L 3 AL 3096/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AL 2990/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 3096/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die von dem Kläger erhobene Klage zulässig i In der Sache wendet sich der Kläger gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 31.01.2001 bis 01.05.2001, 30.05.2001 bis 13.07.2001 und vom 06.10.2001 bis 18.03.2002 und die Erstattung der ihm in der genannten Zeit gewährten Alhi zuzüglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 12.490,34 EUR

Dem 1963 geborenen Kläger, der die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, wurde mit Änderungsbescheid vom 10.01.2001 Alhi für die Zeit ab 01.01.2001 (höherer wöchentlicher Leistungssatz 473,76 DM, Bemessungsentgelt 1.170,00 DM, Leistungsgruppe C/1) bewilligt. Aufgrund des Eintritts einer Sperrzeit ab 14.07.2001 wurde die Alhi bis 13.07.2001 gewährt. Vom 14.08.2001 bis 31.12.2001 wurde dem Kläger ausweislich des Weiterbewilligungsbescheids vom 27.09.2001 Alhi nach einem wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 471,10 DM, Bemessungsentgelt 1.160,00 DM, Leistungsgruppe C/1 bewilligt. Vom 01.01.2002 bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 21.07.2002 wurde dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 10.01.2002 Alhi mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 240,87 EUR, Bemessungsentgelt 590,00 EUR, Leistungsgruppe C/1 gewährt.

Im Januar 2003 teilte der Wirtschaftskontrolldienst der Polizeidirektion Heidelberg der Beklagten mit, im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens sei festgestellt worden, dass der Kläger durch selbstständige Tätigkeiten Einnahmen erzielt habe. Er habe für den Neubau eines Einfamilienhauses zwischen dem 15.02.2001 und 11.04.2001 (umgerechnet) insgesamt 33.745,26 EUR und für ein weiteres Bauvorhaben im Juni und Juli 2001 (umgerechnet) insgesamt 13.890,27 EUR erhalten. Bei dem ersten Bauvorhaben dürfte es sich um Arbeitszeiten von Januar bis April 2001 gehandelt haben. Das zweite Bauvorhaben sei Anfang 2001 begonnen worden. Außerdem habe der Kläger im Zeitraum vom 30.01.2002 bis 28.08.2002 Versicherungen für die DBV-Winterthur verkauft. Hierüber seien auf seinem Bankkonto Überweisungen in Höhe von 2.309,59 EUR festgestellt worden.

Aus den Strafakten geht hervor, dass der Kläger zwischen dem 01.12.1995 und 03.11.1997 ein Bauunternehmen angemeldet hatte und er zumindest in den Jahren 1999 und 2000 Geschäftsführer der ABM Bau GmbH war.

Im Rahmen der Anhörung des Klägers gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) teilte der Kläger mit, dass er weder selbstständig gewesen sei noch gearbeitet habe.

Mit Bescheid vom 17.04.2003 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 31.01.2001 bis 01.05.2001, 30.05.2001 bis 13.07.2001 und vom 06.10.2001 bis 18.03.2002 auf und forderte die Erstattung der in den genannten Zeiträumen geleisteten Alhi in Höhe von 10.349,42 EUR und gezahlte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.964,99 EUR bzw. 175,93 EUR (Gesamtforderung 12.490,34 EUR). Zur Begründung gab die Beklagte an, es sei festgestellt worden, dass der Kläger zumindest in der Zeit vom 31.01.2001 bis 30.03.2001 und vom 30.05.2001 bis 21.06.2001 selbstständig tätig und daher nicht mehr arbeitslos gewesen sei. Da er sich nach der Unterbrechung der Arbeitslosigkeit erst am 02.05.2001 bzw. 19.03.2002 erneut persönlich arbeitslos gemeldet habe, bestehe für diesen Zeitraum ebenfalls kein Leistungsanspruch. Der Verpflichtung, diese Änderung in seinen Verhältnissen dem Arbeitsamt mitzuteilen, sei der Kläger zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen.

Ebenfalls mit Bescheid vom 17.04.2003 hob die Beklagte darüber hinaus die Bewilligung von Alhi während des Leistungsbezugs auf, weil der Kläger Einkommen, das als Nebeneinkommen in Höhe von 594,42 EUR auf seine Leistung anzurechnen sei, erzielt habe. Bezüglich des Zeitraums und der Höhe des Anrechnungsbetrags verwies die Beklagte auf das anliegende "Berechnungsprotokoll Nebeneinkommen". Zur Begründung hieß es auch insoweit, der Kläger sei seiner Mitteilungspflicht über die Änderung in den Verhältnissen nicht bzw. nicht rechtzeitig nachgekommen, obwohl er hierüber in dem ihm ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose informiert worden sei. Er habe deshalb auch diesen Betrag zu erstatten.

