L 8 SB 325/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 SB 8544/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 325/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. November 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers im Hinblick auf dessen Wohnsitzverlegung nach Spanien aufheben durfte. Zugleich begehrt der Kläger die Feststellung eines GdB von 100.

Der 1940 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Mit - in Ausführung des in einem Sozialgerichtsrechtsstreit abgegebenen Anerkenntnisses vom 23.01.1989 ergangenen - Bescheid vom 14.11.1989 wurde bei ihm vom Versorgungsamt O. unter Berücksichtigung chronischer Muskel- und Nervenwurzelreizerscheinungen bei degenerativen Lendenwirbelsäulen- und Bandscheibenschäden, Einäugigkeit, Bluthochdruck mit Herzbeteiligung und einer chronischen Magenschleimhautentzündung ein GdB von 60 festgestellt. Gleichzeitig wurde dem Kläger ein entsprechender Schwerbehindertenausweis ausgestellt.

Mit Schreiben vom 19.06.2004 beantragte der inzwischen in Spanien wohnende Kläger beim Versorgungsamt O. die Verlängerung seines Schwerbehindertenausweises und die Erhöhung des GdB wegen inzwischen eingetretener Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Die vom Versorgungsamt eingeholte Auskunft beim Einwohnermeldeamt ergab, dass der Kläger am 02.04.1992 unbekannt ins Ausland verzogen sei.

Mit Bescheid vom 19.07.2004 hob das Versorgungsamt O. den Bescheid vom 14.11.1989 auf und stellte fest, dass die Vorschriften des Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch - (SGB IX) im Falle des Klägers keine Anwendung mehr fänden. Der Kläger habe seinen Wohnsitz bereits 1992 nach Spanien verlegt und sei somit nicht mehr im Geltungsbereich des SGB IX wohnhaft.

Dagegen legte der Kläger am 12.08.2004 Widerspruch ein, mit dem er unter Hinweis auf seinen Antrag und die diesem beigefügten ärztlichen Unterlagen an seinen Zielen festhielt. Das Versorgungsamt O. gab das Verfahren aus Gründen der örtlichen Zuständigkeit an das Versorgungsamt K. (Auslandsversorgung) ab. Das Versorgungsamt K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 15.09.2004 mit, er könne nach der Verlegung seines Wohnsitzes nach Spanien Rechte nach dem SGB IX nur noch in Ausnahmefällen in Anspruch nehmen. Ein Ausnahmefall liege vor, wenn er einen Nachweis für den Rentenversicherungsträger bezüglich des GdB zum Bezug von Altersrente nach § 37 SGB VI oder einen Nachweis zur Geltendmachung von Steuerfreibeträgen (bei Einkommensteuerveranlagung im Inland) benötige. Über den Widerspruch erhalte er gesondert Nachricht. Mit Verfügung vom 15.09.2004 half es dem Widerspruch nicht ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2004 wies das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Versorgungsamtes O. vom "24.06.2004" zurück. Mit der Verlegung seines Wohnsitzes nach Spanien gehöre der Kläger nicht mehr zu dem in § 2 Abs. 2 SGB IX genannten Personenkreis und könne daher Rechte nach dem SGB IX nur noch in Ausnahmefällen in Anspruch nehmen. Ein entsprechender Nachweis könne in einem solchen Ausnahmefall beim Versorgungsamt K. beantragt werden. Ein Schwerbehindertenausweis könne nicht mehr ausgestellt werden.

Am 27.12.2004 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) und machte einen Anspruch auf Aufhebung der angegriffenen Bescheide geltend. Ferner beanspruchte er die Feststellung eines GdB von 100 ab Antragstellung und die Ausstellung eines entsprechenden Ausweises als schwerbehinderter Mensch. Er brachte vor, er sei nach wie vor Deutscher und kein Ausländer. Er beziehe von der Seekasse H. Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die nach Spanien überwiesen werde. Von der Rente würden die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen. Er sei seit 40 Jahren mit einer ehemaligen Spanierin, die durch die Heirat Deutsche geworden sei, verheiratet. Sie hätten drei Kinder und fünf Enkelkinder, die in W. und H. wohnten und die sie so oft wie möglich besuchen wollten. Dafür benötige er einen Schwerbehindertenausweis. Im Übrigen habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Er habe Anspruch auf Feststellung eines GdB von 100. Der Kläger legte Arztberichte aus Spanien aus den Jahren 1997, 1999 und 2004 sowie Untersuchungs- und Behandlungsberichte der Internistin J.-R., W., vom 17.11.2003 und einen Untersuchungsbericht des Kardiologen Dr. P., S., vom 31.10.2003 vor. Ferner übersandte er Schriftsätze aus dem beim Sozialgericht H. (S 10 RA 272/04) und danach beim Landessozialgericht (LSG) H. (L 3 R 24/05 KN) anhängigen Rechtsstreit gegen die Seekasse H., in dem er einen früheren Beginn der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geltend machte.

