L 6 SB 5298/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 SB 2426/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 5298/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.09.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers, insbesondere die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.

Bei dem 1946 geborenen Kläger stellte das damalige Versorgungsamt Stuttgart (VA) erstmals mit Bescheid vom 09.12.1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.1987 den GdB mit 30 fest und berücksichtigte dabei eine Gebrauchsminderung der rechten Hand bei Zustand nach Nerventransplantation und eine depressive Verstimmung bei krankhafter Fehlhaltung. Mit Bescheid vom 13.07.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.1995 lehnte der Beklagte die Höherbewertung des GdB ab und berücksichtigte dabei degenerative Wirbelsäulenveränderungen und Folgeerscheinungen, einen Zustand nach Nervus-medianus-Operation rechts, ein depressiv-neurotisches Syndrom und eine chronische Gastritis.

Am 29.09.2003 beantragte der Kläger bei dem VA die Erhöhung des GdB mit der Begründung, die Depression habe sich verschlimmert. Zusätzlich seien Rückenprobleme, Magenbeschwerden, Stuhlprobleme und Knieprobleme aufgetreten. Das VA zog den Reha-Entlassungsbericht der Schwarzwaldklinik-Orthopädie in B. K. über die stationäre Behandlung des Klägers vom 27.05. bis 25.06.2003 bei. Darin wurden die Diagnosen Lumboischialgien rechts bei Hohlrundrücken und myostatischer Insuffizienz und mäßiger Spondylose L 5/S 1, Cervikobrachialgien bei degenerativen Veränderungen und muskulären Dysbalancen, eine mittelgradige depressive Episode sowie sensible und motorische Restdefizite nach Nervendurchtrennung am distalen volaren rechten Unterarm gestellt. Nach Einholung der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme von Dr. M. vom 08.11.2003 lehnte das VA den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 17.11.2003 ab.

Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch begehrte der Kläger die Zuerkennung eines GdB von mindestens 50 mit der Begründung, er leide auch unter einer Blasenschwäche sowie unter Herzrhythmusstörungen und Bluthochdruck. Die Depressionen hätten sich durch die dazugekommenen Behinderungen verschlimmert und könnten nur noch mit sehr starken Medikamenten gemildert werden. Dr. H. kam in seiner vä Stellungnahme vom 04.03.2004 unter Berücksichtigung der Befundberichte des Augenarztes Dr. S. vom 30.12.2003, des Urologen Dr. K. vom 12.01.2004, des Neurologen und Psychiaters Dr. A. ebenfalls vom 12.01.2004 und des Hausarztes Dr. F. vom 13.02.2004 zu der Auffassung, dass sich keine Änderung der bisherigen Beurteilung begründen lasse. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2004 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 16.04.2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Zur Begründung legte er verschiedene Unterlagen aus einem Rentenverfahren vor.

Das SG hörte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen (Auskünfte des Internisten T.-V. vom 23.07.2004, des Neurologen und Psychiaters Dr. A. vom 26.07.2004, des Orthopäden Dr. H. vom 21.07.2004 sowie des Proktologen Dr. F. vom 19.10.2004). Bis auf Dr. A. teilten die gehörten behandelnden Ärzte die Einschätzung des vä Dienstes des Beklagten. Dr. A. vertrat die Auffassung, ein Teil-GdB von 20 für die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet sei als zu gering anzusehen. Der GdB auf diesem Fachgebiet sei auf 50 anzuheben.

Das SG holte das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. S. vom 22.12.2005 sowie das chirurgisch-orthopädische Gutachten von Dr. G. vom 24.11.2005 ein. Dr. G. schätzte den GdB für sämtliche Gesundheitsstörungen auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet (degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Gebrauchsminderung der rechten Hand, degenerative Veränderungen an den Hüft- und Kniegelenken) mit einem GdB von 20 ein. Dr. S. diagnostizierte beim Kläger eine langfristige depressive Symptomatik bei Dysthymie sowie eine Somatisierungsstörung. Er führte aus, der Schweregrad der depressiven Symptomatik entspreche einer stärker behindernden Störung unter zusätzlicher Berücksichtigung der Somatisierungen. Auf psychiatrischem Gebiet liege ein Teil-GdB von 30 vor, auf neurologischem Fachgebiet bestehe ein GdB von 20 wegen der Beeinträchtigung der rechten Hand nach Medianusschnittverletzung. Da sich dieser Teil-GdB mit dem orthopädischen GdB teilweise überlagere, sei insgesamt ein GdB von 40 angemessen.

