L 6 SB 3129/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 2426/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3129/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Juni 2004 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers.

Bei dem 1950 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 6. August 1992 ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 seit dem 2. Juni 1992 festgestellt worden, dem als Behinderungen Wirbelsäulenveränderungen, Hüftarthrose rechts und Retropatellararthrose beidseits zugrunde lagen.

Am 05.10.2001 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung der bisher anerkannten Gesundheitsstörungen. Er machte geltend, unter einer Lungenembolie mit schwerer Atemnot und schwerem Lungeninfekt, einer schweren Form der Hypertonie mit erheblicher Leistungsbeeinträchtigung, Coxarthrose rechts und starker Arthrose mit Defekt am Gelenk zu leiden. Das Versorgungsamt Freiburg befragte die behandelnden Ärzte (Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G., Institut für Diagnostische Radiologie Dres. F. und W. und den Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Angiologie Dr. T.). Dr. T. übersandte u.a. den Arztbrief an den Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. H. vom 11.01.2002. Darin berichtete Dr. T. u.a. über einen Zustand des Klägers nach Unterschenkelthrombose im April 2001 und Belastungshypertonie. Er führte aus, bei der Ergometrie habe eine maximale Belastung von 100 Watt über eine Minute durchgeführt werden können. Bei hypertensivem Blutdruck habe abgebrochen werden müssen, weil eine Dyspnoe aufgetreten sei. Pektanginöse Beschwerden habe der Kläger nicht geäußert, es bestehe echokardiographisch keine Rechtsherzbelastung mehr. In der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 24. Februar 2002 schlug Dr. K. einen Gesamt-GdB von 30 vor (Teil-GdB 20 für degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Teil-GdB 10 wegen Arthrose des rechten Hüftgelenks und beider Kniegelenke, Teil-GdB 20 wegen Zustand nach Lungenembolie, Marcumarbehandlung, Bluthochdruck).

Mit Bescheid vom 05.03.2002 stellte das Versorgungsamt den GdB ab dem 05.10.2001 mit 30 fest.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und brachte vor, bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie einer Lungenembolie sei ein GdB von 30 nicht angemessen. Seit April 2001 könne er keine Treppen mehr steigen oder leichte körperliche Arbeiten durchführen, ohne in Atemnot oder massive Angstzustände zu geraten. Man habe erneut eine Unterschenkelthrombose festgestellt. Das Versorgungsamt befragte daraufhin nochmals Dr. T., der den Arztbrief vom 10.04.2002 vorlegte. Darin war zusammenfassend ausgeführt, beim Kläger bestehe ein Zustand nach Lungenembolie. Echokardiographisch bestehe jedoch keine Rechtsherzbelastung mehr. Da unter Belastung dennoch eine deutlich hypertensive RR-Reaktion auftrete, habe er mit einem Betablocker anbehandelt. Beim Duplex der Venen habe sich ein Verschluss der gedoppelten Vena fibularis rechts gezeigt. Aus diesem Grund sei die Marcumartherapie fortzuführen.

Nach Einholung einer vä Stellungnahme wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2002 zurück. Es entschied, dem Neufeststellungsantrag des Klägers nach § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) habe insoweit entsprochen werden können, als dass der GdB auf 30 erhöht worden sei. Die Festsetzung eines höheren GdB könne nach dem Befundbericht von Dr. T. nicht begründet werden.

Dagegen erhob der Kläger am 19.08.2002 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Das SG beauftragte den Internisten, Lungen- und Bronchialheilkundler und Allergologen Dr. W.-C. mit der Erstellung eines internistisch-pneumologischen Gutachtens über den Kläger. In seinem Gutachten vom 25.02.2003 beschreibt der Gutachter, er habe in der beim Kläger durchgeführten Spirometrie Zeichen einer schweren gemischtförmigen Störung der Ventilation gefunden. Die Flußvolumenkurve habe Anhaltspunkte für eine schwere Instabilität der kleinen Atemwege ergeben. Die Darstellung der Lungenteilvolumina ergebe regelrechte Werte, Zeichen einer restriktiven Ventilationsstörung mit Verminderung der Vital- und Totalkapazität sowie des ITGV. Der spezifische Atemwegswiderstand sei normal, das intrathorakale Gasvolumen dagegen vermindert. Nach Belastung seien die Werte des Klägers nahezu unverändert. Im Histaminprovokationstest habe sich eine geringe bronchiale Hyperreaktivität nachweisen lassen. Am Ende der Provokation habe sich eine überraschende Entwicklung ergeben: nicht nur der Atemwegswiderstand sei angestiegen, sondern auch die Vital- und Totalkapazität. In diesem Stadium habe sich allenfalls noch eine mittelgradige restriktive Ventilationsstörung bei mäßiger Mitarbeit ergeben. Der Bronchospasmolyseversuch habe eine vollständige Reversibilität der Bronchialobstruktion nach Inhalation sowie eine noch mittelgradige restriktive Ventilationsstörung zum Ergebnis gehabt. In Ruhe habe er normale Blutgaswerte festgestellt und bei Belastung von pulmonaler Seite eine physiologische Belastungsreaktion bei äußerst mangelhaftem Trainingszustand gefunden.

