Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 1911/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1557/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob dem Kläger ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als von 70 und der Nachteilsausgleich "aG" zusteht.
Der 1959 geborene Kläger beantragte nach einem Motorradunfall vom 04.09.2004 mit Polytrauma und Amputation des linken Unterschenkels am 02.11.2004 die Feststellung des GdB nach § 69 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX.
Mit Bescheid vom 01.02.2005 stellte der Beklagte ab Antragstellung einen GdB von 50 sowie den Nachteilsausgleich "G" fest.
Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers erhöhte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 17.08.2005 den GdB auf 70 ab Antragstellung. Dabei ging er von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:
Verlust des linken Beines im Unterschenkel Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes (GdB 50)
Chronisches Schmerzsyndrom Depression Psychovegetative Störungen Schwindel (GdB 30)
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule Bandscheibenschaden (GdB 20)
Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogen- gelenkes (GdB 10)
Erektile Dysfunktion (GdB 10)
Am 19.09.2005 sprach der Kläger beim Beklagten persönlich vor und teilte mit, dass er seinen Widerspruch angesichts des Abhilfebescheides für erledigt betrachte.
Gleichzeitig beantragte er die Neufeststellung des GdB und die Gewährung der Nachteils¬ausgleiche "aG" und "RF". Zur Begründung gab er an, dass er wegen des Hüftschadens nicht normal aus einem Auto aussteigen könne. Er müsse die Türe ganz öffnen können, und mit beiden Beinen gleichzeitig aussteigen.
Der Beklagte zog daraufhin einen Befundbericht des Dr. H., Facharzt für innere Medizin, vom 09.12.2005 bei. Dieser teilte mit, die Einschätzung der vorhandenen Unfallschäden sei schwierig endgültig zu beurteilen. Es bestehe eine erhebliche bleibende MdE, neben der Amputation leide der Kläger unter Depressionen und Schmerzen sowie unter Potenzproblemen. Derzeit sei die Gehstrecke deutlich limitiert (200 m).
Neben einem weiteren Befundbericht aus dem Jahr 2004 legte er auch einen Befundbericht der Orthopädischen Universitätsklinik E. vom 30.08.2005 vor. Dieser bescheinigt dem Kläger einen Beckentiefstand links um einen halben Zentimeter und ein flüssiges Gangbild sowie freie Kniegelenksbeweglichkeit.
Mit Bescheid vom 06.02.2006 lehnte der Beklagte die Erhöhung des GdB wie auch die Feststellung der beantragten Merkzeichen ab, da die hierfür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch, den der Kläger nicht begründete, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2006 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 16.06.2006 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, die er im Wesentlichen damit begründet hat, er könne aus dem Auto nur bei weit geöffneter Türe aussteigen. Daher benötige er einen Behindertenparkplatz, ein normaler Parkplatz reiche wegen des zu geringen Platzes nicht aus. Ihm stünden ein höherer GdB und die Merkzeichen "aG" und "RF" zu.
Mit Schreiben vom 06.10.2006 hat er die Klage im Hinblick auf den Nachteilsausgleich "RF" zurückgenommen.
Das SG hat BeW. erhoben durch Einholung einer sachverständigen Zeugenaussage von Dr. H., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom 26.09.2006.
Diese hat mitgeteilt, der Kläger leide unter Phantomschmerz, Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion, Panikstörung und Verdacht auf Entwicklung eines posttraumatischen Belastungssyndroms. Für diese Beschwerden sei in Übereinstimmung mit dem ärztlichen Dienst des Beklagten ein GdB von 30 angemessen.
Das SG hat den Kläger mit Schreiben vom 30.10.2006 auf sein Antragsrecht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - hingewiesen und ihm zur Benennung eines Arztes eine Frist bis zum 20.11.2006 gesetzt. Der Kläger hat die Verlängerung dieser Frist bis 08.12.2006 beantragt, als Arzt aber erst am 05.01.2007 den behandelnden Internisten Dr. H. benannt.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.02.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Weder ein höherer GdB noch der Nachteilsausgleich "aG" stünden dem Kläger zu. Der Antrag nach § 109 SGG sei wegen grober Nachlässigkeit und Verzögerung des Rechtsstreites als verspätet abzulehnen.
Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.03.2007 Berufung mit der Begründung eingelegt, das SG habe die Stoßrichtung der Klage nicht verstanden. Die Anwendung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialgen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) habe nach freier richterlicher Beweiswürdigung und nicht nach starren Beweisregeln zu erfolgen. Sozialgerichtliche Entscheidungen erwüchsen, selbst wenn sie auf Bundesebene ergingen, nicht in Gesetzeskraft. Bei ihm liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor, der mehrfache Hüfttrümmerbruch, der Milzriss, die Phantomschmerzen und andere Beschwerden rechtfertigten mindestens einen GdB von 80.
Der Senat hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG durch Dr. H., Facharzt für innere Medizin, vom 23.11.2007. Dr. H. hat folgende Diagnosen gestellt: 1. Zustand nach traumatischer Unterschenkelamputation links mit rezidivierenden Stumpfinfektionen
2. Funktionseinschränkung des linken Hüftgelenks nach Acetabulumfraktur
3. Chronisches Schmerzsyndrom (Phantomschmerz) linker Unterschenkel, Depression
4. Degeneratives LWS-Syndrom bei Bandscheibenprotrusion
5. Funktionseinschränkung des rechten Ellenbogengelenkes bei Zustand nach Luxation
6. Erektile Dysfunktion
Für den Zustand nach Unterschenkelamputation hat er einen GdB von 60, für die Funktionseinschränkung des linken Hüftgelenkes einen GdB von 40, für die Phantomschmerzen und die Depression einen GdB von 30 und für die Funktionseinschränkungen des rechten Ellenbogengelenks und die erektile Dysfunktion je einen GdB von 10 angenommen. Insgesamt ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der diversen gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen ein GdB von 80 festgesetzt werden solle.
Da der Kläger bei einem Gehtest auf dem Laufband bei einer Geschwindigkeit von 2,1 km/h die maximale Gehstrecke von 80 m in einer Zeit von 2 Minuten und 43 Sekunden habe durchführen können, sollte wegen der deutlichen Minderung der Gehstrecke das Merkmal "aG" festgestellt werden.
Der Senat hat im Nachfolgenden ein Gutachten von Amts wegen von Dr. W., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, vom 06.07.2009 eingeholt. Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:
1. Funktionseinschränkung des linken Beines nach traumatischer Unterschenkel¬amputation, Hüftverrenkung mit Hüftpfannenbruch nach Motorradunfall am 04.09.2004 im Rahmen eines schweren Polytraumas, aktuell mit optimal sitzender Unterschenkelprothese und leichter Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes.
2. Lendenwirbelsäulensyndrom mit pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung in das rechte Bein bei monosegmentalem Bandscheibenteilaufbrauch L5/S1, ohne objektivierbare Nervenwurzelreizerscheinungen.
3. Geringe Schulterfunktionsstörung rechts nach dreifacher unfallbedingter Schulter¬luxation (angegebene Motorradunfälle 1972, 1978, 1979), aktuell mit zufriedenstellender Beweglichkeit und optimaler muskulärer Stabilisierung.
4. Geringes Ellenbogenstreckdefizit rechts nach konservativ behandelter Ellenbogen¬luxation im 13. Lebensjahr, ohne weitere Funktionseinschränkungen.
Auf nichtorthopädischem Fachgebiet leide der Kläger unter einem medikamentös eingestellten Bluthochdruck und einer Cholesterinerhöhung. Den GdB für die Unterschenkelamputation und die geringgradige Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes links hat er mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet. Den Wirbelsäulenschaden mit gering- bis mäßiggradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt hat der Gutachter mit einem GdB von 20 bewertet. Für die Schulterfunktionsstörung rechts und die Ellenbogenfunktionsstörung rechts ist er von einem geringeren GdB als 10 ausgegangen. Unter Berücksichtigung des chronischen Schmerzsyndroms, der Depression, psychovegetativer Störung und Schwindel mit einem GdB von 30 sowie der erektilen Dysfunktion mit einem GdB von 10 hat er den Gesamt-GdB fachübergreifend auf 70 eingeschätzt. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege beim Kläger nicht vor. Zur Begründung hat der Gutachter ausgeführt, der Kläger sei sehr aktiv, gehe mit und ohne Gehstock sehr sicher. Die Beinmuskulatur rechts sei ungewöhnlich kräftig und mit Sicherheit auf regelmäßiges Bewegen und Belasten zurückzuführen. Der Kläger fahre einen Sportwagen (BWM Z4) mit tiefem Einstieg und fahre auch noch Motorrad. Die Hüftfunktionsstörung sei leicht- bis mäßiggradig, die Prothesenversorgung optimal. Der von Dr. H. durchgeführte Laufbandtest sei nicht aussagekräftig, da er allein von Mitarbeit und Motivation des Probanden abhänge. Im Rahmen der Begutachtung hat der Gutachter im Hinblick auf die linke Hüfte des Klägers hinsichtlich Streckung/Beugung folgende Werte gemessen: 0 Grad - 0 Grad - 100 Grad.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Februar 2007 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 06. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ab 20. September 2005 einen GdB von 80 und den Nachteilsausgleich "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erachtet den Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.
