L 11 KR 1438/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 2754/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1438/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Behandlung einer Adenomyeloneuropathie (AMN) bei Erwachsenen mit Lorenzo's Öl ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme von "Lorenzos Öl" streitig.

Die 1962 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet an Adrenomyeloneuropathie (AMN), die sich insbesondere in einer progredienten, rechtsbetonten Paraparese der Beine sowie einer Blasenstörung zeigt. Bei der AMN handelt sich um eine X-chromosomal erbliche peroxisomale Stoffwechselerkrankung, bei der typischerweise das zentrale Nervensystem und die Nebennierenrinde befallen werden und der Spiegel der sehr langkettigen Fettsäuren aufgrund einer behinderten b-Oxidation in den Peroxisomen ansteigt. Die Erwachsenenform befällt hauptsächlich das Rückenmark und führt zu spastischer Paraplegie, häufig kompliziert durch cerebrale Demyelisierung. Die Klägerin ist gelernte Friseuse und Mutter zweier in den Jahren 1988 und 1991 geborener Töchter. Sie erhält mittlerweile Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Von der Pflegekasse wurde ihr die Pflegestufe II zuerkannt, vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen B, H, G, aG und RF festgestellt.

Die Klägerin befand sich wegen ihrer Erkrankung von 1992 bis 2002 in regelmäßiger ambulanter und stationärer Behandlung in der neurologischen Klinik der Universität Tübingen (UKT), wo sie zuletzt symptomatisch mit die Spastik beeinflussenden Medikamenten behandelt wurde. Diese Therapie erbrachte einen geringgradigen Erfolg.

Im November 2003 begab sie sich in stationäre Behandlung in das sächsische Krankenhaus H ... Dort wurde ihr von Seiten des Chefarztes K. wegen des schweren Verlaufs mit ausgeprägter Tetraspastik und Gehstörung eine Behandlung mit Lorenzos Öl 50 ml/d empfohlen.

Die Klägerin beantragte deswegen unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung die Übernahme der Kosten für das Lorenzos Öl. Die Erkenntnisse über die Erkrankung der Adrenomyeloneuropathie seien bislang noch sehr jung, allerdings gebe es seit ein paar Jahren ermutigende wissenschaftliche Fortschritte, die zur Entwicklung einer speziellen diätetischen Therapie der Erkrankung geführt hätten. Hierbei würden neben einer vom Patienten zu erlernenden Basisdiät, quasi medikamentenähnlich, bestimmte Spezialöle zugeführt und dadurch die Ansammlung der krankmachenden, sehr langkettigen Fettsäuren verhindert. Im Verlauf einiger weniger Monate komme es unter der Therapie zur Normalisierung der pathologisch erhöhten Blutwerte.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dr. B. führte aus, Lorenzos Öl stelle kein Fertigarzneimittel, sondern rechtlich ein Diätetikum dar. Es enthalte die Wirkstoffe Glyceroltrioleat (GTO) und Glyceroltrierukat (GTE), die in einem festen Verhältnis von 1:4 gegeben würden. Aus den bislang vorliegenden Studien ergäben sich derzeit keine medizinisch-wissenschaftlichen eindeutigen Hinweise auf eine Wirksamkeit der Behandlung. Weder die Einzelfallbeobachtungen noch die Statistiken in der ausgewerteten Literatur belegten dies. Erfolgreich sei bislang nur eine Knochenmarktransplantation. Ausgehend davon, dass Diät- und Krankenkost ohnehin nur unter bestimmten engen Voraussetzungen in die Arzneimittelrichtlinien wieder eingeschlossen werden könnten, fehle es damit auch an dem erforderlichen Wirksamkeitsnachweis. Eine Kostenübernahme könne daher insgesamt nicht empfohlen werden.

Gestützt hierauf wies die Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2003 den Antrag mit der Begründung zurück, Lorenzos Öl ersetze zwar nicht unbedingt einen Nahrungsbaustein, sondern werde zusätzlich zur Nahrung gegeben. Für eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung fehle es aber am Wirksamkeitsnachweis.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, aufgrund der Seltenheit der Erkrankung seien klinisch kontrollierte Studien nicht möglich. Allerdings seien neue Studien und Veröffentlichungen zu erwarten. Es bestünden eindeutige Evidenzen. Die Behandlung werde in allen spezialisierten Behandlungszentren weltweit angewandt. Es handle sich um die Kombination mit einer Diät. Eine Verordnung müsse daher in analoger Anwendung der Arzneimittelrichtlinien möglich sein. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine erneute Stellungnahme von Dr. B., der in Auswertung der von der Klägerin vorgelegten Veröffentlichung von Chefarzt K. daran festhielt, dass es sich nicht um ein Arzneimittel, sondern ein Diätetikum handle, für das die Arzneimittelrichtlinien eindeutig keine Öffnung vorsähen. Die Studie von Prof. M. sei bislang nicht vollständig publiziert. Da es sehr darauf ankomme, bei welcher Form eine Risikoreduktion festgestellt worden sei, sei aber eine vollständige Publikation zwingend erforderlich. Dies belege auch, dass Studien durchaus möglich seien. Im Vorgutachten wäre deswegen dargelegt worden, dass Prof. M. die vorläufigen Daten dahingehend interpretiere, dass die Therapie keinen signifikanten Effekt auf das kritische Outcome ergäben. Die Beklagte wies deswegen nach zuvoriger Anhörung der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2004 den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Anspruch auf die Versorgung mit Arzneimitteln umfasse nicht die Anwendung von Lorenzos Öl. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe in den Richtlinien festgelegt, inwieweit diätetische Nahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden könnte. Denn diese stellten ebenso wie Krankenkost Lebensmittel dar, so dass die Kostenübernahme deswegen nur ausnahmsweise zulässig sei. Der dafür erforderliche Wirksamkeitsnachweis sei aber nicht erbracht worden. Denn es gäbe keine anerkannten wissenschaftlichen Studien, welche die Wirksamkeit belegten.

Die dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage wurde mit Beschluss vom 16.08.2004 an das örtlich zuständige SG Reutlingen verwiesen.

Zur Begründung ihrer Klage trug die Klägerin vor, sie leide unter starken Schmerzen und könne sich auch nur über ganz geringe Wegstrecken mit Hilfe von Gehilfen selbst fortbewegen. Ihre Erkrankung sei mittlerweile in den Bereich der Halswirbelsäule vorgedrungen, so dass die Gefahr bestehe, dass sie im weiteren Verlauf der Erkrankung erblinden oder ertauben könne. Die Behandlung mit Lorenzos Öl sei geeignet, den Verlauf der Erkrankung zumindest zu stoppen. Die so genannte Schulmedizin könne in ihrem Fall nichts mehr tun. Sie sei von der Uniklinik T. mit der Bemerkung heimgeschickt worden, sie müsse mit dem derzeitigen Zustand leben und sich mit Krankengymnastik weiterhelfen. In der Klinik H. würden gesicherte medizinische Erkenntnisse vorliegen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das Gericht die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört sowie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und den Gemeinsamen Bundesausschuss befragt.

Privatdozent Dr. Dr. W. vom UKT teilte mit, die Klägerin sei von Seiten ihrer Klinik nicht mit Lorenzos Öl behandelt worden, da man gegenüber dieser Therapie sehr zurückhaltend sei. Denn die Hinweise, dass eine solche Therapie bei der Adrenomyeloneuropathie Erfolg verspreche, seien bisher gering und die Therapie habe bislang lediglich bei Jungen unter sechs Jahren Erfolg gezeigt, die neurologisch asymptomatisch gewesen wären und keine Pathologie in den kernspintomographischen Aufnahmen zeigten. Es sei sehr schwierig, bei diesem Krankheitsbild kontrollierte Studien durchzuführen, so dass man auf einzelne Fallberichte zurückgreifen müsse. Nichts desto weniger könne ein positiver Effekt dieser Therapie nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Internist Dr. B., der die Klägerin seit 1986 im Rahmen der hausärztlichen Betreuung behandelt, gab an, dass er die Klägerin nach Anweisung der neurologischen Universitätsklinik behandelt habe, es sei allerdings keine Besserung zu verzeichnen gewesen. Die Klägerin sei seine einzige Patientin mit diesem Krankheitsbild, er habe sich deswegen auch nie angemaßt, eine solche Erkrankung ohne Rücksprache mit den Fachleuten zu therapieren und sich daher auch nicht mit Lorenzos Öl beschäftigt. Der Chefarzt K. berichtete über eine weitere stationäre Verlaufsuntersuchung vom 01. bis 04.11.2004. Im Rahmen der jeweils kurzen stationären Aufenthalte hätten nur sehr wenige therapeutische Maßnahmen ergriffen werden können. Man habe sich auf eine umfassende, zielgerichtete Diagnostik und Empfehlungen für die Weiterbehandlung durch den Hausarzt oder behandelnden Neurologen beschränkt. Bei der zweiten stationären Untersuchung habe festgestellt werden müssen, dass es zu einer weiteren Progression der Erkrankung gekommen sei. Dieser Tatbestand werde im wesentlichen mit dem Umstand erklärt, dass aufgrund der fehlenden Kassenzusage eine Behandlung der Grunderkrankung und damit Normalisierung der pathologisch veränderten Stoffwechsellage nicht habe erfolgen können. Die Klinik betreue seit mehr als 15 Jahren über 300 Patienten mit verschiedenen Formen der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie, wobei etwa zwei Drittel aller Patienten die Adrenomyeloneuropathie-Variante aufwiesen. Die Klinik habe auch eine Studie an 45 Patienten während einer mittleren Behandlungszeit von mindestens 6,3 Jahren durchgeführt. Dabei hätten sich 48 % klinisch-neurologisch vollkommen stabil verhalten, allerdings hätten bei 68 % Nebenwirkungen beobachtet werden können. Das Ergebnis weise eindeutig auf eine verlaufsbeeinflussende günstige Wirkung der Lorenzo-Öl-Therapie bei Patienten mit AMN hin. Die Allgemeinmedizinerin Dr. G.-B., bei der sich die Klägerin seit Oktober 1996 in Behandlung befindet, berichtete über eine zunehmende Verschlechterung des Krankheitsbildes. Neu aufgetreten sei ein Zittern der Hände, rezidivierende Paronchyen, die zu einer Amputation des linken Großzehenendgelenks mit starken neuropathischen Phantomschmerzen geführt habe, eine zunehmende sensible Ataxie (Gehfähigkeit), eine neurogene Blasenstörung sowie eine urogene Inkontinenz. Sie habe einen zweiten Patienten, der mit Lorenzos Öl bei derselben Diagnose sehr gut behandelt sei und bei dem kein Fortschreiten der Erkrankung zu erkennen wäre.

Prof. Dr. G. von der G.-A.-Universität G. berichtete über die von ihr ausgearbeiteten Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie bei X-chromosomaler Adrenoleukodystrophie, die sich jedoch ausschließlich auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen beziehe. Die Empfehlungen zu Lorenzos Öl könnten auf die symptomatische Krankheitsform der Adrenomyeloneuropathie bei Erwachsenen nicht angewandt werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) teilte mit, dass es Lorenzos Öl an der arzneimittelrechtlichen Zulassung durch das BfArM oder einer Genehmigung für das Inverkehrbringen durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder den Rat der Europäischen Union fehle. Bislang lägen auch keine Anträge auf Zulassung eines Fertigarzneimittels mit der Bezeichnung oder der Kombination beider Wirkstoffe vor. Die Referentin A. vom Gemeinsamen Bundesausschuss führte aus, dass es sich bei Lorenzos Öl um ein diätetisches Lebensmittel handle. Dieses ersetze definitionsgemäß im Rahmen eines diätetischen Gesamtplanes Nahrungsfette als Nahrungsgrundbaustein. Damit seien die stofflichen Ausnahmetatbestände nicht erfüllt. Einer Verordnung von Lorenzos Öl zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung fehle die gesetzliche Grundlage.

Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung blieb erfolglos (Beschluss vom 11.05.2005, S 3 KR 1141/05 ER). Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom LSG Baden-Württemberg mit Beschluss vom 04.08.2005 zurückgewiesen (L 11 KR 2652/05 ER-B).

Mit Urteil vom 23.02.2006, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 13.03.2006, wies das SG die Klage unter Bezugnahme auf die Ausführungen in den Beschlüssen im einstweiligen Rechtsschutz mit der Begründung zurück, ein Leistungsanspruch auf Versorgung mit Lorenzos Öl bestehe weder bei Einordnung dieses Präparats als Arzneimittel noch bei Einordnung als so genanntes diätetisches Lebensmittel.

Mit ihrer dagegen am 22.03.2006 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, Lorenzos Öl sei ein Nahrungsergänzungsmittel. Ausnahmen vom Ausschluss der Lebensmittel aus der Versorgung mit Arzneimitteln sehe aber das Gesetz bzw. die Richtlinien vor. Hinsichtlich Lorenzos Öl liege eine planwidrige Regelungslücke vor. Die zugrunde liegende Erkrankung sei nämlich hinsichtlich der durch sie bedingten Notwendigkeit einer besondere Ernährung durchaus vergleichbar mit angeborenen Enzymmangelerkrankungen, bei denen der Gesetzgeber bzw. der Gemeinsame Bundessausschuss die Kostenübernahme für Aminosäuremischungen und Eiweißhydrolysate nicht zuletzt im Hinblick auf die mit dieser speziellen Ernährung verbundenen beträchtlichen Kosten vorgesehen habe. Dies gelte umso mehr, als es bei außerordentlich seltenen Erkrankungen wie der vorliegenden an standardisierten Therapien fehle. Dann müsse es ausreichen, dass die Abwägung von Nutzen und Risiken eines Eingriffs nicht zu beanstanden sei und keine Behandlungsalternative ernsthaft zur Verfügung stünde. So sei letztlich auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 zu verstehen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23.02.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Therapie mit Lorenzos Öl zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass ein Leistungsanspruch auf die Versorgung mit Lorenzos Öl weder bei Einordnung des Präparats als Arzneimittel noch bei einer als so genanntes diätetisches Lebensmittel bestehe. Die Behandlung mit Lorenzos Öl erfolge auch ausschließlich durch die Klinik H ... Von weiteren Kliniken lägen keinerlei Erkenntnisse vor. Es werde lediglich behauptet, dass die Klägerin schulmedizinisch austherapiert sei. Dies werde jedoch nicht mit aussagekräftigen Unterlagen gestützt. Nur die durch den Chefarzt der H. vorgenommene Abwägung von Nutzen und Risiken der Verordnung von Lorenzos Öl und die Aussage, dass eine Behandlungsalternative nicht zur Verfügung stehe, reiche hierfür nicht aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie die beigezogenen Akten S 3 KR 1141/05 ER und L 11 KR 2652/05 ER-B verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da sich nach dem Vortrag der Klägerin die Kosten für das streitige Spezialöl auf 500,- EUR bis 800,- EUR pro Monat belaufen. Die damit insgesamt zulässige Berufung ist aber unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme der Therapie mit Lorenzos Öl.

Für einen Kostenübernahmeanspruch ist es erforderlich, dass der - grundsätzlich mit dem Grundgesetz in Einklang stehende - Leistungskatalog der GKV die begehrte Leistung vorsieht. Dies ist bei Lorenzos Öl, das aus vier Teilen GTO-Öl Glyceroltrierukat und einem Teil GTE-Öl Glyceroltrioleat besteht, nicht der Fall. Lorenzos Öl ist weder ein Heil- noch ein Hilfsmittel im Sinne der §§ 32, 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), sondern entweder ein Fertigarzneimittel, das arzneimittelrechtlich nicht zugelassen ist, oder ein Lebensmittel, das die Ausnahmeindikation der Arzneimittelrichtlinien nicht erfüllt - die Frage der rechtlichen Einordnung kann letztlich offen bleiben, denn in beiden Fällen fehlt es an der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV.

Der in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 SGB V normierte Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 SGB V. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.

In der Regel sind bei Pharmakotherapien diese Anforderungen daher nur erfüllt, wenn die Medikamente, die nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedürfen, eine solche Zulassung besitzen. Dies ist vorliegend bei Lorenzos Öl unstreitig nicht der Fall. Der Senat hat sich insoweit auf die Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gestützt. Es spricht einiges dafür, dass es sich bei den Spezialölen GTO/GTE um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) und nicht um Lebensmittel im Sinne des § 1 Abs. 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes handelt, sie daher der arzneimittelrechtlichen Zulassung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMT bedürfen (so auch Thüringer LSG, Urteil vom 27.09.2004 - L 6 KR 883/02, bestätigt durch Beschluss des BSG vom 04.07.2005, B 1 KR 101/04 B, nicht veröffentlicht); dies kann aber letztlich offen bleiben (s. u.). Unter Arzneimitteln sind solche Substanzen zu verstehen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen oder zu bessern (Kasseler Kommentar, § 31 SGB V Rdnr. 6). Hierfür spricht, dass das Spezialöl zur Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung der AMN angeboten und durch ihre Zuführung in einer vom Arzt bestimmten Dosierung die Ansammlung der die Erkrankung verursachenden langkettigen Fettsäuren verhindern soll. Auch ist die Zusammensetzung für alle Patienten gleich. Das Öl besteht aus GTO-GTE Öl im Verhältnis 4:1. Das Spezialöl wird vom Patienten direkt bestellt und von der Firma an den Patienten abgegeben. Bereits der Preis belegt, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat, dass es sich nicht um bloßes Raps- und Olivenöl, das auf dem freien Markt erhältlich und wie ein Lebensmittel beschafft werden kann, handelt, sondern um die künstliche Herstellung eines Mittels, in dem Wirkstoffe, die in Oliven- und Rapsölbestandteilen enthalten sein sollen, zu medizinischen Zwecken genutzt werden. Auch handelt es sich nicht um ein so genanntes Rezepturarzneimittel, welches individuell für den einzelnen Patienten hergestellt wird, sondern es wird im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht. Somit spricht einiges dafür, dass ein Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 AMG vorliegt, dem es an der erforderlichen Zulassung fehlt. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 AMG liegen ebenfalls nicht vor. Das Spezialöl wird weder in einer Apotheke hergestellt noch ist es im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 2 AMG zur klinischen Prüfung bei Menschen bestimmt.

Insofern kommen auch die vom BSG ausgeführten Grundsätze zum sogenannten "off-label-use" vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R, SozR 3 - 2500 § 31 Nr. 8 - nicht zur Anwendung, weil es an der dafür erforderlichen Zulassung und Verordnung in einem Anwendungsgebiet, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt, fehlt. Darüber hinaus setzt ein solcher "off-label-use" voraus, dass es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder eine Zulassung bereits beantragt ist, was nach der vorliegenden Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht der Fall ist, oder die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Nach bisheriger Datenlage kann entgegen den Ausführungen von Chefarzt Köhler nicht davon ausgegangen werden, dass in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen der Therapie mit Lorenzos Öl besteht. Die von ihm seiner Auskunft beigefügten Studien betreffen, soweit sie von Prof. M. stammen, nur die Behandlung von Knaben. Lediglich bei diesen wird eine Empfehlung für die Behandlung mit Lorenzos Öl ausgesprochen. Überdies leidet die Studie an erheblichen methodischen Mängeln, wie dies auch Dr. B. für den Senat nachvollziehbar dargelegt hat. Das entspricht auch der Auskunft der G.-A.-Universität G ... Bei der von K. selbst vorgestellten Studie fehlt es an der erforderlichen Randomisierung. Es wurden lediglich Patienten über einen längeren Zeitraum untersucht, die mit Lorenzos Öl behandelt wurden, die dabei beschriebenen Behandlungserfolge aber nicht ins Verhältnis zu solchen Patienten mit AMN gesetzt, bei denen keine solche Behandlung durchgeführt wurde (sog. Placebogruppe). Deswegen genügt das vorgelegte Datenmaterial nicht, um von einer Studie der Phase III auszugehen. Das wird auch bestätigt durch das vom Mai 2004 stammende Gutachten des Fachreferats Arzneimittel / Neue und unkonventionelle Heilmethoden des MDK W.-L ... Danach sind die vorliegenden Publikationen nicht ausreichend beurteilbar und nachvollziehbar, da sie zum Teil methodisch unzureichend, zum Teil der Beobachtungszeitraum zu kurz ist oder das Nebenwirkungsrisiko (Abfall der Thrombozyten um 40 %) nicht ausreichend dargestellt wurde.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die (geplante) Behandlung der Klägerin mit Lorenzos Öl als individueller Heilversuch dar. Diesen lässt aber das geltende Recht weder bei gänzlich fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung des Medikaments (BSG SozR 3 - 2500 § 31 Nr. 7, BVerfG in NJW 1997, 3085) noch im Bereich der zwar grundsätzlich gegebenen, sich jedoch nicht auf das konkrete Krankheitsziel erstreckenden Zulassung zu (BSGE 89, 184 ff., 191).

Ob es bei der Klägerin nach Einschätzung der behandelnden Ärzte zu einem Behandlungserfolg im konkreten Einzelfall kommen wird, vermag daher nicht schon die Leistungspflicht der Beklagten zu begründen. Es reicht nicht aus, dass eine streitige Therapie nach Einschätzung der behandelnden Ärzte positiv verlaufen wird oder einzelne Ärzte sie befürwortet haben (so zuletzt BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R, SozR 4 - 2500 § 27 Nr. 1).