Gegen beide Bescheide erhob der Kläger am 15.05.2003 Widerspruch. Als Absender gab er die Straße 60 in L. an.

Mit dem an diese Adresse gerichteten Widerspruchsbescheid vom 02.07.2003 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.04.2003 bezüglich der Aufhebung von Alhi wegen der selbständigen Tätigkeit zurück. Neben der Unterschrift "J." befindet sich das Datum 02.07.2003. Außerdem trägt der Widerspruchsbescheid die handschriftliche Unterschrift "Bosche" und das Datum 02.07.2003. Ein Postrücklauf war nicht zu verzeichnen.

Wegen Betrugs zu Lasten der Beklagten erhob die Staatsanwaltschaft Heidelberg am 06.05.2003 Anklage gegen den Kläger. Als Anschrift in der Anklageschrift wurde die ursprüngliche Adresse des Klägers, die S. 6 in L. angegeben. Nachdem die Anklageschrift unter dieser Adresse nicht zugestellt werden konnte, teilte das Bürgermeisteramt L. auf Anfrage des Amtsgerichts Wiesloch mit, der Kläger wohne in der Straße 160 in L ... Die Anklageschrift wurde darauf hin an diese Adresse abgesandt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde die Hausnummer vom Zusteller der Post am 31.05.2003 geändert. Es wurde die Hausnummer 60 vermerkt. Unter dieser Adresse wurde die Anklageschrift am 31.05.2003 zugestellt. Nachdem die ebenfalls an diese Adresse gerichtete Ladung zur Hauptverhandlung am 24.09.2003 beim Amtsgericht wieder einging, weil der Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei, teilte das Bürgermeisteramt L. dem Amtsgericht auf Anfrage am 29.09.2003 mit, die neue Anschrift des Klägers laute Weg 18 in M ... Das Bürgermeisteramt M. nannte als Einzugsdatum den 09.08.2003. Anlässlich der Hauptverhandlung, die am 13.10.2003 stattfand, gab der Kläger an, er lebe von seiner Ehefrau getrennt. Das Strafverfahren wurde dadurch beendet, dass gemäß § 154 Strafprozessordnung von der Strafverfolgung abgesehen wurde, da die zu erwartende Strafe neben der Strafe aus dem bereits rechtskräftigen Strafbefehl vom 09.09.2002 nicht beträchtlich ins Gewicht falle (3 Ds 32 Js 15281/02).

Bei dem Termin am 13.10.2003 gab der Bevollmächtigte des Klägers gegenüber einer als Zeugin anwesenden Mitarbeiterin der Beklagten an, der Kläger habe den Widerspruchsbescheid vom 15.05.2003 nicht erhalten.

Hierauf übersandte die Beklagte noch am selben Tag den Widerspruchsbescheid per Fax an den Klägerbevollmächtigten.

Am 16.10.2003 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er habe erst am 13.10.2003 Kenntnis von dem Widerspruchsbescheid erlangt, als die Mitarbeiterin der Beklagten anlässlich des Strafverfahrens als Zeugin vernommen worden sei und angegeben habe, dass mit Schreiben vom 02.07.2003 der Widerspruchsbescheid erlassen worden sei. Auf seinen Wunsch sei ihm der Widerspruchsbescheid hierauf am 13.10.2003 von der Beklagten gefaxt worden. Er habe sich Ende Mai von seiner Ehefrau A. Y., Straße 60 in L. getrennt. Zunächst habe er bei seiner Mutter M. Y., E. Straße 16 in U. gewohnt. Seit August 2003 lebe er in M. im Weg 18. Seine Ehefrau habe den Widerspruchsbescheid vom 02.07.2003, falls er tatsächlich an die Adresse Straße 80 (richtig wohl 60) in L. zugestellt worden sei, nicht an ihn weitergeleitet. In einer eidesstattlichen Versicherung hat der Kläger dies bestätigt. In der Sache hat der Kläger vorgetragen, er habe während der Dauer des Bezugs von Alhi weder 15 Stunden oder mehr in der Woche gearbeitet noch habe er mehr als 315,00 DM im Monat im Jahr 2001 verdient.