Die Verfahrensakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Auf deren Inhalt wie auch auf den Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 02.12.2009 wird zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Entscheidung des SG ist zutreffend, die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig.
Nach der Überzeugung des Senats liegen beim Kläger weder ein höherer GdB als von 70 noch die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" vor.
Anspruchsgrundlage ist hier § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -.
Hiernach ist ein Bescheid mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung liegt nicht vor.
Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundes¬versorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 3 Satz 4 SGB IX werden als GdB die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX gelten insoweit die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auch gesund¬heitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für eine Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehört die streitige außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) für die im Schwerbehindertenausweis. das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbe¬hindertenausweisverordnung).
Seit dem 01.01.2009 ist die Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 und die dazugehörige Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) in Kraft, die gem. § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX auch für die Feststellung der Behinderung und des GdB gilt.
Beim Kläger besteht nach der Überzeugung des Senats unter Anwendung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze lediglich ein GdB von 70 und nicht von 80.
Der Senat stützt seine Überzeugung insoweit auf das ausführliche, nachvollziehbare und klare Gutachten von Dr. W ... Die von Dr. W. gezogenen Schlussfolgerungen sind anhand der von ihm erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar.
Demnach besteht als schwerwiegendstes Leiden des Klägers eine Amputation des linken Unterschenkels und eine gering- bis mäßiggradige Bewegungseinschränkung des Hüftgelenks links infolge Hüftkopftrümmerbruchs. Hierfür ist nach Dr. W. ein GdB von 50 festzusetzen. Diese Einstufung entspricht auch den VMG, sehen diese doch nach Teil B Nr. 18.14 (S. 97) bei Verlust eines Beines im Unterschenkel einen GdB von 50 vor. Eine Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes geringen Grades ist einseitig mit einem GdB von 10 - 20 zu bewerten (Teil B Nr. 18.14, S. 98/99 VMG). Da die Bewegungseinschränkung geringen Grades insoweit jedoch eine Einschränkung der Streckung/Beugung bis zu 0 Grad - 10 Grad - 90 Grad vorsieht, der Kläger das linke Hüftgelenk jedoch sogar im Umfang 0 Grad - 0 Grad - 100 Grad bewegen kann, ist der Teil-GdB im Hinblick auf Verlust des Unterschenkels von 50 nicht weiter zu erhöhen.
Weiterhin leidet der Kläger unter Wirbelsäulenbeschwerden und einem Bandscheibenvorfall ohne Nervenwurzelreizerscheinungen im LWS-Bereich. Hier ist in Übereinstimmung mit Dr. W. und Teil B Nr. 18.13 (S. 19) der VMG ein GdB von 20 angemessen, aber auch ausreichend. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelabschnitt sind insoweit mit einem GdB von 20 zu bewerten.
Das schon länger bestehende Ellenbogenstreckdefizit links von 15 Grad ist nicht mit einem GdB zu bewerten. Auch hier stützt sich der Senat auf das Gutachten von Dr. W. wie auch auf Nr. 18.18 (S. 94) der VMG. Eine Bewegungseinschränkung des Ellenbogens geringen Grades (0 Grad - 30 Grad - 120 Grad) ist mit einem GdB von 0 - 10 zu bewerten. Hier liegt lediglich ein Streckdefizit von 15 Grad vor, das den Kläger nach eigenen Angaben auch nicht behindert. Es ist insoweit kein GdB festzustellen.
Auch im Hinblick auf die früher stattgefundenen Schulterluxationen besteht keine Funktionseinschränkung, weswegen insoweit, ebenfalls in Übereinstimmung mit Dr. W., kein GdB festzustellen ist.
