden sei. Seit 1986 hätten orthopädische Beschwerden bestanden und ab 1995 auch ein Diabetes. Ab 1994 habe sich E. über eine allgemeine Schwäche und Minderung der Leistungsfähigkeit beklagt, der Allgemeinzustand habe sich stetig verschlechtert. Eine Blutuntersuchung 1998 habe keine wesentlichen Auffälligkeiten gezeigt, insbesondere seien die Leberwerte unauffällig gewesen. Die ihm seit 1994 bekannten Beschwerden seien zwar, möglicherweise fälschlich, als Begleiterscheinungen der genannten Erkrankungen gedeutet worden, könnten aber auch als Zeichen einer lösemittelinduzierten toxischen Enzephalopathie oder Nervenschädigung gedeutet werden. Über Übelkeit, Schwindelzustände und Gleichgewichtsstörungen habe E. immer wieder berichtet, ausgeprägte Störungen des Gedächtnisses sowie Störungen der Artikulation seien nicht sicher nachgewiesen worden.

Prof. Dr. S. wurde daraufhin nochmals um eine ergänzende Stellungnahme gebeten. Unter dem 25. Juli 2002 führte er aus, nach den Aussagen von Dr. P. könnten zwar Übelkeit, Schwindelzustände und Gleichgewichtsstörungen als Folge einer extrem hohen Lösemittelexposition für möglich gehalten werden. Er sehe sich aber nicht in der Lage, aus medizinischer Sicht den Vollbeweis für den von ihm angenommenen Alkoholmissbrauch von E. zu erbringen.

Durch Urteil vom 14. Oktober 2002 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, es liege kein Nachweis dafür vor, dass eine ausreichende Exposition gegenüber Lösemitteln bestanden habe. Daher könnten die BKn nach Nr. 1302 oder 1303 der Anlage zur BKV nicht zur Anerkennung kommen. Auf die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen einer Lösemittelexposition und der bei E. vorgelegenen Leberzirrhose bestehe, komme es deshalb nicht mehr an.

Gegen das am 29. Oktober 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. November 2002 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, die angefochtenen Bescheide hätten schon deshalb aufgehoben werden müssen, weil sie auf einer unrichtigen Beurteilung des Kausalzusammenhangs beruhten, wie die Beweiserhebung im sozialgerichtlichen Verfahren gezeigt habe. Es sei auch unzutreffend, wenn Prof. Dr. S. behaupte, bei einer lösemittelbedingten Leberkarzinomerkrankung müsse immer auch eine Enzephalopathie vorgelegen haben. Es genüge zur Erfüllung des Ursachenzusammenhangs vielmehr, wenn die Lösemittelexposition jedenfalls zusammen mit anderen Ursachen wesentlich für die Entstehung der Erkrankung sei. Auch die Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen sei nur ungenügend erfolgt, so dass die Entscheidung nicht auf den fehlenden Nachweis einer ausreichenden Lösemittelexposition hätte gestützt werden dürfen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Oktober 2002 sowie den Bescheid vom 2. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2000 aufzuheben und festzustellen, dass der Tod des Ehemannes der Klägerin Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 oder 1303 der Anlage zur BKV ist und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, hilfsweise ihr wegen des Vorliegens einer Erkrankung, die wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII zu entschädigen ist, Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, hilfsweise zum Nachweis, dass der Ehemann der Klägerin während seiner Berufstätigkeit einer Lösemittelexposition in einem Umfang ausgesetzt war, der über den zulässigen Grenzwerten lag und geeignet war, eine Leberzirrhose hervorzurufen, ein arbeitstechnisches Gutachten einzuholen, ferner hilfsweise ein arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen zu der Frage, ob die Erkrankung des Ehemanns der Klägerin an der Leberzirrhose mit Wahrscheinlichkeit auf die durch das arbeitstechnische Gutachten festgestellte Exposition gegenüber Lösemitteln zurückgeführt werden kann.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die angefochtenen Entscheidungen als zutreffend.

