Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 2667/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2934/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers.
Der 1953 geborene Kläger beantragte am 6. Mai 2004 erstmals die Feststellung seines GdB und machte als Behinderungen eine Coxarthrose beidseits, eine ausgeprägte Retropatellar- und Valgusgonarthrose rechts, eine Gonarthrose links sowie eine Spondylochondrose, Spondylose und Spondylarthrose in der Wirbelsäule geltend.
Das Versorgungsamt Ulm (VA) zog den Entlassbericht vom 26. Mai 2004 nach stationärem Rehaaufenthalt des Klägers in der F.-Klinik B. B. vom 19. April bis 10. Mai 2004 bei (Diagnosen: Gonarthrose mit Rechtsbetonung, Pseudoradikuläres LWS-Syndrom bei Spondylochondrose und Spondylose der LWS, Coxarthrose beidseits, Adipositas). Nach Einholung einer versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme stellte das VA mit Bescheid vom 21. Juni 2004 einen GdB von 30 fest, dem als Behinderungen eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 30), beider Hüftgelenke (Teil-GdB 10) und der Wirbelsäule (Teil-GdB 10) zugrunde lagen.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und machte u.a. geltend, ohne Einnahme von Schmerzmitteln sei ihm die tägliche Arbeit gar nicht mehr möglich. Seine Behinderungen seien erheblicher als vom VA angenommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2004 wies der Beklagte (nach weiterer vä Stellungnahme) den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine gravierende andauernde Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und der Beingelenke sei den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen, die angefochtene Entscheidung daher zutreffend.
Dagegen erhob der Kläger am 7. September 2004 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG), die trotz mehrfacher Erinnerung nicht begründet und durch Urteil vom 2. Mai 2005 zurückgewiesen wurde, gestützt im Wesentlichen auf die vä Stellungnahmen.
Gegen das am 16. Juni 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Juli 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien nicht ausreichend gewürdigt, wie den beigefügten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte zu ersehen sei. Keiner der den Kläger behandelnden Ärzte sei bisher gehört worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. Mai 2005 sowie den Bescheid vom 21. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. August 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 50 v.H. festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und die vä Stellungnahme vom 21. März 2006, auf die inhaltlich verwiesen wird.
Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.
Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Unter Berücksichtigung der in den Anhaltspunkten niedergelegten Grundsätze ist im Fall des Klägers ein GdB von mehr als 30 auch unter Berücksichtigung der übersandten Äußerungen der behandelnden Ärzte nicht festzustellen.
Das Attest des Hausarztes Dr. E. enthält lediglich die Diagnosen, die bereits vom Beklagten in den angefochtenen Entscheidungen der Feststellung des GdB zugrunde gelegt worden sind. Seiner - darüber hinaus - geäußerten Auffassung, der GdB sei mit über 30 v.H. zu bewerten, hat er nicht begründet und auch keine Untersuchungsbefunde mitgeteilt, die diese Schlussfolgerung tragen könnten. Ermittlungen ins Blaue hinein hat der Senat deshalb nicht zu veranlassen. Dies insbesondere auch nicht unter Berücksichtigung der Ausführungen des behandelnden Orthopäden im Arztbrief vom 27. Januar 2006, der als Diagnosen ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom bei Skoliose mit Wurzelreiz, Coxarthrose beidseits, Gonarthrose beidseits und Beinlängendifferenz zu Ungunsten rechts um 7 mm aufführt. Auch insoweit handelt es sich lediglich um die bekannten Diagnosen; die von Dr. B. aufgeführten Ergebnisse der röntgenologischen Untersuchung der LWS haben keine weiter reichenden Behinderungen bestätigen können. Letztlich sind daher auch für den Senat die im Rehaentlassbericht der F.-Klinik angegebenen Erkrankungen und Funktionswerte entscheidender Maßstab der gerichtlichen Überprüfung, da neuere Befunde nicht vorgelegt worden sind und die darin aufgeführten Diagnosen und funktionellen Einschränkungen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. B. noch immer den Gesundheitszustand des Klägers zutreffend widerspiegeln.
Die beim Kläger bestehenden funktionellen Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule sowie der Hüft- und Kniegelenke rechtfertigt einen Teil-GdB von 30.
Nach den AP Nr. 26.18 S. 116 sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem GdB von 0 zu bewerten, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 10 und erst Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 20. Im Entlassbericht vom 26. Mai 2004 ist ein Schulter- und Beckengeradstand beschrieben sowie eine vermehrte LWS-Lordosierung. Im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) waren Rotation und Seitneigung frei, der Kinn-Sternum-Abstand betrug 3/16 cm. Im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) war das Zeichen nach Ott mit 30/33 cm (geringe Einschränkung), die Atemexkursion um 5 cm beschrieben. Die LWS konnte zu ¾ inkliniert und zu 2/4 rekliniert werden, die Seitneigung war zu 2/4 möglich. Das Zeichen nach Schober betrug 10/14 cm (geringe Einschränkung), der Fußbodenfingerspitzenabstand 15 cm. Es fand sich weiter ein ausgeprägter Muskelhartspann lumbal. Angesichts dieser Funktionswerte ist von einem Wirbelsäulenschaden mit nur geringen funktionellen Auswirkungen auszugehen, der einen Teil-GdB von mehr als 10 nicht rechtfertigt. Die vom Kläger genannten Schmerzen sind in den GdB-Werten nach den AP bereits berücksichtigt und rechtfertigen keine andere Feststellung (vgl. AP Nr. 18.8 Seite 24).
Entsprechendes gilt für die vom Kläger geltend gemachten Kniegelenksbeschwerden. Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-0-90) einseitig sind mit einem GdB von 0 – 10, beidseitig von 10 – 20, Einschränkungen mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-10-90) einseitig mit einem GdB von 20 und beidseitig von 40 zu bewerten. Erst eine Bewegungseinschränkung stärkeren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-30-90) rechtfertigt bei einseitigem Vorliegen einen GdB von 30, bei beidseitigem Vorliegen einen solchen von 50 (AP Nr. 26.18 S. 126). Im Entlassbericht wird neben einem Streckdefizit im Kniegelenk die Extension/Flexion mit 0-5-120 rechts und links 0-0-120 mitgeteilt sowie retropatellares Reiben der Kniegelenke sowie ein Druckschmerz im medialen Kniegelenksspalt beidseits. Dabei handelt es sich somit auch um geringe funktionelle Einschränkungen beidseits, die nur einen Teil-GdB von 10 rechtfertigen können.
Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) einseitig sind mit einem GdB von 10 – 20, beidseitig von 20 – 30 zu bewerten (AP Nr. 26.18 S. 124, 125). Auch insoweit sind die im Entlassbericht aufgeführten Werte zur Beurteilung heranzuziehen. Die Hüftgelenksbeweglichkeit wurde in der Extension/Flexion mit 0-0-120, in der Ab- bzw. Adduktion mit 30-0-20 mitgeteilt. Angesichts dieser Funktionswerte ist, wie in der vä Stellungnahme vom 21. März 2006 zutreffend ausgeführt, der dafür bisher veranschlagte Teil-GdB von 30 großzügig, jedenfalls aber ausreichend bemessen.
Soweit im Arztbrief von Dr. B. noch eine Beinverkürzung um 7 mm berichtet wird, ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass eine Beinverkürzung bis 2,5 cm nicht die Feststellung eines GdB rechtfertigt (AP Nr. 26.18 S. 125).
Weiterer medizinischer Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen bedurfte es nicht, da der Sachverhalt ausreichend geklärt ist. Der im Schriftsatz vom 14. Februar 2006 noch gestellte Antrag, ein Gutachten § 109 SGG bei Dr. E. einzuholen, ist abzulehnen, da der Kläger den bis zum 21. April 2006 geforderten Kostenvorschuss in Höhe von 1.500,- EUR nicht einbezahlt und auch keine Kostenverpflichtungserklärung übersandt hat.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers.