Als Diagnosen wurden benannt: Zustand nach Lungenembolie und nach tiefer Beinvenenthrombose links, bronchiale Hyperreagibilität bei Hausstaubmilbenallergie, Ausschluss eines Asthma bronchiale, reaktive Depression nach Embolien, Adipositas, arterielle essentielle Hypertonie in Ruhe und unter Belastung, Dorsalgie bei Lendenwirbelsäulensyndrom und Zustand nach Bandscheibenvorfall, Coxarthrose rechts sowie Retropatellararthrose beidseits. Weil die Atemnot des Klägers mit den gesamten Befunden nicht sicher vereinbar gewesen sei, habe er ihn neu belastet. Eine Diffusionsstörung oder eine Belastungshypoxämie (Sauerstoffuntersättigung) habe sich dabei nicht ergeben. Insgesamt reiche die vom Kläger erlittene Embolie mit Infarktpneumonie als Erklärung für die restriktive Ventilationsstörung des Klägers nicht aus. Gleichzeitig sei zu beachten, dass der Kläger bei den Provokationsuntersuchungen nach Belastung im Rahmen der Vitalkapazität noch habe Reserven mobilisieren können. In Zusammenhang mit der Hausstaubmilbenallergie könne ein leichtes Asthma bronchiale vermutet werden, welches einen Teil der Atemnotsbeschwerden erklären könne. Dazu kämen die Belastungshypertonie und die Adipositas. Seines Erachtens sei ein GdB von 50 gerechtfertigt.

In seiner vä Stellungnahme für die Beklagte vom 11.06.2003 widersprach Medizinaldirektor (MedDir) D. der gutachterlichen Einschätzung. Zum einen zeigten die Fluß- und Volumendiagramme deutlich mitarbeitsabhängige Schwankungen, die auch Dr. W.-C. erwähne. Zum zweiten würden widersprüchliche Befunde mitgeteilt. Der Gutachter beschreibe am Ende der Provokation eine Verbesserung der Vital- und Totalkapazität und - wie MedDir D. betont - besonders auffällig eine Verbesserung des FEV1. Hier habe das Gegenteil erwartet werden müssen, denn je höher der Atemwegswiderstand, desto geringer sei in der Regel dieser Wert, weil gegen den erhöhten Atemwegswiderstand weniger schnell ausgeatmet werden könne. Entsprechend würden der Atemwegswiderstand und der spezifische Atemwegswiderstand auch als normal beschrieben. Unter diesen Umständen könne der angegebene GdB von 50 nicht nachvollzogen werden.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.02.2003 hielt der Gutachter Dr. W.-C. an seiner gutachterlichen Einschätzung fest. In den AHP werde der GdB bei Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades auf 50 bis 70 eingeschätzt. Aufgrund des mitarbeitsabhängigen guten Spirometriewertes habe er seinerseits nur den hier niedrigeren Wert, also 50, zugrunde gelegt. Die Bestimmung des relativ niedrigen thorakalen Gasvolumens zusammen mit der niedrigen Vitalkapazität ergebe durchaus eine niedrige Totalkapazität. Insofern sei von einer realistischen restriktiven Ventilationsstörung auch bei den besseren Funktionsergebnissen des Klägers auszugehen. Die Funktionseinschränkung sei nach wie vor mittleren Grades (Werte in einem Bereich zwischen 1/3 und 2/3 des Sollwertes nach den AHP). Die von dem Beklagten benannte Unschlüssigkeit liege nicht in seiner Beurteilung der Lungenfunktion oder der Epikrise, sondern am Verhalten des Klägers in den Untersuchungen, dieses habe er jedoch nach den objektiven Kriterien der AHP mitberücksichtigt.

