Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
16
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 16 KA 223/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zählt die Positivliste einer Sprechstundenbedarfsvereinbarung neben der Nennung einer Produktgruppe (hier „Mittel zur Kryotherapie“) zwei konkrete Medizinprodukte (hier Kohlensäureschnee und flüssigen Stickstoff) auf und ist zugleich eine öffnende Formulierung angefügt (hier „o.ä.“) ist die Verordnungsfähigkeit von Mitteln der Produktgruppe nicht auf die beiden ausdrücklich genannten Medizinprodukte beschränkt.
Der Bescheid vom 22.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.04.2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung einer Erstattungsforderung der Beklagten gegenüber der Klägerin wegen unzulässiger Verordnung des Medizinprodukts "Histofreezer" als Sprechstundenbedarf im Quartal I/2011.
Die Gesellschafter der Klägerin, Herr Dr. B. und Herr C., sind als Fachärzte für Allgemeinmedizin zugelassen. Herr Dr. B. führt die Zusatzbezeichnungen Betriebsmedizin, Chirotherapie und Sportmedizin. Herr C. führt die Zusatzbezeichnung Akkupunktur. Die Praxis besteht seit dem 01.01.2005.
Die Ärzte verordneten am 28.09.2011 "Histofreezer small St. 3", am 10.01.2011 "Histofreezer small 2P." und am 30.03.2011 "Histofreezer small DDS 170ml St.2" jeweils als Sprechstundenbedarf zu Lasten der AOK Hessen.
Mit Schreiben vom 28.03.2012 und vom 18.09.2012 beantragten die Verbände der Krankenkassen in Hessen die Überprüfung der Sprechstundenbedarfsvereinbarung und ggf. um Festsetzung eines Erstattungsbetrages.
Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 14.12.2012 über den Antrag hinsichtlich des Quartals III/2011, woraufhin diese mitteilte, Mittel zur Kryotherapie seien im aktuellen Sprechstundenbedarf ausdrücklich aufgeführt und darin Kohlensäureschnee und flüssiger Stickstoff nur beispielhaft aufgeführt. Die Verordnung sei somit lege artis erfolgt.
Mit Bescheid vom 22.11.2013 stellte die Beklagte eine Schadensersatzpflicht in Höhe von 1.525,16 Euro fest.
Zur Begründung führte sie an, die genannten Präparate seien nicht in der im Verordnungszeitraum gültigen Sprechstundenbedarfsvereinbarung als zu Lasten des Sprechstundenbedarfs verordnungsfähig aufgeführt, weshalb ein Bezug zu Lasten des Sprechstundebedarfes nicht zulässig sei. Beim Histofreezer handele es sich um ein Medizinprodukt. Der Bezug zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei grundsätzlich ausgeschlossen. Auch eine Ausnahme nach Anlage 5 der Arzneimittel-Richtlinien sei nicht gegeben. Es handele sich beim Inhalt der Sprechstundenbedarfsvereinbarung um eine Positivliste. Der Histofreezer sei nicht enthalten.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23.12.2012 Widerspruch. Zu dessen Begründung führte sie aus, Mittel zur Kryotherapie seinen im Sprechstundenbedarfsverzeichnis ausdrücklich aufgeführt. Die darin als beispielhaft aufgeführten Alternativen Kohlensäureschnee und flüssiger Stickstoff seien ausdrücklich als mögliche Beispiele genannt, keinesfalls handele es sich hier um eine abschließende Aufzählung, welche den verordneten Histofreezer zwingend als unzulässig ausschließen würde. Eine Sparte "Mittel zur Kältebetäubung der Haut" habe es zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gegeben und sei erst mit Wirkung vom 01.10.2012 zugesetzt worden. Dass das Mittel unter einem Eigennamen vertrieben werde sei auch kein Ausschlussgrund. Darüber hinaus habe die ausliefernde Apotheke die Rechtmäßigkeit des Kostenträgers zu prüfen und trage die Verantwortung für die Umsetzung des Sprechstundenbedarfsrezeptes. Auch sei sie, die Klägerin, erstmals mit Schreiben der Beklagten vom 14.12.2012 auf eine Beanstandung über den Bezug von Sprechstundenbedarf im Quartal III/11 unterrichtet worden. Die Krankenkassen bzw. die Beklagten seien ihrer Pflicht zur Schadensbegrenzung durch unangemessenen Verzug nicht nachgekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2014 half die Beklagte insoweit ab, dass sie den Ausgangsbescheid bezogen auf die Festsetzung für Quartal III/2011 aufhob. Im Übrigen, also bezogen auf die Festsetzung für das Quartal I/2011, wies sie den Widerspruch zurück.
Zur Begründung führte sie, bezogen auf das Quartal I/2011 aus, die gültige Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung vom 07.11.1994 in der Fassung vom 01.07.2005 regele in § 2 Abs. 1, dass die in den Anlagen zu dieser Vereinbarung aufgeführten Arzneimittel, Verbandmittel, Instrumente, Gegenstände und Materialien als Sprechstundenbedarf im Sinne der Allgemeinen Bestimmungen A 1, Teil A, Punkt 4 EBM 96 verordnet werden dürften. Als Sprechstundenbedarf gelten hiernach nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Versicherten Verwendung finden oder bei Notfällen sowie im Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff bei mehr als einem Patienten zur Verfügung stehen müssten.
Die als Sprechstundenbedarf verordnungsfähigen Arzneimittel seien in der Anlage 1 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung unter Punkt 6 unter den Gliederungspunkten 6.1 "Arzneimittel für Notfälle und zur Sofortbehandlung" und 6.2 "Sonstige Arzneimittel" im Einzelnen aufgeführt. Unter Punkt 6.2, 2. Spiegelstrich, würden Mittel zur Kryotherapie der Haut (Kohlensäureschnee, flüssiger Stickstoff o.ä.) genannt. Bei Histofreezer handele es sich um ein Mittel zur Kryotherapie der Haut. Allerdings seien gemäß § 1 Abs. 3 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung die Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) in ihrer jeweils gültigen Fassung bei der Verordnung des Sprechstundenbedarfs entsprechend anzuwenden. Histofreezer sei ein Medizinprodukt. Die nach der Arzneimittel-Richtlinie verordnungsfähigen Medizinprodukte seien gemäß § 27 Abs. 8, Abschnitt J des Besonderen Teils abschließend in der Übersicht der Anlage V der Arzneimittel-Richtlinien aufgeführt. Histofreezer werde in dieser Positivliste nicht aufgeführt. Daher sei eine Verordnung von zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung im Quartal I/2011 nicht möglich. Die Erstattungsforderung für das Quartal I/2011 sei daher rechtmäßig.
Die Erstattungsforderung sei auch noch nicht verjährt. Die AOK habe ihren Antrag rechtzeitig innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Ausstellungsquartals der Verordnung gestellt. Die Forderung habe daher im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung gegenüber der Klägerin geltend gemacht werden dürfen. Die Verjährungsfrist von vier Jahren sei zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Forderung am 22.11.2013 noch nicht abgelaufen gewesen.
Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass die in den streitgegenständlichen Quartalen gültige Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung eine Beratungsverpflichtung der KV Hessen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigstellung von unzulässigen Verordnungen im Sprechstundenbedarf nicht vorsehe.
Die Klägerin hat am 14.05.2014 Klage erhoben.
Sie meint, die Verordnung des Histofreezers im streitbefangenen Quartal sei zulässig gewesen und wiederholt im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und ergänzt, dass die Argumentation der Beklagten im Hinblick auf eine Differenzierung der Quartal I/2011 und III/2011 widersprüchlich sei.
Sie meint im Übrigen, eine Unterscheidung in "Mittel zur Kryotherapie" und "Mittel zur Kältebetäubung der Haut" sehe die einschlägige SSB-Vereinbarung nicht vor. Auch werde weder in der Fachliteratur noch in der Praxis eine solche Differenzierung vorgenommen. Schließlich werde Dimethylether (z.B. als Histofreezer) standardmäßig beispielsweise zur Kryotherapie von Warzen eingesetzt.
Sinngemäß trägt sie weiter vor, der Wortlaut von Anlage 1, Unterabschnitt 6.2., zweiter Spiegelstrich sei auch offen formuliert.
Außerdem habe die Krankenkasse durch Erstattung der Kosten des Histofreezers gegenüber der abgebenden Apotheke konkludent dessen Berechtigung anerkannt. Die Klägerin meint, es lägen Verstöße gegen das Bürgerliche Gesetzbuch und das Grundgesetz vor. Allenfalls sei die Apotheke in Regress zu nehmen. Zudem habe Vertrauensschutz zu ihren, der Klägerin Gunsten bestanden.
Der Kläger hat keinen Antrag formuliert und war in der mündlichen Verhandlung weder anwesend noch vertreten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Verordnungsfähigkeit des Medizinprodukts Histofreezer sei ihm Rahmen des Sprechstundenbedarfs nicht gegeben und verweist hierzu auf die entsprechenden Vorschriften der Vereinbarung über die vertragsärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf zwischen der Beklagten und den Krankenkassen vom 07.11.1994, gültig ab 01.01.1995, Stand Juli 2005 (im Folgenden SSB-Vereinbarung).
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat gem. § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Entscheidung konnte trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen ergehen, weil diese ordnungsgemäß geladen und gem. § 110 Abs. 1 SGG auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.
Das Begehren der Klägerin war gem. § 123 SGG auszulegen. Zutreffende Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Denn ersichtlich richtet sie ihre Klage gegen den sie belastenden Verwaltungsakt vom 22.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.04.2014 und strebt dessen Beseitigung an.
Diese Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden, auch ist das Sozialgericht Marburg zuständig.
Die Klage ist weiterhin begründet. Denn der Bescheid vom 22.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide ist § 1 Abs. 4 Satz 3 der Vereinbarung über die vertragsärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf vom 07.11.1994, gültig ab 01.01.1995 (im Folgenden SSBV).
Demnach ist die Beklagte zuständig für den vorgenommenen Regress; dies übrigens unbeachtlich der Zuständigkeiten der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB V (vgl. hierzu SG Marburg, Urteil vom 10.12.2014, S 12 KA 271/14, Rn. 19, juris, S 12 KA 271/14; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 26.01.2005, L 1 KA 30/02, Rn. 51, juris, mwN).
Die angefochtenen Bescheide widersprechen aber den rechtlichen Vorgaben.
Nach § 1 sind die Kosten bzw. Mehrkosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass andere als die nach dieser Vereinbarung zulässigen Mittel als Sprechstundenbedarf verordnet werden. Entsprechende Korrekturen sollen bei der Prüfung der Rechnungslegung vorgenommen werden. Scheidet diese Möglichkeit aus, sind auf Antrag der AOK Hessen die Kosten von aber von der Beklagten im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung festzustellen und vom Vertragsarzt zu erstatten. Anträge auf Erstattung können nur innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Ausstellungsquartales der Verordnung gestellt werden und der betroffene Arzt soll zeitnah über die Einleitung eines Verfahrens informiert werden.
Die Verordnung von Histofreezer war aber zulässig.
§ 2 Abs. 1 SSBV lautet: "Die Ärzte können als Sprechstundenbedarf im Sinne der Allgemeinen Bestimmungen A I.4. des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) die in den Anlagen zu dieser Vereinbarung aufgeführten Arzneimittel, Verbandmittel, Instrumente, Gegenstände und Materialien verordnen. Als Sprechstundenbedarf gelten hiernach nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Versicherten Verwendung finden oder bei Notfällen sowie im Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff bei mehr als einem Patienten zur Verfügung stehen müssen."
In Anlage 1, Unterabschnitt 6.2. der SSBV ist unter dem Titel "SONSTIGE ARZNEIMITTEL" wörtlich aufgeführt. "Mittel zur Kryotherapie der Haut (Kohlensäureschnee, flüssiger Stickstoff o.ä.)".
Unter die damit normierte Verordnungserlaubnis fällt auch der von den beiden der Klägerin zugehörigen Ärzten verordnete Histofreezer. Die neben dem Vorsitzenden mit zwei Vertragsärzten medizinisch fachkundig besetzte Kammer gelangt zu dieser Feststellung aufgrund der von der Klägerin zutreffend vorgetragenen Erwägung, dass die Aufzählung in Anlage 1, Unterabschnitt 6.2. SSBV nicht abschließend ist und es sich bei Histofreezer, jedenfalls im Wege der Normauslegung, zum einen um ein Mittel zu Kryotherapie der Haut und zum anderen um etwas "Ähnliches" wie Kohlensäureschnee und flüssigen Stickstoff handelt.
Zunächst folgt aus der Auslegung des entsprechenden Passus der SSBV, dass es sich gerade nicht, wie die Beklagte meint, um eine abschließende Aufzählung handelt.
Die Auslegung hat in Anlehnung an §§ 133, 157 BGB nach allgemeinen Grundsätzen so zu erfolgen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (statt vieler: BGH, Urteil vom 12.03.1992, IX ZR 141/91, NJW 1992, 1446 f.; näher hierzu etwa: MüKoBGB/Busche BGB § 133, Rn. 17-18). Es ist darauf abzustellen, wie ein objektiver Dritter bei vernünftiger Beurteilung der ihm bekannten oder erkennbaren Umstände die vom Erklärenden gewählten Ausdrucksformen hätte verstehen können und müssen (statt vieler: BGHZ 36, 33 = NJW 1961, 2251). Der Empfänger muss sich zwar in den Grenzen zumutbarer Sorgfalt unter Berücksichtigung aller ihm erkennbarer Umstände bemühen, die Erklärung so zu verstehen, wie sie der Erklärende gemeint hat (vgl. etwa BGH Urteil vom 21.05. 2008, IV ZR 238/06, NJW 2008, 2702, 2704), ist aber nicht verpflichtet, gleichwohl noch bestehende Unklarheiten durch Nachfrage beim Erklärenden zu beseitigen (vgl. etwa BGH Urteil vom 12.09.2013, VII ZR 227/11, NJW 2013, 3511, 3513).
Bei verständiger Würdigung versteht ein objektiver Dritter unter dem Passus "Mittel zur Kryotherapie der Haut (Kohlensäureschnee, flüssiger Stickstoff o.ä.)", dass solche Mittel zur Kryotherapie der Haut, die etwas Ähnliches wie Kohlensäureschnee oder flüssigen Stickstoff darstellen gleichermaßen verordnungsfähig sind, wie die beiden vorgenannten Stoffe selbst. Denn "o.ä." wird im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch als Abkürzung für "oder ähnliches" verwandt und es gibt vorliegend auch keine erkennbare mögliche Alternativbedeutung.
Weiterhin handelt es sich bei Histofreezer, jedenfalls im Sinne der Norm nach Auslegung derselben, um etwas Ähnliches wie Kohlensäureschnee und flüssigen Stickstoff. Dies hat die Kammer aus eigenem medizinischem Sachverstand entschieden. Dem lagen vor allem die Erwägungen zu Grunde, dass erfahrungsgemäß die beiden Stoffe ein mindestens überlappendes Anwendungsspektrum aufweisen und der Histofreezer unter die Begrifflichkeit "Mittel zur Kryotherapie der Haut" zu fassen ist. Denn nach Auffassung der Kammer stellen Kryotherapie und Kryochirurgie zwei medizinische Ausdrücke dar, die nach dem Verständnis in Arztkreisen beide für eine Vereisungsbehandlung stehen.
Die demgegenüber in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten geäußerte Auffassung, der Histofreezer sei nur unter den Bereich der Kryochirurgie zu fassen, weil er unter diesem Begriff auf der Internetseite des Herstellers (www.histofreezer.de) beworben werde, überzeugt nicht. Zwar äußert der Hersteller nicht nur diese Werbeaussage, sondern hat auch in seinem vom Gericht von Amts wegen beigezogenen EG-Sicherheitsdatenblatt (Version 1.0.0 / D, Stand: 23.08.2007) die Bezeichnung "Tragbares Kryochirurgisches System" angegeben. Allerdings gibt der Hersteller auf derselben Internetseite zugleich an, dass der Histofreezer zur Anwendung in chirurgischen und dermatologischen Praxen geeignet sei, die nicht über flüssigen Stickstoff verfügten. Mithin stellt der Hersteller dieses Medizinprodukt als Alternative zum flüssigen Stickstoff und damit als etwas Ähnliches dar. Zudem sind im der Kammer im Rahmen der Beratung vorliegenden Pschyrembel Medizinisches Wörterbuch (hier 257. Auflage 1994) Kohlensäureschnee und Stickstoff als Mittel der Kryochirurgie aufgeführt. Wenn aber in der SSBV Kohlensäureschnee und Stickstoff als Mittel der Kryotherapie einordnet werden, ist anzunehmen, dass auch die Vertragspartner der SSBV bei Kryotherapie und Kryochirurgie von zwei medizinischen Ausdrücken ausgehen, die beide für eine Vereisungsbehandlung stehen. Jedenfalls kann der objektive Adressat der Norm, auf den es wie dargelegt ankommt, nicht annehmen, dass der Histofreezer nicht erfasst sei.
In dieser Sichtweise sieht sich die Kammer, ohne dass diese Erwägung tragend wäre, im Übrigen dadurch bestätigt, dass die Beklagte im Laufe des Gerichtsverfahrens noch selber die Auffassung vertreten hatte, es handele sich bei Histofreezer um ein Medizinprodukt zur Kryotherapie der Haut, dessen Anwendungsgebiet die lokale Kä[l]teanästhesie (Vereisung), vorwiegend bei kleinen chirurgischen Eingriffen (z.B. Warzenentfernung) sei (vgl. Bl. 17 der Gerichtsakte).
Dass das Mittel Histofreezer einen höheren Verkaufspreis haben mag, als dies bei den anderen beiden Mitteln der Fall sein mag, wie die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, ist ohne Relevanz, weil im Kontext der Mittelauswahl zum Sprechstundenbedarf dem Vertragsarzt keine Wirtschaftlichkeitsprüfung auferlegt wird, sondern er aus den verordnungsfähigen Mitteln wählen darf.
Schließlich steht auch § 1 Abs. 3 SSBV diesen Feststellungen nicht entgegen. Demnach sind die Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) sowie alle einschlägigen Gesetze, Verordnungen (insbesondere die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung) und Vereinbarungen über die Verschreibung von Arzneimitteln sind in ihrer jeweils gültigen Fassung bei der Verordnung des Sprechstundenbedarfs entsprechend anzuwenden.
In der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL) in der Fassung vom 18. Dezember 2008/22.Januar 2009 veröffentlicht im Bundesanzeiger 2009 Nr. 49a in der hier maßgeblichen Änderungsfassung heißt es in § 27 Abs. 8 Satz 1: Die nach dieser Richtlinie verordnungsfähigen Medizinprodukte sind abschließend in einer Übersicht als Anlage V dieser Richtlinie aufgeführt. In der genannten Anlage ist der Histofreezer nicht aufgeführt. Allerdings sind dort auch Kohlensäureschnee und flüssiger Stickstoff, ebenfalls Medizinprodukte, nicht aufgeführt. Durch deren Aufnahme in die SSBV lassen die Vertragspartner der Vereinbarung erkennen, dass sie Ausnahmen von unter anderem der AM-RL einräumen, was auch konsequent in der Anordnung lediglich "entsprechender" Anwendung seinen Niederschlag findet.
Weiterhin konsequent eröffnen die Vertragspartner aber solche Ausnahmen nicht nur durch die wörtliche Benennung von bestimmten Medizinprodukten, sondern auch durch die Anfügung der Bezeichnung "o.ä.", mit dem sie einer nicht näher benannten, aber im Wege der Auslegung gleichwohl bestimmbaren Gruppe von Mitteln die Verordnungsfähigkeit verleihen. Dass der Histofreezer hierunter fällt, ergibt sich aus den oben stehenden Ausführungen.
Schließlich kann sich die Beklagte dieser Feststellung auch nicht mit der erst in die mündliche Verhandlung eingeführten Argumentation entziehen, es handele sich bei der Anfügung "o.ä." um einen Redaktionsfehler. Wie die oben erläuterten Auslegungsregeln ergeben, ist auf den durchschnittlichen Vertragsarzt abzustellen, der vernünftigerweise von einer Öffnungsklausel ausgehen kann. Dies gilt im Besonderen, weil die SSBV auch an anderen Stellen abstrakte Aufzählungen wählt, statt abschließend konkrete Produktbezeichnungen zu verwenden.
Auf die weiteren klägerischen Argumente, insbesondere Ableitungen aus der Abhilfeentscheidung der Beklagten für das Quartal III/2011, der vermeintlichen Verantwortlichkeit der Apotheke und dem Aspekt des vermeintlichen Vertrauensschutzes, die allerdings nicht zu einem Obsiegen geführt hätten, kam es nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung einer Erstattungsforderung der Beklagten gegenüber der Klägerin wegen unzulässiger Verordnung des Medizinprodukts "Histofreezer" als Sprechstundenbedarf im Quartal I/2011.
Die Gesellschafter der Klägerin, Herr Dr. B. und Herr C., sind als Fachärzte für Allgemeinmedizin zugelassen. Herr Dr. B. führt die Zusatzbezeichnungen Betriebsmedizin, Chirotherapie und Sportmedizin. Herr C. führt die Zusatzbezeichnung Akkupunktur. Die Praxis besteht seit dem 01.01.2005.
Die Ärzte verordneten am 28.09.2011 "Histofreezer small St. 3", am 10.01.2011 "Histofreezer small 2P." und am 30.03.2011 "Histofreezer small DDS 170ml St.2" jeweils als Sprechstundenbedarf zu Lasten der AOK Hessen.
Mit Schreiben vom 28.03.2012 und vom 18.09.2012 beantragten die Verbände der Krankenkassen in Hessen die Überprüfung der Sprechstundenbedarfsvereinbarung und ggf. um Festsetzung eines Erstattungsbetrages.
Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 14.12.2012 über den Antrag hinsichtlich des Quartals III/2011, woraufhin diese mitteilte, Mittel zur Kryotherapie seien im aktuellen Sprechstundenbedarf ausdrücklich aufgeführt und darin Kohlensäureschnee und flüssiger Stickstoff nur beispielhaft aufgeführt. Die Verordnung sei somit lege artis erfolgt.
Mit Bescheid vom 22.11.2013 stellte die Beklagte eine Schadensersatzpflicht in Höhe von 1.525,16 Euro fest.
Zur Begründung führte sie an, die genannten Präparate seien nicht in der im Verordnungszeitraum gültigen Sprechstundenbedarfsvereinbarung als zu Lasten des Sprechstundenbedarfs verordnungsfähig aufgeführt, weshalb ein Bezug zu Lasten des Sprechstundebedarfes nicht zulässig sei. Beim Histofreezer handele es sich um ein Medizinprodukt. Der Bezug zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei grundsätzlich ausgeschlossen. Auch eine Ausnahme nach Anlage 5 der Arzneimittel-Richtlinien sei nicht gegeben. Es handele sich beim Inhalt der Sprechstundenbedarfsvereinbarung um eine Positivliste. Der Histofreezer sei nicht enthalten.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23.12.2012 Widerspruch. Zu dessen Begründung führte sie aus, Mittel zur Kryotherapie seinen im Sprechstundenbedarfsverzeichnis ausdrücklich aufgeführt. Die darin als beispielhaft aufgeführten Alternativen Kohlensäureschnee und flüssiger Stickstoff seien ausdrücklich als mögliche Beispiele genannt, keinesfalls handele es sich hier um eine abschließende Aufzählung, welche den verordneten Histofreezer zwingend als unzulässig ausschließen würde. Eine Sparte "Mittel zur Kältebetäubung der Haut" habe es zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gegeben und sei erst mit Wirkung vom 01.10.2012 zugesetzt worden. Dass das Mittel unter einem Eigennamen vertrieben werde sei auch kein Ausschlussgrund. Darüber hinaus habe die ausliefernde Apotheke die Rechtmäßigkeit des Kostenträgers zu prüfen und trage die Verantwortung für die Umsetzung des Sprechstundenbedarfsrezeptes. Auch sei sie, die Klägerin, erstmals mit Schreiben der Beklagten vom 14.12.2012 auf eine Beanstandung über den Bezug von Sprechstundenbedarf im Quartal III/11 unterrichtet worden. Die Krankenkassen bzw. die Beklagten seien ihrer Pflicht zur Schadensbegrenzung durch unangemessenen Verzug nicht nachgekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2014 half die Beklagte insoweit ab, dass sie den Ausgangsbescheid bezogen auf die Festsetzung für Quartal III/2011 aufhob. Im Übrigen, also bezogen auf die Festsetzung für das Quartal I/2011, wies sie den Widerspruch zurück.
Zur Begründung führte sie, bezogen auf das Quartal I/2011 aus, die gültige Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung vom 07.11.1994 in der Fassung vom 01.07.2005 regele in § 2 Abs. 1, dass die in den Anlagen zu dieser Vereinbarung aufgeführten Arzneimittel, Verbandmittel, Instrumente, Gegenstände und Materialien als Sprechstundenbedarf im Sinne der Allgemeinen Bestimmungen A 1, Teil A, Punkt 4 EBM 96 verordnet werden dürften. Als Sprechstundenbedarf gelten hiernach nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Versicherten Verwendung finden oder bei Notfällen sowie im Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff bei mehr als einem Patienten zur Verfügung stehen müssten.
Die als Sprechstundenbedarf verordnungsfähigen Arzneimittel seien in der Anlage 1 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung unter Punkt 6 unter den Gliederungspunkten 6.1 "Arzneimittel für Notfälle und zur Sofortbehandlung" und 6.2 "Sonstige Arzneimittel" im Einzelnen aufgeführt. Unter Punkt 6.2, 2. Spiegelstrich, würden Mittel zur Kryotherapie der Haut (Kohlensäureschnee, flüssiger Stickstoff o.ä.) genannt. Bei Histofreezer handele es sich um ein Mittel zur Kryotherapie der Haut. Allerdings seien gemäß § 1 Abs. 3 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung die Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) in ihrer jeweils gültigen Fassung bei der Verordnung des Sprechstundenbedarfs entsprechend anzuwenden. Histofreezer sei ein Medizinprodukt. Die nach der Arzneimittel-Richtlinie verordnungsfähigen Medizinprodukte seien gemäß § 27 Abs. 8, Abschnitt J des Besonderen Teils abschließend in der Übersicht der Anlage V der Arzneimittel-Richtlinien aufgeführt. Histofreezer werde in dieser Positivliste nicht aufgeführt. Daher sei eine Verordnung von zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung im Quartal I/2011 nicht möglich. Die Erstattungsforderung für das Quartal I/2011 sei daher rechtmäßig.
Die Erstattungsforderung sei auch noch nicht verjährt. Die AOK habe ihren Antrag rechtzeitig innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Ausstellungsquartals der Verordnung gestellt. Die Forderung habe daher im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung gegenüber der Klägerin geltend gemacht werden dürfen. Die Verjährungsfrist von vier Jahren sei zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Forderung am 22.11.2013 noch nicht abgelaufen gewesen.
Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass die in den streitgegenständlichen Quartalen gültige Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung eine Beratungsverpflichtung der KV Hessen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigstellung von unzulässigen Verordnungen im Sprechstundenbedarf nicht vorsehe.
Die Klägerin hat am 14.05.2014 Klage erhoben.
Sie meint, die Verordnung des Histofreezers im streitbefangenen Quartal sei zulässig gewesen und wiederholt im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und ergänzt, dass die Argumentation der Beklagten im Hinblick auf eine Differenzierung der Quartal I/2011 und III/2011 widersprüchlich sei.
Sie meint im Übrigen, eine Unterscheidung in "Mittel zur Kryotherapie" und "Mittel zur Kältebetäubung der Haut" sehe die einschlägige SSB-Vereinbarung nicht vor. Auch werde weder in der Fachliteratur noch in der Praxis eine solche Differenzierung vorgenommen. Schließlich werde Dimethylether (z.B. als Histofreezer) standardmäßig beispielsweise zur Kryotherapie von Warzen eingesetzt.
Sinngemäß trägt sie weiter vor, der Wortlaut von Anlage 1, Unterabschnitt 6.2., zweiter Spiegelstrich sei auch offen formuliert.
Außerdem habe die Krankenkasse durch Erstattung der Kosten des Histofreezers gegenüber der abgebenden Apotheke konkludent dessen Berechtigung anerkannt. Die Klägerin meint, es lägen Verstöße gegen das Bürgerliche Gesetzbuch und das Grundgesetz vor. Allenfalls sei die Apotheke in Regress zu nehmen. Zudem habe Vertrauensschutz zu ihren, der Klägerin Gunsten bestanden.
Der Kläger hat keinen Antrag formuliert und war in der mündlichen Verhandlung weder anwesend noch vertreten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Verordnungsfähigkeit des Medizinprodukts Histofreezer sei ihm Rahmen des Sprechstundenbedarfs nicht gegeben und verweist hierzu auf die entsprechenden Vorschriften der Vereinbarung über die vertragsärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf zwischen der Beklagten und den Krankenkassen vom 07.11.1994, gültig ab 01.01.1995, Stand Juli 2005 (im Folgenden SSB-Vereinbarung).
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat gem. § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Entscheidung konnte trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen ergehen, weil diese ordnungsgemäß geladen und gem. § 110 Abs. 1 SGG auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.
Das Begehren der Klägerin war gem. § 123 SGG auszulegen. Zutreffende Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Denn ersichtlich richtet sie ihre Klage gegen den sie belastenden Verwaltungsakt vom 22.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.04.2014 und strebt dessen Beseitigung an.
Diese Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden, auch ist das Sozialgericht Marburg zuständig.
Die Klage ist weiterhin begründet. Denn der Bescheid vom 22.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide ist § 1 Abs. 4 Satz 3 der Vereinbarung über die vertragsärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf vom 07.11.1994, gültig ab 01.01.1995 (im Folgenden SSBV).
Demnach ist die Beklagte zuständig für den vorgenommenen Regress; dies übrigens unbeachtlich der Zuständigkeiten der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB V (vgl. hierzu SG Marburg, Urteil vom 10.12.2014, S 12 KA 271/14, Rn. 19, juris, S 12 KA 271/14; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 26.01.2005, L 1 KA 30/02, Rn. 51, juris, mwN).
Die angefochtenen Bescheide widersprechen aber den rechtlichen Vorgaben.
Nach § 1 sind die Kosten bzw. Mehrkosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass andere als die nach dieser Vereinbarung zulässigen Mittel als Sprechstundenbedarf verordnet werden. Entsprechende Korrekturen sollen bei der Prüfung der Rechnungslegung vorgenommen werden. Scheidet diese Möglichkeit aus, sind auf Antrag der AOK Hessen die Kosten von aber von der Beklagten im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung festzustellen und vom Vertragsarzt zu erstatten. Anträge auf Erstattung können nur innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Ausstellungsquartales der Verordnung gestellt werden und der betroffene Arzt soll zeitnah über die Einleitung eines Verfahrens informiert werden.
Die Verordnung von Histofreezer war aber zulässig.
§ 2 Abs. 1 SSBV lautet: "Die Ärzte können als Sprechstundenbedarf im Sinne der Allgemeinen Bestimmungen A I.4. des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) die in den Anlagen zu dieser Vereinbarung aufgeführten Arzneimittel, Verbandmittel, Instrumente, Gegenstände und Materialien verordnen. Als Sprechstundenbedarf gelten hiernach nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Versicherten Verwendung finden oder bei Notfällen sowie im Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff bei mehr als einem Patienten zur Verfügung stehen müssen."
In Anlage 1, Unterabschnitt 6.2. der SSBV ist unter dem Titel "SONSTIGE ARZNEIMITTEL" wörtlich aufgeführt. "Mittel zur Kryotherapie der Haut (Kohlensäureschnee, flüssiger Stickstoff o.ä.)".
Unter die damit normierte Verordnungserlaubnis fällt auch der von den beiden der Klägerin zugehörigen Ärzten verordnete Histofreezer. Die neben dem Vorsitzenden mit zwei Vertragsärzten medizinisch fachkundig besetzte Kammer gelangt zu dieser Feststellung aufgrund der von der Klägerin zutreffend vorgetragenen Erwägung, dass die Aufzählung in Anlage 1, Unterabschnitt 6.2. SSBV nicht abschließend ist und es sich bei Histofreezer, jedenfalls im Wege der Normauslegung, zum einen um ein Mittel zu Kryotherapie der Haut und zum anderen um etwas "Ähnliches" wie Kohlensäureschnee und flüssigen Stickstoff handelt.
Zunächst folgt aus der Auslegung des entsprechenden Passus der SSBV, dass es sich gerade nicht, wie die Beklagte meint, um eine abschließende Aufzählung handelt.
Die Auslegung hat in Anlehnung an §§ 133, 157 BGB nach allgemeinen Grundsätzen so zu erfolgen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (statt vieler: BGH, Urteil vom 12.03.1992, IX ZR 141/91, NJW 1992, 1446 f.; näher hierzu etwa: MüKoBGB/Busche BGB § 133, Rn. 17-18). Es ist darauf abzustellen, wie ein objektiver Dritter bei vernünftiger Beurteilung der ihm bekannten oder erkennbaren Umstände die vom Erklärenden gewählten Ausdrucksformen hätte verstehen können und müssen (statt vieler: BGHZ 36, 33 = NJW 1961, 2251). Der Empfänger muss sich zwar in den Grenzen zumutbarer Sorgfalt unter Berücksichtigung aller ihm erkennbarer Umstände bemühen, die Erklärung so zu verstehen, wie sie der Erklärende gemeint hat (vgl. etwa BGH Urteil vom 21.05. 2008, IV ZR 238/06, NJW 2008, 2702, 2704), ist aber nicht verpflichtet, gleichwohl noch bestehende Unklarheiten durch Nachfrage beim Erklärenden zu beseitigen (vgl. etwa BGH Urteil vom 12.09.2013, VII ZR 227/11, NJW 2013, 3511, 3513).
Bei verständiger Würdigung versteht ein objektiver Dritter unter dem Passus "Mittel zur Kryotherapie der Haut (Kohlensäureschnee, flüssiger Stickstoff o.ä.)", dass solche Mittel zur Kryotherapie der Haut, die etwas Ähnliches wie Kohlensäureschnee oder flüssigen Stickstoff darstellen gleichermaßen verordnungsfähig sind, wie die beiden vorgenannten Stoffe selbst. Denn "o.ä." wird im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch als Abkürzung für "oder ähnliches" verwandt und es gibt vorliegend auch keine erkennbare mögliche Alternativbedeutung.
Weiterhin handelt es sich bei Histofreezer, jedenfalls im Sinne der Norm nach Auslegung derselben, um etwas Ähnliches wie Kohlensäureschnee und flüssigen Stickstoff. Dies hat die Kammer aus eigenem medizinischem Sachverstand entschieden. Dem lagen vor allem die Erwägungen zu Grunde, dass erfahrungsgemäß die beiden Stoffe ein mindestens überlappendes Anwendungsspektrum aufweisen und der Histofreezer unter die Begrifflichkeit "Mittel zur Kryotherapie der Haut" zu fassen ist. Denn nach Auffassung der Kammer stellen Kryotherapie und Kryochirurgie zwei medizinische Ausdrücke dar, die nach dem Verständnis in Arztkreisen beide für eine Vereisungsbehandlung stehen.
Die demgegenüber in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten geäußerte Auffassung, der Histofreezer sei nur unter den Bereich der Kryochirurgie zu fassen, weil er unter diesem Begriff auf der Internetseite des Herstellers (www.histofreezer.de) beworben werde, überzeugt nicht. Zwar äußert der Hersteller nicht nur diese Werbeaussage, sondern hat auch in seinem vom Gericht von Amts wegen beigezogenen EG-Sicherheitsdatenblatt (Version 1.0.0 / D, Stand: 23.08.2007) die Bezeichnung "Tragbares Kryochirurgisches System" angegeben. Allerdings gibt der Hersteller auf derselben Internetseite zugleich an, dass der Histofreezer zur Anwendung in chirurgischen und dermatologischen Praxen geeignet sei, die nicht über flüssigen Stickstoff verfügten. Mithin stellt der Hersteller dieses Medizinprodukt als Alternative zum flüssigen Stickstoff und damit als etwas Ähnliches dar. Zudem sind im der Kammer im Rahmen der Beratung vorliegenden Pschyrembel Medizinisches Wörterbuch (hier 257. Auflage 1994) Kohlensäureschnee und Stickstoff als Mittel der Kryochirurgie aufgeführt. Wenn aber in der SSBV Kohlensäureschnee und Stickstoff als Mittel der Kryotherapie einordnet werden, ist anzunehmen, dass auch die Vertragspartner der SSBV bei Kryotherapie und Kryochirurgie von zwei medizinischen Ausdrücken ausgehen, die beide für eine Vereisungsbehandlung stehen. Jedenfalls kann der objektive Adressat der Norm, auf den es wie dargelegt ankommt, nicht annehmen, dass der Histofreezer nicht erfasst sei.
In dieser Sichtweise sieht sich die Kammer, ohne dass diese Erwägung tragend wäre, im Übrigen dadurch bestätigt, dass die Beklagte im Laufe des Gerichtsverfahrens noch selber die Auffassung vertreten hatte, es handele sich bei Histofreezer um ein Medizinprodukt zur Kryotherapie der Haut, dessen Anwendungsgebiet die lokale Kä[l]teanästhesie (Vereisung), vorwiegend bei kleinen chirurgischen Eingriffen (z.B. Warzenentfernung) sei (vgl. Bl. 17 der Gerichtsakte).
Dass das Mittel Histofreezer einen höheren Verkaufspreis haben mag, als dies bei den anderen beiden Mitteln der Fall sein mag, wie die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, ist ohne Relevanz, weil im Kontext der Mittelauswahl zum Sprechstundenbedarf dem Vertragsarzt keine Wirtschaftlichkeitsprüfung auferlegt wird, sondern er aus den verordnungsfähigen Mitteln wählen darf.
Schließlich steht auch § 1 Abs. 3 SSBV diesen Feststellungen nicht entgegen. Demnach sind die Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) sowie alle einschlägigen Gesetze, Verordnungen (insbesondere die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung) und Vereinbarungen über die Verschreibung von Arzneimitteln sind in ihrer jeweils gültigen Fassung bei der Verordnung des Sprechstundenbedarfs entsprechend anzuwenden.
In der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL) in der Fassung vom 18. Dezember 2008/22.Januar 2009 veröffentlicht im Bundesanzeiger 2009 Nr. 49a in der hier maßgeblichen Änderungsfassung heißt es in § 27 Abs. 8 Satz 1: Die nach dieser Richtlinie verordnungsfähigen Medizinprodukte sind abschließend in einer Übersicht als Anlage V dieser Richtlinie aufgeführt. In der genannten Anlage ist der Histofreezer nicht aufgeführt. Allerdings sind dort auch Kohlensäureschnee und flüssiger Stickstoff, ebenfalls Medizinprodukte, nicht aufgeführt. Durch deren Aufnahme in die SSBV lassen die Vertragspartner der Vereinbarung erkennen, dass sie Ausnahmen von unter anderem der AM-RL einräumen, was auch konsequent in der Anordnung lediglich "entsprechender" Anwendung seinen Niederschlag findet.
Weiterhin konsequent eröffnen die Vertragspartner aber solche Ausnahmen nicht nur durch die wörtliche Benennung von bestimmten Medizinprodukten, sondern auch durch die Anfügung der Bezeichnung "o.ä.", mit dem sie einer nicht näher benannten, aber im Wege der Auslegung gleichwohl bestimmbaren Gruppe von Mitteln die Verordnungsfähigkeit verleihen. Dass der Histofreezer hierunter fällt, ergibt sich aus den oben stehenden Ausführungen.
Schließlich kann sich die Beklagte dieser Feststellung auch nicht mit der erst in die mündliche Verhandlung eingeführten Argumentation entziehen, es handele sich bei der Anfügung "o.ä." um einen Redaktionsfehler. Wie die oben erläuterten Auslegungsregeln ergeben, ist auf den durchschnittlichen Vertragsarzt abzustellen, der vernünftigerweise von einer Öffnungsklausel ausgehen kann. Dies gilt im Besonderen, weil die SSBV auch an anderen Stellen abstrakte Aufzählungen wählt, statt abschließend konkrete Produktbezeichnungen zu verwenden.
Auf die weiteren klägerischen Argumente, insbesondere Ableitungen aus der Abhilfeentscheidung der Beklagten für das Quartal III/2011, der vermeintlichen Verantwortlichkeit der Apotheke und dem Aspekt des vermeintlichen Vertrauensschutzes, die allerdings nicht zu einem Obsiegen geführt hätten, kam es nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
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