Der 1953 geborene Kläger beantragte am 6. Mai 2004 erstmals die Feststellung seines GdB und machte als Behinderungen eine Coxarthrose beidseits, eine ausgeprägte Retropatellar- und Valgusgonarthrose rechts, eine Gonarthrose links sowie eine Spondylochondrose, Spondylose und Spondylarthrose in der Wirbelsäule geltend.
Das Versorgungsamt Ulm (VA) zog den Entlassbericht vom 26. Mai 2004 nach stationärem Rehaaufenthalt des Klägers in der F.-Klinik B. B. vom 19. April bis 10. Mai 2004 bei (Diagnosen: Gonarthrose mit Rechtsbetonung, Pseudoradikuläres LWS-Syndrom bei Spondylochondrose und Spondylose der LWS, Coxarthrose beidseits, Adipositas). Nach Einholung einer versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme stellte das VA mit Bescheid vom 21. Juni 2004 einen GdB von 30 fest, dem als Behinderungen eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 30), beider Hüftgelenke (Teil-GdB 10) und der Wirbelsäule (Teil-GdB 10) zugrunde lagen.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und machte u.a. geltend, ohne Einnahme von Schmerzmitteln sei ihm die tägliche Arbeit gar nicht mehr möglich. Seine Behinderungen seien erheblicher als vom VA angenommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2004 wies der Beklagte (nach weiterer vä Stellungnahme) den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine gravierende andauernde Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und der Beingelenke sei den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen, die angefochtene Entscheidung daher zutreffend.
Dagegen erhob der Kläger am 7. September 2004 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG), die trotz mehrfacher Erinnerung nicht begründet und durch Urteil vom 2. Mai 2005 zurückgewiesen wurde, gestützt im Wesentlichen auf die vä Stellungnahmen.
Gegen das am 16. Juni 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Juli 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien nicht ausreichend gewürdigt, wie den beigefügten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte zu ersehen sei. Keiner der den Kläger behandelnden Ärzte sei bisher gehört worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. Mai 2005 sowie den Bescheid vom 21. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. August 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 50 v.H. festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und die vä Stellungnahme vom 21. März 2006, auf die inhaltlich verwiesen wird.
Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.
Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Unter Berücksichtigung der in den Anhaltspunkten niedergelegten Grundsätze ist im Fall des Klägers ein GdB von mehr als 30 auch unter Berücksichtigung der übersandten Äußerungen der behandelnden Ärzte nicht festzustellen.
Das Attest des Hausarztes Dr. E. enthält lediglich die Diagnosen, die bereits vom Beklagten in den angefochtenen Entscheidungen der Feststellung des GdB zugrunde gelegt worden sind. Seiner - darüber hinaus - geäußerten Auffassung, der GdB sei mit über 30 v.H. zu bewerten, hat er nicht begründet und auch keine Untersuchungsbefunde mitgeteilt, die diese Schlussfolgerung tragen könnten. Ermittlungen ins Blaue hinein hat der Senat deshalb nicht zu veranlassen. Dies insbesondere auch nicht unter Berücksichtigung der Ausführungen des behandelnden Orthopäden im Arztbrief vom 27. Januar 2006, der als Diagnosen ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom bei Skoliose mit Wurzelreiz, Coxarthrose beidseits, Gonarthrose beidseits und Beinlängendifferenz zu Ungunsten rechts um 7 mm aufführt. Auch insoweit handelt es sich lediglich um die bekannten Diagnosen; die von Dr. B. aufgeführten Ergebnisse der röntgenologischen Untersuchung der LWS haben keine weiter reichenden Behinderungen bestätigen können. Letztlich sind daher auch für den Senat die im Rehaentlassbericht der F.-Klinik angegebenen Erkrankungen und Funktionswerte entscheidender Maßstab der gerichtlichen Überprüfung, da neuere Befunde nicht vorgelegt worden sind und die darin aufgeführten Diagnosen und funktionellen Einschränkungen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. B. noch immer den Gesundheitszustand des Klägers zutreffend widerspiegeln.