Unter dem 08.11.2003 ist der Kläger von einer für die Beklagte tätig gewordenen Anwaltskanzlei aufgefordert worden, die Erstattungsforderung zu begleichen. Unter dem 14.11.2003 hat dieselbe Anwaltskanzlei dem Kläger mitgeteilt, das Verfahren gegen ihn sei auf Anweisung des Mandanten eingestellt worden. Als Anschrift trugen beide Schreiben "Herr Y. V., Straße 60 in L.". Beide Schreiben hat der Kläger dem SG vorgelegt und ergänzend mitgeteilt, sie seien ihm am 14.11. bzw. 08.11.2003 zugegangen.

In der nichtöffentlichen Sitzung des SG vom 28.04.2004 hat der Kläger erklärt und ausdrücklich bestätigt, er sei schon in der ersten Woche des Monats April 2003 aus der gemeinsamen Ehewohnung in der Straße 60 in L. ausgezogen und zu seiner Mutter bzw. seinem Bruder in U. gezogen. Seine Post sei weiterhin in die Straße 60 in L. geschickt und von seiner Ehefrau in Empfang genommen worden. Auf dem Briefkasten befinde sich nur der Name Y ... Er selbst habe keine Schlüssel, auch keinen Briefkastenschlüssel mehr gehabt. Er habe seiner Ehefrau gesagt, sie solle ihm alle Briefe geben. Er habe häufiger zu Hause angerufen, auch um mit den Kindern zu sprechen. In diesem Zusammenhang habe ihm seine Ehefrau einmal erzählt, dass ein Brief des Arbeitsamtes gekommen sei. Wenn er sich richtig erinnere, sei dies kurz vor Absendung seines Widerspruchs gewesen. Die als Zeugin vernommene Ehefrau A. Y. hat mitgeteilt, ihr Ehemann sei im März oder April 2003 ausgezogen. Sie habe sich damals so aufgeregt, dass sie sämtliche Briefe, die für ihren Mann gekommen seien, ungeöffnet weggeworfen habe. Sie habe alle Briefe, auch den Bescheid vom 17.04.2003 und den Widerspruchsbescheid vom 02.07.2003 vernichtet. Sie könne sich nicht daran erinnern, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihrem Ehemann am Telefon gesagt habe, es sei ein Brief vom Arbeitsamt für ihn gekommen.

Ergänzend hat der Kläger vorgetragen, er bestreite, dass der Widerspruchsbescheid seiner Ehefrau zugestellt worden sei. Im Übrigen sei seine Ehefrau weder seine Empfangsbotin noch seine Empfangsvertreterin gewesen. Er habe sie zwar bei der Trennung gefragt, ob sie an ihn gerichtete Briefe an ihn weiterleite. Sie habe hierzu jedoch keine Einverständniserklärung abgegeben. Auch der Beklagten sei nicht mitgeteilt worden, dass sie zustellungsbevollmächtigt sei. Dass seine Ehefrau die Briefe vernichtet habe, könne ihm nicht zugerechnet werden. Es entspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass Eheleute nach einer räumlichen Trennung allein aus Hassgefühlen Briefe an den ehemaligen Ehepartner nicht weiterleiteten.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.06.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig. Die einmonatige Klagefrist sei nicht eingehalten worden. Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Widerspruchsbescheid vom 02.07.2003 seinerzeit zeitnah in den Einflussbereich des Klägers gelangt sei. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger und die Zeugin vor Gericht übereinstimmend bestätigt hätten, dass der Kläger Ende März/Anfang April aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen sei. Somit habe der Kläger schon bei Einlegung des Widerspruchs am 15.05.2003 seinen Wohnsitz nicht mehr in der gemeinsamen Ehewohnung gehabt. Auch einen Briefkastenschlüssel habe er nicht mehr besessen. Wenn er gleichwohl in seinem Widerspruchsschreiben die Ehewohnung als Absender vermerke, müsse er sich zurechnen lassen, dass die Beklagte den Widerspruchsbescheid entsprechend adressiere. Darüber hinaus müsse seine Ehefrau als Empfangsbotin angesehen werden. Dies folge schon daraus, dass der Kläger bei seinem Auszug aus der Ehewohnung auf dem Briefkasten keinen entsprechenden Vermerk angebracht habe. Nach wie vor habe sich auf dem Briefkasten der Familienname befunden. Im Übrigen habe der Kläger beim Erörterungstermin ausdrücklich erklärt, dass er seine Ehefrau seinerzeit gebeten habe, alle Briefe an ihn abzugeben. Dass die Ehefrau hiervon aufgrund der erheblichen Zerwürfnisse abgesehen habe, gehe zu Lasten des Klägers. Die erst am 16.10.2003 erhobene Klage sei somit verspätet und damit unzulässig.

Gegen den am 24.06.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26.07.2004, einem Montag, Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, der Bescheid vom 17.04.2003 sei ihm, obwohl er seit April 2003 nicht mehr unter Anschrift Straße 60 in L. gewohnt habe, von seiner Ehefrau Ende April 2003 übergeben worden. Den Widerspruchsbescheid habe seine Ehefrau nicht erhalten. Sie habe zwar an ihn gerichtete Briefe weggeworfen, jedoch seien darunter nach dem 02.07.2003 keine Briefe der Beklagten gewesen. Auf jeden Fall habe sie ihm den Widerspruchsbescheid nicht weitergeleitet. Er habe der Beklagten auch zu keiner Zeit mitgeteilt, dass seine Ehefrau seine Empfangsvertreterin bzw. Empfangsbotin sei. Er habe Anfang April seine Ehefrau zwar gebeten, an ihn gerichtete Post an ihn weiterzuleiten, was sie zunächst auch getan habe. Ende Mai 2003 habe sich das Verhältnis dann aber weiter verschlechtert, sodass der Kontakt Anfang Juni 2003 abgebrochen worden sei. Anfang Juli 2003 sei klar gewesen, dass man gänzlich getrennt sei. Im Übrigen stehe aufgrund der Feststellungen im Strafverfahren fest, dass ein Betrug zu Lasten der Beklagten nicht vorliege und ihm somit Alhi zu Recht gezahlt worden sei.

Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte ausgeführt, der Widerspruchsbescheid sei am 02.07.2003 von Frau Bosche erstellt und vom Leiter der Widerspruchsstelle - Herrn J. - am selben Tag unterzeichnet worden. Der Tag der Unterschrift und die Weiterleitung des Widerspruchsbescheids an die Poststelle der Agentur für Arbeit Heidelberg ergebe sich aus dem Datumsstempel neben der Unterschrift. Er sei dann unmittelbar von der Poststelle der Agentur für Arbeit der Deutschen Post AG zur Beförderung übergeben worden.

Ergänzend hat der Kläger vorgetragen, seine Ehefrau habe nur seine persönlichen Briefe vernichtet. Die Vernichtung der Briefe habe erst einige Monaten nach der Trennung begonnen. Abgesehen davon habe sich auf dem Briefkasten nicht sein Vorname befunden. An ihn gerichtete Briefe hätten deshalb überhaupt nicht eingeworfen werden dürfen. Im Übrigen handele es sich bei dem Briefkasten um einen älteren Briefkasten, von dem Briefe auch von außen entnommen werden könnten.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Juni 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 17. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Juli 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Akten des Amtsgerichts Wiesloch 3 DS 32 JS 15281/02, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht sowohl die Klage als unzulässig abgewiesen, da die Klagefrist nicht gewahrt war, als auch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Gemäß § 87 Abs. 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (§ 87 Abs. 2 SGG).

Im vorliegenden Fall datiert der Widerspruchsbescheid vom 02.07.2003. Er ist nicht nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG; vgl. § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG) zugestellt, sondern lediglich mit einfachem Brief durch die Post versandt worden. Dies entsprach jedoch der mit Wirkung ab dem 01.05.1998 (vgl. Art. 4 Abs. 2 des Fünften Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30.03.1998) geänderten Fassung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG, wonach ein Widerspruchsbescheid nicht mehr den Beteiligten zuzustellen, sondern nur noch bekanntzugeben i

Gemäß § 37 Abs. 2 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der - wie im vorliegenden Fall - durch die Post im Inland übermittelt wird, mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Vorliegend enthält der Widerspruchsbescheid vom 02.07.2003 nach dem Namen der Mitarbeiter der Beklagten J. und Bosche jeweils den Datumsstempel 02.07.2003. Dies bedeutet nach der Stellungnahme der Beklagten, dass der Widerspruchsbescheid an diesem Tag, einem Freitag, oder spätestens am folgenden Montag, den 05.07.2003, zur Post gegeben worden i Hiervon ist der Senat auch überzeugt.