Der Beklagte erklärte sich daraufhin unter Vorlage der vä Stellungnahme von Dr. W. vom 20.02.2006 bereit, im Vergleichswege einen Gesamt-GdB von 40 festzustellen. Der Kläger begehrte demgegenüber weiterhin die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und legte noch das ärztliche Attest von Dr. H. vom 15.03.2006 vor, wonach die bisherige Einschätzung der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit 10 deutlich zu niedrig sei. Aufgrund der schweren degenerativen Veränderungen mit neurologischen Ausfällen sei eine "Einzel-MdE von 20" hier sicher angemessen.

Nachdem der Kläger weitere Gesundheitsstörungen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet geltend gemacht hatte, holte das SG noch die sachverständige Zeugenauskunft des HNO-Arztes Dr. E. vom 16.05.2006 ein, der über eine geringgradige Schwerhörigkeit beidseits berichtete. Nach der vä Stellungnahme von Dr. W. vom 23.06.2006 ergibt sich daraus kein messbarer GdB. Der Kläger legte dann noch den Entlassungsbericht der Kur- und Gesundheitsanstalt "Banja-Terme-Ilidža" über eine Behandlung vom 12.07. bis 23.07.2006 vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.09.2006 - dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25.09.2006 zugestellt - verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide, den GdB ab 29.09.2003 mit 40 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, für die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers auf psychiatrischem Gebiet sei ein Teil-GdB von 30 zu berücksichtigen, für die vorliegende Bewegungseinschränkung der rechten Hand ein Teil-GdB von 20. Hinsichtlich der Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule sei ein Teil-GdB von 10 unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. G. ausreichend. Unstreitig bestehe außerdem ein Teil-GdB von 10 wegen der chronischen Magenschleimhautentzündung. Aus diesen Behinderungen ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40, weshalb der Beklagte - entsprechend seinem "Teilanerkenntnis" - zu verurteilen gewesen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 21.10.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, im letzen Jahr habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Der Blutdruck sei oft zu hoch, er leide unter Drehschwindel mit Gleichgewichtsstörung. Weiterhin leide er unter starken Kreuz- und auch Kopfschmerzen mit Ausstrahlungen, weshalb der Teil-GdB von 10 für die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule (besonders im Kreuz-, Hüft- und Kniegelenksbereich sowie auch Schulter-Arm-Syndrom) zu niedrig sei. Auch der Teil-GdB von 10 für die chronische Magenschleimhautentzündung sei zu gering.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.09.2006 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2004 zu verurteilen, den GdB ab 29.09.2003 mit mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die bisherige Beurteilung auch unter Berücksichtigung der vom Senat noch eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen für richtig und beruft sich ergänzend auf die vä Stellungnahme von Dr. W. vom 27.09.2007.

Der Senat hat die Auskünfte der behandelnden Ärzte Dr. S. (Allgemeinmedizin und Naturheilkunde) vom 19.12.2006, Dr. K. (Urologie) vom 18.07.2007 und Dr. H. (Fachärztin für Allgemeinmedizin) vom 24.09.2007 eingeholt.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat die gesetzlichen Voraussetzungen für die Feststellung des GdB durch den Beklagten zutreffend dargelegt, weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des SG Bezug genommen wird (§ 153 Abs. 2 SGG).

Rechtsgrundlage für die von dem Kläger geltend gemachte Neufeststellung ist § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Als wesentlich in diesem Sinne ist eine Änderung dann anzusehen, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. In diesem Fall ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich des Zustandes zum Zeitpunkt der bindenden Feststellung mit dem jetzigen Zustand zu ermitteln. Demnach ist vorliegend zu prüfen, ob sich im Gesundheitszustand des Klägers, wie er dem Bescheid vom 09.12.1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.1987 zugrunde gelegen hat, eine wesentliche Verschlimmerung feststellen lässt.

Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen ist hier insoweit eingetreten, als das depressiv-neurotische Syndrom sich verschlimmert hat und nunmehr einen Teil-GdB von 30 bedingt. Dies ergibt sich aus Gutachten von Dr. S ... Eine wesentliche Verschlimmerung der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet ist dagegen nicht eingetreten, wie sich aus dem Gutachten von Dr. G. ergibt. Danach sind die Funktionseinschränkungen wegen der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, der Hüft- und der Kniegelenke als leicht anzusehen. Wegen der Folgen der Schnittverletzung an der rechten Hand mit Nervendurchtrennung bestehen mittelgradige Funktionseinschränkungen, die einen GdB von 20 bedingen.