Das Gericht hat Prof. Dr. Dipl.-Ing. L., Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der J. G.-Universität M., mit der Erstellung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 24. Februar 2005 führt er aus, der Tod des E. sei durch Herz-Kreislaufversagen am 25. März 1999 bei ausgedehntem hepatozellulärem Karzinom im rechten und linken Leberlappen mit diffuser Pfortaderinfiltration, bei Leberzirrhose mit Hepatomegalie und begleitendem Aszites, Ösophagusvarizen II. Grades und Cardiomyopathie verursacht worden. Daneben habe ein metabolisches Syndrom mit essentieller arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II, Adipositas permagna, Dyslipoproteinämie und Fettleberhepatitis bestanden. Bei Betrachtung der arbeitstechnischen Voraussetzungen habe der TAB zwar eine langjährige Exposition gegenüber Lösemitteln bejaht, ohne dass aber eine Quantifizierung im Nachhinein noch möglich wäre. Auch sei eine kanzerogene Potenz für Menschen insbesondere von Teer, Bitumen, Trichlorethylen, Asbest und Benzol wissenschaftlich eindeutig belegt. Keiner dieser Stoffe habe jedoch die Leber als Zielorgan, so dass ein ursächlicher Zusammenhang insoweit nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Zudem habe E. Kontakt mit organischen Lösemitteln gehabt, die in Abhängigkeit von Expositionshöhe und -dauer neben Veränderungen des peripheren und/oder zentralen Nervensystems auch zu einer toxischen Schädigung der Leber führen könnten. Voraussetzung sei aber eine sehr hohe, über den jeweiligen Grenzwerten liegende und langfristige Exposition. Bei nicht mehr ermittelbaren Expositionen seien sog. Brückensymptome wesentlich, insbesondere akute neurotoxische Effekte, die in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang mit der beruflichen Belastung auftreten müssten und in expositionsfreien Zeiten wieder abklingen würden. Eindeutige Hinweise auf solche Symptome könnten der Akte allerdings nicht entnommen werden und seien auch von E. gegenüber dem TAB im Rahmen der Befragung nicht geäußert worden. In der Gesamtbetrachtung könne eine chronisch aktive Virushepatitis bei E. ausgeschlossen werden. Ein erhöhter Alkoholkonsum werde zwar mehrfach diskutiert. Allerdings könne retrospektiv der Alkoholkonsum des E. in den 80er Jahren auch nicht mehr objektiviert und quantifiziert werden. Ebenfalls könne nicht mehr festgestellt werden, ob er hepatotoxische Medikamente eingenommen habe. Ein beruflicher Umgang mit Karzinogenen, die als Zielorgan die Leber haben, sei ebenfalls nicht gesichert. Es lägen auch keine gesicherten Erkenntnisse aus der Wissenschaft vor, dass bei der geschilderten Tätigkeit des E. gehäuft Leberzirrhosen und/oder hepatozelluläre Karzinome aufträten. Anhand der vorliegenden Angaben über die spezielle Expositionssituation könne jedoch aus arbeitsmedizinischer Sicht kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der bestandenen Lösemittelexposition und der Lebererkrankung wahrscheinlich gemacht werden. Daher werde weder eine Anerkennung der zum Tode führenden Erkrankung als BK nach Nr. 1302 noch nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV vorgeschlagen.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat unter dem 28. November 2005 Prof. Dr. S., Chefarzt der Abteilung Innere Medizin am Krankenhaus S. in H., ein Gutachten nach Aktenlage erstellt. Dieser hat ausgeführt, die bei E. vorliegende Befundkonstellation mit metabolischem Syndrom und Transaminasenerhöhung mit GPT)GOT und einer leichten Gamma-GT-Erhöhung spreche mit hoher Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung, für die es eine histologische Sicherung aber nicht gebe. Zusammenfassend hat Prof. Dr. S. ausgeführt, die Leberzirrhose und das Leberzellkarzinom könnten aufgrund der Datenlage in der wissenschaftlichen Literatur und aufgrund der bestehenden Komorbität nicht eindeutig auf die Lösemittelexposition zurückgeführt werden. Eine BK nach Nr. 1302 oder 1303 der Anlage zur BKV werde daher nicht zur Anerkennung vorgeschlagen. Auf Anfrage der Klägerin hat Prof. Dr. S. unter dem 13. März 2006 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Bei E. lag keine BK nach Nr. 1302 oder 1303 der Anlage zur BKV vor, noch war die Erkrankung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen. Daher stehen der Klägerin auch keine Hinterbliebenenleistungen zu.