Daneben leidet der Kläger unter Phantomschmerzen und einer depressiven Entwicklung. Hierfür ist ein GdB von 30, wie vom Beklagten festgestellt, ausreichend. Insoweit stützt der Senat seine Überzeugung maßgeblich auf die Auskunft der behandelnden Nervenfachärztin Dr. H. im erstinstanzlichen Verfahren. Dies stimmt auch mit den VMG überein, denn nach Teil B Nr. 3.7 ist die stärker behindernde psychische Störung mit einem GdB von 30 - 40 zu bewerten, nach Teil A Nr. 2 kann für Phantomschmerzen ein höherer GdB-Wert als für die fehlende Gliedmaße an sich angesetzt werden. Nach Abwägung aller Umstände und der Tatsache, dass der Kläger auf den Gutachter Dr. W. einen durchaus ausgeglichenen Eindruck gemacht hat und nun auch wieder eine Beschäftigung ausübt, erachtet der Senat einen Teil-GdB-Wert von 30 für diesen Beschwerdenkomplex als angemessen.
Für die beim Kläger bestehende erektile Dysfunktion ist ein GdB von 10 ausreichend. Eine Impotenzia coeundi ist erst bei erfolgloser Behandlung mit einem GdB von 20 zu bewerten (Teil B Nr. 13.2, S. 68 VMG). Da die verordneten Mittel (wie z. B. Viagra) im Falle des Klägers Anwendung finden und wohl auch wirken, kann von einer erfolglosen Behandlung hier nicht ausgegangen werden. Damit ist der vom Beklagten festgesetzte GdB von 10 hierfür angemessen und ausreichend.
Für den medikamentös behandelten Bluthochdruck des Klägers ist in Übereinstimmung mit Teil B Nr. 9.3 (S. 51 der VMG) ebenfalls kein GdB anzusetzen, da der Kläger insoweit weder über Beschwerden geklagt hat, noch Leistungsbeeinträchtigungen ersichtlich sind.
Entsprechend den in Teil A Nr. 3 VMG niedergelegten Grundsätzen unter Berücksichtigung der insoweit von Dr. W. gemachten Ausführungen ist der von dem Beklagten gebildete Gesamt-GdB von 70 nicht zu beanstanden. Er hat zutreffend den höchsten Teil-GdB-Wert von 50 um weitere 20 erhöht, da die depressive Entwicklung und die Phantomschmerzen ebenso wie die LWS-Beschwerden sich nicht mit der Amputation überschneiden, sondern sich auch gegenseitig verstärken.
Der Kläger ist auch nicht außergewöhnlich gehbehindert.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Verwaltungsverordnung-Straßenverkehrsordnung, nach welcher im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG außergewöhnlich gehbehindert ist, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.
Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkel¬amputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die außerstande sind ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unter¬schenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört nicht zu den ausdrücklich aufgeführten Behinderten und ist diesen auch nicht gleichzustellen.
Ein schwerbehinderter Mensch ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die genannte Gruppe von schwerbehinderten Menschen oder nur mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R in juris.de). Wegen der Begrenzung der städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten gering zu halten (BSG a.a.O.). Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf schwerbehinderte Menschen, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können, wie die ausdrücklich genannten Behinderten. Auf ein bestehendes Restgehvermögen kommt es nicht an (BSG a.a.O.).
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nach der Überzeugung des Senates nicht gegeben.
Der Senat stützt seine Überzeugung auch hier auf die ausführlichen, nachvollziehbaren, schlüssigen und widerspruchsfreien Ausführungen von Dr. W ... Der Kläger ist mit und ohne Gehstock in der Lage, sicher zu gehen, seine Beinmuskulatur rechts ist sehr gut entwickelt, was darauf schließen lässt, dass er beide Beine bewegt und somit auch zu Fuß unterwegs ist. Er kann sich ohne fremde Hilfe und übermäßige Anstrengungen außerhalb seines Kfzs bewegen. Er ist daher nicht außergewöhnlich gehbehindert.
Die Schlussfolgerungen des Gutachters nach § 109 SGG können vom Senat nicht geteilt werden. Das zweiseitige Gutachten gibt weder umfassende Bewegungsmaße der Neutral-Null-Methode wieder noch sonstige Funktionswerte. Dr. H. hat sich bei der Bildung der Teil- und Gesamt-GdB-Werte weder an die 2007 geltenden AHP gehalten noch Begründungen dargelegt, warum die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen von ihm mit den jeweiligen GdB-Werten bewertet werden. Zudem ist die von ihm vorgenommene Laufbandmessung nicht geeignet, die außergewöhnliche Gehbehinderung zu bestimmen, kommt es doch, wie oben ausgeführt, nicht auf eine bestimmte Restgehstrecke des Klägers an. Darüber hinaus ist die Laufbandmessung, wie von Dr. W. bereits ausgeführt, allein von Motivation und Mithilfe des Klägers abhängig und daher nicht geeignet, dessen Gehstrecke zu bestimmen.