Der Beklagte trat der Klage entgegen und machte geltend, ein gesetzlicher Schutz nach dem SGB IX bestehe für den Kläger infolge des Wegfalls der persönlichen Voraussetzungen (Wohnsitzwechsel) nicht mehr.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.11.2005 wies das SG die Klage ab. Der Kläger habe für die Klage nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weshalb die Klage schon unzulässig sei. Er lebe - von gelegentlichen Besuchen abgesehen - ausschließlich in Spanien, beziehe eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und entrichte insoweit auch keine Steuern und mache auch keine Nachteilsausgleiche geltend, sodass nicht ersichtlich sei, welche Vorteile ihm die Feststellung eines GdB noch bringen könne.

Dagegen hat der Kläger am 09.01.2006 beim SG Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er wiederholt im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und hebt hervor, dass er seit 1988 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beziehe, was heiße, er könne und dürfe aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten. Auf entsprechende Anfrage des Senats hat er mitgeteilt, dass seine Ehefrau und er weder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung noch aus Kapitalanlagen erzielten und versteuerten.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. November 2005 sowie den Bescheid des Versorgungsamts O. vom 19. Juli 2004 in der Fassung der Nichtabhilfeverfügung des Versorgungsamtes K. vom 15. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg vom 22. September 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 100 festzustellen und ihm einen entsprechenden Ausweis zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für richtig. Der Klage mangele es am Rechtsschutzbedürfnis. Der im Ausland lebende Kläger habe bislang nicht dargetan, welche "Vergünstigungen" er aufgrund der begehrten Feststellung geltend machen könne.

Der Senat hat sich vom LSG H. die Akten L 3 R 24/05 KN zwecks Einsichtnahme übersenden lassen und hat die Seekasse H. um eine Auskunft über die vom Kläger bezogenen Renten und die seit Januar 2002 gestellten rentenrechtlich relevanten Anträge gebeten. Diese hat mit Schreiben vom 01.07.2008 mitgeteilt, dass der Kläger vom 01.09.1989 bis 31.12.1991 Rente wegen Berufsunfähigkeit und vom 01.01.1992 bis 30.11.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen habe. Seit 01.12.2005 erhalte er Regelaltersrente. Weitere Anträge lägen seit Januar 2002 nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens wird auf die Akten erster und zweiter Instanz und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat trotz Ausbleibens des Klägers entscheiden können, denn in der den Beteiligten ordnungsgemäß zugegangenen Ladung zum Termin war auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das am 17.12.2008 eingegangene Schreiben des Klägers vom 13.12.2008 hat dem Senat keinen Anlass gegeben, den Termin zu verlegen. Darin sind neben vorübergehenden Hinderungsgründen auch Gründe genannt, die auf unabsehbare Dauer der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entgegenstehen und denen daher mit einer Terminverlegung oder durch Vertagung auch nicht hätte Rechnung getragen werden können.

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind materiell-rechtlich rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den Bescheid des Versorgungsamts O. vom 14.11.1989 (GdB 60) zu Recht aufgehoben. Durch den Umzug des Klägers nach Spanien haben sich die diesem Bescheid zugrunde liegenden Verhältnisse geändert. Mangels für den Kläger konkret erreichbarer Vergünstigungen in der Bundesrepublik Deutschland hat der Kläger keinen Anspruch mehr auf Feststellung des GdB. Damit besteht auch kein Anspruch auf Erteilung eines Schwerbehindertenausweises. Daraus folgt außerdem, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erhöhung des GdB hat.