Damit gilt grundsätzlich, dass der Widerspruchsbescheid, wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass er erst am 05.07.2003 zur Post gegeben wurde, gemäß § 37 Abs. 2 SGB X mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 08.07.2003, bekanntgegeben wurde.

Etwas anderes ergibt sich nicht deshalb, weil der Kläger den Erhalt des Widerspruchsbescheids vor dem 13.10.2003 bestreitet. Zwar kommt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X die Vermutungsregelung nicht zum Tragen, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen i Die Vermutungsregel greift schon dann nicht, wenn Zweifel am Zugang des Bescheides bestehen. Ein substantiiertes Bestreiten des Nichtzugangs ist insoweit nicht notwendig. Mit dem substantiierten Bestreiten würde man dem Adressaten eines Verwaltungsaktes etwas ihm tatsächlich Unmögliches zumuten, nämlich etwas Konkretes dafür darzulegen, dass etwas nicht geschehen i Wer einen Brief nicht erhält, hat keinerlei Möglichkeit, über das Bestreiten des Zugangs hinaus darzutun, dass er ihn nicht erhalten habe (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30.08.2008 - L 6 U 1140/06 - in juris).

Auf den tatsächlichen Zugang an den Kläger kommt es hier jedoch nicht an. Entscheidend ist, dass der Ehefrau des Klägers der Widerspruchsbescheid zugegangen ist und dass dieser Zugang dem Kläger zuzurechnen i

Der Zugang an die Ehefrau des Klägers erfolgte dadurch, dass der Widerspruchsbescheid in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten, der den Namen Y. trug, eingeworfen wurde. Nicht erforderlich ist, dass sich der Vorname sämtlicher Bewohner auf dem Briefkasten befindet. Ausreichend ist der Familienname, der sich unverändert auch nach dem Auszug des Klägers auf dem Briefkasten befand.

Etwas anderes ergibt sich nicht deshalb, weil die Ehefrau des Klägers u.a. ausgesagt hat, sie habe den Widerspruchsbescheid nicht erhalten. Auch insoweit gilt zwar, dass grundsätzlich kein substantiiertes Bestreiten verlangt wird. Die Aussage der Zeugin ist jedoch widersprüchlich. Sie gab nicht nur an, sie habe den Widerspruchsbescheid nicht erhalten. Sie hat auch ausgesagt, sie habe nicht nur den Widerspruchsbescheid, sondern auch den Bescheid vom 17.04.2003 vernichtet. Letzteres ist auf jeden Fall falsch. Den Bescheid vom 17.04.2003 hat nicht nur der Kläger, sondern auch die Zeugin erhalten. Dies wird vom Kläger auch nicht bestritten. Im Widerspruch hat er den Bescheid mit Datum bezeichnet. Sollte die Angabe der Zeugin, dass sie den Widerspruchsbescheid vernichtet hat, stimmen, würde daraus folgen, dass sie ihn erhalten hat. Lebensfremd erscheint, dass die Ehefrau vor dem Vernichten zunächst den Absender gelesen haben will und ihr nunmehr noch bekannt ist, dass sich hierunter keine Post der Beklagten nach dem 02.07.2003 befand. Zweifel an ihrem Bestreiten des Zugangs bestehen auch deshalb, weil sie dem Kläger nach dessen ersten Angaben, telefonisch mitgeteilt hat, es sei ein Brief vom Arbeitsamt für ihn gekommen. Ein Postrücklauf war bei der Beklagten nicht zu verzeichnen. Auch weitere Briefe und Anschreiben (Anklageschrift; Schreiben der von der Beklagten beauftragten Rechtsanwälte) sind unter der Anschrift Straße 60 in L. in den Machtbereich des Klägers gelangt. Als Schutzbehauptung wertet der Senat die nunmehrige Aussage des Klägers, wonach Briefe von einem unbekannten Dritten in der Vergangenheit von außen aus dem Briefkasten entwendet worden seien. Nähere nachprüfbare Angaben zu dieser erst im Januar 2009 aufgestellten Behauptung fehlen. Auf Grund dieser Umstände ist der Zugang des Widerspruchsbescheids an die Ehefrau des Klägers im Wege der freien Beweiswürdigung als nachgewiesen anzusehen. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Zeugin den Widerspruchsbescheid erhalten hat.

Mit dem Zugang an die Ehefrau ist die Bekanntgabe wirksam erfolgt.