Die Berufung ist demnach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob dem Kläger ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als von 70 und der Nachteilsausgleich "aG" zusteht.
Der 1959 geborene Kläger beantragte nach einem Motorradunfall vom 04.09.2004 mit Polytrauma und Amputation des linken Unterschenkels am 02.11.2004 die Feststellung des GdB nach § 69 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX.
Mit Bescheid vom 01.02.2005 stellte der Beklagte ab Antragstellung einen GdB von 50 sowie den Nachteilsausgleich "G" fest.
Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers erhöhte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 17.08.2005 den GdB auf 70 ab Antragstellung. Dabei ging er von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:
Verlust des linken Beines im Unterschenkel Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes (GdB 50)
Chronisches Schmerzsyndrom Depression Psychovegetative Störungen Schwindel (GdB 30)
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule Bandscheibenschaden (GdB 20)
Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogen- gelenkes (GdB 10)
Erektile Dysfunktion (GdB 10)
Am 19.09.2005 sprach der Kläger beim Beklagten persönlich vor und teilte mit, dass er seinen Widerspruch angesichts des Abhilfebescheides für erledigt betrachte.
Gleichzeitig beantragte er die Neufeststellung des GdB und die Gewährung der Nachteils¬ausgleiche "aG" und "RF". Zur Begründung gab er an, dass er wegen des Hüftschadens nicht normal aus einem Auto aussteigen könne. Er müsse die Türe ganz öffnen können, und mit beiden Beinen gleichzeitig aussteigen.
Der Beklagte zog daraufhin einen Befundbericht des Dr. H., Facharzt für innere Medizin, vom 09.12.2005 bei. Dieser teilte mit, die Einschätzung der vorhandenen Unfallschäden sei schwierig endgültig zu beurteilen. Es bestehe eine erhebliche bleibende MdE, neben der Amputation leide der Kläger unter Depressionen und Schmerzen sowie unter Potenzproblemen. Derzeit sei die Gehstrecke deutlich limitiert (200 m).
Neben einem weiteren Befundbericht aus dem Jahr 2004 legte er auch einen Befundbericht der Orthopädischen Universitätsklinik E. vom 30.08.2005 vor. Dieser bescheinigt dem Kläger einen Beckentiefstand links um einen halben Zentimeter und ein flüssiges Gangbild sowie freie Kniegelenksbeweglichkeit.
Mit Bescheid vom 06.02.2006 lehnte der Beklagte die Erhöhung des GdB wie auch die Feststellung der beantragten Merkzeichen ab, da die hierfür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch, den der Kläger nicht begründete, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2006 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 16.06.2006 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, die er im Wesentlichen damit begründet hat, er könne aus dem Auto nur bei weit geöffneter Türe aussteigen. Daher benötige er einen Behindertenparkplatz, ein normaler Parkplatz reiche wegen des zu geringen Platzes nicht aus. Ihm stünden ein höherer GdB und die Merkzeichen "aG" und "RF" zu.
Mit Schreiben vom 06.10.2006 hat er die Klage im Hinblick auf den Nachteilsausgleich "RF" zurückgenommen.
Das SG hat BeW. erhoben durch Einholung einer sachverständigen Zeugenaussage von Dr. H., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom 26.09.2006.
Diese hat mitgeteilt, der Kläger leide unter Phantomschmerz, Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion, Panikstörung und Verdacht auf Entwicklung eines posttraumatischen Belastungssyndroms. Für diese Beschwerden sei in Übereinstimmung mit dem ärztlichen Dienst des Beklagten ein GdB von 30 angemessen.
Das SG hat den Kläger mit Schreiben vom 30.10.2006 auf sein Antragsrecht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - hingewiesen und ihm zur Benennung eines Arztes eine Frist bis zum 20.11.2006 gesetzt. Der Kläger hat die Verlängerung dieser Frist bis 08.12.2006 beantragt, als Arzt aber erst am 05.01.2007 den behandelnden Internisten Dr. H. benannt.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.02.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Weder ein höherer GdB noch der Nachteilsausgleich "aG" stünden dem Kläger zu. Der Antrag nach § 109 SGG sei wegen grober Nachlässigkeit und Verzögerung des Rechtsstreites als verspätet abzulehnen.
Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.03.2007 Berufung mit der Begründung eingelegt, das SG habe die Stoßrichtung der Klage nicht verstanden. Die Anwendung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialgen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) habe nach freier richterlicher Beweiswürdigung und nicht nach starren Beweisregeln zu erfolgen. Sozialgerichtliche Entscheidungen erwüchsen, selbst wenn sie auf Bundesebene ergingen, nicht in Gesetzeskraft. Bei ihm liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor, der mehrfache Hüfttrümmerbruch, der Milzriss, die Phantomschmerzen und andere Beschwerden rechtfertigten mindestens einen GdB von 80.
Der Senat hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG durch Dr. H., Facharzt für innere Medizin, vom 23.11.2007. Dr. H. hat folgende Diagnosen gestellt: 1. Zustand nach traumatischer Unterschenkelamputation links mit rezidivierenden Stumpfinfektionen
2. Funktionseinschränkung des linken Hüftgelenks nach Acetabulumfraktur
3. Chronisches Schmerzsyndrom (Phantomschmerz) linker Unterschenkel, Depression
4. Degeneratives LWS-Syndrom bei Bandscheibenprotrusion
5. Funktionseinschränkung des rechten Ellenbogengelenkes bei Zustand nach Luxation
6. Erektile Dysfunktion
Für den Zustand nach Unterschenkelamputation hat er einen GdB von 60, für die Funktionseinschränkung des linken Hüftgelenkes einen GdB von 40, für die Phantomschmerzen und die Depression einen GdB von 30 und für die Funktionseinschränkungen des rechten Ellenbogengelenks und die erektile Dysfunktion je einen GdB von 10 angenommen. Insgesamt ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der diversen gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen ein GdB von 80 festgesetzt werden solle.
Da der Kläger bei einem Gehtest auf dem Laufband bei einer Geschwindigkeit von 2,1 km/h die maximale Gehstrecke von 80 m in einer Zeit von 2 Minuten und 43 Sekunden habe durchführen können, sollte wegen der deutlichen Minderung der Gehstrecke das Merkmal "aG" festgestellt werden.
Der Senat hat im Nachfolgenden ein Gutachten von Amts wegen von Dr. W., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, vom 06.07.2009 eingeholt. Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:
1. Funktionseinschränkung des linken Beines nach traumatischer Unterschenkel¬amputation, Hüftverrenkung mit Hüftpfannenbruch nach Motorradunfall am 04.09.2004 im Rahmen eines schweren Polytraumas, aktuell mit optimal sitzender Unterschenkelprothese und leichter Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes.
2. Lendenwirbelsäulensyndrom mit pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung in das rechte Bein bei monosegmentalem Bandscheibenteilaufbrauch L5/S1, ohne objektivierbare Nervenwurzelreizerscheinungen.
3. Geringe Schulterfunktionsstörung rechts nach dreifacher unfallbedingter Schulter¬luxation (angegebene Motorradunfälle 1972, 1978, 1979), aktuell mit zufriedenstellender Beweglichkeit und optimaler muskulärer Stabilisierung.
4. Geringes Ellenbogenstreckdefizit rechts nach konservativ behandelter Ellenbogen¬luxation im 13. Lebensjahr, ohne weitere Funktionseinschränkungen.
Auf nichtorthopädischem Fachgebiet leide der Kläger unter einem medikamentös eingestellten Bluthochdruck und einer Cholesterinerhöhung. Den GdB für die Unterschenkelamputation und die geringgradige Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes links hat er mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet. Den Wirbelsäulenschaden mit gering- bis mäßiggradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt hat der Gutachter mit einem GdB von 20 bewertet. Für die Schulterfunktionsstörung rechts und die Ellenbogenfunktionsstörung rechts ist er von einem geringeren GdB als 10 ausgegangen. Unter Berücksichtigung des chronischen Schmerzsyndroms, der Depression, psychovegetativer Störung und Schwindel mit einem GdB von 30 sowie der erektilen Dysfunktion mit einem GdB von 10 hat er den Gesamt-GdB fachübergreifend auf 70 eingeschätzt. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege beim Kläger nicht vor. Zur Begründung hat der Gutachter ausgeführt, der Kläger sei sehr aktiv, gehe mit und ohne Gehstock sehr sicher. Die Beinmuskulatur rechts sei ungewöhnlich kräftig und mit Sicherheit auf regelmäßiges Bewegen und Belasten zurückzuführen. Der Kläger fahre einen Sportwagen (BWM Z4) mit tiefem Einstieg und fahre auch noch Motorrad. Die Hüftfunktionsstörung sei leicht- bis mäßiggradig, die Prothesenversorgung optimal. Der von Dr. H. durchgeführte Laufbandtest sei nicht aussagekräftig, da er allein von Mitarbeit und Motivation des Probanden abhänge. Im Rahmen der Begutachtung hat der Gutachter im Hinblick auf die linke Hüfte des Klägers hinsichtlich Streckung/Beugung folgende Werte gemessen: 0 Grad - 0 Grad - 100 Grad.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Februar 2007 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 06. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ab 20. September 2005 einen GdB von 80 und den Nachteilsausgleich "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erachtet den Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.