Die beim Kläger bestehenden funktionellen Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule sowie der Hüft- und Kniegelenke rechtfertigt einen Teil-GdB von 30.
Nach den AP Nr. 26.18 S. 116 sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem GdB von 0 zu bewerten, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 10 und erst Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 20. Im Entlassbericht vom 26. Mai 2004 ist ein Schulter- und Beckengeradstand beschrieben sowie eine vermehrte LWS-Lordosierung. Im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) waren Rotation und Seitneigung frei, der Kinn-Sternum-Abstand betrug 3/16 cm. Im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) war das Zeichen nach Ott mit 30/33 cm (geringe Einschränkung), die Atemexkursion um 5 cm beschrieben. Die LWS konnte zu ¾ inkliniert und zu 2/4 rekliniert werden, die Seitneigung war zu 2/4 möglich. Das Zeichen nach Schober betrug 10/14 cm (geringe Einschränkung), der Fußbodenfingerspitzenabstand 15 cm. Es fand sich weiter ein ausgeprägter Muskelhartspann lumbal. Angesichts dieser Funktionswerte ist von einem Wirbelsäulenschaden mit nur geringen funktionellen Auswirkungen auszugehen, der einen Teil-GdB von mehr als 10 nicht rechtfertigt. Die vom Kläger genannten Schmerzen sind in den GdB-Werten nach den AP bereits berücksichtigt und rechtfertigen keine andere Feststellung (vgl. AP Nr. 18.8 Seite 24).
Entsprechendes gilt für die vom Kläger geltend gemachten Kniegelenksbeschwerden. Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-0-90) einseitig sind mit einem GdB von 0 – 10, beidseitig von 10 – 20, Einschränkungen mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-10-90) einseitig mit einem GdB von 20 und beidseitig von 40 zu bewerten. Erst eine Bewegungseinschränkung stärkeren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-30-90) rechtfertigt bei einseitigem Vorliegen einen GdB von 30, bei beidseitigem Vorliegen einen solchen von 50 (AP Nr. 26.18 S. 126). Im Entlassbericht wird neben einem Streckdefizit im Kniegelenk die Extension/Flexion mit 0-5-120 rechts und links 0-0-120 mitgeteilt sowie retropatellares Reiben der Kniegelenke sowie ein Druckschmerz im medialen Kniegelenksspalt beidseits. Dabei handelt es sich somit auch um geringe funktionelle Einschränkungen beidseits, die nur einen Teil-GdB von 10 rechtfertigen können.
Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) einseitig sind mit einem GdB von 10 – 20, beidseitig von 20 – 30 zu bewerten (AP Nr. 26.18 S. 124, 125). Auch insoweit sind die im Entlassbericht aufgeführten Werte zur Beurteilung heranzuziehen. Die Hüftgelenksbeweglichkeit wurde in der Extension/Flexion mit 0-0-120, in der Ab- bzw. Adduktion mit 30-0-20 mitgeteilt. Angesichts dieser Funktionswerte ist, wie in der vä Stellungnahme vom 21. März 2006 zutreffend ausgeführt, der dafür bisher veranschlagte Teil-GdB von 30 großzügig, jedenfalls aber ausreichend bemessen.
Soweit im Arztbrief von Dr. B. noch eine Beinverkürzung um 7 mm berichtet wird, ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass eine Beinverkürzung bis 2,5 cm nicht die Feststellung eines GdB rechtfertigt (AP Nr. 26.18 S. 125).
Weiterer medizinischer Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen bedurfte es nicht, da der Sachverhalt ausreichend geklärt ist. Der im Schriftsatz vom 14. Februar 2006 noch gestellte Antrag, ein Gutachten § 109 SGG bei Dr. E. einzuholen, ist abzulehnen, da der Kläger den bis zum 21. April 2006 geforderten Kostenvorschuss in Höhe von 1.500,- EUR nicht einbezahlt und auch keine Kostenverpflichtungserklärung übersandt hat.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
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