Hinterbliebene haben Anspruch auf einzelne näher erläuterte Leistungen, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist (§ 63 Abs. 1 SGB VII). Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VII). Nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV sind als BK bezeichnet Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe, nach Nr. 1303 Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol. Die Unfallversicherungsträger haben darüber hinaus eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VII).

Für die Anerkennung einer BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und einer schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Für die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung gilt bei einer Berufskrankheit ebenso wie beim Arbeitsunfall die Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach genügt abweichend von einer naturwissenschaftlich-philosophischen Kausalitätsbetrachtung nach der Bedingungs- und Äquivalenztheorie nicht jedes Glied in einer Ursachenkette, um die Verursachung zu bejahen, weil dies zu einem unendlichen Ursachenzusammenhang führt. Als kausal und im Sozialrecht erheblich werden vielmehr nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Gesundheitsschaden zu dessen Eintritt "wesentlich" beigetragen haben. Das heißt, dass nicht jeder Gesundheitsschaden, der durch ein Ereignis naturwissenschaftlich verursacht wird, im Sozialrecht als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit anerkannt wird, sondern nur derjenige, der "wesentlich" durch das Ereignis verursacht wurde. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (so schon BSGE 1, 72, 76; 1, 150; 13, 175).

Die umfassende medizinische Beweisaufnahme hat nicht den Nachweis erbracht, dass E. an einer BK erkrankt war und diese zum Tod geführt hat oder dass die Leberzirrhose mit Leberzellkarzinom wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen ist und deshalb Hinterbliebenenleistungen zu gewähren sind. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. L. vom 24. Februar 2005 und des Gutachtens von Prof. Dr. S. in erster Instanz.

Der Senat kann dabei offen lassen, welche Ursache letztlich für die Entstehung der Leberzirrhose, die die Grundlage für das Leberzellkarzinom gebildet hat, in Betracht kommt. Denn für die Beurteilung der Frage, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer - insoweit unterstellt ausreichenden - Exposition gegenüber Lösemitteln und der Erkrankung besteht, kommt es nur darauf an, ob dieser Zusammenhang positiv mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist. Nicht von Bedeutung ist hingegen, auf welcher anderen Ursache die Erkrankung beruhte oder ob eine andere Ursache festgestellt werden kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie hier Krankheitsbilder existieren, deren Ätiologie ungeklärt ist. Deshalb kann ebenfalls offen gelassen werden, ob beim Kläger in den 80er Jahren tatsächlich ein erhöhter Alkoholkonsum vorgelegen hat, der zu den aktenkundigen laborchemischen Veränderungen der Leberwerte geführt hat.

Unterstellt man für die Beurteilung der haftungsausfüllenden Kausalität eine ausreichende berufliche Belastung mit Stoffen, die insbesondere in den BK-Nummern 1302 und 1303 als potentiell schädigend erfasst sind, auch wenn nicht mehr festgestellt werden kann, in welchem Umfang E. insoweit tatsächlich exponiert war, spricht bereits gegen einen Ursachenzusammenhang der Umstand, dass zwar eine kanzerogene Potenz für Menschen insbesondere der Stoffe Teer, Bitumen, Trichlorethylen, Asbest und Benzol wissenschaftlich eindeutig belegt ist, aber bei keinem dieser Stoffe die Leber das Zielorgan kanzerogener Veränderungen ist.

Soweit E. Kontakt zu organischen Lösemitteln hatte, können diese zwar in Abhängigkeit von Expositionshöhe und -dauer neben Veränderungen des peripheren und/oder zentralen Nervensystems auch zu einer toxischen Schädigung der Leber führen. Dies würde aber bereits eine sehr hohe, regelmäßig über den Grenzwerten liegende Exposition verlangen, die nicht nachgewiesen ist und im nachhinein auch nicht mehr ermittelt werden kann. Vielmehr ist insoweit von den Angaben des E. gegenüber dem TAD im Beisein der Klägerin auszugehen und für die Frage, ob eine sehr hohe Exposition vorgelegen hat, die potentiell geeignet ist, auch für die Leber kanzerogen zu wirken, darauf abzustellen, ob beim Kläger während der Zeit des Einsatzes von lösemittelhaltigen Stoffen Symptome nachweisbar sind, die zum Bild einer lösemittelinduzierten Erkrankung gehören.