Die Verfahrensakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Auf deren Inhalt wie auch auf den Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 02.12.2009 wird zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Entscheidung des SG ist zutreffend, die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig.
Nach der Überzeugung des Senats liegen beim Kläger weder ein höherer GdB als von 70 noch die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" vor.
Anspruchsgrundlage ist hier § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -.
Hiernach ist ein Bescheid mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung liegt nicht vor.
Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundes¬versorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 3 Satz 4 SGB IX werden als GdB die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX gelten insoweit die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auch gesund¬heitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für eine Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehört die streitige außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) für die im Schwerbehindertenausweis. das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbe¬hindertenausweisverordnung).
Seit dem 01.01.2009 ist die Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 und die dazugehörige Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) in Kraft, die gem. § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX auch für die Feststellung der Behinderung und des GdB gilt.
Beim Kläger besteht nach der Überzeugung des Senats unter Anwendung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze lediglich ein GdB von 70 und nicht von 80.
Der Senat stützt seine Überzeugung insoweit auf das ausführliche, nachvollziehbare und klare Gutachten von Dr. W ... Die von Dr. W. gezogenen Schlussfolgerungen sind anhand der von ihm erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar.
Demnach besteht als schwerwiegendstes Leiden des Klägers eine Amputation des linken Unterschenkels und eine gering- bis mäßiggradige Bewegungseinschränkung des Hüftgelenks links infolge Hüftkopftrümmerbruchs. Hierfür ist nach Dr. W. ein GdB von 50 festzusetzen. Diese Einstufung entspricht auch den VMG, sehen diese doch nach Teil B Nr. 18.14 (S. 97) bei Verlust eines Beines im Unterschenkel einen GdB von 50 vor. Eine Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes geringen Grades ist einseitig mit einem GdB von 10 - 20 zu bewerten (Teil B Nr. 18.14, S. 98/99 VMG). Da die Bewegungseinschränkung geringen Grades insoweit jedoch eine Einschränkung der Streckung/Beugung bis zu 0 Grad - 10 Grad - 90 Grad vorsieht, der Kläger das linke Hüftgelenk jedoch sogar im Umfang 0 Grad - 0 Grad - 100 Grad bewegen kann, ist der Teil-GdB im Hinblick auf Verlust des Unterschenkels von 50 nicht weiter zu erhöhen.
Weiterhin leidet der Kläger unter Wirbelsäulenbeschwerden und einem Bandscheibenvorfall ohne Nervenwurzelreizerscheinungen im LWS-Bereich. Hier ist in Übereinstimmung mit Dr. W. und Teil B Nr. 18.13 (S. 19) der VMG ein GdB von 20 angemessen, aber auch ausreichend. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelabschnitt sind insoweit mit einem GdB von 20 zu bewerten.
Das schon länger bestehende Ellenbogenstreckdefizit links von 15 Grad ist nicht mit einem GdB zu bewerten. Auch hier stützt sich der Senat auf das Gutachten von Dr. W. wie auch auf Nr. 18.18 (S. 94) der VMG. Eine Bewegungseinschränkung des Ellenbogens geringen Grades (0 Grad - 30 Grad - 120 Grad) ist mit einem GdB von 0 - 10 zu bewerten. Hier liegt lediglich ein Streckdefizit von 15 Grad vor, das den Kläger nach eigenen Angaben auch nicht behindert. Es ist insoweit kein GdB festzustellen.
Auch im Hinblick auf die früher stattgefundenen Schulterluxationen besteht keine Funktionseinschränkung, weswegen insoweit, ebenfalls in Übereinstimmung mit Dr. W., kein GdB festzustellen ist.