Richtiger Beklagter ist das Land Baden-Württemberg. Nach dem gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX entsprechend anzuwendenden Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ist gemäß dessen § 3 Abs. 5 iVm § 1 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland vom 28.05.1991 (BGBl. I, 1204) das Versorgungsamt K. für die Feststellung des GdB des in Spanien lebenden Klägers zuständig. Zwar wurde der angegriffene Bescheid vom 19.07.2004 noch vom örtlich unzuständigen Versorgungsamt O. erlassen, sodass der Bescheid formell rechtswidrig ist. Dieser Verfahrensfehler, der gemäß § 40 Abs. 3 Nr. 1 SGB X nicht zur Nichtigkeit des Bescheides geführt hat, ist im Widerspruchsverfahren dadurch geheilt worden, dass das zuständige Versorgungsamt K. mit Ergehen der Nichtabhilfeverfügung und in Folge das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt Baden-Württemberg -, über den Widerspruch entschieden haben. Dies folgt zumindest sinngemäß aus § 41 Abs. 1 Nr. 5 SGB X, wonach eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nach § 40 nichtig macht, unbeachtlich ist, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird. Ob das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt Baden-Württemberg - , das keine Fach- und Rechtsaufsicht gegenüber dem Versorgungsamt O. hat, auch den Widerspruch zurückweisen konnte, kann dahinstehen, jedenfalls wäre der Kläger durch den formal rechtswidrigen Widerspruchsbescheid nicht beschwert, da die vom Versorgungsamt O. verfügte Aufhebung der GdB-Feststellung materiell rechtmäßig ist.

Entgegen der Auffassung des SG ist die Klage zulässig. Insbesondere liegt auch ein Rechtsschutzbedürfnis vor. Zwar ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den angefochtenen Verwaltungsakt oder dessen Ablehnung beschwert, also in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Für die Zulässigkeit einer Klage reicht es aber schon aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist; ob diese Verletzung tatsächlich eingetreten ist, ist eine Frage der Begründetheit. Es genügt, dass der Kläger vorliegend die Beseitigung einer in seine Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme, nämlich die Aufhebung des einen GdB von 60 feststellenden Bescheides vom 14.11.1989, anstrebt, von der er behauptet, sie sei nicht rechtmäßig.

Ob der angefochtene Bescheid materiell rechtmäßig ist, beurteilt sich nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dieser setzt voraus, dass in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung kann in der Übersiedlung des Klägers aus dem Geltungsbereich des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) nach Spanien liegen. Zur Zeit seiner Übersiedlung im Jahre 1992 galt noch das SchwbG, das seit dem Inkrafttreten des SGB IX zum 01.07.2001 nicht mehr anwendbar ist. Nach den Vorschriften des SGB ist Voraussetzung, dass die betreffenden Personen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Der Kläger hat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland, sondern in Spanien. Deshalb kann er sich grundsätzlich nicht auf die Regelungen des SGB IX berufen. Dies gilt jedoch nur, soweit sich aus dem SGB nichts Abweichendes ergibt (§ 37 Satz 1 SGB I).

§ 2 Abs. 2 SGB IX enthält eine solche abweichende Regelung, soweit er für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft eine Beschäftigung auf einem inländischen Arbeitsplatz genügen lässt. § 2 Abs. 2 SGB IX wäre hier allerdings nur einschlägig, wenn es dem Kläger nur um die weitere Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ginge. Bei einem höheren GdB - wie vom Kläger geltend gemacht - kommt nicht § 2 Abs. 2 SGB IX zur Anwendung, sondern § 69 SGB IX. Sinn und Zweck dieser Vorschrift gebietet es, sie trotz fehlender Ausnahmebestimmungen zu dem in § 30 Abs. 1 SGB I verankerten Territorialitätsprinzip so auszulegen, dass Personen ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland eine Feststellung im Sinne von § 69 SGB IX dann beanspruchen können, soweit sich für sie rechtliche Vorteile ergeben können, die nicht an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, sondern an einen andersartigen Inlandsbezug anknüpfen (vgl. BSG - Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 2/06 R). Eine Durchbrechung des Territorialitätsprinzips lässt sich allerdings nur rechtfertigen, wenn dem behinderten Menschen trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können (aaO). Das wäre z.B. der Fall, wenn bei ihm eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§ 37 SGB VI) in Betracht käme oder er im Inland unbeschränkt steuerpflichtig im Sinne von § 1 Abs. 2, 3 Einkommensteuergesetz wäre. Beides ist hier nicht der Fall. Der Kläger bezieht seit 1992 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und seit Dezember 2005 Altersrente. Eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen kommt für den inzwischen 68 Jahre alten Kläger mithin nicht in Betracht. Dasselbe gilt für eine Einkommensteuerveranlagung in Deutschland (bei entsprechenden Einnahmen im Inland). Der Kläger hat insoweit mitgeteilt, keine entsprechende Einkünfte zu erzielen und zu versteuern. Für den Senat steht daher fest, dass für den Kläger aus der Feststellung eines GdB keine konkret erreichbaren Vergünstigungen resultieren können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage ist durch die Rechtsprechung des BSG geklärt.
Rechtskraft
Aus
Saved