Dr. B. widersprach dem in seiner vä Stellungnahme vom 27.11.2003: Richtig sei, dass die Vitalkapazität des Klägers entsprechend der Messwerte reduziert erscheine. Diese Werte seien jedoch nicht Ausdruck einer Lungenerkrankung, sondern beruhten offenkundig auf der eingeschränkten Kooperation des Klägers. Wenn dieser in einer Messung lediglich 30%, in einer anderen dagegen 62% des Sollwertes erreiche, werde deutlich, wie ungenügend dieser mitgearbeitet habe. Auf Basis des besten Wertes könne daher nur ein GdB von 20 bis 40 nach den AHP angenommen werden. Ein Belastungsasthma bestehe nicht. Die leichtgradige Hyperreagibilität stelle genau genommen keine messbare Behinderung dar und die Blutgase seien auch unter Belastung normal gewesen.

Das SG verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 25.06.2004 unter Änderung des Bescheides vom 05.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2002, beim Kläger einen Grad der Behinderung von 50 (ab Antragstellung) festzustellen. Zur Begründung schloss sich das SG dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Dr. W.-C. an.

Gegen das am 19.07.2004 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30.07.2004 Berufung eingelegt.

Der Senat hat den behandelnden Nervenfacharzt des Klägers Dr. G. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Der Neurologe und Psychiater Dr. G. hat dem Senat unter dem 29.09.2004 mitgeteilt, er habe in der neurologischen Untersuchung ein cervikales Reizsyndrom C 6/C7 links, Hinweise auf ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom und einen Verdacht auf essenziellen Tremor diagnostiziert. Seelische Symptome oder Beschwerden seien ihm nicht bekannt.

Der Lungenfacharzt Dr. H. hat dem Senat unter dem 07.01.2005 berichtet, er habe den Kläger seit August 2002 nicht mehr gesehen und könne daher keine sichere Beurteilung des GdB abgeben.

Auf Veranlassung des Senats hat der Chefarzt der Lungenfachklinik St. B., der Internist, Pneumologe und Allergologe Dr. S., am 04.07.2006 ein weiteres Gutachten über den Kläger erstattet. In seinem internistisch-pneumologischen Gutachten beschreibt er im Rahmen der apparativen Untersuchungen, dass er beim Kläger keinen Hinweis auf eine pulmonale Hypertonie gefunden habe. Die kapillare Blutgasanalyse habe einen altersentsprechenden Befund ergeben, ebenso die Kontrolluntersuchung. In der Bodyplethysmographie habe sich eine mittelgradige Restriktion gezeigt. Diese Untersuchung sei bei zweimaliger Kontrolle mit reproduzierbaren Ergebnissen inhaltlich voll verwertbar. Die Vitalkapazität sei mit 3,1 Litern (l) auf 67% des Solls mittelgradig reduziert, die totale Lungenkapazität mit 4,8 l ebenfalls auf gut 67% des Solls mittelgradig verringert. Eine CO-Diffusionsstörung habe sich nicht ergeben; das Ruhe-EKG biete einen altersentsprechenden Befund.

Als Diagnosen werden von Dr. S. benannt: Lungenembolie links und fraglich rechts mit ausgeprägten pleuritischen Beschwerden ohne akutes Cor pulmonale bei Unterschenkelvenenthrombose rechts im April 2001, Poplitealvenenthrombose rechts im Februar 2005 unter laufender Marcumartherapie ohne Nachweis einer erneuten Lungenembolie, thorakale Prellung nach Sturz auf eine Schreibtischkante im November 2005, Erniedrigung der Resistenz gegen aktiviertes Protein C bei Verdacht auf hereditären Defekt, bekannte isolierte BSG-Erhöhung, primäres Offenwinkelglaucom beidseits mit deutlichem Sehnervschaden links und dadurch bedingtem Gesichtsfeldausfall links (Dezember 2005), Weit-, Stab- und Alterssichtigkeit, Zustand nach Entfernung von Bindehautwucherungen auf der Hornhaut, Arthrose des rechten Hüftgelenkes und beider Kniegelenke, cervikales Reizsyndrom C 6/ C 7 rechts, mäßiggradiges Karpaltunnelsyndrom beidseits rechts mehr als links, arterielle Hypertonie und Adipositas mit einem BMI von gut 30. In der zusammenfassenden Beurteilung heißt es, im Vergleich zur Vorbegutachtung bei Dr. W.-C. im Jahr 2003 zeigten sich die Lungenfunktionsparameter jetzt etwas besser, die Restriktion (Einschränkung der Vitalkapazität und totalen Lungenkapazität) sei jedoch weiterhin mittelgradig. Diese Gesundheitsstörungen hätten eine deutliche Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit unter Belastung zur Folge. Durch die Lungenembolie im Jahr 2001 sowie die erneut unter der Marcumar-Behandlung aufgetretene Venenthrombose im Jahr 2005 befürchte der Kläger wiederholte Ereignisse dieser Art. Dabei seien auch die kardio-vaskulären Risikofaktoren des Klägers zu beachten.