Daneben leidet der Kläger unter Phantomschmerzen und einer depressiven Entwicklung. Hierfür ist ein GdB von 30, wie vom Beklagten festgestellt, ausreichend. Insoweit stützt der Senat seine Überzeugung maßgeblich auf die Auskunft der behandelnden Nervenfachärztin Dr. H. im erstinstanzlichen Verfahren. Dies stimmt auch mit den VMG überein, denn nach Teil B Nr. 3.7 ist die stärker behindernde psychische Störung mit einem GdB von 30 - 40 zu bewerten, nach Teil A Nr. 2 kann für Phantomschmerzen ein höherer GdB-Wert als für die fehlende Gliedmaße an sich angesetzt werden. Nach Abwägung aller Umstände und der Tatsache, dass der Kläger auf den Gutachter Dr. W. einen durchaus ausgeglichenen Eindruck gemacht hat und nun auch wieder eine Beschäftigung ausübt, erachtet der Senat einen Teil-GdB-Wert von 30 für diesen Beschwerdenkomplex als angemessen.
Für die beim Kläger bestehende erektile Dysfunktion ist ein GdB von 10 ausreichend. Eine Impotenzia coeundi ist erst bei erfolgloser Behandlung mit einem GdB von 20 zu bewerten (Teil B Nr. 13.2, S. 68 VMG). Da die verordneten Mittel (wie z. B. Viagra) im Falle des Klägers Anwendung finden und wohl auch wirken, kann von einer erfolglosen Behandlung hier nicht ausgegangen werden. Damit ist der vom Beklagten festgesetzte GdB von 10 hierfür angemessen und ausreichend.
Für den medikamentös behandelten Bluthochdruck des Klägers ist in Übereinstimmung mit Teil B Nr. 9.3 (S. 51 der VMG) ebenfalls kein GdB anzusetzen, da der Kläger insoweit weder über Beschwerden geklagt hat, noch Leistungsbeeinträchtigungen ersichtlich sind.
Entsprechend den in Teil A Nr. 3 VMG niedergelegten Grundsätzen unter Berücksichtigung der insoweit von Dr. W. gemachten Ausführungen ist der von dem Beklagten gebildete Gesamt-GdB von 70 nicht zu beanstanden. Er hat zutreffend den höchsten Teil-GdB-Wert von 50 um weitere 20 erhöht, da die depressive Entwicklung und die Phantomschmerzen ebenso wie die LWS-Beschwerden sich nicht mit der Amputation überschneiden, sondern sich auch gegenseitig verstärken.
Der Kläger ist auch nicht außergewöhnlich gehbehindert.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Verwaltungsverordnung-Straßenverkehrsordnung, nach welcher im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG außergewöhnlich gehbehindert ist, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.
Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkel¬amputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die außerstande sind ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unter¬schenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört nicht zu den ausdrücklich aufgeführten Behinderten und ist diesen auch nicht gleichzustellen.
Ein schwerbehinderter Mensch ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die genannte Gruppe von schwerbehinderten Menschen oder nur mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R in juris.de). Wegen der Begrenzung der städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten gering zu halten (BSG a.a.O.). Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf schwerbehinderte Menschen, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können, wie die ausdrücklich genannten Behinderten. Auf ein bestehendes Restgehvermögen kommt es nicht an (BSG a.a.O.).
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nach der Überzeugung des Senates nicht gegeben.
Der Senat stützt seine Überzeugung auch hier auf die ausführlichen, nachvollziehbaren, schlüssigen und widerspruchsfreien Ausführungen von Dr. W ... Der Kläger ist mit und ohne Gehstock in der Lage, sicher zu gehen, seine Beinmuskulatur rechts ist sehr gut entwickelt, was darauf schließen lässt, dass er beide Beine bewegt und somit auch zu Fuß unterwegs ist. Er kann sich ohne fremde Hilfe und übermäßige Anstrengungen außerhalb seines Kfzs bewegen. Er ist daher nicht außergewöhnlich gehbehindert.
Die Schlussfolgerungen des Gutachters nach § 109 SGG können vom Senat nicht geteilt werden. Das zweiseitige Gutachten gibt weder umfassende Bewegungsmaße der Neutral-Null-Methode wieder noch sonstige Funktionswerte. Dr. H. hat sich bei der Bildung der Teil- und Gesamt-GdB-Werte weder an die 2007 geltenden AHP gehalten noch Begründungen dargelegt, warum die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen von ihm mit den jeweiligen GdB-Werten bewertet werden. Zudem ist die von ihm vorgenommene Laufbandmessung nicht geeignet, die außergewöhnliche Gehbehinderung zu bestimmen, kommt es doch, wie oben ausgeführt, nicht auf eine bestimmte Restgehstrecke des Klägers an. Darüber hinaus ist die Laufbandmessung, wie von Dr. W. bereits ausgeführt, allein von Motivation und Mithilfe des Klägers abhängig und daher nicht geeignet, dessen Gehstrecke zu bestimmen.
Die Berufung ist demnach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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