Selbst wenn Lorenzos Öl einhergehend mit der Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses als diätetisches Lebensmittel aufgrund der Gebrauchsinformation eingeordnet wird, was im Rahmen eines Diätplanes verwendet wird, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden. Nach Nr. 20.1 i der gültigen Arzneimittel-Richtlinien sind als Ausnahmen nur zulässig Aminosäuremischungen und Eiweißhydrolysate bei angeborenen Enzymmangelkrankheiten, Elementardiäten ( ...), bei Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom, stark Untergewichtigen mit Mukoviszidose, bei Patienten mit chronisch terminaler Niereninsuffizienz unter eiweißarmer Ernährung und bei Patienten mit konsumierenden Erkrankungen sowie medizinisch indizierter Sondennahrung. Nach der Definition soll Lorenzos Öl ein Ölgemisch sein, welches im Rahmen eines diätetischen Gesamtplanes Nahrungsfette als Nahrungsgrundbaustein im Rahmen einer voll bilanzierten Diät ersetzt, so dass bereits die stofflichen Ausnahmetatbestände der Arzneimittelrichtlinien nicht erfüllt sind (so auch Gutachten des Fachreferats Arzneimittel / Neue und unkonventionelle Heilmethoden des MDK W.-L.).

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass hier eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Durch die Anfügung des Satz 2 in § 31 Abs. 1 SGB V sollten insbesondere die im Bundesausschuss bestehenden Zweifel über die Verordnungsfähigkeit von Sondennahrung beseitigt werden, bei dem prinzipiellen Ausschluss von Diät- und Krankenkost sollte es aber bleiben (BT-Drucks. 14/157 S. 33). Folglich müssen die Arzneimittelrichtlinien gemessen an der Ermächtigungsgrundlage und dem damit beabsichtigten gesetzgeberischen Zweck eng ausgelegt werden. Ausgehend davon kann ein diätisches Mittel, das nicht ausschließlich über Apotheken vertrieben wird, nicht im Wege der Auslegung unter die Ausnahmevorschrift gefasst werden; es betrifft quasi den klassischen Fall eines Leistungsausschlusses. Weiter kann auch nicht unterstellt werden, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Einbeziehung versehentlich unterlassen hat. Bei der X-chromosalen AMN handelt es sich zwar um eine relativ seltene Erkrankung, von der aber immerhin weltweit 6000 Patienten befallen sind (vgl. Gutachten MDK W.-L.). Nach den Ausführungen des Gemeinsamen Bundesausschusses wird die Inzidenz auf bis zu 1:20.000 männliche Neugeborene geschätzt. Es kann deswegen nicht davon ausgegangen werden, dass die Erkrankung bei der Abfassung der Ausnahmevorschriften von § 20.1 i der AMR nicht bekannt war, zumal nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung W.-L. eine Interessengruppe bereits seit 1982 umfangreiche Aktivitäten entfaltet. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wurde bereits 1997 der Bundesverein Leukodystrophie e.V. gegründet. Auch wurde durch die Verfilmung der Geschichte eines erkrankten Jungen bereits im Jahre 1992 Lorenzos Öl allgemein bekannt gemacht. Deswegen geht der Senat nicht davon aus, dass hier eine planwidrige Regelungslücke vorliegt (so bereits Beschluss des erkennenden Senats vom 04.08.2005 - L 11 KR 2652/05 ER-B).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2006 (SozR 4 - 2500 § 27 Nr. 5; NZS 2006, 84; NJW 2006, 891). Das Bundesverfassungsgericht hat den Anspruch gegen eine Krankenkasse auf Bereitstellung einer neuen Behandlungsmethode, die noch über keine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung verfügt, darauf beschränkt, dass schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht mehr vorliegen, ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gegeben sind und es sich insbesondere um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt. Dieser ist folglich nicht einschlägig in Fällen, in denen die Erkrankung den Versicherten zwar erheblich beeinträchtigt, die Erkrankung aber weder lebensbedrohlich ist noch regelmäßig tödlich verläuft und eine solche Erkrankung angesichts ihrer Schwere und des Ausmaßes der aus ihr folgenden Beeinträchtigungen dem wertungsgemäß nicht gleichzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R). Davon muss vorliegend ausgegangen werden. Zum einen kann die Erkrankung der Klägerin in ihrer Schwere einer regelmäßig tödlich verlaufenden nicht gleichgestellt werden, zum anderen wurden Behandlungsalternativen aufgezeigt, nämlich die klassische mit die Spastik beeinflussenden Medikamenten oder eine Knochenmarkstransplantation. Dass die Klägerin schulmedizinisch austherapiert ist, hat sie lediglich vorgetragen, aber nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.

Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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