Der Senat hat ebenso wie das SG keine Bedenken, die Ergebnisse der ausführlichen Begutachtung des Klägers auf neurologisch-psychiatrischem sowie orthopädischem Fachgebiet durch die vom SG eingeholten Gutachten von Dr. S. und Dr. G. seiner Beurteilung zugrunde zulegen. Dr. S. führt nachvollziehbar aus, dass der Kläger unter einer depressiven Symptomatik bei Dysthymie leidet, die bereits mit erheblichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einhergeht und im Sinne der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AP) mit einem GdB von 30 zu bewerten ist.

Auf orthopädischem Fachgebiet steht die Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit und Belastbarkeit der rechten Hand nach Glasschnittverletzung in Bosnien im Jahr 1983 im Vordergrund. Hierfür ist ein Teil-GdB von 20 anzusetzen. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bedingt nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. S. lediglich einen Teil-GdB von 10. In Übereinstimmung mit Dr. W. in seiner vä Stellungnahme vom 20.02.2006 und dem SG hält der Senat einen Gesamt-GdB von 40 für angemessen und ausreichend. Damit ist der Verschlimmerung der depressiven Symptomatik ausreichend Rechnung getragen.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Auskünfte der behandelnden Ärzte des Klägers, die vom SG als sachverständige Zeugen gehört wurden. Insbesondere vertritt Dr. H. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 21.07.2004 die Ansicht, die bestehenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet seien als leicht bis mittelgradig einzustufen. Er führt darin weiter aus, er teile die Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten.

Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit der Begutachtung durch Dr. S. und Dr. G. so weit verschlechtert hat, dass ein höherer GdB gerechtfertigt wäre, liegen nicht vor. Diese ergeben sich insbesondere nicht aus dem ärztlichen Attest von Dr. H. vom 15.03.2006. Das Vorbringen des Klägers hierzu ist insoweit widersprüchlich, als er in der Berufungsbegründung zunächst angegeben hat, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, in der Begründung des Antrages auf Prozesskostenhilfe dagegen ausführt, er sei gesundheitlich schon seit Jahren sehr angeschlagen.

Aus den vom Senat noch eingeholten Auskünften der behandelnden Ärzte ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die bereits berücksichtigten Funktionseinschränkungen verschlechtert hätten oder dass neue Funktionseinschränkungen hinzugetreten wären, die eine Erhöhung des GdB rechtfertigten. Dr. S. hat lediglich über drei Behandlungen in Vertretung des behandelnden Arztes berichtet, bei denen er eine Eisenmangelanämie und einen erhöhten Blutdruck feststellen konnte. Der Kläger habe über Kopfschmerzen mit Schwindelattacken und depressive Verstimmung geklagt. Die Eisenmangelanämie ist medikamentös behandelbar und bedingt keinen GdB. Dies gilt auch für den Bluthochdruck, der bisher keine Folgeerscheinungen nach sich gezogen hat. Die depressive Verstimmung wurde bereits berücksichtigt. Dr. K. hat ausgeführt, dass der Kläger wegen häufigem Wasserlassen behandelt wurde. Die durchgeführten apparativen Untersuchungen hätten jeweils einen Normalbefund erbracht. Die Beschwerden hätten sich nach Medikamentengabe gebessert. Ein GdB für Gesundheitsstörungen auf urologischem Fachgebiet ist daher keinesfalls angemessen. Dr. H. hat berichtet, der Kläger habe sich Ende 2006 in ihre hausärztliche Betreuung begeben. Er habe vor allem über ständige Magenbeschwerden geklagt, woraufhin eine Magenspiegelung erfolgt sei. Nach dem von ihr beigefügten Befund von Dr. B. vom 26.04.2007 handle es sich um mehrere Ulcera das Magens und Duodenums aktuell ohne Blutungszeichen sowie eine Refluxösophagitis. Ein höherer GdB als 10 lässt sich daraus, worauf Dr. W. zutreffend hinweist, nicht ableiten, da die Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre therapierbar sind. Nach den AP Nr. 26.10 bedingen Magengeschwüre nur bei häufigeren Rezidiven und Beeinträchtigung des Ernährungs- und Kräftezustandes einen GdB von 20-30, mit Rezidiven in Abständen von zwei bis drei Jahren einen GdB von 0-10. Der bereits berücksichtigte GdB von 10 für die chronische Magenschleimhautentzündung erhöht sich somit nicht. Die beschriebenen Gesundheitsstörungen dürften im übrigen im Rahmen der von Dr. S. beschriebenen Somatisierungsstörung zu sehen sein und sich mit den Funktionseinschränkungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet bereits überschneiden.

Die Bildung des Gesamt-GdB von 40 entspricht den Vorgaben der AP Nr. 19, wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf S. 9 bis 10 der Entscheidungsgründe des Urteils vom 19.09.2006 verwiesen.

Aus den genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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