Da im SGG und auch im SGB X eine Regelung darüber fehlt, ob und wann gegenüber dem Adressaten eine Bekanntgabe als wirksam gilt, wenn ein Schriftstück an einen Dritten ausgehändigt wird, ist die eine vergleichbare rechtliche Situation betreffende Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) über das Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden heranzuziehen (so auch zur Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein: BSG, Beschluss vom 07.10.2004 - B 3 KR 14/04 R - in juris). Danach wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die in Abwesenheit des Erklärungsempfängers abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm zugeht. Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Eine Erklärung, die ein Empfangsbote entgegennimmt, geht dem Adressaten zu dem Zeitpunkt zu, in dem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge die Weiterleitung an den Adressaten zu erwarten war. Empfangsbote ist eine Person, die vom Empfänger zu Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden ist oder nach der Verkehrsanschauung als bestellt anzusehen ist (Palandt/Heinrichts, BGB § 130 Rdnr 8 und 9). Dazu ist im vorliegenden Fall die Ehefrau des Kläger, die Zeugin A. Y., zu rechnen. Der Kläger hat die Zeugin beauftragt, an ihn eingehende Briefe entgegenzunehmen und an ihn weiterzuleiten. Dies hat die Zeugin auch getan. Sie hat nachweislich den Bescheid vom 17.04.2003, die Anklageschrift und die Schreiben der von der Beklagten beauftragten Rechtsanwälte an den Kläger übergeben. Die Beklagte durfte auch annehmen, dass an den Kläger unter der von ihm selbst (nach seinem Auszug) im Widerspruch angegebenen Anschrift gerichtete Schreiben dem Kläger zugehen. Der Kläger konnte und musste damit rechnen, dass die Beklagte nach Einlegung des Widerspruchs unter der bisherigen Adresse weitere Schreiben oder den Widerspruchsbescheid an ihn richten wird.

Eine Erklärung, die ein Empfangsbote entgegennimmt, geht dem Adressaten in dem Zeitpunkt zu, in dem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge die Weiterleitung an den Adressaten zu erwarten war (BGH NJW-RR 1989, 757). Der Kläger hat insoweit zunächst angegeben, dass er mehrmals mit der Familie, insbesondere auch wegen der Kinder, telefoniert habe. Er wusste, dass ein Widerspruchsbescheid oder sonstige Schreiben der Beklagten ausstanden, nachdem er am 15.05.2003 Widerspruch eingelegt hatte. Ihm war auch bekannt, dass dieser Widerspruchsbescheid an seine ursprüngliche Adresse ging, nachdem er diese Adresse auf dem Widerspruchsschreiben angegeben hatte. Es ist deshalb davon auszugehen, dass er zwar nicht unmittelbar mit dem Einwurf des Widerspruchsbescheids in den Briefkasten am 08.07.2003 Kenntnis vom Einwurf und dem Widerspruchsbescheid erhielt. Zumindest im Laufe des Monats Juli 2003 ist jedoch die Weiterleitung an ihn aufgrund der vorgenannten Umstände zu erwarten gewesen. Der Senat ist deshalb davon überzeugt, dass dem Kläger der Widerspruchsbescheid abweichend von der Vermutungsregel des § 37 Abs. 2 SGB X spätestens am 31.07.2003 bekannt gegeben wurde.

Die einmonatige Frist zur Erhebung der Klage begann somit am 01.08.2003, dem Tag nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids, und endete am 31.08.2003. Die Klageschrift des Klägers ist erst am 16.10.2003 und damit deutlich nach Fristablauf beim SG eingegangen.

Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten (§ 67 SGG), liegen nicht vor. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist einem Prozessbeteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies ist der Fall, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden angesichts der gesamten Umstände des Einzelfalls nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist (BSGE 72, 158). Einen Sachverhalt, der darauf schließen lässt, dass der Kläger ohne eigenes oder ihm zurechenbares Verschulden (z.B. Verschulden des Empfangsboten) an der Fristeinhaltung gehindert gewesen wäre, trägt der Kläger letztendlich nicht vor. Er hat angegeben, seine Ehefrau habe die Briefe vernichtet. Dabei handelt es sich um ein schuldhaftes Verhalten, das er sich zurechnen lassen muss. Soweit er nunmehr vorträgt, seine Ehefrau habe den Widerspruchsbescheid überhaupt nicht erhalten, ist dies - wie ausgeführt - nicht glaubhaft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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