Der GdB für alle Leiden werde für die Zeit ab Oktober 2001 wie folgt geschätzt: Krankheiten der Atmungsorgane wegen restriktiver Lungenerkrankung mittelschweren Grades mit Teil-GdB 50, arterielle Hypertonie leichten Grades, Zustand nach Lungenembolie mit Marcumarbehandlung mit Teil-GdB 20, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Teil-GdB 20, Arthrose des rechten Hüftgelenkes und beider Kniegelenke mit Teil-GdB 10, der Gesamt-GdB mit 50. Die zunehmende Sehbehinderung müsste, so der Sachverständige, ggf. isoliert begutachtet werden und dann in den Grad der Behinderung mit einfließen.

Der Beklagte meint, die Lungenfunktionseinschränkung des Klägers sei nach wie vor nur mit einem Teil-GdB von 20 zu beurteilen. Eine wesentliche Änderung sei im Januar 2005 eingetreten und mit dem augenfachärztlichen Befundbericht dokumentiert. Hieraus ergebe sich, dass ein weiterer Teil-GdB von 20 für unregelmäßige Gesichtsfeldausfälle berücksichtigt werden könne. In der Zusammenschau mit den übrigen Funktionsstörungen des Klägers könne nur ein Gesamt-GdB von 40 angenommen werden, was Grundlage des vom Kläger nicht angenommenen Vergleichsangebotes des Beklagten vom 13.10.2006 war. Im Übrigen vertritt der Beklagte die Auffassung, dass den Gutachten von Dr. W.-C. und Dr. S. wegen der mangelhaften Mitarbeit des Klägers nicht gefolgt werden könne.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Juni 2004 abzuändern, soweit es den GdB mit mehr als 40 festgestellt hat.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger meint, aus den eingeholten Gutachten der Lungenfachärzte Dres. W.-C. und S. ergebe sich der von ihm geltend gemachte Anspruch; außerdem müsse seine inzwischen eingetretene Sehbehinderung berücksichtigt werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Akteninhaltes wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die sozialgerichtlichen Akten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 SGG). Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird das Land in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur Reformgesetz - VRG -) vom 01.07.2004 (GBI S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen. Die Berufung des Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg ist nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, weil er Anspruch auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft hat.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind seit dem 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AHP) niedergelegt sind (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AHP haben zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken. Sie haben deshalb normähnliche Auswirkungen und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs. Die AHP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AHP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AHP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP, 19 Abs. 4, S. 26).

Hiervon ausgehend gelangt der Senat nach eigener Überprüfung mit dem SG zur Überzeugung, dass der Kläger schwerbehindert ist.

Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt gegenüber dem Ausgangsbescheid vom 6. August 1992, als dem Kläger ein GdB von 20 zuerkannt worden war, unstreitig vor. Seit dem Wirksamwerden des angefochtenen Bescheids vom 05.03.2002 steht für den Beklagten wegen der materiellen Bestandskraft (§ 177 SGG) bindend fest, dass bei dem Kläger seit 05.10.2001 ein GdB von 30 vorliegt. Hierfür ist die Arthrose des rechten Hüftgelenks und beider Kniegelenke nicht maßgeblich, da diese - so die überzeugende, als qualifizierter Parteivortrag gewerteten Stellungnahmen von Dr. K. und Dr. B. - nur einen GdB von 10 bedingt und nach den oben dargelegten Grundsätzen der AHP nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führt. Dasselbe gilt für den Bluthochdruck sowie die beiderseitige Mittelnervendruckschädigung (Carpaltunnelsyndrom) und den essenziellen Tremor. In das psychiatrische Fachgebiet fallende Funktionseinschränkungen liegen nicht vor. Wesentliche psychische Beeinträchtigungen, wie eine manifeste Depression oder nachweisbare massive Angstzustände des Klägers von Krankheitswert, hat der behandelnde Nervenfacharzt Dr. G. nicht mitgeteilt. Auch Dr. W.-C. konnte keinen Anhalt für Denkstörungen oder eine eingeschränkte Schwingungsfähigkeit feststellen. Gestritten wird nur noch darum, ob die Lungenfunktionseinschränkung des Klägers, die dem Grunde nach auch vom Beklagten anerkannt wird, statt mit einem Teil-GdB von 20 höher einzustufen ist, so dass insgesamt ein GdB von 50 seit dem Verschlechterungsantrag des Klägers vom Oktober 2001 zuzuerkennen ist. Dies ist in Übereinstimmung mit dem SG zu bejahen.

Der Senat stützt sich für seine Überzeugung, dass beim Kläger eine Erkrankung der Atmungsorgane wegen restriktiver Lungenerkrankung mittelschweren Grades mit einem Teil-GdB von 50 vorliegt, auf die übereinstimmenden Gutachten der Dres. W.-C. und S ... Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion werden bei geringem Grad (das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bei mittelschwerer Belastung; statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte, Blutgaswerte im Normbereich) mit einem GdB von 20 bis 40 bemessen. Davon geht der Beklagte in seinen vä Stellungnahmen im Fall des Klägers aus. Bei einer dauernden Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades (das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung, statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 2/3 niedriger als die Sollwerte, respiratorische Partialinsuffizienz) sehen die AHP einen GdB von 50 bis 70 vor. Dieses sich am unteren Rand der mittelschweren Lungenfunktionseinschränkung befindliche Maß der Beeinträchtigung des Klägers wird von den Gutachtern Dres. W.-C. und S. angenommen.

Da die Lungenfunktionsprüfung teilweise von der Kooperation des Probanden abhängig und nicht auszuschließen ist, dass es der Kläger zur Begründung des von ihm geltend gemachten Anspruchs oder zur Schonung an der notwendigen Mitarbeit hat fehlen lassen, misst der Senat den objektiven Messergebnissen bei den Gutachtern eine größere Bedeutung zu als mitarbeitsabhängigen Werten. Infolgedessen hat sich der Senat mehr auf die Ergebnisse der Ganzkörper- oder Bodyplethysmographie der Dres. W.-C. und S. als auf jene der stark mitarbeitsabhängigen Spirometrie mit Fluss-Volumen-Kurve konzentriert. Die Bodyplethysmographie bei Dr. S. wurde (möglicherweise bereits im Hinblick auf die vom Beklagten bestrittenen Untersuchungsergebnisse von Dr. W.-C.) zweimal kontrolliert, kam zu reproduzierbaren Ergebnissen und ist daher, wie Dr. S. zu Recht betont, inhaltlich gut verwertbar. Dr. S. kam zu dem Ergebnis, dass die Vitalkapazität des Klägers bei seiner Untersuchung mit 3,1 l ebenso wie die totale Lungenkapazität mit 4,8 l auf 2/3 des Solls mittelgradig reduziert war. Auch Dr. W.-C. hatte bei der Bestimmung des relativ niedrigen thorakalen Gasvolumens zusammen mit der niedrigen Vitalkapazität eine realistische restriktive Ventilationsstörung bei niedriger Totalkapazität angenommen. Er kam in seinem Gutachten vom 25.02.2003 auf eine Vitalkapazität von 65 Prozent des Sollwerts. Diese Messergebnisse sind besser als die Befunde des behandelnden Lungenfacharztes Dr. H. vom 27. November 2001, der in einem Arztbrief bereits damals und unbeeinflusst von der Gutachtenssituation deutliche Einschränkungen der Totallungenkapazität (damals etwa auf die Hälfte eines Gesunden herabgesunken) des Klägers erhob und damit seine noch schlechteren Ergebnisse vom Juni 2001 relativierte. Ausgehend von den AHP ist bei Messwerten der Lungenfunktionsprüfung zwischen 1/3 und 2/3 niedriger als die Sollwerte (hier mit 65 bzw. 67 Prozent bei den Dres. W.-C. und S. knapp erreicht) nicht nur eine geringgradige, sondern bereits eine mittelgradige Lungenfunktionseinschränkung mit einem GdB von 50 - 70 anzunehmen. Dres. W.-C. und S. haben zu Recht betont, dass infolge der nur eben erreichten mittelgradigen Kapazitätseinschränkung des Klägers kein Teil-GdB von über 50 gerechtfertigt erscheint.

Dies gilt umso mehr, als der Beklagte nach Auswertung der Fluss/Volumendiagramme zum Teil zu Recht Zweifel an den vom Kläger vorgebrachten Zuständen von massiver Atemnot bei kleinster Belastung und vor allem den mitarbeitsabhängigen Werten angemeldet hat. Diese Einwände des Beklagten ändern daran, dass dem Kläger die Schwerbehindereigenschaft ab Oktober 2001 zuzuerkennen ist, jedoch im Ergebnis nichts. Richtig ist, dass eine Reihe von Befunden beim Kläger Anlass zu kritischer Betrachtung gegeben hat. So hat Dr. H. im Juni 2001 eine schwere restriktive Ventilationsstörung beschrieben, die sich später bei wiederholenden Untersuchungen nicht bestätigt hat. Eine schwere Lungenfunktionsstörung lässt sich auch nicht mit dem vollständigen Rückgang der Rechtsherzüberlastungszeichen im Echokardiogramm vereinbaren, wie Dr. W.-C. bemerkt. Fraglich ist auch, inwieweit die vom Kläger als Ursache seiner Atemprobleme ausgemachte Lungenembolie in ihren Auswirkungen geeignet ist, die zum Teil als massiv dargestellte Atemnot des Klägers hervorzurufen. Bereits Dr. W.-C. hat sich mit dieser Frage aber schon kritisch auseinander gesetzt. Er hat in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass der Kläger unter einem zunehmenden, zum Teil durch seine Fettleibigkeit verursachten Zwerchfellhochstand leidet, der ihn beim Atmen einengt und zu intensiver körperlicher Schonung (absoluter Trainingsmangel) das subjektive Gefühl von Atemnot verstärkt. Dr. S. hat diese Befunde bestätigt. Desgleichen hat Dr. W.-C. kritisch angemerkt, dass der Kläger noch Reserven mobilisieren konnte, und mehr Bewegung angemahnt. Darüber hinaus haben die Blutgasanalysen bei Dr. S. altersentsprechende Normbefunde ergeben, was eher für eine Lungenfunktionseinschränkung geringen statt mittleren Grades spricht. Das gleiche gilt für die von Dr. W.-C. festgestellten Atemwegswiderstände, die als normal beschrieben wurden. Allerdings konnte auch Dr. S. eine deutliche Belastungsdyspnoe beim Kläger, also eine respiratorische Insuffizienz unter Belastung, wie für die mittelgradige Lungenfunktionseinschränkung nach den AHP erforderlich, bestätigen. Dr. W.-C. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.02.2003 bereits darauf hingewiesen, dass auch er bei seiner Beurteilung des körperlichen Untersuchungsbefundes des Klägers dessen Verhalten kritisch gewürdigt hat. In seinem Gutachten vom 25.02.2003 heißt es ausdrücklich, dass die Mitarbeit des Klägers "wechselhaft" gewesen sei. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten haben es beide Gutachter daher nicht an der kritischen Distanz zu den Angaben des Klägers fehlen lassen, sondern diese hinterfragt bzw. durch wiederholte Tests reproduzierbare Ergebnisse zugrunde gelegt. Deswegen konnte sich der Senat trotz der im einzelnen durchaus fraglichen Angaben des Klägers und seiner nicht immer ausreichenden Mitarbeit auf die Gutachtensergebnisse der Dres. W.-C. und S. stützen und diese zur Grundlage seiner Entscheidung machen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen. Nicht mehr entscheidungserheblich für dieses Verfahren, in dem es allein um die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg geht, ist, ob und inwieweit dem Kläger aufgrund seiner mittlerweile aufgetretenen Augenerkrankung bei eingeschränktem Gesichtsfeld seit Januar 2005 ein höherer GdB zuzuerkennen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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