Soweit die Klägerin im sozialgerichtlichen Verfahren vortragen ließ, E. habe des öfteren über Übelkeit und Schwindelzustände geklagt und habe unter Konzentrationsschwäche gelitten, so dass er sich habe alles aufschreiben müssen, es seien Stimmungsschwankungen ohne näher erkennbaren Grund aufgetreten und sie habe zuweilen Lösemittelgeruch an den Kleidern und der Haut des E. wahrgenommen, reicht dies nicht aus, um den Nachweis einer über dem Grenzwert liegenden Lösemittelbelastung als erbracht anzusehen. Auch die sachverständige Zeugenaussage des Hausarztes Dr. P. im erstinstanzlichen Klageverfahren erbrachte nur unspezifische Beschreibungen von Befindlichkeitsschilderungen des E., ohne dass diese zeitlich oder diagnostisch näher spezifiziert oder durch Befunde belegt worden wären. Die zeitliche Zuordnung ist bereits deshalb von Bedeutung, weil E. nicht bis zur Aufgabe seiner Tätigkeit in erheblichem Umfang mit Lösemitteln gearbeitet, vielmehr nach seinen eigenen Angaben, die er gegenüber dem TAD im Beisein der Klägerin gemacht hat, ab etwa 1985 überwiegend lösemittelfreie Produkte in seinem Betrieb verwendet hat. Sollte tatsächlich eine relevante, grenzwertübersteigende Exposition vorgelegen haben, wäre zu erwarten, dass ihre Folgen auch bis 1985 aktenkundig geworden wären, da in der Regel die Folgen der Exposition abklingen, wenn der Kontakt mit Lösemitteln endet. Darüber hinaus hat E., insoweit gesichert, an einem metabolischen Syndrom, insbesondere mit erheblichem Bluthochdruck und langjährigem massivem Übergewicht gelitten. Die von Dr. P. beschriebenen unspezifischen Beschwerden lassen sich ohne weiteres auch auf dieses gesicherte Krankheitsbild zurückführen. Ohne differentialdiagnostische Abklärung, die offenbar weder von ihm noch von anderen Ärzten, bei denen E. in Behandlung stand, als erforderlich angesehen worden ist, kann jedoch ein Rückschluss dergestalt, dass die genannten Befindlichkeitsstörungen auf einer erheblichen Lösemittelexposition beruhen, nicht gezogen werden. Deshalb ist auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine toxische Schädigung der Leber durch eine überhöhte Exposition gegenüber lösemittelhaltigen Stoffen verursacht worden ist.

Nur ergänzend weist der Senat deshalb darauf hin, dass auch der nach § 109 SGG beauftragte Prof. Dr. S. die haftungsausfüllende Kausalität verneint hat.

Nach alldem konnte weder eine Erkrankung des E. durch Halogenkohlenwasserstoffe im Sinne der BK Nr. 1302 noch eine Erkrankung durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.

Bei E. lag aber auch keine Erkrankung vor, die wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII zu entschädigen ist. Es fehlen nach Auskunft aller im Verfahren beteiligten Ärzte sowie nach Auskunft des HVBG neuere, gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, dass bei Personen, die als Bodenleger und teilweise auch als Maler arbeiten, gehäuft Leberzirrhosen und/oder hepatozelluläre Karzinome auftreten.

Dem Hilfsantrag der Klägerin, ein "arbeitstechnisches" Gutachten zu der Frage einzuholen, ob ihr verstorbener Ehemann einer Lösemittelexposition ausgesetzt war, die über den Grenzwerten gelegen hat, war nicht nachzugehen. Zum Einen ist Prof. Dr. L. bei seinem Gutachten bereits von einer relevanten Schadstoffexposition ausgegangen. Zum Anderen kann ein solches Gutachten die genaue Expositionshöhe bei den weit in der Vergangenheit liegenden Expositionszeiten nicht mehr feststellen.

Dem weiteren Hilfsantrag auf Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens war ebenfalls nicht stattzugeben, weil die Frage des Zusammenhangs zwischen Schadstoffexposition und dem Entstehen einer Leberzirrhose aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. L. hinreichend geklärt ist.

Da nach alldem ein Zusammenhang der zum Tode führenden Erkrankungen mit beruflich bedingten Schadstoffexpositionen nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, hat das SG die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Berufung war zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved